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Hört ihr das Rauschen in den Bäumen dort drüben, Knaben? Wehe uns, wenn die Waldriesen die Köpfe über uns schütteln. Schon einmal, es war im Walde bei Jeloti, haben herabfallende Äste zwei meiner Träger totgeschlagen. Vorwärts, zu einer lichteren Stelle!«
»Pater, unsre Messer sind scharf. Sieh nur, wie sie das Schlingwerk der frechen Lianen entzwei hauen und unser Fuß vorandringt. Wir kommen vor Sonnenuntergang nach Wandangu.«
»Wenn das ein Sturm wäre, würde er schon längst über uns sein«, meinte ein anderer.
»Brüder, Brüder, schnell herbei«, rief das kleinste Büblein, das mit seinem dünnen Körperchen sich durch das Dickicht gewunden hatte. »Es ist kein Sturm. Es sind die Makako, viele Affen, Affen ohne Zahl. Sie sind am Wandern; sie kommen hier durch, und stets folgen neue Scharen. Der ganze Wald lebt.«
»Loo, Loo!« staunten nun alle mit weit aufgerissenem Munde zu den Bäumen hinauf. Die Lasten waren ihren Händen entglitten; sie schnellten durchs Gestrüpp zur Lichtung hin, die ein mächtiger Baumriese durch seinen Fall geöffnet hatte, durch die ihn umschlingenden armdicken Lianen seine jüngeren Brüder nachreißend, die nun neben ihm am Boden lagen oder verstrickt in halber Höhe dahingen. Eine Flut von Licht und Wärme sandte die heiße Mittagssonne in die ihr neu erschlossene Tiefe und entlockte bald eine üppige Vegetation von den wechselhaftesten Farbentönen. Um die Wette strebten die Pflanzen nach oben, den Platz an der Sonne zu erobern.
»O Pater, Fleisch springt da oben, und wir können es nicht packen. Unser Magen ist leer, der Hunger beißt, unser Körper zittert, unsre Seele stirbt vor Gier. Fleisch ist dort oben und spottet unser; es springt uns über die Köpfe. Ach, hätten wir es eher gewußt! Wir hätten unsre Schlingen auf ihre Baumpfade gelegt und Palmkerne dahinter. Die dummen Affen wären hineingeschnellt und hingen nun an den Ästen; wir äßen heute hundert Makako und hundert könnten wir räuchern. Diese Affen feiern wohl eine Hochzeit oder führen einen Tanz auf. Loo! Dort hat sich eben einer am Schwanze seines Bruders auf den nächsten Baum geschwungen, und der ist darob in Wut und prüft, ob der Schwanz auch zurückgeblieben sei. – Dort ist eine Mama, sie hat zwei Kinder auf dem Rücken; auch sie will mit zum Tanze. – Der dort ist eben vier andern über den Rücken gesprungen, von recht hoch herunter, daß sie alle vier zusammengebrochen sind. – Da drüben sind sie am Essen; sie kauen die Früchte der Gummilianen und Mapera. – Seht mal den Dicken, Großen dort oben, wie ihn die andern umhüpfen und er so langsam einherspaziert. Das ist wohl der Häuptling, oder es ist ein großer Mann, der viele Frauen hat. – Die dort werfen uns die Reste ihrer Mahlzeit zu. Schmutzige Tiere sind sie, diese Makako …«
»Ach, Pater, habe ich es dir nicht schon oft gesagt, du solltest das Gewehr mitnehmen? Jetzt geht uns all das schöne Fleisch da oben verloren. Hättest du das Gewehr: ein Knall, es flöge ein Klumpen herab zu unsern Füßen, wir würden kochen und essen, und unsre Seele würde lachen und tanzen voll Freude. Und du, du hättest dann so einen guten Affenbraten wie damals beim Kommandanten. Zuerst wolltest du auch nicht vom Affen essen; aber der Kommandant ließ ihn zubereiten, wie ihr Europäer die europäischen Mäuse (Hasen) kocht, in einer sauren Brühe. O, das war etwas Gutes, ich weiß es. Als ihr aßet, schlich ich in die Küche, und der Koch gab uns den Kopf und den Bauch des Tieres (Eingeweide), die er sich in derselben Brühe gekocht hatte. Nie im Leben habe ich dergleichen gegessen. Hättest du jetzt das Gewehr, du äßest heute wieder so gutes Fleisch, und wir mit dir; dann würden wir stets mit dir reisen wollen und keine andern Buben mehr zulassen.«
»Knaben, ich habe euch schon lange gesagt, warum ich kein Gewehr mitnehme. Wenn eure Brüder mich mit dem Gewehr kommen sehen, so sprechen sie: ›Ein böser Europäer! Er hat ein Gewehr, um uns totzuschießen.‹ Sie werden fliehen, und ich kann sie nie zu Gottes Kindern machen. Wir Missionare sind für euch gekommen. Auch uns tut es weh im Herzen, wenn die Soldaten eure Väter und Brüder zu vielen Tausenden in den Wald treiben, jedes Jahr dreimal, und sie nicht in ihr Dorf zurückkehren lassen, bis jeder seine 12 Kilo Gummi abgeliefert hat.«
»O, du kennst die Gummiarbeit noch nicht recht, Pater! Sie ist schlimm! Wir alle werden von schlechten Soldaten weit fort in den Wald getrieben, oft zehn Tage weit und mehr, wo dann jeder in einer andern Richtung verschwinden muß. An den Gummilianen müssen wir hinaufklettern bis in die Baumkronen, wo die Liane sich festhält. Wir müssen eine Rinne in sie einschneiden von oben bis unten, durch die ihr weißer Gummisaft abfließt in den untergestellten Topf, und viele schräge Nebenrinnchen, die diesen Saft der Hauptrinne zuführen. In einem zweiten Topfe wird Wasser gekocht – die Gummimilch wird, wenn es siedend ist, hineingegossen und mit einem Holze umgerührt, bis sie um den Stock zu einem braunen Klumpen geronnen ist. Dieser wird in Würfel zerschnitten, damit der Wasserinhalt verdunstet. So wandern wir von einer Liane zur andern, und der Hunger plagt uns sehr bei dieser Arbeit, – denn die Frauen und Mütter sind im Dorfe – oft werden sie indessen dort geraubt. Jetzt müssen wir sogar die Lianen umhauen und auspressen. Die Europäer glauben, sie bekämen so mehr Gummi. Für einmal wohl; aber dann ist die Gummipflanze tot für immer. Gut, so hört die schlimme Arbeit auf! – Wenn unser Korb endlich voll ist, tragen wir ihn zum Weißen. Dieser hängt ihn an die Wage. ›12 Kilo‹, sagt er, ›müssen es sein.‹ Weil wir aber das Geheimnis des Kilo nicht verstehen, so schreit er viele von uns an: ›Das ist nicht genug! Haut ihm fünfundzwanzig mit der Nilpferdpeitsche herunter. Und dann wieder in den Wald, nochmals 12 Kilo zu machen!‹ O weh, wie diese Hiebe brennen! Langsam, langsam wird gezählt; der stärkste Soldat schlägt. – Viele der Unsern sterben im Walde: die einen stürzen ab, andere zerreißt der Leopard, andere finden keine Nahrung, andere werden krank, andere verschlingt der bodenlose Sumpf. Sprich, Pater, ist das Europäerrecht? Sind wir denn ihre Tiere?«
»Kinder, es gibt böse weiße Menschen, wie es böse schwarze gibt … Reden wir jetzt wieder von den Affen. Kürzlich brachte man mir ein Mausäffchen, genau so groß wie eine Maus, mit langem, buschigem Schwanz. Die ganze Nacht pfiff es jämmerlich, so daß ich nicht schlafen konnte.«
»Der größte Affe von den vielen Arten, die in unsern Wäldern leben, Pater, heißt Mokobi (Gorilla). Der ist größer und stärker, als du bist. Nur starke und geübte Männer mit guten Lanzen und Messern können es mit ihm aufnehmen.«
»Pater, den Affen soll man nicht ernähren, wie du es getan hast. Das hat Gott nicht gewollt! Der soll sich selbst erst fett machen und dann uns; sonst ist er ein ganz unnützes Tier.«
»Kennst du die Geschichte, wie es gekommen, daß die Affen einen so kleinen Daumen haben? Die Schildkröte ist schlau und spielt den andern Tieren gerne einen Streich. Die Affen zogen durch den Wald, wie wir es heute gesehen. Die Schildkröte saß in ihrem Sumpfe und pfiff den Affen. Sie horchten und stiegen nieder; doch die Schildkröte war im Sumpfe verschwunden und tauchte anderswo wieder auf. Von neuem pfiff sie. Die Affen stürzten herbei, einer über den andern hinweg. Wie die sich ärgerten, als sie wieder niemand fanden! Die Schildkröte war längst abermals untergetaucht und wieder an der ersten Stelle erschienen. Von dort pfiff sie aufs neue, daß es den Makako durch Mark und Bein ging. In voller Überstürzung sprangen diese wieder vor, den Pfeifer zu erwischen, der sich über sie lustig machte; niemand war zu finden. So ging's den ganzen Tag. Die Affen platzten vor Wut, wurden toll und verrückt. Da schickte Akolo, ihr Häuptling, zum Marder, dem Zauberer für alle Tiere des Waldes, und ließ fragen, wer denn der sei, der solchen Spuk mit seinen Burschen treibe, und wie dem beizukommen sei. – ›Das kann nur die Schildkröte sein‹, entgegnete dieser. ›Morgen mittag schläft sie im Wurzelgehege des Mombaybaumes, dort, wo sie erstmals gepfiffen hat. Nehmt ihr die Flöte, und ihr habt Ruhe. Ihr pfeift dann aus den Bäumen herab, wie sie hinaufgepfiffen!‹ – Jubel war im Affenlager. Leise, leise schlichen sie an die schlafende Schildkröte, stibitzten ihr die Flöte, eilten wieder in die Höhe und begannen zu flöten. Erschrocken fuhr die Schildkröte auf und horchte. Ja, das war ihre Flöte. Verdutzt kroch sie aus ihrem Schlupfwinkel hervor und begann zu rufen: ›Ihr Spitzbuben dort oben, gebt mir mein Eigentum zurück! Diese Flöte hat der Herr der Tiere mir gegeben, als er mich in den Wald setzte und in den Sumpf!‹ Aber die Affen lachten, höhnten und pfiffen drauf los. Nun bat die Schildkröte immer inniger. Nur ein böswilliges Herz konnte verstockt bleiben. ›Ihr Affen‹, sagte sie, ›ihr habt doch die ganze schöne Welt zu eigen mit allen Vergnügungen in den Höhen des Waldes; ich arme Schildkröte muß im Sumpfe wohnen. Die Flöte ist meine einzige Freude; gebt sie mir zurück.‹ Wieder höhnten die Affen, tanzten auf den Bäumen herum und zogen schließlich ab. – Die Schildkröte ist nicht dumm. Des andern Tages begab sie sich früh morgens auf den Weg zu einem Wimbobaum, dessen reife Früchte einer Schildkröte nicht unähnlich sehen und der Affen Lieblingsspeise sind. Sie erklomm den Baum mit Hilfe der Lianen und hing sich an einen Ast, als wäre sie eine Frucht. Die Affen kamen zu ihrem Morgenspaziergang und bemerkten die große, reife Frucht, – wie sie meinten – so schön und groß, wie sie nie eine gesehen. ›Die ist für unsern Häuptling; kein anderer darf sie pflücken.‹ Akolo fühlte sich geehrt und griff nach der vermeintlichen Frucht. Quetsch! Die Schildkröte packte ihn am Daumen und hielt ihn fest, so fest, daß kein Schütteln und kein Ziehen etwas nützte. Akolo schrie und heulte zum Erbarmen. Die andern Affen baten: ›Laß ihn los, er blutet schon!‹ – ›Nicht, bis ihr mir meine Flöte gebt!‹ Schnell ward die Flöte herbeigeholt und der wütenden Schildkröte dargereicht. Doch ihre starke Hand ließ noch nicht von Akolo ab. ›Jetzt müßt ihr mir auch eine Liane holen, damit ich daran in den Sumpf hinabgleite.‹ Auch dieser Wunsch ward schnell erfüllt, denn Akolo schrie und weinte wie ein sterbendes Kind. ›So, nun haltet die Liane schön über die Mitte des Sumpfes und laßt sie hinab, so daß ich sehe, ob die Stelle tief ist.‹ Alles geschah. ›Diese Stelle eignet sich vortrefflich!‹ Ein zweites Mal: Quetsch! Der Affenhäuptling brüllte fürchterlich. Die Schildkröte hatte ihm den Daumen abgekniffen und, plumps, sich in den Sumpf hinunterfallen lassen. Daher kommt in der Affenfamilie der verkrüppelte Daumen.«
»Von der Schildkröte wissen wir noch viele Geschichten, Pater. Der Elefant meinte der Gescheiteste zu sein, weil er einen so dicken Kopf hat. Die Schildkröte sprach zu ihm: ›Ich will dir über deinen Kopf hinwegspringen, und auch im Schnellauf kommst du mir nicht bei.‹ – ›Wie du prahlen kannst, du erbärmlich kleiner Wicht!‹ – ›Es ist aber doch so, du dicker Fleischklotz. Soll ich dir das beweisen?‹ – ›Gut‹, entgegnete der Elefant, ›ich stelle mich hier in den Bach; du stellst dich hier am Ufer auf, und da wollen wir sehen, ob du über mich ans jenseitige Ufer springen kannst. Dein Großmaul wird verstummen.‹ – ›Recht so! Das tun wir morgen früh, Herr Elefant; denn für solch eine Leistung muß ich bei Kräften sein.‹ – ›Abgemacht; morgen früh, wenn wir geschlafen haben, sind wir zur Stelle. Schlaf wohl, Schildkröte!‹ – ›Den will ich kriegen‹, dachte diese. Sie rief ihre Frau, das Weibchen, und unterrichtete sie genau. Diese versteckte sich zeitig im Schilfe jenseits des Baches; das Männchen aber stand in erster Morgenstunde diesseits und wartete auf den Dickhäuter. Er kam und stellte sich quer in den Bach. ›Stillhalten und aufpassen‹, rief die Schildkröte, ›ich springe!‹ Sie patschte erst auf den Boden und versteckte sich dann flugs. Auf der andern Seite aber patschte auch schon das Weibchen und rief: ›Olee, hier bin ich schon! Dreh dich herum, Herr Elefant, und schau!‹ Der Koloß drehte sich: ›Potztausend, jetzt sag' ich nichts mehr! Was du springen kannst! Wer hätte das geahnt! Im Springen bist du mir also über, aber nicht im Laufen.‹ – ›Das wollen wir morgen sehen, Herr Elefant; für heute haben meine Füße genug.‹ Am andern Morgen war Wettlauf. Die Schildkröte hatte ihre ganze Familie in das Geheimnis eingeweiht und ein Familienglied nach dem andern dem Wege entlang versteckt und gut unterwiesen. Das Rennen begann mit dem Trompetenstoß des Elefanten. Dieser sollte auf der weiten Straße laufen, die Schildkröte im Sumpfe daneben. Wie staunte nun der Elefant, als er, ganz im Schweiße, die Schildkröte vor sich aus dem Sumpfe kriechen sah: ›Herr Elefant, endlich kommst du? Schon lange warte ich hier auf dich! Wenn du nicht schneller laufen kannst, verlierst du auch die heutige Wette. Nur schnell weiter voran! Ich hole dich wieder ein.‹ Der Elefant lief schneller als zuvor. Doch wieder kam ihm die Schildkröte entgegen: ›Siehst du, ich hab's dir gesagt: ich hab' dich wieder überholt.‹ Ein drittes, ein viertes Mal lief der Elefant; jedesmal wartete schon die Schildkröte auf ihn. Auch am Ziele saß sie und lachte: ›Schon lange hier, schon lange. Wie langsam du nur vorwärts kommst, weil du so dick bist. Und jetzt, Herr Elefant, weißt du, daß es andere Tiere gibt, die geschickter sind als du, wenn sie auch klein und unansehnlich sind!‹« –
Die Affen waren weitergezogen; nur noch von fern hörte man das Gefletsch ihrer Zähne, das Krachen der Äste und das Rauschen des Waldes.
Merklich ging es abwärts, und der Boden wurde feuchter, dann sumpfig. Bald wateten wir im Sumpfe bis an die Waden.
In traurigen Weisen sangen meine Begleiter abwechslungsweise, indem einer vorsang und die andern antworteten, die stimmungsvolle Hungerfabel:
Es war ein böses Hungern in dem Reich der Tiere –
O weh, wie beißt der Hunger!
Der fette Leopard, ganz klein ward er und mager –
O weh, wie beißt der Hunger!
Der Schildkröt', sonst so stark, entschwanden ihre Kräfte –
O weh, wie beißt der Hunger!
Der Affe, sonst so munter, saß weinend auf der Erde –
O weh, wie beißt der Hunger!
Alle: Und alle Tiere des Waldes, o weh! sie weinten zusammen, o weh, o weh,
Wie tut der Hunger so weh!
In dieser Not der Leoparde sprach zur Schildkröt'
O weh, wie beißt der Hunger! –:
»Hör, Bruder, laß uns fressen unsrer beiden Muhmen –
O weh, wie beißt der Hunger!
Zu retten uns vom Tod.« Die Schildkröt' war zufrieden –
O weh, wie beißt der Hunger!
»Du, Leopard, beginnst; die deine ist ja größer« –
O weh, wie beißt der Hunger!
Alle: Und alle Tiere des Waldes, o weh! sie weinten zusammen, o weh, o weh,
Wie tut der Hunger so weh!
Des Leoparden Muhme ward gekocht, gegessen –
O weh, wie beißt der Hunger!
»Die deine, Schildkröt', kommt dann übermorgen dran« –
O weh, wie beißt der Hunger!
Doch sie verbarg die ihre oben im Geäste –
O weh, wie beißt der Hunger!
Und kochte Gummi für die abgesprochene Mahlzeit –
O weh, wie beißt der Hunger!
Alle: Und alle Tiere des Waldes, o weh! sie weinten zusammen, o weh, o weh,
Wie tut der Hunger so weh!
Der Leoparde kaut und brummt: »Welch zähe Muhme!« –
O weh, wie beißt der Hunger!
»Ach ja; sie war gar alt und fraß nur harte Wurzeln!« –
O weh, wie beißt der Hunger!
»Was kaust du? Schluckst ja nichts! Und hinter dich, was wirfst du?« –
O weh, wie beißt der Hunger!
»Die harten Knochen sind's der alten, zähen Muhme« –
O weh, wie beißt der Hunger!
Alle: Und alle Tiere des Waldes, o weh! sie weinten zusammen, o weh, o weh,
Wie tut der Hunger so weh!
Der Leopard, voll Gummi, schrie in Leibesschmerzen –
O weh, wie beißt der Hunger!
Befrug den Marder, Arzt und Zauberer der Tiere –
O weh, wie beißt der Hunger!
»Du fraßest Gummi, Alter, keiner Schildkröt' Muhme –
O weh, wie beißt der Hunger!
Der Baum dort schützet sie vor deinem Zahn und Hunger« –
O weh, wie beißt der Hunger!
Alle: Und alle Tiere des Waldes, o weh! sie weinten zusammen, o weh, o weh,
Wie tut der Hunger so weh!
Zur Rache schluckt er's Zaubermittel, Mark der Nessel –
O weh, wie beißt der Hunger!
Bis seine Kehle klein, die Stimme fein geworden –
O weh, wie beißt der Hunger!
Er ruft hinauf: »Mama, zieh mich zu dir am Seile« –
O weh, wie beißt der Hunger!
»Wie bist du schwer! Weshalb?« – »Ich bring' dir viele Beute!« –
[»O weh, wie beißt der Hunger!«]
Alle: Und alle Tiere des Waldes, o weh! sie weinten zusammen, o weh, o weh,
Wie tut der Hunger so weh!
»Nun hab' ich dich! Ich fresse dich, wie's abgesprochen!« –
O weh, wie beißt der Hunger!
Die Schildkrötwaise fand nur mehr die blut'gen Spuren –
O weh, wie beißt der Hunger!
»Ich kriege dich!« sie sinnt, sie spricht: »Mein Bruder, höre –
O weh, wie beißt der Hunger!
Wer stark will sein, erträgt gebunden Feuerqualen« –
O weh, wie beißt der Hunger!
Alle: Und alle Tiere des Waldes, o weh! sie weinten zusammen, o weh, o weh,
Wie tut der Hunger so weh!
»Bin gleich dabei! Fang an und wirf dich in die Flammen!« –
O weh, wie beißt der Hunger!
Die Schildkröt' schrie: »Wie heiß! Zieh schnell mich aus den Gluten!« –
O weh, wie beißt der Hunger!
»So schäm' dich, Schwächling; länger bleib' ich, sollst dich wundern« –
O weh, wie beißt der Hunger!
»Schnell Holz drauf, Holz drauf!« schrie sie, und schmorte ihn zu Tode –
Haha, wie süß ist die Rache!
Alle: :|: Und alle Tiere des Waldes, haha, sie jauchzen zusammen, haha, haha,
Wie süß schmeckt die Rache! :|:
Wir schreiten mühsam voran, wühlen mit unsern Füßen den schwarzen Schlamm auf mit seinen entsetzlichen Ausdünstungen. Immer tiefer sinken wir ein. Schon zwei Stunden marschieren wir in Wasser und Schlamm, Nun reicht das Wasser bis an die Lenden. Die Kleinen in meiner Begleitung müssen den Pfad verlassen; sie klettern über die weit aus dem Morast hervorragenden Wurzeln der Mombaybäume, indes wir andern immer tiefer einsinken und schwer vorwärts kommen. Doch jetzt ist das Wasser nicht mehr stehend, es fließt, wird klarer. Man sieht und fühlt Kieselsteine auf dem Grunde. Wir sind im Waldstrom. Alle strecken den Mund zum Trinken und freuen sich des reinigenden Bades. In umgekehrter Folge beginnt die Moorkur aufs neue, zusammen über vier Stunden Behandlung! Das ist des Guten zu viel, als daß sie nützen könnte.
Der Weg steigt an, wir hören Gongschlag. Auf quillt die Freude in aller Herzen. Das Ziel ist erreicht: Wandangu! Zuerst zur Quelle. Ich lasse reines Wasser über mich gießen. Aber eine solche Beize, mit Elefantenkot durchsetzt, wäscht sich nicht in einem Tage ab.
Wichtiger ist für uns die Nahrung. Wir finden sie, und bald lagern wir um loderndes Feuer. Der Frohsinn ist zurückgekehrt. Meine Buben erzählen mir noch viele Affengeschichten. Endlich unterbrach ich sie: »Jetzt gehen wir zur Ruhe, denn wir alle sind müde vom heutigen Marsch im Sumpfe. Drum auf zum Abendgebet!«
Sie knieten sich auf dem Dorfplatz nieder, und ihre kräftige Stimme rief zu Gott durch die Nacht. Die Wilden aber streckten ihre Köpfe hervor, zu lauschen, was das bedeute.