Friedrich Gerstäcker
Die Flußpiraten des Mississippi
Friedrich Gerstäcker

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Kapitel 18

Edgeworth' Steuermann trieb den ganzen Freitag morgen, daß sie abfahren sollten, und drohte mit Wettern und Nebel. Edgeworth aber, der in den Wolken nichts sah, was Wetter verkündete, und die gewaltigen Nebel des südlichen Mississippi noch gar nicht kannte, also auch nicht fürchtete, hatte einen Freund, einen früheren Nachbarn aus Indiana angetroffen und mit diesem in Smarts Hotel drüben ein Stündchen verplaudert. Smart selber saß dabei, das eine Bein hoch heraufgezogen und mit beiden Händen haltend, und hörte den Erinnerungen der beiden alten Leute zu, die sie nicht allein auf Jagd und Wald, sondern auch auf die wilden Kriege mit den Indianern, auf Präriekämpfe und die nächtlichen Hinterhalte jener dunklen Rasse zurückführten.

Da trat endlich Blackfoot ins Zimmer und mahnte dringend zum Aufbruch. Er habe, wie er sagte, die Güter gleich morgen früh zu versenden und müsse bestimmt darauf dringen, jetzt abzufahren, damit sie noch vor Tagesanbruch an Ort und Stelle kämen. Hierin pflichtete ihm der Indianamann selber bei, indem er versicherte, sie hätten keinen Augenblick mehr zu verlieren, wenn sie noch rechtzeitig Viktoria erreichen wollten. Der Steuermann Bill, der einige Minuten nach Blackfoot, ohne sich aber um die übrigen zu kümmern, zum Schenktisch getreten war, fragte jetzt den alten Edgeworth, ob er noch heute morgen abfahren wolle, sonst ginge er gern einmal ein Viertelstündchen vor die Stadt, wo ein alter Schiffsgefährte von ihm wohnen solle.

»Nein, Mann!« rief Blackfoot schnell dazwischen. »Das geht unmöglich mehr. – Ihr habt die ganze Nacht Zeit dazu gehabt. Entweder wir fahren jetzt, oder ich kann die ganze Ladung nicht brauchen.«

»Ei nun, meinetwegen«, brummte der Steuermann und trank sein Glas auf einen Zug aus, drückte sich den Hut trotzig in die Stirn und verließ Ärger heuchelnd das Zimmer.

»Unfreundlicher Geselle«, sagte der vermeintliche Kaufmann, als er dem Bootsmann nachblickte. »Habt Ihr den schon lange an Bord?«

»Ja, von Indiana aus«, erwiderte Edgeworth, »und ich weiß nicht, was mir den Menschen so verhaßt gemacht hat; doch wir sind ja bald geschieden. Er ist übrigens ein wackerer Steuermann und versteht seine Sache; den Fluß kennt er wie ich meine Tasche, und mein Boot hat er bis dahin wacker und gut geführt. Aber, wie gesagt, ich will froh sein, wenn ich von ihm los bin; sein Blick hat für mich etwas Abstoßendes, das ich nicht überwinden kann. Apropos, Landlord«, wandte er sich da plötzlich an den Wirt, der indessen Blackfoot von der Seite mit flüchtigem Blicke maß, »hat denn der Büchsenschmied mein Schloß hergeschickt? Er versprach es wenigstens.«

»Ja, die Büchse steht da drin«, sagte Smart, ohne seine Stellung zu verändern. »Francis, reiche einmal das lange Schießeisen heraus, an dem Toby erst herumgearbeitet hat.«

»Habt Ihr ihm die Reparatur bezahlt?« fragte Edgeworth.

»Ja«, erwiderte der Barkeeper, »es war ein halber Dollar. – Er sagte, die Feder wäre zerbrochen und die ganze Nuß hätte drin gefehlt; Ihr müßtet sie einmal auseinandergenommen und die Nuß verloren haben.«

»Unsinn!« rief der Alte. »Ich habe die Büchse, seit ich sie abschoß, auswischte und wieder lud, nicht angerührt, Tom ebensowenig, denn der hat seine eigene. Weiß der Henker, wie die Nuß herausgekommen sein kann! Nun, meinetwegen; – sie schießt doch jetzt wieder. Da kann ich auch gleich den Schuß herausbrennen, der noch im Rohr steckt, und einen anderen hineinladen. Wo schießt man denn hier wohl am sichersten hin?«

»Ei nun, am sichersten gar nicht«, meinte Smart; »eigentlich ist's auch in der Stadt verboten, wir nehmen's aber nicht immer so genau. Schießt nur hoch! Seht, da oben sitzt ein Specht an dem trocknen Stumpf, ganz hoch, gerade über dem rechts hinausstehenden Aste; seht Ihr ihn? Ihr könnt Euer Gewehr da an den Pfosten anlegen.«

Edgeworth war indessen, mit der Büchse im Anschlag, vor die Tür getreten und blickte scharf zu dem bezeichneten Gegenstande auf.

»Anlegen?« sagte er dabei lachend. – »Auf neunzig Schritt anlegen? Das fehlte auch noch. Wenn das Schloß ordentlich Feuer gibt, könnt Ihr den Specht holen.« Er hob rasch die Büchse, zielte einen Augenblick, und mit dem Krach des Gewehrs fast zuckte das arme, kleine Tier hoch empor und stürzte dann dicht am Stamme herab auf die Erde.

»Es geht ja noch«, lächelte der alte Mann, während er die Büchse neben sich niederstellte und aus der umgehängten Kugeltasche den Krätzer nahm, um sie erst ordentlich wieder auszuwischen. »Da man aber nicht mehr auf Indianer zu schießen braucht, schießt man Spechte, das ist so der Welt Lauf. Der Mensch ist wenn nicht das größte, doch sicherlich das gefährlichste Raubtier; – er mordet zum Vergnügen. Doch mein Handelsmann da wird ungeduldig. – Geht nur voraus, guter Freund! Ich lade bloß meine Büchse, bezahle meine Rechnung und bin gleich unten.«

Blackfoot schien damit zufrieden, bat ihn nur noch einmal, nicht lange mehr zögern, und verließ das Zimmer. Als er aber die Tür hinter sich zugedrückt hatte, wandte sich Smart an Edgeworth und fragte ihn: »Kennt Ihr den da schon von früher?«

»Nein, – weshalb?«

»Wie seid Ihr denn dazu gekommen, den Handel mit ihm abzuschließen?«

»Wie? Ei nun, ich fand ihn hier im Union-Hotel, Ihr wart ja selbst dabei. Bill hat ihn irgendwo in der Stadt getroffen.«

»Bill? Wer ist Bill?«

»Mein Steuermann!«

»So?« sagte der Wirt nach ziemlich langer Pause und fing an, das Knie, das er wieder zwischen den Händen hielt, hin- und herzuschaukeln. – »So? – Also Bill hat Euch den rekommandiert. Hört einmal, Mr. Edgeworth, der Bursche gefällt mir nicht.«

»Weshalb?« lachte der Alte. »Weil er nicht wie ein Handelsmann aussieht? Ei, laßt Euch das wenig kümmern. Unsere indianischen Händler sind immer mehr Krieger und Jäger als Kaufleute und müssen ihre Waffen so gut wie ihre Gewichte zu führen wissen.«

»Aber die beiden verstehen sich miteinander«, sagte Smart.

»Wer? Der Kaufmann und Bill? – Hm, das ist wohl kaum möglich. Der Mann hat mir treffliche Preise geboten und einen Teil sogar schon als Draufgeld bar ausgezahlt.«

»Ich sah, wie sie Blicke wechselten«, versicherte Smart, indem er aufstand, »und müßte mich sehr irren, wenn sie nicht wenigstens bekannter miteinander sind, als sie hier anzugeben scheinen. Habt lieber acht, es gibt gar nichtsnutziges Volk am Flusse, und besonders Helena weiß eine Gechichte davon zu erzählen. Auf Eure Leute könnt Ihr Euch doch verlassen? Denn ein Fremder hat hier unten gerade nicht viel Hilfe zu erwarten.«

»Ei, gewiß kann ich das«, sagte der alte Mann, »mehr jedoch verlasse ich mich auf mich selber; es hat übrigens keine Not. So klug ist der alte Edgeworth auch noch, daß er sich nicht von bloßem Gesindel freizuhalten wüßte. Aber was ich noch sagen wollte, Mr. Smart, eine junge Frau hier, die von irgend jemandem erfahren haben muß, daß ich in Viktoria landen will, hat mich gebeten, sie und ihre Sachen mit an Bord dorthin zu nehmen, eine gewisse Mrs. – Mrs. – Everett, glaube ich. Sie will von Helena fortziehen, um sich, wenn ich nicht irre, in Viktoria niederzulassen. – Ist das eine ordentliche Frau?«

»Ei gewiß, Sir«, rief Smart eifrig, »ein braves wackeres Weib, dessen Bräutigam erst kürzlich im Flusse verunglückte; ich kaufte sein Land. Ich habe ihr alle nur mögliche Hilfe angeboten, sie weigert sich aber hartnäckig, auch nur die geringste Unterstützung anzunehmen. Und sie will wirklich nach Viktoria ziehen?«

»Ja, so sagte sie aus; doch ich muß wahrhaftig fort. Also, Good bye! Sollte ich Tom Barnwell verfehlen und er wieder hierher nach Helena kommen, so sagt ihm, er möchte nur gleich wieder zurückfahren. Werde ich mit dem Ausladen früher fertig, nun so warte ich auf ihn, bis er kommt.«

Damit warf sich der alte Mann die Büchse auf die Schulter, reichte dem Wirt noch einmal die Hand zum Abschied und schritt zum Flusse hinab, wo eben auf einer sogenannten Dray, einer Art zweirädrigem Güterkarren, die wenigen Habseligkeiten Mrs. Everetts angefahren kamen. Die junge Frau ging neben ihnen her. Es war eine schlanke, schöne Gestalt, von Kopf bis zu Fuß in Schwarz gehüllt, aus dem das bleiche, gramgedrückte Schmerzensantlitz gar traurig mit den großen blauen Augen herausblickte. Das hellkastanienbraune Haar quoll ihr dabei in vollen Locken aus dem enganschließenden Kopftuch hervor, und manchmmal noch fuhr sie sich wie verstohlen über die blassen Wangen nach den rotgeweinten Augen hinauf, als ob sie da jede ungehorsame Träne, die sich trotz allen festen Willens unter den langen Wimpern vorstehlen wollte, gleich auf frischer Tat zu ertappen und fortzunehmen gedenke.

Der Karren hielt an der Flatbootlandung, dicht vor Edgeworth' Boot, und der Mann, der Peitsche und Hut zu Boden warf, wollte eben einen Teil seiner Ladung über die schmale Planke an Bord tragen, als sich ihm hier Bill, der Steuermann, in den Weg stellte, und ihn mit einem herzhaften Fluche fragte, was er da noch für Packen und Passagiere an Bord bringe; – sie hätten keine Fähre und brauchten keine Gesellschaft weiter.

»Laßt's nur sein, Bill!« sagte Edgeworth, der gerade oben von der Uferbank herabschritt. – »Wir setzen die Lady in Viktoria an Land. – Es ist schönes Wetter, und die Sachen können oben an Deck bleiben.«

Der Steuermann trat brummend beiseite; der Fluß schien aber seine Aufmerksamkeit jetzt mehr in Anspruch zu nehmen als das Land. Den Mississippi herunter trieben gerade sechs oder sieben Ohioboote – als was sie das geübte Auge der Bootsleute bald erkannte –, und dem ruhigen Aussehen der an Bord Befindlichen nach mußten sie auch gar nicht gesonnen sein, hier zu landen. Oben an Deck ausgestreckt lagen die meisten der Männer höchst behaglich in der ziemlich heiß niederbrennenden Sonne, und nur an der hintersten langen Steuerfinne lehnte der Lotse, beide Arme rechts und links hinausgelegt über das baumlange Holz, und schaute gemächlich nach der kleinen Stadt hinüber.

»Nun, da finden wir Gesellschaft«, meinte Edgeworth. »Schnell, Ihr Leute, nehmt die Sachen an Bord! Wenn wir uns ein bißchen scharf in die Ruder legen, können wir die da drüben wohl noch einholen.«

Damit schien aber der Steuermann nicht besonders einverstanden und meinte, sie hätten nicht gar zu weit von Helena eine Insel mit ziemlich schmalem Fahrwasser zu passieren, durch das sie aber wohl acht Meilen Biegung abschnitten. Wären dann viele Boote beisammen, so geschähe es nicht selten, daß sie einander auf versteckte Snags trieben. Sie wollten deshalb die Boote immer vorausfahren lassen, und wenn sie nicht ganz vortreffliche Lotsen an Bord hätten, gedächte er ihnen vor Viktoria den Weg schon wieder abzuschneiden.

Blackfoot stimmte ihm darin bei, und die Leute trugen eben die letzten Sachen an Bord, denen Mrs. Everett gerade folgen wollte, als diese auf eine ebenso unerwartete wie gewaltsame Weise daran verhindert werden sollte.

Mrs. Breidelford nämlich war die Mainstreet herabgekommen und erkannte dort die schwarzgekleidete Gestalt der jungen Witwe, die, wie sich nicht verkennen ließ, mit all ihrer Habe in Begriff war, Helena zu verlassen. – Einer Rachegöttin nicht unähnlich – sofern man sich nämlich Rachegöttinnen in einem höchst altmodischen, verblichenen Seidenhut mit künstlichen Blumen, einem hochroten, großen Umschlagetuch, gelb und grünem Kattunkleid und ledernen Schuhen mit Kreuzbändern denken kann, fuhr sie da plötzlich auf die wirklich erschreckte Frau ein, faßte sie am linken Handgelenk und schüttete nun eine solche Flut von Schimpf- und Drohwörtern über sie aus, daß die unglückliche Frau nur noch bleicher wurde und sich zitternd dem Griffe der Wütenden zu entziehen suchte.

Diese aber wurde dadurch noch mehr erbost, hob drohend die geballte Rechte gegen sie empor und rief mit vor innerer Bosheit fast erstickter Stimme: »So? Fortlaufen will sie, diese Kreatur? Fortlaufen wie ein Dieb in der Nacht? Oh, wo seid Ihr denn die letzten zwei Tage überhaupt gewesen, Madame? Wo hat man sich denn, solange es hell war, heimlich aufgehalten, um nachts, in Dunkelheit und Nebel, fremder Leute Schlösser zu probieren und durch fremder Leute Schlüssellöcher zu gucken?«

»Um Gottes willen, – befreien Sie mich von der Rasenden!« rief Mrs. Everett und sah sich überall nach Schutz und Beistand um. Die Leute aber, die sie rings umstanden, konnten natürlich nicht anders glauben, als daß die junge schöne Frau auch wirklich ein ganz absonderliches Verbrechen verübt haben müsse, wenn sie solcher Art auf öffentlicher Straße angehalten wurde, und scheuten sich, da, wo allein das Gesetz entscheiden konnte, dazwischenzutreten.

»So?« rief aber hier wieder, jetzt auch zugleich an ihrer Ehre angegriffen, Mrs. Breidelford aus und rückte sich den ihr immer in das Gesicht rutschenden Blumenhut wohl zum zwanzigsten Mal nach hinten. »So? Eine Rasende bin ich, wohl weil ich auf meinem Recht bestehe und mein Haus nicht nachts von fremden Menschen visiert haben will? Ich bin auch eine einsame Witwe, ich stehe auch allein, mutterseelenallein in der Welt, aber ich betrage mich anständig und zurückhaltend und laufe nicht nachts allein und heimlicherweise in der Stadt herum und anderen Männern nach, daß ich um jeden Bootsmann trauern müßte, der im Mississippi ersäuft. Luise, sagte mein Seliger immer Luise, du –«

»Mr. Edgeworth«, bat die zur Verzweiflung getriebene Frau, »schützen Sie mich vor dieser Wahnsinnigen! Sie bringt mich um.«

»Zurück da, Master Eschhold, oder wie Sie sonst heißen mögen!« rief diesem aber die erzürnte Dame entgegen. »Laufe einmal einer von euch zum Richter! – Squire Dayton soll einmal herkommen, – gleich! – Der Konstabler soll her! – Da drüben stehen ihre Sachen; – Stück für Stück muß sie auspacken. Ich will doch sehen, was sie nachts an meinem Schlosse zu probieren hat; ich will doch sehen, ob ordentliche Bürgersfrauen turbiert und geängstigt werden sollen, daß sie abends nicht einmal bei Freunden eine Tasse Tee ruhig trinken können. Wo ist der Konstabler, sage ich!«

»Großer Gott, ist denn niemand hier, der sich eines armen Weibes annimmt?« rief die junge Frau.

Bill und Blackfoot hatten heimlich lachend die ganze Szene beobachtet. Der Aufenthalt kam ihnen überdies höchst gelegen, denn dadurch gewannen die anderen Boote einen Vorsprung, und nach allem, was sie sahen, glaubten auch sie natürlich, die gute Dame habe das junge Frauenzimmer auf irgendeiner bösen Tat ertappt und wolle sie nun dafür vor Gericht ziehen. Edgeworth aber, der Menschenkenntnis genug zu haben glaubte, in dem bleichen, edlen Antlitz der einen nichts Schlechtes und Unehrenhaftes, dagegen alles nur mögliche Widerliche in dem ihrer Anklägerin zu lesen, brach die Sache kurz ab, erfaßte Mrs. Breidelfords Arm und zwang sie, während er ihr das Handgelenk fest zusammenpreßte, Mrs. Everetts Arm loszulassen. Dabei schüttelte er jedoch der darüber empörten und laut aufschreienden Frau herzlich und nachdrücklich eben dieselbe Hand, erklärte ihr, daß jene Dame sein Passagier sei und die Fahrt nicht versäumen dürfe, reichte Mrs. Everett den eigenen Arm und führte diese nun, während seine Leute dicht hinter ihm der nachstürmenden Witwe Breidelford den Weg vertraten, rasch auf sein Boot, wonach die Planken schnell eingezogen und die Taue gelöst wurden. Die übrige Mannschaft sprang an Bord, und die ›Schildkröte‹ löste sich langsam von den übrigen Fahrzeugen ab.

Im Anfang trieb das breite, gewaltige Boot dicht an der Flatbootlandung nieder und drohte, auf einen unten angeschwemmten Baum aufzulaufen. Dann aber, als die Leute erst rasch die langen Finnen in ihre eisernen Halter gestoßen und Raum gewonnen hatten, um mit diesen mächtigen Rudern ordentlich auszugreifen, gehorchte auch das sonst so schwerfällige Fahrzeug dem Steuer. Mit dem Bug langsam der Mitte des Flusses zustrebend, arbeitete es sich weiter und weiter von der gefährlichen Stelle weg, bis es, über jenen Platz hinaus, die eigentliche Strömung erreicht hatte, die es in gerader, südlicher Richtung der schon früher erwähnten runden Weideninsel zuführte.

Wer beschreibt aber die Wut Luise Breidelfords, als sie sich ihr Opfer so plötzlich und ganz hoffnungslos entrissen sah. Sie war nämlich, Gott weiß weshalb, zu der unumstößlichen Überzeugung gelangt, daß Mrs. Everett jene Frau sein müsse, die nach Mr. Smarts Aussage vor einigen Abenden ihr Haus umschlichen und versucht hatte, mittels Nachschlüssels ihre Tür zu öffnen. Einige Gegenstände, die sie wohl verlegt haben mußte oder sonst nicht finden konnte, bestärkten sie noch mehr darin, und sie hatte jetzt wirklich nichts Eiligeres zu tun, als zu Squire Daytons Haus zu laufen und allen Ernstes die Gerechtigkeit anzurufen, damit jenes Boot aufgehalten und ihr zu ihrem Rechte verholfen würde. Squire Dayton war aber ebensowenig zu Hause wie irgendeine der Damen, wenigstens gab ihr Nancy hierüber die Versicherung aus dem Fenster heraus, ohne sich dabei die Mühe zu nehmen, der sehr erhitzten Lady die Tür zu öffnen. Ihre einzige Hoffnung blieb jetzt der Konstabler. Um aber rasch zu dessen Hause zu kommen, mußte sie, da er an dem anderen und äußersten Ende der kleinen Stadt wohnte, etwa zweihundert Schritt auf einem schmalen Fußwege hin durch ein Dickicht gehen, das hier aus einer früheren Rodung wieder aufgewachsen war. Rasch schlug sie auch diesen Pfad ein und hatte etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt. Eine Eiche war hier quer über die Straße gestürzt, und als sie um diese herum ihre Bahn suchen wollte, trat ihr plötzlich, wie es schien zu beiderseitiger Überraschung, ein Mann entgegen, dessen ganzes Aussehen in diesem etwas abgelegenen und selten betretenen Teile allerdings ein Erschrecken der sonst gerade nicht sehr furchtsamen Dame rechtfertigte.

Die Kleider hingen ihm fast in Streifen vom Leibe; die Haare umstarrten ihm wild den bloßen Kopf, und der Bart mußte wochenlang kein Rasiermesser gefühlt haben. Schweiß und Blut klebten ihm dabei auf Gesicht und Händen, und Mord stand ihm mit fürchterlichen Zeichen auf der Stirn und sprach aus seinen stier, aber mißtrauisch umherschweifenden Augen. »Jesus Maria!« rief Mrs. Breidelford, als der Mann plötzlich vor ihr stand und, gleichfalls überrascht, den Blick fest und prüfend auf sie geheftet hielt. – »Was wollen Sie, Sir? Was sehen Sie mich so stier an, Sir? Ich bin auf dem Wege zum Konstabler; – er wohnt keine zehn Schritte von hier, und der Friedensrichter kommt dicht hinter mir.« Und damit trat sie rasch etwas zur Seite und suchte an der unheimlichen Gestalt vorüberzuschreiten. Der Fremde rührte sich auch gar nicht; er folgte ihr nur mit den Augen. Als sie aber gerade an ihm vorüberschritt und nur noch einmal mißtrauisch den Kopf nach ihm hinwandte, flüsterte er leise: »Mrs. Dawling!«

Wären die wenigen Silben der Bannfluch irgendeines morgenländischen Zaubers gewesen, nach denen Mrs. Breidelford von nun an verdammt sein sollte, drei- bis viertausend Jahre unbeweglich und in der gerade angenommenen Stellung auf einem Platz stehenzubleiben, so hätte die würdige Lady über den einfachen Namen Dawling nicht mehr erschrecken können. Ihre Augen fingen dabei an, sich aus ihren Höhlen zu drängen, so erstaunt und zugleich entsetzt hafteten sie auf dem Manne, der unzweifelhaft ein für sie fürchterliches Geheimnis kennen mußte. Dieser aber schien nicht im mindesten den hervorgebrachten Eindruck zu beachten, außer daß vielleicht ein trotziges Lächeln für einen Moment um seine Lippen zuckte, dann trat er rasch einen Schritt gegen sie vor und flüsterte: »Folgt Euch der Friedensrichter wirklich dicht auf dem Fuße?«

»Nein«, stammelte Mrs. Breidelford und schien noch immer weder zu Atem noch zu völliger Besinnung gekommen zu sein; »nein, – er kommt – er kommt nicht.«

»Desto besser! – Ihr müßt mich verbergen; die Verfolger sind mir auf den Fährten. Im Walde konnte ich den verdammten Schurken nicht mehr entgehen; wie die Indianer spürten sie meiner Fährte nach, und ich mußte mich endlich, als ich die breite Straße traf, auf dieser halten. Vielleicht aber sind sie dicht hinter mir, – jede Minute kann mich in ihre Hände bringen, also macht schnell, – führt mich in Euer Haus!«

»Heiland der Welt, Henry Cotton, so wahr ich wünsche gesund zu bleiben und selig zu werden. Cotton, nach dem ganz Arkansas fahndet. Zu mir wollt Ihr, Mann? In mein Haus? Das geht nicht, das ist unmöglich! Ihr müßt fort.«

»Ich kann nicht weiter«, knirschte der Flüchtling. »Matt und abgehetzt, wie ich bin, würde ich den Verfolgern augenblicklich in die Hände fallen; – ich muß wenigstens einen Tag rasten. Gift und Pest! Über vierzehn Tage werde ich nun schon wie ein Panther gehetzt, zehnmal hatte ich den Rettungsweg vor Augen, den sicheren Hafen fast erreicht, immer und immer wieder wurde ich zurückgetrieben in Elend und Not, immer wieder gejagt und umstellt und auf Mord und Raub förmlich angewiesen. Verbergt mich deshalb in Eurem Hause, bis ich über den Fluß setzen oder vielleicht auch in irgendeinem Boot stromab – ja – wenn es nicht anders möglich ist, bis auf die Insel gehen kann. Ich habe dieses Leben satt und will es nicht länger führen.«

»In mein Haus könnt Ihr nicht, Sir«, rief die Witwe schnell, – »ich bin eine alleinstehende Frau, und wenn –«

»Oh, laßt zum Donnerwetter den Unsinn!« rief Cotton ärgerlich. – »Die Pest über Euer Schwatzen! – Bringt mich in Sicherheit!«

»Es geht wahrhaftig nicht an«, rief die würdige Dame in Verzweiflung; »denkt nur, wenn Ihr in dem Aufzug durch die Stadt und in meine Wohnung gingt, was das für Aufsehen erregen müßte! Die geringste Nachfrage hier nach Euch würde auch Eure Verfolger augenblicklich auf die richtige Spur bringen, wenn sie bei mir Haussuchung anstellten; nein, das darf nicht sein. Bleibt hier im Walde irgendwo versteckt, und ich will Euch heute abend abholen und sicher auf die Insel befördern lassen; mehr kann ich für Euch nicht tun.«

»So? Wirklich nicht?« höhnte Cotton. »Sagt lieber, mehr wollt ihr nicht tun; – aber Ihr werdet wohl müssen. Doch die Zeit drängt, und nochmals sage ich Euch, ich werde verfolgt und bin, wenn Ihr mich nicht verbergt, heute abend noch in den Händen meiner Feinde. Ihr seid jetzt imstande, mich zu retten, tut Ihr es nicht, nun, so mögen auf Euer Haupt noch die Folgen fallen. Glaubt aber nicht etwa, daß ich den Großmütigen spiele und als Märtyrer in Kerker und Ketten verkomme oder gar am Galgen paradiere, während Ihr hier hochnäsig als fromme Lady sitzt. – Ich werde Kronzeuge, und was Euch dann bevorsteht, könnt Ihr Euch etwa denken!«

»Seid Ihr rasend?« rief Mrs. Breidelford erschreckt. »Wollt Ihr mich und uns alle unglücklich machen, Mann?«

»Nein, gewiß nicht; Ihr müßtet mich denn dazu zwingen. Aber in einem Stück habt Ihr recht. – Ginge ich so in die Stadt, wie ich hier stehe, so müßte ich die Aufmerksamkeit aller auf mich ziehen, denen ich begegnete. Geht also und holt mir Kleider! Ihr werdet sie Euch schon zu verschaffen wissen. Ich will indessen hier in diesem kleinen Sassafras-Dickicht liegenbleiben und Eurer Rückkunft harren. Bleibt aber nicht zu lange; wenn ich entdeckt werde, tragt Ihr die Schuld und die Folgen.«

»Wo soll ich denn um Gottes willen die Kleider hernehmen!« rief Mrs. Breidelford erschreckt. – »Ich weiß ja gar nicht –«

»Das ist Eure Sache«, unterbrach sie Cotton und wandte sich gleichgültig von ihr ab; – »denkt aber an Dawling, oder – soll ich Euch vielleicht noch einen anderen Namen nennen? – Ich dächte doch, der genügte Euch!«

»Schrecklicher Mann!« stöhnte die Frau. – »Ha, fort, – rasch fort! – Ich höre jemanden kommen; – verbergt Euch!«

Cotton hatte schon seit einigen Augenblicken hoch aufgehorcht; denn auch er vernahm Schritte und wußte nur noch nicht recht, von welcher Seite sie nahten. Endlich schien er sich davon überzeugt zu haben und glitt recht rasch, den Finger nur noch einmal drohend gegen die Frau erhoben, in die Büsche, die sich wieder hinter ihm schlossen.

Gleich darauf schritt pfeifend, die Hände in die Taschen geschoben, den Hut etwas nach hinten auf den Kopf gedrückt, Jonathan Smart auf der Straße heran, und Mrs. Breidelford hatte wirklich kaum Zeit, sich zu sammeln und einen Entschluß zu fassen, nach welcher Seite sie sich überhaupt wenden wolle, als Jonathan auch um die umgestürzte Eiche bog und nun seinerseits ebenfalls überrascht war, Dame Breidelford in unverkennbarer Verlegenheit hier allein zu finden. Sein erster Verdacht fiel auf ein Liebesabenteuer, den verwarf er jedoch augenblicklich wieder als total unmöglich und konnte nur ein in aller Eile herausgestoßenes »Guten Morgen, Madame« vorbringen, als diese auch schon in voller Eile an ihm vorbeistürmte und der Stadt wieder zueilte. »Potz Zwiebelreihen und Holzuhren!« rief der Yankee lächelnd, als er stehenblieb und ihr erstaunt nachblickte. »Gewaltige Eile, Mrs. Breidelford, gewaltige Eile! – Wichtige Geschäfte wahrscheinlich; vielleicht wieder eine Freundin mit einem Besuch für einen ganzen Abend elend machen oder einen guten Namen vernichten oder auch einmal zur Abwechslung eine Frau gegen ihren Mann aufhetzen? – Wäre noch gar nicht dagewesen, oh, Gott bewahre! Was aber hat sie in aller Welt nur hier zu tun gehabt? Irgendeine Zusammenkunft? Oder war der Aufenthalt hier zufällig? Weshalb aber zeigte sie sich da so augenscheinlich verlegen?«

Smart fing an, die Straße gerade da, wo er sie zuerst gesehen hatte, zu untersuchen, um vielleicht Spuren andern Schuhwerks darauf zu erkennen. Obgleich er aber die Fußstapfen eines Männerschuhs zu sehen glaubte, die sich hier und da abgedrückt zeigten, so war er doch zu wenig geübt, zu wenig Waldmann, um auf dem betretenen Wege etwas Genaueres darüber bestimmen zu können. Er schüttelte also ein paarmal gar bedeutsam den Kopf, schob seine Hände auf ihren alten Platz zurück, schritt wieder langsam weiter und fiel genau mit demselben Tone mitten im Liede wieder ein, wo er vorhin durch Mrs. Breidelfords Anblick unterbrochen worden war.

Etwa eine Stunde später verließ die Dame zum zweiten Male an diesem Tage dieselbe Straße und eilte, ohne sich höchst ungewöhnlicherweise auch nur im mindesten um das zu kümmmern, was um sie her vorging, ihrem eigenen Hause zu. Am anderen Ende der Straße aber folgte ihr ein in die gewöhnliche Tracht der Landleute gekleideter Mann, den breiten Strohhut jedoch tief ins Gesicht gedrückt. Hinter ihm schloß sich bald darauf ihr Haus und wurde jetzt von innen fest verriegelt.


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