Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Kapitel

Goya

Das Frühstück war vorüber, und Soames ging hinauf in die Bildergalerie in seinem Hause bei Mapledurham. Er war, was Annette »verstimmt« nannte. Fleur war noch nicht zu Haus. Sie war am Mittwoch erwartet worden, hatte aber gedrahtet, daß es Freitag werden würde, und am Freitag, daß sie bis Samstagnachmittag fortbleiben werde; und nun waren ihre Tante und ihre Kusine, die Cardigans, und dieser Belgier Prosper Profond da, aber alles atmete Leere ohne sie. Er stand vor seinem Gauguin – der wundeste Punkt seiner Sammlung. Er hatte das große häßliche Ding mit zwei frühen Matisse vor dem Kriege gekauft, weil soviel Wesens von diesem Nachimpressionisten gemacht worden war. Er hätte gern gewußt, ob Profond sie ihm abnehmen würde – der Mensch schien nicht zu wissen, was er mit seinem Gelde anfangen sollte –, als er plötzlich die Stimme seiner Schwester sagen hörte: »Ich finde das Bild scheußlich, Soames«, und sah, daß Winifred ihm gefolgt war.

»So! wirklich?« sagte er trocken; »ich gab fünfhundert dafür.«

»Denke dir! Frauen sehen nicht so aus wie diese hier, auch nicht, wenn es schwarze sind.«

Soames lachte bitter auf. »Du kamst doch nicht herauf, mir das zu sagen?«

»Nein. Weißt du, daß Jolyons Junge bei Val und seiner Frau wohnt?«

Soames drehte sich nach ihr um.

»Wie?«

»Ja«, sagte Winifred gedehnt; »er lebt bei ihnen, während er die Landwirtschaft erlernt.«

Soames hatte sich abgewandt, aber ihre Stimme verfolgte ihn, als er auf und nieder ging. »Ich warnte Val, zu einem von beiden über die alten Geschichten zu sprechen.«

»Weshalb sagtest du es mir nicht vorher?«

Winifred hob ihre vollen Schultern.

»Fleur tut, was sie will. Du hast sie immer verwöhnt. Außerdem, lieber Junge, was schadet es denn?«

»Schadet?« murmelte Soames. »Nun, sie –« Er verstummte. Die Juno, das Taschentuch, Fleurs Augen, ihre Fragen und nun der Aufschub ihrer Rückkehr – die Symptome schienen ihm so düster, daß er, seiner Natur getreu, nicht davon loskam.

»Ich finde deine Vorsicht übertrieben«, sagte Winifred. »Wenn ich du wäre, würde ich ihr von der alten Geschichte erzählen. Es hat keinen Zweck zu glauben, daß junge Mädchen in dieser Zeit sind, wie sie zu sein pflegten. Wo sie ihr Wissen hernehmen, kann ich nicht sagen, aber sie scheinen alles zu wissen.«

In Soames' ernstem Gesicht zuckte es krampfhaft, und Winifred fügte hastig hinzu:

»Wenn du nicht gern darüber sprechen möchtest, könnte ich es für dich tun.«

Soames schüttelte den Kopf. Wenn es nicht durchaus notwendig war, verletzte der Gedanke, daß seine angebetete Tochter von dem alten Skandal erfahren sollte, seinen Stolz zu sehr.

»Nein«, sagte er. »Noch nicht. Nie, wenn es nach mir ginge.«

»Unsinn, mein Lieber. Denke daran, wie die Leute sind!«

»Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit«, murmelte Soames. »Wer außer unserer Familie erinnert sich wohl noch der Sache?«

Winifred schwieg. Sie neigte immer mehr zu dem Frieden und der Ruhe, um die Montague Dartie sie in ihrer Jugend gebracht hatte. Und da Bilder sie immer bedrückten, ging sie bald wieder hinunter.

Soames ging in die Ecke, wo nebeneinander sein echter Goya und die Kopie der Freske »La Vendimia« hingen. Seine Erwerbung des echten Goya illustrierte wunderbar das Spinnennetz festbegründeter Interessen und Leidenschaften, in dem die schimmernde Fliege Menschenleben sich verfängt. Der Vorfahr des vornehmen Eigentümers des echten Goya war während eines spanischen Krieges in dessen Besitz gekommen – es war, mit andern Worten, eine Beute. Allein der vornehme Besitzer hatte nichts von seinem Wert gewußt, bis ein findiger Kritiker in den neunziger Jahren entdeckte, daß ein spanischer Maler namens Goya ein Genie war. Es war nur ein mäßiger Goya, aber beinah der einzige in England, und der vornehme Besitzer wurde bekannt. Da er im Besitz vieler Bilder war und auch die aristokratische Kultur besaß, die, unabhängig von bloßem sinnlichen Vergnügen daran, dem gesunderen Grundsatz huldigt, daß man alles kennen und großes Interesse am Leben haben müsse, war er entschlossen, ein Werk, das zu seinem Ruhm beitrug, zu behalten, solange er lebte, und es der Nation zu überlassen, wenn er tot war. Zu Soames' Glück war das House of Lords im Jahre 1909 heftig angegriffen worden, und der vornehme Besitzer war beunruhigt und zornig. »Wenn«, sagte er sich, »wenn sie glauben, es auf diese Weise zu bekommen, irren sie sich sehr. Solange sie mir den ruhigen Genuß lassen, soll die Nation nach meinem Tode einige meiner Bilder erhalten. Fängt sie aber an, gegen mich zu hetzen und mich dergestalt zu berauben, so hol' mich der Teufel, wenn ich die ganze Geschichte nicht – verkaufe. Sie können nicht mein Privateigentum verlangen und meine patriotische Gesinnung obendrein.« So grübelte er mehrere Monate darüber, bis er eines Morgens, nachdem er die Rede eines gewissen Staatsmannes gelesen, an seinen Agenten telegraphierte, zu ihm zu kommen und Bodkin mitzubringen. Als er die Sammlung besichtigte, sagte Bodkin, dessen Urteil über Marktwerte damals mehr gesucht war als das irgendeines andern, daß man, wenn sie freihändig nach Amerika, Deutschland oder anderen Plätzen, wo ein Interesse für Kunst vorhanden war, verkauft würde, viel mehr Geld damit verdienen könnte, als wenn man sie in England verkaufte. Die patriotische Gesinnung des vornehmen Besitzers sei bekannt, sagte er, aber die Bilder wären einzig in ihrer Art. Der vornehme Besitzer schrieb das in den Schornstein und wartete ein Jahr. Am Ende dieser Zeit las er eine andere Rede desselben Staatsmannes und telegraphierte an seinen Agenten: »Lassen Sie Bodkin freie Hand.« Zu diesem kritischen Zeitpunkt aber hatte Bodkin den Gedanken gefaßt, der den Goya und zwei andere Bilder, die einzig in ihrer Art waren, für das Vaterland des vornehmen Besitzers rettete. Mit einer Hand bot Bodkin die Bilder dem fremden Markt an, mit der andern machte er eine Liste der britischen Privatsammler. Nachdem er die seiner Ansicht nach höchsten Angebote von Übersee erhalten hatte, übermittelte er Bilder und Angebote an die britischen Privatsammler und forderte sie auf, ihrer patriotischen Gesinnung gemäß zu überbieten. In drei Fällen (den Goya mitinbegriffen) von einundzwanzig gelang es ihm. Und warum? Einer der Privatsammler machte Knöpfe – er hatte so viele gemacht, daß er wünschte, seine Frau »Lady Knopf« zu nennen. Er kaufte daher für einen hohen Preis eins der Bilder und schenkte es der Nation. Seine Freunde sagten, es sei einer seiner »gewöhnlichen Kniffe«. Der zweite der Privatsammler war amerikafeindlich und kaufte eins der Bilder, um die »verdammten Yankees zu ärgern«. Der dritte war Soames, der – nüchterner als die andern – nach einem Besuch in Madrid den Goya kaufte, weil er sicher war, daß er noch im Steigen war. Goya zwar war augenblicklich nicht im Schwange, aber das würde schon wiederkommen; und als er das Bildnis anschaute, das in seiner Schlichtheit an Hogarth, an Manet gemahnte, aber eine eigen leuchtende Schönheit in der Farbe besaß, war er vollkommen befriedigt, daß er sich nicht getäuscht hatte, obwohl der Preis sehr hoch gewesen – höher, als er je einen gezahlt. Und daneben hing die Kopie von »La Vendimia«. Da war sie – das böse kleine Ding – und sah sich träumerisch nach ihm um, wie er sie am meisten liebte, weil er sich soviel sicherer fühlte, wenn sie so aussah.

Er stand noch da, als der Duft einer Zigarre in seine Nase drang und eine Stimme sagte:

»Nun, Mr. Forsyte, was werden Sie mit dieser kleinen Sammlung hier anfangen?«

Der Belgier, dessen Mutter – als wenn flämisches Blut noch nicht genügte – Armenierin gewesen war! Er unterdrückte eine natürliche Gereiztheit und sagte:

»Verstehen Sie etwas von Bildern?«

»Nun, ich besitze selbst einige.«

»Nachimpressionisten?«

»Ja–a, ich haben sie ziemlich gern.«

»Was halten Sie von diesem?« sagte Soames und deutete auf den Gauguin.

Monsieur schob seine Unterlippe und den spitzen Bart vor.

»Sehr fein, finde ich«, sagte er; »wollen Sie es verkaufen?«

Soames unterdrückte sein instinktives »Eigentlich nicht« – er wollte nicht feilschen mit dem Ausländer.

»Ja«, sagte er.

»Was wollen Sie dafür haben?«

»Was ich gab.«

»Gut«, sagte Monsieur Profond. »Ich freuen mich, das kleine Bild zu bekommen. Nachimpressionisten – sie sind zwar völlig aus der Mode, aber sie sind amüsant. Ich machen mir nicht viel aus Bildern, aber ich besitzen einige, eben nur ein paar.«

»Woraus machen Sie sich denn etwas?«

Monsieur zuckte die Achseln.

»Das Leben gleicht schrecklich einem Haufen von Affen, die nach leeren Nüssen haschen.«

»Sie sind jung«, sagte Soames. Wenn der Mann auch alles so verallgemeinerte, brauchte er doch nicht anzunehmen, daß es dem Besitz an Solidität mangelte!

»Ich machen mir keine Gedanken darüber«, erwiderte Monsieur Profond lächelnd; »wir werden geboren, und wir sterben. Die halbe Welt verhungert. Ich füttern eine Menge kleiner Kinder im Lande meiner Mutter, aber welchen Zweck hat das? Ich könnte mein Geld ebensogut in die Themse werfen.«

Soames sah ihn an und kehrte zu seinem Goya zurück. Er wußte nicht, was der Mann eigentlich wollte.

»Was für einen Scheck soll ich ausstellen?« fuhr Monsieur Profond fort.

»Fünfhundert«, sagte Soames kurz; »aber ich möchte nicht, daß Sie es nehmen, wenn Sie sich so gar nichts daraus machen.«

»Das tut nichts«, sagte Monsieur Profond, »ich werden glücklich sein, dies Bild zu besitzen.«

Er schrieb einen Scheck mit einer Füllfeder, die schwer vergoldet war. Soames beobachtete ihn unruhig. Wie in aller Welt hatte der Mann erfahren, daß er das Bild verkaufen wollte? Monsieur Profond reichte ihm den Scheck.

»Die Engländer sind schrecklich komisch in bezug auf Bilder«, sagte er. »Aber auch die Franzosen, und mein Volk ebenfalls. Sie sind alle furchtbar komisch darin.«

»Ich verstehe Sie nicht«, sagte Soames steif.

»Es ist wie mit Hüten«, sagte Monsieur Profond rätselhaft, »klein oder groß, nach oben gebogen oder nach unten – wie die Mode es will. Furchtbar komisch.« Und lächelnd verließ er die Galerie wieder, gediegen und blau wie der Rauch seiner ausgezeichneten Zigarre.

Soames hatte den Scheck genommen, doch in dem Gefühl, als sei der wahre Besitz in Frage gestellt. »Er ist Kosmopolit«, dachte er, indem er Profond beobachtete, der mit Annette unter der Veranda auftauchte und über den Rasenplatz auf den Fluß zuschlenderte. Was seine Frau in dem Manne sah, begriff er nicht, wenn sie ihn nicht deshalb mochte, weil er ihre Sprache sprach; und es regte sich in Soames ein »kleiner« Zweifel, wie Monsieur sich ausgedrückt hätte, ob Annette nicht zu hübsch war, um mit einem solchen »Kosmopoliten« spazierenzugehen. Selbst in dieser Entfernung konnte er sehen, daß der blaue Rauch von Profonds Zigarre sich in dem stillen Sonnenschein kräuselte, er sah seine grauen Bocklederschuhe und seinen grauen Hut – der Mann war ein Dandy! Und er konnte die rasche Wendung des Kopfes seiner Frau sehen, der so aufrecht auf ihrem schönen Halse und ihren Schultern saß. Dies Wenden ihres Halses kam ihm immer ein wenig zu absichtlich vor und auffallend – nicht ganz vornehm. Er beobachtete sie, als sie den Weg am Ende des Gartens entlang gingen. Ein junger Mann im Flanellanzug schloß sich ihnen dort an – ein Sonntagsbesuch vermutlich vom Fluß unten. Er ging zurück zu seinem Goya. Er starrte noch auf dies Abbild Fleurs und ärgerte sich über Winifreds Bericht, als er die Stimme seiner Frau sagen hörte:

»Mr. Michael Mont, Soames. Du ludst ihn ein, deine Bilder zu sehen.«

Es war der freundliche junge Mann aus der Galerie in der Cork Street.

»Da bin ich, Sir, wie Sie sehen; ich wohne nur vier Meilen von Pangbourne. Ein schöner Tag, nicht wahr?«

Das war das Resultat seiner Übereilung! Soames musterte seinen Besucher. Der Mund des jungen Mannes war außerordentlich breit und beweglich – er schien immer zu grinsen. Weshalb ließ er den Rest dieses blödsinnigen kleinen Schnurrbarts, der ihm das Aussehen eines Varietéclowns gab, nicht wachsen? Was in aller Welt dachten sich die jungen Männer dabei, ihre Klasse durch diese Zahnbürsten oder kleinen dummen Bärtchen absichtlich herabzusetzen? Ach! Diese affektierten jungen Idioten! In anderer Hinsicht war er ganz respektabel und sein Flanellanzug sehr sauber.

»Freue mich, Sie zu sehen!« sagte er.

Der junge Mann, der den Kopf hin und her gewendet hatte, war geblendet.

»Bei Gott!« rief er. »Das ist aber ein Bild!«

Soames sah mit gemischten Gefühlen, daß die Bemerkung der Goyakopie galt.

»Ja«, sagte er trocken, »das ist kein Goya. Es ist eine Kopie. Ich hatte sie malen lassen, weil sie mich an meine Tochter erinnerte.«

»Beim Himmel! Dachte ich doch, daß ich das Gesicht kenne, Sir. Ist sie hier?«

Die Freimütigkeit seines Interesses entwaffnete Soames beinah.

»Sie wird nach dem Tee zu Haus sein«, sagte er. »Wollen wir die Bilder ansehen.«

Und Soames begann den Rundgang, der ihn nie ermüdete. Er setzte bei jemand, der eine Kopie für ein Original gehalten hatte, nicht viel Intelligenz voraus, doch als sie von Abschnitt zu Abschnitt gingen, von Epoche zu Epoche, war er betroffen von den freien, treffenden Bemerkungen des jungen Mannes. Von Natur scharfsichtig und sogar leidenschaftlich unter seiner Maske, hatte Soames sich nicht achtunddreißig Jahre mit seinem einzigen Steckenpferde abgegeben, ohne etwas mehr über Bilder zu wissen als ihren Marktwert. Er war sozusagen das fehlende Glied zwischen Künstler und dem kaufenden Publikum. Kunst um der Kunst willen und all dergleichen war natürlich Humbug. Aber Ästhetik und guter Geschmack waren notwendig. Die Schätzung einer Anzahl Personen guten Geschmacks gab einem Kunstwerk seinen permanenten Marktwert oder, mit andern Worten, machte es erst zu »einem Kunstwerk«! Und er war hinreichend an einfältige und verständnislose Besucher gewöhnt, um sich über jemand zu wundern, der nicht zögert, von Mauve zu sagen: »Gute alte Heuschober«, oder von James Maris: »Ist es nicht, als hätte er sie eben erst gemalt«, und von Mathew: »Er war ein rechter Prachtkerl, Sir, was Qualität anlangt!« Als der junge Mann aber vor einem Whistler pfiff und die Bemerkung machte: »Glauben Sie, daß er wirklich jemals eine nackte Frau gesehen hat, Sir?« sagte Soames:

»Was sind Sie eigentlich, Mr. Mont, wenn ich fragen darf?«

»Ich, Sir? Ich wollte Maler werden, aber der Krieg verhinderte das. Dann in den Laufgräben träumte ich von der Börse, wo es so bequem und warm und gerade lebhaft genug ist. Das aber hinderte der Frieden; Aktien gehen herunter, nicht wahr? Ich bin erst seit etwa einem Jahr entlassen. Was empfehlen Sie, Sir?«

»Haben Sie Geld?«

»Ich habe einen Vater«, erwiderte der junge Mann. »Ich erhielt ihn während des Krieges am Leben, also ist er verpflichtet, jetzt mich am Leben zu erhalten. Obwohl es noch die Frage ist, ob es ihm gestattet sein dürfte, seinen Besitz weiter zu behalten. Wie denken Sie darüber, Sir?«

Blaß und abwehrend lächelte Soames.

»Der alte Mann ist einer Ohnmacht nahe, wenn ich ihm sage, daß er noch wird arbeiten müssen. Er hat Land, wissen Sie, es ist eine fatale Sache.«

»Dies ist mein echter Goya«, sagte Soames trocken.

»Donnerwetter! Der war ein Kerl! Ich sah einmal einen Goya in München, ich war einfach baff. Eine höchst übel aussehende alte Frau in den prachtvollsten Spitzen. Er richtete sich nicht nach dem allgemeinen Geschmack. Der alte Knabe war ein ›bissel‹ explosiv, er muß zu seiner Zeit eine Menge Konvention über den Haufen geworfen haben. Wie er malen konnte! Er läßt Velasquez steif erscheinen, finden Sie nicht auch?«

»Ich habe keinen Velasquez«, sagte Soames.

Der junge Mann starrte ihn an. »Nein«, sagte er, »nur Nationen oder Kriegsgewinnler können sich das leisten, glaube ich. Weshalb aber werden nicht alle bankrotten Nationen gezwungen, ihre Velasquez und Tizians und andere ›Bonzen‹ an die Kriegsgewinnler zu verkaufen, wonach ein Gesetz kommen müßte, daß jeder, der ein Bild eines alten Meisters – siehe Verzeichnis – besitzt, es in einer öffentlichen Galerie aufhängen muß. Das wäre gar nicht so übel.«

»Wollen wir zum Tee hinuntergehen?« sagte Soames.

Der junge Mann schien die Nase hängen zu lassen. »Er ist nicht dickfellig«, dachte Soames und folgte ihm hinaus.

Goya mit seiner satirischen und unübertrefflichen Bestimmtheit, seiner originellen »Linie« und dem Gewagten seines Lichts und Schattens, hätte die Gruppe, die um Annettens Teetisch in der Kaminecke versammelt war, bewundernswert wiedergeben können. Er allein vielleicht von allen Malern hätte dem Sonnenlicht, das durch eine Wand von Schlingpflanzen sickerte, gerecht werden können, dem schönen blassen Glanz des Messings, den alten geschliffenen Gläsern, den dünnen Zitronenscheiben in hell bernsteinfarbenem Tee, hätte Annette in ihrem schwarzen Spitzenkleide gerecht werden können, es war etwas von der schönen Spanierin in ihrer Schönheit, wenn ihr auch das Durchgeistigte dieses seltenen Typs fehlte, ebenso Winifred in ihrer geschnürten Solidität, Soames in seiner grauen flachwangigen Vornehmheit, dem lebhaften Michael Mont, Imogen, dunkel, mit strahlendem Blick, die ein wenig stark wurde, und Prosper Profond mit einem Ausdruck, als wolle er sagen: »Nun, Mr. Goya, was hat es für einen Zweck, diese ›kleine‹ Gesellschaft zu malen?«, endlich Jack Cardigan mit seinen leuchtenden Augen und der gebräunten Leichtblütigkeit, der dem Grundsatz huldigte: »Ich bin Engländer und lebe, um gut ›in Form‹ zu sein.«

Merkwürdig übrigens, daß Imogen, die als Mädchen eines Tages bei Timothy feierlich erklärt hatte, daß sie keinen guten Mann heiraten würde – sie wären so langweilig –, Jack Cardigan geheiratet hatte, in dem Gesundheit alle Spuren der Erbsünde dergestalt vertilgt hatte, daß sie unter zehntausend Engländern diesen einen, den sie erwählt, von den andern nicht hätte unterscheiden können. »Oh!« sagte sie wohl in ihrer »amüsanten« Art von ihm, »Jack hält sich fabelhaft gut in Form, er ist nie einen Tag krank gewesen. Er hat den ganzen Krieg mitgemacht, ohne daß ihm ein Finger weh tat. Ihr könnt euch gar nicht denken, wie gut ›in Form‹ er ist!« In der Tat war er es in dem Maße, daß er nicht sah, wenn sie flirtete, was eigentlich eine große Annehmlichkeit war. Dennoch hatte sie ihn sehr lieb, soweit man eine Sportmaschine und zwei kleine Cardigans, die nach seinem Muster geraten waren, liebhaben konnte. Ihre Augen verglichen ihn eben jetzt schalkhaft mit Prosper Profond. Es gab keinen »kleinen« Sport und kein Spiel, das Monsieur Profond nicht gespielt hatte, wie es schien, und jedes bis zu Erschöpfung, von Kegelspielen bis Walfischfangen. Imogen hätte zuweilen gewünscht, daß Jack, der mit dem Eifer eines Schulmädchens, das Hockey lernt, an den Spielen teilnahm und davon sprach, es auch bis zur Erschöpfung getan hätte. Sie wußte genau, daß Jack im Alter von Großonkel Timothy auf dem Teppich ihres Schlafzimmers noch Golf spielen würde.

Er erzählte eben, wie er diesen Morgen versucht hatte, Prosper Profond zuzureden, nach dem Tee eine Partie Tennis mit ihm zu spielen – es tue ihm gut, halte ihn gut »in Form«.

»Aber was hat es denn für einen Zweck, gut ›in Form‹ zu sein?« fragte Monsieur Profond.

»Ja, Sir«, murmelte Michael Mont, »wozu halten Sie sich gut ›in Form‹?«

»Jack!« rief Imogen belustigt, »wozu hältst du dich eigentlich gut ›in Form‹?«

Jack Cardigan starrte mit aller Macht. Die Fragen waren wie das Gesumm eines Moskitos, und er hob die Hand, sie fortzuscheuchen. Während des Krieges natürlich hatte er sich gut in Form gehalten, um Deutsche zu töten, jetzt, wo er vorüber war, wußte er eigentlich auch nicht oder schreckte aus Zartgefühl davor zurück, zu erklären, was seine Triebfeder dazu war.

»Aber er hat recht«, sagte Prosper Profond unerwartet, »es bleibt einem nichts anderes übrig, als sich gut ›in Form‹ zu halten.«

Dieser Ausspruch, der eigentlich zu tief war für einen Sonntagnachmittag, wäre ohne die Lebhaftigkeit des jungen Mont unbeantwortet geblieben.

»Gut!« rief er. »Das ist die große Entdeckung des Krieges. Wir alle dachten, wir wären im Fortschreiten – jetzt wissen wir, daß wir uns nur ändern.«

»Zum Schlechteren«, sagte Monsieur Profond heiter.

»Wie munter Sie sind, Prosper«, murmelte Annette.

»Kommen Sie und spielen Sie Tennis mit mir!« sagte Jack Cardigan. »Spielen Sie, Mr. Mont?«

»Ich bringe den Ball schon übers Netz, Sir.«

Jetzt erhob sich Soames.

»Wenn Fleur kommt –« hörte er Cardigan sagen.

Ja, und warum kam sie nicht? Er ging durch das Wohnzimmer, die Halle und die Vorhalle auf den Fahrweg hinaus und stand dort, auf das Auto lauschend. Alles war still und sonntäglich. Der Duft des Flieders, der in voller Blüte stand, erfüllte die Luft. Da waren weiße Wolken, wie Entenfedern von der Sonne vergoldet. Die Erinnerung an den Tag, wo Fleur geboren wurde und er in solcher Todesangst gewartet und das Leben ihrer Mutter und das ihre gegeneinander abgewogen, drängte sich ihm auf. Er hatte sie gerettet, damit sie die Blume seines Lebens werde. Und nun! War sie im Begriff, ihm Kummer zu bereiten – Schmerz – ihm Kummer zu bereiten? Ihm gefiel die Sache nicht! Eine Amsel unterbrach seine Träumerei mit ihrem Abendlied – ein großer dicker Bursch dort oben auf der Akazie. Soames hatte in den letzten Jahren großes Interesse an seinen Vögeln gewonnen, er und Fleur gingen oft umher und beobachteten sie; ihre Augen waren scharf wie Nadeln, und sie kannte jedes Nest. Er sah ihren Hund, einen Jagdhund, in einem Sonnenflecken auf dem Fahrweg liegen und rief ihn an. »Hallo, alter Knabe – du wartest auch auf sie!« Der Hund kam langsam mit wedelndem Schwanz, und mechanisch legte Soames die Hand auf seinen Kopf. Der Hund, der Vogel, der Flieder, alles war für ihn ein Teil von Fleur, nicht weniger, nicht mehr. »Habe sie zu lieb«, dachte er, »zu lieb!« Er war wie jemand, der seine Schiffe unversichert auf See hatte. Wieder unversichert, wie in jenen Tagen, vor langer Zeit, als er stumm und eifersüchtig in der Wüstenei von London umherwanderte, in Sehnsucht nach jener Frau – seiner ersten Frau –, der Mutter dieses verwünschten Jungen. Ah! Da war das Auto endlich. Es fuhr vor, hatte Gepäck mit, aber keine Fleur.

»Miß Fleur kommt zu Fuß, Sir, auf dem Weg am Fluß.«

Zu Fuß all diese Meilen? Soames starrte ihn an. In das Gesicht des Mannes trat ein Lächeln. Worüber grinste er? Und sehr schnell wandte er sich um, sagte: »Gut, Sims!« und ging ins Haus. Er kehrte wieder in die Bildergalerie zurück. Von dort hatte er eine Aussicht auf das Flußufer und stand, die Augen darauf gerichtet, ohne daran zu denken, daß es mindestens eine Stunde dauern würde, bevor ihre Gestalt sich dort zeigte.

Zu Fuß! Und das Grinsen dieses Burschen! Der Junge – –! Er wandte sich plötzlich vom Fenster ab. Er konnte nicht spionieren. Wenn sie ihm Dinge vorenthalten wollte – mußte sie es tun, er konnte nicht spionieren. Er hatte ein Gefühl der Leere im Herzen, und Bitterkeit stieg daraus bis in seinen Mund. Die Stakkatorufe Jack Cardigans, der dem Ball nachjagte, und das Lachen des jungen Mont stiegen in der Stille zu ihm herauf. Er hoffte, sie würden diesen Profond tüchtig zum Laufen bringen. Und das Mädchen in »La Vendimia« stand mit dem Arm in die Seite gestemmt und blickte mit ihren träumerischen Augen über ihn hinweg. »Ich habe alles für dich getan, was ich konnte«, dachte er, »seit du nicht höher reichtest als bis zu meinen Knien. Du wirst mir doch keinen – keinen Kummer bereiten, nicht wahr?«

Aber die Goyakopie antwortete nicht, die von der Zeit kaum gedämpften Farben leuchteten. »Es ist kein wirkliches Leben darin«, dachte Soames. »Warum kommt sie nicht?«


 << zurück weiter >>