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Als ich euch ausgesandt ohne Beutel, hat euch da je etwas gefehlt?« frug einst der Herr. Und die Jünger mußten gestehen: »Nein.«
Auch ich war arm ausgezogen, und doch zähle ich die Wochen und Monate der Entbehrung bei der Gründung der Mission zu den glücklichsten des Lebens; denn der Herr war nahe.
Neben Vertiefung in die Sprache, neben Schule und Unterricht mühte ich mich in Anlegung von Gärten und Feldern. Viele Sämereien aus der Heimat und Setzlinge aus andern Missionen hatte ich mitgebracht, aber an die Werkzeuge nicht gedacht. Moyimba lieh mir – nicht ohne Gegengeschenk! – eine Axt, noch in der Steinzeitform, wenn auch aus Eisen geschmiedet. Diese wurde mit dem Spitzwinkel in den Stock, einen Kaffeebaumknorren, gesteckt – nicht der Stiel in die Axt, wie wir es tun. Steckte ich die Axtspitze quer in einen langen Stiel, so besaß ich eine Feldhacke; senkrecht eingelassen, gab sie den Spaten ab. Mit diesem Universalinstrument wurden nun Gestrüpp und Wurzeln ausgehauen, der Boden umgegraben und umgestochen, Pfähle und Palmblätter für Zaun und Schutzdach gehauen.
War mein Bursche in Küche und Haus fertig, dann stand er mir hilfreich zur Seite – er hatte ja keinen Bruder im Lande, der ihn mir entzogen hätte; auch kannte er den Nutzen des Gartens, der reichlich und schmackhaft den Tisch bestellt. Davon aber hängt die Stimmung in jedem Hause ab.
»Wie kannst du nur zwei Arbeiten betreiben wollen, Gärtnerei und Unterricht?« meinte er. »Deine Gartenarbeit ist vergeblich, denn dein Same stammt aus einem fernen Lande, und dieser Boden ist Wildnis; er will deinen Samen nicht; an ein Aufgehen ist nicht zu denken.«
»Knabe, meine beiden Arbeiten sind Brüder. Ob er aufgeht, das hängt doch zuerst von meinem Samen selber ab, und der ist gut. Er wird sich entwickeln, aufblühen, Frucht bringen, und ist die Pflanze einmal eingebürgert, so werden alle Menschen im Lande Nutzen davon haben. Zwar bedeckt Wildnis das Land, doch Urwaldgrund liegt darunter. An uns ist es, zu arbeiten, zu gießen, zu schützen; dann bleibt das Gedeihen nicht aus. Ebenso verhält es sich mit der Lehre, die ich ins Land bringe: Wohl sind die Menschen wild, und ihre Sitten vertragen sich nicht mit der Lehre; doch du wirst sehen, sie wird Wurzel fassen, sich entfalten und die Heidensitten ersticken; denn sie ist ein Same aus himmlischem Lande, und überirdische Lebenskraft liegt in ihr.«
»Aber es schmerzt meine Seele, wenn ich sehe, wie deine Kraft fruchtlos im Schweiße dahinschwindet; das schlechte Maniokessen ersetzt sie nicht.«
»Knabe, wenn der Schweiß recht fließt, bleibt man gesund. Wehe aber, wenn er ausbleibt: dann packt einen Fieber, Krankheit und Tod. Sollte aber diese Arbeit uns auch erschöpfen, dann haben wir nicht zwecklos gelebt.«
Und nun brachen nach wenigen Tagen die ersten Keimblättchen aus dem jungfräulichen Boden, und lebenskräftig strebten sie aufwärts. Man sah sie fast wachsen: Spinat, Salat, Bohnen, Kraut, Gurken, Rüben. Die Bohnen setzten in einer Nacht 35 Zentimeter an, und in vierzehn Tagen erschienen schon Blüten. Welche Freude! Erbsen, Kartoffeln und andere Gemüse hingegen waren Sorgenkinder. In zehn verschiedenen Gegenden habe ich es mit den Erbsen probiert, bis ich endlich sieben Körnchen heimtragen konnte, die eine fruchtbare Zukunft bargen. Die Kartoffeln brachten kaum die Aussaat ein; ich ließ eine besser schmeckende Yamrübe aus dem Uëllegebiet kommen, die heute über die ganze Gegend verbreitet ist. Zitronen- und Orangenpflanzungen freuten sich der Sonnenglut und gaben üppigen Ertrag bis zur Erschöpfung. Tausend dürstende Zungen wurden durch ihre goldenen Früchte erquickt, tausend lechzende Krankenlippen erfrischt und Hunderten wurde im Verein mit dem Blütentee die Fieberglut gelöscht. Heute umstehen Orangen- und Zitronenbäume als lebende Hecken unsre Gärten und Felder. Als die böse Grippe auch die Neger ergriff, waren ihre Millionen reifer Früchte Lebensrettung für viele; denn der Grippenbazillus kann der Zitronensäure nicht widerstehen. Alle Dörfer pflanzten den lebenrettenden Baum.
Der durch die fürchterlichen Regengüsse bald weggeschwemmte Humus mußte oft ersetzt werden durch Walderde und faulendes Holz. Dünger in den Garten zu bringen, blieb dem Missionar reserviert: kein Neger läßt sich dazu herbei; wo Dünger lag, dahin wird er nie seinen Fuß setzen. Helfen wollte niemand, zuschauen jedoch viele. Das schadet nichts; denn sie erlernten so eine ihnen bisher unbekannte Arbeit; und als sie einmal später Spinat zu kosten bekamen, leckten sie lange die Finger danach und baten um Samen, der bald in allen Dörfern aufging.–
Als ich eines Tages am Unterrichten war, springt mir plötzlich die ganze Schülerschar davon. Ich denke, es handle sich wieder um die 2½ Meter lange Viper, deren wohlgezieltem Sprunge ich schon einmal mit knapper Not entkam, und auch ich fliehe davon wie die Jugend; es war aber etwas anderes: sie rannten an den Fluß. Denn sie hatten den Rudergesang vernommen: »Wir bringen den bärtigen Weißen zurück.« Ein langer Einbaum schießt daher und spiegelt sich mit den fünfzehn ausgreifenden Ruderern im Wasser. Bald dreht er im Bogen auf uns zu. Eine hohe Gestalt steht auf in seiner Mitte, wirft sich den weißen Talar um und springt dann ans Land. O Seligkeit, endlich den Konfrater zu besitzen in dieser fernen, fremden, wilden Welt!
»Wie lange schon hier? … Warum nichts geschrieben? … O diese schwarzen Boten, sie warten, bis der Adressat sich ihnen stelle … Warum so bleich? Schon krank gewesen?«
»Nein, aber leben kann ich bis jetzt kaum in diesem Lande.«
Ein paar Worte an seinen schwarzen Koch, und dieser war an der Arbeit. Wild, Fische, Bananen, Reis und Mais hatte mein Kollege aus ferner Gegend mitgebracht.
Wir freuten uns nur wenige Monate des Zusammenseins: die magere Ernährung, das ewige Einerlei, die schwere Arbeit in größter Sonnenglut zerstörten unsre Kräfte. Erst ward ich krank, und nach meiner Genesung brach mein Mitbruder zusammen und mußte nach Europa zurückkehren.
»Das ist der richtige Platz für uns«, entschied vorher mein Konfrater, »hier wird die Missionszentrale endgültig eingerichtet; denn fächerartig laufen hier die Wasser- und Landwege auseinander. So soll auch hier der Leuchter stehen, von dem das Licht in die Finsternis ausgehen wird.« –
Die faulenden Dorfhüttenreste wurden niedergeschlagen und verbrannt. Die ungenügend bedeckten Gräber mit Erde überworfen. Wir legten Hand an den angrenzenden Urwald, wo Leoparden und Schlangen aller Art hausten. Einmal verjagten wir Kannibalen vom dampfenden Mahle, und was sie in der Eile nicht mitschleppen konnten, begruben wir an Ort und Stelle. Weil mittags die Sonne zu heiß brennt, begannen wir schon um 4 Uhr morgens die Waldriesen anzuhauen, sie mit Holzstücken zu umgeben und diese anzuzünden. Nach zwei- bis dreiwöchigem Brande krachte einer nach dem andern fürchterlich tosend und stürzte auf den zitternden Boden nieder und wurde dann wiederum mittels Feuer zerlegt. Wo immer es brennt, da sind die Kinder dabei, große und kleine, besonders aber, wenn es dabei etwas zu erhaschen gibt: Waldfrüchte, Mäuse, Schlangen, bewohnte Vogelnester – und das Feuer lud auch zum Braten ein. Weiber kamen, sich mühelos geschlagenes Holz zu sammeln, und als ich ihnen wehren wollte, weil das Holz mein sei, sagten sie: »Hast denn du den Wald gepflanzt, du, der du erst kürzlich ins Land gekommen bist? Diesen Boden, hast du ihn mitgebracht?«
Astholz und Stämme lagerten wir für den provisorischen Bau eines Kirchleins und einer Schule, und einen Berg von Holz speicherten wir auf für den künftigen Backsteinbrand. Dem freigewordenen Urwaldboden übergaben wir raschtreibende Maiskörner, die in dem Lande stets Menschen und Tiere vom Hungertode retten. Die Saat trieb nie gesehene Kolben. Als sie zur Reife gelangten, mehrten sich von Tag zu Tag die Zuhörer im Unterricht. »Was hat euch getrieben, nun so zahlreich zu uns zu kommen?« – »Herr, wir haben erkannt, daß du ein gutes Herz hast.« Bald blieb der Unterricht wieder verlassen. Als wir jedoch den Mais ernten wollten, fanden wir nur ausgebrochene Schoten. »Du hattest ihn doch für uns gepflanzt; wir sind ja deine Kinder! Wie ist das gut gewesen!« sagten sie und strichen sich den Bauch. »Pflanze uns neuen, dann kommen wir wieder in den Unterricht, sobald er reif wird.«
Gemeine Diebe! denkt vielleicht mancher Leser. Langsam im Urteil! Unser Neger kennt keinen Privatboden. Der Boden ist Gemeingut von Stamm und Sippe, und was er trägt, desgleichen. Wenn die Versammlung die Anlage von Pflanzungen beschließt, müssen alle helfen und dürfen alle ernten. Um selber leben zu können, galt es für uns jetzt, ihnen unbekannte Gemüse pflanzen.
Reis war damals in unsrer Gegend neu. Eine Reispflanzung ward also angelegt, auch für des Landes späteren Nutzen. Leider werden solche Pflanzungen von den Webervögeln schwer heimgesucht. Welcher Afrikaner kennt nicht die befiederten Geschöpfe, deren reizende Nester zu Tausenden an den Enden der Zweige herabhängen gleich dicken Tropfen! Unzählig sitzen sie dort im Geäst, schwirren und jubilieren, bis mit einem Mal die ganze Schar, wie auf ein gegebenes Zeichen, sich erhebt – sonst meist nur zu einer Runde in den Lüften, jetzt aber zu einem Angriff auf das Reisfeld: dieses wurde völlig ausgefressen. Für die zweite Aussaat legten wir die arabische Scheuche an: von der Mitte des Feldes aus verteilt man nach allen Richtungen Lianenseile, an denen in Abständen paarweise Muschelschalen hängen, und dort im Mittelpunkt sitzt der Wächter, der beim Nahen der Vogelschar zu ziehen hat, so daß überall die Muschelschellen erklingen. Doch wehe dem Reis, wenn der Wächter schläft! –
Sieben Knaben kamen eines Tages aus dem Walde auf mich zu. Ihre Tätowierung war mir fremd.
»Herr, dürfen wir bei dir bleiben? Tust du uns nichts zuleid?«
»Woher kommt ihr? Was wünscht ihr?«
»Schutz und Nahrung finden, Herr! Unser Dorf ist weit im Walde; viele Sümpfe sind zwischen hier und dort. Drei Tage hielten wir uns versteckt; jetzt aber trieb uns der Hunger zu Menschen. Wir hörten deine Arbeit und schauten auf dein Auge: da verschwand die Furcht. Als unsre Väter im Kriege gestorben waren, packten uns böse Menschen und sperrten uns, elf Knaben, in ihr Pfahlgefängnis. Jeden Abend holten sie einen von uns heraus. Der Bruder kehrte nicht wieder. Wir schauten in ihre Augen – und unsre Seele sagte: ›Das sind schlechte Menschen!‹ Wir frugen sie: ›Was habt ihr mit unsern Brüdern gemacht?‹ Sie gaben keine Antwort. Unsre Seele aber sprach: ›Fressen werden sie uns alle.‹ Leise, leise gruben wir in der tiefsten Nacht mit Fingern und Hölzchen die Erde rund um die Pfähle los, bis wir diese wegdrücken konnten. Wir flohen in den dichten Wald, flohen über Wurzeln und Sümpfe. Hier sind wir jetzt.«
»Kinder, so will ich euer Vater sein! Kommt: ihr sollt jetzt tüchtig essen.«
»Wir wollen nicht umsonst essen, sondern durch Arbeit die Nahrung verdienen.« – So befiehlt das Negergesetz, tief einschneidend in ihr soziales Leben: »Den Ledigen mache die Arbeit fett, den Verheirateten seine Frauen!«
Wenige Tage später schickte uns auch der Staat herumirrende Waisenknaben, – die talentiertesten hatte er allerdings vorher ausgesucht und zu militärischer Ausbildung fortgeschickt. Der Beamte bot für die erste Zeit Öl, Maniok und Rauchfisch zu ihrer Ernährung gegen mäßige Bezahlung an.
»Welche von euch sind denn leibliche Brüder?« frug ich.
»Wir zwei, ich, der Pota, und der da, der Libata. Wir haben dieselbe Mutter.«
»Wie heißt denn euer Vater?«
»Meiner heißt Beli«, rief Pota. – »Und meiner Simba«, sagte Libata.
Potztausend, dachte ich, herrscht denn hier auch die Vielmännerei? Nein, sondern Beli hatte seine Frau Andala ihrem Vater zurückgeben müssen, weil diesem ein anderer Mann mit Namen Simba plötzlich die ganze Kaufsumme angeboten, während Beli nicht zahlen konnte; damit war Andala Simbas Eigentum. Bei Beli hatte sie den Pota, bei Symba den Libata geboren. Als letzterer zweieinhalb Jahre alt war, bedurfte er seiner Mutter nicht mehr und nistete sich bei seinem Bruder Pota ein.
»Welche unter euch haben den gleichen Vater?« – Es meldeten sich drei.
»Da seid ihr doch Brüder?«
»Ja, so wie alle Menschen im Dorfe Brüder sind.«
»Nein, leibliche Brüder seid ihr, blutsverwandt.«
»Keineswegs, diese zwei sind Kinder von verschiedenen Frauen meines Vaters, nicht von meiner Mutter.« – Dem Negerherzen zunächst stehen die Mutter und die Namensvettern; es folgen die Brüder gleicher Mutter, dann die Sippenbrüder, Mütter, Väter, zuletzt die Ehefrauen in der Polygamie; diese sind ja aus fremder Sippe. –
»Ein Schiff, ein Schiff!« schrie es eines Tages an allen Orten zugleich. Nach einer Stunde keuchten denn auch ein paar Neger mit meinen Kisten daher. Endlich! Moyimba wußte gleich davon; er ließ nicht auf sich warten.
»Mach auf! Ich muß die Sachen aus deinem Lande sehen!« Ringsum stand die Menge, als gäbe es einen Blick ins Himmelreich zu tun. Sie trippelten auf dem Boden und hielten die Köpfe so andächtig schief, als wären sie keine Heiden.
»Vater, wir sind doch deine Kinder«, so lautet das stete Negerargument.
»Ich bin dein Häuptling! Wo ist mein Tabak, mein Salz, mein Stoff, mein Messer, mein Spiegel, meine Perlenkette? … Schnell, mach auf, daß ich noch mehr begehren kann! O wie geizig bist du, sehr geizig! Hättest du ein Herz, du gäbst uns alles, was du hast!«
Den Christen gab ich das Bild ihres Namenspatrons. Sogleich verlangten sie ein zweites vom gleichen Heiligen. Einer mit Namen Anton hatte schon zwanzig Antoniusbilder in seiner Hütte hängen; er wollte auch von mir Bilder von seinem heiligen Namensvetter. Als ich das Geben weislich einstellte und sie heimjagte, ließen sie sich erst recht seßhaft nieder. »Ha, sind wir denn nicht deine Kinder?« Wenn ich sie wegführen ließ, beschrieben sie nur eine Runde und ließen sich noch häuslicher nieder. »Hier sterben wir. Siehst du unsre Armut nicht? Du bist so reich und bist unser Vater.« So redet ihre Selbstsucht, solange wir Europäer noch zwei Hemden und ein Taschentuch besitzen. – Die Geschenke werden nicht bewahrt, sondern wandern gleich in andere Hände, entweder aus Brudersinn oder weil in ihren Augen der geschenkte Gegenstand nichts wert ist. Hätte er Wert, so würde man ihn verkaufen, nicht verschenken; nur was gekauft ist, wird geschätzt. Darum ließ ich mir die Devotionalien abkaufen, und der Erlös diente zur Bezahlung von Arbeitern und zum Ankauf von Werkzeugen und Lebensmitteln; also doppelter Nutzen! Wenn der Neger seinem »Bruder« gibt, so ist das Lebensweisheit; denn er denkt und spricht: »Dem Bruder gegeben, ist dem eigenen Magen gegeben!« Das Geschenk wird vom »Bruder« mit schweren Zinsen zurückverlangt, oft schon nach wenigen Tagen; nötigenfalls führt man Klage beim Häuptling und erhält Recht, denn »für einen Krug Wasser muß man einen Krug Palmwein zurückgeben«, lautet ihr Gesetz. Nichts geben, ist sich selbst schaden! – Geschenke zu geben, wie wir sie geben, halten sie für Charakterschwäche, Bevorzugung, schlechte Absicht: stets schaden sie dem Geber.
Nach und nach hatten wir ein Gelände von etwa 15 Hektar freigelegt. Eine Kaffeepflanzung nahm die Hälfte des Bodens ein; der Rest desselben war minderwertig, von Termitenhügeln überdeckt, von denen etliche 28–30 Meter Durchmesser und 8–9 Meter Höhe hatten. Zur Regenzeit ergossen sich mitten über das Gelände aus dem dahinter angeschwollenen Sumpf zwei natürliche Abzugskanäle von 4 Meter Tiefe.
Es galt auch eine gesunde und solide Wohnung zu errichten. Dazu lud die hochgelegene Halbinsel ein, wo der Ahnenbaum stand. Den Lehm für Backsteine lieferten die Termitenhügel. Tagelang gossen wir Wasser darüber, schlugen den Lehm herab und stampften ihn zu fester Masse. In Ermangelung kräftiger Arbeiter war das unsre eigene Beschäftigung. Die Knaben füllten die Formkistchen und stülpten sie unter dem Trockenschuppen um.
Was für ein Kunstwerk ist ein solcher Termitenbau! Aus zusammengetragenem, mit Drüsenabsonderung durchknetetem Lehm errichtet, enthält er ein Labyrinth von Gängen, Sälen, Gewölben, und unter diesen Räumen Pilzpflanzungen, von den Tierchen angelegt und zur Fütterung ihrer Jungen bestimmt. Ungefähr 2 Meter unterm Boden ist der Palast der Termitenkönigin. Wenn ein Termitenzug die Menschenwohnungen besucht, fressen sie alles, was nicht Eisen und Stein ist: Kleider, Bücher, Schuhwerk, Balken, Dächer, Möbel, Kirchensachen …, kurzum, sie sind die ärgsten Feinde der europäischen Kultur. Mehrmals hatten sie über Nacht in einem meiner Schulzimmer einen Lehmbau aufgeführt, der beinahe den ganzen Raum einnahm.
In den Trockenschuppen wimmelte es von Sandflöhen. Dieser Floh ( Pulex penetrans) ist im Jahre 1872 auf Handelsschiffen als blinder Passagier aus Brasilien nach Portugiesisch-Kongo und von dort durch den ganzen Kontinent bis an den Indischen Ozean gewandert. Zu Milliarden bewegen sich diese mit dem bloßen Auge kaum sichtbaren Quälgeister auf der Erdoberfläche. Heimtückisch bohrt sich das Weibchen unter die Zehennägel der Menschen ein. Sein Eierstock schwillt dort zur Erbsengröße an, und nun schiebt es nach und nach seine reifen Eier durch ein Kanälchen nach außen ab. Jucken, Schmerzen, Entzündung und Eiterung zwingen den Europäer, seinem Burschen, den Neger, seinem Bruder zu rufen, damit er mit einem spitzen Hölzchen den Sandfloh herausbohre; denn sonst beginnt der fremde Gast dort ein Zerstörungswerk, das zum Verlust von Zehen und Leben führen kann. Wer einer ruhigen Nacht sicher sein will, läßt sich vor dem Schlafengehen die Zehen untersuchen, ob nicht einer dieser lästigen Gäste, denen kein Schuh, keine Medizin, kein Türenverschluß den Zutritt wehren kann, sich bei ihm eingenistet habe; oft finden sie sich zu Dutzenden.
Während ich die Herstellung der Backsteine leitete, reiste mein Konfrater den Kongo hinauf mit allem, was irgendwie als Tauschartikel dienen konnte, in die fernen Zentren der arabisierten Neger, und kaufte damit, als Grundstock für eine glückliche Zukunft, vier Ziegen, drei Schafe, Enten und Hühner, Reis, Bananen und Ananassetzlinge, arabische Zwiebeln und Bohnen, Erdnüsse, Werkzeuge usw. Das war gescheiter, als sich auf die selbstsüchtigen Neger zu verlassen und ihren nimmersatten Begierden nachzugeben, die dadurch nur zur Frechheit erzogen werden. Geschenke haben noch keinen zu Christus geführt, wohl aber Gerechtigkeit, Geduld und standhafter Charakter; die Hauptsache jedoch ist der Ruf der Gnade; das empfinden die Neger selbst, wenn sie sagen: »Eine Stimme haben wir gehört in unsrer Seele: dieser Weg ist gut; schlage ihn ein!«
Womit kann man – fragen wir jetzt einmal – den Missionar zweckmäßig unterstützen? Andere Orte und andere Zeiten haben andere Sitten und andere Mittel. Man soll darum bei dem betreffenden Missionar darüber Aufschluß verlangen, nicht handeln wie jene Geberin, die mir eine Riesenkiste voller Damenhüte geschickt hat, und dazu noch recht große! Was konnte ich damit anfangen? Ich riß die Bänder ab, füllte die Hüte mit Gras und gebrauchte sie als Brutstätten für die Hühner. Da gäbe man doch besser Geld zur Heranbildung und Ausrüstung der Missionare, zur Heranziehung eines Eingeborenenklerus, zum Unterhalt der so nötigen Katechisten oder zum Loskauf und Unterhalt von Sklavenkindern. Allerdings gibt der Herr Menschenfresser oder Sklavenbesitzer für 25 oder 50 Mark noch kein Kind ab; denn auch er spricht: sein Fleisch, seine Arbeit ist mehr wert. Aber der Missionar weiß mit dem Geld umzugehen. Ich ließ mir z. B. von den Kapverdischen Inseln Salz kommen; für 25 Mark erhielt ich 70 Kilogramm an Ort und Stelle geliefert. Dieses Salz stellte einen Reichtum dar, der Großes ermöglichte. –
Während wir Europäer bei der Arbeit schweigen, sind unsre Neger nur dann fest am Werk, wenn sie dabei singen. Schwieg der Gesang, so mußte ich nachsehen. Der Gesang weckt bei ihnen nicht nur Begeisterung, er gibt auch den Takt zum Schlag der Hacke, zum Marsch der Füße, zur Bewegung der Ruder, ganz abgesehen vom Inhalt, der in die Negerseele blicken läßt. –
Unsre Backsteine hatten die Zahl 200 000 längst überschritten. Wir bauten davon das Wohnhaus. Als es in halber Höhe war, zog ich zu meiner ersten längeren Missionsreise aus. Als ich wiederkehrte, fand ich es wohl fast beendet, aber mein Konfrater war gebrochen und zog heim, und der hochwürdigste Missionsbischof beschloß die Aufhebung der angefangenen Mission, nicht nur wegen Mangel von Personal, sondern weil die Christen an den Staatsposten nach Schluß der Dienstjahre auch die »Europäerreligion« abwarfen, und die wilde Uferbevölkerung unzugänglich war. Ich bat um Aufschub. Nach zweijährigen Reisen und Bemühungen um die dichte Waldbevölkerung konnte ich ihm 1500 Kinder der Wilden vorstellen. Die Mission war gesichert.
Ihre Zukunft hing nun von der Schule ab. Hilfskräfte mußten herangebildet werden, eingeborene Lehrer und Katechisten; denn der Missionar kann nicht überall sein, und nur langsam ergründet er die Ideen und Sitten dieser dunklen Welt und den Sinn ihrer blumenreichen Sprache. Das eine erscheint ihm harmlos und ist doch schlecht, anderes verdammt er, was unschuldig ist. Gewissenhafte einheimische Katechisten in den einzelnen Dörfern sind vortreffliche Vermittler, und mir waren sie unentbehrlich, da mir ein Gebiet von 35 000 Quadratkilometer anvertraut war.
Der Schulbau wurde in Angriff genommen. Erst war ich alleiniger Maurer und die Buben die Handlanger; ihre Füße kneteten aus Termitenlehm einen so vortrefflichen Mörtel, daß auch zwei Hände den gesetzten Backstein, wenn der Mörtel trocken war, nicht wegreißen konnten und zehn Jahre langer Sturzregen ihn nicht auflöst. Da die Negerjünglinge nicht dumm sind – dumm werden sie erst durch Laster und Polygamie; die sich aber rein erhalten, bleiben gescheit und geweckt –, hatte ich in kurzem Hilfsmaurer genug; der Schulbau wuchs; vier Zimmer und zwei Säle umfaßte er. Später kam ein zweiter für Mädchen dazu, nachdem nämlich der hartnäckige Widerstand der Alten gebrochen war. Balken aus Mahagoniholz wurden zurechtgehauen und aufgezogen. Als der 32 Meter lange Firstbalken glücklich oben war, brach ein nicht endenwollendes Jubelgeheul aus: solch ein Haus hatten sie bisher nicht gesehen. Meines Verbotes nicht mehr achtend, kletterten sie hintereinander auf den noch nicht zusammengenagelten Dachstuhl und First hinauf und führten oben einen wilden Tanz auf. Das Unvermeidliche geschah: der Dachstuhl neigte sich, und krachend brach er zusammen. Die Tänzer wälzten sich am Boden. Viele lagen erst regungslos da. »Stirbt wohl jemand von der Arbeit für Gott?« riefen sie dann. Nur einer hatte einen Schädelbruch und blieb zwei Tage bewußtlos; Rippenbrüche und Verstauchungen waren bald kuriert. Wer aber war der Schuldige an diesem Unglück? »Ein uns feindlicher Mensch hat den Unglücksgeist gewonnen und ihn gesandt, uns zu verderben. Pater, wir wollen den Schuldigen ausfindig machen. Wenn wir ihn haben, dürfen wir ihn dann töten und kochen?« –
»Kinder, euer Geist des Ungehorsams ist schuld am Unglück. Hättet ihr gewartet, bis die Stämme verbunden gewesen wären!« –
»O nein, Herr, wie kann dein Mund eine solche Lüge von sich geben! Wir wissen es ganz genau: jedes Unglück und jedes Übel verursacht ein böser Geist; ein Mensch, der mit ihm im Bunde steht und am Elend anderer sich freut, sendet ihn. Wir werden ihn schon finden, diesen schlechten Kerl!«
Wochenlang forschten und fahndeten sie. Es gab Szenen schrecklichen Hasses. Ich lebte in Sorgen. Einige flohen, weil man sie argwöhnte und bedrohte; andere, weil sie sagten: »Des Paters Boden ist voll böser Geister.« An die Baustätte war niemand mehr zu bringen, da der Feind dort lauere. Sie griffen wieder zu den heidnischen Teufelsmedizinen und hingen sie an Hals, Gürtel, Hände, Füße, Hütten, Lagerstätten: nämlich durchbohrte Stäbchen, durchlöcherte Fruchtschalen, Knöchelchen von Schildkröten, von Hühnern, Vögeln und Eidechsen, und mit allerlei Zeug gefüllte Antilopenhörnchen. Die einen dieser Medizinen sollten die Geister verjagen, die andern sie günstig stimmen, wieder andere sollten freundliche und starke Geister zum Kampf bewegen gegen die unholden. Statt Gottes und der heiligen Engel Schutz zu erflehen, riefen sie die Teufel herbei. Das nötigte mich, die christliche Lehre ihren Ideen entgegenzustellen.
In die Schule zwingen konnten wir nur unsre Missionsknaben und Arbeiter. Den Nutzen der Bildung verstand noch niemand. Die von auswärts zu uns kamen, hatten viele Kämpfe zu bestehen. Ihre Väter und Brüder sagen: »Ha, ihr Faulenzer, ihr habt zu viel Zeit übrig! Da sollt ihr künftig das Dorf reinigen, für uns fischen, rudern und Steuer zahlen.« Sie wurden auf dem Schulweg abgefangen, verprügelt, eingesperrt, zu Zwangsarbeit verurteilt, als Steuerflüchtige verklagt. Die Eltern, die sich sonst nie um ihre Kinder kümmerten, kamen und fragten: »Warum stiehlst du unser Kind? Soll es in deinen Unterricht, so bezahle uns dafür. Gib ihm und uns zu essen; denn es kommen weniger Fische ins Dorf, seit die Kinder, statt Fische zu fangen, müßig unter deinem Dache sitzen.« – »Warum stiehlst du meine Leute?« sprach der Häuptling; »des Papieres Geheimnisse dürfen sie nicht erlernen, denn sonst verlassen sie mein Dorf, und im Lande wird man die Köpfe schütteln und lachen: ›Seht mal diesen Häuptling an: er hat gar keine Männer mehr; nur Weiberhäuptling ist er noch!‹« – »Buben, wer in diesen Unterricht geht – bei unsern Ahnen! – eine Frau zum Heiraten bekommt ihr nie! Ein Wilder aus Europa ist dieser Pater; sonst trüge er Tressen und hätte Soldaten. Er ist hierher gekommen, weil er daheim verhungerte. Er muß voll Wunden sein, denn er trägt ein langes Kleid, um sie zu verbergen.
Die Auswärtigen hatten also ihre Nahrung zu suchen; das gab hemmende Unterbrechungen. »Heute ist Fischwetter … Heute beißt der Hunger gar zu sehr.«
In Ermangelung von Schulmaterialien schnitt ich Kartonstücke und malte darauf die einfachen Silben ihrer Sprache, jeden Tag eine weitere Silbe. Es wuchs das Interesse, die Freude, das Wissen. Selbst nachts beim Mondschein draußen oder bei der Ölampel drinnen waren sie am Silbenkartenspiel und am Wetten, wer am schnellsten spiele und lese. Wenn einer fehlschlug, fielen sie über ihn her und verprügelten ihn. In nicht drei Monaten waren alle sattelfest. Endlich kamen Bücher aus Europa. Tag und Nacht ward darin gelesen.
Zum Schreiben waren ihre Hände nicht so gefügig wie zum Rudern, Lanzenwerfen, Bogenschießen. Rechnen erschien ihnen fremd, als ich verbot, dabei nach Fingern und Zehen zu greifen, und es statt nach den Negergrundzahlen 5 und 20 nach den europäischen 10 und 100 gehen sollte.
Über alles liebten sie den Gesang. Singend kamen sie zur Schule und singend gingen sie heim. Aus Flüssen und Wäldern hallten die Lieder, die sie bei uns gelernt hatten.
Gerne hörten sie von Gott, dem Vater und Herrn aller Menschen, und dem Erlöser, der die schwarzen Kinder liebt. Sie schauten die farbigen biblischen Bilder an und redeten darüber nachts bei ihren Lagerfeuern. Die Darstellung des Himmels gefiel ihnen nicht: sie sahen ja nur Weiße auf dem Bilde. »Da hinein wollen wir nicht!« Das Höllenbild löste hingegen ein Freudengeschrei aus: »Viele Brüder, und Feuer! dahin wollen auch wir!« –
»Kinder, das sind doch nicht eure Brüder! sie haben ja Hörner und Schwänze.« Als ich vom Frühstück zurückkehrte waren Hörner und Schwänze ausgekratzt. »Siehst du, daß es Brüder sind?« Späterhin kratzten sie allen mißliebigen Personen die Augen aus: dem Judas, Pilatus, den Pharisäern, den Henkern. Ach, meine armen Bilder! Ich hing sie höher; die Knaben aber kletterten hinauf, indem sie sich einander auf die Schultern stellten. »Die schlechten Menschen müssen fort; nur gute wollen wir sehen!« –
Gewisse Gleichnisse, wie das vom guten Hirten, vom Sämann, fanden kein Verständnis. Es gab ja weder Schafe noch Felder im Lande; Hirten- und Sämannsarbeit war ihnen unbekannt.
Von der Armut des lieben Jesuskindes in der Krippe konnte ich ihnen nicht reden; sie waren ja nach ihrer Geburt nicht in ein Kripplein, sondern nur auf ein bloßes Sumpfblatt am Boden gelegt worden!
Das Bild, wo Jesus dem sinkenden Petrus die Hand reicht, fand stets großen Beifall: »Schäme dich Petrus! Du solltest Häuptling der Christen werden und konntest nicht einmal schwimmen, wo doch jedes Kind schon schwimmt.«
Bevor sie nach Schluß der Religionsstunde heimzogen, schrien sie: »Pater, zeig uns jetzt noch einmal das Bild der Auferstehung des lieben Heilandes; wir wollen die umgefallenen Soldaten auslachen!«
Nach zweieinhalbjährigem Katechumenat war die Prüfung jener, die um die Taufe baten; es waren natürlich alle dabei. »Ja, fang uns nur, wenn du kannst!« Noch waren meine Fragen nicht ausgesprochen, schnurrte schon die Antwort herunter: Katechismus, Biblische Geschichte, Gebetbuch, was zwischen den zwei Deckeln lag, vollkommen fehlerlos. Dergleichen erlebt man in Europa nicht!
Es folgte ein für beide Teile beseligender Tauftag mit Erstkommunion im über und über geschmückten Pfahlkirchlein voller Palmen und Palmölfackeln, die Täuflinge weiß gekleidet und blumengeschmückt. Da unsre Neger sich nicht mit einem trockenen »Ja« oder »Nein« begnügen können, erhielt ich köstliche Antworten, die mich einen Blick in ihre Seele werfen ließen.
»Entsagst du dem Teufel?« – »Wie kannst du nur so etwas bezweifeln? Wenn ich wieder zu den Teufelsmedizinen greife, soll man mir den Hals abschneiden.«
»Glaubst du an Gott den Vater?« – »Hast du denn mein Glaubensbekenntnis nicht eben gehört? Meinst du vielleicht ich lüge, lüge heute?«
»Willst du getauft werden?« – »Loo! Wozu bin ich drei Jahre lang täglich dreimal in den Unterricht gekommen? War das keine Arbeit?«
O, diese großen, funkelnden Augen der Negertäuflinge! Seelenglück und Hingabe an Gott strahlte aus ihnen, und das neue Leben der Unschuld. Nie kann ich sie vergessen!
Jeder Tauftag, dreimal im Jahre, brachte neuen Aufschwung in der Mission; neue Katechumenen strömten herbei.
Ach, hätte nur Europa mehr Bücher gesandt! Längst konnten sie die Lesebücher auswendig und fingen an sich zu langweilen. Erst fehlten drei Schüler, dann sieben, dann zwölf. Sie hatten Buch und Papier unter den Arm, den Bleistift hinter das Ohr genommen und sich als Schriftgelehrte den Europäern in der Nachbarschaft gestellt. Diese nahmen sie freudig auf, schimpften aber bald über die Mission wegen der ungenügenden Ausbildung der jungen Leute. Meiner Bitte, sie zurückzusenden oder künftig auf Zeugnisse zu warten, kam keiner nach; sie lockten nur noch mehr an sich.
Ausreißen ohne Abmeldung ist Negerbrauch. Schüler, Lehrer, Arbeiter und selbst der Koch – ausgerechnet vor dem Mittagessen, wenn man einen Gast hat – verschwinden trotz Kontrakt, aus Veränderungssucht. Ist es bei uns ehrenvoll, viele Jahre bei derselben Herrschaft gedient zu haben, so bewundern hingegen die Neger den, der zwanzig und dreißig Herren gehabt hat; – ein solcher hat doch mehr gesehen! – ob fortgejagt oder davongelaufen, ist gleich: beide sind doch auf eigenen Füßen gegangen. So erzählte so ein berühmter Koch: »Brüder, denkt, schon zwanzig Herren haben sich um mich gestritten. Was muß ich wissen? Der erste wollte Suppo mit Buleti; der zweite Pannekuku mit Confitiji, der dritte Bifiteki. Ich salzte stark; dann aß der Herr nicht viel, und mein Bauch konnte lachen. Der vierte liebte Reis; wenn Sand darin war, ließ er ihn stehen – für mich! Deshalb pfefferte ich tüchtig mit Sand. Der fünfte wollte Potopoto (= alles durcheinander); da hatte ich es gut: ich nahm Lendenstück, Hirn, Nierchen für mich und zerhackte das schlechte Fleisch für ihn. Der sechste wollte gebackene Fische; damit der Fisch in die Pfanne paßte, schnitt ich das Bauchstück für mich heraus und fügte Kopf- und Schwanzstück für ihn zusammen. Dem Pater habe ich auch gekocht, als sein Koch krank war; aber er hat mich fortgejagt, als ich ihm neun Rippchen vorsetzte. – ›Warum eine ungerade Zahl?‹– ›Herr‹, entgegnete ich, ›mein christlicher Bruder hatte mir erzählt, wie der Schöpfer dem Mann eine Rippe genommen – Herr, das war ein Böckchen: nicht ich, sondern Gott hat ihm die Rippe entwendet.‹« –
Unsre Sache mußte im Lande bekannt werden. Es galt zu reisen auf Flüssen und im Urwald. Ich sprengte die Fessel, die mich gezwungen, im militärischen Kordon – es war die Zeit des Gummikrieges – das Kriegsgebiet zu passieren, pflegte die Kranken mit ihren schrecklichen Wunden und Ausschlägen und der bei ihnen so häufigen Lungenentzündung und Ruhr. Da öffneten sich die Herzen in Zutrauen. Sie sahen in mir den ersten Weißen ohne Gewehr und Soldaten, der ihnen wie ein Bruder Gutes tat. Erst als ich die Lehre von der Monogamie und der Gleichstellung der Frau vorbrachte, hatte ich es bei den Alten verspielt, und die Taufschüler bekamen schwer zu leiden. Doch die Jugend sprach: »Wir wollen sehen, wer zuerst ermüdet: die Alten, uns zu mißhandeln, oder wir, Gott zu dienen!« Nach sechs Wochen ging der Spruch durchs Land: »Der Alten Hände sind besiegt durch der Kinder Stärke.« –
Endlich schickte die Vorsehung wetterfeste, seeleneifrige Mitarbeiter: 1909 kam P. Schürmann, 1910 P. Müller und der brave Bruder Stahlherm. Die Blütezeit der Mission begann. Jährlich meldeten sich 1000, 2000, 3000 Katechumenen, und jede Weihnachten, Ostern, Mariä Himmelfahrt brachte 300, 400, 500 Neuchristen. Jeder Pater hatte seinen Teil am Arbeitsfeld, wo er seiner Initiative freien Lauf lassen konnte. Der Reihe nach zog jeder in sein Gebiet, zu den hohen Festen aber waren wir stets alle vereint, zusammen mit den Christen und Katechumenen des ganzen Bezirks; denn wie des Meeres Flut und Ebbe, so zog die Menge hin in die Missionszentrale zur Zeit der großen Feste, blieb dort einige Wochen und kehrte hierauf zurück in die Heimat, wo der Missionar sie dann wieder aufsuchte. –
Die Nahrungsquellen waren ergiebig geworden: voll Wachstum standen Gärten und Felder; fleißig schafften Schreiner und Maurer; üppig mehrten sich die Ziegen, Schafe, Enten, Hühner, Tauben und Hasen.
Allerdings gab es auch Mißgeschick: die Ziegen sind ein böses Volk. Bei den Wilden ließ man sie Abfälle fressen und salzhaltige Asche lecken. Doch von der Staatsstation erhielt ich einen Ukas, infolgedessen ich des lieben Friedens wegen die unbändigen Ziegen in ein fernes Dorf versetzte. Der dortige Häuptling verlangte dafür 60 Kilogramm Salz. Der Kontrakt wurde abgeschlossen. Nach vierzehn Tagen kam er: »Mein Salz ist aufgegessen; gib nur neues.« – »Nun gut, für diesmal!« Acht Tage später stand er wieder da. »Nein«, sagte ich, »das hat ein Ende.« – »Herr, solange die Ziegen in meinem Dorfe fressen, wollen auch wir von dir leben.« – »Dann nehme ich die Herde zurück.« –
Der Häuptling von Jaofa hörte das, bot für die Herde sein Dorf gegen eine »sicher nur einmalige Zahlung Von 60 Kilogramm Salz« an und half bei der Überführung. Nach einem Monat kam mein Hirte und klagte: »Pater, ich weiß nicht, wie's zugeht, sind's Leoparden oder Menschen. Sechs Ziegen sind verschwunden!« Zwei Tage später brachte er neun tote Ziegen, von Lanzen und Messern durchstochen. »Das haben die Leoparden getan«, wagte der Häuptling zu sagen. Am folgenden Tage fuhr der Hirte mit siebenundzwanzig erstochenen Tieren heran. »Wo die andern sind, das weiß ich nicht; es fehlen fast sechzig Tiere.« Der Häuptling rechtfertigte sich vor der Behörde: »Woher haben die Tiere ihr Fleisch und Fett? Doch nur vom Grase unsres Bodens? Da das Fleisch dieser Tiere von unsrem Grase stammt, haben wir das Recht, es zu essen!« Die Behörde entschied: »Die Ziege hat für den Europäer nicht mehr Wert als für den Schwarzen ein Huhn. Deshalb muß das Dorf für die gegessenen Ziegen ebenso viele Hühner erstatten.« – »Haben Sie, Herr Richter, auch die Größe der Hühner bestimmt? Huhn heißt hier ja jedes ausgeschlüpfte Küchlein, ja selbst das Leben im Ei.« – »Das versteht sich von selbst!« Nach zwei Monaten schickte ich zum Häuptling, wann er die sechsundachtzig Hühner zu bringen gedenke. Er erschien und neben ihm trug sein käshoher Junge vierzehn Küchlein in einer Hand. »Sind das Hühner?« – »Laß sie laufen: sie werden fressen und groß werden.«
Ein andermal machten sich meine Nachbarn an der Schafherde bezahlt. Ihrer Ziegen wegen hatten sie Gras in ihrem Dorfe wachsen lassen. Deshalb nahm ihnen der Kommandant die Ziegen weg. Am andern Tage fehlten mir ebensoviele Schafe. Ich ließ den Häuptling kommen. »Herr, ist deine Haut nicht weiß?« entgegnete er mir; »du bist also des Diebes Bruder. Regle deine Angelegenheit mit deinem Bruder; so ist es bei uns Gesetz! – Siehst du's jetzt: Ihr Europäer scheltet uns Diebe, wenn wir euch nur eine Banane nehmen. Wir sind kleine Diebe, ihr aber seid die großen. Denn alles nehmt ihr uns und schleppt es auf Schiffen fort in euer Land!« –
An den Bau einer großen, massiven Missionskirche in der Zentrale mußte nun auch gedacht werden. Arbeiter meldeten sich jeden Tag, um Salz als Lohn zu bekommen. Was sie damit einkauften, konnten sie mit Frau und Kindern nicht alles aufessen. Erst galt es, elf Blätterschuppen zum Trocknen der Backsteine zu errichten – in der Sonne würden diese zu schnell trocknen und zerspringen, die wolkenbruchartigen Regen aber sie zersetzen.
Mit einer ungeheuren Holzwinde zogen wir dann Felsblöcke aus dem Flußbett für die Fundamente heran. Begeistert sangen die Arbeiter dabei: »Groß ist der Herr – groß muß sein Haus sein! Gott ist der höchste Herr – sein Haus sei das höchste! Ja, ja, das größte und höchste!« Welche Unsumme von Arbeit, bis – ohne europäische Hilfsmittel – vier Millionen Backsteine geformt, unter Obdach gebracht, getrocknet, mit Holz gebrannt, an die Baustelle getragen und versetzt waren! Davon kann sich keiner eine Vorstellung machen, der nicht in Afrikas Wildnis die Hand an der Arbeit gehabt hat. Mächtig wuchsen die 2 Meter dicken Mauern empor, und über sie hinweg ein 32 Meter hoher Turm.
Als der staatliche Arbeitsinspektor auf der Durchreise den Bau sah, gratulierte er und meinte: »Sie haben gewiß europäische Fachleute gehabt!«
O, nein, die Maurerei war der drei Patres Leistung in ihrer freien Zeit; die Holzarbeit und die innere Ausstattung besorgte der Bruder. Der Dachstuhl, wegen der Termiten aus Eisen, das Wellblechdach, der herrliche Hochaltar mit vergoldetem Metalltabernakel und Golgothagruppe, der Kreuzweg, die Statuen, das Harmonium, die Glocken usw., das alles waren Gaben meiner heimatlichen Wohltäter, und ihnen zur Freude gesagt: Gerade der hierdurch ermöglichte feierliche Gottesdienst hat viele Tausende dieser Naturkinder in tiefster Seele erfaßt und sie dem Christentum zugeführt.
Die lebensgroße Golgothagruppe hinter dem Hochaltar versetzte die schwarze Welt in Schrecken. Es gab ein Zusammenrennen tageweit her. »Laß uns in dein großes Haus gehen. Wir wollen den Herrn sehen, den du dort an einen Baum aufgehangen hast.« Sie glaubten, er lebe. Selbst Häuptlinge protestierten: »Was hat er dir Böses getan, dieser Herr, daß du ihn dort hinaufgehangen hast? Hol ihn herab, sonst wird er sterben.« Als ich mich nicht fügte, erhob sich eine mir feindliche Stimmung; ein Häuptling bedrohte mich sogar: »Die Augen dieses weißen Herrn seien gut; den dürfe man nicht töten.« Die Christen aber fielen vor ihm auf die Kniee und weinten: »Es ist unser Herr Jesus.«
Als ich den Blitzableiter an der Kirche anbrachte und die Schwarzen in die tiefe Wassergrube schauten, frugen sie: »Wozu der starke Draht und das tiefe Loch?«
»Damit will ich die Himmelsschlange fangen, wenn sie niederfällt.«
»Ei, auch das kannst du? O, wenn sie in deine Grube gegangen, binde sie ja fest und rufe uns schnell, daß unsre Lanzen sie erlegen und wir ihr Fleisch unter uns teilen und es kochen.«
Noch sehe ich am Kirchweihfest die Heidenscharen zusammenlaufen, den Einzug des Bischofs mit offenem Munde anstaunen, auf die ersten Glocken horchen, an den Fenstern hinaufklettern, um einen Blick ins Innere zu tun. Noch höre ich beim Kyrie das kräftig einsetzende Christenvolk plötzlich innehalten, überwältigt von der wohlgelungenen Akustik, bis sie sich wieder gefaßt hatten, und aus Leibeskräften weitersangen, jung und alt, Männer, Frauen und Kinder, ja das ganze Volk auswendig die lateinische Messe! Eine große Tauffeier war vorausgegangen mit Erstkommunion, dazu kamen noch 1200 Firmungen. Wie pochte das Herz so feierlich und froh!
Nach dem Gottesdienst überließen wir die Neger ihrem Jubel; wir aber hatten alle ein Fieber durch Schwitzen zu verjagen: das gewöhnliche Festgeschenk arbeitsreicher Feiertage.