Friedrich Gerstäcker
Die Flußpiraten des Mississippi
Friedrich Gerstäcker

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Kapitel 34

Vor dem Union-Hotel der guten Stadt Helena war es an diesem Morgen wie ausgestorben. Einige Pferde standen allerdings an dem Reck und ließen, unmutig ob des langen Wartens, die Köpfe hängen oder blickten schläfrig zur Seite nach den Hausschwalben, die sie in kreisenden Zügen umschwärmten, um Moskitos und andere in ihre Nähe gezogene Insekten wegzufangen. Aus der Einfriedigung aber, die des Wirtes eigenen Tieren und denen seiner Gäste gewöhnlich zum Aufenthaltsort diente, kam Scipio und führte Mr. Smarts Rappen am Zügel dem Hause zu, aus welchem eben Smart und unser Bekannter von vorhin, der Virginier, traten. »Lege rasch den Sattel auf, Sip!« rief Jonathan seinem langsam heranschlendernden Neger entgegen. – »Potz Zwiebelreihen und Holzuhren, du gehst ja, als ob du Blei in den Beinen hättest! – Ah, Miß Adele, – schönen guten Morgen; nun, nehmen Sie meine Alte mit? Ja, es gibt heute morgen nicht viel zu tun hier. – Mrs. Breidelford hat all die Kundschaft –«

»Pfui, Mann, schäme dich! Wie kannst du nur so häßlich reden?« sagte Mrs. Smart, die eben mit gewaltigem Sonnenbonnet und riesigem Arbeitsbeutel neben Adele auf die Veranda trat und die linke Treppe niederstieg. »Ich machte mir auch nichts aus ihr, aber solch schreckliches Ende –«

»Mr. Smart meint's nicht böse«, entgegnete, sie beruhigend, Adele. »Ach, wissen Sie wohl, Sir, wie Sie vor wenigen Abenden noch jenen Scherz mit ihr trieben? – Wer hätte da gedacht, daß ihr auf fast ähnliche Weise ein so fürchterliches Schicksal bevorstand? Sie ist sicherlich überfallen worden.«

»Nein, Miß«, sagte der Virginier, indem er die Mittelstufen hinabgestiegen und auf das Pferd zuging, – »ich war dort. Die Buben, die sie erschlagen haben, hatten sich's vorher ganz bequem gemacht; es sind wahrscheinlich einige von ihren Freunden gewesen, die sich dort auskannten. Aber, Smart, ich muß wahrhaftig fort, sonst komme ich zu spät. Wie weit ist's denn eigentlich bis zu Livelys, und nach welcher Richtung zu liegt die Farm?«

»Ihr könnt sie, wenn Ihr Euch daranhaltet, in zwei Stunden recht gut erreichen«, erwiderte der Yankee, »die Richtung ist ziemlich Nordwest.«

»Wen von den Livelys wollen Sie denn sprechen?« fragte Adele und wendete sich gegen den Virginier; denn sie gedachte des heute gehörten Gesprächs zwischen dem Squire und William Cook. – »Ich glaube kaum, daß Sie jemanden von ihnen zu Hause finden werden.«

»Na, weiter fehlte mir nachher nichts«, brummte der Virginier; – »erst den Ritt, und dann umsonst! Ich will James Lively aufsuchen, und die Sache hat Eile; er ist in Gefahr.«

»In Gefahr?« fragten Smart und Adele zu gleicher Zeit. –

»Wieso? Durch wen?«

»Ei, sie haben Cook verhaftet –«

»Cook verhaftet?« rief der Yankee und zog vor lauter Verwunderung zum ersten Male die Hände aus den Taschen. – »William Cook?«

»Ei, jawohl, und wollen James auch an den Kragen. – Man hat James' Messer in der Ermordeten Hause gefunden.«

»Das ist nicht möglich!« rief Adele entsetzt. – »Großer Gott, sie können doch nicht solch fürchterlichen Verdacht – Squire Dayton weiß ja selbst, daß er erst heute morgen und weshalb er in die Stadt gekommen ist.«

»Der Squire? Hm, das glaube ich kaum; – der ist's gerade, der mir am meisten auf Livelys Verhaftung zu dringen scheint. Wenn ich nur wüßte, wo er wäre –«

»Oben, gleich über der Stadt, am Flußufer«, sagte Adele rasch und heftig; – »es ist keine Viertelstunde von hier, gerade an der kleinen Schenke vorüber, wo das Kieferndickicht steht –«

»So nahe? Hm, da werde ich wohl zu spät kommen«, meinte der Virginier und rückte sich den Filz mit beiden Händen fest in die Stirn. – »Den Henker auch, wenn's nicht weiter ist, sind sie schon lange oben –«

»Ja, aber was macht er denn im Kieferndickicht?« fragte Smart verwundert.

Adele beobachtete, die Frage wahrscheinlich ganz überhörend, die Bewegungen und Anstalten des langen Virginiers mit fast fieberhafter Aufregung. Er stand auf der linken Seite des Pferdes, hob höchst sorgfältig das rechte Bein in die Höhe und stellte es in den Bügel und wurde erst durch das vergnügte Grinsen des Negers darauf aufmerksam gemacht, daß er die ›Backbord-Finne‹ zuerst lüften müsse, um, Bug nach vorn, ins Fahrwasser zu kommen. – Er wechselte hierauf die Füße.

»Sie können nicht reiten, Sir?« rief Adele ängstlich, während sich Smart mit hochgezogenen Brauen ganz ungemein auf das Aufsitzen des Langen zu freuen schien.

»Ein Boot wäre mir lieber«, meinte Mills; – »'s hat mir was schrecklich Unbehagliches, daß die Beine so an beiden Seiten herunterhängen sollen.«

Er hatte jetzt den richtigen Fuß in den Steigbügel gebracht, warf das rechte Bein über den Sattel und kam, als das kleine, muntere Tier ein wenig zusammenfuhr, mit plötzlichem Ruck ›an Bord‹, wie er's nannte.

»Großer Gott, ist der Steigbügel kurz!« sagte er, während er erschreckt auf seine bis fast an die Brust gezogenen Knie blickte. »Und wo hängt denn eigentlich das andere Ding?« Er bog sich etwas rechts hinüber und suchte vorsichtig mit dem Fuße den ziemlich hochhängenden Riemen zu treffen; das Pony aber, das schon durch den schwankenden Sitz des Bootsmanns etwas geängstigt war, warf scheu den Kopf zur Seite.

»Brrrrr!« rief Mills. – »Brrrrr, mein Tierchen! – No bottomNo bottom! Kein Grund! Der Ruf des Senkbleiwerfers, wenn er mit der Leine keinen Grund gefunden hat. ?« Und immer noch fühlte er mit dem rechten Bein vergebens nach dem weiter oben hin- und herschlenkernden Bügel. Da kam dieser unter den Bauch des Ponys, was einen raschen und kurzen Seitensprung verursachte. Mills' ›Hinterläufe‹, wie sie der alte Lively betitelt haben würde, zuckten schnell und unwillkürlich zusammen und begegneten sich unter dem Rappen; der aber, solcher Behandlung ungewohnt, schlug kräftig hinten aus und warf den Kopf zwischen die Vorderbeine, während der Virginier mit einem »Halt da –« gerade über die Ohren des scheuen Tieres hinweg und mit dem ganzen langen Leibe auf den Hofraum flog.

»Hallo!« lachte Smart. »Bedeutendes Stück Arbeit, das! War der längste Wurf, den ich in meinem Leben gesehen habe.«

»Mrs. Smarts Sattel, – Sip!« – rief Adele und zitterte vor Angst und Aufregung. – »Mrs. Smarts Sattel –«

»Meinen Sattel?« rief, während Scipio rasch dem Befehle gehorchte, Rosalie Smart etwas erstaunt. »Meinen Sattel, Kind? Ich denke gar nicht daran zu reiten.«

»Nicht wahr, Sie borgen ihn mir auf wenige Stunden?« bat Adele und ergriff dabei den Zügel des ihr willig gehorchenden Tieres – »Mr. Smart, bitte, den andern Sattel! –«

»Aber, beste Miß Adele! –«

»Mr. Smart«, sagte das schöne Mädchen, und der Ton, mit dem sie diese Worte sprach, klang so weich, so ängstlich, daß Jonathan Smart kein Yankee hätte sein müssen, wenn er dem widerstehen konnte. Mit einem Ruck hatte er den Sattelgurt geöffnet und den Sattel abgehoben, Scipio legte den andern in derselben Minute von der rechten Seite, wo der Damensattel auch geschnallt wurde, auf, und ehe noch Mrs. Smart, die durch die Eile dieses Entschlusses total aus den Wolken zu fallen schien, auch nur imstande war, eine Frage zu tun, ja kaum von Smart selber so weit unterstützt, daß er ihr leise den linken Ellbogen hob, legte das schöne, in seiner Eile jetzt lieblich erglühende Mädchen die rechte Hand auf den Sattel und schwang sich hinauf. Smart reichte ihr auf der einen Seite den kleinen, für den linken Fuß bestimmten Bügel, Scipio eine kurze, gerade dort liegende Weidengerte, und im nächsten Moment, ja, bevor sich Mills ganz von seinem Sturze erholt hatte, warfen schon die rasch über den harten Boden dahinklappernden Hufe des kleinen Ponys den Staub hinter sich auf, die Männer, vor allem aber Mrs. Smart in wirklich unbegrenztem Erstaunen zurücklassend.

James Lively hatte indessen, sobald Cook davongeritten war, vorsichtig seinen Platz gewechselt und sich, einem Indianer gleich, bis dicht an das Haus geschlichen. Das aber war viel zu gut verwahrt, um ihm auch nur das Geringste zu verraten. Bloß ein dumpfes Stimmengemurmel hörte er, als ob viele Menschen miteinander sprächen, und ein paarmal wurden Türen geöffnet und wieder geschlossen. Da vernahm er aufs neue vom Flusse her Ruderschläge, die näher und näher kamen, und glitt nun so rasch und geräuschlos wie möglich zum Ufer hinunter, wo er den Platz übersehen konnte, der zwischen dem Boot und dem Hause lag. Es waren etwa zwölf bis vierzehn Schritte Zwischenraum; denn der Strom hatte noch lange nicht die Uferhöhe erreicht. Als Versteck fand er aber hier weiter nichts als den Stamm einer angeschwemmten Zypresse, hinter der er sich niederkauerte und mit gespannter Aufmerksamkeit dem näher und näher kommenden Fahrzeug entgegensah.

Endlich erkannte er durch den Nebel den dunklen Schein des Bootes. – Es legte an, und acht Männer, einige in der Tracht der Bootsleute, andere wie Städter gekleidet, stiegen aus.

»He, Thorby«, sagte eine große, grobknochige Gestalt, als ihr ein anderer – der Wirt der Schenke – entgegenkam, »war Kelly schon da? Was gibt's denn eigentlich? Waterford hat uns weiter nichts gesagt.«

»Weiß auch nicht recht«, brummte der, »werdet's schon erfahren. – Donnerwetter, es geht jetzt wild in der Stadt zu; 's ist fast so, als ob jemand auszöge! Habt ihr Porrel mitgebracht?«

»Toby? Nein, der kommt mit einem Kielboot, – muß aber auch bald da sein. Kelly zieht ja seine ganze Mannschaft zusammen; es muß uns doch von irgendeiner Seite Gefahr drohen! Wie steht's mit der Insel?«

»Gut«, sagte Thorby, – »es ist eben ein Boot von dort hier eingetroffen; doch geht hinein, drinnen besprechen wir das alles viel besser. Kommen noch mehr?«

»Ja, Waterford selbst bringt alle die Sumpfmänner mit. Wie er uns sagt, wollen wir dann gleich von hier aus heute abend zur Versammlung nach Nr. Einundsechzig hinunterfahren.« – Und mit diesen Worten verschwanden die Männer im Innern des Hauses, dessen Tür sich augenblicklich hinter ihnen schloß.

James Lively blieb noch ein Weilchen in seinem Versteck liegen, bis er ganz sicher war, daß keiner der mit dem Boote Gekommenen mehr in diesem weile, und kroch dann vorsichtig und geräuschlos, wie er gekommen, zum Hause zurück. Obgleich er dort aber deutlich genug hören konnte, wie die Besucher ein lebhaftes Gespräch miteinander führten und hier also keineswegs nur zum Spielen und Trinken zusammengekommen schienen, so war es ihm doch auch nicht möglich, etwas Näheres darüber zu bestimmen. Übrigens fühlte er sich jetzt fest davon überzeugt, der ›Graue Bär‹ stände, wie sie schon heute morgen vermuteten, mit jener Insel, dem Neste der Piraten, in genauer Verbindung, und ungeduldig harrte er der Rückkehr des Schwagers, um die entscheidenden Schritte in dieser Sache zu tun.

Der Tag dämmerte endlich. Die dem jungen Farmer nächsten Gegenstände ließen sich deutlicher erkennen, und ein leise sich erhebender Luftzug, der die dichtbelaubten Zweige der Niederung durchrauschte, fing an, die schwerfälligen Nebelmassen nach und nach in Bewegung zu setzen. James hielt es für geratener, sich zurückzuziehen, um nicht durch das schnell hereinbrechende Tageslicht überrascht und vielleicht vom Hause aus gesehen zu werden. So leise wie möglich schritt er deshalb an der Wand des kleinen Gebäudes hin, bis er den vorderen Teil und mit diesem die Straße erreichte. Gleich hinüberkreuzen wollte er aber nicht, weil ein neben der Tür angebrachtes Fenster auf den offenen Platz hinausführte; dicht am Wege hin war dagegen eine Anzahl junger Hickories aufgewachsen, die er zwischen sich und das Haus zu bringen suchte, damit sie ihn in ihrem Schatten verbargen.

Kaum zehn Ellen mochte er langsam darin fortgekrochen sein, als er den Schritt von Männern auf der Straße hörte, die rasch herankamen. Zuerst glaubte er, sie würden an ihm vorbeigehen, und schmiegte sich fest auf die Erde nieder; als sie jedoch am Hause waren, blieben sie stehen, und er konnte deutlich erkennen, wie der eine vorsichtig viermal anklopfte und dann horchte.

Von innen heraus schien da irgend jemand zu fragen, und die Antwort lautete: »Sander! – Macht auf!«

Die Stimme kannte er. Das war Hawes; er hatte sich den Mann nur zu gut gemerkt. – Was aber wollte der hier zu so früher Tageszeit? In welcher Verbindung stand er mit diesen Männern? Und was sollte das Zeichen? Er strengte jetzt seine Augen an, um die Gestalt des zweiten zu erkennen; es war aber noch zu dunkel, und ehe er auch nur einen ordentlichen Blick auf den Mann werfen konnte, schloß sich die vorsichtig geöffnete Tür rasch hinter den beiden.

Was jetzt tun? Sollte er dem Freunde folgen und ihn von dem Gesehenen in Kenntnis setzen? Das hätte ihm nichts genützt; denn Cook war ja schon in der Absicht zum Richter geritten, eine Untersuchung dieser verdächtigen Schenke zu beantragen. Er beschloß also, seine Beobachtungen hier fortzusetzen und Cooks Rückkehr abzuwarten, ehe er selber von der Stelle ging. Zu diesem Zweck aber, und um unentdeckt zu bleiben, brauchte er ein besseres Versteck und verfolgte jetzt in den Hickories seine Bahn, bis er sich dem kleinen, Cook bezeichneten Kiefernanwuchs gerade gegenüber sah. Dieser begann etwa sechzig Schritt vom ›Grauen Bären‹ und lief bis zur Mündung desselben Baches hinauf, an welchem weiter oben Livelys und Cooks Farmen lagen. Hier kreuzte er den Weg und blieb in der spitzen Ecke des Dickichts geduldig stundenlang auf dem Anstand liegen.

Mehrere Reiter passierten die Straße nach Helena zu, von denen die meisten ebenfalls vor dem geheimnisvollen Hause anhielten, abstiegen und nach kurzem Aufenthalt ihren Ritt fortsetzten. Selbst als es schon vollkommen Tag geworden war, sah James noch mehrere, ihm jedoch gänzlich fremde Gestalten dort einkehren und dann in die Stadt hineinreiten. Von dort heraus kamen nur zwei, der eine ein Kaufmann aus der Frontstreet, der andere ein Farmer aus der nächsten Umgebung, die sich jedoch nicht bei der Schenke aufhielten, sondern an dem versteckten jungen Mann vorbei, der eine in die Hügel, der andere einen schmalen Pfad hinaufritten.

So mochte es zehn Uhr geworden sein, und in Helena selbst hatten währenddessen die oben beschriebenen Vorfälle stattgefunden. Da, als ihm die Zeit schon anfing lang zu werden und er eben mit sich zu Rate ging, ob er nicht doch vielleicht jetzt trotz seiner Verabredung mit Cook den Schwager aufsuchen, ihm das Gesehene mitteilen, wie auch um Beschleunigung der zu treffenden Maßregeln treiben solle, sah er aus der Stadt heraus vier Männer kommen, die aufmerksam nach etwas zu spüren schienen, und von denen zwei sogar in die Büsche an der Seite der Straße hineingingen. Gleich an einem niederen Papaodickicht, dem gegenüber ebenfalls ein kleiner, im Durchmesser freilich kaum hundert Schritt breiter Kiefernschlag lag, hatten sie angefangen, und es dauerte nicht lange, so fanden sie dort sein angebundenes Pferd.

»Wetter noch einmal« dachte James, als er aus seinem Versteck heraus sah, wie es vorgeführt und einem der Männer übergeben wurde, »was haben die Burschen im Sinn? Was geht sie mein Pferd an, und wer sind sie denn eigentlich?«

Er richtete sich ein wenig empor und erkannte deutlich, wie zwei von ihnen die Kiefern abgesucht hatten und wieder auf die Straße kamen. Eine kurze Beratung fand jetzt statt, und der Führer, wenigstens der, den er dafür hielt, deutete den Weg hinauf nach dem Platze zu, wo er sich befand. Der Zug setzte sich gleich darauf auf sein Versteck zu in Bewegung. Da vernahm sein scharfes Ohr donnernde Hufschläge, und er sah, wie sich die Männer ebenfalls danach umschauten. Gleich darauf traten sie rasch aus dem Wege zurück, und im selben Moment flog auch ein schäumender Rappe daher, auf dessen Rücken – konnte er denn seinen Augen wirklich trauen? – mit fliegenden Locken und vom scharfen Ritt erhitzten, glühenden Wangen – Adele Dunmore saß und, weder rechts noch links zur Seite blickend, das feurige Tier durch raschen Gertenschlag zu noch immer wilderer Eile antrieb.

So gern er sie aber gesprochen und um das Ungewöhnliche dieses einsamen Rittes befragt hätte, so war es auch wieder ein Gefühl, über das er sich selbst keine Rechenschaft zu geben wußte, das ihn fast unwillkürlich zwang, sich vor der Jungfrau zu verbergen. Er trat rasch hinter eine niedrige, buschige Kiefer und erwartete natürlich, sie im nächsten Augenblicke vorbeibrausen zu sehen. Da hielt durch plötzlichen Zügeldruck, der das feurige Tier fast auf die Hinterbeine zurückbrachte, Adele ihr Pony an, und James hörte zu seinem grenzenlosen Erstaunen, wie sie mit rascher, ängstlicher Stimme seinen Namen rief: »Mr. Lively – Mr. James Lively! Wo, um des Himmels willen, sind Sie, Sir?« Hätte James in diesem Augenblick eine zwanzig Fuß hohe Kluft hinabspringen müssen, um dem Ruf Folge zu leisten, er würde sich nicht eine Sekunde lang besonnen haben. Was Wunder also, daß er mit Blitzesschnelle aus dem Dickicht vorglitt und so plötzlich und unerwartet vor dem Pony stand, daß dieses entsetzt zurückfuhr und alle Anstalten machte, sich aus Leibeskräften emporzubäumen. James warf seine Büchse hin und fiel ihm mit schnellem Griff in die Zügel, während Adele mit einem leise gemurmelten »Gott sei Dank!« aus dem Sattel und in den ihr helfend entgegengestreckten Arm des jungen Farmers glitt. Ohne aber auch nur einen Augenblick zu zögern, warf sie den scheuen Blick zurück auf die rasch herbeieilenden Männer und rief mit vor Angst fast erstickter Stimme: »Fort, Sir, – um Gottes willen fort! – Nehmen Sie mein Pferd und fliehen Sie!«

»Miß Adele! –« rief James ganz überrascht aus.

»Fort«, bat sie wieder, »wenn Sie, – wenn Ihnen meine Ruhe nur etwas gilt, fort! Mr. Cook ist gefangen, – Helena in Aufruhr. – Jene Männer dort kommen, um Sie zu fangen.«

»Mich? – Weshalb?«

»Mein Pferd! Heiland der Welt, es wird zu spät!«

James, der in diesem Augenblick wirklich nicht wußte, ob er wache oder träume, begriff leicht, daß hier irgend etwas ganz Außergewöhnliches und ihm wahrscheinlich Gefahrdrohendes geschehen sein müsse. Wenn er auch sich selber keiner Schuld bewußt war, erschreckte ihn doch Cooks Gefangennahme; ein dunkler Verdacht durchzuckte sein Hirn, und als er auch noch die Fremden, wie er jetzt glauben mußte, in feindlicher Absicht, herbeieilen sah, fühlte er, daß er sich wirklich in Gefahr befinde.

Adele hatte aber schon für ihn gehandelt; schnell löste sie den Sattelgurt des Ponys, das ihr indessen, vor dem herbeigesprungenen Jäger scheuend, die andere Seite zugedreht hatte, und warf den Damensattel ab. – Die Verfolger waren nicht fünfzig Schritte mehr entfernt.

»Und Sie, Miß Adele, soll ich hier allein zurücklassen?« rief James unschlüssig. – »Das kann ich bei Gott nicht.«

»Mir droht keine Gefahr!« rief die Jungfrau. »Ich habe nichts – gar nichts zu fürchten; – aber Sie. – Großer Gott, es ist ja jetzt schon zu spät?«

»Nein, noch nicht«, lachte der junge Hinterwäldler, der bald erkannte, daß die herbeieilenden Männer unbewaffnet waren, während er rasch seine Büchse vom Boden aufgriff. »Den will ich doch sehen, der –«

»Wenn Ihnen mein Frieden heilig ist«, flehte Adele jetzt in wilder Verzweiflung, denn sie fürchtete das Schlimmste, – »wenn Sie mich lieben, – James, oh, so fliehen Sie!«

Oh, hätte sie ihn doch mit diesen Worten aufgefordert, sich dem Feind entgegenzuwerfen, James wäre dem Tode mit Freuden in die Arme gestürmt; aber fliehen? Doch ihr flehender Blick traf ihn. Mit der Linken, in der er die Büchse hielt, packte er den Rücken des Pferdes, schwang sich hinauf und griff jetzt in die Zügel.

»Halt da, Sir!« rief Porrel, der kaum noch zehn Schritt von ihm entfernt war. »Halt! – Wir kommen als Freunde; – Ihr habt nichts zu fürchten!«

»Fürchte auch nichts«, brummte James und hielt sein Pferd noch immer eingezügelt, – »wenn ich nur –«

»Glaubt ihnen nicht!« bat Adele in Todesangst. »Fort – zu den Euren, – fort«

»Squire Dayton schickt mich nach Euch!« rief Porrel, sprang auf ihn zu und griff nach dem Zügel. – Adele, die den jungen Mann verloren glaubte, starrte mit wildem, verzweifeltem Blicke zu ihm empor.

»James!« hauchte sie und mußte sich an dem Baum, an dem sie stand, aufrecht halten.

»Ich gehorche«, rief da James und stieß mit dem Kolben seiner Büchse die Hand, die schon fast seinen Zaum berührte, beiseite. – »Zurück da, Sir!« donnerte er dann den Fremden an. »Sei's in Freundschaft oder Feindschaft, in einer Stunde bin ich in Helena!« – Und während er den Zügel locker ließ, bohrten sich seine Hacken in die Flanken des Ponys, das mit flüchtigem Satze nach vorn sprang. – Im nächsten Augenblicke flog es, von der ruhigen Hand des Reiters gelenkt, seitab in die Büsche hinein und war gleich darauf in dem dichten Unterholz der Niederung verschwunden.

»Miß Dunmore«, sagte Porrel, der sich jetzt gegen das noch immer zitternde und erschöpfte junge Mädchen wandte, »ich begreife wahrlich nicht, was Sie veranlassen konnte, den Burschen da so dringend zur Flucht zu bewegen. Ihm droht keine Gefahr.«

»Sie wollten ihn verhaften, Sir«, rief Adele noch immer in höchster Aufregung; – »man hat ihn des Mordes angeklagt!«

»Und sollte das etwa ein Beweis seiner Unschuld werden, wenn er, anstatt sich frei zu stellen, dem Richter entflieht?« fragte der Mann aus Sinkville, und ein spöttisches Lächeln zuckte um seine Lippen. Adele schwieg bestürzt still. »Doch, wie dem auch sei«, fuhr er endlich fort, »der Squire ist, wie er mir versichert, schon auf der Spur der wirklichen Mörder. Ich war eben hierher geschickt, um das dem jungen Mann mitzuteilen und ihn von jeder Besorgnis zu befreien; Sie mögen jetzt selber urteilen, Miß, ob Sie ihm mit dieser Warnung, wenn Sie ihm in der Tat wohlwollen, einen Gefallen getan haben.«

»Mr. Porrel«, sagte Adele und errötete tief, – »die bestimmte Nachricht, die jener Bootsmann brachte, der selbst hierherkommen wollte, um Mr. Lively aufzusuchen –«

»Wollen Sie sich überzeugen, mein Fräulein, ob ich die Wahrheit geredet habe«, erwiderte Porrel, »so fragen Sie Squire Dayton selber. Cook, den man, wie ich gehört habe, heute morgen allerdings, nur wegen Ruhestörung, verhaftete, ist jetzt wahrscheinlich auch schon wieder frei; es lastet wenigstens kein Verdacht mehr auf ihm. Bitte, Jim, legt doch einmal der jungen Dame hier den dort heruntergeworfenen Sattel auf; sie wird sicherlich lieber reiten, als in unserer Gesellschaft in die Stadt zurückkehren wollen.«

Der Mann gehorchte schnell dem Rufe und führte bald James Livelys Pferd für Adele vor. Das Mädchen wandte sich erst in aller Verlegenheit gegen den Advokaten, als ob sie sich bei ihm entschuldigen wolle; aber sie besann sich bald eines Bessern, stieg rasch auf das Holz, neben dem das ungeduldig scharrende Tier stand, sprang in den Sattel und sprengte unwillig über sich und die ganze Welt in die Stadt zurück.

Porrel sah ihr mit leise gemurmeltem Fluche nach und ging dann, nachdem er seine Begleiter zu dem nicht mehr weit entfernten Chickenthief gesandt und ihnen aufgetragen hatte, ihn so schnell wie möglich zu dem Flatboote des ›Grauen Bären‹ herunterzubringen, auf den kleinen Gasthof zu, in dessen Tür er bald darauf verschwand.


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