Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel.
Nebel und Licht über den Gewässern.

Vor mir glänzen die weiten Wasserstraßen des Lohali und Lukalaba und von ihnen geht auch die Kanufahrt aus in den dunkeln Urwald hinein auf den Nebenflüssen Lulu, Lundu, Lula, Moliwa, Makpulu, Loya.

Wäre ich Bruder der Neger, so könnte ich, ohne zu fragen, in einem der zahlreich am Ufer liegenden Kanus losfahren zu monatelanger Reise, könnte auch das Fahrzeug in irgend einem Dorf liegen lassen, daß es heimfahrenden Brüdern nütze. So aber muß ich erst selbst einen Einbaum besitzen, der auch der Allgemeinheit dienen könne.

Amelimutu – zu deutsch »Menschensäufer« – Amelimutu, der Häuptling von Baonde, verfügt über den herrlichsten Mahagoniwald und die geschicktesten Kanufertiger. Auch Macht besitzt er: sie strahlt von seinem Haupt in Form einer Krone aus aufgenähten Aluminiummünzen, die er jährlich als Zeichen für entrichtete Frauensteuer erhält und deren Zahl er in seiner Eitelkeit durch stetigen Frauenankauf zu mehren sucht.

Amelimutu soll mir einen Einbaum schnitzen lassen. Erst will er dafür bezahlt sein. Die als Lohn erhaltenen Schätze verschlingt er und sein Harem. Meine Baumtrommel erinnert nach einiger Zeit Amelimutu daran, daß ich den Einbaum erwarte. Hundert geschmückte Ruderer führen den Häuptling in prunkvoller Fahrt, wie er sie liebt, den Strom herab.

»Ist das mein Fahrzeug, auf dem du kommst, Mafutamingi?« So nenne ich ihn mit seinem Schmeichelnamen und höchsten Ehrentitel, der bedeutet: »du Fettreicher«.

»Herr, der Einbaum steht noch im Walde. Er ist der schönste und härteste Baum, so gerade wie mein Lanzenschaft. Fällen können wir ihn nicht, weil wir den Lohn schon aufgegessen haben und wieder hungern. Können hungernde Leute solche Arbeit leisten?«

Ich muß mich zu einer zweiten Zahlung verstehen, die in Amelimutus und seiner Freunde Mäulern verschwindet. Doch in der Dorfsitzung wird endlich über die Kanuarbeit beraten und abgestimmt. Nicht ohne Streit geht das ab: »Ihr habt die Schätze gegessen, und wir sollen die Arbeit leisten?«

»Diese Angelegenheit ist ganz einfach«, entscheidet Amelimutu. »Die erste Zahlung galt mir, eurem Häuptling; denn ich bin doch etwas! Die zweite galt dem Dorfe, aus dessen Wäldern der Baum stammt. Nun hol' ich noch eine dritte für euch. Der Weiße soll zahlen, wenn er den Einbaum will. Diese Weißen sind reich: sie tragen Kleider am Leibe.«

Eine Abordnung kam.

»Herr«, sprachen sie, »solch ein schönes Fahrzeug, wie du es bekommst, hat noch nie den Lohali durchschnitten. Wie aber sollen unsre schlaffen Arme einen solchen Baum fällen und aus dem tiefen Urwald ans Wasser schaffen? Dafür müssen wir erst viel essen, um kräftig zu werden, und trinken, um bei der Arbeit heulen zu können.« Eine dritte Zahlung!

»Wird's nun bald, Amelimutu?« so ruft wieder meine Sprachtrommel durch die Nacht, »ich fordere den Einbaum, den ich dreimal bezahlt habe!« – Eine neue Luxusfahrt des schlauen Menschensäufers!

»Herr, morgen ziehen wir ihn ans Wasser. Dafür brauche ich dreihundert Leute. Sie alle müssen ziehen und heulen, sonst rutscht der Baum nicht. Wie können sie das bei trockener Kehle? Dein Palmwein ist längst getrunken. Stelle uns neuen! An dir liegt es, ob die Arbeit vorangeht.«

»Mensch, dein Name bedeutet Menschenaussauger; ich glaube, der bist du wirklich! Doch höre: Wenn in einem Monat der Einbaum nicht an meinem Ufer liegt, wandert mein Schreiben zum Richter an die Stanleyfälle, daß er mir Recht schaffe. Kommt das Fahrzeug erst auf des Richters Befehl, mußt du mir die erpreßten Bezahlungen zurückerstatten.«

Das wirkte! Der Baum ward gefällt und paarweise flogen die Äxte an zehn Stellen zugleich durch die Luft; oben wurde er abgeplattet, vorn und hinten spitz zugehauen, dann ausgehöhlt. Mit halbrunden Texeln wurden an der Außenseite Längskanäle zwecks stabiler und flinker Fahrt ausgehackt, auch allerlei Zieraten an Vorder- und Hinterteil und an der Plattform der Sänger angebracht; 20 Meter betrug seine Länge. Dann kam das Fest des Auszugs aus dem Walde, an dem das ganze Dorf sich beteiligte und Wechselverse sang, voll Schimpf auf den wilden Baum, der so harten Widerstand geleistet, Schweiß und Arbeit gekostet und dem Dorfe Hunger gegeben. Sie waren voll Triumph über den Sieg ihrer Kunst, die aus ihm ein so schönes Fahrzeug zu schnitzen vermocht hat, und voll von Segenswünschen für seine Zukunft. »Führ die Brüder schadlos, die Weißen aber ersäufe; dann bist du ein braver Baum!« Unter solchem Treiben schoß der lange Einbaum über das Baondeufer 80 Meter hinab in des Flusses Tiefe, sauste durch das Wasser und stieß an der Insel jenseits aus der Flut in den Morast hinein. Ihn da herauszuziehen war schwere Arbeit. Vier Wochen lag er dann im Talweg, damit der Fluß die Saftkanäle ausspülte, wodurch das Holz gepreßt und das Eindringen von Termiten und Bohrwürmern erschwert wird. Darauf gaben ihm die feinen Instrumente der Schnitzer die letzte Frisur, und in prunkvoller Triumphfahrt, vollgepfropft von jauchzenden Tänzern und Sängern und umringt von einer ganzen Flottille, ward er mir zugeführt.

»Wozu so viele Leute?« frug ich.

»Sie wollen alle deine Güter essen!« – Wie der Häuptling, so sein Volk! –

Eines Morgens bei Sonnenaufgang stehe ich fahrtbereit am Ufer. Mein Bursche hat bereits alles für die zehnwöchige Reise im Einbaum aufgeschichtet und [dennoch sah ich noch] einmal nach, ob er nichts vergessen habe; denn alles, was der Europäer nötig hat, muß mitgenommen werden: Wäsche, Bett, Küche, Altar, Bücher usw. Die Ruderer, die am Vorabend bei Iswabole bestellt und vorbezahlt wurden, hatten sich zwar für den Sonnenaufgang versprochen. Es wird jedoch 7, 8, 9 Uhr, und keiner erscheint. Ich sende ihnen meinen Burschen.

»Warum so eilen?« sagen sie. »Mußten wir nicht erst schlafen? Und jetzt suchen wir Nahrung für die Reise, dann kommen wir. Dein Herr möge indessen mit Ruhe in der Seele auf uns warten.«

Es wurde Abend. Vier erschienen nun und warfen ihre Ruder in mein Haus. »Siehst du, wir kommen! Morgen früh fahren wir. Du wirst doch nicht nachts fahren wollen? Es schwimmen viele Baumstämme im Strom.« Wären meine Buben nicht alle Landratten, würde ich mit ihnen losfahren; so aber wäre es lebensgefährlich.

Am andern Tage ward wieder eingepackt und gewartet. Auf meine Botschaft an Iswabole kam die Antwort: »Wozu die Eile? Sie ist unsinnig, ist unnützer Kraftverbrauch, macht das Leben ungemütlich und gibt Hunger; Hunger aber zwingt wieder zu Arbeit.« – Bei solcher Mentalität ist es begreiflich, daß Nervenleiden, Tobsucht, Irrsinn, Selbstmord bei unsern Negern nicht zu finden sind.

Um 2 Uhr nachmittags, als die Sonne am heißesten brannte, kamen sie im Gänsemarsch, achtzehn Mann, ganz bedeckt von Proviant und angeführt von Iswabole, der mich grüßte mit dem Wort: »Mein Geschenk, wo ist es?«

Ich stürzte mich in den Einbaum, um noch etwas von diesem Tage zu retten. Wir waren kaum in Flußmitte, da wandte sich der Kahn schon zum Ufer zurück und alles sprang heulend ans Land, außer einem kleinen, dicken Kerl. Sie schimpften – ich aber auch.

»Herr, dieser Mann muß heraus, sonst wird's eine Todesfahrt. Er ist ein Hexenmeister, im Besitz des Likundu. Ruft er das Flußpferd, so steigt es aus der Tiefe, und sein Rücken wirft den Einbaum um. Ruft er das Krokodil: es frißt uns. Ihm gehorcht der Geist des Todes. – Heraus mit dem Kerl!« schrien sie, packten ihn, zogen, ihn durchs Wasser ans Ufer, schleppten ihn davon und verklagten ihn beim Häuptling. Indes trocknete die Sonne mein Gebein aus. Nach einer Stunde gefiel es ihnen zurückzukehren, mit Zaubermitteln behangen für eine glückliche Fahrt.

»Warum so spät?« – »Wir mußten noch Medizinen gegen Geister holen; dein Einbaum ist neu, böse Geister – wer weiß es – haften vielleicht noch an ihm und können uns verderben.«

Jetzt aber flog das Fahrzeug unter kadenzreichem Gejodel Moyimbas Residenz entlang; es kam von den Frauen und Mädchen, die auf der Uferhöhe Beifall schrien und Beifall klatschten. Ich bewunderte die Muskulatur der weit ausgreifenden Arme der Ruderer und freute mich des tadellosen Einbaums. Doch nicht lange dauerte meine Freude! Am Dorfende begann das bewaldete Ufer, der schweigende Wald, der keine Augen hat und kein Lob spendet. Bald stand mein Fahrzeug still mitten im Strome; schlaff hingen Arme und Ruder, und statt der Gesänge hörte ich Murren und Zanken der Neger in ihrer Geheimsprache unter Anwendung eines Decknamens für mich. Diese Decknamen wechseln die Neger, sobald dieselben entdeckt sind. Es folgte ein Sturz ins Wasser, ein zweiter, dritter, vierter … Wütend stand ich auf im Kahn und schrie wie nie im Leben auf sie ein. »Brüder, der nimmt das Leben ernst!« meinte jetzt einer der am Platze Verbliebenen. Das Rudern begann aufs neue; jene sechs jedoch schwammen mit den Rudern zwischen den Zähnen dem Ufer zu und riefen von dort durch die hohle Hand: »Setzt ihn im nächsten Dorfe ab, Brüder, und kommt zurück! Wir fangen euch indessen Fische.«

Damit mir keiner mehr entfliehe, versprach ich ihnen im damaligen Europäerunverstand mehr Lohn, erhielt aber die Antwort: »Wir haben deinen Lohn nicht nötig. Die Arbeit gefällt uns nicht; sie ist schlecht, weil sie uns der Freiheit beraubt.«

Doch brachten sie mich bis nach Bulo. Noch war aber mein Fahrzeug nicht festgelegt am Ufer und schon waren die Ruderer in die nächststehenden Kähne gesprungen und flohen heimwärts.

Im Dorfe regte sich keine Seele. Alle Bewohner waren nach empfangener Gongmeldung über eines Europäers Nahen in den Wald und auf die Inseln geflohen. Sämtliche Hütten standen mir mithin zur Verfügung, und ich wählte jene, an der die kräftigsten Zaubermittel zur Verderbnis von Eindringlingen hingen.

Abscheuliche Arbeit harrte meiner und meines Burschen: aus dem feuchten Urwald kamen Millionen von Tausendfüßlern ins trockene Dorf, um Nachtquartier zu suchen. Mit Palmbesen kehrten wir sie von Dach und Wänden herab und hinaus. Sie kamen zurück und immer neue Tausende drängten nach. Ein Kampf um den Besitz der Hütte. Zuletzt legte ich drei große Feuer an, in die ich korbweise die ekelhaften Tiere hineinwarf. Erst die volle Dunkelheit machte ihrem Treiben ein Ende.

Die Nachtruhe raubten summende Moskitoschwärme. Die kleinsten dieser blutdürstigen Wesen waren die unverschämtesten; sie bohrten sich den Weg selbst durch die Maschen des Netzes. Wie waren mir am Morgen Hände und Gesicht hochrot geschwollen! Schnell eine Dosis Chinin, sonst ist ein schweres Fieber unausbleiblich, das dann periodisch alle 24 oder 48 Stunden mit Schüttelfrost wiederkehrt; denn die eingeimpften Malariaplasmodien, diese fiebererregenden einzelligen Schmarotzer, vermehren sich durch Teilung in Zeit von vier Tagen bis zu hundert Millionen in einem Kubikzentimeter Blut, zerstören die Körperkraft und hemmen die Geistestätigkeit. Vernachlässigung in diesem Fieber zieht leicht Schwarzwasser nach sich, blutgefärbten Harn infolge Zerfalls der roten Blutkörperchen, die von der Leber nicht mehr in Gallenstoff verwandelt werden: die häufigste Todesursache der Europäer.

In der folgenden Frühe schritt ein Mann auf mich zu, die Lanze in der Hand. »Häuptling und Dorf haben mich gesandt, dir zu sagen: Geh fort von hier; wir wollen dich nicht. Niemand kehrt in sein Haus zurück, bevor du den Ort verlassen hast. Hättest du Soldaten und Gewehre, Säbel und Schulterklappen, dann müßten wir dich fürchten: du hättest den Krieg in der Hand. Dir fehlen diese Dinge, darum bist du uns pamba« (d. h. ein Mensch, auf den wir pfeifen). Er trat ab.

Ich durchschritt das Dorf, ob ich denn niemand zu Gesicht bekäme. Nur ein altes Mütterchen saß hinter ihrer Hütte neben einem kranken Kind beim Lehmstampfen. Sie zitterte bei meinem Nahen; ich aber lobte ihre Arbeit und gab dem von einem Ausschlag bedeckten Mädchen Heilmittel und Salz. Es hat mich nicht vergessen und ist nach Jahren die erste Christin von Bulo geworden. »Weißt du noch, Pater, wie du mir Arznei gegeben, als ich sterben wollte?« frug sie oft.

Am nächsten Morgen stieß ich mit meinem Diener allein mit Hilfe zweier langen Stangen vom Lande ab. Bald erreichten wir den Grund nicht mehr, und Ruder hatten wir keine. Langsam trieb uns der Fluß voran. Aus dem überhängenden Gebüsch der Inselränder kamen verstohlen alsbald viele Kanus hervor, und höhnend riefen die Leute uns zu: »Weißer, auf dich pfeifen wir!« – Wartet nur! Geduld und Arbeit führt zum Besitz der Seelen, auch der euern!

Nachmittags waren wir dem Dorfe Yasaka gegenüber. Vom steilen Ufer herab machte die Jugend ihre Sprünge in die Flut, sei's zur Wette, wer am längsten tauchen könne, sei's um aus dem tiefen Stromgrund Muscheln für den Abendschmaus zu heben. Ich ahnte damals nicht, wie oft ich später hierher zurückkehren würde, um Muschelschalen kahnweise heimzuführen und sie in vierundzwanzigstündiger Glut zu Kalk zu brennen.

Die Buben von Yasaka sahen oft Europäer, da die Schiffe dieser gewöhnlich in der Nähe Holz laden. Sie umschwammen bald meinen Einbaum und schoben ihn ans Ufer. »Wo sind unsre Geschenke, weißer Herr?« – Gewohnheitsrede! Zum Warten hatten sie keine Geduld: schon waren sie, husch, husch, in elegantestem Sprunge wieder in der Tiefe verschwunden, tauchten auf, kamen ans Land und sprangen wieder hinein.

Ich richtete mir indessen unter einem kleinen Sonnendach meine Wohnung ein, oder richtiger, ich überließ diese Arbeit meinem Burschen und sah selber der Ölgewinnung zu. Frauen lösen die tausend pflaumengroßen, schwarzbraunen Ölfrüchte von den fast zentnerschweren Fruchtkolben oder Palmentrauben, welche die Axt ihrer Männer an der Elaeispalme hoch oben unterhalb der Krone abgeschlagen hat. In engen, tiefen, mit Brettern ausgekleideten Erdlöchern stoßen vier Männer mit Pfählen das faserige Fleisch der Früchte von den Steinen und bringen dann die Masse auf ein schiefes Rindenlager, über das das Öl in Töpfe abläuft; durch Auswinden des Fruchtfleisches zwischen Baststreifen wird die Arbeit beschleunigt, und ein leichtes Feuer unter dem Rindenlager begünstigt das Ablaufen des Öles. Manche sparen das Feuer: sie bringen die Ölfrüchte in die Kanus, zerstampfen sie mit den Füßen, indem sie Wasser zugießen, stampfen, bis das Öl obenauf schwimmt, und schöpfen es mit den hohlen Händen in die Töpfe. Dieses Öl, von gelber Farbe, dient als Küchenfett und für die Ampel. Die Steine der Früchte werden aufgeklopft, und ihr haselnußgroßer, nach Veilchen riechender Kern gibt den Eingeborenen das Salböl für den Körper; in erhitzten Töpfen wird es aus den Kernen ausgezogen. Gierig kauft der weiße Handelsmann diese Kerne auf und sendet sie nach Europa, wo Pflanzenbutter daraus gewonnen wird. Aus beiden Ölarten wird auch Seife fabriziert. Der Neger formt die seine unter Beimischung der Asche von Palmblüten und Bananenschalen zu einer schwarzen braunschäumenden Kugel; der Europäer fabriziert aus der einen Art Waschseife (Sunlightseife), aus der andern Toilettseife.

Nun stehen die Dorfbuben um meinen Burschen herum, der ihnen vorerst seinen Herrn rühmt; denn je höher der Herr, desto höher der Diener. Dann sagt er ihnen, daß ich ihretwegen ins Dorf gekommen sei. Ich gesellte mich hinzu, ergänzte seine Rede und begann zu unterrichten bis tief in die Nacht. In aller Frühe umtanzten sie andern Tags händeklatschend mein luftiges Nachtquartier.

Zehn Tage blieb ich bei der frohen Jugendschar. Auch die vielen Inseln des dort 12 Kilometer breiten Kongo mußte ich beschauen und umfahren; die Knaben waren stolz, den großen Einbaum zu bezwingen. Ich versprach mir bei ihnen eine herrliche Zukunft für das Christentum und sandte deshalb ein Kanu heim, einen meiner Schüler zu holen, der diese lernbegierige Jugend unterrichten würde. Freudig nahmen sie Gottes Wort auf; doch, wer hätte es geahnt, das geistige Samenkorn verdorrte schnell, als sie sich getäuscht sahen in ihrem Wahne, von den Teilnehmern am Unterricht würde der Staat keine Steuern erheben. Und während damals mir feindlich gesinnte Dörfer jetzt christlich sind, bleiben die Yasaka heidnische Schmerzenskinder. »Mach uns von der Steuer frei; du bist ja des Staates Bruder! Zwei Herren dienen, das geht nicht!«

In damaligem Erstlingseifer ruderten mich die Knaben, mit ihren entzückend reinen Stimmen jubilierend, den Strom hinab, bald über eine unabsehbare Wasserfläche, bald durch enge Inselkanäle. Sie waren überall zu Hause.

Da hatte ich Muße, den stufenweise aufgebauten Urwald von nah und fern zu betrachten, dieses bunte Durcheinander von fast tausend Baumarten, während der Wald in Europa nur fünfzehn, der in Deutschland nur sechserlei Baumbestände kennt. Wo nicht die ewig grünen, oft rot und weiß von Blumen durchsetzten Schlingpflanzenwände, vom Uferrand senkrecht bis in die Kronen der Bäume reichend, jeden Einblick verhindern, zeigt der Wald zuunterst das undurchdringlichste Gewirr von Unterholz, Lianen, Epiphyten, Wasser- und Rottangpalmen aller Arten, die oft nichts anderes sind als eine fingerdicke, über 500 Meter lange Liane mit Palmblättern, über und über mit Stacheln und Dornen besetzt; andere Sumpfpalmenblätter laufen in lange Schnüre aus, an denen ankerförmige Widerhaken den Nahenden zu greifen suchen. Die zweite Schicht des Waldes ist aus den Fürsten der Pflanzenwelt gebildet, den Ölpalmen verschiedenster Gattung: auf Inseln und in Sümpfen überwiegt die Raphia, auf dem Festland die Elaeis, die Ernährerin der Neger und deshalb von ihnen wie eine Mutter geehrt. Ihr Gesetz bestraft mit Tod den, der dieser Mutter das Leben raubt. Selbst bei Anlage von Dörfern und Hütten ist das Umhauen der Palmen verboten; eher wird eine Hütte um den Baumstamm herum angelegt und wächst so die Palme aus dem Haus heraus, wie es bei einem der Fall war, das sie mir in Jambumba gebaut haben. Europäer, die frevelnd die Axt an den Palmbaum legen aus Gelüsten nach dem Palmherz, das unsrem Weißkraut oder Blumenkohl gleichkommt, schützen sich gegen den Zorn des Volkes durch Pflanzen neuer Bäume. –

Unter wohl über hundert Blitzen in der Minute ging ein Wolkenbruch mitten im Strome auf uns nieder. Auf den empörten Wellen wogte unser Fahrzeug herüber, hinüber, bei jeder Neigung Wasser in sich aufnehmend. Da hingen sich einige der Burschen auswärts an den Kahnrand, und schwimmend brachen ihre Körper die Macht der Wogen; andere schöpften mit meinen Kochtöpfen unaufhörlich das Wasser aus dem Einbaum. Landung war nicht möglich, denn tiefer Sumpf bedeckte den Waldboden.

Um 5 Uhr abends hebt sich das Ufergelände; auf finstere Höhe glänzen die Feuer der Dorfgruppe Yamonongeri.

Ich ahnte nicht, daß erst vor wenigen Monaten ein blutiger Kampf zwischen diesen Leuten und den Staatlichen stattgefunden hatte, sonst wäre mir die Aufnahme, die mir ihr Häuptling Bengera bereitete, erklärlich gewesen. Auf einer Matte lag er vor seiner Hütte im Kreise seiner Freunde und würdigte mich keines Wortes, keines Blickes. Die Sache ward mir unheimlich inmitten der aufgerichteten Lanzen und feindlichen Blicke. Ich rühmte Bengeras Ortschaft und seinen mächtigen Körper und erklärte ihm, daß ich in seinem Dorfe bleibe, um die Kinder zu belehren, bis sie den Verstand der Europäer hätten. Da richtete sich seine hohe Gestalt auf und schritt unwillig davon in den Weiberhof. Auch ich wandte mich und begann das Riesendorf abzustreifen. Nach dreiviertelstündigem Marsche stieß ich auf die Hütte eines ehemaligen Staatsarbeiters, der militärisch grüßte. Ich bat um Überlassung seines Hauses.

In der folgenden Frühe schickte ich diesen Mann zum Häuptling mit der Botschaft, ich hätte von Staats wegen das Recht, überall zu unterrichten und selbst ein Haus zu bauen, wenn ich ihn dafür entschädige. Er möge Geschenke annehmen und mir einen Platz bestimmen. Der Mann erhielt die Antwort: »Das ist seine Sache; nachher wird er sehen!«

Da niemand beim Hausbauen helfen wollte, zog ich selber täglich in den Wald, eine Menge Stämme zu fällen und zu behauen. Ich suchte im Dorfe nach einem herrenlosen Platz, und im Kahn führte ich die Stämme hin. Auf meines Glöckleins Ruf, mit dem ich täglich zweimal die Jugend zu sammeln suchte, kam niemand. Der Häuptlingsgong verkündete in jeder Nacht: »Verschwinden muß jeder, der zu dem Weißen geht. Töten werde ich, wer für ihn arbeitet. Den Weißen können wir zwar nicht morden, sonst haben wir wieder Krieg. Aber der Hunger muß ihn vertreiben.«

Das Gerüst meines Hauses erhob sich trotz allem; nur gingen unsre Vorräte allmählich zur Neige und der Eintausch von neuen Lebensmitteln gelang nicht. Ich wandte mich deshalb an den Eigentümer der Hütte. »Herr, ich täte es gerne; aber der Häuptling hat mich schon gezüchtigt, weil ich dir mein Haus abgetreten habe. Durch die Lüge, du hättest es selbst besetzt, habe ich mein Leben gerettet.«

»Hier sterben wir vor Hunger. Dieser Boden ist bös. Wir wollen gehen!« seufzte Lufungula.

»Nein, dieses Dorf muß ich haben. Deine Aufgabe ist es, Speise zu finden. Das Verbot ist ja nicht gegen dich.« Er versuchte, ward ertappt und vom Häuptling verprügelt.

Infolge Nahrungsmangels schwanden die Kräfte. Schwere Fieber hielten mich zwischen Tod und Leben. Vor meiner Hütte tanzten die Neger. Von Zeit zu Zeit streckte einer den Kopf durch das Türloch: »Ist er noch nicht tot?«

Da kam ein Dampfboot durch die Inselkanäle gefahren, wo sie sonst nie sich sehen lassen. Mein Knabe hing ein weißes Tuch an eine Stange: das Zeichen für den Kapitän, daß ein Weißer um Landung bitte. Wir wurden aufgenommen und die Schiffsleute betteten mich aufs kabinenlose Deck. Vor Isangi erwartete man meinen Tod und zimmerte nachts den Sarg, damit meine Beerdigung die Abfahrt nicht verzögerte. Es kam anders: wir erreichten den rettenden Arzt. Reich ausgerüstet fuhr ich nach der Kur über Isangi, wo man mir den groben Sarg zeigte, zurück nach Yamonongeri, – denn die Leute mußte ich haben!

»Nach meinem Untergang, Bengera, hast du gestrebt – da bin ich wieder! Mein halbfertiges Haus hast du umgerissen und verbrannt – nun wird der Kommandant mit vielen Soldaten erscheinen.«

Es sollte nämlich eine Verstärkung über Yamonongeri ins Innere abgehen. Ich schlachtete die Sache zu meinen Gunsten aus. Da trieb der Häuptling seine Leute an; meine Schule ward fertiggestellt. Der Kommandant erschien. Bengera trat heran: ich reichte ihm die Hand und lobte ihn und seine Leute. Er hieß mich seinen »Bruder« und versprach den Kindern Freiheit, meinen Unterricht zu besuchen. Das genügte mir. Bald hatte ich dreihundert Knaben um mich. Ich ließ für sie einen Lehrer kommen.

Freund konnte mir Bengera nicht sein: die christliche Religion griff zu sehr, besonders bei Eheangelegenheiten und Sonntagsfeier, in seine bisherige Autorität ein. Wie viele Quälerei, Peitschenstrafen, Gefängnis, Zwangsarbeit, lügnerische Anklagen mußten unsre Katechumenen und Neophyten jahrelang erdulden! Wie viele fruchtlose Aufklärung unsrerseits an diese harten Menschen! Als aber der Häuptling sich dem Siegeslauf der christlichen Religion gegenüber machtlos sah, nannte er sich meinen alten Freund.

Die Yamonongeri brachten mich auf meinen Wunsch flußabwärts, erst nach Basomela: den dortigen Leuten war ich pamba, und mußte weiterziehen. Wie schade! Hätten sie sich doch noch den Weg zu Gott zeigen lassen! Bald hatte die Schlafkrankheit die 480 Familien vollständig hinweggefegt. Wo ihr Dorf stand, ist heute ein Grasplatz, mit wilden Tomaten überwuchert, Stürme haben die Blätterwände der Hütten umgeweht; die wilden Tiere haben aus den nur mit einem Brette zugedeckten Grablöchern die Leichen herausgeholt und gefressen. Leider hat die Schlafkrankheit auch andere Uferdörfer am Lukalaba oft bis auf ein Drittel der Bewohner entvölkert.

Diese afrikanische Schlafkrankheit – Trypanosomiasis – wird erzeugt durch das Trypanosoma gambiense, ein Geiseltierchen, das auf einem Quadratmillimeter des tausendmal vergrößernden Mikroskops bis achtzigmal gefunden wird. Dieses Geiseltierchen wird dem Menschen eingeimpft durch eine Stechfliege, die wissenschaftlich Glossina palpalis heißt, beim Volke Tsetsefliege nach ihrem Negernamen nsinsi. In Blut, Gehirn, Rückenmarkflüssigkeit lebt und vermehrt sich das Trypanosoma und bedingt so ein langdauerndes, tödlich endendes Siechtum: anfangs erscheinen hohe Fieber, dann Abgeschlagenheit, Kopfschmerz, Schwäche der Muskulatur und Krämpfe; dann magert der Kranke stark ab und seine Geistesfunktionen schwinden rasch und dauernd. Auf allen vieren kriecht er in die Sonne, den blutlosen Körper zu wärmen, und windet sich dort in Schmerzen. Die Erschöpfung nimmt zu; er verfällt in einen schlafartigen Zustand, aus dem er nur schwer aufzurütteln ist. Andere werden von Irrsinn und Tobsucht befallen und suchen überall Feuer anzulegen. Die Schmerzen haben sie stumpfsinnig gemacht; alles ist ihnen fremd geworden; sie vermögen einem Gespräch nicht zu folgen, kennen selbst ihre eigenen Angehörigen nicht mehr. Die Nahrung muß aufgezwungen werden, sonst würden sie verhungern, weil das Gedächtnis versagt. So sterben die meisten. Manche haben ein furchtbares Ende; es treibt sie hin und her, sie reiben den Kopf am Boden, als wollten sie Löcher graben; selbst Blutschweiß wurde gesehen. Der Arzt untersucht das Blut der durch geschwollene Drüsen Verdächtigen und behandelt die als krank Befundenen – erfolgreich nur im ersten Stadium – mit dem Kochschen Atoxyl, das vier Monate lang alle zehn Tage in einer Dosis von ½ Gramm unter die Haut eingespritzt wird Jetzt scheint ein wirksames Heilmittel gefunden zu sein: »Bayer 205« oder » Germany« genannt, das von deutschen Ärzten zur Zeit in englischen Kolonien erprobt wird.. Koch empfahl die Vernichtung der Krokodile, da ihren Lippen die Glossina ursprünglich das Trypanosoma entnehme, das sich dann in ihrem Körper entwickelt, bis sie am siebzehnten Tage gefährlich ist und am achtzehnten selber daran stirbt.

Unzählig liegen zwischen 11 und 5 Uhr die bis 8 Meter langen Krokodile im Sonnenbrand. Ihr plötzliches Untertauchen im Wasser sollen die in ihrem Leibe angesammelten Steine ermöglichen, von denen sie jedes Jahr einen schlucken, wie die Eingeborenen sagen, die nach der Zahl der Steine das Alter der Krokodile angeben. Ein Handelsmann fand in dem von ihm erlegten Krokodil siebenundzwanzig Fußspangen, zusammen 5 Kilogramm schwer; wie viele Neger mußte also das Tier verschluckt haben. –

Von Basomela ging's singend flußabwärts bis an das senkrechte Ufer von Bombongo, über dem ein schwarzer Haufen wütender Menschen mir die Landung wehrte. Vermittlungsversuche beantworteten sie mit ohrenbetäubenden Drohungen und einem Regen von glühenden Holzstücken. Mein Einbaum beschrieb einen weiten Bogen, und zum zweiten Mal suchten wir Verständigung und Landung; da wurden sie noch rasender und teuflisch wild. Ihre Würfe hatten mehrere von meinen Leuten verletzt. Lanzenträger lösten bereits die Kanus. Wir zogen ab.

Vier Monate später erklomm ich das Ufer, als fast alle Bewohner auf Fischfang waren. Sie ließen mich bei ihrer Rückkehr unbehelligt. Darum setzte ich bei ihnen einen soliden Familienvater als Katechist ein. Als erster der Meinen mußte er, Mafirma Philipp, für die Ausbreitung der Religion das Leben lassen; vergifteter Palmsaft nahm es ihm. Seine heidnischen Brüder hielten sich zur Blutrache verpflichtet, überfielen meuchlings drei Fischerinnen, schlachteten sie und bereiteten davon ein Sühneopfer, das sie fraßen. Ein anderer opferfreudiger Katechist bot sich an. Unter diesem klugen Lehrer hat in zehn Jahren ganz Bombongo das Christentum angenommen, und als der Missionsbischof 1917 durchzog, kniete vor ihm der nun monogame Häuptling in blendend weißer europäischer Kleidung, Kreuz und Rosenkranz am Hals, nieder und erbat für sich und die ihn umknienden Untertanen den Segen.

An jenem ersten Abend aber mußten wir fliehen; wir fuhren den Einbaum unter die weit über das Wasser hin ragenden Büsche einer Insel und richteten eine Schlafstätte her, indem wir Stöcke auf den nassen Kahngrund legten. Mir gelang die Ruhe schlecht; die Neger hingegen schnarchten, daß man meinte, sie wären am Holzsägen. Dienstbarkeit weckte zuerst meinen Burschen. Er kochte mir auf der Lehmschicht im Hinterteil des Einbaums einen köstlichen Morgenkaffee.

Die wärmende Sonne lockte auf den Strom hinaus. Schlimmer als die biblischen »Donnersöhne« schimpften meine Ruderer zum Bombongodorfe hinauf; dann aber strich der Einbaum unterm Morgengesang übers rauschende Wasser, dem fernen linken Ufer zu. Die Stimmung der Bombongo blieb kein Rätsel: die ihnen feindlichen Mombessa hatten ihr Inseldorf überfallen und vierzig ihrer Brüder an Bäumen aufgehängt, ihr Fleisch von den Knochen abgeschnitten und am Ufer bei Tanz und Palmwein einen Schmaus gehalten. Dazu sangen sie immer wieder:

Wir haben Menschen geschlachtet – Bombongo holt jetzt die Knochen Wir haben ihr Gehirn gefressen – Bombongo holt jetzt die Knochen Wir haben ihr Herz gebraten – Bombongo holt jetzt die Knochen usw.

Als die saubern Gesellen uns erblickten, riefen sie: »Bringt uns den Weißen her! Sein Fleisch ist gesalzen!« Sie wußten das, denn kurz vorher hatten sie den englischen Leutnant Bell mit seinen Soldaten verzehrt, nachdem sie ihn die Nacht hindurch umtanzt und ihm angekündigt hatten: »Weißer, morgen fressen wir dich.«

Diese Mombessa erkennt man an der eigentümlichen Schädelform: dem neugeborenen Kinde wird ein zuckerhutähnliches Körbchen aufgesetzt und am Kopfe festgebunden, bis der Schädel in das Körbchen hineingewachsen ist und seine Form angenommen hat.

Der verzehrenden Liebe der Mombessa entzog ich mich, indem ich den Einbaum über den 18 Kilometer breiten Fluß ans rechte Ufer zurückkommandierte. Dort sahen wir von Inseln und Ufern Rauch aufsteigen, als näherten wir uns einer Industriestadt. Das war Malema, dessen Frauen das ganze Jahr die salzigen Ufergräser verbrennen. Die Asche davon wird in aufgehängten Körben mit Wasser übergossen; dieses fließt in Töpfe ab, verdunstet und hinterläßt ein graues Potassium: ihr Salzersatz.

So viele schwarze Menschen hatte ich noch nicht beisammen gesehen, wie sie mich am Ufer erwarteten. Zahlreich lösten sich die Kanus zu meiner Einholung. Eine unabsehbare singende Jünglingsschar nahm mich in die Mitte und händeklatschend durchzogen sie mit mir das Dorf. »Das Haus, das du dir wählst, ist dein. Bei uns mußt du bleiben!«

Woher solche mir ungewohnte Gesinnung? In Makanja, acht Tagereisen flußabwärts gelegen, hatten einige aus ihnen Missionare kennen gelernt und von ihren Wunden Heilung gefunden. Die Sehnsucht, auch im eigenen Dorfe einen solchen Arzt zu haben, war erfüllt. Heute ist Malema katholisch. Da es das äußerste Dorf meiner Mission und des Vikariates war, gab ich seiner Kirche den Titel »Unsre Liebe Frau von der Grenzwarte«. Heilung von körperlichen Leiden durch barmherzige Hände hatte die Aufmerksamkeit auf die Religion der Liebe gelenkt. Christlich denkende Ärzte sind weit bessere Bahnbrecher für die Zivilisation als Gewehrträger oder erpresserische Aufkäufer.

»Wer lehrt dich barmherzig gegen uns sein? Woher hat deine Medizin ihre Kraft?«

Der Arzt wird antworten: »Gott ist der Urquell jeder Kraft. Barmherzigkeit hat er befohlen, das Beispiel der Liebe uns gegeben; durch körperliche Krankheitsheilungen hat er gezeigt, daß er Seelenarzt ist. Ihr sollt ihn kennen lernen und von ihm eure Seelen heilen lassen. Die Leiden eures Körpers sind vielfach Folgen von Seelenkrankheiten, von der Sünde; gegen die gibt die Religion euch Kraft.«

Ach, hätten wir Missionsärzte! Manch heidnischer Wahn würde fallen, der Zauberer wäre geschlagen. Bei uns wäre der Arzt auch materiell auf seine Rechnung gekommen: Elfenbein, Ziegen, Hunde, Hühner, die guten Kurswert haben, bieten die Kranken an. –

Ein andermal drang ich von Yamonongeri aus ins Innere, gebückt unterm Dickicht und im Morast watend. Ich ersann einen Sumpfschlitten, auf dem die Schwarzen, von Wurzel zu Wurzel kletternd, mich nachzogen. Diese Reisen lohnten sich anfänglich nicht: in allen Dörfern stieß ich auf Staatssoldaten, die meine Freiheit hemmten und mir den Verkehr mit den Eingeborenen verboten – der Gummikrieg! Sobald mich aber die Leute kannten, kamen ihre Sendlinge zu mir: »Auch uns mußt du einen Lehrer geben für die Dinge Gottes. Wir bleiben Tag und Nacht vor deinem Hause, sterben lieber hier als heimkehren ohne Lehrer.« Meine Katechisten hatten wenig Neigung für die Waldbewohner; doch als diese in ihren inständigen Bitten wochenlang ausharrten, ließen etliche sich herbei und wurden nun triumphierend durch die Wälder getragen. Bald kamen die Kinder der Wildnis fünf und sechs Tage weit her, christliche Feste zu schauen. Die Basoko sahen diese Waldbewohner ungern: es gab selbst blutige Kämpfe von mehreren hundert, ja tausend gegeneinander; Stöcke und Steine flogen, und wir Missionare mußten mit Lebensgefahr beruhigend zwischen die Schlachtreihen springen, bis endlich das christliche Liebesgesetz die Herzen erfaßte und seit alters feindliche Stämme verband. –

Ich fuhr auch bis an die Stromschnellen den Lohali hinauf. Dort, wo Stanleys Lager gestanden, als er bis Juni 1887 auf Nachzügler und Munition wartete, um endlich Emin Pascha Hilfe bringen zu können und seine Elfenbeinschätze für England zu retten, dort, wo später Chaltin mit Hilfe der Mabenjaneger die Araber in furchtbarem Blutbad vernichtete, steht heute mein Kirchlein St. Augustin.

Damals ließ der Staat im Walde ringsum Gummilianen pflanzen zum Ersatz der durch Raubbau vernichteten. Als sich aber herausstellte, nur 2000 Jahre alte Lianen seien ergiebig, ward der Versuch eingestellt.

Während ich mit dem staatlichen Pflanzer plaudere, meldet man ihm das Verschwinden zweier Arbeiterinnen. Auf einem Holzrost fand man sie zerschnitten über räucherndem Feuer, das zwei Wangelimamänner schürten. Sie wurden vorgeführt. »Weißer, warum bindest du uns? Nach unsrer Väter Gesetz haben wir gehandelt! Mobalileute hatten einen unsrer Brüder getötet. Zwei Frauen aus ihrem Stamme müssen dafür verbluten zur Sühne und Rache, und ihr Fleisch muß gegessen werden, denn es ist Opferfleisch.«

Des andern Tages erschienen am jenseitigen Lohaliufer viele heulende Krieger und verkündeten dem Weißen seinen und seiner Leute Untergang. Er sandte seine fünfundzwanzig Soldaten hinüber. Vor ihnen zogen sich die Wilden in scheinbarer Flucht zurück. Die Soldaten folgten auf den schmalen Waldpfaden – nicht lange, denn ihre Füße traten überall in spitzige Stäbchen, deren Gift schnell zu wirken begann. Gegengift rettete die meisten; zwei aber starben. Sechs Körbe voll dieser vergifteten, 25 Zentimeter langen Stäbe zog man aus den Pfaden, bis schwirrende Pfeile das Vordringen zur Waldfestung der Neger unmöglich machten.

Ich mußte meine Tätigkeit in der Gegend wieder auf die Staatsarbeiter beschränken. Sie wetteiferten nicht nur im Besuch des Unterrichts – schon 4 Uhr morgens waren sie da –, sondern sie bauten auch das erwähnte Kirchlein mit weithin sichtbarem Turme. Als aber der Wald mit Gummilianen bepflanzt war, zogen sie weiter und heimwärts ohne Christentum. Doch wird vielleicht einer oder der andere dem Missionar Mittlerdienste leisten, wie mir jener Mann in Yamonongeri. –

Die staatliche Kaffee- und Kakaopflanzung Mogandjo war damals gut gepflegt; heute ist Wildnis aus ihr geworden, denn das Kilo Kaffee brachte 11 Franken Defizit. Einen schönen Anblick und feinen Geruch bietet der zugleich mit weißen oder rötlichen Blüten und mit schwarzroten Früchten übersäte Kaffeebaum.

Wie soll der Kaffee entdeckt worden sein? Eines Arabers Ziegen kamen allabendlich lustig springend und tanzend aus dem Walde, und jeden Morgen rannten sie dorthin zurück. Was mag es nur da zu fressen geben? dachte der Herr der Ziegen und folgte ihnen. Sie standen auf den Hinterbeinen an wilden Kaffeebäumen und knusperten ihre Früchte. Er nahm davon mit, probierte und studierte, ob diese anregende Frucht nicht auch seine üble Laune bannen würde. Am Abend tanzte er mit den Geißen um die Wette.

Das 4 Meter hohe Kakaobäumchen trägt seine zierlichen Büschelblüten unmittelbar am Stamme und an den Hauptästen; seine gelben Fruchtkapseln, 30 Zentimeter lang, enthalten sechs bis acht Bohnenreihen, jede Bohne 2-3 Zentimeter lang. Ihre chemische Entfettung kann im Lande nicht geschehen. Sonst kämen sie auch nie bis nach Europa! –

Wie absonderlich sahen die Wangelimahäuser aus! Von einem Dorfende zum andern 2 Meter breite und 2 Meter tiefe, 8 bis 10 Meter hohe Pyramiden! Das Pyramidengerüst wird mit Bambuslatten überbunden und die geschlitzten Blattstiele daran eingehängt. Querlatten darüber schützen die Blätter gegen Winde. Der nächtliche Tau und der Regen drücken die Blätter nieder, die Sonne hebt sie und lüftet das Haus. Ein rundes Loch, dem Körperumfang angemessen, gestattet den Zutritt. Eine dahinter angebrachte Lanzenfalle wehrt den Eindringling ab. –

Der Beamte des Postens hatte einen Elefanten geschossen. Auch ich ging, ihn zu sehen. Ein Neger war mit der abgeschlagenen Rüsselspitze davongerannt, um sie im Walde zu vergraben. Darob war der Weiße außer sich vor Zorn, ließ den Täter züchtigen und ins Gefängnis werfen. Dieser hätte aber eher eine Belohnung verdient! Denn die Neger glauben, daß von einem schweren Unglück, ja vom Tod heimgesucht werde, wer in eines erlegten Elefanten Rüsselspitze schaue. Dieses Unglück wollte er seinem lieben Herrn ersparen und hatte darum die Rüsselspitze seinen neugierigen Blicken entzogen. So verstehen wir manche Handlungen der Schwarzen nicht; wir urteilen falsch, bestrafen ungerecht, weil ihre Gedankenwelt uns fremd ist.

Nicht lobenswert hingegen war die Tat, zu der die Eßgier einen Nachzügler verleitete. Als der tote Fleischkoloß den Eingeborenen überlassen war und der Betreffende vor der Menge der Menschen nicht beikommen konnte, schuf er sich Bahn, indem er zwei emsig fleischhackenden Nichtbrüdern mit seinem Messer die Waden durchhieb und über die Gefallenen hinweg auf das Tier kletterte.

Der Palmenreichtum der Wangelima ist gering; ihr Nationalgetränk ist darum Wasser, in einem Mörser mit gestampfter Kolanuß und rotem Pfeffer angesetzt.

Ich muß noch den Eifer der Kaffeepflanzer erwähnen, die mich täglich schon vor 3 Uhr anriefen. »Ohne die heilige Messe sei der Tag nicht schön«, sagten sie.

Die Zukunft der Mission wird nur durch seßhafte Bevölkerung gesichert. Solche fand ich in Likombe, wo es von Kindern wimmelt wie in einem Ameisenhaufen. Da die Mütter dort verständig sind und die zarten Kleinen zu schützen wissen, trifft hier die sonst festgestellte sechzig- bis siebzigprozentige Kindersterblichkeit nicht zu.

Likombe war eine Palisadenfestung. Ich ließ mich auf die Kniee nieder, um durchs Torloch hineinzukriechen. Mein Bursche riß mich zurück: »Die Falle ist gestellt! Sie funktioniert, sobald dein Kopf hindurch ist; denn deine Schultern werden die zwei Lianen hier streifen, die eine da oben versteckte Lanze halten, und sie wird dir ins Genick fallen.«

Bruderkrieg war im Dorfe. Ein Mann hatte mit eines andern Frau gelacht, und das ward dem Gemahl gemeldet. Die Untersuchung auf Schuld wartete er nicht ab, sondern warf dem Verdächtigen die Lanze durchs Herz. Die beiden Sippen schützten ihre Brüder und zerfleischten sich. 27 Tote und 120 Verwundete gab es an diesem Tage.

Da war meines Bleibens nicht; aber später entwickelte sich aus Likombe die schönste und eifrigste Christengemeinde am Lohali. Und wenn auch der Häuptling Angolingoro der Sache feind blieb, natürlich der christlichen Ehe wegen, so sind doch bereits acht seiner Kinder, Knaben und Mädchen, brave Christen. Bei meinem letzten Besuch im Dorfe konnte der Riese Angolingoro es nicht unterlassen, mich auf seine Art zu ehren. Er trat vor der mich umringenden Volksmenge auf mich zu und reichte mir vier faule, schon grün und schwarz gewordene Eier.

»Hier, Herr, mein Geschenk für dich.«

»Schön, was willst du dafür?«

»Die höchste Bezahlung und ein reiches Gegengeschenk.«

»Alles sollst du haben! Hier …«

»Nun schaut, ihr Leute von Likombe, was euer Häuptling mir geschenkt hat.« Ich ließ Ei für Ei zwischen mir und Angolingoro auf die Erde fallen. Sie krachten wie Pistolenschüsse. Der faule Inhalt behinderte das Atmen. »Leute, wer hat nun recht gehandelt gegen seinen Bruder, ich oder euer Häuptling?«

»Herr, du bist gut, das können wir nicht leugnen; des Häuptlings Seele aber ist wie seine Eier!«

Mehr als anderswo hatte ich hier gegen die Tabu zu kämpfen, die rituellen Speiseverbote. Diese hielten besonders Frauen und Mädchen vom Christentum fern oder erschwerten es ihnen, denn die Tabu sind ihnen heilig. Kein Geschenk und keine Drohung wird je eine Likombefrau auch nur zum heimlichen Genuß von Gondafisch, Hühner- oder Ziegenfleisch bringen. Allerdings hauptsächlich deshalb, weil ihnen gesagt worden ist, das Genießen verbotener Speisen bringe ihnen Unfruchtbarkeit und Tod, und sie sind davon fest überzeugt. Vor der Heirat forscht der Mann, ob die Braut den Tabu stets treu geblieben sei; bei Zweifel nähme er sie nicht. Die Stämme, die Dörfer, die Sippen, die Geschlechter haben ihre Speiseverbote und beobachten sie so sicher, daß man von Enthaltung der gleichen Speise auf gleiche Abstammung schließen kann. Es tat sich denn eine gewaltige Kluft auf, als ich an die Tabu heranrückte und vor der Taufe ihre Verwerfung verlangte als Zeichen der Abschwörung des Heidentums, denn sie sind von den Zauberern auferlegte Beherrschungsmittel. –

Kurz vor den folgenden Ortschaften Yambumba und Bahanga sprangen meine Ruderer ins Wasser und machten sich davon. Was war los? Weite Kreise bildend standen bewaffnete Krieger da, Frauen und Kinder in der Mitte. Es war Krieg ausgebrochen. Aber keine Kriegstrommel, von der Stanley immer spricht, ließ sich hören, sondern auf Schleichwegen hatten die Poporoi eine Frau entführt, auf Schleichwegen die Yambumba dafür ihren Häuptling und vierzig Mann getötet.

Also auch hier kam ich ungelegen. Ich bat um Ruderer zur Weiterfahrt.

»Alle meine Mannen habe ich nötig zum Schutze der Frauen und Kinder«, war die Antwort.

Aus einer offenen Hütte nahmen wir nachts zwei Ruder und stießen ab. Gleich waren wir aber bemerkt, da alles im Freien kampierte. Ein paar Kanus schossen an uns heran, um uns ins Dorf zurückzubringen. »Du wirst deinen Brüdern die Sache erzählen, und sie werden Soldaten schicken.« Erst nach Angabe meines Reisezieles ließen sie mich los.

Bis zur Erschöpfung arbeiteten wir, um aus dem Kriegsgebiet herauszukommen. Die Poporoi in hundert Kanus umringten uns bald und brachten uns in ihr Dorf. »Brave Männer seid ihr, die Yambumba aber sind Hunde«, schrie ich, in Sorge um meine Haut. Das gefiel. Der Kehrvers war gegeben. Sie brachten mich auf den Dorfplatz geradeswegs zu der Bestattungsfeierlichkeit. Man tanzte um das Dach herum, das Grabhütte und Denkmal zugleich ist und unter dem in geringer Vertiefung auf einem Leopardenfell in Kriegsschmuck der Häuptling lag: Lanzenstiche durch Hals, Achsel, Unterleib und Oberschenkel hatten ihm den Tod gegeben. Diese Greuel solle ich den Weißen melden, damit Soldaten die Yambumba züchtigten. –

»Das will ich schleunigst tun; darum gebt mir Leute, die mich weiterrudern.« Der neue Häuptling selber ging mit und sang vor:

Euch Männer von Yambumba soll das Maul der Feuerstöcke fressen –
      Chor: Hunde von Yambumba!
Eure Weiber fressen wir, dann seid ihr ausgestorben –
      Chor: Hunde von Yambumba!
Ein Aschenhaufen soll eure Ortschaft werden –
      Chor: Hunde von Yambumba!

Der Religion verschlossen sich die Poporoi neun Jahre länger als die Yambumba; viermal haben sie meine angefangene Niederlassung eingeäschert.

Bei den Ilongo, ihren Verbündeten, verließen die Poporoileute meinen Einbaum und ich erhielt sechs Ilongobuben zur Weiterfahrt. Diese flohen des halben Weges durchs Wasser davon, aus Angst vor dem nächsten Dorfe, Liambi. Das war allerdings so gefürchtet, daß selbst der staatliche Beamte der Gegend sagte: »Dorthin bringt mich kein Befehl!«

Nachts 1 Uhr weckte mich der Bursche. Wir seien wehrlos, hätten die Leute gesagt, man solle uns abschlachten statt des Unteroffiziers, der ihnen kürzlich entkommen sei.

»Schön, dann schleiche du dich an den Fluß, binde den Einbaum los und kauere dich darin nieder, bis ich komme.« Alles gelang zunächst; doch der Mondschein verriet uns, als wir auf dem Wasser waren. Sie rannten am Ufer entlang uns zuvor, schwammen dann heran, mit den Messern im Munde, und suchten den Einbaum zu erobern; doch unsre unsanften Schläge mit den Rudern auf ihre Hände und Arme vereitelten den Plan. »Zauberstäbe werden wir werfen, daß das Krokodil dich fresse!« Noch heute sind die Liambi verstockte Gauner. Palmweinrausch und Hanfrauchen vertieren mehr als das Opium.

Bessere Aufnahme fand ich in Bolikango. Die Leute sind tapfere Christen geworden, und sie haben ein wunderschönes Kirchlein hingestellt. Kindlich einfaches Volk – ihrer ist das Himmelreich. Einige Male habe ich da ein Stück Boabraten erwischt. Diese 8 Meter lange Riesenschlange ist sonst den Häuptlingen und ihren männlichen Familiengliedern vorbehalten – weil sie so gut schmeckt; sie geben aber als Grund an, es wohne in der Boa wie im Leoparden eines verstorbenen Häuptlings Geist.

Die Basuha, die in vier Dörfern an der unteren Lulu wohnen, in die wir nun einbiegen wollen, hat derselbe Wahn zu schrecklichen Sitten hingerissen. Wenn der Leopard, der bei ihnen eine Landplage ist, eine Frau zerreißt, so kann er dies bloß tun auf Antrieb des in ihm wohnenden Häuptlings, der im Jenseits seinen Weiberstand vermehren will. Damit er ihnen nicht zürne und keine schon vergebene nähme, senden sie ihm gleich eine zweite Frau: ein geschmücktes Mädchen wird lebendig mit der Zerrissenen begraben. Sie binden es an die Leiche fest, um zu verhindern, daß es die dünne Erdschicht hebe und entfliehe. Solch arme Wesen haben wir öfters gerettet.

Von der dünnen Erdschicht rede ich. Als ich von der Auferstehung der Toten gesprochen hatte, lachten die Basokoheiden wie toll und meinten: Das sei ja gar nichts. Etliche machten Gräber in oder neben den Hütten, legten sich hinein, blieben einen, zwei, drei Tage darin, standen dann auf und wurden gefeiert. Die Luft drang ja durch die lockere Erdschicht und die Zweige hindurch. Einer aber hatte Pech. Sein Bruder legte zu viel Lehm auf ihn, befeuchtete diesen, strich ihn schön eben und legte Holzscheite darüber. Der Untenliegende schrie: »Heb ab!« – »Nein, es ist noch nicht der dritte Tag!« Man fand ihn dann erstickt. Der Unfug hatte nun ein Ende. Heute wissen sie, wie tief die Europäer begraben werden und daß man nur wirklich Tote in die Gräber legt.

Der genannte Lulufluß hat an vielen Stellen 30 Meter Tiefe bei nur 12-20 Meter Breite. Wie eine Schlange windet er sich durch den Wald, und die Windungen nähern sich auf 20, 40, 50 Meter. An beiden Ufern steigen die Urwaldriesen himmelwärts und ihre Kronen greifen oben ineinander, und die Vögel und Affen führen im verflochtenen Gezweig ihr lustiges, leichtes Leben.

Mombana heißt das große Wangelimadorf am Mittellauf des Lulu. Seine sechsfache Pyramidenhüttenreihe abzuschreiten erfordert eine Stunde. Wenn ich da auf dem großen Dorfplatz unterrichtete, hatte ich nicht selten zweitausend Menschen mäuschenstill um mich am Boden kauern. Leider leben sie meist im Walde, wo Wild und Palmsaft sie bezaubern.

Um 1 Uhr nachts kam ich einst nach zwei Hungertagen, an denen ich nicht die geringste Speise genossen hatte, und nach siebzehnstündiger Kanufahrt in Asimbo an, ließ mich angekleidet aufs Lager der mir angebotenen Hütte fallen und schlief gleich ein. Als die Sonne wieder hoch stand, trat ich heraus, aber – ich schauderte zusammen – von den Knieen abwärts war mein Talar voll Eiter.

»Woher der Unrat, wohin habt ihr mich gelegt?«

»Das ist das Bett, auf dem der Mann gestern gestorben ist, der hinter der Hütte liegt.«

Ich ging, ihn zu sehen – es war die Leiche eines Aussätzigen. Schleunigst stürzte ich in den Fluß, riß die Kleider ab, und der Bursche brachte Desinfektionsmittel. – »Wie gut ist der«, sagten die Neger, »er schenkt uns seine Kleider.«

Ekel kennen diese Leute nicht. Die Aussätzigen berühren und küssen sich – der Negerkuß geschieht nicht nur mit den Lippen, sondern Stirne wird auf Stirne gedrückt – man fürchtet keine Ansteckung, nur Fatum und böse Geister.

Bei meinem Rundgang durchs Dorf fand ich zwei Christen, die, anderswo aussätzig geworden, in ihre Heimat zurückgekehrt waren. Dem einen war bereits Gesicht und Zunge weggefressen; er konnte nur noch husten und bellen. Um ihm die heiligen Sterbesakramente zu spenden, mußte ich Stäbchen gebrauchen. Anfänglicher Ekel macht da bald dem mitleidigsten Erbarmen Platz. Welch entsetzliches Leiden! Körperteile werden nacheinander faul und fließen in Eiter ab. Solch ein Zersetzungswerk richtet in der Seele die Sünde an, hat der Heiland gelehrt.

Nach vierzehnstündiger Fahrt ist Mapalma erreicht, ein Zentrum auf der Wasserscheide. Drei Häuptlinge befehligen die Ortschaften; der höchste unter ihnen ist Likwangula, nicht weil er die meisten Leute, sondern die meisten Weiber hat. Siebenundachtzig hat er zur Versteuerung einschreiben lassen; viel mehr aber soll er ausgemietet haben; sie alle müssen ihn bereichern: »Mein Harem ist mein Magazin«, sagt er.

Bakwa, der Häuptling von Baluma, ist nicht halb so reich; dafür aber gescheiter. Als ich um eine Niederlassung bei ihm bat, gab es folgendes Zwiegespräch:

»Kommst du wegen Gummi oder Elfenbein?«

»Deine Kinder will ich lehren, brav zu sein.«

»O, dafür sorgt meine Peitsche!«

»Du kannst doch nicht immer prügeln! … Ich will ihnen über Gott, den großen Herrn, erzählen, der die Menschen auf diese Erde gesetzt hat, der uns Nahrung gibt, der Mond und Sonne aussendet, von ihm, dem großen Geist, dessen Kind unser Geist ist.«

»Den kenne ich auch! … Es dauert nicht mehr lange, dann ruft er mich. Sieh nur meinen Körper an: er ist alt. Wenn meine Hütte alt geworden ist, ihre Pfähle faul sind und ihre Erde abfällt, dann baue ich mir eine neue. Mein Fleisch ist das Haus meines Geistes; bald ist es alt, dann geht mein Geist fort.«

»Wohin wird er denn gehen?«

»Weiß ich das? Der große Herr ruft. Er wird aber zürnen, wenn er mich sieht. ›Fort‹, wird er sagen, ›fort aus meinem Dorfe, denn du bist nicht schön; in meinem Dorfe bleibst du nicht!‹«

»Du bist doch ein großer, schöner Mann gewesen?«

»Darauf schaut der große Geist nicht. Wenn man Menschen unrecht getötet und geschlagen, wenn man gestohlen, betrogen und gelogen, anderer Menschen Frauen geraubt hat, dann zürnt der große Herr: er findet solche Menschen abscheulich; er jagt sie fort, hinab und sperrt sie in ein Tier des Waldes, das nur nachts umhergehen darf und am Tage sich verbergen muß, in eine Schlange, einen Leoparden oder eine Kröte; die sind ihr Gefängnis. Wer aber schön ist, der darf bei ihm in seinem schönen Dorfe bleiben und in der Höhe wandeln.«

Wie leicht kann hier die Gnade ansetzen und die Heiden zur vollkommenen Reue führen! Nicht schön sein in Gottes Augen wegen solcher Sünden, was ist's anderes, als ihretwegen Gott mißfallen? Und darüber kann auch ein Heide trauern.

Schwer ist im Mapalmagebiet die christliche Ehe zu erreichen. Die jungen Männer strömen zwar zu Hunderten in den christlichen Unterricht und zeigen Ausdauer und Opfersinn, und viele gelangen zur heiligen Taufe; Mädchen aber finden sich nach zehn Jahren noch nicht ein. Weshalb? Weil es eben keine Mädchen gibt, sondern nur verheiratete Frauen, von der Geburt an verheiratet und Frau geheißen, Sklavinnen ihrer Käufer. Ist ein Kind erhofft, so erhält der Vater – oder der Herr der Mutter – Kupferringe als Voranzahlung mit der Bemerkung: »Wenn du ein Mädchen bekommst, so ist das meine Frau.« Nach der Geburt folgt eine weitere Anzahlung, sobald das Kind der Mutter nicht mehr bedarf, die dritte, und jetzt findet seine feierliche Übertragung oder Überführung in den Harem des Käufers statt, wo es tüchtig gefüttert wird, damit es die Heimat vergesse und bald groß sei. Diese Wertgegenstände oder Kaufschätze, Mosolo genannt, kiloschwere Eisen- oder Kupferringe, sind die unerläßliche Münze, die nur dem Frauenankauf dienen – ein Kniff der Notabeln und Häuptlinge, der ihnen allen Frauenbesitz sichert. Unsern Christenjünglingen gelingt die Ehe bloß, wenn sie einen vernünftigen Vater haben, der ihnen eines seiner Weiber abtritt oder ihnen ein Mädchen kauft, indem er etwa eine Tochter verkauft und mit dem Erlös dem Sohne die Braut bezahlt. Da aber die christliche Ehe gegenseitige Einwilligung voraussetzt und ein Alter vorschreibt, in dem kein freies Mädchen mehr zu finden ist, wird es eben eine Witwe sein, die Frau eines verstorbenen Polygamen; und da heißt es flink zu Werke gehen, denn die hinterbliebenen Frauen sind schnell verkauft. Würden die Mosolo vom Staate eingezogen und die Neger genötigt, andere Wertgegenstände anzunehmen, würde ein bestimmtes Alter und die Freiheit des Mädchens verlangt, dann gäbe es bald allgemeine menschenwürdige Heiratsmöglichkeit. Von jeglichem Pfande abzusehen, geht noch nicht in die Heidenköpfe, selbst nicht in die der Frauen; denn auch sie sprechen: »Mann, du hast nicht genug für mich bezahlt! Ich bin doch mehr wert! Ich bin noch frei!« Das Kind der Ausgemieteten gehört nicht dem Vater, sondern dem Herrn und Besitzer der Frau. Endlos sind die Schwierigkeiten, die so der Missionstätigkeit erwachsen.

Der dritte der Wangelimahäuptlinge heißt Biela. Schwer krank lag ich einst in seinem Dorfe und meine Medizinen wollten nicht helfen. Die Trauer der Jugend war allgemein: »Unser Vater ist krank.« Drei aber traten herein: »Pater, wir sind die Söhne des Dorfarztes; viele Leute kommen zu ihm weit her; er muß auch dich gesund machen.« Der Alte kam, untersuchte mich und ging fort in den Wald. »Halte siedendes Öl bereit, bis ich komme«, sprach er zu meinem Burschen. Zurückgekehrt, kochte er Wurzeln und Rinde im Öl und band alles fest um meine Glieder; das tat er täglich dreimal. Zuerst zog er jedoch aus seiner Medizintasche eine Kette von Zauberstäbchen, die er mir um die Füße hängen wollte. »Nein, die will ich nicht; was würden sonst deine Kinder sagen, denen ich dergleichen verbiete?« – »Meine Kinder? Es ist wahr, seit du sie belehrst, sind sie gut gegen mich. Wir lassen also diese Zaubermittel; doch sollst du dafür deinen Schutzgeist anrufen … Nun müssen wir beide unser Blut gegenseitig austauschen.« Das geht in der Weise vor sich, daß der Arzt sich und dem Patienten ein paar Schnitte in den Arm macht, und wenn das Blut fließt, wird es mit Potassium gemischt und der eine leckt das des andern auf, damit durch das Blut die beiden Seelen sich miteinander verbinden. Denn zu einer Heilung sind drei Dinge nötig: ein Heilmittel aus der Natur, die seelische Vereinigung zwischen Arzt und Patient und die Mitwirkung eines schützenden Geistes. – Der gute Alte war stolz darauf, einen Weißen pflegen zu dürfen. Auch führte er mir viele Patienten vor, die er geheilt hatte; darunter mehrere Dutzend, deren gebrochene Knochen er zurechtgedrückt, zwischen Stäbe gebunden und dann massiert hatte. Als ich vor der völligen Genesung weiterreisen mußte, standen ihm die Tränen in den Augen, und er war trostlos, weil er mich nicht ganz herstellen durfte.

Hals-, Magen- und Darmleiden werden mit reichlichem Pfeffergenuß und Kola behandelt; Einläufe, mit Medizinen gemischt, werden mittels einer zwiegelöcherten Kalabasse eingeblasen. Bei Kopfschmerzen wird zu Ader gelassen; bei Lungenentzündung desgleichen; bei letzterer wird auch ein blasenziehender Teig aus Kopalsaft und Likokofischlein aufgelegt. Klopf- und Streichmassage, besonders nach Verstauchungen, Brüchen, Lungenentzündungen, versteht der Arzt vortrefflich, und er verfolgt genau die Lage der Sehnen und Muskeln. Die alten Kannibalen sind ja Meister in der Anatomie.

Wo der Arzt nicht helfen kann, wird der Zauberer gerufen. Um die Krankheitsgeister zu beschwören, rennt er mit geschwungener Lanze um die Hütte, wirft sie in einen Baum, und wenn Saft herausfließt, bezeichnet er Hund oder Huhn als Urheber der Krankheit, und das Tier wird sogleich aufgegessen. Oder aber er tanzt im Kreis herum, bis er zusammenbricht. Dann hat sein Geist den Körper verlassen, kämpft und verhandelt mit den Krankheitsgeistern. Zu sich zurückgekehrt, bezeichnet er den Schuldigen, der oft gleich gelyncht wird, oder er bestimmt schwere Opfer, um die Genesung zu erlangen. –

Ein dreitägiger Marsch, jeweils von 6 bis 6 Uhr, auf engem Urwaldpfad, unter finsterem Dickicht hindurch, brachte mich an den Lohali zurück: menschenloser Wald, das Heim der Elefanten. Bienenschwärme verfolgten uns mit ihren Stichen. Sümpfe, Bäche, Flüßchen ohne Zahl mußten durchwatet werden. Wenn die Nacht uns traf, lagerten wir uns in einem Kreis von Feuern, die uns gegen Tiere und Nachtfeuchtigkeit schützen sollten. Doch wehe den Reisenden, wenn die Himmelsschleusen sich auftun und die krachenden Unwetter den Wald durchheulen! Darum müssen die Reisen nach der Jahreszeit eingerichtet werden. Sobald die Sonne sich vom Äquator wegwendet, mehren sich die wolkenbruchartigen Gewitter bis zu einem Maximum, bei dem es jeden zweiten Tag eine bis zwei Stunden fürchterlich gießt. Danach werden die Gewitter seltener und kürzer, und es wird trockener, wenn die Sonne ihr Antlitz wieder zum Äquator hin richtet. Die Waldgründe sind sumpfig, und wo ein Baumstamm als Brücke dient, da liegt er nach der Regenzeit tief unterm Wasserspiegel, und die starke Strömung droht die Passanten fortzureißen in den Ertrinkungstod unter finsterem Astgehänge. Die Mitte der Trockenzeit ist durch ein paar regenfreie Wochen gekennzeichnet.

Die Zeitrechnung unsrer Neger geschieht nach diesem Sechsmonatsjahr – unser Sonnenjahr zählt also zwei Negerjahre – ich rede von der Äquatorgegend. Sonst zählen sie nach Monaten und Mondstand und nach den, je nach der Gegend, alle drei bis vier Tage stattfindenden Märkten. Seit die Europäer im Lande herrschen, sind ihre Arbeiter gezwungen, nach Lohntagen zu rechnen, die Christen aber rechnen wie wir.

Frage ich nach dem Alter eines Kindes, so lautet z. B. die Antwort: »Es ist vor zwanzig Monaten geboren«, oder: »Es hat drei Regenzeiten und zwei Monate hinter sich.« Später heißt es: »Wer kann das noch zählen!«


 << zurück weiter >>