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Zweites Kapitel

Väter und Töchter

Durch dieses spanische Abenteuer seiner Frau und seines Sohnes beraubt, fand Jolyon die Einsamkeit in Robin Hill unerträglich. Ein Philosoph ist, wenn er alles hat, was er braucht, sehr verschieden von einem Philosophen, er es nicht hat. Da er jedoch an den Gedanken, wenn auch nicht an die Realität der Resignation gewöhnt war, hätte er es vielleicht überwunden, wenn seine Tochter June nicht gewesen wäre. Er war jetzt eine »lahme Ente« für sie. Und da sie – für den Augenblick – gerade die Rettung eines Radierers in bedrängten Umständen vollendet hatte, der ihr zufällig in die Hände geraten war, erschien sie vierzehn Tage nach der Abreise von Irene und Jon in Robin Hill. Das kleine Wesen lebte jetzt in einem winzigen Häuschen mit einem großen Atelier in Chiswick. Als eine Forsyte der besten Periode, sofern der Mangel an Verantwortungsgefühl in Betracht kam, war sie in befriedigender Weise für sich und ihren Vater über die Schwierigkeiten eines verminderten Einkommens hinweggekommen. Da die Zinsen für die Galerie in der Cork Street, die er für sie gekauft hatte, und ihre erhöhte Einkommensteuer sich zufällig deckten, war es ganz einfach – sie zahlte ihm keine Zinsen mehr. Man konnte wohl erwarten, daß die Galerie sich jetzt nach achtzehn Jahren unfruchtbaren Bestehens bald einmal bezahlt machte, so daß ihr Vater es sicher nicht fühlen würde. Durch diese Maßnahme waren ihr immer noch zwölfhundert im Jahr geblieben, und da sie sich im Essen einschränkte und anstatt zweier Belgier in bedürftigen Verhältnissen eine Österreicherin in noch bedürftigeren in Dienst hielt, war sie tatsächlich noch im Besitz desselben Überflusses zur Rettung von Genies. Nach drei Tagen in Robin Hill nahm sie ihren Vater mit in die Stadt. Sie war in diesen drei Tagen hinter das Geheimnis gekommen, das ihr Vater seit zwei Jahren mit sich herumgetragen, und war augenblicklich entschlossen, ihn zu heilen. Sie wußte schon den rechten Mann dafür. Er hatte Wunder an Paul Post getan – dem Maler, der dem Futurismus etwas voraus war; und sie war ein wenig ungeduldig über ihren Vater, weil er die Brauen hochzog und von beiden nichts wußte. Natürlich, wenn er nicht den »Glauben« daran hätte, würde er nie gesund werden! Es sei unerhört, nicht an den Mann zu glauben, der Paul Post so geheilt hatte, daß er jetzt nur wieder einen Rückfall bekommen, weil er überanstrengt oder überarbeitet war. Das Große an diesem Arzt war, daß er sich auf die Natur verließ. Er hatte ein Spezialstudium aus den Symptomen der Natur gemacht – fehlte es seinem Patienten an irgendeinem natürlichen Symptom, so verschaffte er sich das Gift, das es hervorbrachte – und fertig war er! Sie war außerordentlich hoffnungsvoll. Ihr Vater habe offenbar in Robin Hill kein natürliches Leben geführt, und sie wolle schon für die Symptome sorgen. Sie fühle, daß er nicht in Kontakt mit der Zeit sei, und das wäre nicht natürlich; sein Herz bedürfe einer Anregung. In dem kleinen Chiswickhaus versuchten sie und die Österreicherin – eine dankbare Seele, die June, weil sie sie gerettet hatte, so ergeben war, daß sie Gefahr lief, sich totzuarbeiten – Jolyon auf allerlei Art anzuregen, um ihn für die Kur vorzubereiten. Allein sie vermochten nicht zu verhüten, daß er die Augenbrauen hochzog, wenn zum Beispiel die Österreicherin ihn um acht Uhr weckte, wo er gerade im Begriff war einzuschlafen, oder June ihm die »Times« fortnahm, weil es unnatürlich sei, dieses »Zeug« zu lesen, wenn er doch Interesse am »Leben« nehmen sollte. Allerdings setzten ihre Hilfsmittel ihn, namentlich abends, in Erstaunen. Seinetwegen, wie sie erklärte, obwohl er sie im Verdacht hatte, es auch für sich zu tun, versammelte sie moderne Jugend um sich, sofern sie Trabant des Genies war; und mit Feierlichkeit bewegten sie sich im Foxtrott oder in einer vergeistigteren Tanzart auf und nieder, der so gegen den Takt ging, daß Jolyons Augenbrauen sich vor Staunen über die Anstrengung, die der Willenskraft der Tänzer offenbar zugemutet wurde, fast in seinem Haar verloren. Er fand, daß er als erfolgreicher Aquarellmaler denen gegenüber, die beanspruchen konnten, Künstler genannt zu werden, rückständig war, und setzte sich in die dunkelste Ecke, die er finden konnte, um über den Rhythmus nachzudenken, in dem er vor langer Zeit erzogen worden war. Und wenn June ein junges Mädchen oder einen jungen Mann zu ihm brachte, stellte er sich demütig auf gleichen Fuß mit ihnen, soweit es möglich war, und dachte: »Du lieber Himmel! Wie langweilig das für sie ist!« Obwohl er immer Sympathie für die Jugend hatte, wie sein Vater, ermüdete es ihn schließlich doch sehr, sich auf ihren Standpunkt zu stellen. Aber es war alles anregend, und er konnte den unbezähmbaren Eifer seiner Tochter gar nicht genug bewundern. Sogar das Genie selbst nahm zuweilen an dieser Geselligkeit teil, und June stellte es dann immer ihrem Vater vor. Sie fühlte, daß dies außerordentlich gut für ihn war, denn Genie sei ein Symptom, das er nie gehabt – so lieb sie ihn auch hatte.

Wenn er sich auch sicher fühlte, wie ein Mann es nur kann, daß sie seine eigene Tochter war, wunderte er sich oft, woher sie ihr rotgoldenes Haar hatte, das jetzt ergraut, aber von einer besonderen Farbe war, ihr offenes, lebhaftes Gesicht, so verschieden von seinen eigenen ziemlich faltigen und verfeinerten Zügen, und ihre kleine zarte Gestalt, wo er und fast alle Forsytes groß waren. Er sann dann wohl über den Ursprung der Arten nach und überlegte, ob sie dänischer oder keltischer Abstammung war. Keltischer, glaubte er, ihrer Kampflust nach und ihrem Geschmack an Stirnbändern und Djibbahs. Es war keine Übertreibung, zu sagen, daß er sie der Jugend vorzog, von der sie meist umgeben war. Jedoch interessierte sie sich zuviel für seine Zähne, denn er hatte noch einige von diesen natürlichen Symptomen. Ihr Zahnarzt fand sofort » Staphylococcus aureus in Reinkultur« vor (was natürlich Wallungen verursachen konnte) und wollte alle Zähne, die er hatte, herausnehmen und sie ihm durch zwei vollständige Reihen unnatürlicher Symptome ersetzen. Da jedoch regte sich Jolyons angeborene Hartnäckigkeit, und er machte an diesem Abend seine Einwände geltend, erklärte, daß er nie an Wallungen gelitten habe und seine eigenen Zähne solange vorhalten würden, wie er sie brauchte. June gab zu, daß seine Zähne – natürlich – vorhalten würden, wenn er sie nicht herausnehmen ließe! Wenn er aber mehr Zähne hätte, wäre sein Herz besser, und er würde länger leben. Seine Widerspenstigkeit – sagte sie – sei ein Symptom seiner ganzen Lebensweise. Er leiste keinen Widerstand. Er müsse fechten. Wann er den Mann aufsuchen wolle, der Paul Post geheilt hatte? Es tue ihm sehr leid, erwiderte Jolyon, aber er werde ihn gar nicht aufsuchen. June war entrüstet. Pondridge – sagte sie –, der Heilkünstler, sei ein so feiner Mensch, und es wäre so schwierig für ihn, durchzukommen und seine Theorien anerkannt zu sehen. Nur Gleichgültigkeit und Vorurteil, wie sie auch ihr Vater zeigte, hielten ihn zurück. Es wäre doch so vortrefflich für sie beide!

»Ich merke«, sagte Jolyon, »daß du zwei Fliegen auf einen Schlag töten willst.«

»Heilen, meinst du!« rief June.

»Das ist dasselbe, meine Liebe.«

June widersprach. Es sei unrecht, das zu sagen, ohne den Versuch zu machen. Jolyon meinte, daß er danach wohl keine Gelegenheit dazu haben würde.

»Papa!« rief June, »du bist hoffnungslos.«

»Das«, erwiderte Jolyon, »ist eine Tatsache, aber ich möchte doch solange wie möglich hoffnungslos bleiben. Ich wecke schlafende Hunde nicht, mein Kind. Augenblicklich sind sie ruhig.«

»Das heißt nicht, der Wissenschaft eine Chance geben«, rief June. »Du ahnst nicht, wie ergeben Pondridge ihr ist. Seine Wissenschaft geht ihm über alles.«

»Wie Paul Post seine Kunst, wie?« erwiderte Jolyon und paffte seine leichte Zigarette, zu der er jetzt verurteilt war. »Kunst um der Kunst willen – Wissenschaft um der Wissenschaft willen. Ich kenne diese enthusiastischen Herren mit ihren selbstsüchtigen Manieren. Sie nehmen eine Vivisektion an dir vor, ohne zu blinzeln. Ich bin Forsyte genug, June, um ihnen aus dem Weg zu gehen.«

»Papa«, sagte June, »wenn du wüßtest, wie altmodisch das klingt! Niemand kann es sich heutzutage leisten, nicht ganz bei einer Sache zu sein.«

»Ich fürchte«, sagte Jolyon mit seinem Lächeln, »daß es das einzige natürliche Symptom ist, mit dem Mr. Pondridge mich nicht zu versehen braucht. Wir sind dazu geboren, entweder extrem oder gemäßigt zu sein, meine Liebe; obwohl, entschuldige, wenn ich es sage, die Hälfte aller Leute, die heutzutage extrem zu sein glauben, in Wirklichkeit sehr gemäßigt sind. Mir geht es so gut, wie ich irgend erwarten kann, und dabei muß ich es bleibenlassen.«

June schwieg, da sie seinerzeit den unerbittlichen Charakter der liebenswürdigen Hartnäckigkeit ihres Vaters, sobald es seine eigene Handlungsfreiheit betraf, kennengelernt hatte.

Wie er dazu kam, ihr mitzuteilen, weshalb Irene Jon mit nach Spanien genommen hatte, begriff Jolyon selbst nicht, denn er hatte wenig Vertrauen zu ihrer Verschwiegenheit. Nach einigem Grübeln über diese Mitteilung kam es zu einer ziemlich scharfen Auseinandersetzung, wobei er den wesentlichen Gegensatz zwischen ihrem aktiven Temperament und der Passivität seiner Frau bemerkte. Er erkannte sogar, daß noch eine kleine Reizbarkeit von dem generationenalten Kampf um Philip Bosinney zwischen ihnen zurückgeblieben war, in dem das passive so stark über das aktive Prinzip triumphiert hatte. Junes Ansicht nach war es töricht und feige, die Vergangenheit vor Jon zu verbergen. Reinen Opportunismus nannte sie es.

»Der«, warf Jolyon sanft ein, »das Hauptprinzip wirklichen Lebens ist, meine Liebe.«

»Ach!« rief June, »du billigst es ja gar nicht, daß sie es Jon nicht gesagt hat. Wäre es dir überlassen, so tätest du es.«

»Wohl möglich, aber einfach, weil ich weiß, daß er es selbst ausfindig machen würde, was schlimmer wäre, als wenn wir es ihm sagten.«

»Weshalb sagst du es ihm dann nicht? Sind es wieder schlafende Hunde?«

»Meine Liebe«, sagte Jolyon, »nicht um die Welt würde ich Irenens Gefühl zuwider handeln. Er ist ihr Junge.«

»Deiner auch«, rief June.

»Was ist das Gefühl eines Mannes im Vergleich zu dem einer Mutter?«

»Nun, ich finde es sehr schwach von dir.«

»Das mag sein«, sagte Jolyon. »Das mag wohl sein.«

Und das war alles, was sie aus ihm herausbekam, aber die Sache brannte ihr auf der Seele. Sie konnte schlafende Hunde nicht ausstehen. Und es regte sich ein quälender Drang in ihr, die Sache zur Entscheidung zu bringen. Jon mußte es erfahren, so daß entweder sein Gefühl in der Knospe geknickt oder trotz der Vergangenheit blühen und Früchte tragen konnte. Daher beschloß sie, Fleur aufzusuchen und selbst zu urteilen. Wenn June sich zu etwas entschlossen, kam zarte Rücksicht nur in untergeordnetem Maßstabe in Betracht. Schließlich war sie ja Soames' Kusine, und sie hatten beide Interesse für Bilder. Sie wollte zu ihm gehen und ihm sagen, daß er einen Paul Post kaufen müßte oder vielleicht eine Skulptur von Boris Strumolowski; und natürlich würde sie nichts davon ihrem Vater sagen. Sie ging am folgenden Sonntag und sah so aggressiv aus, daß es ihr einige Schwierigkeiten machte, am Bahnhof in Reading eine Droschke zu bekommen. Die Gegend am Fluß war herrlich in diesen Junitagen, und June schmerzte all diese Schönheit. Sie, die durch das Leben gegangen war, ohne zu wissen, was Vereinigung hieß, hatte eine Liebe zur Schönheit der Natur, die fast krankhaft war. Und als sie an die Stelle kam, wo Soames seine Zelte aufgeschlagen hatte, schickte sie die Droschke fort, weil sie das helle Wasser und die Wälder genießen wollte. Sie erschien daher als einfache Fußgängerin an seiner Tür und schickte ihre Karte hinein. Es lag in Junes Charakter, zu fühlen, daß sie, wenn ihre Nerven erregt waren, etwas unternommen hatte, was der Mühe wert war. Wenn die Nerven nicht erregt waren, wich sie womöglich jedem Widerstand aus und wußte, daß Noblesse sie nicht verpflichten würde. Sie wurde in ein Wohnzimmer geführt, das, wenn auch nicht in ihrem Stil, doch das Gepräge vornehmer Eleganz zeigte. »Zu viel Geschmack – zu viele Nippsachen«, dachte sie, dann sah sie in einem alten Spiegel mit Lackrahmen die Gestalt eines jungen Mädchens aus der Veranda kommen. In Weiß gekleidet, mit einigen weißen Rosen in der Hand, glich es, von diesem silbriggrauen Spiegelglas reflektiert, einer Erscheinung, als wäre ein holder Geist aus dem grünen Garten hereingekommen.

»Wie geht es dir?« sagte June, sich zu ihr wendend. »Ich bin eine Kusine deines Vaters.«

»Ach ja! Ich sah dich damals in der Konditorei.«

»Mit meinem jungen Stiefbruder. Ist dein Vater zu Haus?«

»Er wird gleich hier sein. Er macht nur einen kleinen Spaziergang.«

June kniff ihre blauen Augen ein wenig zusammen und hob ihr entschlossenes Kinn.

»Du heißest Fleur, nicht wahr? Ich habe durch Holly von dir gehört? Wie findest du Jon?«

Das Mädchen hob die Rosen in seiner Hand, sah sie an und antwortete gelassen:

»Er ist ein ganz netter Junge.«

»Nicht die Spur wie Holly oder ich, wie?«

»Nicht die Spur.«

»Sie ist kühl«, dachte June.

Und plötzlich sagte das Mädchen: »Sag mir doch, bitte, weshalb unsere Familien sich nicht vertragen.«

Der Frage gegenüber, die sie ihrem Vater geraten, zu beantworten, war June still; entweder, weil dies Mädchen versuchte, etwas aus ihr herauszubekommen, oder einfach, weil, was man theoretisch tun will, nicht immer das ist, was man tun möchte, wenn es dazu kommt.

»Du weißt«, sagte Fleur, »daß, jemand die Wahrheit vorzuenthalten, der sicherste Weg ist, ihn hinter das Schlimmste kommen zu lassen. Mein Vater sagte mir, es sei ein Streit über ein Besitztum gewesen, aber ich glaube es nicht; wir haben ja alle eine Menge aufgehäuft. So bourgeois können sie doch nicht gewesen sein.«

Junes Wangen flammten. Das Wort, das sich auf ihren Großvater und ihren Vater bezog, beleidigte sie.

»Mein Großvater«, sagte sie, »war sehr großherzig, und mein Vater ist es ebenfalls, keiner von beiden ist im geringsten bourgeois gewesen.«

»Also, was ist es denn?« wiederholte das junge Mädchen. Als June erkannte, daß diese junge Forsyte hartnäckig zu erlangen suchte, was sie wünschte, beschloß sie sofort, sie daran zu hindern und statt dessen für sich selbst etwas zu erreichen.

»Weshalb willst du es wissen?«

Fleur roch an ihren Rosen. »Ich möchte es nur wissen, weil man es mir nicht sagen will.«

»Nun, es handelt sich um einen Besitz, aber davon gibt es ja mehr als eine Art.«

»Das macht es nur schlimmer. Jetzt muß ich es wirklich wissen.«

Junes kleines, resolutes Gesicht bebte. Sie trug eine runde Mütze, und ihr Haar quoll darunter hervor, sie sah ganz jung aus in diesem Augenblick, verjüngt durch diesen Kampf.

»Weißt du«, sagte sie, »ich sah dich dein Taschentuch fallen lassen. Ist irgend etwas zwischen dir und Jon? Weil, falls es so ist, du es lieber auch fallen lassen solltest.«

Das Mädchen wurde blässer, lächelte aber.

»Wenn es so wäre, ist das nicht der Weg, mich dazu zu bewegen.«

Die Tapferkeit dieser Antwort bewog June, die Hand auszustrecken:

»Ich habe dich gern. Du gefällst mir, aber deinen Vater mag ich nicht, ich mochte ihn nie. Wir können ebensogut offen miteinander sein.«

»Kamst du her, ihm das zu sagen?«

June lachte. »Nein, ich kam her, um dich zu sehen.«

»Wie reizend von dir!«

Dies Mädchen wußte sich zu wehren.

»Ich bin mehr als doppelt so alt wie du«, sagte June, »aber ich bin ganz deiner Meinung. Es ist scheußlich, wenn man nicht tun kann, was man will.«

Das Mädchen lächelte wieder. »Ich finde wirklich, daß du's mir sagen könntest.«

Wie das Kind auf seinem Willen bestand!

»Es ist nicht mein Geheimnis. Aber ich will sehen, was sich tun läßt, weil ich finde, daß ihr beide, du und Jon, es erfahren müßtet. Und nun will ich mich verabschieden.«

»Willst du nicht warten, um Vater zu sehen?«

June schüttelte den Kopf. »Wie komme ich auf das andere Ufer hinüber?«

»Ich werde dich hinüberrudern.«

»Hör mal!« sagte June impulsiv, »das nächste Mal, wenn du in London bist, mußt du mich besuchen. Da hast du meine Adresse. Abends habe ich gewöhnlich junge Leute bei mir. Aber ich an deiner Stelle würde deinem Vater nicht sagen, daß du kommen willst.«

Das Mädchen nickte.

June beobachtete sie beim Rudern im Boot und dachte: »Sie ist außergewöhnlich hübsch und sehr gut gebaut. Ich dachte nie, daß Soames eine so hübsche Tochter haben würde. Sie und Jon würden ein überaus reizendes Paar abgeben.«

Der Trieb, Ehen zu stiften, war, wenn für sich selbst auch verdorrt, immer lebendig in June. Sie blieb stehen, um Fleur beim Zurückrudern zu beobachten; das Mädchen ließ ein Ruder los, ihr mit einer Hand zum Abschied zuzuwinken, und June ging langsam, mit Wehmut im Herzen, zwischen den Wiesen und dem Flusse weiter. Jugend zu Jugend wie die Libellen, die einander jagten, und Liebe wie die Sonne, die sie durch und durch erwärmte. Ihre Jugend! So lange war es her – als Phil und sie – – Und seitdem? Nichts, keiner war ganz so, wie sie es sich gewünscht. Und so hatte sie auf alles verzichtet. Aber welche Hemmnisse türmten sich um diese beiden jungen Menschen auf, wenn sie sich wirklich liebten, wie Holly glaubte – und wie ihr Vater und Irene und Soames selbst es zu befürchten schienen. Welche Hemmnisse und welche Schranken! Und in ihrem Herzen regten sich Wünsche für die Zukunft, ein Trotz allem Überstandenen gegenüber, die treibende Kraft eines jeden, der glaubt, daß das, was man wünscht, wichtiger sei als alles, was andere nicht wünschten. In der warmen Sommerstille blickte sie vom Ufer auf die Wasserlilien, die Weidenblätter und die Fische an der Oberfläche, atmete den Duft des Grases und der Wiesenblumen ein und überlegte, wie sie jeden dazu zwingen könnte, glücklich zu sein. Jon und Fleur! Zwei kleine »lahme Enten« – entzückende, kahle, gelbe kleine Entlein! Sehr schade! Man könnte sicher etwas für sie tun! Man durfte bei solcher Lage nicht stillschweigend zuschauen. Sie ging weiter und erreichte, heiß und ärgerlich, den Bahnhof.

Ihrer Absicht getreu, ganz offen vorzugehen, was viele Leute veranlaßte, sie zu meiden, sagte sie an diesem Abend zu ihrem Vater:

»Ich bin heute draußen bei Fleur gewesen, Papa. Ich finde sie sehr anziehend. Es hat keinen Zweck, daß wir den Kopf unter die Flügel stecken, meinst du nicht auch?«

Der erschreckte Jolyon stellte sein Gerstenwasser hin und begann sein Brot zu zerkrümeln.

»Du selbst scheinst es aber zu tun. Denkst du denn daran, wessen Tochter sie ist?« sagte er.

»Können die Toten nicht ihre Toten begraben?«

Jolyon erhob sich.

Gewisse Dinge können nie begraben werden.«

»Darin stimme ich nicht mit dir überein«, sagte June. »Es steht allem Glück und Fortschritt im Wege. Du verstehst die Zeit nicht, Papa. Sie weiß nichts anzufangen mit Dingen, die sich überlebt haben. Weshalb glaubst du, es machte so viel aus, daß Jon die Sache von seiner Mutter erfährt? Wer legt jetzt noch Wert auf solche Dinge? Die Ehegesetze sind noch genau so, wie sie waren, als Soames und Irene keine Scheidung erlangen konnten und du einschreiten mußtest. Wir sind weiter gekommen, und sie nicht. Daher kümmert sich niemand mehr darum. Ehe ohne eine anständige Chance, sich frei zu machen, ist nur eine Art von Sklaverei; Menschen dürften einander nicht gehören. Jedermann sieht das jetzt ein. Wenn Irene solche Gesetze übertrat, was liegt daran?«

»Ich habe nicht das Recht, es zu mißbilligen«, sagte Jolyon, »aber das alles gehört gar nicht hierher. Hier handelt es sich um menschliche Gefühle.«

»Natürlich«, rief June, »um die Gefühle der beiden jungen Dinger.«

»Meine Liebe«, erwiderte Jolyon mit sanfter Gereiztheit, »du redest Unsinn.«

»Das tue ich nicht. Wenn sie einander wirklich lieben, warum sollten sie der Vergangenheit wegen unglücklich gemacht werden?«

»Du hast diese Vergangenheit nicht durchlebt. Aber ich habe es – durch die Gefühle meiner Frau, durch meine eigenen Nerven und meine Einbildungskraft, wie nur jemand es kann, der so liebt wie ich.«

June stand ebenfalls auf und wandelte ruhelos auf und ab.

»Wäre sie die Tochter von Phil Bosinney«, sagte sie plötzlich, »würde ich dich besser verstehen. Irene liebte ihn, aber sie liebte Soames nie.«

Tief aus Jolyons Brust drang ein Ton – ein Ton, wie ihn italienische Bäuerinnen ausstoßen, wenn sie ihre Maultiere anrufen. Sein Herz hatte heftig zu schlagen begonnen, aber er achtete dessen nicht, seine Gefühle rissen ihn mit sich fort.

»Das beweist, wie wenig du davon verstehst. Weder ich noch Jon, soweit ich ihn kenne, würden etwas gegen eine Liebesvergangenheit haben. Hier aber handelt es sich um die Brutalität einer Vereinigung ohne Liebe. Dies Mädchen ist die Tochter eines Mannes, der Jons Mutter einst besaß, wie man eine Negersklavin besitzt. Das Gespenst kannst du nicht aus der Welt schaffen, June, versuche es nicht! Wie könnten wir Jon mit dem Fleisch und Blut des Mannes vereinigt sehen, der Jons Mutter gegen ihren Willen besaß? Diese Wortklauberei hat keinen Zweck, ich möchte es ein für allemal klar haben. Und jetzt darf ich nicht mehr sprechen, sonst wird mich das die ganze Nacht wachhalten.« Jolyon preßte die Hand auf sein Herz, kehrte seiner Tochter den Rücken zu und schaute auf die Themse hinaus.

June, die nie ein Wespennest sah, bis sie ihren Kopf hineingesteckt hatte, war ernstlich beunruhigt. Sie ging zu ihm hin und schob ihren Arm unter den seinen. Wenn sie auch nicht überzeugt war, daß er recht hatte und sie unrecht, weil das gegen ihre Natur war, machte es doch einen tiefen Eindruck auf sie, daß die Sache ihm offenbar sehr nahe ging. Sie rieb ihre Wange an seiner Schulter und sagte nichts.

Nachdem Fleur ihre ältere Kusine übergesetzt hatte, landete sie nicht gleich, sondern ruderte in das Schilf hinein, in den Sonnenschein. Die friedliche Schönheit des Nachmittags lockte sie für eine Weile, obwohl sie für das Unbestimmte und Poetische nicht viel übrig hatte. Auf dem Felde jenseits des Ufers, wo ihr Boot lag, wendete eine Maschine, die von einem grauen Pferde gezogen wurde, das Heu einer früh gemähten Wiese. Sie beobachtete gebannt, wie das Gras hinter und über den leichten Rädern hervorquoll – es sah so kühl und frisch aus. Das Klappern und Rasseln mischte sich mit dem Rascheln der Weiden und Pappeln und dem Gurren einer Waldtaube zu einem wahren Flußgesang. Neben ihr, in dem grünen Wasser, wanden sich Pflanzen wie gelbe Schlangen und kämpften gegen die Strömung; scheckiges Vieh stand etwas weiterhin im Schatten und bewegte träge die Schwänze. Es war ein Nachmittag zum Träumen. Und sie nahm Jons Briefe hervor – es waren keine blumenreichen Ergüsse, doch aus den Berichten über Dinge, die er gesehen und getan, sprach ein Sehnen, das ihr sehr wohl tat, und alle endeten mit »Dein Dich liebender J.«. Fleur war nicht sentimental, ihre Wünsche waren stets konkret und ganz bestimmt; was aber von Poesie in der Tochter von Soames und Annette war, hatte sich in diesen Wochen des Wartens zweifellos um ihre Erinnerungen an Jon gesammelt. Sie alle gehörten mit zu Gras und Blüten, zu Blumen und fließenden Wassern. An ihn zu denken, war ein Genuß wie der Duft, den ihr gerümpftes Näschen einsog. Die Sterne gaben ihr ein Gefühl, als stünde sie neben ihm mitten auf der Landkarte von Spanien; und am frühen Morgen glaubte sie in den betauten Spinngeweben, dem nebligen Gefunkel und der Verheißung des Tages unten im Garten die Verkörperung Jons zu sehen.

Zwei weiße Schwäne kamen majestätisch vorüber, während sie ihre Briefe las, ihnen folgte ihre Brut von sechs jungen Schwänen in einer Reihe mit eben genug Wasser zwischen jedem Schwanz und Kopf, eine Flottille von grauen Zerstörern. Fleur steckte ihre Briefe ein, legte ihre Ruder wieder aus und ruderte an den Landungssteg. Als sie über den Rasenplatz ging, überlegte sie, ob sie ihrem Vater von Junes Besuch etwas sagen sollte. Wenn er es vom Butler erfuhr, könnte er es sonderbar finden, daß sie es nicht tat. Es gab ihr zudem eine neue Chance, den Grund der Fehde aus ihm herauszulocken. Sie ging daher den Weg hinauf, um ihn zu treffen.

Soames war gegangen, sich ein Stück Land anzusehen, auf dem nach dem Vorschlag der Ortsbehörde ein Sanatorium für Lungenkranke errichtet werden sollte. Seinem angeborenen Individualismus getreu, kümmerte er sich nicht um lokale Angelegenheiten und begnügte sich damit, die Abgaben zu zahlen, die fortwährend stiegen. Er konnte jedoch diesem neuen und gefährlichen Plan gegenüber nicht gleichgültig bleiben. Das Grundstück lag keine halbe Meile von seinem Hause. Er war völlig der Meinung, daß das Land die Pflicht hatte, die Tuberkulose auszurotten; aber dies war nicht der Ort dazu. Es mußte weiter fort geschehen. Wie alle echten Forsytes, vertrat er die ganz allgemeine Ansicht, daß irgendwelche Schwächen anderer Leute ihn nichts angingen und der Staat das Seine tun müsse, ohne irgendwie die natürlichen Vorteile zu schmälern, die er erworben oder ererbt hatte. Francie, die Freigeistigste aller Forsytes seiner Generation (ausgenommen vielleicht dieser Jolyon), hatte ihn einmal in ihrer maliziösen Art gefragt: »Hast du den Namen Forsyte jemals auf einer Subskriptionsliste gesehen, Soames?« Mochte dem sein wie ihm wolle, aber ein Sanatorium würde die Gegend entwerten, und er war bereit, die Petition zu unterzeichnen, die dagegen eingereicht werden sollte. Als er mit diesem festen Entschluß zurückkehrte, sah er Fleur kommen.

Sie war seit kurzem liebevoller gegen ihn, und die stille Zeit mit ihr bei diesem Sommerwetter machte, daß er sich wieder ganz jung fühlte; Annette war fast immer in der Stadt, um irgend etwas zu besorgen, so daß er Fleur beinah soviel für sich hatte, wie er wünschte. Zwar hatte der junge Mont die Gewohnheit angenommen, beinah jeden zweiten Tag auf seinem Motorrad zu erscheinen. Gott sei Dank hatte der junge Mann seine halben Zahnbürsten abrasiert und sah nicht mehr wie ein Windbeutel aus! Mit einer Freundin Fleurs, die zum Besuch im Hause war, und einem Jüngling aus der Nachbarschaft gaben sie nach Tisch in der Halle zwei Paare zu der Musik des elektrischen Pianolas ab, das ohne Beistand und mit einem überraschenden Glanz auf der ausdrucksvollen Oberfläche Foxtrotts spielte. Sogar Annette schwebte dann und wann anmutig im Arm eines oder des andern jungen Mannes auf und ab. Und Soames kam zuweilen an die Tür des Wohnzimmers, hob die Nase und beobachtete sie, in der Erwartung, ein Lächeln von Fleur aufzufangen; dann ging er zurück zu seinem Sessel am Kamin im Wohnzimmer, um die »Times« oder die Preisliste irgendeines Sammlers durchzusehen. Seine ewig ängstlichen Augen sahen kein Zeichen der Erinnerung an jene Laune bei Fleur.

Als sie ihn auf dem staubigen Weg erreichte, schob er die Hand unter ihren Arm.

»Wer, glaubst du, war hier, dich zu besuchen, Papa? Sie konnte nicht warten! Rate!«

»Ich rate es nie«, sagte Soames unruhig. »Wer?«

»Deine Kusine June Forsyte.«

Ganz unbewußt drückte Soames ihren Arm. »Was wollte die denn hier?«

»Ich weiß nicht. Aber sie hat es trotz der Fehde gewagt, nicht wahr?«

»Fehde? Was für eine Fehde?«

»Die in deiner Einbildung existiert, mein Lieber.«

Soames ließ ihren Arm los. War das Spott, oder versuchte sie etwas aus ihm herauszulocken?

»Ich denke, sie wollte, daß ich ein Bild von ihr kaufe«, sagte er endlich.

»Das glaube ich nicht. Vielleicht war es nur Familienanhänglichkeit.«

»Sie ist ja keine rechte Kusine von mir«, murmelte Soames.

»Und die Tochter deines Feindes.«

»Wie meinst du das?«

»Verzeih, Lieber, ich dachte, daß er es sei.«

»Feind!« wiederholte Soames. »Es ist eine alte Geschichte. Ich weiß nicht, wo du deine Ideen hernimmst?«

»Von June Forsyte.«

Es kam wie eine Eingebung über sie, daß, wenn er glaubte, sie wisse es oder wäre im Begriff, es zu erfahren, er es ihr sagen würde.

Soames war erschreckt, aber sie hatte seine Vorsicht und seine Hartnäckigkeit unterschätzt.

»Wenn du es weißt«, sagte er kühl, »wozu quälst du mich?«

Fleur sah, daß sie zu weit gegangen war.

»Ich wollte dich nicht quälen, mein Lieber. Wie du sagst, wozu mehr wissen wollen? Wozu überhaupt etwas von dem ›kleinen‹ Geheimnis wissen wollen – Je m'en fiche, wie Prosper Profond sagen würde.«

»Dieser Kerl!« sagte Soames finster.

Dieser Kerl spielte in der Tat diesen Sommer eine bedeutende, wenn auch unsichtbare Rolle – denn er war nicht wieder aufgetaucht. Seit dem Sonntag, da Fleur, als er über den Rasen schlenderte, Soames' Aufmerksamkeit auf ihn gelenkt hatte, mußte dieser viel an ihn denken, und immer in Verbindung mit Annette, obschon ohne Grund, ausgenommen, daß sie hübscher aussah als je zuvor. Seine Begriffe über Besitz, die seit dem Kriege subtiler, weniger starr und elastischer geworden waren, hatten alle Besorgnis unterdrückt. Wie man auf einen amerikanischen Strom schaut, der ruhig und friedlich vorüberfließt, und weiß, daß vielleicht ein Alligator im Schlamm unten liegt, den Rachen schon emporgestreckt und nicht zu unterscheiden von einem Stück Holz – so schaute Soames, unbewußt mit Monsieur Profond beschäftigt, auf den Strom seines Daseins, weigerte sich aber, mehr zu sehen als seinen verdächtigen Rachen. In dieser Epoche seines Lebens besaß er eigentlich alles, was er brauchte, und war beinah so glücklich, wie seine Natur es erlaubte. Seine Sinne waren beruhigt, sein Zärtlichkeitsbedürfnis fand volle Befriedigung bei seiner Tochter, seine Sammlung war sehr bekannt, sein Geld gut angelegt, seine Gesundheit ausgezeichnet, abgesehen von einer kleinen Mahnung durch seine Leber dann und wann; er hatte noch nicht angefangen, sich ernstlich Gedanken darüber zu machen, was nach seinem Tode geschehen würde, da er im Grunde davon überzeugt war, daß nichts geschehen würde. Er glich einer seiner eigenen goldsichern Hypotheken, und sich dieser Sicherheit zu berauben, indem er etwas sah, das zu sehen er vermeiden konnte, wäre, wie er instinktiv fühlte, verkehrt und rückständig gewesen. Jene beiden schrumpligen Rosenblätter, Fleurs Laune und Monsieur Profonds Rachen, würden sich schon wieder glätten, wenn er sich fleißig ihrer annahm.

Ein Zufall, wie er im Leben selbst des bestversicherten Forsyte einmal vorkommt, spielte an diesem Abend einen Leitfaden in Fleurs Hände. Ihr Vater kam ohne Taschentuch zu Tisch herunter und brauchte eins, sich die Nase zu schnauben.

»Ich will dir eins holen, mein Lieber«, hatte sie gesagt und war nach oben gelaufen. In dem Taschentuchbehälter, wo sie danach suchte – einem alten Ding von ganz verblichener Seide –, waren zwei Abteilungen: eine enthielt Taschentücher, die andere war zugeknöpft und enthielt etwas Hartes, Flaches. In einem kindlichen Impuls knöpfte Fleur sie auf. Es war ein Rahmen und darin eine Photographie von ihr selbst als kleines Mädchen. Sie betrachtete sie gespannt, wie man es zu tun pflegt, wenn man eine Abbildung von sich sieht. Sie verschob sich unter ihren ungeduldigen Fingern, und sie sah, daß eine andere Photographie dahinter steckte. Da rückte sie die ihre weiter hinunter und bemerkte ein Gesicht, das sie zu kennen meinte, das Gesicht einer sehr gut aussehenden jungen Frau in einem sehr altmodischen Abendkleid. Nachdem sie ihre eigene Photographie wieder darübergeschoben hatte, nahm sie ein Taschentuch und ging hinunter. Erst auf der Treppe kam sie darauf, wen das Gesicht darstellte. Sicher – sicher, das war Jons Mutter! Diese Überzeugung traf wie ein Schlag.

Und sie blieb unter dem Ansturm der Gedanken stehen. Aber natürlich! Jons Vater hatte die Frau geheiratet, die ihr Vater heiraten wollte, hatte sie ihm vielleicht weggeschnappt. In der Furcht aber, daß sie durch ihr Wesen verraten könnte, hinter sein Geheimnis gekommen zu sein, wollte sie nicht weiter nachdenken, schüttelte das seidene Taschentuch aus und ging ins Eßzimmer zurück.

»Ich nahm das weichste, Papa.«

»Hm!« sagte Soames, »ich benutze diese nur nach einem Schnupfen. Aber schadet nichts!«

An diesem Abend gelang es Fleur, sich die Sache zusammenzureimen, als sie sich des Blicks ihres Vaters, dieses sonderbaren Blicks, der eine seltsame kalte Intimität verraten hatte, in der Konditorei damals erinnerte. Er mußte diese Frau sehr geliebt haben, wenn er ihre Photographie solange aufbewahrte, trotzdem er sie verloren hatte. Schonungslos und sachlich sprang sie zu seinem Verhältnis zu ihrer eigenen Mutter über. Hatte er sie jemals wirklich geliebt? Sie glaubte es nicht. Jon war der Sohn der Frau, die er wahrhaft geliebt hatte. Dann dürfte er es seiner Tochter wahrhaftig nicht verdenken, daß sie ihn liebte, man mußte sich nur daran gewöhnen. Und ein Seufzer der Erleichterung fing sich in den Falten ihres Nachtgewands, das sie über den Kopf streifte.


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