Friedrich Gerstäcker
Die Flußpiraten des Mississippi
Friedrich Gerstäcker

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Kapitel 10

Dicht hineingeschmiegt in den grünen Wald, wo die fleißige Hand des Menschen kaum der Urwaldvegetation ein freies Plätzchen abgewonnen hatte und die mächtigen, starr emporragenden Nachbarstämme immer noch so aussahen, als ob sie das kleinliche Treiben der Zivilisation unter sich nur eben duldeten und nicht übel Lust hätten, sich nächstens einmal in ganzer Länge und Gewichtigkeit selbst dorthin zu legen; da, wo zwar Menschen, sorgende, geschäftige Menschen, starke Männer und zarte Frauen wirkten und schafften und fröhlicher Kinderjubel von lieben, herzigen Mäulchen die heilige Ruhe der Wildnis unterbrach; wo der Haushahn morgens seinen schmetternden Gruß der Morgenröte entgegenschickte, wo die Schwalbe in besonders dazu angebrachten Kästen ihr Nest gebaut hatte und sich jetzt alle nur mögliche Mühe gab, die kleinen unbehilflichen Gelbschnäbel das Fliegen zu lehren, wo aber auch nachts noch der Wolf die Zäune umschlich und Panther oder Wildkatze das zahme Hausvieh oft in Angst und Schrecken setzte, wo der Hirsch nicht selten zwischen den weidenden Herden getroffen wurde und der Bär nur zu oft in stiller Abendstunde die Maisfelder besuchte: da stand ein für solche Umgebung gar stattliches und wirklich wohnlich eingerichtetes Doppelhaus. Es war von einem hohen, regelmäßigen Zaun umgeben und, wie es schien, mit allen den Bequemlichkeiten versehen, die man außerdem nur möglicher- und vernünftigerweise in solcher Wildnis beanspruchen konnte.

Vor diesem Hause saß auf einem erst frisch gefällten und hier zum Sitze hergerollten Stamme ein silberhaariger, aber noch rüstiger, lebensfrischer Greis, dessen gesundheitstrotzende Wangen und muntere, klare Augen wohl schon mehr als sechzigmal den Frühling hatten kommen und gehen sehen und doch noch keck und freudig in das schöne Leben hinausschauten. Sein Kopf war unbedeckt, und das schneeige Haar hing ihm in langen, glänzenden Locken bis auf den sonnengebräunten Nacken hinunter. Er trug einen pfeffer- und salzfarbenen wollenen Frack, ebensolche Beinkleider, eine baumwollene Weste und ein schneeweißes Hemd, hatte aber – bloße Füße, und nur dann und wann schienen ihn dort die ziemlich zahlreichen Moskitos zu belästigen. Mit dem rotseidenen Taschentuch, das er in der Hand hielt, um sich Wind und Kühlung zuzufächeln, schlug er wenigstens dann und wann einmal nach ihnen, ohne jedoch nur einen Blick hinabzuwerfen.

Nur wenige Schritte von ihm entfernt stand ein anderer, aber bedeutend jüngerer Mann und war eben eifrig beschäftigt, einen frisch erlegten Spießer abzustreifen. Das Tier war mit den Hinterläufen an einem Baum aufgehängt, und ein großer schwarzer Neufundländer mit weißer Brust und weißen Füßen und der braunen Zeichnung amerikanischer Bracken an den Lefzen und über den Augen hob klug und aufmerksam die treuen Augen zu ihm auf, als ob er nur Interesse an der Arbeit hätte und nicht seinem Herrn durch störendes Betteln zur Last fallen wollte.

Der junge Mann, dessen abgeworfenes ledernes Jagdhemd neben ihm am Boden lag, war ganz nach Art der westlichen Jäger gekleidet; die blonden, krausen Haare aber und das blaue Auge hätten ihn fast als einen Ausländer erscheinen lassen, wäre nicht in einem kleinen Lied, das er bei der Arbeit vor sich hinsummte, sein reines, nur mit dem leisen westlichen Dialekt gefärbtes Englisch Bürge seiner amerikanischen Abkunft und Erziehung gewesen. Es war William Cook, der Schwiegersohn des alten Lively, der erst vor wenigen Tagen vom Fourche la Fave hierher zu den Eltern seiner Frau gezogen war und nun im Sinne hatte, eine eigene, dicht an die seiner Schwiegereltern stoßende Farm urbar zu machen. Für den Augenblick aber, und bis sein noch zu errichtendes Haus stand, hielt er sich mit seiner kleinen Familie bei Livelys auf und bewohnte dort den linken Flügel jenes schon erwähnten Doppelgebäudes.

In der Tür erschien jetzt gerade eine allerliebste junge Frau, seine Frau, mit dem jüngsten Kinde auf dem Arm, zwei andere weißköpfige und rotbäckige kleine Burschen tummelten sich aber zwischen den abgehauenen Baumstümpfen des Hofraums umher und jagten bald bunten, flatternden Schmetterlingen nach, bald ärgerten sie den ernsten Haushahn, der mit höchst mißvergnügtem Gegacker und mächtig langen Schritten seinen kleinen unermüdlichen Quälgeistern zu entgehen suchte. Erst als er das unmöglich fand, flog er endlich, des Spielens überdrüssig, auf den Zaun, schlug hier mit den Flügeln und fing nun zum großen Ergötzen der darunterstehenden kleinen Schelme aus Leibeskräften zu krähen an.

Das Kleine aber, das die Mutter noch auf dem Arm trug, hatte nun die munter herumtummelnden Geschwister entdeckt, streckte ungeduldig strampelnd die fetten Ärmchen nach ihnen aus und wollte unter jeder Bedingung an dem Spiele teilnehmen. »Ei, so laß doch den Schreihals herunter, Betsy!« rief ihr da lachend der Gatte zu. »Laß ihn nur nieder, siehst du denn nicht, daß er helfen will?«

»Er wird sich Schaden tun«, sagte besorgt die Mutter; »es ist hier so rauh und steinig.«

»Torheiten! – Der Junge muß Grund und Boden kennenlernen; – er mag seinen Weg suchen.«

Die Mutter ließ, während sie sich von der hohen Schwelle des Hauses niederbeugte, lächelnd den kleinen Schreier auf die ebene Erde nieder, die dieser mit lautem Jubelgekreisch begrüßte. Ohne weiteren Zeitverlust arbeitete er sich auch gleich auf allen vieren zum Vater hin, der ihm freundlich zuwinkte. Der große schwarze Neufundländer aber, der bis jetzt neben seinem Herrn gesessen hatte, sprang nun mit weiten Sätzen dem kleinen Burschen entgegen, hob die schöne, buschige Fahne und das mit kleinen, krausen Löckchen versehene Behänge hoch empor, bellte ihn ein paarmal mit tiefer, volltönender Stimme an und versuchte dann vorsichtig, das Kind am Gurt des kleinen Röckchens zu fassen um ihm die Bahn zu erleichtern oder es seinem Herrn ganz zu apportieren.

»Laß ihn gehn, Bohs«, rief der junge Mann lachend, »laß ihn gehn! – Warte, Bursche, glaubst du, der könne nicht allein kommen? Nun sieh einer den ungeschlachten Schlingel an! Dreht er mir den Jungen ganz herum.«

Der Zuruf galt dem Hunde. Da es ihm nämlich verboten worden war, das Kind in die Schnauze zu nehmen, übersprang er den Kleinen mehrmals mit hohen Sätzen und versuchte dann, ihn mit der breiten kräftigen Tatze zu sich herüberzuziehen. Allerdings rollte er die kleine unbeholfene Gestalt des Kindes dabei rund herum; das aber nahm der Junge keineswegs übel. Er schien sich im Gegenteil sehr über den ungeschickten Spielkameraden zu freuen. Er jauchzte ein paarmal laut auf und setzte dann seine Bahn zum Vater fort, der ihm nun auf halbem Wege entgegenkam und ihn lächelnd zu sich emporhob.

»William«, sagte der Alte, während er sich vergnügt und schmunzelnd die Hände rieb, »William, das ist ein kapitales Stück Wildbret; – das reine Fett, wie man sich's nur wünschen kann, und die Rippen werden erst gut schmecken. Es war doch gut, daß du heute mittag noch einmal zum Rohrbruch gegangen bist; ich dachte mir's schon, daß du dort was findest.«

»Ach, mit dem Denken, Vater«, lachte der junge Mann, während er das rotwangige Kind herzte und küßte und auf den Armen schaukelte, »mit dem Denken ist's eine gewaltig unsichere Sache. So sagt man nachher immer, und wenn man es genau nimmt, so hat man sich beim Pirschen hinter jedem Dickicht, an jedem sonnigen Hügel ein Stück Wild gedacht. – Dafür lobe ich mir aber auch das Pirschen. – Es gibt kein herrlicheres Vergnügen auf der weiten Gotteswelt, – eine gute Bärenhetze vielleicht ausgenommen, und ich glaube, ich könnte gleich aus freien Stücken ein Indianer werden, wenn ich –«

»Wenn ich jemanden dabei hätte, der mir Mais und süße Kartoffeln baute, nicht wahr?« unterbrach ihn lachend der Alte. – »O ja, so zum Vergnügen den ganzen Tag im Walde herumzuspazieren und weiter keine Arbeit zu haben, als gute Stücke Fleisch nach Hause zu tragen, das glaube ich schon, das ließe ich mir auch gefallen, das geht aber nicht. – Mein Junge zum Beispiel würde jetzt schön gucken, wenn sein alter Vater in seiner Jugend weiter nichts getan hätte, als Büchsenläufe schmutzig zu machen. Nein, dafür sind wir – der Henker soll doch die Moskitos holen, sie beißen heute wie besessen –«, und er rieb sich abwechselnd mit den rauhen Sohlen die kaum zarteren, wenigstens ebenso braun gebrannten Spannen seiner bloßen Füße, – »dafür sind wir hierher gesetzt, daß wir im Schweiß unseres Angesichts – wie der alte Schleicher sagt – unser Brot verdienen sollen. Das heißt, wir müssen uns schinden und plagen, um das Jahr über genug Mais und süße Kartoffeln zu haben.«

»Alle Wetter!« lachte Cook, während er erstaunt von seiner Arbeit aufsah. »Ihr haltet ja heute ordentliche Reden, die sind doch sonst nicht Eure Passion –«

»Nein, Junge«, sagte der Alte, »Euch jungem Volke muß man aber dann und wann ins Gewissen reden, das ist Pflicht und Schuldigkeit, und da tut es mir gut, wenn ich einmal so mit meiner Meinung herausplatzen kann, ohne daß die Alte gleich ihren Senf dazugibt; denn die nimmt Eure Partei.«

»Hallo«, sagte Cook, »da wollt Ihr mir wohl eine Predigt gegen die Jagd halten? Das ist göttlich – hol mich dieser und jener, das ist köstlich!«

»Ja, und nicht allein gegen die Jagd«, fuhr der Alte fort, während er langsam und vorsichtig das rechte Bein emporhob und mit der Hand scharf auf einen Moskito visierte, der seine große Zehe belästigte, »nicht allein gegen die Jagd, auch gegen das gotteslästerliche Fluchen.« Die Hand schlug zu, der Moskito hatte aber Unrat gemerkt und sich beizeiten der Gefahr entzogen. »Verdammte Bestie!« unterbrach der alte Mann mit halblauter Stimme seinen Vortrag. – »Auch gegen das gotteslästerliche Fluchen«, fuhr er dann gleich darauf wieder fort.

»Hahaha –« rief Cook und wandte sich gegen den Alten, »ich soll wohl nicht wieder ›verdammte Bestie‹ sagen?«

»Unsinn«, brummte Lively und kratzte sich die Stelle, wo das kleine Insekt eben gesogen hatte, – »Unsinn; aber heda, Bohs wird munter, – unsere Gäste kommen wahrscheinlich.« Bohs fuhr in diesem Augenblick wirklich rasch empor, windete wenige Sekunden lang gegen den Wald hin und schlug dann in lauten, vollen Tönen an. Blitzschnell wurde das von den übrigen, meistens im Schatten gelagerten Rüden begleitet, die gleich darauf herbeistürmten, um nun auch zu sehen, was die Aufmerksamkeit ihres Führers erregt habe. James' fröhlicher Jagdruf antwortete dem drohenden Gebell der Meute. Jauchzend sprangen sie ihrem jungen Herrn entgegen und begrüßten bald darauf mit fröhlichem Gebell und Heulen die kleine Reiterschar, die nun am Holzrand sichtbar wurde und rasch zu dem roh gearbeiteten Gattertor herantrabte, das Einlaß in die Farm gewährte.

Cook sprang schnell zum Tor, um die Vorlegebalken zurückzuziehen; James aber, hier ganz in seinem Element, rief ihm nur ein fröhliches »Look out« entgegen, und in demselben Augenblick hob sich auch, von Schenkeldruck und Zügel getrieben, das wackere Tierchen, das ihn trug, auf die Hinterbeine und flog mit keckem Satz über die doch wenigstens vier Fuß hohe Barriere. Sander, ebenfalls ein tüchtiger und sattelfester Reiter, wollte natürlich nicht hinter dem rohen Backwoodsman, der ihnen eine kurze Strecke entgegengeritten war, zurückstehen und folgte seinem Beispiel. Als beide aber jetzt aus dem Sattel sprangen und zurückeilten, um die Stangen niederzulegen, vereitelte Adele, deren munteres Tier unter ihr tanzte und in die Zügel schäumte, diese Absicht; denn sie schien keineswegs gesonnen, den Männern nachzustehen. »Habt acht, Gentlemen!« rief sie nur, tummelte ihren Zelter noch einmal zu kurzem Anlauf zurück, und ehe noch Mrs. Dayton, die nur erschreckt ein kurzes »Um Gottes willen Adele!« ausstoßen konnte, recht begriff, was das kecke Mädchen eigentlich wollte, sprengte sie los und setzte nicht über das niedrige Eingangstor, sondern über den wohl einen Fuß höheren Zaun hinweg. In der nächsten Sekunde hielt sie auch schon neben der Tür des Hauses, stieg, ehe die Männer ihr beistehen konnten, rasch aus dem Sattel, sprang die Stufen des Hauses hinauf und wurde hier von der alten Mrs. Lively und Cooks junger Frau auf das herzlichste, aber auch mit Vorwürfen über ihr wirklich tollkühnes Reiten begrüßt.

Cook hatte inzwischen die Stangen niedergeworfen, um Mrs. Dayton einzulassen, und die kleine Gesellschaft fand sich bald ganz gemütlich vor der Tür des Hauses im Schatten eines breitästigen Nußbaumes zusammen, wo sie auf Stämmen, Stühlen und umgedrehten Kästen, was gerade in der Nähe zu finden war, Platz suchten. Mrs. Lively ließ es sich indessen trotz ihrer Jahre nicht nehmen, die große Kaffeekanne herbeizubringen, füllte mit Mrs. Cooks Hilfe die blauen Tassen und Blechbecher, – denn so viele Tassen zählte der Hausstand nicht –, und reichte sie den willkommenen Gästen herum.

»Ei, Kaffee nach Tisch, Mrs. Lively?« rief da Adele erstaunt. »Das ist eine ganz neue Sitte; wer trinkt denn um solche Zeit Kaffee?«

»Das habe ich von den Deutschen, meinen früheren Nachbarn, gelernt, Kindchen«, sagte die alte Dame und klopfte den Nacken des schönen Mädchens, – »und das ist eine prächtige Erfindung. – Kaffee schmeckt nie besser als nach Tisch – morgens und abends ausgenommen –, und für so liebe, liebe Gäste muß man denn doch auch ein bißchen was herbeischaffen, daß sie nicht ganz trockensitzen.«

»Wer ist denn der hübsche junge Mann, der da mit Euch gekommen ist?« flüstere Cook dem jungen Lively zu, neben dem er stand. – »Mir kommt das Gesicht so bekannt vor –«

»Weiß der Teufel, wer er ist«, sagte James und warf dem Fremden einen keineswegs freundlichen Blick zu, – »eingeladen habe ich ihn nicht, und er behandelt Miß Adele, als ob er mit ihr aufgewachsen oder ihr Bruder wäre, und doch weiß ich, daß sie gar keinen Bruder hat.«

»Prächtiges Haar!« sagte Cook.

»Prächtiges Haar?« murmelte James verächtlich. – »Wie ein Bündel Flachs sieht es aus, – und das käseweiße Gesicht könnte mir den ganzen Appetit verderben, wenn mir den nicht schon überdies seine ganze Gegenwart verdorben hätte.«

Cook lächelte; – es war nicht schwer, die Beweggründe zu durchschauen, die des jungen Mannes Ärger erregt hatten. Aber auch Adele schien etwas davon gewahrt zu haben, denn sie warf, während sich ihr Nachbar eifrig mit ihr unterhielt, den Blick mehrere Male halb lächelnd, halb ungeduldig zu ihm hinüber und rief ihn endlich an ihre Seite, indes Mrs. Dayton eine lange Unterhaltung mit den beiden Farmerfrauen über Butter, Käse, junge Ferkel und alte Kühe hatte. »Nun, Sir«, sagte sie und blickte den verlegenen James mit den großen, glänzenden Augen so fest und durchdringend an, daß der arme Bursche, obgleich er gewiß die besten Vorsätze gehabt haben mochte, liebenswürdig zu erscheinen und die verwünschte Blödigkeit beiseite zu werfen, den breitrandigen Strohhut abnahm und erst langsam und dann immer schneller und schneller zwischen den Fingern herumlaufen ließ, »Sie versprachen mir doch unterwegs, das Abenteuer zu erzählen, das Sie neulich mit dem alten Panther hatten; – wie ich höre, hängt dort drüben an dem Persimonbaum das Fell. Mr. Hawes hier behauptet eben, es sei einem einzelnen, bloß mit einem Messer bewaffneten Manne gar nicht möglich, einen Panther zu besiegen.«

»Nun, ich weiß nicht«, stotterte James, denn hier vor der jungen Dame von seinen Taten zu sprechen, kam ihm fast wie eine häßliche Prahlerei vor, – »ich weiß nicht – Mr. Hawes – es ist auch vielleicht –«

»– schwieriger, mit einem Panther anzubinden, als sich's nachher erzählt«, sagte Sander, und ein spöttisches Lächeln spielte um seine Lippen. – »Ja, ja, man vergißt bei solcher Erzählung gewöhnlich die Hunde, die ihre Leiber dem Feinde entgegenwerfen, schießt das Tier aus sicherer Ferne mit der Kugel nieder und stößt dem schon Verendeten das Messer noch ein paarmal in Brust und Weichen, um an dem aufgespannten Fell die Beweise unserer Heldentaten zu haben. – Ich bin ja auch schon auf solcher Jagd gewesen.«

James blickte zu dem Sprecher auf. Das ganze Wesen des Mannes, der in nachlässiger Stellung dicht neben einem Mädchen lehnte, während er selbst sich schon beklommen und eingeschüchtert fühlte, wenn er ihr nur gegenüberstand, hatte etwas ungemein Widriges, ja Empörendes für ihn. Kaum begriff er aber den Sinn dieser Worte, die dem einfachen Hinterwäldler anfangs fast unverständlich waren, als ihm das Blut schneller und heftiger in die Wangen schoß und damit auch seine fast unüberwindbare Scheu und Verlegenheit mehr und mehr schwand. »Wenn ich einmal behauptet habe«, sagte er, und seine Stimme wurde beinahe von seinem auflodernden Zorn erstickt, »ich hätte einen Panther im Zweikampf und mit dem Messer erlegt, so meine ich damit nicht, daß mir die Hunde oder Pulver und Blei dabei geholfen hätten. Ich weiß nicht, Fremder, wo Ihr solche Ansichten gelernt haben mögt, aber hier in den Wald passen sie nicht. – Kein Mann hier, den James Lively zu seinen Freunden zählt, würde eine Lüge sagen.«

»Bester Mr. Lively«, lächelte Sander, in dessen Plan es keineswegs lag, Streit zu beginnen, »Sie wissen gewiß recht gut, daß das, was man Jägergeschichten nennt, unter die Rubrik von Lügen gesetzt werden darf. Ein Jäger hat das Privilegium, Poet zu sein, und wie der Novellist in seiner Erzählung die trockenen Tatsachen nicht rein und ungeschmückt hinstellen darf, so ist es jenem ebenfalls nicht allein erlaubt, sondern es wird sogar teilweise verlangt, daß er seine Jagdabenteuer in einem bunten Kleide bringt und – wenn er keine zu bringen hat – aus einfachen Jagden interessante Jagdabenteuer macht.«

»Ich verstehe nicht recht, was Sie mit alledem meinen«, sagte James und leerte die von seiner Mutter gereichte Tasse auf einen Zug; »auch begreife ich nicht gut, wie man Jagdabenteuer ›machen‹ kann. Soviel ist aber gewiß, ich habe noch keinen Messerstich gegen ein Tier getan, wenn es nicht nötig war. Was übrigens die Haut da drüben betrifft, so war Cook hier Zeuge der Sache und hat gesehen, ob und wie ich sie verdient habe.«

»Bei den Messerstichen«, unterbrach hier der alte Lively das ernsthaft werdende Gespräch, »fällt mir eine köstliche Anekdote ein, die meinem Vater einmal begegnet ist.«

»Wollen Sie sich denn nicht setzen, Mr. Lively?« redete hier Adele den jungen Farmer an und schob zugleich ihren eigenen Stuhl etwas zurück, so daß dicht neben ihr auf einem Baumstamm ein Sitz frei wurde. James machte auch schnell genug von der Erlaubnis Gebrauch, rückte aber aus wirklich unbegründeter Furcht, seiner schönen Nachbarin lästig zu werden, so weit von ihr fort, als ihm das die noch emporstehenden Äste nur immer verstatteten. Dadurch mußte er freilich auf dem scharfen und rauhen Holz sitzen. Trotzdem hätte er aber doch seinen Platz in diesem Augenblick nicht um den schönsten gepolsterten Stuhl der ganzen Vereinigten Staaten eingetauscht.

»Also, mein Vater«, begann Lively senior wieder –

»Komm, Alter, die Geschichte kannst du uns lieber drin erzählen«, fiel ihm da plötzlich die Frau ins Wort. – »Es wird Nacht hier draußen, Kinder, die Sonne ist untergegangen, und die Damen aus der Stadt könnten sich erkälten. Das wäre mir nachher eine schöne Bescherung, wenn sie hier bloß zu uns herausgekommen sein sollten, die lieben guten Wesen, um sich einen Schnupfen oder noch Schlimmeres zu holen.«

»Aber, liebe gute Mrs. Lively«, sagte Mrs. Dayton, »es ist hier draußen ja noch so schön, und gerade jene wunderherrlichen Farben der mehr und mehr dort verblassenden Abendwolken geben dem dunklen Fichtenwald, auf dem sie ruhen, etwas so ungemein Reizendes und Romantisches.«

»Das mag alles recht gut sein«, sagte die alte würdige Dame, »es klingt wenigstens sehr schön; die Sache bleibt sich aber doch gleich. Im Hause ist's besser, und wenn Mrs. Dayton die Wolken noch ein bißchen betrachten will, so kann sie das am allerbequemsten durch den Kamin tun, da ziehen sie gerade drüber hin. Jetzt aber komm, James, hilf die Sachen ins Haus bringen. Wo ist denn Cook? Ach, der bringt die Hirschkeulen und Rippen hinein. Das ist gescheit von ihm; einen Truthahn hat James auch heute morgen geschossen. Du, Lively, magst die leere Kanne nehmen. So, Kinder, nun kommt, in zehn Minuten können wir uns ganz prächtig drinnen eingerichtet haben, und dann wollen wir auch recht munter und vergnügt sein. Es tut einer alten Frau, wie ich es bin, wohl, einmal so viele liebe, freundliche Gesichter um sich zu sehen wie heute abend.«

Und ohne weiter eine Einrede anzunehmen oder überhaupt abzuwarten, fing Mrs. Lively selbst an, die umherliegenden Sachen ins Haus zu tragen, so daß die jungen Leute schon mit angreifen mußten. Bald darauf saßen alle um den großen, in die Mitte gerückten Tisch fröhlich versammelt, und der alte Lively, der sich ganz in seinem Element zu fühlen schien, erzählte eine Menge von Jagdanekdoten und Abenteuern. Seine Frau aber fuhr hin und her, trug alles auf, was Küche und Rauchhaus zu liefern vermochten, und hielt nur dann und wann in ihrem geschäftigen Eifer ein, um von Adele zu Mrs. Dayton zu gehen und ihnen mit einem herzlichen Händedruck zu wiederholen, wie sie sich freue, daß sie endlich einmal ihrer Einladung gefolgt wären und daß sie nun auch nicht daran denken dürften, sie unter sechs oder acht Tagen zu verlassen. Daß Adele am nächsten Tage schon eine Freundin am Mississippi besuchen wolle, verwarf sie total und erklärte, Mr. Hawes sei ihr ein sehr lieber und willkommener Gast, wenn er ihr aber ihre liebe Adele entführen wolle, dann bekäme er es mit ihr zu tun, und das wahrhaftig nicht in Liebe und Güte.

James' Herz klopfte wild und stürmisch. – Deshalb also war jener glattzüngige Fremde mit hierher gekommen; Miß Adele wollte er schon am nächsten Morgen wieder mit fortnehmen. – Pest! – In welchem Verhältnis stand er überhaupt zu Adele? Wäre er am Ende gar – es überlief ihn siedendheiß.

»Miß Adele«, sagte er mit erregter Stimme, – »Sie – Sie wollen uns also verlassen?«

»Ja, Mr. Lively«, erwiderte das junge Mädchen, und ein eigenes schelmisches Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel; »Mr. Hawes hier will mich auf seine neugekaufte Plantage führen zu zu seiner Schwester.«

Hätte ein zündender Strahl in diesem Augenblick vor James Lively den Boden aufgerissen, ihm hätte das Blut in den Adern nicht schneller gestockt. Sie wollte Mr. Hawes' neugekaufte Plantage besehen, – seine Schwester besuchen; – armer James, da war für dich wenig Aussicht! Er fühlte, wie sein Blut aus den Wangen wich und jeder Tropfen in das erstarrende Herz zurückkehrte. Gleich darauf aber preßte es ihm mit nicht zu dämmender Gewalt wieder aufwärts in Stirn und Schläfe, und er sprang von seinem Sitz empor, um seine Bewegung zu verbergen. »He, James, wo willst du denn hin?« fragte der Vater.

»Das übrige Hirschfleisch hinters Haus schaffen«, rief der Davoneilende zurück; – »es hängt hier vorn zu niedrig; am Ende könnten sich doch die Hunde darüber hermachen.«

»Da hast du recht«, sagte der Alte; – »daran hätte ich beinahe nicht gedacht. Da ist's uns hier einmal vor vierzehn Tagen beinahe komisch ergangen. – Die Geschichte muß ich Ihnen erzählen, Mr. Hawes.« Und der vermeintliche Mr. Hawes, der mit einem höchst selbstzufriedenen Lächeln bemerkt hatte, wie und weshalb James aufgestanden und hinausgegangen war, lieh sein Ohr geduldig der Anekdote von einem erlegten Hirsch und den damit verknüpften Umständen. In der Tat aber lauschte er mit der gespanntesten Aufmerksamkeit den Worten der Damen Dayton und Lively, die sich über eine Familie des Staates Georgia unterhielten, mit der Mrs. Dayton und Adele entfernt verwandt waren und wo das junge Mädchen erzogen und wie das Kind im Hause behandelt worden war.

»Sie können sich fest darauf verlassen, Mrs. Dayton«, beteuerte die alte Dame, »Lively hat erst vorgestern einen Brief von da erhalten. – Lieber Gott, wir sind ja dort sechzehn Jahre ansässig gewesen und kennen jedes Kind. Der alte Benwick soll seine Frau nur dreimal vierundzwanzig Stunden überlebt haben, und das Testament ist dem Schreiben nach schon am Mittwoch eröffnet worden. – Sie können mit jeder Stunde Nachricht erhalten.«

»Es kamen heute morgen zwei Briefe an meinen Mann«, sagte Mrs. Dayton, »das schienen aber Geschäftsbriefe zu sein; er hätte doch sonst gewiß etwas erwähnt.«

»Ei, die Gerichte nehmen sich auch bei so etwas Zeit, meine gute Mrs. Dayton«, sagte Mrs. Lively, »so geschwind sind die nicht im Nachrichterteilen, besonders wenn's darauf ankommt, Geld außer Land zu schicken.«

»Welche von den beiden wäre Ihnen nun lieber gewesen?« wandte sich jetzt der alte Lively plötzlich, und zwar so direkt an seinen bis dahin nichts weniger als aufmerksamen Zuhörer, daß dieser, fast wie auf einem Abwege ertappt, zusammenfuhr und nur noch Geistesgegenwart behielt, die Frage ins Blaue hinein zu beantworten.

»Die erste, unbedingt die erste.«

»Nun sehen Sie, das freut mich«, sagte der alte Mann, »das war auch meine Meinung. – James, sagte ich, du mußt unbedingt die erste nehmen, und soll mich der Henker holen, wenn er's am Ende nicht doch noch gewann.«

»Wunderbar«, sagte Sander zerstreut und hatte keine Idee, welche letzte und erste da gemeint und was eigentlich zu gewinnen gewesen war. Adele aber, die sich so plötzlich, allerdings etwas durch eigene Schuld, von ihren beiden Nachbarn vernachlässigt sah, setzte sich hinüber zu Mrs. Cook, die eben die müden Kinder zu Bett gebracht hatte. Als sie nun bald nach dem und jenem fragte und über dies und das mit ihrer kindlichen Gutmütigkeit plauderte, gewann sie das Herz der jungen Frau so sehr, daß diese endlich mit einem freundlichen Händedruck ausrief: »Ach, Miß Adele, wie wünschte ich doch, daß Sie hier draußen bei uns blieben und eine wackere, tüchtige Farmersfrau würden. Sie sollten einmal sehen, wie es Ihnen bei uns gefiele. – Es ist gar zu hübsch hier, besonders im Frühjahr und Sommer, wenn sie in den Städten fast vor Hitze und Staub umkommen.«

»Mir gefällt es auch recht gut auf dem Lande«, sagte Adele, – »ich bin« und eine leichte Röte färbte ihre Wangen, »ich bin am liebsten unter grünen Bäumen; aber wir armen Mädchen, Mrs. Cook, müssen ja doch am Ende stets dahin gehen, wo uns das Schicksal hinwirft, und ein Glück noch, wenn wir dabei der Stimme des Herzens folgen dürfen.«

»Ja, Miß Adele, das ist ein Glück!« sagte die wackere Frau. – »Sie glauben gar nicht, wie leicht und gern man alles Überflüssige entbehren lernt, wenn man nur bei dem sein kann, den man so recht liebgewonnen hat. – Es wird einem auch alles noch einmal so leicht, und Arbeiten, von denen man sonst gar nicht geglaubt hat, daß man sie verrichten könnte, tun sich fast von selber. Und nun erst die Kinder! Ja, in den lieben Dingern wird man selbst noch einmal wieder jung.«

»Haben Sie Ihre alte Farm ungern verlassen?« fragte Adele.

»Wir? Ih nun, ja und nein«, sagte Mrs. Cook; »es war herrliches Land am Fourche la Fave, und nach all dem Vorgefallenen ließ es sich erwarten, daß wir nun vor dem schlechten Gesindel dort Ruhe haben würden. Aber dann lebten doch hier die Eltern und der Bruder, und Vater, Mutter und James sind so liebe, treffliche Leute, da glaubten wir denn beide, es sei besser, in deren Nähe zu wohnen und sie zu Nachbarn zu haben. Vielleicht sucht sich dann James mit der Zeit auch ein Mädchen aus, das ihn gern hat, und dann könnten wir eine ganz prächtige kleine Kolonie bilden; o Miß Adele, wenn Sie nur dann in die Nähe kämen!«

»Kommt, Kinder, es ist Zeit zum Schlafengehen!« sagte da plötzlich der alte Lively, der seine Geschichte glücklich zu Ende gebracht hatte und nun müde geworden war. Der alte Mann hielt überhaupt ziemlich regelmäßige Zeiten ein, und da des engen Raumes wegen der männliche und weibliche Teil der Gäste für diese Nacht in verschiedenen Häusern untergebracht werden mußten – die Damen sollten nämlich in Livelys, die Männer in Cooks Wohnhaus schlafen –, so konnte er selbst nicht eher zur Ruhe kommen, bis die anderen nicht ebenfalls ihre Schlafstätten angewiesen bekommen hatten. Mrs. Dayton, die seine Gewohnheit kannte, schob deshalb auch ihren Stuhl zurück und gab damit das Zeichen zum allgemeinen Aufbruch. Adele sprang ebenfalls auf; als aber ihr Blick den kleinen Raum schnell durchfliegen wollte, begegnete er plötzlich, und zwar dicht neben sich, dem Auge James', das sich freilich, als ob es auf einer Freveltat ertappt wäre, schnell und schüchtern abwandte; Adele aber, mit dem ähnlichen Gefühl eines begangenen Fehlers, fürchtete fast, und wußte selbst doch eigentlich nicht warum, ihn beleidigt zu haben, und sagte leise: »Mr. Lively, – ich – Sie sind wohl böse auf mich, daß ich die freundliche Einladung Ihrer Eltern so wenig zu schätzen scheine und schon morgen wieder fort will. – Es ist aber eine liebe Jugendfreundin von mir, die ich seit ihrer Verheiratung nicht gesehen habe, und – wenn ich Mrs. Lively nicht zur Last falle, dann komme ich recht bald wieder heraus – und bleibe dann auch wohl längere Zeit hier. – Es gefällt mir recht gut hier draußen, – viel besser als in Helena drin.«

»Sie sind zu gütig, Miß Adele«, erwiderte James in größter Verlegenheit; »wie sollte ich denn böse auf Sie sein dürfen? Ach – Sie wissen gar nicht –«

»Gute Nacht, Ladies«, sagte Sander und trat ohne weitere Umstände zwischen die beiden. »Gute Nacht, Miß, – schlafen Sie hübsch aus, denn wir haben einen scharfen Ritt vor uns.« Er ergriff die Hand des jungen Mädchens, drückte sie leise an seine Lippen und verließ schnell das Haus. James, der jetzt zu seinem Schrecken sah, daß er der letzte der Männer war und die Damen augenscheinlich darauf warteten, allein gelassen zu werden, folgte ihm ebenso rasch. Mehr aus alter Gewohnheit als zu irgendeinem andern Zweck nahm er noch seine Büchse und Kugeltasche über der Tür weg und mit zudem eigenen Lager hinüber. Er schlief nicht gern, wie er selbst gestand, ohne die Waffe in der Nähe zu wissen.

In Cooks Hause lag jedoch schon Williams Büchse über der Tür, und der junge Mann hängte deshalb seine Kugeltasche auf die Stuhllehne und stellte das treue Rohr in die Ecke neben sein Bett.


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