Friedrich Gerstäcker
Die Flußpiraten des Mississippi
Friedrich Gerstäcker

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Kapitel 4

›Squire oder Doktor Dayton‹ – denn er wurde sowohl das eine wie das andere in Helena genannt – verließ das Union-Hotel und erreichte bald darauf ein kleines, aber zierlich gebautes Haus an der Westseite Helenas, um das herum die gewaltigen Bäume des Urwalds nur eben weit genug niedergehauen waren, um nicht mehr mit ihren Wipfeln das friedliche Dach erreichen zu können. Reinlich weiß angestrichen, stachen die hellgrünen Jalousien um so freundlicher dagegen ab, und der jetzt aufsteigende Mond schien gar hell und klar gegen die blitzenden Spiegelscheiben eines im ersten Stock offen gelassenen Fensters, ein Luxus, der in dem einfachen Westen gar selten angetroffen wurde.

Aber auch das Innere der kleinen Wohnung entsprach vollkommen dem soliden, gemütlichen Ansehen seines Äußern. Allerdings war es nicht prächtig und kostbar eingerichtet, aber die massiven Mahagoni-Möbel, die schneeweißen Vorhänge, die elastischen, mit dunklem Damast überzogenen Ruhesessel und Stühle verkündeten deutlich genug, daß hier Wohlhabenheit, wenn nicht Reichtum herrschte.

Viele andere Kleinigkeiten, wie zierliche Nippesfiguren auf den kleinen Seitentischen, angefangene weibliche Handarbeiten, der Nähtisch am linken Eckfenster mit dem sauber geflochtenen Strickkörbchen an der Seite, gossen dabei jenen Zauber über das stille, wohnliche Zimmer, den nur die Gegenwart holder Frauen einem Gemach, und sei es sonst das prächtigste, zu verleihen imstande ist.

Ein kleiner fröhlicher Kreis hatte sich aber auch um den runden, zum Sofa gerückten Tisch versammelt, auf dem die englischbronzene weitbauchige Teemaschine zischte und qualmte, und fröhliches Lachen tönte dem jetzt eben an die Haustür pochenden Squire entgegen, der seltsamerweise einen ernsten, ja fast traurigen Blick zu den hellerleuchteten Fenstern hinaufwarf.

Da verstummte das Lachen plötzlich oder wurde wenigstens von den rauschenden Tönen eines deutschen Walzers übertäubt, den geübte Finger einem wohlklingenden, kräftig besaiteten Flügel entlockten. Mr. Dayton mußte auch wirklich zur Klingel seine Zuflucht nehmen, um den Dienstboten, die oben auf der Treppe standen und den so gern gehörten Melodien lauschten, seine Gegenwart zu verkünden.

Sobald er ins Haus eingetreten war, schien aber auch seine ganze frühere Heiterkeit zurückgekehrt zu sein, wenigstens blitzte sein Auge freier und fröhlicher. Er flog schnellen Schrittes die Stufen hinauf und stand im nächsten Augenblick bei den Seinen, von all dem Lärmen und Jubel umgeben.

»Endlich – endlich!« rief die Klavierspielerin, sprang auf und eilte, als Mr. Dayton in der Tür erschien, diesem entgegen. »Der gestrenge Herr haben heute unverzeihlich lange auf sich warten lassen.«

»Wirklich?« lächelte der Squire, während er die Anwesenden freundlich grüßte und dann seinem ihm entgegenkommenden Weibe einen leichten Kuß auf die Stirn drückte. »Hat mich meine kleine, wilde Schwägerin heute einmal vermißt?«

»Heute einmal«, lachte das fröhliche Mädchen und warf sich mit schneller Kopfbewegung die langen, dunklen Locken aus der Stirn, »heute nur einmal? Ei, mein liebenswürdiger und gestrenger Friedensrichter muß seiner untertänigsten Dienerin einen sehr schlechten Geschmack zutrauen, wenn er glauben könnte, sie fühlte sich ohne ihn nur einen Augenblick wohl und glücklich. Heute hat die Sache aber noch eine besondere Bewandtnis. – Hier wartet nun Mr. Lively schon eine volle Stunde auf Sie und trägt sicherlich ein schweres, fürchterliches Geheimnis auf dem Herzen; denn keine Silbe ist ihm in dieser unendlich langen Stunde über die Lippen gekommen; – auch Mrs. Breidelford –«

»Bitte um Verzeihung, mein liebwertestes Fräulein«, sagte die Genannte, die bis dahin auf Kohlen gesessen zu haben schien, das Wort zu nehmen, »keineswegs; denn ich glaube doch wirklich nicht, daß Sie sich bei mir über Zungenfaulheit beklagen können; eher vielleicht das Gegenteil. – Ich kenne meine Schwäche, mein Fräulein, und wie der ehrwürdige Mr. Sothorpe so schön sagt, ist das schon ein Schritt zur Besserung, wenn man seine eigenen Schwächen wirklich kennt. Mein seliger Mann freilich – ein Engel von Geduld und Sanftmut – behauptete immer das Gegenteil. Glauben Sie wohl, Squire Dayton, daß das gute Herz mir einreden wollte, ich spräche wirklich nicht zuviel? – Breidelford, sagte ich aber, Breidelford, versündige dich nicht; – ich weiß, wie ich bin; ja, Breidelford, ich kenne meine Schwäche, und wenn ich dir auch nicht zuviel rede, so fühle ich doch selbst recht gut, wie das ein Fehler von mir ist, den ich mir aber, da ich ihn einmal kenne, auch alle Mühe geben werde zu verbessern.«

»Eine Tasse Tee, beste Mrs. Breidelford«, unterbrach hier Mrs. Dayton den allem Anschein nach undämmbaren Zungenschwall, – »bitte, langen Sie zu!« – Adele aber, die augenblickliche Pause benutzend, setzte sich rasch wieder ans Klavier, und ein so rauschender Tanz dröhnte, von den starken Saiten widervibrierend, durch das Gemach, daß jede Fortsetzung von Mrs. Breidelfords begonnener Selbstbiographie dadurch schon im Keime erstickt wurde.

»Ist der Mailrider noch nicht hier gewesen?« fragte Mr. Dayton endlich, als die Ruhe wieder ein wenig hergestellt war.

»Der Mailrider? Nein; aber Mr. Lively hier scheint seinen Auftrag gern ausrichten zu wollen«, sagte Adele und blinzelte schelmisch zu dem jungen Manne hinüber, dem offenbar recht unbehaglich zumute war.

James Lively saß auch wirklich da, als ob er nicht bis drei zählen könnte. Alle Gliedmaßen waren ihm im Wege oder auf irgendeiner falschen Stelle. Bald hatte er das rechte lange Bein hoch oben auf dem linken, daß es weit bis mitten in die Stube hineinragte; bald zog er die Füße fest unter dem Stuhl zusammen, faltete die Hände und hetzte seine Daumen um ihre eigene Achse; dann griff er mit dem rechten Arm hinunter nach dem hintersten rechten Stuhlbein und versuchte eifrig die Politur herunterzukratzen; dann holte er mit der Linken das mächtige seidene Tuch aus der Tasche, um es gleich darauf wieder sorgfältig zurückzuschieben; kurz, James befand sich so wohl wie ein Hecht auf dem Sand oder ein Hase auf dem Eis, und wenn er auch manchmal den Blick scheu zu dem schönen, munteren Mädchen emporwarf, so brauchte er doch nur dem Schelmenauge zu begegnen, gleich senkte sich auch sein Antlitz in prachtvoller gesottener Hummerfarbe wieder nieder. Nachher, wie in einem wilden Fluchtversuch, griff er tief, tief unter den Stuhl, wo früher sein Hut gestanden hatte, den aber später, auf einen Wink Mrs. Daytons, die junge Mulattin weggenommen und hinten auf das Klavier gestellt hatte, und er saß nun in voller Verzweiflung auf dem weich gepolsterten Stuhl wie auf glühenden Kohlen.

James Lively war übrigens sonst keineswegs so verschämt und blöde. Er war im Walde aufgewachsen, und es gab keinen besseren Jäger und Landmann im ganzen County als ihn. Mutig dabei bis zur Tollkühnheit, hatte er vor kurzem erst den Einzelkampf mit einem Panther gewagt und gewonnen und im Boxen die Besten überwunden. Aber im Walde mußte er auch sein, wenn er all diese Fähigkeiten entwickeln sollte. In Damengesellschaft getraute er sich nicht, den Mund zu öffnen, und wenn er auch – wie Mrs. Breidelford – vollkommen seine Schwäche kannte, so wäre es ihm dennoch nicht möglich gewesen, eine Scheu zu überwinden, die ihm Zunge und Glieder lähmte. So auffallend wie heute hatte sich diese Befangenheit übrigens noch nie gezeigt. Sie schien sogar durch Adelens leise Anspielungen ihren höchsten Grad zu erreichen, als sich Squire Dayton ins Mittel schlug, auf den jungen Mann zuging und ihm mit einem freundlichen »Gott zum Gruß, Mr. Lively! Was macht der Vater und wie steht es daheim mit der Farm?« plötzlich wieder Mut und Selbstvertrauen ins Herz legte.

Die Worte, die ganze Anrede, die Beziehung auf die heimische, ihm bekannte Umgebung wirkten wie ein wohltätiger Zauber auf den Waldbewohner. Er sprang auf, holte tief Atem, ergriff schnell die dargebotene Rechte und antwortete, als ob ihm eben eine Zentnerlast von der Brust gewälzt wäre:

»Danke, Squire – alle wohl – so ziemlich wenigstens. Die braune Kuh wurde gestern krank, und darum bin ich eigentlich hierher in die Stadt gekommen; – aber – ich hatte noch etwas Besonderes«, – er warf einen scheuen Seitenblick nach den Frauen, während wieder tiefe Glut sein Gesicht überflog; – »ich – ich weiß nur nicht –«

»Ist es etwas, was mich allein betrifft?« fragte Squire.

»Bitte, junger Herr – genieren Sie sich nicht«, fiel hier ohne weitere vorherige Warnung Mrs. Breidelford wieder ein, – »glauben Sie ja nicht, daß wir, weil wir Ladies sind, etwa ein Geheimnis nicht ebenso sicher und gut bewahren könnten wie Männer. Im Gegenteil, Mr. Lively – gerade im Gegenteil. – Ich zum Beispiel weiß zwar, daß ich ein bißchen viel rede, es ist nun einmal meine Schwäche, und wofür hat uns denn eigentlich der liebe Gott Mund und Zunge gegeben. Was aber Geheimnisse anbetrifft, so hat da schon mein lieber seliger Breidelford immer gesagt, obgleich man sich eigentlich nicht selbst rühmen sollte, doch das liebe Herz liegt da jetzt kalt und starr im Grabe, – Luise, sagte er immer, Luise, du bist zu verschwiegen, du bist wahrhaftig zu verschwiegen. – Zehn Inquisitionen brächten dir das nicht über die Zunge, was du nicht hinüber haben wolltest; – ich glaube, du bissest sie dir eher in Stücke – sagte Mr. Breidelford; aber –«

Ein rauschendes Allegro von Adeles flüchtigen Fingern schnitt wiederum Mrs. Breidelfords Faden ab, und Lively, der bis jetzt vergebens gesucht hatte, Squire Daytons Frage zu beantworten, gewann wenigstens Zeit, Atem zu holen.

»Nein, Squire«, sagte er und schob, da er in diesem Augenblick gar nicht wußte, wohin er mit seinen Händen sollte, diese aus lauter Verzweiflung in die Taschen, riß sie aber, das Unschickliche solchen Betragens wohl fühlend, so schnell wieder heraus, als ob er heiße Kohlen darin gefunden hätte, »nein, Squire, Mutter meinte nur, Vater sagte, ob Sie und und die Ladies dort nicht Lust hätten oder so gut sein wollten, morgen ein bißchen zu uns herauszukommen und so lange Sie wollten und – so lange es Ihnen bei uns gefiele, draußen zu bleiben. Mutter meinte –«

Adele horchte auf; Mrs. Breidelford aber, der diese Einladung wohl keineswegs gegolten hatte, nahm die Beantwortung schnell auf sich, und ohne einem der übrigen Anwesenden auch nur die mindeste Zeit zu lassen, erhob sie sich ein wenig von ihrem Platze und rief, den jungen Mann dabei mit etwas niedergebogenem Kopfe und über die Brillengläser hin ins Auge fassend: »Oh – Mrs. Lively ist gar zu gütig, Sir, gar zu gütig, und wenn sich auch allerdings in jetziger Zeit, wo der Fluß wieder zu steigen anfängt und Waren in Hülle und Fülle stromab kommen, die Geschäfte häufen, so müssen doch schon einmal ein oder zwei Wochen gefunden werden, um die Nachbarn aufzusuchen und mit ihnen im guten, alten Einverständnis zu bleiben. – Mr. Breidelford hatte ganz recht, wenn er sagte, Luise – sagte er, du glaubst gar nicht, wie schön es ist, mit seinen Nachbarn in Frieden und Freundschaft zu wohnen; – Verträglichkeit ist das halbe Leben. Nächste Woche, Montag spätestens, denke ich mir das Vergnügen machen zu können, Mr. Lively; bitte mich Ihrer Frau Mutter bestens zu empfehlen.« – Und nieder setzte sie sich und trank ihre Tasse aus, als ob sie nach solcher Anstrengung der Ruhe und Stärkung bedürfe.

Adele schien aber diesmal vor lauter Erstaunen über Mrs. Breidelfords Bereitwilligkeit ganz ihre musikalische Hilfe vergessen zu haben, und selbst James, der den Ruf kannte, dessen sich Mrs. Breidelford in Helena erfreute, stand ganz verstummt da und wußte kaum, ob er sie wirklich aus Versehen mit eingeladen habe oder nicht. War es übrigens geschehen, so half hier weiter nichts, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Was aber seine eigene Mutter dabei von Mrs. Breidelford hielt, hatte er – zu seinem Entsetzen fiel es ihm gerade jetzt wieder ein – erst an diesem Morgen gehört. Wie sie sich also zu Hause über seinen glücklich erlegten Bock freuen würde, ließ sich ungefähr denken.

In aller Angst haftete sein Blick jetzt noch auf Mrs. Daytons sanften Zügen; denn das andere schelmische, immer lachende Ding wagte er gar nicht anzusehen. Jene sagte denn auch freundlich: »Meinen besten Gruß an Ihre liebe Mutter, Sir, und wir werden sicher kommen. – Sie soll sich aber auch in Helena nicht so selten blicken lassen und einmal bei uns einkehren, wenn sie ihr Weg hierher führte. Doch kommen Sie, rücken Sie sich Ihren Stuhl zum Tisch und langen Sie zu – Trinken Sie weiß? Hier – hier steht alles – bedienen Sie sich selbst! – Wie geht es denn Ihrem Vater?«

»Danke, Madame, danke«, sagte James, der jetzt, da er Adele den Rücken zudrehen durfte, freier zu atmen anfing, »es macht sich mit dem Alten. – Wir sind schon wieder zusammen auf der Bärenjagd gewesen, und da können Sie sich wohl denken, daß er nicht mehr sterbenskrank ist; – von so ein wenig Fieber erholt er sich schnell wieder.«

»Geht er denn noch immer barfuß in den Wald?« fragte Adele und glitt in den dicht neben dem Sofa stehenden Sessel, so daß sie dem jungen Hinterwäldler jetzt gerade gegenübersaß. James fing wieder an, unruhig auf seinem Sessel herumzurücken. – Er mußte sich den Rock aufknöpfen; es wurde ihm siedend heiß. Mrs. Breidelford schien übrigens auch diese Antwort übernehmen zu wollen, denn mit einem »Ja, ja, Miß Adele, – was das Barfußgehen anbetrifft«, wandte sie sich an das junge Mädchen. Dayton parierte aber in lobenswertem Mitleid die ihr zugedachte Rede, indem er Mrs. Breidelford selbst in ein Gespräch verknüpfte. Dadurch gewann James Zeit, sich zu sammeln, und weil sich überdies das Gespräch auf sein eigenes heimisches Gebiet zog, so wurde er auch immer unbefangener und zuversichtlicher.

»Die Erkältung des alten Mannes rührte gewiß von der häßlichen Angewohnheit her, weder Schuhe noch Strümpfe zu tragen«, sagte Mrs. Dayton »Mrs. Lively sollte es nur nicht leiden.«

»Ach, das würde nichts helfen«, meinte James; »Vater ist darin ganz obstinat; – was er einmal will, davon bringt ihn kein Mensch ab.«

»Gerade wie mein Seliger, Mr. Lively«, mischte sich hier die unvermeidliche Mrs. Breidelford trotz aller Ableiter wieder ins Gespräch, – »aber ganz so wie mein Seliger. – Breidelford – sagte ich oft – du wirst dich noch ruinieren, das naßkalte Wetter ist dein Tod; ich rate dir, zieh' die wollenen Strümpfe an! Glauben Sie, er hätte es getan? Nicht um die Welt. Luise, sagte er, das verstehst du nicht; menschliche Konstitution ist wie –«

Leider erfuhr die Familie Dayton an diesem Abend nicht, wie menschliche Konstitution eigentlich beschaffen sei; denn gerade hier, und als Adele schon im Begriff war, ihren kaum verlassenen Platz am Piano wieder einzunehmen, riß es auf einmal so stark an der Klingel, daß Mrs. Breidelford mit einem »Jesus, meine Güte« erschrocken emporfuhr und auch Mrs. Dayton und Adele überrascht nach der Tür blickten. Nur Squire Dayton blieb ruhig sitzen und sagte lächelnd: »Es wird Mr. Smart sein, ich bat ihn heute abend noch ein wenig herüberzukommen. – Ja, das ist sein Schritt.«

»Ist das Mr. Smart, der Wirt des Union-Hotels?« rief Adele und sprang an den Glasschrank, um noch eine Tasse für den neuen Gast herbeizuholen.

»Der nämliche«, sagte der Squire; »doch da ist er selbst.« Und herein trat, den Hut, den er ganz in Gedanken auf dem Kopfe behalten, schnell abreißend, Jonathan Smart. Allen im Kreise, Mrs. Breidelford ausgenommen, der er eine stumme Verbeugung machte, reichte er die Hand zum Gruße, die er Squire Dayton und James Lively noch ganz besonders herzlich schüttelte, und hierauf setzte er sich mit einem höchst selbstzufriedenen und behaglichen Lächeln auf den Stuhl, den ihm die Mulattin Nancy schnell hingerückt hatte.

»Well, Ladies und Gentlemen, freut mich ungemein, Sie alle wohl zu sehen«, sagte er dabei. »Danke, Miß, danke; – ich trinke keine Milch, lieber ein bißchen Rum in den Tee.«

Miß Adele hatte ihm die Tasse überreicht, und es war dadurch, daß sich die letzten Worte des Gesprächs gerade auf den Eingetretenen bezogen hatten, eine kleine Pause entstanden. Smart bemerkte das übrigens und wandte sich an Mrs Dayton: »Bitte, Madame, es sollte mir leid tun, wenn ich Ihre Unterhaltung etwa unterbrochen oder gestört hätte; – ich komme auch allerdings etwas spät, aber Squire Dayton –«

»Ganz und gar nicht, Mr. Smart, – ganz und gar nicht«, fiel ihm hier Mrs. Breidelford schnell in die Rede; – »ich sprach nur eben von – ach, du lieber Gott, von was sprach ich denn gleich? – Ja, mein unglückseliges Gedächtnis, Mr. Smart, mein unglückseliges Gedächtnis! – Schon mein lieber seliger Mann sagte immer – Luise, sagte er, du hast deinen Kopf in deiner Jugend zu sehr angestrengt, du hast zuviel gerechnet und gesorgt; – ein allzu straff angezogener Bogen muß am Ende erschlaffen. – Das waren seine eigenen Worte, Mr. Smart. Ach, Breidelford, sagte ich dann, du hast recht; – ich weiß es, ich kenne meine Schwäche; aber das Gedächtnis ist eine Gabe von Gott, und wem der es wieder nimmt, der darf sich nicht beklagen. Das wäre schlecht, Breidelford, sagte ich –«

»– lud mich so freundlich ein, daß ich besonders nach dem, was heute vorgegangen ist, unmöglich nein sagten konnte«, fuhr Mr. Smart, ohne sich weiter irremachen zu lassen, in seiner begonnenen Rede, und zwar gegen Mr. Dayton gewendet, fort.

»Was ist denn heute vorgefallen?« fragte Adele schnell. – »War wieder ein Streit im Ort? – Wir haben das Lärmen und Toben gehört, aber weiter noch nichts darüber erfahren.«

Mrs. Breidelford setzte die schon erhobene Tasse wieder nieder und horchte aufmerksam der jetzt erwarteten Mitteilung.

»Und hat Ihnen Squire Dayton gar nichts erzählt?« fragte der Yankee.

»Nicht das mindeste«, riefen die drei Ladies wie aus einem Munde.

»Nun, er hat mir einen Dienst geleistet«, sagte Jonathan Smart, »wie ihn ein Nachbar dem andern nur –«

»Aber, bester Smart«, lächelte der Squire, – »Ich habe ja nur getan, was meine Pflicht als Friedensrichter dieses Ortes war.«

»– zu leisten imstande ist«, fuhr Jonathan fort, – »er hat mir das Leben gerettet, indem er sich, die eigene Gefahr ganz außer acht lassend –«

»Die Burschen hätten es nie zum Äußersten kommen lassen. – Sie rechnen mir die Sache wirklich zu hoch an.«

»– einer Bande zu allem fähiger Bootsleute gerade entgegenwarf und sie davon zurückhielt, mich umzubringen und mein Haus niederzubrennen. Das ist das Kurze und Lange von der Geschichte.«

Der Richter sah wohl ein, daß er den Wirt ausreden lassen müsse, und ergab sich lächelnd darein. Erst als dieser schwieg, erwiderte er dagegen: »Das aber erwähnen Sie nicht, daß Sie vorher mit wirklicher Lebensgefahr, als sogar einer der Buben schon auf Sie abdrückte, das Leben des armen Iren gerettet haben.«

»Das muß ja heute schrecklich in Helena zugegangen sein« rief Mrs. Dayton entsetzt.

»Heute nicht schlimmer als an vielen anderen Tagen auch« sagte der Wirt achselzuckend. »Helena ist nun einmal in dieser Hinsicht berühmt oder, besser gesagt, berüchtigt.«

»Gerade was mein lieber seliger Mann immer sagte. Mr. Smart, – gerade dasselbe – Luise, sagte er, bleibe nicht in Helena wohnen, wenn ich einmal tot bin – ziehe fort von hier. Du bis zu sanft, du bist zu schwach für solch wildes Leben und Treiben; – du paßt nicht hierher in diese rohe Umgebung. – Der liebe Mann! – Und es ist wahr, ich habe es ihm auch noch auf dem Sterbebett versprochen, ich wollte fort. Breidelford, sagte ich ihm, stirb ruhig, ich gehe in den Norden, wenn du einmal nicht mehr bei mir bist, aber, du lieber Gott, eine arme, alleinstehende Frau, die kann ja nicht, wie sie wohl gern wollte. Man will ja doch leben, und hier, wo ich einmal notdürftig meine Nahrung habe, werde ich wohl bleiben müssen, denn ich sehe nicht ein, ob, wie und womit ich an einem andern Orte wieder beginnen könnte. Fleißig bin ich, das muß mir der Neid lassen. Mein lieber seliger Mann sagte immer, Luise, sagte er, du arbeitest dich noch tot – du bedenkst gar nicht, daß du zum zarten Geschlecht gehörst. Später wirst du es aber auch noch einmal einsehen, sagte er, wenn du deine Gesundheit ruiniert hast, und wenn ich nicht mehr bin. Sie glauben gar nicht, Mrs. Dayton, wie der Mann alles vorausgesehen und gesagt hat, – eine wahre Prophetengabe war es, es könnte einem jetzt beinahe noch die Haut schaudern, wenn man bedenkt, daß so etwas menschenmöglich ist. – Auch was mein Alleinwohnen anbetrifft, denken Sie sich nur, Mrs. Dayton, auch darüber hat er mir, noch eine Stunde vor seinem Tode, – ich sehe das liebe Herz noch mit seinem bleichen, eingefallenen Antlitz und den blauen Lippen vor mir liegen –, vieles gesagt und mich gewarnt, denn, Luise, sagte er –«

»Ich hoffe doch, daß jetzt jemand bei Ihnen zu Hause ist?« fiel hier Mr. Smart schnell und, wie es schien, mit besonderer Teilnahme in die Rede.

»Bei mir?« rief, von dem Ton und der Frage erschreckt, Mrs. Breidelford, während sie schnell von ihrem Sitz emporfuhr, »bei mir, Mr. Smart? Keine Seele ist zu Hause; denn den Deutschen, den ich bis jetzt für die grobe Arbeit bei mir hatte, mußte ich heute fortjagen, weil er einen Ton gegen mich – aber um Gottes willen, Sir, Sie machen ja so ein bedenkliches Gesicht. – Es ist doch nichts bei mir vorge— Mr. Smart, ich beschwöre Sie bei Ihrer männlichen Ehre –«

James Lively und Squire Dayton mußten ihre Stühle rasch zurückschieben, denn Mrs. Breidelford kam mit solcher Allgewalt hinter dem Teetisch vorgefahren, daß sie ihr kaum aus dem Wege rücken konnten. – Mr. Smart blieb jedoch ganz ruhig und sagte: »Ängstigen Sie sich doch nicht nutzlos, Madame, das, was ich gesehen habe, hat ja vielleicht –«

»Was um aller lieben Engel im Himmel willen haben Sie denn gesehen?« rief Mrs. Breidelford, die übrige Gesellschaft kaum mehr beachtend, in Todesangst.

»– gar nicht so viel zu bedeuten, wie Sie gegenwärtig zu glauben scheinen«, fuhr Smart in seiner Rede fort.

»Herr – Mensch, – Sie bringen mich noch zur Verzweiflung!« schrie Mrs. Breidelford mehr als sie rief und ergriff mit der Linken ihr Bonnet, das sie sich in Mißachtung jeder Fasson und Mode auf den Kopf stülpte, während sie mit der Rechten einen Knopf von Mr. Smarts blauem Frack zu erhaschen suchte. Diesem Angriff begegnete er jedoch dadurch, daß er ihre nach ihm ausgestreckte Hand erfaßte und herzlich schüttelte.

»Was haben Sie gesehen? So sprechen Sie doch nur in des Teu— in des lieben Himmels Namen!«

»Eigentlich gar nichts von Bedeutung«, erwiderte Smart, noch immer die einmal gefaßte Rechte der sonderbarerweise so in Eifer geratenen Frau nicht loslassend. – »Als ich vor etwa einer Viertelstunde an Ihrem Hause vorbeiging, stand jemand am hintersten Fensterladen und klopfte dort an. Wie wir uns nun so manchmal, wenn wir weiter nichts zu tun haben –«

»Und was machte der Mann weiter?« fragte Mrs. Breidelford ungeduldig.

»– um allerlei Sachen bekümmern, die uns sonst wenig interessieren würden, so blieb ich einen Augenblick stehen und sah, was dieser jemand, von dem ich übrigens keineswegs gesagt habe, daß es ein Mann gewesen wäre, im Gegenteil, es war eine Frau, – denn eigentlich wollte.«

»Eine Frau?« rief Mrs. Breidelford erstaunt.

»Der Laden blieb verschlossen«, erzählte der Yankee weiter, »und die Dame ging jetzt um das Haus herum, wobei ich mir ebenfalls die Freiheit nahm, ihr zu folgen. – An der Tür angelangt, probierte sie, nachdem sie auch hier einige Male angeklopft hatte, zwei verschiedene Schlüssel.«

»Ei, die Kanaille!« rief Mrs. Breidelford in höchster Entrüstung. »Und schloß sie auf?«

»Es tut mir wirklich leid, Ihnen das nicht genau sagen zu können, Madame. – Ich sah in diesem Augenblick nach meiner Uhr und fand, daß ich schon eine halbe Stunde später hier ankommen würde, als ich dem Squire versprochen hatte, ließ also die Dame bei ihrer, wie ich jetzt allerdings hoffen will, vergeblichen Bemühung.«

»Und Sie haben sie nicht gefaßt und den Gerichten übergeben?« rief Mrs. Breidelford in unbeschreiblicher Entrüstung, während sie in wilder Eile ihren Mantel umwarf, ihre große Arbeitstasche ergriff und überall im Zimmer noch nach einem andern Gegenstand suchte. – »Sie haben nicht nach Hilfe gerufen und die Diebin zu Boden geschlagen, die in friedlicher Leute Häuser bei Nacht und Nebel einbrechen wollte? – Sie haben –«

»Aber, beste Mrs. Breidelford«, fragte Adele besorgt, »was suchen Sie denn noch? – Kann ich Ihnen nicht helfen?«

»Nein, – mein Bonnet, beste Miß, – mein Bonnet«, sagte die Dame, während ihre Blicke von einem Ende des Zimmers zum andern flog.

»Ist auf Ihrem Kopf, – werteste Madame«, sagte mit freundlicher Verbeugung der Yankee.

»Gute Nacht, Mrs. Dayton! Gute Nacht, Mr. Lively! – Ach Squire, wenn Sie mir die Liebe erzeigen wollten, mit mir zu gehen!« – rief jetzt Mrs. Breidelford. – »Sie sind doch hier Friedensrichter, und wenn wirklich Diebe und Mörder –«

Der Richter machte eine Bewegung, als ob er der Bitte Folge leisten wollte, Smart schüttelte aber hinter Mrs. Breidelfords Rücken so angelegentlich und mit so komischem Ernst den Kopf, daß er, wenn das wirklich seine Absicht gewesen wäre, sie aufgab und, um die Dame zu beruhigen, sagte: »Recht gern würde ich mit Ihnen gehen, beste Madame; ich habe aber mit Herrn Lively noch ein wichtiges Geschäft abzumachen, das keinen Aufschub weiter leidet. Mein Bursche soll Sie jedoch begleiten, und wenn es nötig wird, dann rufen Sie doch gleich in meinem Namen den Konstabler und schicken mir jemanden her. – Ich komme dann selbst hinunter.«

Mrs. Breidelford hatte die letzten Worte schon gar nicht mehr gehört, packte nur den unten an der Treppe stehenden Mulattenknaben am Handgelenk fest und zog den Überraschten, der ängstlich nach seinem Master zurückblickte, mit sich fort, der Haustür zu. Mr. Dayton sagte ihm aber lachend, er solle nur getrost folgen, und die beiden verschwanden gleich darauf durch die Haustür, der bedrängten Wohnung einer »armen, verlassenen Witwe« zu Hilfe zu eilen.

»Aber, bester Mr. Smart«, sagte jetzt Mrs. Dayton, während sie ans Fenster trat und der Frau besorgt nachsah, »wenn Sie doch nur wenigstens die Fremde angeredet hätten, die an Mrs. Breidelfords Tür einen Schlüssel probierte.«

»Das wäre allerdings ein schwieriges Stück Arbeit gewesen«, lächelte der Yankee und rieb sich vergnügt die Hände. »Mrs. Breidelford ist auf einer wilden Gänsejagd, das heißt, sie wird sich außerordentliche Mühe geben, jemanden zu finden, der gar nicht existiert.«

»Nicht existiert?« rief Adele verwundert, und James, der den Yankee von früher kannte, lachte laut auf. – »Nicht existiert? Die Frau, die Sie gesehen haben –«

»Ich habe keinen Menschen gesehen«, erwiderte Jonathan, während er seinen verlassenen Sitz einnahm und Mrs. Dayton die geleerte Tasse so ruhig zum Wiederfüllen hinüberreichte, als ob hier nicht das mindeste Außergewöhnliche vorgefallen wäre.

»Und die Frau mit dem Schlüssel?« rief lächelnd Squire Dayton.

»War der beste Einfall, den ich je gehabt habe«, bemerkte der Yankee, ohne eine Miene zu verziehen. »Mrs. Breidelford hätte uns sonst noch den ganzen Abend Selbstbiographien und geschichtliche Abrisse aus dem Leben ihres ›lieben seligen Mannes‹ zum besten gegeben.«

Hätte die arme, in Schweiß fast gebadete Mrs. Luise Breidelford das Gelächter hören können, das in diesem Augenblick die Spiegelfenster des kleinen freundlichen Zimmers erzittern ließ, und die Ursache desselben gewußt, ihr Zorn hätte keine Grenzen gekannt. Unaufhaltsam stürmte sie, den unglücklichen Mulattenknaben im Schlepptau, der eigenen bedroht geglaubten Wohnung zu, und geheimnisvolle, düstere Worte waren es, die sie dabei vor sich hinmurmelte.

Die kleine, jetzt von ihrer lästigen Gegenwart befreite Gesellschaft rückte indessen in der besten Laune von der Welt dichter um den Tisch herum, und selbst James verlor zum großen Teil seine frühere Scheu. Die allgemeine Fröhlichkeit hatte ihn den Frauen nähergebracht, und er gestand nun in aller Unschuld, daß er zu Tode erschrocken sei, als Mrs. Breidelford die Einladung, die doch eigentlich nur den beiden Damen des Hauses gegolten, so ganz ohne weiteres auf sich bezogen und angenommen habe. »Daheim«, sagte er, »werden sie schön schauen, wenn sie ihre Drohung wahr macht; denn böse Geschichten sind es, die über die Frau erzählt werden.«

»Weiß auch der liebe Gott, wie wir zu der Ehre ihres Besuches kommen«, meinte Mrs. Dayton. »Das ist nun schon das dritte Mal, daß sie uns aufgesucht hat und bis spät in die Nacht dableibt, ohne daß wir je einen Fuß über ihre Schwelle gesetzt oder sie auch nur gebeten hätten, ihren Besuch zu wiederholen. Was will ich aber machen? Sie kommt, setzt sich her, quält uns stundenlang mit ihren schrecklichen Erzählungen und borgt beim Weggehen gewöhnlich noch eine Menge Kleinigkeiten, wie Nadeln, Seide, Stückchen Leinenzeug oder Küchengeschirr und sonstige Sachen, die sie ebenso regelmäßig wiederzuschicken vergißt.«

»Ich kann wohl gestehen«, sagte Smart, »daß ich erstaunt war, sie hier in Ihrer Gesellschaft zu finden. Mrs. Breidelford genießt in Helena nicht einmal mehr einen zweideutigen Ruf, und das will viel sagen. Die wirklich wenigen Guten, die noch hier sind, haben sich nicht allein von ihr zurückgezogen, sondern ihr sogar das Haus verboten. Auch Mrs. Smart hatte eines schönen Morgens ein sehr lebhaftes und für Mrs. Breidelford keineswegs schmeichelhaftes Gespräch mit dieser Dame, das seitens meiner Frau von dem oberen, seitens jener Lady von dem unteren Teil der Veranda geführt wurde, zu welchem sie durch den Neger aus dem Hause begleitet worden war. Allerdings behauptete in diesem Zungenkampf Mrs. Breidelford das Feld, denn sie wurde von einem sehr großen und sehr zerlumpten Teil des jungen Helena unterstützt und verblieb noch mit eingestemmten Armen und äußerst roten Gesichtszügen eine ganze Weile auf ihrem eingenommenen Posten, während ich Mrs. Smart, freilich nicht ohne bedeutenden Widerstand, hinterrücks und immer noch nach außen hin eifernd, in das Haus zurückzog. Seit der Zeit hat sie natürlich unsere Wohnung nicht wieder betreten dürfen, scheint aber den Groll darüber keineswegs bis auf mich ausgedehnt zu haben; denn sie war heute abend ungemein, ja fast auffällig freundlich und zuvorkommend gegen mich.«

»Ich glaube, man tut dieser Mrs. Breidelford, so wenig ich sie auch selbst persönlich leiden kann, doch unrecht«, nahm hier der Squire das Wort. »Ich kenne so ziemlich alles, was an Gerüchten über sie im Umlauf ist, und habe sie scharf beobachtet und beobachten lassen. Das einzige jedoch, dessen ich sie in Verdacht habe und was wirklich straffällig wäre, ist der geheime Verkauf von Whisky an Neger. Zeigt sich das als begründet, so werde ich sie auch deshalb, wie es ja als Richter meine Pflicht ist, in Strafe nehmen, und weder ihre Freundschaft noch ihr Haß sollen mich daran hindern. Lieb wäre es übrigens auch mir, wenn sie uns mit ihren Besuchen verschonen wollte; doch – Sie wissen, wie das hier in Arkansas ist. Wollte man es den Leuten förmlich verbieten, die ganze Stadt schriee dann über Stolz und Hochmut. Da unterzieht man sich lieber dem kleineren Übel und hat dafür mit weniger Unannehmlichkeiten und bösem Willen zu kämpfen.«

»Ja, Squire«, sagte James und schämte sich schrecklich, hier vor den beiden Damen das Wort zu nehmen, »das mag ganz gut sein, so lange es sich auf arme, einfache Leute bezieht. Wenn aber bei uns auf dem Lande draußen jemand einmal als schlecht erkannt ist und man gibt sich dann nicht mit ihm ab, dann wirft einem das kein Mensch mehr vor – meine ich.«

»Mr. Lively hat ganz recht, Dayton«, fiel hier Adele lebhaft ein, – »mit solcher Frau würde ich auch keine Umstände weiter machen. – Was kann sie uns denn tun, wenn wir ihr das Haus verbieten? Und wir würden dadurch eine Pein los, die manchmal wirklich kaum zu ertragen ist. Nun, Mr. Lively wird es noch bereuen, uns eingeladen zu haben.«

»Miß Adele –« stotterte James und erfaßte mit beiden Händen fest und krampfhaft den unteren Teil seines Stuhls, als ob er sich einen Zalm ausziehen lassen wollte, – »Mutter wird – Sie können gar nicht glauben, wie – ich wollte sagen – versuchen Sie's nur, kommen Sie nur einmal heraus – und wenn's auch nicht draußen so schöne Blumen gibt wie –« um sein Leben gern hätte er »wie Sie« gesagt, aber es ging nicht – es ging wahrhaftig nicht. Die Worte staken ihm, Harpunen gleich, in der Kehle, und er brachte sie nicht heraus.

»Wie hier, Mr. Lively?« lachte Adele, die das ›wie‹ auf Helena bezog oder ihm doch wenigstens schnell damit in die Rede fiel. – »Wie hier? Ach, du lieber Gott, hier sieht's mit Blumen trüb und traurig aus; denn der Wald in der ganzen Nachbarschaft herum ist zerstampft und zertreten, und selbst den Bäumen scheint der ewige Qualm und Rauch und das wilde, rohe Toben der Menschen nicht zu behagen. – Sie sehen in der Nähe der Stadt häßlich und krank aus, während sie weiter davon entfernt viel frischere, lebendigere Farben, viel würzigeren Duft zu haben scheinen.«

»Ach Miß, Sie sollten nur jetzt einmal sehen, wie schön, wie herrlich es bei uns ist!« rief Lively, dem der Gedanke an seinen Wald frischen Mut gab, wenn er auch nicht wagte, dem jungen Mädchen zu sagen, wen er vorhin mit den Blumen gemeint habe. »Es ist ja nirgends herrlicher in der Welt als im Walde draußen, und ein Morgen, ein Sonnenaufgang unter den frischen, tauigen Blättern wiegt ein ganzes Jahr von dem häßlichen Treiben der Städte auf. Die wilden Tiere und Vögel wissen das auch recht gut. – Dorthin, wo es am heimlichsten, am ungestörtesten ist, dahin flüchten sie sich, und wo kein menschliches Auge sie erreichen kann, da spielt die Hirschkuh mit dem Kalb, und die munteren Sänger schlagen die herrlichsten Triller dazu und singen so lange und so wunderschön, bis die Blätter ordentlich anfangen unruhig zu werden und zu tanzen.«

»Ei, sieh da, Mr. Lively« – lächelte Squire Dayton, während er sich ein schmales Stück Kautabak abschnitt und das übrige an Jonathan Smart hinüberreichte, – »ob er uns am Ende nicht noch poetisch wird! – Haben Sie schon einmal Verse gemacht?«

»Ich?« rief James und sah jetzt erst zu seinem grenzenlosen Entsetzen, daß die Augen der ganzen Gesellschaft auf ihm allein gehaftet hatten, – »ich – nein – im Leben nicht«, und seine Hände griffen vergebens nach ihrem früheren, im Eifer des Gesprächs verschmähten Anhaltepunkt.

»Mr. Smart soll aber schon Verse gemacht haben«, sagte Mrs. Dayton und suchte durch diese Wendung dem armen Burschen aus der Verlegenheit zu helfen.

Jonathan Smart blickte Mrs. Dayton von der Seite an.

»Ein Yankee und Verse machen?« sagte er endlich schmunzelnd und nahm sein linkes Knie zwischen beide Hände. »Prächtige Idee das. Nein, Mrs. Dayton, damit befasse ich mich weniger; Verse bringen nichts ein. Und doch – so komisch Ihnen das auch vorkommen mag, ich habe wirklich einmal ein Gedicht gemacht, und zwar an meine Alte, als wir noch Brautleute waren.«

»O bitte, bitte, Mr. Smart, das Gedicht müssen Sie uns einmal zeigen«, bat Adele. »Ich lese so ungemein gern Gedichte.«

»Und solche besonders«, lächelte der Wirt, »nicht wahr, wo man sich vor Lachen dabei recht ausschütten kann? Ih nun, wenn ich es noch hätte, wäre mir's recht. – Später mußte ich selbst darüber lachen.«

»So haben Sie es vernichtet?«

»O nein, im Gegenteil, das ist in den Händen derjenigen, an die es gerichtet war.«

»In Mrs. Smarts Händen?«

»Zu dienen, und wird jetzt etwa in derselben Art wie die schlecht geschleuderten Wurflanzen der Indianer von der nämlichen Person, den oder die es hätte treffen sollen, als Waffe gegen den Absender gebraucht.«

»Das ist ein Rätsel«, sagte Mrs. Dayton.

»Aber leicht zu lösen«, fuhr der Yankee fort. »Ich machte nämlich in einer ungewöhnlich schwärmerischen Stunde – nicht wahr, Mr. Lively, Sie haben deren auch manchmal? – ein Gedicht auf die damalige Miß Rosalie Heendor. Darin pries ich denn, wie das in solchen Gedichten gewöhnlich geschieht, nicht allein ihre unvergleichliche Schönheit und Liebenswürdigkeit, wobei ich die einzelnen Reize unter den Rubriken Alabaster, Perlen, Elfenbein, Sterne, Sammet, Rosen Veilchen usw. besonders aufführte, sondern ich bekannte auch mit einer wirklich alles hintenansetzenden Bescheidenheit und – Unvorsichtigkeit – meinen eigenen Unwert, ein solches Ideal zu besitzen; hielt aber am Schluß nichtsdestoweniger sehr ernstlich um dessen Hand an. So weit ging die Sache gut; Miß Rosalie war nicht von Stahl und Jonathan Smart damals noch ein ganz reputierlicher junger Bursche, der seine sechs Fuß zwei Zoll in seinen Strümpfen stand. Mehrere Jahre hatten wir auch ruhig und vergnügt miteinander gelebt, und mir war das Gedicht und dessen Inhalt natürlich ganz und gar entfallen. Da geschah –«

»Ein Brief an Squire Dayton«, sagte Nancy, die in diesem Augenblick die Tür öffnete und ein leicht zusammengefaltetes Papier hereinreichte.

»Wer hat es gebracht?« fragte der Squire.

»Der Mailrider«, erwiderte die Mulattin, »er sagte, es hätte Eile!«

Squire Dayton öffnete das Schreiben und drehte sich damit nach dem Licht herum, um es besser lesen zu können; Jonathan aber, der während der Unterbrechung einen Augenblick stillgeschwiegen hatte, fuhr jetzt ruhig in seiner Erzählung fort, und zwar, nach seiner gewöhnlichen Art, gleich mit dem Wort, bei welchem er stehengeblieben war:

»– es einst, daß Mr. und Mrs. Smart, wie das bei Eheleuten wohl manchmal vorfällt, einen kleinen Wortwechsel hatten, in welchem der Gentleman seiner Lady hinsichtlich ihrer persönlichen Eigenschaften einige vielleicht nicht gerade schmeichelhafte Bemerkungen machte. Darauf schien diese übrigens vorbereitet; denn plötzlich und ohne alle vorherige Warnung tauchte jetzt nichts anderes als das längst verjährte Gedicht auf, und mit lauter, ja immer lauterer Stimme, je mehr ich dagegen protestierte, wurde mir der mit meinen gerade gebrauchten Worten allerdings etwas im Widerspruch stehende Inhalt triumphierend vorgelesen. Diese Szene hat sich seitdem einige Male wiederholt, und wenn man nach derartigen Erfahrungen berechtigt ist, die Jugend zu belehren und vor Mißgriffen zu warnen, so möchte ich dem hier anwesenden jungen James Lively allerdings sehr dringend empfehlen, keine Gedichte solchen Inhalts der jungen Dame zu übersenden, die er dereinst als ehrbare Hausfrau heimzuführen gedenkt. Schon gewählt?« Und die Frage traf den, an den sie gerichtet war, so plötzlich, daß er erschrocken auf seinem Stuhl zusammenfuhr. Mr. Dayton selbst ersparte ihm aber diesmal eine Antwort; denn er stand schnell auf, ging zum Fenster und blickte hinaus, sah nach der Uhr und sagte dann: »Liebe Frau, ich bekomme hier eben höchst fatalerweise einen Brief, daß ich heute abend noch einen Schwerkranken besuchen muß.«

»Hier in Helena?« fragte Mrs. Dayton besorgt.

»Nein, leider nicht«, sagte der Squire, »zehn Meilen im Lande drin. Da werde ich denn allerdings vor morgen früh, wenn das überhaupt der Zustand des Patienten erlaubt, nicht wieder hier sein können. Höre, Nancy, sage doch Cäsar, daB er mein Pferd sattelt und aufzäumt.«

Mrs. Dayton seufzte tief auf. »Ach, George«, flüsterte sie traurig, »es ist ja wohl recht gut für dich, daß deine Fähigkeiten so in Anspruch genommen werden, aber ich weiß nicht, ich wollte doch, du könntest ein wenig mehr zu Hause bleiben. Die häufigen Nachtritte müssen ja auch deine eigene Gesundheit ruinieren.«

»Sei unbesorgt«, lächelte der Gatte und zog den Oberrock an, den auf seinen Wink Nancy unterdessen gebracht hatte. »Schaden tut es mir sicher nicht, aber ich bliebe auch lieber bei euch; doch was will ich machen? Soll ich die Kranken, die mir nun einmal vertrauen, in Angst und Sorge liegen lassen, weil ich mich nicht gern in meiner Bequemlichkeit gestört sähe? Mir tun sie leid, die Armen, da ja überhaupt die Heilkunde des ganzen Staates fast nur in den Händen von Quacksalbern ist.«

»Da hat der Squire wohl recht«, sagte Jonathan, »eine Wohltat ist es, für die man nicht genug dankbar sein kann, wenn man imstande ist, einen ordentlichen Arzt zu bekommen. Doch, aufrichtig gesagt, möchte ich der nicht sein, der nie weiß, ob er sich am Abend ruhig in sein Bett legen kann oder nicht. Mit der Bezahlung dafür sieht es nachher auch immer windig genug aus. – Wer ist denn krank?«

»Der Deutsche, der sich erst vor kurzem dort angesiedelt hat«, sagte der Richter, »Brander heißt er, glaube ich.«

»Aha – kaltes Fieber wahrscheinlich; nun, das ist nicht so gefährlich. Doch ich höre das Pferd unten kommen; also, Ladies, ich werde mich jetzt ebenfalls empfehlen. Mr. Lively, gehen Sie auch mit, oder bleiben Sie noch bei den Damen?«

»Nein, bewahre«, – sagte James schnell und erschrak doch auch gleich darauf wieder über die Ungezogenheit. – »Es wird sonst zu spät. – Reiten wir einen Weg, Mr. Dayton?«

»Schwerlich«, erwiderte der Richter, während er sich den linken Sporn anschnallte, – »ich reite den Fußpfad, der nach Bailys hinüberführt. Es ist etwas näher.«

»Da müssen Sie aber durch den Sumpf unten«, sagte James. »Das ist ein Weg, wo man jetzt kaum am hellen Tag durchkommt.«

»Hat nichts zu sagen«, lächelte der Squire, »ich kenne da jeden Zoll Landes und habe mir erst neulich das überhängende Rohr ein bißchen aus der Bahn gehauen. Also gute Nacht, Kinder, gute Nacht. Morgen früh, hoffe ich, trinken wir wieder zusammen Kaffee, und dann kann ich mich ordentlich ausruhen.«

»Ladies«, sagte Lively und machte, ohne Adele dabei auch nur von der Seite her anzusehen, eine tiefe Verbeugung vor Mrs. Dayton, – »darf ich also den Eltern sagen, daß Sie morgen kommen werden?«

»Das und noch viele, viele Grüße an die Mutter«, erwiderte Mrs. Dayton freundlich und reichte dem jungen Mann die Hand. Der drückte sie herzlich, ließ sie aber in aller Verlegenheit auch gar nicht wieder los, da er im Geist jetzt ebenfalls eine Anrede an Miß Adele vorbereitete. Mrs. Dayton mochte jedoch eine Ahnung von dem haben, was in James' Seele vorging, denn sie sagte lächelnd:

»Und darf ich also Adele auch mitbringen?«

James drückte ihr die Hand, daß sie hätte aufschreien mögen, fuhr dann aber schnell zurück und sagte, rot wie Blut:

»Miß Adele wird sich freilich draußen gewaltig langweilen.«

»Dann soll ich vielleicht hier bei Mrs. Breidelford bleiben?« fragte das schelmische Ding.

»Miß! –« stotterte James.

»Nun, wird's, Lively?« rief Smart schon von der Haustür aus; – »Euer Pferd steht auch hier.«

»Wir kommen also beide, Mr. Lively, – bestimmt«, lächelte Mrs. Dayton, und James, dem Nancy indes seinen lang gesuchten Hut gebracht hatte, sprang mit einem fröhlichen »Gute Nacht zusammen!« die Treppe hinab und unten mit einem Satze in den spanischen Sattel des munteren Ponys, das ihn dort freudig wiehernd begrüßte.

Wenige Sekunden später sprengten Dayton und Lively auf zwei verschiedenen Wegen fort. Smart aber drückte sich den Hut fest in die Stirn, schob beide Hände tief, tief in seine Beinkleidertaschen und schritt dann, höchst selbstzufrieden vor sich hinpfeifend, die Straße hinab. Indessen ging er nicht gleich dem eigenen Hause zu, denn die Ruhe der Stadt verbürgte ihm dessen Sicherheit, sondern erst einmal zu der Flatbootanlegestelle des Flusses, wo etwa zwölf oder dreizehn jener langen, unbehilflichen Fahrzeuge angebunden waren. Die Boote hingen nur an Tauen fest, waren aber durch breite Planken mit dem Land verbunden, denn sie dienten auch als schwimmende Kaufläden, in denen die Bewohner der südlichen Staaten die Erzeugnisse des Nordens erwerben konnten.


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