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Siebzehntes Kapitel.
Skizzen.

1.

Biela, der Häuptling von Mobongo, hatte zwei etwa achtjährige Kinder: Liotoka, noch Katechumene, und ihre Zwillingsschwester Bahanga, bereits getauft unter dem Namen Katharina. Wie waren diese so eifrig im Gebet und Unterricht! Viele Kinder folgten ihrem Beispiel.

Aus dem Urwaldpfad tauchte an der Spitze einer beladenen Karawane, im Tragstuhl hoch über den Schultern der Seinen, Likwangula, der Häuptling von Mapalma, auf, befahl den Tragstuhl vor Bielas Haus niederzulassen und begann Kaufschätze auszukramen: mit zwei langen Netzen umspannte er den Dorfplatz, zwei Hunde und zwei Ziegen wurden an Pfähle gebunden, zehn Lanzen staken bald im Boden und vierzig Kriegsmesser lagen daneben, je viermal fünf Kupferschätze reihten sich hintereinander, bis die Zahl 400 voll war. Nochmals eine kurze Nachzählung, dann klatschte Likwangula den Biela herbei: »Freund, schau her! Was reden diese Schätze? Sie reden: Gib mir dagegen deine zwei Kinder zu Frauen.«

Biela schmunzelte, zählte, schmunzelte.

»Die Sache ist abgemacht. Liotoka, Bahanga, hier ist euer Mann! Er hat bezahlt. Ihr geht mit ihm! Mit diesen Schätzen ziehe ich morgen aus auf die Suche nach zwei neuen Weibern für mich.«

Die Mädchen hatten aufgeschrieen. Ach, sie waren noch so zart, so schön, so lieb und freuten sich der Kindheit. Herzlos übergab der Vater sie dem schmutzigen Wollüstling. Sie flohen in den Wald. Doch der langbeinige Likwangula hatte sie schnell eingeholt, sperrte sie in Netze ein, band diese an Tragstangen, und heimwärts ging es, in den Häuptlingsharem. –

Sechs Wochen später! Im Gänsemarsch zog Likwangulas Weiberzug wie allabendlich zum Lulufluß hinab, Wasser zu schöpfen, und mit gefüllten Töpfen auf dem Kopf zogen die Frauen singend heimwärts, zuletzt die jüngsten, Liotoka und Katharina.

»Schwestern«, sprachen diese zu ihren Genossinnen, »wir zwei wollen schnell noch ein Bad nehmen, Schweiß und Staub des Tages abzuwaschen. Geht ihr indessen vorwärts.«

Sie hoben ihre Töpfe vom Kopf, stellten sie am Ufer nieder und versicherten sich, daß niemand zurückschaue. Dann durchschwammen sie eilends den Fluß und verschwanden im jenseitigen Walde.

»Ich kehre heim zu unsrem Vater; er muß mich wieder aufnehmen«, sagte Liotoka.

»O, Schwester, der Vater hat uns doch verkauft. Er will uns nicht mehr haben. Schon hat er um die empfangenen Schätze Frauen gekauft. Laß uns zur Mission gehen. Sie ist eine Schutzstätte für die Kinder Gottes.«

»Nein, das ist zu weit. Wir kennen den Weg nicht. Ich gehe zum Vater heim.«

Die Schwestern trennten sich. Liotoka verlor bald den sumpfüberdeckten Pfad, geriet in den Morast, kam nicht vorwärts und sank ein. Als eben nur ihr Kopf noch herausragte und sie mit Armen und Händen um ihr Leben rang, holte sie Likwangula ein, zog sie heraus, schlug sie halb tot und schleppte sie zurück in sein Gefängnis.

Katharina aber wanderte in anderer Richtung, die Pfade meidend, im Walde dem Lulufluß folgend. Wo die Nacht sie traf, da blieb sie liegen, und ein paar Waldfrüchte erhielten ihr die Kraft. Am fünften Marschtage traf sie bei mir ein.

»Ach, meine Schwester!« jammerte sie, als ich mich wieder auf die Reise begab. »Sie seufzt gewiß nach der Freiheit, die der liebe Heiland gebracht hat! Erlöse sie, wenn du sie in Mapalma triffst.« …

»Nein, Herr,« wies Likwangula mich ab, als ich den Versuch machte. »Dieses Weib habe ich bezahlt; ich gebe es nicht her. Ihr Name steht fest im Steuerbuch. Wenn sie flieht, hat der Beamte sie zurückzuholen: sie ist mein.«

2.

Ich wandere durch Mabenja, vier Tage weit von der Zentrale entfernt. Das Dorf ist leer, denn alles flieht die Mittagsglut und birgt sich im Walde.

Da schreit aus einer kleinen Hinterhütte eine Mädchenstimme:

»O Pater, Pater, du bist hier? O, dich hat Gott gesandt. Schnell komm her! Schneide die Türe auf; sie ist von außen zugebunden. Ich bin gefangen, bin Gefangene eines Frauenräubers. In meinem Heimatdorf hat er mich gestohlen.«

»Wie, Nomandalu, du hier? Bist du der Mission entflohen?«

»Wie könnte ich das! Für einen Tag nur war ich nach Mokongo zu meiner Schwester Agatha gegangen, die du mit einem Christen verheiratet hast. Da fiel der Unterhäupling von Mombana über mich her und band mich: ›Du bist jetzt meine Frau‹, schrie er. ›Da deine Schwester Agatha, für die ich voll bezahlt habe, in Christenbosheit mit des Paters Schutz mir entgangen ist, bist du, ihre Leibesschwester, mein Weib nach Väterrecht.‹ Ich rief meine Brüder an, sie möchten mich befreien. ›O nein, wir haben dich ja aus der Mission hierher gelockt; die Schätze, die wir für Agathe empfangen haben, geben wir nie zurück. Da mußt du des Häuptlings Frau sein an deiner Schwester Stelle.‹ Sie legten mich gebunden in den Einbaum. Wir fuhren, wir fuhren, wir fuhren die ganze Nacht und den halben Tag. Dann legten sie am Ufer an. Der Häuptling sprang ans Land. Darauf warfen die Brüder mich heraus, und blitzschnell schoß ihr Kanu heimwärts. Der Häuptling band mich los. Ich mußte mit ihm ziehen. Wir gingen, wir gingen, wir gingen und kamen nach Mombana in sein Haus. Da ward ich eingesperrt, weil ich entfliehen wollte.«

»Wie kommst du denn hierher nach Mabenja? Das sind ja drei Tage zu Fuß von Mombana.«

»Der Häuptling wurde in Steuerangelegenheiten vom weißen Mann des Staates hierher beschieden. Weil er fürchtete, ich könnte entfliehen, nahm er mich mit durch den weiten Wald und Sumpf, und sperrte mich nun hier in diese Hütte, indes er auf die Jagd gegangen ist. Schnell, laß uns gehen; er kommt bald.«

»Du ziehst mit mir zur Mission zurück; denn solch ein Gesetz darf kein Richter anerkennen.«

»Ja, nur schnell fort von hier, und taufe mich bald! Dann stehe ich unter des Heilands Gesetz, das Freiheit bringt und Freude in das Herz.«

3.

In Angolingoros Hof zu Likombe saßen sechs Christenmädchen neben dem Lagerfeuer ihrer Freundin Angela Senya und griffen mit der Adamsgabel aus dem großen Lehmtopf das mit Palmöl gekochte Blättergemüse heraus, schoben es rastlos in den bodenlosen, weiten Schlund, und was daneben gegangen, strichen sie vom Kinn in die rechte Bahn zurück. Dann wuschen sie nach Landessitte Hände, Mund und Zähne mit warmem Wasser, und während draußen von den Knabenhäusern jenseits des Frauenhofes frommes Rosenkranzgebet herüberklang – gesprochen von den am Feuer knieenden Jünglingen –, erzählte Angela ihren Gespielinnen das schöne Geschichtchen, an das sie gedacht hatte, während sie neben dem Kochen her zusammen gebetet hatten, wie nämlich Maria, die reinste Jungfrau, den himmlischen Schatz unter ihrem Herzen behutsam und andächtig übers Gebirge trug und mit ihrer Einkehr dem Hause Segen brachte.

»O, meine Schwestern, könnten doch auch wir Jungfrauen bleiben und dem lieben Jesuskind allein uns weihen. Ach, ich habe Furcht! Mir hat das Essen nicht geschmeckt. Mein Vater hat Besuch bekommen. Er sitzt vor seinem Haus und verhandelt mit einem bösen Turumbuhäuptling, der ihm Kaufschätze bietet. Für wen? Wenn nur ich es nicht bin!«

»Angela, Angela, nein, du nicht! Sein Christenkind wird dein Vater doch nicht in Heidenhände liefern! Das Herz würde uns brechen darob, du bist uns ja Mutter geworden; hast uns den Weg zu Gott gezeigt, unsre Angst gebannt, uns ins Gotteshaus geführt, uns belehrt, mit uns gebetet, bis wir des Heilands Kinder waren. Und jetzt noch …«

»Fort aus meinem Hof, ihr Kinder«, rief hereintretend Angolingoro, »geht in eure Hütten heim!« – Schon waren sie verstoben. »Und du, Senya, in die deine dort! Daß du mir nicht entfliehst! Denn wisse: dein Mann ist da, einer von den Turumbu! Du bleibst in deiner Hütte. Wir aber feiern heute nacht deine Vermählung.« Und er schob das sprachlose Mädchen in die Hütte hinein, band die Türe von außen zu und überließ es seinem Schrecken.

Der Frauenhof bildete ein von aneinander gebauten Hütten umgebenes Quadrat, die Türen nach innen, mit Lehm überstrichene Pfahlwerkwände nach außen. Dem bebenden Herzen Angelas entstieg ein heißes Flehen zu Gott und Maria, daß sie doch ein Engel bleiben könnte, wie es ihr Name bedeute. Dann bohrte sie mit einem Stäbchen Lehm von der Rückwand der Hütte, bis eine Spalte zwischen den Pfählen Aussicht gestattete: vielleicht würde eine Gespielin in die Nähe kommen, die sie anrufen könnte, leise, leise.

Es war draußen lebendig geworden. Der Gong erdröhnte und rief das Volk zum Tanz, zur Hochzeitsfeier. Drei Mädchen kamen traurig die Dorfstraße herab, in ihrer Hand das leuchtende Holzstück.

»Pst, pst, pst«, rief Angela. »Agnes, wirf das Feuer weg und komm hierher.« Alle drei Feuerbrände flogen weg. Die Mädchen lauschten an der Lehmwand. – »Schwestern, gebt acht, daß euch niemand sieht! Eine stehe Wache!«

»Ach, Angela, sie trinken schon Palmwein auf dem Dorfplatz, dein Vater und der Turumbuhäuptling mit ihren Brüdern; die Kaufschätze sind abgezählt und liegen in der Hütte deines Vaters. Wir Christen sind in Schrecken.«

»Ruft mir den Luka und Mathia, ganz leise.« – Sie kamen. – »Hört, Brüder; wir sind Christen. Niemals soll man in Likombe sagen: ›Angela ist abgefallen, dem Heiland untreu geworden, hat ihr Taufgelübde in Lügen umgewandelt; Angela, die erste Christin von Likombe!‹ Eher sollen sie mich töten. – Versucht es, Brüder, mich zu retten. Haltet Rat mit Leo, Simon, Andreas, ob ihr unbemerkt das Dach aufschlitzen und mich herausheben könnt; ich will in die Mission entfliehen.«

In tiefster Nacht, als auf dem Dorfplatz die Feuer loderten, in ihrem Schein die Männer und die Frauen tanzten und der schon achtfache Bräutigam, beschwingt von Likombes kräftigem Palmsaft, in wildesten Sprüngen sich ihnen zeigte, schnitten vier Knaben das Dach der Hütte auf, hoben Angela heraus, geleiteten sie dem Waldsaum entlang dorfab, dann zwischen den Hütten hindurch, setzten sie ins kleinste Kanu und ruderten davon. Weit unterhalb Likombe lag im Busch ein großer Einbaum bereit, das Eigentum der Christen. In ihn stieg Angela, und zweiunddreißig Knaben ruderten durch die Nacht in fliegender Fahrt den Fluß hinab zur schützenden Mission. Dort blieb sie – bis sie eines Christen Gattin wurde.

4.

Mittels einer Leiter erklomm ich vom Einbaum aus die steile Uferhöhe von Bombongo und wurde von hundert Händen warm bewillkommt und unter Jubel in das neue weiß getünchte Haus geleitet, das die Christen in Liebe mir neben dem schmucken Kirchlein erbaut und vor dem ein Riesenkreuz weit über den Strom verkündet: hier herrscht Christus.

Nun saß ich in der Barza, umringt von strahlenden Gesichtern mit glänzend schwarzen Augen, und der Mund aller floß über vom Glück des Herzens. »Endlich bist du wieder bei uns, Pater! Wir starben vor Sehnsucht nach dir!«

Ich war noch nicht lange da, so vernahm ich ein seltsames Geräusch über mir. »Holla, was rauscht denn über meinem Kopf? Ich glaube, ihr habt mit Bambusstäben und Blättern eine Decke gemacht, die euern Ratten als Tanzplatz dient!«

»O, da oben sind keine Ratten, Pater; da oben sind Brüder.«

»So? Was haben sie da oben zu suchen? Habt ihr sie eingesperrt?«

»Nicht wir; sie selbst wollten es so. Es ist das ihr Versteck vor ihren heidnischen Vätern. Brüder, kommt jetzt herunter und erzählt dem Pater selber eure Geschichte.«

Bald standen fünf Knaben, vierzehn bis sechzehn Jahre alt, vor mir und reichten mir beglückt die Hand.

»Wir haben unsern Katechisten Albert um Erlaubnis gebeten, uns unterm Dach deines Hauses einnisten zu dürfen, bis du kommst und unsre Angelegenheit entscheidest. Schon drei Monate warten wir auf dich. Unsre Väter hatten beim Tode eines reichen Häuptlings viele Mädchen und Frauen gekauft und jedem von uns eine in die Hütte gesperrt. Da flohen wir zu unsrem Katechisten Albert, daß er uns gegen die Sünde schütze; denn nicht umsonst sind wir Christen! Wir wollen dem Heiland gehorchen. So blieben wir seither hier unterm Dach und in Alberts Hof. Albert aber geht täglich zu den Mädchen und unterrichtet sie in der Religion. Auch seine Frau geht mit und bleibt den ganzen Tag, daß sie schnell Christenverstand bekommen. Dann sollen sie dir aus freier Wahl erklären, ob sie uns wollen und christlich leben werden oder nicht, und du entscheidest, wie es Gottes Wille ist.« –

Nach einigen Wochen Arbeit in Bombongo traten hundert ins Katechumenat ein; selbst Alte kamen, entsagten der Vielweiberei und regelten ihre verwickelten Ehesachen nach christlichem Gesetz. Eine Reihe Katechumenen hatten die Jahre um und schmachteten nach Taufe und Erstkommunion. Auch gab es etliche Heiraten. Kurzum es gab ein großes Fest. Nach der Beicht der Christen verteilte ich die Arbeit: die Kirche schmücken, das Dorf reinigen usw. Zu einem Tauf-, Erstkommunion- und Hochzeitstag gehört aber auch ein Festschmaus. »Ihr sechzig Mann, ihr geht auf die Jagd. Dort auf den Inseln gibt es Wildschweine. Zieht los! Mit den Lanzen und Netzen in die Kanus! Daß ihr mir nicht leer zurückkehrt!«

In der untergehenden Sonne glänzten die Wasserfurchen der Heimkehrenden Kanus; Freudengesang rief uns alle ans Ufer. Vor jedem Kanu und dahinter war ein Schwein angebunden, in dessen Ohren, Nasenlöchern und Maul Palmzweige staken. Bald lagen siebenundzwanzig Wildschweine auf dem Kirchplatz. Ich stellte Christen und Katechumenen in siebenundzwanzig Sektionen auf und jede erhielt ihr Schwein zum Freudenfest.

5.

Vier Ruderstunden weit jenseits am Kongofluß liegt Bandu. Die dortigen Christen hielten den Sonntag hoch. Sie fehlten nie in der heiligen Messe, trotz der schweren, langen Ruderfahrt – auch bei schlechtem Wetter nicht. Schon um 3 Uhr in der Frühe klopften sie an meine Tür: »Pater, wir sind da. Wir wollen beichten. Komm heraus.«

»Liebe Leute, wenn aber wieder einmal ein Sturm den Fluß aufwühlt wie diese Nacht, daß mir da ja keiner herüberkommt! Habt ihr's verstanden? Denkt doch, das könnte ja ein furchtbares Unglück geben!«

»Was, Pater? Ein Sonntag ohne Messe? Ist das ein Sonntag? Der Sonntag eines Christen? Wir werden kommen, da kann es stürmen, wie es will! Sind wir denn aus Salz gebildet, daß uns das Wasser schaden soll? Wir kommen, daran kannst du nichts ändern! Gehen denn die Heiden nicht auch zu Markt trotz Sturm und Regen?«

Das Unglück kam nur zu bald. Es war wieder Sonntag. Die ersten Kanus hatten längst die Mission erreicht, die letzten sechs jedoch trieb ein plötzlich ausgebrochener Sturm und Wellengang. Vergeblich kämpften die Insassen; sie wurden herausgeschleudert und rangen schwimmend mit den Wogen. Zwei Kilometer weit ist das Ufer entfernt; es läßt sich nur mit schwerer Mühe erreichen.

Da schoß ein großer Einbaum mit dreißig heidnischen Ruderern aufspritzend durch die empörte Flut. Die Christen schrieen um Hilfe.

»Ha, ihr Patres-Leute, ihr seid ja reich! Ihr kleidet euch in schöne Tücher. Da könnt ihr bezahlen, wenn euch das Leben lieb ist! Was gebt ihr uns?«

Was gibt der Mensch nicht um sein Leben! Doch nichts genügte diesen Kannibalen. »Eure Kinder wollen wir, eure Mädchen, zu unsern Sklavinnen und Weibern.«

»Unsre Kinder! nein, niemals! Das dürfen Christen nimmer tun.« Da stachen sie ihnen mit den Ruderspitzen durch die Schädel. Elf starben so in Sehnsucht nach der Sonntagsmesse und für die christliche Elternpflicht.

»Warum habt ihr nicht auf mein Verbot geachtet?« klagte ich schmerzerfüllt bei den Überlebenden.

»Traure nicht um unsre Brüder, Vater! Stirbt jeder Mensch in Sehnsucht nach dem lieben Gott wie sie? – Doch wollen wir künftig deinem Wort gehorchen und nie mehr durch den Sturm zur Kirche fahren. Wir brechen unser Dorf jenseits des Wassers ab und bauen uns ein neues hier in deiner Nähe. Dann raubt kein Sturm uns mehr die Sonntagsmesse.«

So ist zwei Stunden weit von der Missionszentrale das Dorf Loleke entstanden, in dem schon siebenhundert Christen in Wohlstand zusammen wohnen. Jeder lichtet ein Stück Urwald, legt eine Pflanzung an, baut darin sein Haus, hält Hühner, Enten und Ziegen, und wenn es Sonntag ist, dann gilt die alte Devise: Nichts soll uns die Sonntagsmesse rauben!

6.

»Beim heutigen Wolkenbruch habe ich gesehen, wie ein paar Regentropfen durch das Dach eurer Kirche auf den Altar fielen. Liebe Leute, das darf nicht sein! Bessert das Dach aus und haltet eure Kirche Gottes würdig; denn er ist groß und heilig, und ihm gebühret Ehre.«

So hatte ich in Yambumba zu den Christen gesprochen und fuhr nun weiter flußaufwärts.

Nach zwei Monaten glitt mein Einbaum am andern Ufer hinab, und ich glaubte schon den Yambumba-Leuten unbemerkt entkommen zu sein. Da entstand Gejubel und Gongklang in ihrem Dorf, und herüber auf mich zu schossen hintereinander ein Dutzend Kanus.

»Du wolltest uns entfliehen? Wohl wegen dem Kirchendach? Glaubst du, das geht bei uns? Unser Auge beherrscht das Wasser. Wir haben dich nun! Du mußt mit uns ins Dorf. Du mußt die neue Kirche einsegnen!«

»Euer neues Kirchendach, wollt ihr sagen? Dafür kann ich nicht aussteigen! Ich muß heute nach Ilongo.«

Sie aber zogen meinen Einbaum an sich heran, sprangen hinein und ruderten mich dorfwärts ans Ufer, etwa 1½ Kilometer weit. Ich erklomm die Uferhöhe. Welch ein Leben! Tausend Hände waren an der Arbeit. Die einen ebneten den Boden, schafften Arbeitsreste fort; andere bemalten die Kirchenwände in sechs verschiedenen Farben mit Kreuzchen, Spitzen- und Blumenformen usw.; andere zimmerten den Altar, wieder andere suchten vielgestaltige Kieselsteinchen und stampften sie in den weichen Lehm des Bodens zu Mosaikgebilden.

Wie staunte ich! In zwei Monaten hatte ein Geist, der in vierhundert Köpfen lebte, eine Pfarrkirche hervorgezaubert, und ich blieb natürlich, um sie einzuweihen, damit die Freude der Leute voll wäre. Yambumba hat die schönste Kirche am Lohali. Das ließ sich nicht jedes Dorf sagen. Auch sie ersetzten die alten Kirchen durch schöne neue. Es ging um die Wette, wer dem Herrn ein schöneres Gotteshaus erbauen könne.

7.

Der hochwürdigste Missionsbischof kam, um die heilige Firmung zu erteilen. Die Christenmenge drängte sich auf allen Wegen und Arbeit gab es grenzenlos die ganze Woche vorher.

»Können alle diese Leute auch den Katechismus?« frug der hohe Herr.

»Hört ihr's, meine lieben Christen, der hochwürdigste Bischof zweifelt an eurem Wissen.«

»Was tut er? Wir wollen es ihm zeigen! Wo sind unsre Katechisten? Wo bist du, Albert, du, Leo, du, Karl? …« So riefen alle durcheinander. »Kommt her, Brüder, wir stellen uns den Dörfern nach auf, jedes Dorf zu seinem Baba, und wir sagen die ganze Religion her. Der Bischof soll hören, ob wir was wissen.«

Bald standen die Christen von achtzig Dörfern in kurzen Abständen in den Alleen der Mission. Jung und alt, Männer, Frauen und Kinder schrieen Katechismus, Gebete und Lieder herunter, alles, was zwischen den Buchdeckeln stand; jedes Dorf suchte das andere zu übertönen und die Sache schneller herunterzuschmettern.

»So was habe ich noch nie erlebt«, sprach Seine Gnaden. »Nie hätte ich das für möglich gehalten.«

8.

»Pater, wir haben schweren Streit im Dorf«, sprach der Häuptling von Jawana. »Deine Christen sagen, wir seien schlechte Menschen, Kinder des Teufels und kämen nach dem Tode dahin, wo er wohnt. Sie wollen nicht mehr mit uns leben, sondern abseits ein eigenes Dorf bauen, um, wie sie sagen, nach Gottes Willen leben zu können. In dieser schweren Sache habe ich den Rat berufen; wir haben nachgedacht, geredet, und so fiel die Entscheidung: Schlechte Menschen sind wir, das können wir nicht leugnen. Deine Christen leben besser. Da wir aber Brüder sind, wollen wir keine getrennten Dörfer haben, weder jetzt noch nach dem Tode. Darum sollst du uns alle in deinen Unterricht aufnehmen, uns den Weg Gottes zeigen und uns alle zu seinen Kindern machen. Das ist einfach.«

»Das ist gar nicht so einfach, liebe Leute; denn Gott verlangt zunächst, daß ihr, wie meine Christen, euch mit einer Frau begnügt, und statt die Mädchen zu verkaufen, sie auf seine Wege lenkt.«

»Nun, wenn es Gott befiehlt, dann müssen wir gehorchen: er ist der Herr. Sage uns, wie wir das tun sollen! Leute, stellt euch auf mit euern Frauen und Kindern! Der Gottesarzt entscheidet, was ihr zu tun habt. Verstanden? Er soll unser Dorf gut machen.«

In vier Wochen hatten fast dreitausend durch Rückgabe und Rücknahme der Kaufschätze ihre verwickelten Eheverhältnisse nach christlichem Gesetz geregelt und waren rechte Katechumenen.

9.

Wie einzig ist die Weihnacht in Afrika! Auf den Gefilden der Mission saßen zehntausend Neuchristen um die zahllosen Lagerfeuer im bunten Feststaat unterm sternenglänzenden Himmelszelt, und freudezitternden Herzens warteten sie – es sangen die Gruppen sehnsuchtsvoll in ihrer Sprache: »Tauet, Himmel, den Gerechten …«, »O Heiland, reiß die Himmel auf …«, »Komm, du liebes Jesuskind!« usw. – Sie harrten, bis zur mitternächtlichen Stunde die Kirchtüre sich auftat und sie hineinfluten konnten in die fackelbeleuchtete, palmengeschmückte Kirche zur Krippe hin, wo alsbald das Engellied erscholl: Gloria in excelsis Deo! Und als der Heiland im levitierten Hochamt zu ihnen herabgestiegen war, umjubelten sie ihn: »O kommt, laßt uns anbeten« … und weit öffneten sie ihm bei der heiligen Kommunion ihr gereinigtes Herz zum liebevollen Empfang.

Nach Schluß meiner drei Messen kauerten sie wieder um die Feuer und kochten sich den Weihnachtsschmaus: ein Huhn in jedem Topf, so ist es Sitte. Dann kamen sie alle in die Frühmessen und ins Tagesamt. So voll war die Kirche, daß keiner sich hätte zum Knieen niederlassen können.

»Weshalb wollt ihr denn in allen Messen sein? Verteilt euch doch!«

»Wie? Können wir nicht noch genug im Dorfe sitzen? Erst wollen wir in der Kirche sein.« –

Wir saßen zur Mittagszeit zu Tisch. In die Kirche schlichen vierzig Kinder, heimlich, leise; sie eilten zur Krippe hin, knieten nieder und falteten die frommen Händchen. Eines Knaben klangvolle Stimme begann, und alle fielen ein – doch leise, damit die Patres es nicht hörten:

Zu Bethlehem geboren ist uns ein Kindelein,
Das hab' ich mir erkoren, sein eigen will ich sein,
Eja, eja, sein eigen will ich sein.

Indes stand einer auf, kroch zur Krippe hin, griff nach dem Jesuskind, hob es heraus, küßte es gar lieb – d. h. drückte seine Stirne auf die des Jesuskindes: Stirn auf Stirn, das ist der Negerkuß – und reichte es seinen Brüderchen und Schwesterchen der Reihe nach in der Runde. Alle nahmen es in die Arme und küßten es. Dann trug es der Knabe zurück. Bevor er es aber wieder in die Krippe legte, gab er ihm einen so kräftigen Kuß und drückte es mit solcher Innigkeit ans Herz, daß Kopf, Ärmchen und Füßchen abbrachen und zu Boden fielen.

O Schreck! Wie fuhren sie zusammen! Sie rannten zitternd zur Kirche hinaus. Was hatten sie getan! Wie wird der Pater schimpfen! Und doch, sie hatten es so gut gemeint.

10.

Abend des Fronleichnamsfestes! Die Sonne verschwindet hinter den Urwaldbäumen. Nun ist es wieder möglich, ohne Tropenhelm in der Wundernatur zu wallen. Die Prozession zieht aus der Kirche, glanzvoll und licht, in den stillen Abend hinaus unter frommem Sakramentsgesang. Voran die Negerkinder, weiß gekleidet, Blumen streuend, Palmen schwingend, Hosanna singend. Dann umringt von zweiunddreißig Meßdienern mit Rauchfässern, Schellen, Leuchtern, dem Traghimmel, und unter ihm die Missionare mit dem Allerheiligsten. Es folgen sechstausend Kerzenträger, Männer und Frauen. Der Zug geht durch die Palmenalleen zu dem Riesenaltar hin, der dort am Urwaldrand aufgebaut ist und im Glanz von dreihundert Ölfackeln strahlt. Nieder kniet im Lichtmeer die Menge, des Segens harrend, während aus der Dunkelheit drüben die Heidenaugen aufleuchten und sich fragen: »Was soll das bedeuten? Etwas Göttliches muß das sein!«

Woher haben alle diese Leute ihre Kerzen hier in Afrika?

Sie hatten mit einem portugiesischen Handelsmann einen Kontrakt geschlossen: »So und so viel Palmkerne, Kopal und Elfenbein verschaffen wir dir, wenn du uns für Fronleichnam europäische Kerzen besorgst.«

Außer einem prächtigen Fest brachte mir das noch einen Vorteil: sie nahmen die Kerzenreste nicht mit nach Hause, sondern legten sie zusammen zu Füßen des Altares, um den Gottesdienst weiterhin zu verherrlichen.

11.

Die letzte Missionsreise führte mich noch einmal nach Mapalma-Mobongo. Es befremdete mich, daß die Christen mir nicht wie sonst jubelnd entgegenstürzten. Bald erfuhr ich den Grund: sie lagen alle krank danieder und waren im Gefängnis. Der Häuptling hatte sie an den letzten sechs Sonntagen furchtbar geprüft. »Ich will doch einmal sehen, wer Herr ist im Ort, ich oder euer Gott?« Während er an Werktagen alle unbeschäftigt ließ, rührte er in der Sonntagfrühe die Baumtrommel zur Sammlung seiner Leute, suchte die Christen heraus und befahl: »Ihr Christenmänner fällt mir heute Bäume: ihr Christenfrauen macht mir eine Pflanzung.« Sie entgegneten: »Die ganze Woche arbeiten wir gern für dich. Der Sonntag aber ist für Gott allein. Ihm müssen wir dienen.« Mit fünfzig Peitschenhieben, in langsamem Tempo, von den stärksten Männern heruntergehauen, mußten sechsundachtzig Christen ihre Weigerung büßen, wurden blutig geschlagen, zerfleischt und eingesperrt, und an jedem weiteren Sonntag waren sie vor die gleiche Wahl gestellt und erlitten sie gleiche Qual für ihre Gottestreue, bis ich ihnen Rettung brachte, indem ich den unmenschlichen Häuptling bei der staatlichen Verwaltungsbehörde verklagte.


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