Friedrich Gerstäcker
Die Flußpiraten des Mississippi
Friedrich Gerstäcker

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Kapitel 14

Zur selben Zeit etwa, als Tom Barnwell von Helena abstieß, um in Montgomerys Point Vorerkundigungen einzuziehen und das Flatboot am nächsten Morgen wieder zu treffen, schoß auch aus den tief überhängenden Weiden der Insel ein kleiner, schmaler Kahn in die Strömung des Mississippi hinaus und hielt dem arkansischen Ufer zu. Zwei Personen saßen darin, der Neger Bolivar und der Mestizenknabe Olyo. Der Neger handhabte die beiden Ruder, in die er sich aus allen Kräften hineinlegte, während der Knabe in nachlässig vornehmer Stellung hinten im Heck des kleinen Bootes lag und das leichte Steuer regierte.

Er trug eine einfache graue Livree, die nur aus Jacke und Beinkleid bestand, deren Nähte mit karmesinen Schnüren besetzt waren; eine passende Mütze lag neben ihm; seinen Kopf aber schützte ein großer, breitrandiger Strohhut gegen die sengenden Sonnenstrahlen. Bolivar dagegen schien die Hitze weniger zu achten, ja im Gegenteil sich eher behaglich darin zu fühlen; denn er hatte Hut, Jacke und Hemd abgeworfen und nur die weiten grauleinenen Beinkleider anbehalten, so daß die Sonnenglut unmittelbar auf seine muskulösen, feuchtsamtnen, schwarzen Schultern herabbrannte. Im Kahn lagen mehrere starke Bleitafeln, über die zusammengelegtes Leinen – vielleicht ein Sack – hingeworfen war.

Ein freundliches Verhältnis schien aber zwischen den beiden, dem Mann und dem Knaben, nicht zu bestehen; denn der Neger blickte, ohne ein Wort mit seinem Gefährten zu wechseln, mürrisch vor sich nieder, während Olyo, wie zum Hohn, eines der sogenannten Niggerlieder pfiff und dabei spöttisch lächelnd über die dunklen Glieder des Äthiopiers hin nach dem breiten Waldstreifen sah, dem sie sich rasch näherten.

Der Knabe Olyo war nämlich ein Mestize von weißer und indianischer Abkunft –, was ihn, den nordamerikanischen Ansichten nach, weit über den Neger stellte. Ohnedies wurde er aber auch noch von seiner schönen Gebieterin vor allen anderen wie ein verzogenes Kind begünstigt, so daß er sich selbst gegen die weißen Männer der Insel wenn nicht herrisch, doch jedenfalls trotzig und unfreundlich benahm. Keiner mochte ihn, und nur die Scheu vor dem Kapitän hielt wohl die wilden Burschen zurück, daß sie nicht den Günstling seines Weibes einmal recht derb und nachdrücklich züchtigten. Bolivar aber, der als einziger Neger unter dem Knaben stand und dessen Tyrannei schon mehrere Male hatte ertragen müssen, ohne bei Georgine selbst Gehör zu finden, nährte einen finsteren Haß gegen den jungen, leichtsinnigen Buschen, und wohl nichts Gutes mochte es diesem prophezeien, daß der Blick des Äthiopiers manchmal, und wenn auch nur für Sekunden, mit einem wilden, triumphierenden Lächeln auf dem schönen Antlitz des schwarzlockigen Knaben ruhte. Endlich brach Bolivar das Schweigen und brummte, während er eine kurze Zeit mit Rudern einhielt: »Steuert, zum Donnerwetter, gerade, oder laßt es ganz sein! – Der Henker soll eine solche Arbeit holen, wo man einmal im rechten und einmal wieder im linken Ruder liegen muß, weil es dem jungen Herrn da eben bequem ist, bald hierherüber, bald dahinüber zu halten; – 's ist kein Kinderspiel, in solcher Hitze zu rudern.«

»Deinen Teint wird sie dir wenigstens nicht verderben«, spottete der Mestize; – »aber Ruhe da vor dem Mast. – Es kann oder muß dir vielmehr gleich sein, ob du ein paar Ruderschläge mehr tust oder nicht. Unship your star board wheel – hörst du, Bolivar? – Du sollst mit dem rechten Ruder einmal aufhören. Holzkopf, versteht den gewöhnlichen Dampfboot-Ausdruck nicht!«

»Wir dürfen nicht so hoch oben landen«, erwiderte finster der Neger. – »Seht Ihr dort weiter unten den hellgrünen Fleck? – Es ist gerade da, wo der Rohrbruch bis vorn an das Ufer läuft; dort geht eine kleine Bucht hinein, und da wollen wir das Boot lassen; also steuert jetzt ordentlich oder laßt das Ruder ganz liegen.«

»Hu, hu, hu – alter Brummbär«, spöttelte der Knabe, »wenn ich nun nicht will? – He? Aber meinetwegen, desto eher werde ich deine häßliche Gesellschaft los; so habe denn dieses eine Mal deinen Willen. Wo finde ich das Pferd?«

»Ich zeige Euch den Platz, wenn wir hinkommen.«

»Und die Straße?«

»Keine fünfhundert Schritt westlich von dort.«

»Führt keine rechts oder links ab?«

»Keine«, sagte der Neger düster; – »habt keine Angst, Ihr könnt den Weg nicht verfehlen.«

Olyo schien beruhigt zu sein und regierte von da an das Steuer regelmäßiger. Bolivar aber überflog jetzt forschend mit den Blicken die weite Fläche des Stroms, die er von dort aus übersehen konnte. Nichts ließ sich erkennen als drei oder vier Flatboote, die langsam und träge mit der Flut stromab kamen. Das kleine Boot geriet jetzt in die stärkere Strömung, die dicht am Ufer hinschoß, und Bolivar ruderte aus Leibeskräften.

»Haltet ein klein wenig mehr stromauf!« rief er dem Knaben zu. – »Noch mehr! So! – Die Flut reißt uns sonst unter den Baumwollholzbaum dort drüben.«

»Der Fluß steigt!« meinte der Mestize, während er auf die rasch vorbeitreibenden gelben Schaumblasen sah. – »Nun, Zeit ist es auch; – die Missouri-Wasser haben dieses Mal lange auf sich warten lassen. Aber halt, Bolivar – halt, sage ich – verwünschter Nigger! Du führst mich ja mitten in die nassen Büsche hier hinein«, rief der Kleine plötzlich, als der Neger scharf in die schmale Mündung der Bucht hielt, die von tief in das Wasser hängenden Reben und Ranken fast verschlossen war. – Bolivar schien den Rat aber nicht zu beachten. – »Wirst noch nasser werden«, murmelte er vor sich hin, und im nächsten Moment warf er mit schnellem Ruck die Ruder aus ihren Ruderlöchern ins Boot, das durch die letzte Anstrengung pfeilschnell vorwärts getrieben wurde und rasch in das grüne Gewinde hineinglitt und dahinter verschwand.

Was bedeutete jetzt jener scharf abgebrochene, wilde, kreischende Angstschrei, jenes kurze, aber verzweifelte Ringen?

Die Schlinggewächse erzitterten, und aus der Bucht drängten sich kurze, kleine Schlagwellen, als ob da drinnen irgendein großer Fisch das Wasser peitsche. – Kein Laut aber war mehr zu hören. – Die Reben hörten endlich auf zu schwanken, das Wasser beruhigte sich wieder, und mehrere Minuten lang herrschte ein lautloses, unheimliches Schweigen. Endlich teilten sich die Büsche; der Kahn glitt daraus hervor, und im Heck stand der Neger – allein. Sein ganzes Aussehen war wild und verstört, und sein Antlitz hatte eine graue Aschenfarbe angenommen. Er strich sich die wirren Wollbüschel aus der Stirn und blieb, als das Boot langsam mit der Strömung hinabtrieb, mehrere Sekunden lang tief Atem holend stehen.

Endlich warf er einen scheuen, trotzigen Blick zu dem grünen Dickicht zurück, das er eben verlassen hatte, griff dann wieder zu den Rudern und arbeitete sich langsam am arkansischen Ufer hinauf, um weiter oben zur Insel zurückrudern zu können.

Nur einmal hielt er unterwegs an, und zwar, vor der Strömung geschützt, dicht hinter einem dort in den Strom gestürzten Baum, an dessen Ästen er seinen Nachen auf kurze Zeit anband. Hier wusch er sich den Oberkörper, scheuerte einzelne Teile des Bootes aus und zog dann sein Hemd und seine Jacke an. Als er die Jacke aufnahm, fielen zwei daruntergeschobene und schon vergessene Briefe ins Boot. Bolivar konnte zwar nicht lesen, aber dennoch betrachtete er die Adresse des einen mit großer Aufmerksamkeit; es war ein Blutfleck darauf. Mit dem breiten angefeuchteten Finger versuchte er ihn wegzuwischen, doch das ging nicht, der Fleck wurde nur noch größer und häßlicher. Er hielt den Brief jetzt ein paar Sekunden in der Hand und schien nicht übel Lust zu haben, ihn über Bord zu werfen. Er drehte ihn bald nach rechts, bald nach links, dann aber, als ob er sich eines Besseren besänne, trocknete er die feuchte Stelle mit dem Ärmel seiner Jacke, so gut es gehen wollte, und schob die beiden Schreiben in die weiten Taschen seiner Beinkleider.

Schon wollte er das Tau wieder lösen, das den scharfen Bug des Fahrzeugs noch schäumend gegen die unruhigen kleinen Wellen anzog, da fiel sein Blick auf den Platz, wo der Knabe vorher gesessen hatte, und auf dessen zurückgelassene Mütze. Er trat ein paar Schritte vor, nahm sie auf und sah sich im Boot nach etwas um; – der Sack und die Bleiplatten waren verschwunden – im Boot lag weiter nichts als die beiden Ruder und sein eigener Strohhut.

»Verdammt«, murmelte er vor sich hin »habe ich denn gar nichts?« – mit den Händen befühlte er sich am ganzen Körper. Da traf seine suchende Hand einen harten Gegenstand – es war sein großes, breites Messer – eine schwere massive Klinge mit gewöhnlichem braunem Holzgriff und einer kleinen Kreuzplatte daran, die die Hand vor dem Abrutschen bewahrte. Er betrachtete es einen Augenblick, dann murmelte er leise vor sich hin: »Hol's der Henker! Von dem Zeug gibt's drüben noch mehr und bessere Ware; das hier mag seine letzten Dienste verrichten.«

Und damit spießte er die kleine Mütze auf den spitzen Stahl, drückte sie bis dicht unter das Heft und hielt sie mit ausgestrecktem Arm hinaus über das Wasser. Im nächsten Moment spritzen die Wellen empor und schlossen sich augenblicklich wieder über der versinkenden Waffe.

Der Neger ruderte langsam zur Insel zurück.

Dort ging es aber heute wild und lustig zu; reiche Beute war am vorigen Tage eingekommen, noch reichere wurde in kurzem erwartet, und die Führer hatten beide die Insel verlassen. Was Wunder dann, daß sich dieses wüste Volk zügelloser Völlerei überließ und jetzt nur noch mit Mühe von dem fast allein nüchternen Peter im Zaum gehalten werden konnte. Wieder und immer wieder mußte er vor den Folgen warnen, wenn vorüberfahrende Boote den Lärm hören sollten. Die Schar war fast nicht einmal mehr damit einzuschüchtern und behauptete, das sei schon oft vorgefallen, und kein Flatbootmann würde darin etwas Außerordentliches finden, wenn er Lärmen und Geschrei auf irgendeiner sonst unbewohnten oder ihm wenigstens unbekannten Insel höre. Überdies könne ja doch keiner landen, dafür wäre gesorgt.

Peter, der sich nicht anders zu helfen wußte, hatte schon mehrere Male des Kapitäns Frau gebeten, zwischen die Trunkenen zu treten und sie zur Ordnung anzuhalten; Georgine aber tröstete ihn fortwährend mit Kellys baldigem Erscheinen, und immer wieder umsonst verschwendete er Bitten und Drohungen an die zügellose Bande.

Da landete Bolivar, verbarg seine Jolle und betrat den inneren, von den Gebäuden eingeschlossenen Raum, wo er mit wildem Jauchzen von den Zechenden begrüßt wurde. Nun war der Neger sonst allerdings eher mürrischer, verschlossener Natur und hielt sich am liebsten fern von den Weißen, die ihn doch stets seiner Hautfarbe und Abstammung wegen verachteten. Heute aber, in seiner jetzigen Stimmung und Aufregung, kam ihm solches Treiben gerade gelegen. Seine Augen glänzten in lebendigerem, wilderem Feuer, und mit einer Art Schlachtschrei ergriff er die dargereichte Flasche und schien sie in wahnsinnigem Rausche leeren zu wollen.

»Hallo!« rief aber da ein langer Bursche aus Illinois. – »Hallo, mein Turkey-Bussard, willst wohl den Brunnen auf einen Ansatz austrinken? Abgesetzt, Schneeherzchen, abgesetzt und Atem geholt! Nachher kann man auch noch ein vernünftiges Wort mit zur Unterhaltung beitragen.«

»Die Pest über eure Unterhaltung«, brummte der Neger, »euer Brandy ist mir lieber; – aber gebt her die Flasche! Er schmeckt. Wo habt ihr den wieder aufgegabelt? Aus den nördlichen Staaten, wie?«

»Hahaha – die braune Schokoladentafel hat eine superfeine Nase«, lachte der Illinoiser, »wittert den Braten auf Tischlänge, weiß, daß wir kürzlich ein kostbares Nordboot gekapert haben, und ist nun so verdammt scharfsichtig, zu ergründen, daß dieser vortreffliche Pfirsichbrandy aus dem Norden kommt. Aber, Schätzchen, du mußt auch Kunststücke machen, wenn du trinken willst, mußt dir dein tägliches Brot verdienen, auf daß dir's wohlgehe und du lange lebest auf Erden.«

»Oh, geht mit euren Narrheiten zum Teufel, Corny! Gebt die Flasche, sage ich; mich dürstet! – Nein? – Ei, so behaltet euer Gesöff und fahrt zur Hölle! 's wird wohl noch anderer aufzutreiben sein.« Und damit wandte er sich ab und wollte zu seinem eigenen kleinen Wohnhause gehen, das dicht an das Haus seines Herrn angeschmiegt stand. Corny vertrat ihm aber den Weg, und während er ihm mit der linken Hand die bis dahin verweigerte Flasche vorhielt, erfaßte er mit der rechten seinen Arm und rief:

»Halt da, meine Alabasterkrone, so kommst du mir heute abend nicht fort! – Ich habe den Burschen hier – Gelbschnäbel, Bolivar, die eben aus den Buckeyestaaten herausgekommen sind, elende, erbärmliche Hosiers nur – von deinen Schädelfähigkeiten und Kopfarbeiten erzählt – nicht Hirnprodukte, Bolivar, sondern reine Schädelmanufaktur. – Weißt du noch, alter Bursche, wie du uns neulich mit der Stirn den Käse durchgeschlagen hast? Denk dir, die Lumpen hier wollen mir das nicht glauben – Landratten, die sie sind; ich habe um zwanzig Dollar mit ihnen gewettet, Schneeball; willst du sie mir verdienen helfen? Halbpart, mein Silberfasan!«

»Ich wäre gerade heute abend zu solchen Albernheiten aufgelegt«, knurrte der Neger. »Die Pest auf Eure zwanzig Dollar; ich habe heute mehr Dollar verdient, als Ihr in Euren Hut schütten könnt – zwanzig Dollar – pah!« – und er schlug dem Weißen ein Schnippchen und wollte sich von ihm losmachen. Der aber war nicht gesonnen, den einmal Gefaßten so bald wieder loszulassen. Er hielt nur um so fester und rief, während er den übrigen einen schlauen Blick zuwarf und nach etwas an seinem Körper umherfühlte:

»Hier, Bolivar, – hier, meine zuckersüße Puderquaste, meine liebenswürdige Teerose, – hier sieh einmal, was sagst du zu dem Messerchen, ah? Verlohnte es sich denn nicht der Mühe, eines solchen Prachtstücks wegen einmal einem Freunde gefällig zu sein?«

Die übrigen drängten jetzt auch auf Bolivar ein, und während einige ihn bestürmten, lachten andere und riefen, er wisse selber am besten, daß er es nicht könne, deshalb sei er so wenig bereitwillig. Bolivar dagegen griff nach dem Messer und heftete den funkelnden Blick auf den herrlich verzierten Stahl. Es war ein türkischer Szimitar – Gott weiß wo erbeutet, auf jeden Fall aber leicht gewonnen – mit mattgrüner, gewässerter Klinge und kostbarem, gold- und silbergeschmücktem Griff, – eine Waffe, die ein Sultan hätte tragen können.

Wäre er nüchtern gewesen, hätte er Verdacht schöpfen müssen, daß der wilde Bootsmann so wertvollen Preis auf eine geringe Wette setze; so aber war er durch das rasch hinabgeschüttete feurige Getränk erregt und schien sich plötzlich eines Besseren zu besinnen. Er blickte mit den rollenden Augen rasch im Kreise umher, schleuderte den alten Strohhut weit in die Ecke und schrie: »Hurra, meine Burschen, der Genickfänger ist prächtig! – Bolivar will euch zeigen, wie man sich in einen ›Westlichen Reserve-Käse‹ hineinarbeitet. Hussa! – Wer will noch mehr dagegen setzen?«

Ein wildes Getümmel entstand jetzt, alles drängte und schrie durcheinander. Bolivar hatte mitten zwischen den übrigen die blanke Waffe gezogen und tanzte in phantastisch-rasenden Sprüngen einen Jim Crow, während er mit gellender, scharfer Stimme die Melodie dazu sang:

»Dreht euch nur, ihr Niggers, dreht euch nur im Ring;
Dreht euch nur und wendet euch und höret, was ich sing'
Singen will ich euch ein Lied vom braunen Bill und Joe
Und jedesmal beim letzten Vers, da tanze ich Jim Crow!«

Und mit einem Ton auf der letzten Silbe, der durch Mark und Bein drang, tanzte er unter dem Beifallsruf der jetzt einen Kreis Bildenden den beliebten und von ihm mit bewundernswerter Muskelkraft ausgeführten Negertanz, während er mit Hacken und Zehen den schneller und immer schneller wirbelnden Takt dazu schlug.

»So haltet zum Donnerwetter die Mäuler!« rief jetzt Peter noch einmal, während er den Neger bei den Schultern faßte und ihn zu beruhigen versuchte. »Heilige Dreifaltigkeit« – Peter schwur nur dann bei etwas Heiligem, wenn er wirklich ernstlich wütend war, – »'s ist ja zum Tollwerden. Wollt ihr uns denn die Nachbarschaft mit Teufelsgewalt auf den Hals schreien?«

»War einmal ein Nigger«, schrie Bolivar, indem er trotz des Gegendrucks immer wieder wie eine niedergedrückte Stahlfeder emporschnellte:

»War einmal ein Nigger, ein gar großer Mann,
Hatte gelbe Hosen und auch gelbe Stiefel an,
Aber seinen Hut dabei, den trug er etwa so,
Und jedesmal beim letzten Vers, da tanzte er Jim Crow!
Hurra ho!«

»Bravo – bravo!« schrie die Schar – »Peter soll auch tanzen – Hurra für Peter!«

»Ruhig, ihr Kreuzkröten, ihr. – Ruhig, sage ich«, tobte Peter dagegen und machte fast noch mehr Lärm als die übrigen; der Illinoiser aber brachte den Haufen wieder auf das frühere Thema zurück.

»Den Käse her!« rief er. »Den Käse her; – Bolivar will ihn chinesisch begrüßen; bringt einen Käse!«

Einige liefen augenblicklich fort und kamen bald mit einem der sogenannten ›Westlichen Reserve-Käse‹ zurück, die in den nördlichen Staaten, besonders in Ohio und Pennsylvanien, sehr viel bereitet und nach dem Süden verschifft werden. Es sind große, runde Käse, etwa zwei Fuß im Durchmesser und vier bis fünf Zoll stark, mit gewöhnlicher, dunkelgelber, zäher Schale, so daß der Käse etwas ungemein Elastisches hat. Ein gewaltiger Schlag gehört denn auch dazu, einen solchen Käse so zu treffen, daß die Schale in der Mitte bricht, denn gewöhnlich weicht sie vor dem Stoß wie elastischer Gummi zurück. Bolivar hatte dieses Kunststück aber schon mehrere Male gemacht und war seines Erfolges ziemlich gewiß. Überhaupt zeichnen sich die Neger durch eine entsetzlich harte Hirnschale aus, die sie ja auch oft selbst gegen ihre stahlharten Kriegskeulen unempfindlich macht, deren Schlag den Schädel eines Weißen wie eine Eierschale zertrümmern müßte. Im Ringkampf benutzt der Afrikaner ebenfalls die Stirn fast mehr als die Faust und versucht hauptsächlich, seinen Gegner zu erfassen und mit dem eigenen Vorderkopf zu Boden zu schlagen. Zwei miteinander ringende Neger geben sich daher oft Stöße, die wie das Zusammenrennen zweier Widder weit hinausschallen und dem Weißen beim bloßen Zusehen Kopfschmerz verursachen. Der Illinoismann, der den Neger nicht recht leiden konnte, hatte ihm aber etwas ganz anderes zugedacht und beredete sich jetzt schnell flüsternd mit einigen anderen.

Indessen hob ein junger Bursche den Käse mit dem Rand auf eines der an der Wand hier aufgestellten Zuckerfässer. Bolivar aber, der der Flasche noch immer wilder und unmäßiger zugesprochen hatte, zumal ihn die anderen auch gar nicht hinderten, machte noch ein paar Luftsprünge, schob sein schon im voraus beanspruchtes Messer in den Gürtel, faßte dann den Käse mit beiden markigen Fäusten, zog den Kopf so weit er konnte zurück – und schlug nun mit seiner Stirn mit solch unwiderstehlicher Gewalt auf die zähe Rinde, daß diese barst und sein krauses Wollhaar in die weiche innere Masse eindrang.

Ein donnernder Jubelruf feierte den Triumph des Afrikaners, der den Käse in die Höhe hob und ihn höhnisch lachend vor die Füße der Jauchzenden warf.

»Da – ihr Buckras«, rief er dabei, – »da habt ihr euren Quark! – In ein solch breiweiches Ding fährt Bolivar mit der Nase hinein.«

»Das ist auch nur Quark!« schrie da ein kleiner Hosier, der sich durch die übrigen vordrängte. – »Mit einem ordentlichen Indianakäse solltest du das bleiben lassen, Rußbutte!«

»Was?« tobte dagegen der von Illinois. »Bleiben lassen –? Bolivar bleiben lassen? Ihr verkümmerten Hosiers da oben in euren Holzländern wollt wohl was Apartes haben, he? – Her mit dem Indianerkäse! – Hier sind fünf Dollar für einen! Bringt den zähesten, den ihr finden könnt, und setzt nachher, was ihr wollt, ich wette, daß Bolivars Eisbrecher ebenso leicht hineinfährt, als ob's eine New Yorker Damenhutschachtel wäre. Hurra, Bolivar, nicht wahr, wir sind die beiden, die es der Bande zeigen können?«

»Hurra!« schluckte Bolivar, dessen Augen schon anfingen, gläsern und stier zu werden. – »Hurra, – bringt einen von euren verdammten Hosierkäsen! Her damit, sage ich; – hier ist das Kind, das ihn vernichten und bis in die Mitte nächster Woche hineinstoßen kann! – Wo ist der Hosierkäse?«

»Hier, Herzchen!« sagte der kleine Indiana-Mann, während er einen neuen Käse brachte und auf eine flache, dicht an der Wand lehnende Kiste stellte. – »So, den versuche mal, und wenn du in den auch hineinfährst, dann nenne mich einen Dutchman.«

»Hussa – hier kommt Bolivar!« jubelte der Neger und wollte sich schon wie ein Widder auf das neue Ziel stürzen; hieran aber verhinderte ihn für den Augenblick Corny und rief: »Halt, mein Schneekönig! – Den Käse habe ich eben für teures Geld gekauft, und ich möchte nicht gern einen Teil deiner Wollperücke, als Andenken darin aufbewahrt, nachher zwischen die Zähne bekommen; – denn daß du mitten durchfährst, ist gewiß. So laß mich nur erst das Handtuch hier darüber decken; nachher magst du wie Gottes Gericht zwischen die Maden fahren.«

»Deckt ein Tuch darüber!« schrie der Neger, während sich die übrigen um ihn sammelten und seine Aufmerksamkeit ablenkten. Corny aber warf den Käse schnell beiseite und hob einen ebensogroßen Schleifstein rasch an seine Stelle, den er mit dem breiten Handtuch bedeckte.

»Aber er darf ihn auch nicht mit den Händen anfassen!« schrie der kleine Hosier. – »Hol ihn der Teufel, er drückt ihn an der Seite ein! Kein Wunder, wenn er in der Mitte platzt.«

»Hohoho«, brüllte der Neger und schlug eine wilde Lache auf, – »hohoho – meiner Mutter Sohn wird's euch zeigen, wie man westlichen Käse anschneidet, Platz da, ihr Buckras, Platz!

Wenn ich dann am Sonntag zu der Liebsten geh',
Bring' ich bunten Kaliko und Kaffee ihr und Tee,
Küsse sie dann auf den Mund, und mach' es g'rade so,
Und jedesmal nach jedem Kuß, da tanze ich Jim Crow.
Hurra für Alt-Virginy!«

Und mit zurückgezogenen Ellbogen, den Kopf vorn niedergebogen, die Augen geschlossen, sprang er in die Höhe und flog im nächsten Augenblick, während ihn die übrigen in erwartungsvollem Schweigen umstanden, mit fürchterlicher Gewalt gegen den verhüllten Stein.

Der Schlag hätte einen Ochsen zu Boden werfen müssen, und Bolivar stürzte denn auch, wie von der Kanonenkugel getroffen, hinterrücks auf die Erde nieder, wo er mehrere Sekunden lang, von keinem unterstützt, wie tot liegenblieb. Endlich aber, von dem lauten Jubeln der Schar wieder einigermaßen zum Bewußtsein gebracht, richtete er sich langsam empor und schien im Anfang nicht recht zu begreifen, was das Ganze bedeute, auf wessen Kosten dieses brüllende Gelächter der anderen den Raum erschüttere, und was eigentlich mit ihm selbst vorgegangen sei. Der Kopf mochte ihm aber wohl wirbeln und dröhnen; denn er drückte seine kräftigen Fäuste fest gegen die Schläfe an und schloß eine Weile die Augen. Dann aber, als er die Augen wieder aufschlug, fiel sein Blick gerade auf den noch an der Wand lehnenden Schleifstein, von dem das Tuch durch den Stoß herabgerissen war, und überrascht und verstört sah Bolivar die Männer im Kreise an. Das hatte jedoch auf die wilde Schar eine noch viel komischere Wirkung, und betäubendes Gelächter schallte ihm von allen Seiten entgegen.

Der Neger, der sich hier allein verachtet und verspottet sah und jetzt leicht begriff, welcher Streich ihm gespielt worden war, stand mehrere Sekunden lang mit zornblitzenden Augen und fest aufeinandergebissenen Zähnen da, bis ihm Corny noch spottend in den Weg trat und ihn fragte, ob er nicht glaube, die Hosierkäse seien zu sehr in der Sonne getrocknet. Da wurde es ihm klar, wer der Anstifter des ganzen Streiches sei, und ehe nur einer an Gefahr dachte oder sie verhindern konnte, fuhr er wie ein abgeschossener Pfeil auf den Matrosen zu und hatte den überrascht Zurückprallenden im Nu und wie der Panther seiner Wüsten mit den Zähnen an der Kehle gepackt. Wohl sprangen die Nächststehenden hinzu, um den Rasenden von seinem Opfer hinwegzureißen. Fest, fest hielt er es umklammert, und als es ihnen endlich gelang, stürzte Corny blutend in die Arme seiner Freunde zurück.

Bolivar wehrte sich jetzt mit verzweifelter Wut gegen die Überzahl und versuchte das Messer zu ziehen, das er im Gürtel trug. Daran hinderten ihn aber die Piraten. Sie warfen ihn zu Boden und banden ihm Hände und Füße; ja ein Teil der Zuschauer, besonders Cornys Freunde, schien nicht übel Lust zu haben, schnelle Gerechtigkeitspflege zu üben und ihn an Ort und Stelle zu strafen, weil er Hand an einen Weißen gelegt hatte.

Peter, der sein Bestes versucht hatte, die Tobenden zu besänftigen, und nun wohl seine Machtlosigkeit einsah, wandte sich noch einmal an Georgine und bat sie, den Sturm zu beschwören, er stehe sonst für nichts. Von vorbeifahrenden Flatbooten hätten sie allerdings wenig zu fürchten; es könnten aber auch Jäger an dem gegenüberliegenden Ufer sein, und der Wind wehe gerade nach Arkansas hinüber. Er versicherte ihr dabei, daß ihm Kelly selbst ganz besonders aufgetragen habe, jetzt, da sie am Ziele ihrer Wünsche ständen, Ruhe zu halten und jede unnötige Gefahr zu vermeiden. Niemand anders aber als sie selber sei in diesem Augenblick imstande, dem rohen Haufen zu imponieren.

»Und Marie?« fragte Georgine.

Das arme Mädchen kauerte bleich und tränenlos in der Ecke. Sie hatte am vorigen Nachmittag mehrere Male versucht, das Haus zu verlassen, Georgine hatte sie aber stets daran gehindert, während der Mestizenknabe oder auch Bolivar sie fortwährend im Auge behielten. Heute morgen war sie noch nicht von ihrem Platze aufgestanden und schien ihre Umgebung nicht zu beachten, ja sie kaum zu erkennen.

»Bleibt einstweilen ruhig hier sitzen«, rief der Narbige, während er einen mürrischen Seitenblick auf die Unglückliche warf. – »Es fehlte auch noch, daß uns die im Wege wäre.«

Wildes Gebrüll schallte in diesem Augenblick von den trunkenen Bootsleuten herüber; Georgine raffte schnell den neben ihr liegenden Schal um sich und trat gleich darauf ernst und drohend zwischen die Schar.

Kein Wunder war es aber, daß selbst die Rohesten scheu und ehrerbietig vor ihr zurückwichen und der Lärm, wie durch ein Zauberwort gebannt, verstummte. Die hohe, edle Gestalt des schönen Weibes blieb stolz und gebieterisch dicht vor ihnen stehen; das schwarze Haar floß ihr in vollen Locken um den nur halb verhüllten, vollen Nacken; aber die dunklen, von langen Wimpern beschatteten Augen schweiften finster über die vor wenigen Sekunden noch so unruhigen Männer hin und schienen den herausfordern zu wollen, der es wagte, ihrer Macht zu trotzen. Nur der Neger wütete noch immer gegen seine Bande an, so daß es die ganze Kraft der ihn Haltenden erforderte, seinen rasenden Anstrengungen zu widerstehen.

»Was hat der Mann getan?« fragte Georgine endlich mit leiser, aber dennoch in ihrem kleinsten Laut verständlicher Stimme. »Was soll der Aufruhr?«

Alle wollten jetzt antworten, und ein verworrenes Getöse von Stimmen machte jedes einzelne Wort unhörbar. – Endlich trat Peter vor und erzählte mit kurzen Worten den Lauf der Sache, während der Haufe, als er den Angriff des Negers erwähnte, mit wilder Stimme dazwischenschrie: »Nieder mit der blutigen Bestie, die einen Mann wie ein Panther erwürgen will.«

»Seid ihr Männer?« zürnte jetzt Georgine, und ihre Augen hafteten drohend auf den Rädelsführern der Schar. – »Wollt ihr in unserem Herzen Aufruhr und Kampf entzünden, während uns außen von allen Seiten der Feind umgibt? Habt ihr den Neger nicht zuerst gereizt? Wundert es euch, daß die Schlange sticht, wenn sie getreten wird? Fort mit euch an eure Posten! – Euer Kapitän kann jeden Augenblick zurückkehren, und ihr wißt, was euch geschähe, wenn er in diesem Augenblick statt meiner hier stünde. – Fort, – schlaft euren Rausch aus und verhaltet euch ruhig! – Der erste, der noch einmal den Gesetzen entgegenhandelt, verfällt ihrer Strafe, so wahr sich jener Himmel über uns wölbt. Hat sich der Afrikaner vergangen, so soll er der Züchtigung nicht entgehen; – ich wäre die letzte, die ihn schützte. Sobald Kelly zurückgekehrt ist, wird er euren Streit untersuchen, – bis dahin aber Friede!«

Die Bootsleute traten mürrisch, doch gehorsam von dem gefesselten Afrikaner zurück, und Peter wandte sich eben gegen ihn, um ihn bis zu des Kapitäns Rückkehr einzusperren, als sein Blick auf die Tür von Kellys Wohnung fiel. Dort erkannte er die blasse, zarte Gestalt der Wahnsinnigen, die sich die wirren Haare aus der marmorbleichen Stirn zurückstrich, einen Augenblick nur forschend nach der vor der ›Bachelor's Hall‹ versammelten Schar hinüberstarrte, dann mit hellem, fast kindischem Lachen rechts hinaus über den freien Platz sprang und plötzlich zwischen den einzelnen Hütten verschwand.

Das Ganze war so schnell und plötzlich geschehen, daß der Narbige im ersten Augenblick kaum zu wissen schien, ob er wirklich richtig sehe. Georgine aber, die seinem Blick rasch mit den Augen folgte, erkannte kaum noch den eben hinter dem kleinen Hause verschwindenden Schein des flatternden Gewandes, als sie auch den Zusammenhang ahnte.

»Folgt ihr!« rief sie schnell und deutete nach jener Richtung. – »Folgt ihr, Bolivar – Peter Weßley; bei eurem Leben bringt sie zurück!«

Peter gehorchte rasch dem Befehl, und einige von den Nüchternsten taumelten hinterher, während die anderen, vielleicht froh, sich unbeobachtet fortstehlen zu können, schnell in ihre verschiedenen Wohnungen verschwanden. Bolivar blieb allein und noch gebunden am Boden zurück. Georgine löste jetzt zwar schnell seine Bande; denn ihr war es in diesem Augenblicke nur darum zu tun, die Entflohene zurückzubringen. Der Afrikaner aber fühlte sich durch den Brandy, jenen fürchterlichen Stoß und den letzten mit verzweifelter Kraftanstrengung geführten Kampf betäubt und entnervt. Er taumelte ein paar Schritte nach vorn und stürzte dann schwerfällig zu Boden nieder.

Georgine biß sich die zarte Unterlippe und stampfte mit dem kleinen Fuß den Boden. »Tier!« murmelte sie halblaut vor sich hin. Die Verfolgung selbst nahm aber für den Augenblick ihre Aufmerksamkeit so sehr in Anspruch, daß sie nicht weiter auf den Neger achtete. Sie eilte der Stelle zu, wo Marie den hohen Zaun überklettert haben mußte, und schien hier ungeduldig die Rückkehr der Gefangenen zu erwarten. Konnte sie sich doch nicht denken, daß das wahnsinnige Kind mit nur wenigen Schritten Vorsprung und in dem ihr gänzlich unbekannten Dickicht imstande sein würde, Männern zu entgehen, die jeden umgeworfenen Stamm und jeden einzelnen Platz kannten, wo ein Fortkommen überhaupt möglich war. Vielleicht wußten die halbtrunkenen Bootsleute selbst kaum recht, was sie wollten, und stürmten nur eben blind hinterher; vielleicht war auch Peter durch die erstgenommene Richtung der Wahnsinnigen irregeführt, daß er glaubte, sie würde sie beibehalten, kurz, die Insulaner durchkreuzten den ganzen umliegenden Waldstrich, ohne auch nur die mindeste Spur von der Entflohenen zu finden, und mußten unverrichteter Sache zurückkehren.

Nun behauptete Peter allerdings, in den Büschen könne sie nicht mehr stecken, da hätte sie ihnen nicht entgehen sollen; sie werde wahrscheinlich in den Strom gestürzt und ertrunken sein; Georgine beruhigte sich jedoch nicht mit dieser Erklärung. Noch einmal mußten die Männer hinaus, um das Mädchen zu suchen, aber sie kehrten wieder ohne Erfolg zurück, als die Dämmerung ihnen in dem dichten Walde jedes weitere Vordringen unmöglich machte. Für diese Nacht blieb auch weiter nichts zu tun übrig, und Georgine tröstete sich nur damit, daß die Entflohene unmöglich die Insel verlassen konnte und am nächsten Morgen leicht wiedergefunden werden mußte.


 << zurück weiter >>