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Sechstes Kapitel.
Camillo Mongwana.

Im Schatten einer jungen Palme wische ich mir die Schweißbächlein von Stirn und Augen und raste ein wenig bei der Feldarbeit, die so schwer ist unter der glühenden Äquatorsonne. Um uns bei Beginn der Mission eine Nahrungsquelle zu schaffen, hatte ich den Boden umgehackt und soeben Kohlsetzlinge dem weichen Grunde anvertraut und darüber ein Dach aus Palmblättern zum Schutz gegen die sengenden Sonnenstrahlen ausgebreitet. Meine Waisenknaben waren an den Fluß gegangen, das Wasser zur abendlichen Begießung herbeizuholen.

Sinnend und zufrieden überschaute ich das Feld, und meine kühne Phantasie zeigte mir schon große Kohlköpfe, die aus den Pflänzlein herangewachsen waren, ja ich glaubte schon meine Lieblingsspeise zu kosten und murmelte: »Unter diesem Himmelsstrich, wie wird es schmecken, das erfrischende Sauerkraut!« Das Wasser floß mir bei dieser Vorstellung so reichlich im Munde zusammen, daß es anderer Erfrischung nicht bedurfte.

Ich ward jäh aufgeschreckt und wandte mich um. Den Pfad herauf kam ein etwa siebenjähriges schlankes Büblein herangestürzt, mit Schweiß und Kot ganz überdeckt, und seine Haut blutete aus vielen Rissen, den Spuren von Dornen und Gestrüpp des Urwaldes. Sein ganzer Leib bebte und zitterte, seine Brust hob und senkte sich und rang nach Atem, während seine ausgestreckten Hände, seine tränenvollen Augen und seine schluchzenden Worte mich anflehten: »Herr, rette mich, schütze, schütze mich!«

Da lag er hingestreckt auf dem grasbedeckten Boden und schaute zu mir auf und mit erstickter Stimme wiederholte er die Bitte: »Rette mich, Herr!« und dann seufzte er vor sich hin: »Kitibo, mein Bruder, mein Bruder!«

Es war mir klar, das arme Wesen war der äußersten Lebensgefahr entronnen.

»Armes Kind, was ist dir passiert? Haben sie dich töten wollen?«

»Ja, Herr, sie kommen, und ich kann nicht mehr laufen.«

»Hab keine Angst, Kind; dich soll kein Verfolger mehr erreichen. Auf diesem Boden bin ich Herr! Ich will dir Vater sein. Kein böser Mensch kommt in mein Dorf. Steh auf, komm in die Veranda, daß ich deine Wunden reinige.«

Mit beiden Händen hob ich ihn auf und führte ihn unter das schattenspendende Vordach meiner Hütte, pfiff meinen Burschen herbei, daß er Wasser und den Arzneikasten bringe und mir behilflich sei.

Indes wandte sich der Knabe spähend und klopfenden Herzens der Richtung zu, aus der er gekommen, und suchte seine Verfolger zu entdecken. Dann ließ er sich auf den Boden nieder und seufzte: »Kitibo, mein Kitibo!«

»Hier bei unsrem Vater hast du nichts zu fürchten«, tröstete ihn mein Bursche. »Er liebt die schwarzen Kinder; viele sind schon hier. Hörst du nicht, wie sie dort unten am Wasser singen und fröhlich sind? – Hier, trinke Wasser! Kühle dich ab, werde ruhig! In unser Dorf kommen die wilden Männer nicht. Des Paters Kinder werden nicht gefressen. Die Wilden fürchten unsern Vater; er ist ein Arzt Gottes!«

Der Bursche hatte den Knaben während seiner Trostrede säuberlich geputzt, und ich verband nun seine Wunden.

»Wo hast du dir diese vielen Wunden geholt?«

»Der Wald hat mir sie gegeben!«

»Woher kommst du? Wo ist deine Heimat?«

»Kennst du unsre Tätowierung nicht, Weißer?«

Er wies auf Stirn und Arm. Wirklich, er trug nicht jene Schnitttätowierung, welche die Uferbewohner als Basoko erkenntlich macht.

»Nein, Kind, diese habe ich noch nicht gesehen. So ist dein Dorf weit von hier?«

»Wir sind Janongo. Unser Boden ist dort u–u–u–unten!«

Seine ausgestreckte Hand zeigte nach Westen. Statt der deutschen Steigerung »mehr« oder »sehr« dehnt der Schwarze die Tonsilbe entsprechend lang und erhöht die Stimme.

»Wir sind Waldbewohner vom jenseitigen Ufer, keine Wasserleute.«

»Wie ist dein Name?«

»Meiner? Ich heiße Mongwana. Mein Bruder heißt Kitibo.«

Kaum hatte er den Namen Kittbo ausgesprochen, so befiel ihn wieder ein krampfhaftes Weinen. Er schwang dabei die hocherhobene Rechte, so daß die Finger gegeneinander klatschten – bei unsern Negern ein Ausdruck der Verzweiflung.

»Kitibo, mein Kittbo!« preßte er wieder hervor.

»Was ist denn geschehen, Kind, sprich schnell, vielleicht kann ich helfen?«

»Herr, dort unten im Walde, weit hinter den letzten Hütten, weit, weit im Walde, dort fressen sie meinen Bruder Kitibo.«

»Hast du das gesehen, Kind?«

»Herr, ihn haben sie zuerst getötet, und nach ihm wollten sie mich schlachten. Doch ich bin entkommen, entflohen, sah dich, und meine Seele sagte mir: Geh zu diesem Herrn; er ist gut«

»So ist es, Mongwana!« rief mein Bursche ihm zu, »unser Vater ist gut; bei ihm bist du gerettet. Sei ohne Ängste!«

»Mongwana, sprich, hast du gesehen, daß dein Bruder tot ist? Vielleicht lebt er noch. Mit all meinen Leuten geh' ich hin, ihn zu befreien.«

»Ach, Herr, ich hab's gesehen. Sie haben ihn geschlachtet, wie man eine Antilope schlachtet; sie haben ihm den Hals abgeschnitten und ihn aufs Feuer gelegt, und jetzt essen sie ihn, weit, weit im Walde, ihn, den Kitibo, meinen einzigen leiblichen Bruder, meinen Kitibo!«

Wolken müssen ausregnen, und dem Herzen wird's leichter durch Tränen. Da war vorerst nichts mehr zu machen.

Nach einer Weile trat ich dem Knaben wieder näher, denn er war ruhiger geworden.

»Aus den Janongodörfern kommst du, Mongwana? Ist das weit von hier?«

»Janongo ist jenseits des Lukalaba. Du fährst hinunter einen halben Tag lang. Dann bindest du den Kahn ans Land; du gehst durch den Wald und kommst, wenn die Sonne dort steht« – er zeigte den Sonnenstand von 3 Uhr – »in unser Dorf; da wurde ich geboren, ich und mein Bruder am selben Tage.«

»Ist dein Vater in deinem Dorfe?«

»Mein Vater? Mein Vater ist an Krankheit gestorben. Es sind jetzt so viele Monate« – er ballte beide Fäuste, ließ nur zwei Finger ausgestreckt; das hieße bei uns zwei, bei den Negern aber acht, denn die eingebogenen Finger bezeichnen die Zahl.

»Und deine Mutter?«

»Haben die bösen Menschen sie nicht nach dem Tode ihres Mannes dem Erben seiner Frauen abgekauft? Sie sind dann mit ihr fortgegangen. Sie schrie, als man sie fortführte, und wir schrieen auch; denn sie war unsre Mutter und wir ihre Kinder. Ich weiß nicht, wohin die Käufer mit ihr gingen, ob sie tot ist oder Sklavin.«

»Ja, wie kamst du denn aus deinem fernen Heimatdorf hierher ins Gebiet der euch feindlichen Basoko?«

»Höre, Weißer, meine und meines Bruders Geschichte: Wir waren zusammen ausgegangen, unsre Nahrung zu suchen. In einem Waldbache fingen wir Krabben, weil wir die gern essen; der Bach ist voll von diesen Tieren. Da stürzten plötzlich acht Basokomänner aus dem Wald, sprangen in den Bach auf uns zu, packten uns, banden uns mit Lianen die Hände auf den Rücken, schleppten uns den Bach hinunter bis an das große Wasser des Lukalaba. Dort warfen sie uns in ihren Einbaum und führten uns mit sich über das weite Wasser, den Strom hinauf, hinauf bis an den Bach, der uns sagt: ›Hier fangen die Jagdwälder des Basokodorfes Jamotonga an.‹ Hier verließen sie mit uns den Lukalaba und ruderten den Waldbach hinauf, weit, weit in den Wald hinein. Dann legten sie den Kahn an, zogen ihn aufs Land, ergriffen mich und meinen Bruder und zogen uns noch weiter in den dichten, dunklen Wald hinein. Dann banden sie mich an einen Baum und meinen Bruder an einen andern. Nicht weit davon säuberten sie mit ihren Messern einen Platz im Walde, brachten ihre Töpfe und das Feuer aus dem Kahn, sammelten Holz und holten Wasser herbei. Als das Feuer große Flammen schlug, stellten sie die Töpfe auf das Feuer. Dann kamen sie alle zu uns und besahen uns. Sie stritten sich vor uns, wen von beiden sie losbinden wollten. ›Diesen‹, sagten sie endlich, ›nehmen wir zuerst; er übertrifft seinen Bruder an Fett.‹ Sie banden meinen Kitibo los und schleppten ihn zur Feuerstätte. Wir weinten und schrieen beide; mein Bruder sträubte sich aus allen Kräften. Aber was will ein Kind gegen große Männer, und der Wald hat keine Ohren für eines Kindes Stimme. Herr, sie warfen meinen Bruder auf den Boden, ich hab's gesehen und hab' geschrieen, und alle acht kauerten um ihn und hielten ihn an Händen und Füßen, und sie schnitten ihm die Kehle ab. Stöhnen hörte ich meinen Kitibo, meinen lieben Bruder, stöhnen, wie eine sterbende Antilope stöhnt, immer langsamer und schwächer, dann war er tot. Mein Bruder war tot. Meine Seele brach vor Schmerz! Sie haben ihn zerschnitten und sein Fleisch in ihre Töpfe gelegt. ›Den essen wir hier‹, haben sie gesagt, ›den andern räuchern wir nachher.‹

»Ich zitterte vor Angst und die Angst gab mir Kraft und lehrte mich, den Weg der Befreiung zu finden. Ich reckte mich und dehnte mich und drehte mich, bis die Liane sich lockerte und mein Mund sie erreichen konnte. Ich biß und biß und – biß sie durch. Ein Ring fiel, und der zweite ward locker. Ich biß wieder: meine Brust ward frei. Ich neigte mich und biß – die Liane fiel zu meinen Füßen. Ich reckte und drehte die Hände, die Liane ward länger und locker, sie fiel, und ich löste die Bande an meinen Füßen. Sie haben es nicht bemerkt; denn ihre Seele war ganz bei ihrer schlechten Arbeit. Leise, leise schlich ich fort ins Dickicht hinein, leise, leise fort, und schnell wie eine Antilope lief ich durch den Wald über die Wurzeln und durch die Äste, durch die Bäche und über die Sümpfe, fort, fort gegen Osten. Ich war schon weit gelaufen, als ich die Stimme jener wilden Menschen bellen hörte: ›Er ist uns entlaufen, lauft ihm nach!‹ Das Rufen ihrer Stimme sagt mir: sie suchen dich; sie kommen dir nach; sie laufen schnell! Doch der Körper des Kindes ist klein und dringt durch den Wald; den großen Mann halten die Äste der Bäume auf. Das Kind ist leicht, und der Sumpf trägt seine Last; der schwere Mann aber sinkt tief ein. Sie haben mich nicht erreicht. Ich kam ans Ende des Waldes dort drüben. Ich hörte die Stimmen deiner Kinder; ich sah dich mit ihnen gut sein, und meine Seele sagte mir: ›Dieser Herr liebt die Kinder; zu ihm gehe ich.‹ Ich lief zu dir. Jetzt bin ich hier.« –

Der Neger ist Fatalist; seine Tränen versiegen schnell. Kitibo mußte gefressen werden; er ist also gefressen worden. Daran war nichts zu ändern.

Mongwana fand sich bald in der Mission zu Hause. »Mich hat Gott gewollt und mich in sein Dorf geführt«, sagte er oft.

Der Abend kam. Ich führte Mongwana zu den Hütten meiner Pfleglinge und wollte ihn bei den Altersgenossen einquartieren. Diese sprangen herbei und schauten gleich nach seiner Tätowierung.

»Es ist kein Bruder! Wir wollen ihn nicht in unsrer Hütte!« riefen sie mir zu.

»Hier ist das Dorf der Kinder Gottes und meiner Kinder! Gottes Kinder sind untereinander Brüder! So will ich, daß ihr alle Brüder seid. Dieser Mongwana ist mein Kind wie ihr und euer Bruder!« entschied ich. Man ließ mich gewähren. Um mich besserer Laune zu machen, führten sie ihn dann auch gleich hinein und halfen ihm vier Pfähle in den Boden rammen, Bambusstäbe daran binden, Bambuslatten darüber legen: das Bett des Ankömmlings war fertig.

»So, und jetzt ißt euer neuer Bruder auch mit euch aus eurem Topfe«, gebot ich. Wie da die Beinchen liefen: Töpfe wurden herbeigeholt, Wasser aus dem Flusse geschöpft, Holz zusammengetragen. Einer machte Feuer. Er rollte ein bleistiftartig zugespitztes Anonaholzstäbchen zwischen seinen beiden Handflächen blitzschnell hin und her, so daß dessen Spitze in die Klaffe eines zweiten, querliegenden Hölzchens sich hineinbohrte. Die Reibung der beiden Hölzchen erzeugte Hitze, Rauch, Glut, und bald faßte das unterlegte Fasernzeug Feuer, das großgezogen wurde. Dann brachten sie den Brand und legten ihn an das Holz zwischen drei Steine, auf die sie den kugelrunden Kochtopf stellten. Nachdem dieser erhitzt war, gossen sie durch seine enge Öffnung Wasser, taten die zerschnittenen Maniokawurzeln mit Maniokablättern hinein, bis der Topf voll war, und deckten ihn dann mit einem großen Blatte zu, das sie dicht festbanden, damit der Dampf nicht entweiche. Ein zweiter Topf ward abseits in gleicher Weise mit rohen Bananen gefüllt, und als das Wasser zugegossen war, auf weitere drei Steine gestellt und erhitzt. Rings um die Feuer saßen die Buben, plaudernd und scherzend, schürend und nach ihrem selbstgekochten Abendessen lechzend. Endlich war ihnen die Speise weich genug; der Geruch war zu verlockend, als daß sie Geduld zu längerem Warten gehabt hätten. Die Töpfe wurden vom Feuer genommen, und im Kreise setzten sie sich um dieselben. Jeder griff dann mit der ausgestreckten Rechten hinein und führte sich mit dieser Gabel das Essen zum Munde. Mongwana war nicht schüchtern; er tat der Kochkunst seiner Stubengenossen alle Ehre an. Er hatte ja lange genug gehungert und gelitten!

Nach der Mahlzeit blieb die frohe Jugend noch die halbe Nacht im Mondschein um ihr Lagerfeuer gekauert. Mongwana mußte seine Geschichte erzählen, und die Genossen erzählten die ihrigen; es gab nicht viel Abwechslung darin. »Gott ist gut; er hat diesen Pater in unser Land geschickt und ihm gesagt, er solle uns schwarze Kinder lieben und uns beschützen gegen die bösen Menschenfresser. Hier ist Gottes Dorf. Wir gehen nie mehr fort!« so schlossen sie ihre Abendunterhaltung.

Mongwana entpuppte sich bald als ein lustiger, erzfideler Spaßvogel. Mit seinen Erzählungen und Fabeln, mit seinen Witzen und Jugendpossen konnte er die Kameraden in solch unbändige Freude versetzen, daß sie sich vor Lachen um ihn am Boden wälzten, während er ruhig Erzählung und Mienenspiel fortsetzte, bis seine Stimme von ihrem schallenden Gelächter übertönt wurde und ihnen allen die Tränen über die Backen rollten. Was war das ein Leben bei meiner Jugend, seit Mongwana bei ihnen eingezogen! Kein Wunder, daß da keiner mehr nach seinem Ursprung, nach seiner fremden Tätowierung fragte: er war aller Liebling geworden, und stets umringte ihn die frohe Schar.

Auch ich war mit dem Knaben zufrieden. Er hing an mir wie ein gutes Kind an seinem Vater. »Bei dir bleibe ich alle Tage meines Lebens; solange meine Seele in mir ist, geh ich nicht fort aus deinem Dorfe. Laß mich etwas arbeiten; denn ich will die Nahrung aus deiner Hand nicht unverdient empfangen.«

Mongwanas Auffassungsgabe und Gedächtnis versetzten mich geradezu in Staunen: er war ein von der Natur begnadigter Bursche. Übrigens sind unsre Neger überhaupt körperlich und geistig schneller entwickelt als wir Nordländer. Was durch Auge und Ohr eindringt, bleibt im Gedächtnis fest, nur ist ihr Verstand ungeübt in europäischen Begriffen. Mongwana war stets der beste Schüler: Gott kennen lernen, dem er seine Rettung verdankte, Gott lobsingen, zu ihm beten, das war die Freude seines jungen Herzens. Bald war sein zweieinhalbjähriges Katechumenat zu Ende, und die heilige Taufe machte ihn zum Kinde Gottes; ich gab ihm den Namen Camillo. Wie liebte er Gott! Jeden Morgen vor Sonnenaufgang war er der erste in der Kirche. Sein Beispiel brachte Wetteifer unter die Jugend. In ihm erstand mir der erste Hilfslehrer für die Zeit meiner häufigen Reisen. Das überlegene Talent sicherte Camillo genügend Autorität; die Jugend liebte und bewunderte ihn; seine Redseligkeit und Gerechtigkeit kamen ihm sehr zustatten. Das war eine Schule voller Herzenseinigkeit zwischen Lehrer und Schüler. Streit gab es nie; denn Mongwana war zu gut und auch zu klug, einen solchen nur entstehen zu lassen. Die Negerbuben, die vom vierten Lebensjahr ab sich selber durchs Leben schlagen müssen und sich zu diesem Zweck mit ihren Altersgenossen zusammentun, sind fürs praktische Leben unvergleichlich schneller und besser gewappnet als unsre heimatliche Jugend, die zwei Jahrzehnte lang ihre Füße unter der Eltern oder Fürsorger Tisch stecken und sorgenlos dahinleben kann.

Als ich die fähigsten meiner jungen Leute als Katechisten und Lehrer hinaussandte, bat Mongwana, in meiner Nähe bleiben zu dürfen; er wolle noch vieles dem Verstand der Europäer absehen.

»Maurer will ich erst werden«, begehrte er. So gesellte ich ihn denn zunächst meinen Backsteinmachern zu. Mongwanas Backsteine waren bald die schönsten. Er duldete an ihnen keinen Fehler, wachte sorgsam, daß sie ja kein Hund, keine Ziege, kein Mensch beschädige. Seine Gazellenfüße trugen den schlanken Körper so schnell vom Formtisch zu den Trockenschuppen, daß er in halber Zeit die vorgeschriebene Zahl erreichte. Gewöhnlich machte er dann noch freiwillig eine Anzahl als »Geschenk für Gott«, oder »Geschenk für den Pater«, oder auch um einem langsamen Kunden nachzuhelfen. Sein Beispiel und seine Worte spornten alle zum Fleiße an.

Ich erkannte mit Freuden, daß er für Schönheit, gerade Linien und praktische Anlage ein empfängliches Auge hatte. Damit war der Bursche gefunden, den ich nötig hatte bei der Errichtung der Brandöfen. Ich lehrte ihn die Bogen der Feuerwege errichten, die Steine so setzen, daß die Glut sie erreiche, Feuerkanäle durch den ganzen Ofen anlegen, endlich das Ganze sorgfältig verschließen zur Erhaltung der Hitze und Erreichung des erforderlichen Grades, eine wichtige Arbeit, von der das Gelingen des Brandes, mithin der Backsteine abhängt, die also Gewinn oder schweren Verlust nach sich zieht.

Vom Garten hing in großen Stücken die Gesundheit der Missionare ab. Was ein Dummkopf oder Leichtfink da Unheil anstiften kann, und wie man infolgedessen hungern und krank werden muß, das habe ich sattsam erfahren, wenn die nötigen Missionsreisen meine eigene Aufsicht unmöglich gemacht hatten. Wieder war Mongwana meine Zuflucht. Ich wollte ihn zum Obergärtner ausbilden, der auch in meiner Abwesenheit die schwarzen Gesellen zu dressieren verstände. Da sah man dann bald die Salat- und Kohlpflanzen fein in Reih und Glied. In gut bearbeitetem Boden nach Regeln gesät, verpflanzt, begossen, gaben die Pflanzen dem Garten bald ein üppiges Aussehen, und unser Tisch war stets mit frischem Gemüse versorgt. Kam ich von dreimonatiger Reise heim, so eilte ich gleich in den Garten und weidete meinen Blick an den lang entbehrten Gurken, Kraut- und Salatköpfen, an Bohnen und Erbsen und allem, was ich nach vieler, vieler Mühe und Dutzenden von Fehlversuchen in diesem und jenem Erdgemisch endlich eingebürgert hatte. Hier zog ich einen schwarzen Rettich, dort ein paar Möhren oder Radieschen, ja sogar Erdbeeren waren zu finden. Und Mongwana freute sich, wenn er seinen Pater so zufrieden wiedersah.

Nun wollte er auch Koch und Bäcker werden. »Denn«, sagte er, »wenn ich einmal hinausgeschickt werde als Lehrer und Katechist, und der Pater kommt in mein Dorf, will ich ihn nicht nur beherbergen und ihm ungekochte Gemüse zeigen, sondern er soll bei mir auch gut essen, damit er lange bei mir bleibe.« So tat ich ihn denn zuerst in die Küche zu meinem Burschen, später nahm ich ihn auf meine Reisen mit, und jeden Tag lehrte ich ihn eine neue Speise zubereiten, bis meine eigenen Kenntnisse erschöpft waren.

Die Jahre verflossen glücklich und zufrieden. Mongwana hatte das Alter längst erreicht, in dem die Neger zu heiraten pflegen. Geld zum Ankauf einer Frau besaß er nicht; er hatte das auch nicht nötig; sein Pater wird ihm helfen. So stand er denn eines Morgens in der Ecke meines Empfangsraumes. Schweigend und vor sich hinschauend wartete er auf mich. Ich las ihm an Gesicht und Haltung sofort ab, daß er ein großes Anliegen habe, kannte auch meine Neger zur Genüge, um zu wissen, um was es sich handle.

»Na, mein Lieber, wie schaust du heute drein? Hast du nichts zu kochen oder ist dir ein Topf zerbrochen?«

»Nein, Pater, aber – meine große Angelegenheit …«

»Aha, heiraten willst du jetzt. Gut, das ist ja nicht zu früh. Aber, sei gescheit dabei! – Weißt du schon, wen du willst?«

»Nein, das weiß ich noch nicht ganz sicher. Da du mein Vater bist, hab' ich dir nie etwas verheimlicht, und so sage ich dir's auch gleich wegen meiner großen Angelegenheit.«

Wochen vergingen, da stand Mongwana wieder in meinem Empfangsraum, wiederum nicht des Speisezettels wegen, sondern – er sagte es gleich:

»Pater, meine große Angelegenheit.«

»Gut, wen willst du heiraten?«

»Die Theresia Besango.«

»Was!« platzte ich heraus und lachte. »Die? Die ist ja Witwe, und das ging doch gar nicht so gut mit ihrem ersten Manne. Ich dachte mir, mein sonst so gescheiter Mongwana sei doch geschickter in der Wahl seiner Zukünftigen. Ist dir das wirklich Ernst?«

Bei den Negern tut man klug, in dieser Sache etwas zu bremsen, daß sie nicht zu schnell laufen und die Nase anrennen, woran dann der Pater schuld sein muß. Wäre es in Europa nicht auch gut so?

»Es ist mir sehr Ernst: die Theresia will ich und keine andere.«

»Warum denn gerade diese?«

»Höre, Pater, diese Theresia ist eine Frau, die Gott gehorcht und Gott liebt; deshalb wird sie auch mir gehorchen und mich lieben. Schau nur einmal in die Kirche: Theresia fehlt selbst an keinem Werktag weder morgens noch abends. Wenn die andern Frauen herumlaufen und tanzen, arbeitet sie. Wenn die andern sich zanken, geht sie fort. Ihre Seele ist wie die meine: sie paßt zu mir.«

»Wenn du solche Gründe hast, muß ich dir beistimmen und dir Glück wünschen. Zudem hast du ja immer noch Zeit zum Nachdenken.«

Die Verkündigung von Mongwanas baldiger Hochzeit geschah: alles spitzte die Ohren und lauschte, wen er sich zur Frau erwählt habe. Die Meinungen waren geteilt: die einen stimmten zu, die andern rieten ihm ab. Mongwana schlug alle Bedenken aus dem Felde und verharrte auf seinem Entschluß: »Theresia erkennt Gott als ihren Herrn an; sie ist arbeitsam und häuslich: sie wird meine Frau!«

Der Hochzeitstag kam. Alles rüstete sich zum Feste. Der beste Schüler, der liebste Kamerad, der geschickteste Lehrer und Meister, der alte Freund – er sollte gefeiert werden. Kirche und Altar wurden geschmückt, und auch der Betstuhl, auf dem das Brautpaar knieen sollte. Weither aus dem Missionsgebiet erschienen die alten Freunde, ehemalige Mitschüler und Mittäuflinge.

Den Schwarzen eine hohe Idee von der christlichen Ehe zu geben, da sie ja bei den Heiden so tief steht, war stets eine meiner größten Sorgen.

So begann denn der Tag mit Glockengeläute. Weißgekleidete Mädchen holten im Zug die geschmückte Braut in der Mädchenschule ab, während die Lehrer, Katechisten und Freunde Mongwanas diesen von meinem Empfangsraum aus zur Kirche geleiteten. An der Kirchentür stand ich im Ornat, die beiden Züge zu empfangen, und unter Psalmengesang führten wir sie durch die geschmückte, dichtbesetzte Kirche hin zum beleuchteten Altar. Ich hielt eine Festpredigt über das Ehesakrament, groß und heilig in Christus und seiner Kirche, nicht wie bei den Heiden. Es folgte die Singmesse: begeistert und mächtig aus aller Herzen ertönte der Gesang, wie aus Posaunen gestoßen. Dann das Ehesakrament, die Kommunion der Brautleute, der Segen, die Eintragung in die Pfarrbücher.

Der Zug verläßt die Kirche. Die Brautleute werden umringt von der buntfarbigen Menge und beglückwünscht auf dem Kirchenplatz – zuerst von mir.

Das Hochzeitsessen zu stellen blieb natürlich an mir, und auch den Palmwein für den anschließenden Tanz. Unsern großen Waschkessel ließ ich dreimal füllen und leer essen, füllen mit Reis, Ziegen- und Antilopenfleisch, inbegriffen Kopf und Eingeweide, was den Negern am besten schmeckt; warf tüchtig Salz hinein und eine mächtige Hand voll Pfeffer – denn kratzen muß die Speise im Hals, soll sie gut sein! Es folgte der Tanz auf dem Kirchplatz, hier die Männer im Kreise, dort unten die Frauen. Je heißer die Sonnenglut, desto begeisterter ward gesungen und gesprungen; denn Schweißbächlein müssen rinnen, sonst ist's kein echter Negertanz.

Camillo selber war wenig dabei; er hatte andere Sorge. Sein Pater hatte ihm zum Hochzeitsgeschenk ein nettes Backsteinhäuschen erbauen lassen und ihn heute früh dort eingeführt. Das wollte er einrichten und heute noch beziehen. Nur von Zeit zu Zeit erschien er im Freundeskreis, mit Worten zu erfreuen und Palmsaft rundzureichen. Gegen 5 Uhr ließ der Tanz nach; die Zuschauer verzogen. In kleinen Gruppen kauerten die Bekannten unter den Bäumen beim Plaudern und Palmweinschlürfen.

Ich saß unter meiner Veranda im Schatten und schrieb. Da schlug Geschrei an mein Ohr, Geschrei einer Frau, die jedenfalls Hiebe bekam und nach Negerart durch lautes Heulen ihre Sache über Gebühr wichtig machen wollte. Richtig, das Geschrei kommt aus dem Dorfe meiner Arbeiter. Da muß ich hin! Ich springe die Treppe hinab, ich eile – zu des neuen Ehepaars Hütte! Ja, daher kam das Geheul! Die Türe war zu. Ein Tritt mit meinen Stiefeln – sie flog auf. Was sah ich da! Auf dem Boden die Braut im Hochzeitskleid und über ihr schlug Mongwana auf sie ein. Prügel am Hochzeitstage!

»Bist du betrunken?« schrie ich ihn an. »Bist du verrückt? Halt ein! Das heute! Ein starkes Stück! Geh nur gleich mit mir hinauf vor mein Haus!« Ich war außer mir vor Unwillen. Dieser junge Mann, der sein Leben lang noch nie mit jemand gezankt, noch keinem Menschen etwas zuleid getan hat, verprügelt am Hochzeitstag seine Braut! Ich konnte mich nicht fassen. Doch ganz ruhig und ohne jede Erregung, wie alltäglich, schritt er mit mir meiner Wohnung zu. Sollte ich weiterschimpfen? Sollte ich den Kerl auch verprügeln? Ich fand meine Ruhe nicht. Das merkte der Hochzeiter gar wohl. Als er an meiner Treppe ankam, begann er:

»Höre nun, Pater, deines Sohnes Worte: Lang bist du schon in unsrem Lande, und du kennst uns schwarze Menschen gut, das heißt, die Männer kennst du; aber die Frauen, die kennst du noch nicht gut. Heute hat sich es entschieden, daß ich für immer mit der Theresia zusammenleben soll, und das will ich. Aber ich will glücklich sein in meiner Ehe und nicht alle Tage schelten müssen. Deshalb heute, wo es sich entschieden hat, daß wir beide ein Haus bilden, muß es sich auch entscheiden, wer der Herr in diesem Hause ist, ich oder sie. Gott will, daß ich es sei; darum muß ich es sein und will es sein. Nun höre, wie Theresia heute beginnt, und urteile: ›Wenn die Sonne dort steht (5 Uhr), hatte ich ihr gesagt, dann kommst du; wir richten das Häuschen nach unser beider Geschmack ein.‹ Wer nicht kam, war sie! Sie trinkt und schwätzt mit den Weibern und fragt nichts nach ihrem Manne. Nachher aber wird sie das Haus nicht recht finden, sagte ich zu mir, und schimpfen. Da habe ich gedacht: so darf das nicht beginnen, sonst geht's das ganze Leben hindurch so weiter. Ich gebe ihr gleich die Lehre eindringlich; dann habe ich Ruh' mein Leben lang.«

Ich biß mir auf die Lippen, um ernst zu scheinen. Mein Groll war verraucht vor solcher Lebensphilosophie.

Der schlaue Mongwana hat gut vorausgesorgt: kein zweites Mal hatte er über seine Frau zu klagen; aber auch sie über ihn nicht. Theresia hat begriffen, daß ihr Mann die Ordnung liebt, und jene Eigenschaften, derentwegen er sie geheiratet, hat sie nie wieder verleugnet.

Heute ist Camillo Lehrer und Katechist eines unsrer größten Dörfer, in Jasomboni, mit 4000 Einwohnern, dem er meisterhaft vorsteht. Aber nicht allein, sondern mit seiner Frau tut er das Gute.

Morgens 6 Uhr ruft Camillos Gong die Christen zum Gebet; dann singen sie fromme Lieder und halten Fortbildungsunterricht. Darauf ist Schule für Freiwillige. Aber diese freiwillige Schule zieht besser als die pflichtmäßige. Diese Leute wollen lernen; Lernfreudigkeit trägt schönere Frucht als Lernpflicht; deshalb rutschen sie auch nicht ungeduldig hin und her. – »Ach, wenn die Schul' aus wäre!« – nein, sie sind im Gegenteil sehr bös, wenn der Unterricht eingestellt wird. »Weshalb schon aufhören? wir sind doch noch da!« Um 9 Uhr kommen die Taufschüler. Drei Stunden täglich gibt ihnen Mongwana Unterricht; zwei Stunden haben sie Repetition vom Hilfslehrer. Der Missionar regelt und ergänzt den Unterricht bei seinen Besuchen. Um 6 Uhr abends ruft Camillo wieder die Christen zum Abendgebet. Selten fehlt da jemand, er müßte schon auf Reisen oder krank sein.

Köstlich ist's, wenn die Sonne den Mittag anzeigt und der Unterricht für zwei Stunden ausgesetzt wird. Dann rennen Schüler und Schülerinnen zu Mama Theresia. »Wir haben Hunger!« Und sie teilt aus: diesem eine Handvoll Reis, jenem eine Banane, diesem Maniokabrot, jenem geröstete Erdnüsse; … und alle jubeln: »Die Mama Theresia ist gut, sie nährt unsern Leib und Baba Camillo den Geist.«

Mongwana hat nun schon 1200 Schüler zur Taufe geführt. Alles achtet und ehrt ihn; selbst der Häuptling holt bei ihm Rat und läßt sich von ihm Briefe schreiben. Dafür schenkt er ihm dann wieder einmal eine Antilope, ein Stück Wildschwein oder Elefantenfleisch und läßt ihn ruhig seines Amtes walten, da er einsieht, daß dieser Lehrer nur das Wohl seiner Leute sucht. Sein Ansehen und seine Klugheit kommen auch seinen Schützlingen gar sehr zustatten in den so schwierigen Eheangelegenheiten. Naht Krankheit und Tod, so wird er auch gerufen: er kennt manches Mittel, das Lebenskraft zurückruft. Ist es aber zu spät, so hilft er durch vollkommene Reue den Weg zum Himmel finden – denn der Priester ist weit –, und den Leichnam wie die Überlebenden schützt er vor den heidnischen Gebräuchen.

Mit seinen Schülern in Jasomboni hat er eine Schule und eine dreischiffige Kirche gebaut, dazu ein Haus für sich und ein Obdach für den reisenden Missionar. Seine Theresia aber legt mit Hilfe der Jasombonifrauen und -mädchen endlose Felder an. Da steht Mais, Reis, Bananen, Manioka, Nyam, Erdnüsse usw. Die Frauen helfen ihr gern, denn sie lernen so den Feldbau; aus Erfahrung wissen sie, daß, je mehr Nahrung im Lande ist, um so weniger sie selber Gefahr laufen, in den Topf gesteckt zu werden. Zudem erhalten sie ja auch ihren Teil vom Erträgnis der Arbeit.

Zu den großen Festen zieht Baba Camillo an der Spitze seiner Schar betend und singend durch die Wälder zur Mission. Und der Missionar freut sich, wenn er die jubelnde Menge von Jasomboni herankommen sieht, mit Nahrungsmitteln für zwei bis drei Wochen beladen. Sein treuester Katechist bringt ihm ja die Frucht mühevoller Arbeit: brave Christen zum Sakramentenempfang, gut geschulte Katechumenen zur Prüfung und Taufe. Eine zahlreiche Schar Erwachsener wird von Camillo und seiner Frau zum Taufbrunnen geleitet; sie schwören entschlossen dem Heidentum ab, werden in Christo gereinigt und Kinder Gottes und gehen hierauf erstmals zum Tische des Herrn.

Wenn dann der Missionar seinem Camillo Mongwana für all seinen Eifer und seine Mühe danken will, so sieht ihn dieser lächelnd und zufrieden an und spricht: »Es war für den lieben Heiland! Er hat ja auch mich errettet, erlöst und glücklich gemacht. O möchten wir alle seine Kinder werden!«


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