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Die 200 Meter oberhalb unsrer provisorischen Niederlassung liegende Halbinsel war von einem Riesenbaum beherrscht, der als wunderliches Kuriosum selbst in der so oft scheinbar gesetzwidrigen Afrikawildnis auffallen mußte. Ein Hügel mit kreuz und quer durchflochtenen und verschlungenen Wurzeln überdeckte eine finstere Höhle, die viele Gänge hatte: das Heim von Kröten und Schlangen. Sieben knorrige Stämme waren nach sieben Richtungen diesem Wurzelgewirr entsprossen, und zusammen trugen sie eine weit ausgreifende Riesenkuppe.
Der hochgelegene, saubere und gesunde Platz, der schattenspendende Baum, die herrliche Aussicht – alles hatte dazu eingeladen, dort die endgültige Niederlassung zu errichten. Das neue Haus war fertig.
Moyimba unterließ es nicht, zu mahnen: »Der Baum ist mein! Nun will ich doppelte Geschenke!«
»Wem der Boden, dem der Baum!« sprach ich. »Auf diesen Boden habt ihr verzichtet; ich habe ihn erworben.«
»Herr, höre dieses Baumes Geschichte! Er ist ein Wunderbaum, nicht wie die des Waldes. Aus der einen Wurzel entsprossen sieben Stämme, ein Baum und doch sieben. Mein Ahne, der unser Volk vom nördlichen Wasser hierhergeführt, stieß hier beim Anblick dieses fischreichen Wassers den Wanderstab in die Erde und rief: ›Hier bleiben wir!‹ Der Wanderstab schlug Wurzeln, wuchs, ward groß. Ein einziger Stamm war es bis zu seinem Tode. Als der nächste Ahnherr zu regieren begann, schoß aus der gleichen Wurzel ein zweiter Stamm empor. Moyimba der Zweite. Er starb. Sein Neffe folgte; der Wurzel entsprang der dritte Stamm. So wuchsen aus der einen Stammeswurzel sieben Bäume; denn sieben ist mit mir die Zahl der Herrscher des Basokostammes an dieser Stätte. Und nun habe ich's im Schlafe gesehen, und die Väter habe ich zu mir sagen hören: ›Moyimba, komm zu uns! Sieh nur, schon steigt ein achtes Bäumchen in die Höhe für den, der nach dir das Volk regiert und Moyimba heißen wird!‹ Das ist der Ahnenbaum der Häuptlinge des Stammes! Denn wisse: wenn ich sterbe, stirbt doch mein Lungu nicht, der Lungu, der mitten in meiner Brust wohnt und mir das Leben gibt. Der Lungu zieht beim Tode aus und geht dorthin, wohin der Große Geist ihn schickt! Hier in diesem Baume nun treffen sich die Lungu der Basokohäuptlinge zur Nachtzeit, reden miteinander und reden zu unsrem Geiste. Wenn unser Körper ruht, geht nämlich unser Lungu oft unter den Baum; er hört die Stimme der Väter und er sieht dieselben. Von hier aus leiten die Lungu der Ahnen unsre Versammlungen, schützen das Dorf und kämpfen gegen die bösen Geister, die uns verderben wollen. Kürzlich noch, als die Seelen der Väter abwesend waren, wollten die Krankheitsgeister uns verderben. Doch die Väter bemerkten es und kehrten eilends in den Baum zurück: die Feinde flohen in den Wald, die Krankheit ist erstorben. Wir leben und auch du lebst der Ahnen wegen, die uns schützen. Wir stellen ihnen wieder Opfertische auf mit Speisen und Getränken. Wir schwören wieder unter diesem Baume, die Mutter Erde schlagend mit der flachen Hand und die Ahnen rufend.«
»Die Ahnen sah ich nicht, Moyimba, aber Schlangen! Denen gefällt es in meinem Hause weit besser als in der nassen Wurzelhöhle. Das ganze Haus ist voll davon. Auch Kröten quaken die Nacht hindurch und kommen in mein Haus. Den Baum habe ich satt!«
»Die Schlangen? Das glaub' ich, Bruder, daß die entfliehen möchten, und daß die Kröten schreien! In diese Tiere sind nämlich die Lungu der Frauen und Sklaven eingesperrt, die ihren Herren untreu gewesen sind: zur Strafe sind sie an diese Tiere gebunden, die ihr Gefängnis sind. Tief in der Wurzel des Ahnenbaumes müssen sie hausen.«
»Wie? Sie klettern doch in die Krone hinauf, fallen auf mein Dach und kommen in mein Haus.«
»Das ist ganz selbstverständlich: die bösen Lungu möchten nämlich auch den Baum ersteigen; die Ahnen aber werfen sie hinab. Nur Treue darf dort in der Höhe wohnen.«
»Kurzum, wenn die Schlangenbesuche nicht bald aufhören, haue ich den Baum um.«
»Das tust du nicht, du tust es nicht!«
Die Schlangen mehrten sich im Hause: eine fand ich im Bette, zwei im Kopfkissen, zwei an den Moskitonetzstäben, eine ließ sich bei Tisch auf mich vom Dache nieder; eine huschte mir sogar über den Altar zwischen Kelch und Tabernakel durch, als ich mich zur Konsekration neigte. Eine fiel dem Missionsbischof am Altar vor die Füße, was ihm Basoko unvergeßlich machte. Zu allem dem hieß es auch im Dorfe: »Der Pater lebt, weil er sich unter den Schutz der Ahnen gestellt hat!« Die Opfertische mehrten sich und füllten sich. Lärmende Versammlungen fanden unter dem Baume statt. Nun ward sogar das Mannbarkeitsfest unter ihm gefeiert. In einem Blätterzaun, bis ans Wasser geführt, wurden alle etwa zwölfjährigen Knaben, nachdem sie mit weißem Lehm bemalt waren, eingesperrt und durch schwere Peitschenhiebe geprüft, ob sie eine starke Seele haben, Männer seien, schweigend Schmerz ertragen können. Es folgte für die Reifbefundenen die Einführung in die Geheimsprache des Stammes, in die religiösen Ideen, in die Ehesitten. Darauf erhielten sie durch Beschneidung das Recht zum Heiraten. Das wahrhaft teuflische Gebaren der Jugend bei diesem Anlaß beschleunigte des Baumes Geschick.
»Zu den Äxten!« rief ich meinen Leuten zu; »heute wird der Baum gefällt.« Sie fuhren zusammen.
»Herr, die Äxte sind stumpf; wir müssen sie schleifen.«
Ich wartete eine Stunde – die Abteilung der Holzhacker hatte Reißaus genommen.
»Litungu« – so hieß mein Arbeitsaufseher –, »hole mir andere Leute herbei! Der Baum muß fallen.«
»Dafür läßt sich keiner finden, Herr, auch gegen zwanzig Geschenke nicht. Das ist der Ahnenbaum! Bald wird auch Moyimba von ihm aus zu uns reden, denn seine Väter haben ihm gesagt: Moyimba, komm!«
»Was schwatzest du da dummes Zeug! Was man träumt, ist doch nicht Wirklichkeit!«
»Nicht Wirklichkeit, meinst du? Du irrst, Herr! Wenn ich schlafe, dann trennt sich mein Lungu vom Körper und wandert durch die Welt und Lüfte. Was er im Traume sieht, hört und tut, das ist Wirklichkeit. Wenn im Traume mich jemand mit der Lanze sticht, so zeihe ich ihn des Mordes vor dem Häuptling. Die Giftprobe soll es beweisen, ob er's nicht getan. Er hat's getan! Wohl ist das kein Leibesleben, weil der Körper schläft; aber Seelenleben ist es, wirkliches Leben.«
»Schon hundertmal habe ich euch über die eitlen Traumgebilde belehrt. Ihr wollt nicht hören! Wie viele Menschen tötet euer Wahn! Hol mir meine Axt und die deine. Du fällst mir den Baum.«
»O Pater, höre meinen Rat! Die Liebe drängt mich, ihn dir zu geben. Laß ab von deinem Unterfangen!«
Die Flüchtigen hatten Moyimba benachrichtigt; er stürzte herbei:
»Nein, Herr, das geschieht nicht; der Baum fällt nicht! Weh dir, wenn du ihn frevelnd anrührst!«
»Die Schlangenplage, die Lärmszenen, das wilde Treiben in meiner Nähe, das alles muß ein Ende nehmen!«
Eine schwarze Menschenmenge stand mit erhobenen Händen und offenen Mäulern in den Dorfstraßen drüben, und Hunderte von Kanus erschienen auf dem Flusse. Alles wartete, ob es nicht Lanzen regne oder die Himmelsschlange (der Blitz) mit Krachen niederfahre und mich totbeiße.
Der erste Hieb von meiner Hand löste ein dumpfes Geheul aus auf dem Wasser und auf dem Land. Nach wenigen Schlägen war die Axt in Stücke gebrochen ob des harten Holzes. Wilder Jubel erfüllte jetzt die Luft. Für mich gab es aber kein Zurück mehr.
»Reich mir eine zweite Axt, Litungu!« Er tat es zitternd. »Du siehst, der Baum tut uns nichts zuleid. Schaff mit!«
Litungu probierte mit der Axt, ob der Baum denn wirklich hart sei. Doch sogleich ließ er ab, hielt sich Kopf und Leib, warf sich auf den Boden, wälzte sich und stöhnte: »O weh!« rief er, »die Ahnen töten mich.«
Ich lachte und schlug wacker drauf los. Die zweite Axt brach in Stücke und die dritte.
»Sollen denn all meine Äxte draufgehen? He, ihr Buben dort drüben: Bringt mir Holz herbei!« Wie vom Winde weggeblasen waren sie, zerstoben. So schleppte ich es selber bei, schob es in die Wurzelhöhle und zwischen die Stämme und legte Feuer an. Wütend und krachend setzte es ein und brannte vierzehn Tage und Nächte ohne Unterbrechung.
»Welch ein kräftiges Zaubermittel mag doch dieser Weiße besitzen! Weder die Krankheitsgeister noch der Ahnen Zorn können ihm schaden!« Ratlos stand das Volk, und der alte Heidenwahn wankte, als Stamm um Stamm fiel, mit Feuer zerlegt und schließlich zum Backsteinbrand gebraucht wurde.
Litungu litt an Fieber und Leibweh. Er aß nicht mehr und siechte langsam hin. Nach zwei Monden trug ich ihn zu Grabe. Keinem Zureden hatte er die Ohren, keiner Speise oder Medizin den Mund geöffnet. Der Ahnenfluch lastete schwer auf seiner Seele und zerfraß sie. –
»Pater«, sprach zu mir mein Bursche, »die Alten haben beschlossen, dir die Speisen zu vergiften aus Rache für den Baum; dann werden sie sagen, die Ahnen hätten dich getötet.«
»Diese Sache ist ungefährlich: ich kaufe keine Nahrung mehr bei ihnen außer lebenden Tieren und Fischen; nur du betrittst die Küche; nur du berührst die Töpfe. Zudem haben wir bald viel zu reisen.« –
Als ich nach sieben Monaten zurückgekehrt war, traf ich Moyimba wieder.
»Nun, wollt ihr mich noch immer vergiften wegen des Schlangenbaumes oder machen wir Frieden durch Geschenke?«
»Du hast mich sehr, sehr erzürnt; mich und uns alle! Meine Seele war voll Wut, weil du deine Hand an den Baum meiner Väter gelegt hast. Unsre Versammlung entbehrt nun der Weisheit, des Rates der Ahnen. Unsre Schwüre werden nicht gehört. Unsre Opfer, wohin sollen wir sie legen? Ich, Moyimba, bin wie ein Waisenkind geworden, das den Arm der Mutter sucht und ihn nicht findet. Wenn ich nun sterbe, wo soll ich die Väter treffen? Wohin sind sie gezogen, seit der Baum gefallen ist? Wie ein Kind im pfadlosen Urwald oder im Kanu auf der schweigenden Wasserfläche werde ich rufen – doch die Väter werden mich nicht hören.«
»Wenn du von hier scheidest, Moyimba, wird dein Geist zum Oberhäuptling aller Menschen gehen, des Weges, den auch deine Väter gezogen sind; und findet er dich gut, so lenkt er deine Schritte zu dem Orte, wo deine guten Väter weilen. Hast du aber schlecht gelebt, dem Willen des höchsten Herrn dich nicht gefügt, sondern seiner Ordnung zuwidergehandelt, und du trauerst nicht darüber, dann bist du ein Abscheu in seinen Augen, und er wirft dich fort in sein Gefängnis.«
»Dein Wort ist keine Lüge; so redet es auch in meiner Brust. Doch sollte mein Lungu von diesem Baume herab auch mein Dorf, meine Brüder und Kinder schauen und sie Weisheit lehren.«
»Deine Brüder kommen ja alle bald hinüber in die neue Heimat.«
»Das ist keine Lüge! Die Sache mit dem Tod ist geheimnisvoll und ernst!«