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Den Namen Akele haben zwei meiner Schüler getragen. Der eine war ein Mann in den besten Jahren, Vater zweier Kinder; der andere ein Knabe. Sie gehörten verschiedenen Stämmen an. Akele hießen sie von Haus aus – gleicher Name verbindet zu engster Freundschaft. Den Taufnamen Franz trug der ältere, als der jüngere noch Heide war, und als jener gestorben, erbat ihn dieser zur Taufe.
– Der erste. –
»Wer von euch opfert sich, das neue Dorf der Bomane zu unterrichten?« frug ich die versammelten Katechisten. »Eine schwere Arbeit wird's. Es ist ein wildes Volk, und ihr wißt, Bomane bedeutet Hungerloch, und ist es! Doch ein tapferer Jäger geht auf wilde Tiere; darin zeigt sich der Mann. Wer aus euch ringt nach ewigen Ehren? Er trete vor und übernehme Bomane!«
»Pater, kennst du die Leute? Sie sind nicht wie ihre Brüder diesseits des Flusses. Der Teufel herrscht in ihrem Orte. Kein rechtschaffener Mensch ist unter ihnen. So viele Dörfer seufzen und lechzen nach Unterricht; laß uns erst diese belehren, daß unsre Zahl groß werde und wir stark seien im Lande. Dann werden die kleineren Orte sich auch fügen.«
»Denkt an die vielen Kinder dort, wenn die Schlechtigkeit der Alten euch abschreckt. Aus den Kindern könnt ihr Engel machen. Ich will Bomane der Kinder wegen; der Heiland ist ein Kinderfreund. Doch denkt nach; wer zusagen will, melde sich dann!«
Zur Stunde der sinkenden Abendsonne trat Franz Akele heran.
»Ich komme in der Angelegenheit von heute früh; ich gehe nach Bomane. Ich habe vor dem Gekreuzigten gebetet und hörte seine Stimme in meines Herzens Mitte: ›Geh und zage nicht!‹«
»Du bist ein braver Christ, Franz! Deine Aufgabe wird nicht leicht sein bei diesem Volke, das sich gegen den rechtmäßigen Häuptling empört hat, jenseits des Stromes geflüchtet ist und den Rebellenführer zum Häuptling gemacht hat. Doch du besitzest Opfersinn! Nicht die Größe der Schar der dich umringenden Jugend macht dein Verdienst vor Gott, sondern er wägt die Opfer, die du für ihn bringst in Bezwingung deiner Neigung, und berechnet die Liebe, die dich dazu drängt, und die Liebe, die ständig spricht: ›Dich will ich, Herr, und deine Ehre!‹«
Am andern Morgen empfing Franz mit seiner Frau die heiligen Sakramente; hierauf packte er seine Sachen in den kleinen Einbaum, ging dann nochmals in die Kirche hinein und kniete vor dem großen Kruzifix nieder.
»Jetzt gehen wir, Pater! Gib uns die Hand!«
Zwei Wochen waren vorüber. Akele kam zurück und erzählte: »Täglich ging ich dorfauf und dorfab. Mit allen Leuten versuchte ich zu reden, aber sie drehten mir den Rücken, spuckten aus und sagten: ›Verlaß unser Dorf, du Hund eines andern Bodens!‹ Alle Kinder redete ich an; sie sagten: ›Wir fürchten die Alten!‹ Der Häuptling mied mich. Ich ließ die Geschenke für ihn in seiner Barza, mit dem Auftrag, seine Frauen möchten sie ihm geben. Nach vier Tagen lagen sie noch da. ›Das Tier aus einem andern Stamme soll unsern Boden verlassen‹, hat er gesagt. Endlich blieben ein paar Kinder bei mir sitzen unter der Trommelhütte am Ufer, und ich erzählte ihnen von Gott. Sobald es die Eltern bemerkten, flohen die Kinder. Deshalb wählte ich die Zeit, wo die Alten im Walde oder auf dem Fischfang weilen. Jetzt gebe ich schon in zwei Trommelhäuschen Unterricht. Ich tue, als wollte ich den Schatten aufsuchen; ich klopfe an der Baumtrommel herum, als verstände ich nichts davon; so hören die Kinder, daß ich es bin; sie kommen. Ich unterrichte sie. Erst waren es bloß zwei, jetzt sind's schon achtzehn. – Die Nahrung, die du mir gegeben, ist zu Ende; die Tauschwaren habe ich noch alle, denn niemand will mir Speise verkaufen. Leib und Seele zu stärken, bin ich zurückgekommen; dann gehe ich wieder hin.«
Mit neuen Nahrungsvorräten versorgt zog Akele wiederum nach Bomane. Drei Tage später fuhr ich ihm nach, um bei der Einrichtung seines Häuschens behilflich zu sein. Mittels der Sprachtrommel meldete ich dem Häuptling meinen Besuch an. Das hat ihm so recht gepaßt! Er war mit den Alten verschwunden, als ich ankam. Beinahe dreißig Knaben stellten sich mir vor. »Unsre Brüder werden alle folgen, wenn sie einmal wissen, daß du gut bist«, sagten sie.
Die Knaben hatten ihre eigenen Hütten zerlegt und zu einer größeren für Akele zusammengefügt.
Ich wartete vergeblich auf den Dorfherrn und tat ihm vergeblich mit der Baumtrommel meine Anwesenheit kund.
Bevor ich heimwärts zog, frug ich den Katechisten:
»Wie redet deine Seele? Willst du hier bleiben oder mit mir fahren?« –
»Pater, sieh diese Kinder an! Schau ihnen ins Auge! Was sprechen sie? Laß uns den Baba, daß er uns belehre! Ich bleibe bei ihnen!«
»O ja, Herr, laß uns deinen Lehrer. Zu seinen Füßen wollen wir Gottes Kinder werden.«
Nach drei Wochen erschien Akele wiederum, und freudestrahlend berichtete er:
»Ich habe den Häuptling gesprochen; er nahm die Geschenke an, bot mir Palmwein und rauchte die Friedenspfeife mit mir. Ich sagte ihm: ›Wir sind keine Feinde. Niemand tue ich etwas zu leid, niemand bestehle ich, mein Essen kaufe ich. Auch meine eigene Frau habe ich bei mir und meine Kinder. Höre selber, was ich lehre, und urteile dann! Du wirst sprechen: Gut ist die Lehre, die Kinder sollen sie hören.‹ – Schon bin ich am Waldumhauen, um Wohnhaus und Schule zu errichten.« –
»Gut, dann werde ich am Donnerstag mit zwanzig Mann in Bomane sein, und wir werden fest arbeiten.«
Am genannten Tage setzte ich den Fuß auf jenes Gelände. Doch wie erschrak ich! Unter dem Blätterdach am Boden lag Akele, eingefallen und entstellt, in rasenden Schmerzen.
»Der Leib brennt, Pater; es wühlen darin hundert Tiere. Mein Kopf ist Feuer, meine Füße sind gebrochen. Ich kann nicht mehr stehen. Ich muß sterben.«
»Hast du dich vielleicht an Bäumen überhoben? Was hast du gegessen?«
»Ach, was weiß ich! Der Palmwein, den mir der Häuptling vorgestern gegeben, er hat mir's getan.«
Alsogleich ließ ich ihn in den Einbaum betten, zur Fahrt nach der Mission. Erst aber eilte ich zur Häuptlingshütte. In der Barza saß ein Mann, der mit einem Elefantenschwanz sich die Mücken von seinen Geschwüren jagte; sonst war niemand da.
»Wo ist dein Herr, der Häuptling?«
»Er ist fort seit drei Tagen; wir wissen nicht wohin.«
»Das ist gelogen! Die Sprachtrommel meldet jede Bewegung im Lande. Ihr wollt es mir nicht sagen.«
»Du wirst ihn nicht sehen«, sprach er leise; »der Häuptling ist ein schlechter Mensch.«
»Ich sende euch den Richter. Ihr habt meinen Lehrer vergiftet.«
Es war höchste Zeit, wollte ich den Kranken retten. Drum heimwärts und weiter – denn meine Kenntnisse waren da zu Ende. Ich ließ ihn ins Spital des Bezirksarztes bringen, der mir auch gleich erklärte: »Vergiftung, und heute Nacht wird der Tod eintreten.« Ich eilte mit den heiligen Sterbesakramenten, und kurz nach ihrem Empfang war Franz Akele von seinen Qualen erlöst.
Nur langsam arbeitet der Gerichtsapparat. Das Resultat der verlangten Untersuchung war, wie stets in derlei Fällen – kein Bruder verrät den Bruder: »Wir alle haben mitgetrunken und keiner ist davon gestorben.« – »›Der Häuptling ist schlecht‹? so hat jener Mann gesagt, weil der Häuptling ihm befohlen hat: ›Verlasse meinen Hof, denn du bist krank.‹«
Doch es waltet eine ewige Gerechtigkeit, der niemand entrinnt! Woran dieser Kranke litt, das war der Aussatz, der schreckliche Aussatz. Er hat auch den Häuptling gepackt und ihn niedergestreckt. Sein Nachfolger aber sprach zu mir: »Vergiftet hat er deinen Mann; wir alle wissen es. Gib uns einen andern Lehrer. Wir übergeben unser Dorf in deine Hand.« –
– Der zweite –
»Nun, da mein Namensvetter tot ist«, sprach traurig der kleine Akele, »so laß mich seinen Christennamen erben, wenn ich getauft werde.«
»Gut, doch mehr noch strebe, deines Namensvetters Tugend zu erwerben.«
»Ich werde fleißig sein, denn ich will auch Katechist werden.« –
Der Tauftag mit seiner hehren Freude, der Kommuniontag mit seinem süßen Glück, sie waren vorbei und noch ein Jahr dazu.
Franz Akele, der jüngere, hatte sich zu einem prächtigen Knaben entwickelt, geweckt, gescheit und sprühend von Feuer für Gottes Sache. Lange vor Beginn der heiligen Messe kniete er an der Sakristeitür, damit ihm ja keiner im Ministrieren zuvorkomme. Die Kirche schmücken helfen, war seine Freude. Und wie sehnte er die hohen Feste herbei mit ihrem feierlichen Gottesdienst am lichtumfluteten Altar, den die Erdharz-Weihrauchwolken der Erde zu entrücken suchten.
»Pater, jetzt ist es Zeit! Jetzt mußt du mir ein Dorf geben, wo ich selber eine Kirche bauen und eine Christengemeinde dem Heiland gründen kann. Gib mir Yabangea; dort sind viele Kinder.«
»Franz, dort gibt's auch viel Arbeit. Es sind mehrere tausend Leute und drei Dorfgruppen, durch zwei Wasser geteilt. Die Kinder werden nicht herüber und hinüber wollen.«
»Habe ich denn nicht Füße? Bin ich nicht flink wie eine Antilope? Ich werde laufen. Ich unterrichte morgens im oberen Teil des Dorfes, mittags im mittleren und abends im unteren. In der Mitte errichte ich das Gotteshaus, groß genug für die drei Dorfteile, und schön, daß alle gerne hinkommen. Du wirst zufrieden sein mit mir.« –
Zwei Monate waren um. Der kleine Akele gab Nachricht. Er schrieb: »Viele Arbeit und viele Kinder! Ich komme für den nächsten Festtag. Mach ihn schön, daß die Yabangeakinder staunen und es daheim ihren Brüdern erzählen.«
Zehn Tage vor dem Feste kamen sie im Gänsemarsch angerückt, voran der weißgekleidete Katechist und dann die schwarzen Knaben, einer hinter dem andern trotz der breiten Missionsallee – nach Urwaldsitte marschieren sie so selbst auf den breitesten Plätzen. Sie zittern, als sie zu mir herantreten, und schwer hält es, bis sie es wagen, zum Gruße ihre Hand in die meinige zu legen. Alle haben als einzige Kleidung ein Lendentuch aus Rinde zwischen den Beinen durchgezogen und am Gürtel aus Fell befestigt.
»Kinder, ihr seid zwei Tage auf dem Wege gewesen im bösen Walde und habt jetzt Hunger. Darum gebe ich euch zuerst etwas zu essen, und dazu noch jedem ein schönes, weißes Lendentüchlein.«
Was sie da für Augen machten! Flugs liefen sie zunächst an den Lohali, sich darin zu baden. Erst standen sie am Ufer still und staunten das große Wasser an, von dem sie wohl gehört, das aber noch wenige geschaut hatten. Dann ölten sie sich mit dem Palmkernöl aus der kleinen Kalabasse, die an ihrem Gürtel hing. Im Gänsemarsch zogen sie nach dem Bade an meiner Magazintür vorbei. Jeder erhielt ein genügendes Stück Tuch und in einem Blatte eine Tasse Salz.
»Seht ihr's jetzt«, sagte ihr Baba, »ihr seid seine Kinder! Wenn ihr dieses Salz gegen Nahrung verkauft, bekommt ihr Fische für eine ganze Woche, und ist der Hunger dann noch nicht tot, so kommt ihr wieder.«
Die Festtage waren um, der Eindruck gewaltig. Die Knaben kehrten heim und kamen nicht ans Ende mit dem Erzählen.
»Deiner Kinder Zahl«, so schrieb mir bald Akele, »hat zweihundert überschritten; jeden Tag melden sich neue. Den ganzen Tag bin ich am Unterrichten. Komm doch selber einmal schauen; deine Seele soll sich freuen.«
So nahm ich bei meiner nächsten Reise den Weg durch Yabangea. Weit waren mir die Kinder entgegengekommen und führten mich im Triumph durchs Dorf. Es lag viel Material bereit, das einen herrlichen Kirchenbau versprach, – Stämme, an denen hundertfünfzig Burschen zu schleppen gehabt hatten. Die Alten jedoch wollten nichts von mir wissen. Der Häuptling war in Frauengeschäften auf Reisen. Ich blieb einige Tage. Dann verabschiedete ich mich: »Auf Wiedersehen an Weihnachten in Basoko! Nicht wahr?«
Akele schrieb wieder: »Pater, die Sache mit den Kindern steht sehr gut; 280 schon sind im Unterricht und lernen fleißig. Doch die Sache mit den Vätern ist schlecht. Sie haben gehört, daß ihre Kinder, wenn sie Christen werden, nur eine Frau haben sollen und den Harem ihrer Väter nicht besitzen dürfen. Darüber ist nun großer Streit im Dorfe.«
Es folgte bald ein zweiter Brief: »Die Sache mit den Alten verschlimmert sich. Sie schlagen ihre Kinder, wenn sie in den Unterricht wollen. Viele fürchten sich; andere sagen: ›Schlagt uns, solange ihr wollt; diesen Weg lassen wir nicht‹; andere haben ein böses Maul und sagen den Alten: ›Ihr lebt wie Ziegen und Hunde; wir aber wollen Menschen sein.‹ An Weihnachten werde ich wohl nicht kommen können, weil der Häuptling den Kindern das Fortgehen in die Mission verboten hat. ›Ich schlage alle tot, die gehen werden‹, hat er gesagt. So bleibe ich hier bei den Kindern und mache die Kirche fertig. An Weihnachten ziehen wir ein.«
Weihnachten kam. Wohl 9000 Christen und Katechumenen hatten sich in Basoko eingefunden, um dem feierlichen Mitternachtshochamt beizuwohnen, das Kripplein zu schauen und an der Taufe so vieler neuer Brüder teilzunehmen. Es war ein einzigartiger festlicher Tag. Doch noch war der Abend nicht da!
Müde von der vielen Arbeit saß ich in meiner Barza, während auf dem Kirchplatz eine bunte Schar von Feststimmung überströmte. Mein Auge schweifte die Allee hinab. Was ist das für ein Zug, der dort auftaucht und näherschreitet? Wahrhaftig, ein Leichenzug! Muß das heute sein, uns die Festesfreude zu stören? Die Menge öffnet die Gasse. Leute von Yabangea! Sie stellen das Tragbett zur Erde, ziehen das Kopftuch hinweg: Franz Akele – eine Leiche! Ein Schrei des Entsetzens entfährt der Menge. Mit Jammer und Weinen endet der Tag.
»Pater«, erzählten die Jünglinge, »wir hatten die Kirche fertig und hielten Feier zur Mitternacht. Wir sangen freudige Lieder, denn es ist Weihnachten. Da stürzten die Alten herein mit Stöcken und schlugen auf uns ein; es gab viele Wunden. Wir flohen und versteckten uns im Walde. Die Ölfackeln brannten in der leeren Kirche. Der Baba ging hinein und betete allein. Wir sahen ihn und kehrten zurück. Wir beteten und sangen wieder. Da stürzten die Alten ein zweites Mal heran, umstellten das Gotteshaus und fingen wieder an, uns zu schlagen. »Die Lehre, die unsre Vielweiberei angreift, soll sterben in unsrem Dorfe«, schrien sie, und während sie so schrien und uns schlugen, flog ein Pfeil heran und traf den Baba mitten durch's Herz. Wortlos brach er zusammen. Dann flohen die Kinder und flohen die Alten. Wir aber legten den Baba auf sein Bett und bringen ihn dir.«
Ihr zwei Franz Akele – ihr beide Namensvettern! Euer Blut ist in die Opferschale des Gotteslammes ausgeströmt als reine Gabe zur Versöhnung eures Landes. So wohnt nun zusammen und wandelt zusammen im himmlischen Paradies und singt miteinander das ewige Alleluja!