Friedrich Gerstäcker
Die Flußpiraten des Mississippi
Friedrich Gerstäcker

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Kapitel 22

Dicht bei Helena, und zwar die nördlichste Grenze der Stadt bildend, ja eigentlich fast wie ein verlorener Posten schon über das Weichbild derselben hinausgerückt, stand ein einsames, kleines Häuschen ganz dicht am Ufer, im Norden und Westen hoch von Bäumen, im Osten vom Mississippi, im Süden aber, und zwar nach der Stadt zu, von dichtem, niederem Buschwerk eingeschlossen, das einer vorjährigen unbenutzten Rodung entwuchert war. Die Frontstreet führte übrigens bis hier heraus, wenigstens verkündete das ein neben der ›ausgehauenen‹ Straße an eine starke Eiche genageltes kleines Brett, und der ganze umliegende Platz war auch in einzelne ›Lots‹ oder Bauplätze abgeteilt, von Spekulanten aber angekauft und liegengeblieben, da sich die meisten Ansiedler lieber dem wacker gedeihenden Städtchen Napoleon an der Mündung des Arkansas anschlossen. Dieses erhielt nämlich durch den Arkansas eine ununterbrochene Verbindung mit dem ganzen ungeheuren Westen der Vereinigten Staaten, während Helena gerade im Westen fast gänzlich durch jene ungeheuren Sümpfe von den auch nur sparsam dort zerstreuten Ansiedlungen abgeschlossen war. Nur durch jene niedere Hügelreihe konnte es mit Little Rock und Batesville eine Verbindung unterhalten, die noch überdies das ganze Jahr hindurch leichter auf Dampfbooten bewerkstelligt wurde. Selbst nach Batesville liefen kleine Dampfer schon bei nur mäßigem Wasserstande.

Der Besitzer jener dicht am Ufer gelegenen ›Lots‹ schien auch geglaubt zu haben, seine Rechnung in der Bebauung des Platzes selbst zu finden; denn er errichtete dort ein ziemlich geräumiges Häuschen, lichtete den Wald um dieses herum und begann sogar ein in der Nähe gelegenes und ihm gehörendes Feld zu bebauen. Bald aber, wie es bei den westlichen Pionieren und Backwoodsmen gewöhnlich geschieht, fmg der Ort an, ihm zu mißfallen; Helena hatte sich nicht so rasch vergrößert, wie er es erwartete, und er verkaufte, kaum zum Betrag der darauf verwendeten Arbeitskosten, sein kleines Besitztum an einen früheren Bootsmann. Dieser ließ sich dort nieder, erhielt vom Richter die Erlaubnis, spirituöse Getränke – nach dem amerikanischen Gesetze nur nicht an Indianer, Neger und Soldaten – zu verkaufen, und mußte wohl auch ganz gute Geschäfte machen; denn er legte bald darauf noch ein Flatboot dicht an sein Haus an, das bei hohem Wasser mit diesem fast parallel stand, im Frühjahr aber tief unten auf dem Strome an langen Tauen befestigt lag, während eine in die Ufererde gestochene Treppe die Verbindung zwischen Land und Wasser unterhielt.

Allerdings wollte man in der Stadt ziemlich bestimmt wissen, es werde, besonders auf jenem Flatboot, nachts, und zwar um bedeutende Summen, gespielt.

Der Richter hatte aber schon mehrere Male mit dem Konstabler selbst ganz unerwartet Nachsuchung gehalten, ohne auch nur das mindeste Verdächtige zu bemerken, und da das Haus ziemlich getrennt von der Stadt lag und man das nächtliche Singen und Zechen dort nicht hören konnte, so kümmerte sich bald niemand mehr darum.

Der Wirt, der seine Bedürfnisse ebenfalls nur von Flat- oder Dampfbooten bezog, kam überdies selten oder nie nach Helena hinein, so daß ihn viele Bewohner der Stadt nicht einmal vom Ansehen kannten.

Der Nachmittag war jetzt ziemlich weit vorgerückt; trübe und düster lag er aber auf der niederen Sumpfstrecke, die sich fast nach allen Himmelsgegenden hin in weiter, ununterbrochener, trostloser Fläche ausdehnte.

Der Nebel, der bis dahin in einzelnen, noch zerrissenen Wolken bald hier, bald da hinüberdrängte und dann und wann kleine Strecken des Flusses, ja manchmal sogar bei einem etwas stärkeren Luftzuge das gegenüberliegende Ufer sichtbar werden ließ, hatte sich jetzt zu einer festen Masse verdichtet und lagerte ruhig auf der unheimlich unter ihm dahinschießenden Flut. Selbst der leise, noch nicht ganz erstorbene Wind vermochte nicht mehr auf ihn einzuwirken und konnte nur dann und wann einen wehenden Streifen von ihm losreißen und über das feste Land hinauspressen. Dieser Nebelfetzen durchzog es dann in weißen, durchsichtigen Wolken, um später, mit den Schwaden der Niederung vermischt, nur neue Kräfte in seinen rötlichen, ungesunden Dünsten zu sammeln und in das nebelgefüllte Strombett zurückzuführen.

Die Sonne selbst vermochte nicht durch die ihrem Lichte trotzenden Massen zu dringen, und ihre blutrote Scheibe stand strahlenlos und düster am Firmament. – Die ganze Mittagszeit hindurch hatte sie den Titanenkampf gegen die ineinandergepreßten Schwaden gekämpft, doch vergebens, und jetzt schien es fast, als ob sie voll zornigen Unwillens das unerfreuliche Ringen aufgebe und ernst und mürrisch in ihr waldumschlossenes Lager niedersteige. Brach sich dann die Abendluft nicht Bahn und zerstreute diese nicht mit starkem Hauch den stämmigen Feind, dann konnte die Nacht wohl schwerlich seine Massen bewältigen. Feuchter Nachttau und der Atem der schlummernden Erde nährten ihn mehr und mehr, so daß er sich noch nach allen Seiten ausbreitete und zuletzt sogar den Wald bis zum Rande mit milchweißem Schaum erfüllte, was ihm am Tage nicht möglich gewesen war.

Das dicht am Ufer stehende kleine Haus befand sich ebenfalls im Bereiche dieser Schwaden oder doch wenigstens so dicht an der Grenze derselben, daß bei jedem nur leise herüberwehenden Luftzug der ganze Drang des Nebels sich über das Gebäude hinwälzte und es förmlich umhüllte. Wenig schien das aber die darin versammelte lustige Schar von Bootsleuten zu kümmern, deren Lärmen und Johlen nur einmal, und selbst da nur auf Sekunden, unterbrochen werden konnte, als ein augenscheinlich nicht zu ihnen gehörender, sehr modern und elegant gekleideter Mann eintrat und rasch, ohne links oder rechts zu sehen, den menschengedrängten Raum durchschritt und gleich darauf in einer Tür verschwand, die zu dem hinteren Teil des Gebäudes führte.

Als er das auf den Strom hinaussehende niedere Gemach betrat, wollte sich eine andere Person, wie es schien, leise und unbemerkt zur gegenüberliegenden Tür hinausstehlen, des Fremden scharfes Auge vereitelte aber den Versuch.

»Waterford!« rief er ernst. – »Bleib hier! – Ich will jetzt nicht untersuchen, weshalb Ihr Euren Posten verlassen habt; ich bedarf Eurer; – später werdet Ihr vielleicht darüber Rechenschaft zu geben wissen. Ist Toby eingetroffen?«

»Nein, Kapitän Kelly!« lautete die demütig gegebene Antwort des sonst wild und trotzig genug aussehenden Burschen, der mit dem einen funkelnden Auge – das andere hatte er in einen GouchkampfeDas gouching ist eine den sonst so kräftigen und offenen Charakter der Amerikaner wahrhaft schändende Sitte und wird überhaupt nur in einem sehr kleinen Teile der Union, hauptsächlich in Kentucky, ausgeübt. Hat nämlich beim Boxen oder Ringen der eine Kämpfer den andern niedergeworfen, und will dieser sich durch Treten oder Beißen befreien – denn bis der Besiegte nicht sein »enough« – genug ruft, wird der Kampf nicht für beendet angesehen –, so sucht der Obenliegende den schon so weit Überwundenen zu gautschen das heißt, er drängt ihm einen oder auch beide Daumen in die Augenhöhlen hinein, aus denen er, wenn nicht daran verhindert, die Augäpfel herauspreßt. Nicht selten wickelt er dabei mit raschem geschicktem Griff die an den Schläfen wachsenden Haare des Opfers um seine Zeigefinger, um dadurch in seinem fürchterlichen Geschäft nicht allein mehr Sicherheit zu gewinnen, sondern auch den Niedergeworfenen zu hindern, sich die ihm mit Blindheit drohenden Daumen in den eigenen Mund zu ziehen und mit verzweifelter Wut abzubeißen. Hunderte können bei solchem Kampfe gegenwärtig sein, keinem wird es einfallen, das gräßliche Ergebnis zu verhindern, ausgenommen, der eine gesteht mit dem Rufe »genug« seinem Gegner den Sieg zu. Dann müssen augenblicklich alle Feindseligkeiten eingestellt werden. Das Gouchen bedingt übrigens nicht jedesmalige Blindheit: zuweilen können die Augen ohne ihre Sehkraft zu verlieren wieder in ihre Höhlen zurückgeschoben werden; nur zu oft zieht es jedoch seine entsetzlichen Folgen nach sich, und Hunderte gibt es, die so, teils halb, teils ganz erblindet, die Wirkung eines unnatürlichen Kampfes durchs ganze Leben schleppen. Der Verlust eines Auges gilt auch dabei als vollkommen hinreichende Entschuldigung, einen angebotenen Kampf auszuschlagen, ohne dabei in dcn Verdacht der Feigheit zu geraten, da man es erklärlich findet, daß der Verkrüppelte nicht gern auch sein zweites Auge gleicher Gefahr aussetzen wolle. verloren – scheu unter den grauen buschigen Augenbrauen hervorblinzelte.

»Nein?« rief Kelly und stampfte unmutig den Boden. »Daß die Pest seine faulen Sohlen treffe! – Schicke ihm rasch jemanden entgegen! Er muß unterwegs sein und noch heute nacht auf der Insel eintreffen. – Rasch, – sende Belwy; der ist leicht und kann dem Rappen eher etwas zumuten. Er soll sich übersetzen lassen und reiten, bis ihm das Roß unter dem Leibe zusammenbricht, und halt noch eins! Sobald Ihr drüben das Raketenzeichen seht, braucht Ihr keine weiteren Befehle von mir abzuwarten. Ihr wißt dann, was Ihr zu tun habt. Seid aber schnell und sendet alle, die Ihr auftreiben könnt, und zwar alle auch zu augenblicklicher Flucht gerüstet.«

Der Einäugige verschwand durch die Tür, und der Kapitän schritt mit festverschlungenen Armen und schweigend wohl mehrere Minuten lang rasch im Zimmer auf und ab. Endlich blieb er vor Thorby, dem Wirt dieser Diebesspelunke, stehen, der ihm ehrfurchtsvoll, mit der Mütze in der Hand, zuhörte, und sagte mit leiser, aber schneller Stimme: »Es wird hoffentlich in kurzer Zeit – ein Bote von dem See hier sein, – der soll mir augenblicklich auf die Insel folgen, auch dann, wenn es Sander selbst ist; – ich muß ihn sprechen. Im übrigen haltet Euch heute und morgen ruhig; entfernt alles, was bei einer etwaigen Hausdurchsuchung Verdacht erregen könnte, und – seid wachsam! Daß mir die Burschen an den Raketen ihre Plätze nicht verlassen! Vielleicht ist die Vorsicht nur noch –«

Kelly horchte auf, denn heftiges und rasches Pferdegetrappel ließ sich im nächsten Augenblick hören und hielt, wenn ihn sein Ohr nicht täuschte, vor der Tür. Thorby glitt hinaus, um den Besuch zu erkunden, kehrte aber auch gleich darauf mit dem erschöpften Sander zurück, der in den fremden Kleidern, mit den flatternden Haaren – den Hut hatte er unterwegs in den Büschen verloren – gar wild und verstört aussah. »Sendet einen Boten zu Kelly«, – waren die ersten Worte, die er dem Wirt leise zurief; – »aber rasch – rasch – rasch! – Habt Ihr die Ohren verstopft, Holzkopf? Einen Boten sollt Ihr zu Kelly senden!«

»Der Kapitän ist hier«, sagte endlich der durch die wilde Anrede und das wunderliche Aussehen Sanders erstaunte Wirt; – »er hat schon nach Eurem eigenen Boten gefragt.«

Ohne ein weiteres Wort des Alten abzuwarten, schob ihn der junge Mann zur Seite, warf sich die Haare aus der Stirn und trat rasch in den mit Gästen gefüllten Raum. Lauter Jubelruf schallte ihm hier entgegen, und von mehreren Seiten hoben einzelne die Becher zu ihm auf, daß er mit ihnen trinken solle. Aber nur einen Becher ergriff er, leerte ihn, ohne es auch nur erst der Mühe wert zu halten, zu prüfen, was er enthalte, bis auf die Hefe und trat dann, nicht einmal mit einem Kopfnicken dafür dankend, rasch in die vorerwähnte Tür, die er hinter sich verriegelte. Kelly war allein und faßte ihn scharf ins Auge; Sander aber, der nur einmal den Blick scheu im Kreise umhergeworfen hatte, um sich vor allen Dingen zu überzeugen, daß niemand weiter seine Worte hörte, trat dicht an den Kapitän heran und flüsterte leise: »Wir sind verraten.«

Erstaunt sah er zu dem Führer auf, der anstatt, wie er es erwartete, vor der fürchterlichen Botschaft zurückzuschrecken, den ruhigen, kalten Blick fest auf ihn geheftet hielt. Das einzige, was er darauf erwiderte, war: »Weshalb habt Ihr Euren Auftrag nicht erfüllt?«

Sander, hierüber fast außer Fassung gebracht, zögerte einen Augenblick, und Kelly, der gewohnt war, in der Seele der Menschen zu lesen, durchschaute ihn im Nu. Der junge Verbrecher aber, vielleicht mehr durch des Kapitäns Betragen als durch die Frage überrascht, sammelte sich gleich wieder und erzählte nun so kurz, aber auch so genau wie möglich die Vorgänge bei Livelys bis zu des Mulatten Geständnis, bei dem Cook und der Doktor Zeuge gewesen waren. Seine Gründe, weshalb er zu solcher Zeit den Mulatten nicht verlassen durfte, waren – das wußte er auch recht gut – wichtig genug, und alle Nebenpläne mußten jetzt fallen, wo es galt, das Leben vor den aufmerksam gewordenen Bewohnern des Staates zu retten.

Kelly erwiderte ihm keine Silbe, sondern trat nur an das kleine, auf den Strom hinausgehende Fenster und blickte sinnend in das weiße Nebelmeer hinaus, das seine Fläche bedeckt hielt. Sander schritt unterdessen ungeduldig auf und ab, bis ihm das lange Schweigen peinlich wurde und er es mit einem halb ängstlichen, halb trotzigen »Nun, Sir?« brach.

»Nun, Sir?« wiederholte der Kapitän und wandte sich langsam gegen ihn. »Das, was ich lange befürchtete, ist endlich eingetroffen, und es wundert mich weiter nichts, als daß diese sonst so scharfsichtigen Waldläufer mit all ihrem gepriesenen indianischen Spürsinn die Sache nicht früher herausbekommen und uns jetzt vollkommen Zeit gegeben haben, unser Schäfchen ins Trockene zu bringen.«

»Ins Trockene?« fragte Sander erstaunt. »Verdammt wenig Schafe sind's, die ich ins Trockene gebracht habe; ich hoffte auf die morgige Teilung der in Euren Händen befindlichen Vereinskasse; ich habe mich so verausgabt, daß ich nicht einmal die Kajütenpassage nach New Orleans bezahlen könnte. Ins Trockene bringen! – Zum Henker, Kapitän, Ihr nehmt die Sache verdammt kaltblütig! Wißt Ihr denn, daß uns die verdammten Schufte in jedem Augenblick hier auf den Hacken sitzen können? Doch – noch eins – ich muß Euch um Vorschuß bitten, Sir; man weiß doch jetzt nicht, wie die Sachen stehen und was einem passieren kann, und da ist's gut, wenigstens so viel in der Tasche zu haben, um vielleicht für den Augenblick eine kleine Reise machen zu können. Schießt mir fünfhundert Dollar vor und zieht sie mir morgen abend von meinem Anteil ab. Ich muß auch in den Kleiderladen in Helena gehen und mir neue Sachen schaffen. Ich sehe wahrhaftig wie eine Vogelscheuche im Herbst aus und kann mich gar nicht so vor den Damen wieder sehen lassen.«

»Ihr tätet überhaupt besser, Euch von denen heute etwas fernzuhalten«, sagte Kelly ruhig lächelnd; »wie ich gehört habe, ist dort Besuch angekommen!«

»Besuch? Was für Besuch? – Ist Lively schon hier?«

»Nein, Damenbesuch – Mrs. Hawes aus Sinkville.«

»Unsinn, laßt Euren Scherz jetzt! Donnerwetter, Mann, das Messer sitzt uns an der Kehle, und Ihr steht da und lacht und spaßt, als ob wir uns auf irgendeinem guten Segelschiff und etwa tausend Meilen von Amerika entfernt befanden. Mir ist jetzt gar nicht nach Spaßen zumute.«

»Und wer sagt Euch denn, daß es mir so wäre?« erwiderte Kelly ernst. »Ich spaße nicht, Sir, – Mrs. Hawes befindet sich in diesem Augenblick in der Pflege von Mrs. Dayton und Miß Adele Dunmore, und heute nachmittag ist der Ire O'Toole nach Nr. Einundsechzig abgefahren, da er auf die unschuldige Insel solchen Verdacht geworfen hat, daß er eine genaue Untersuchung derselben beabsichtigt. Ebenso wird in etwa einer Stunde ein anderer junger Bootsmann von hier auslaufen, und zwar zu demselben Zwecke. Das sind meine Neuigkeiten; nicht wahr, meine Spione sind gut?«

Sander hatte ihm starr vor Schrecken und Entsetzen zugehört. »Wie, in des Teufels Namen, ist Marie –«

»Ruhig, Sir«, unterbrach ihn Kelly, – »ich ahne den ganzen Zusammenhang; aber noch ist nichts verloren. – Die Insel müssen wir allerdings aufgeben; doch uns selber sollen sie nicht fangen. Ich bin gerade deshalb hier, Gegenmaßregeln zu ergreifen. In der Stadt dürft Ihr Euch übrigens, solange es hell ist, noch nicht sehen lassen, und selbst dann möchte es geraten sein, irgendein Tuch ums Gesicht zu binden. Ich selbst will augenblicklich auf die Insel hinunterfahren, um dort die nötigen Anordnungen zu treffen. Glück genug, daß wir alles so zeitig erfahren haben; das hätte sonst ein böser Schlag werden können.«

»Und ein junger Bootsmann wird, wie Ihr sagt, von hier auslaufen, um die Insel aufzuspüren?«

»Ja«, erwiderte Kelly, und seine Lippen umzuckte ein höhnisches Lächeln, – »das ist jetzt wenigstens seine Absicht; doch die wird zu vereiteln sein. Er darf die Stadt nicht verlassen. Aber das ist das wenigste. Nichts ist leichter, als einen solchen Burschen auf ein paar Tage unschädlich zu machen. – Wofür haben wir denn die Gesetze?«

»Die Gesetze?« fragte Sander erstaunt.

»Laßt mich nur machen; – meine Maßregeln sind schon getroffen.«

»Aber der Ire? –«

»Kann die Insel, bis ich hinunterkomme, noch nicht wieder verlassen haben, und wenn auch, ehe unsere langsame Justiz die Sache in die Hände nimmt, sind wir lange außer aller Gefahr.«

»Die Justiz? Ihr glaubt doch nicht, daß die Nachbarn hier auf die warten werden?«

»Desto weniger können sie dann ausrichten. Lebendig fangen sie uns nicht, und in unsere Schlupfwinkel in den Sümpfen von Mississippi sind sie ebensowenig imstande, uns gleich zu folgen. Auf jeden Fall behalten wir Zeit zur Flucht, und ich glaube fast, daß wir die morgige Nacht noch ruhig abwarten können. Übrigens sind wir auf das Schlimmste gerüstet. An gewissen Stellen befestigte Raketen, die eine laufende Linie bis zu uns bilden, künden uns unten an, ob uns von hier aus Gefahr drohe, und dafür sind meine Pläne ebenfalls bis zur Ausführung fertig. Wollen die Burschen Gewalt, gut, dann soll sich's auch zeigen, in wessen Händen sich die befindet; wir sind fürchterlicher, als sie es jetzt noch ahnen.«

Er sprach die letzten Worte mehr zu sich selbst als zu dem Kameraden, der indessen, ganz in Gedanken vertieft, mit seinem Bowiemesser lange Späne von dem rohen Holztisch abhieb.

»Pest!« murmelte er nach einiger Zeit. – »Daß wir jetzt unser freundliches Plätzchen verlassen müssen; – es ist schändlich. – Konnte diese vermaledeite Katastrophe nicht noch wenigstens zwei Tage später kommen! – Nun, wie ist's Kapitän, wollt Ihr mir das Geld geben?«

»Ich habe nicht so viel bei mir«, sagte Kelly ruhig und schritt zur Tür, deren Griff er erfaßte; »seid aber um acht Uhr wieder hier, dann sollt Ihr es haben. Bis dahin hat es noch keine Gefahr. Auf Wiedersehen! – Vorsicht brauche ich Euch weiter nicht anzuempfehlen.«

Er verschwand aus dem Zimmer, und Sander blieb noch einige Minuten in tiefem Nachdenken, die Augen fest und finster auf die wieder geschlossene Tür geheftet, sitzen. »So?« sagte er endlich und stieß, während er von seinem Sitze aufstand, das Messer wohl einen Zoll tief in das weiche Holz. – »Deine Pläne sind also zur Ausführung fertig, aber du hast nicht einmal lumpige fünfhundert Dollar für jemanden, der in den letzten Monaten deiner Privatkasse solche ungeheuren Summen einbrachte? Und warten soll ich, mich hier bis acht Uhr versteckt halten, um dann vielleicht aufs neue halsbrecherische Aufträge zu bekommen, aber kein Geld? Nein, mein Alterchen, da du so für dein eigenes Wohl gesorgt zu haben scheinst, so vergönne mir wenigstens ein gleiches. Mrs. Breidelford kann unmöglich schon von der uns drohenden Gefahr wissen, die will ich anzapfen. Das Zauberwort, das mich Blackfoot gelehrt hat, wird, wenn es das fast Unglaubliche vermögen soll, ihre Zunge zu hemmen, doch auch wohl ein paar hundert Dollar aus ihr herauspressen. – Die alte Hexe hat früher überdies genug durch meine Vermittlung verdient. Ans Werk denn; es kennt mich ja doch niemand hier in der Stadt als Daytons, und deren Wohnung kann ich vermeiden.«

Er verließ rasch das Haus und verschwand bald in dem sich immer mehr und mehr verdichtenden Nebel, der jetzt sogar selbst die vom Fluß am weitesten entfernten Straßen erfüllte.


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