Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel.
An den Lohali.

Von dem Mitbruder, mit dem ich die Reise zusammen gemacht hatte, mußte ich nun Abschied nehmen; er zog in das einundzwanzig Marschtage landeinwärts gelegene Awakubi. Dort fand er leider bei einem Kahnunglück in einem dunklen Waldstrom einen frühen Tod. Als geübter Schwimmer hätte er zwar leicht das Ufer erreichen können, aber die Rettung seiner Neger lag ihm zu sehr am Herzen. Einer derselben klammerte sich ungeschickterweise an seine Füße, und das war beiden zum Verderben. Nie ward seine Leiche gefunden.

Ich blieb vorerst in der Zentralstation des Vikariats, 6 Kilometer von Stanleystadt entfernt, setzte mich in die Schule zu den Kindern, um mein Ohr an ihre Mundart zu gewöhnen, und stellte mir einen Wortschatz zusammen.

Auch die Stanley-Fälle mußte ich sehen. Vom felsigen Ufer aus beschaute ich das Naturwunder, und während der Wasserstaub mich kühlend umflog, ließ ich an meinem Geiste die Geschichte ihrer Entdeckung vorbeiziehen.

Der große Forscher Livingstone, Arzt und Missionar, war am Tanganjika gestorben. Sein Werk fortzusetzen, hatten die englischen Zeitungen den Journalisten Rowlands gewonnen, der sich nach seinem Gönner Stanley nannte. Er schloß sich mit seinen 140 Mann der Karawane von Sansibars größtem Sklavenhändler Tippu-Tip an, der an den Oberlauf des Kongo zog, um dort schwarzes und weißes Elfenbein zu machen, d. i. Sklaven und Elefanten zu jagen. Stanley aber fuhr den unbekannten, an der Stelle schon zwei Kilometer breiten Strom abwärts. Er schlug Waldpfade, um die Boote darauf zu schleppen und so die sieben Katarakte zu überwinden, die heute seinen Namen tragen. Stanleystadt nennen wir Europäer die Siedlungen um den letzten Katarakt, während sie bei den Negern Segetini, bei den Arabern Kisangani heißen.

Der Name Kisangani, zu deutsch »auf der Insel«, kommt von der mitten im Strom liegenden hohen Felseninsel. Auf ihr nämlich hat später Tippu-Tip den Stützpunkt seiner Macht angelegt. Von jener Insel an stürzt der Strom mit einer alles besiegenden Macht und Geschwindigkeit über die Abdachung einige hundert Meter vorwärts, und dann fällt die ganze Wassermasse jählings vier bis sechs Meter tief in einen schäumenden, wild erregten Schlund, aus dem mächtige Bündel brauner Wogen mit schrecklichem Getöse hoch aufspringen und in entsetzlicher Wut auf- und gegeneinanderstürmen: ein Bild unsäglicher Wirrnis, ein toller Zusammenstoß kochender, brausender, sich übereinander wälzender Wasser.

Nach drei Wochen fuhr ich mit dem Dampfer wieder zwei Tage weit den Kongo hinab an die Mündung des Aruwimi, wo eben einer unsrer Missionäre das Land zwecks Anlegung einer definitiven Mission erforschte. Bei einem solchen Unternehmen muß vieles beachtet werden: nötig ist seßhaftes Volk, gesunde Lage, fruchtbarer Boden, gutes Wasser, ein Fluß, Verkehrswege, verwendbares Baumaterial usw. Die Uferbewohner an der Mündung des Aruwimi in den Kongo nennen sich Basoko, d. h. Leute an der Mündung, auch »Wasserleute«, weil sie nur am Wasser ihre Ortschaften anlegen, am Kongo, Aruwimi und Lulu; das Wasser liefert ihnen Nahrung, die Flüsse sind ihre Straßen; schwimmen können sie wie die Fische, im Kanu sind sie wie zu Hause. Im Wald hinter diesen Uferdörfern wohnen die »Waldleute«, die Mobango, die schmale Lichtungen in den Urwald geschlagen haben zur Anlage weithingestreckter Dörfer. Sie leben vom Wild. Östlich von den beiden Stämmen hausen die Wangelima, die Wasser- und Waldleute sind. Diesen drei Stämmen mit etwa 250 000 Angehörigen, die noch ganz im Todesschatten des Heidentums lagen, sollte ich Christi Licht und Erlösung bringen helfen.

Mein Schiff legte vor dem Staatsposten Basoko an. Der Postenvorsteher empfing Ladung, Post und mich, den Passagier, den er einstweilen zum Mittagsmahl lud nach alter, nun erloschener Kongolesensitte, die jeden Weißen als seltenen Gast brüderlich aufnahm. Mein an dem Orte stationierter Mitbruder, wurde mir gesagt, sei den Fluß hinaufgezogen, niemand wisse wohin.

Nach Tisch führte mich der Beamte unter den schattigen Mangobäumen umher und erzählte mir die Geschichte der Station: das Fort sei zwar heute erledigt; es habe aber im Kriege gegen die Araber 1893 als Operationsbasis des Staates seinen Dienst getan. Hier seien mit Hilfe der Basokoneger die Araber erstmals zurückgeschlagen worden. Wie waren diese Araber ins Land gekommen? Stanleys Begleiter, übers Mittelmeer nach Sansibar heimgekehrt, hatten dort viel erzählt, und Tippu-Tip, ein Araber, beeilte sich, die Entdeckung auszunützen. Er sandte eine Expedition unter Führung seines Sohnes Sefu und seines Neffen Rachid, ihm zwecks großzügigen Sklavenhandels ein arabisches Reich zu errichten. Er selbst folgte und leitete die entsetzlichen Operationen von Kisangani aus. Um tausend auserlesene Sklaven zu finden, wurden oft 80 bis 100 Dörfer verwüstet und alle übrigen Einwohner getötet.

Fragte ich die Basoko nach dem Namen ihres Flusses, so antworteten sie: » Lohali nennen wir ihn; als Kind aber heißt er Ituri und wird geboren dort, wo die Sonne aufgeht.« Ja, an der Grenze Ugandas ist die Quelle des Aruwimi auf einem Ausläufer des über 5000 Meter hohen Ruwensorigebirges, dessen Gipfel trotz der Lage auf der Äquatorlinie ewiger Schnee bedeckt. Dort hinauf versteigen sich die kaum bekleideten Neger allerdings nicht. Nur einmal waren etliche mit Professor Kirstein als Karawanenträger zur Schneegrenze gelangt. Vor Staunen sperrten sie den Mund auf. Sie warfen die Lasten ab, stürzten vorwärts mit dem Rufe: » Wali, wali!« d. h. »gekochter Reis«, und schaufelten die weiße Speise mit beiden Händen in die Mäuler. O Schreck! Wie spuckten sie bei der unbekannten Wirkung des Schnees! »Feuer, Feuer! Brüder, das ist ein Geisterberg! Hinab, hinab!« Und die Kisten blieben liegen.

Der wilde Ituri tanzt als Knabe lustig über Felsen durch den Urwald. Auch als Lohali schäumt er in zahllosen Fällen und Schnellen, bis er bei Jambuya schiffbar wird, nur 150 Kilometer von den 1300 seiner Länge. Klar ist des Flusses Felsenwasser und scharf sticht es bei der 1800 Meter breiten und 10 Meter tiefen Einmündung vom braunschmutzigen Wasser des Kongo ab.

»Wie heißt euer Wasser?« frug Stanley die Wilden. Sie verstanden den ihnen schnurrig erscheinenden Menschen nicht und sagten unter sich: » Aruwi nini? Was meint der Kerl?« Stanley notierte befriedigt »Aruwimi«. Nun ignoriert die Geographie – wohl auf immer – den schönen Namen Lohali und sagt dafür Aruwimi. Nicht viel besser ist es dem großen Kongo ergangen. Der Fluß heißt an der Mündung: Zaire, in seinem ganzen Lauf aber allüberall Lualaba oder Lukalaba; der Europäer jedoch taufte ihn Kongo nach dem ehemaligen Königreich Kongo an der Mündung.

Trotz 58 Grad Hitze kam ich im gebotenen Obdach nicht zur Ruhe wegen der Neuheit der Dinge und meiner Freude, mich an meinem Arbeitsfeld zu befinden. Bald sammelten sich die neugierigen Arbeiter- und Soldatenfamilien des Postens um die Barza (offene Empfangshalle). Ich frug sie nach dem Grunde.

»Ei, bist du nicht ein Weißer? Wir kommen, dich zu sehen! Wir sind Arbeitsleute der Europäer. Wenn der Vater von weit herkommt, sollen die Kinder ihn nicht schauen? Du bist ein Weißer im langen Gewand; du unterrichtest uns in den Dingen Gottes.« Wie deutlich und wohlklingend sie sprachen! Wenn ich nur auch schon alle verstände! Denn ich bin hier in ein wahres Babel gelangt. Zwei Verkehrssprachen: Suaheli, die des Ostens, und Lingala, die des Westens, ringen hier um den Vorrang. Jetzt scheint allerdings die erstere zurückgedrängt, und es ist gut so. Denn bieten auch ihr Wortreichtum und ihre abstrakten Bezeichnungen manchen Vorteil, so ist die Sansibarsprache Suaheli, weil von den Arabern gebracht, eben doch Trägerin mohammedanischer Gedanken und Sitten, und beeinträchtigt den Fortschritt des Christentums. Zu den Verkehrssprachen Suaheli und Kingala kommen die drei Stammessprachen Kisoko, Kibango, Kingelima; also haben wir 5 von den 182 verschiedenen Bantusprachen, den 515 afrikanischen Sprachen und 318 afrikanischen Dialekten (nach Strucks Berechnung).

Mein jugendlicher Bursche verstand die fünf genannten und noch mehr Sprachen. Er mußte mir Dolmetscher sein. Joseph Lufungula heißt er. In der Falls-Mission habe ich ihn gefischt und keinen schlechten Fang getan. Er war wohl vierzehn Jahre alt. Er selber wußte das aber nicht. »Habe ich denn die Monate und Regenzeiten zählen können? Und meine Eltern, konnten sie mir's sagen? Wo sind sie?« Sklavenknabe ist Lufungula gewesen. Die Araber hatten sein Heimatdorf überfallen. Wie mag es Vater und Mutter ergangen sein? Ihn führten sie nach Kirundu, wo ihn mein Bischof losgekauft hat. Er besaß ein offenes Ohr, einen geweckten Kopf und ein treues Herz. Wenn ich krank lag, war er durch nichts in seine Hütte zu bringen, sondern schlief vor meiner Tür auf dem Boden. »Hier ist mein Platz, wenn mein Herr krank ist; hat er mich nötig, so bin ich zur Stelle.«

»Wozu halten Sie sich denn einen Burschen?« hat mich einmal ein hoher Herr in der Heimat gefragt. Ich entgegnete ihm: »Mein Bursche ist ein armer Negerknabe, der freiwillig sich angeboten hat, mir nach gutem Können Kirche, Haus und Küche zu besorgen. Denken Sie einmal nach und antworten Sie: Wer wäscht, flickt, bügelt Ihre Wäsche? Wer kauft Ihr Essen? Wer schlachtet, kocht und spült Ihnen? Wer schlägt Ihnen das Holz im Walde und bringt es heim? Wer deckt Ihren Tisch, reinigt und ordnet Ihnen Haus und Küche? Machen Sie das alles selber? Ja, werden Sie sagen, ich habe Wichtigeres zu tun! Gut, ich aber auch! Wie bliebe mir Zeit für das Evangelium, für die Schule, für die Kranken? Sie können sich schlecht, sehr schlecht in unsre zentralafrikanischen Verhältnisse hineindenken. Dort fährt weder Zug noch Kutsche, kein Krämer verkauft, kein Metzger schlachtet, kein Bäcker bäckt, kein Schneider flickt, kein Schuster sohlt, kein Haarschneider schert; kein Wasserhahn, kein Gasrohr, kein elektrisches Licht läßt sich aufdrehen. Für alles hat der flinke Bursche zu sorgen! Und bin ich auf Reisen, so sucht er das Obdach, richtet das Quartier ein, sorgt für ein Lager, verhandelt mit dem Häuptling, verdolmetscht fremde Sprachen und Ausdrücke, sorgt für Träger und Kahn, trocknet die Kleider, packt die Kisten. In der Krankheit ist er mein Wärter. Er kennt die Landessitten, verrät mir den Zauberer und seine Tücke, schirmt mich vor Gift. Wenn ich noch lebe, so verdanke ich es nach Gott meinem Burschen!«

Lufungula war kurz vor meiner Ankunft getauft worden, und mehr als alles verband ihn mit mir der Name Joseph. Ich war sein Namensvetter, was bei den Negern viel gilt. –

Als das Trompetensignal die müßigen Gaffer an ihre Arbeit gerufen hatte, pfiff ich meinen Knaben herbei, um mit ihm und einem Führer den Weg zur Eingeborenenstadt einzuschlagen, denn dort sollte ein Häuschen stehen als provisorisches Heim des Missionars. Nachdem wir die Mango- und Akazienalleen durchschritten hatten, gelangten wir in die unabsehbar lange, aber nur 60–100 Meter breite Ortschaft, durch die dem Fluß entlang eine einzige breite Straße führte. Wir passierten viele aneinandergereihte Hüttenviertel der einzelnen Basoko-Sippen, die des Basokokönigs 12 Kilometer lange Residenz zusammensetzen. Wo ich erscheine, rennen die Kinder schreiend davon und suchen ihr Heil hinter den Hütten bei den Müttern. Die Männer stehen trotzig abseits, die Lanze in der Hand, des Mannes Stolz, Schmuck und Wehr.

»Wo hast du unser Gepäck gelassen?« frug ich den Knaben.

»Ich ließ alles ins Staatsmagazin trogen. Sobald wir wissen, wo wir bleiben, kehre ich um und bitte um Träger. So kommt nichts abhanden.«

Endlich langten wir bei dem Häuschen an.

»Das Haus deines Bruders«, sagte der Führer und schwenkte ab.

Es stand am Ufer, die Front gegen das Wasser gewendet, ein einfacher Stampfbau von 5 Meter Länge, 4 Meter Breite und 3 Meter Höhe. Pfähle waren in den Boden gelassen, mit Bambusstäben und Lianen verflochten und mit Lehm überstrichen. Darüber ein von Bambusstäben getragenes Blätterdach.

Nachdem ich eine halbe Stunde gewartet hatte, schritt gravitätisch und selbstbewußt ein fester Mann heran und musterte mich vom Kopf bis zu den Füßen.

»Was willst du hier?« fragte er; »dieses Haus gehört meinem Herrn. Mir hat er den Schlüssel gegeben.«

»Gut, ich bin sein Bruder. Öffne mir!«

»Das ist eine Lüge! Ich werde nicht öffnen. Mein Herr hat mir verboten, das Haus zu öffnen und jemanden hineinzulassen. Den Hals kannst du mir abschneiden, ins Haus kommst du aber nicht!« So ist der Neger, wenn ihm ein Amt anvertraut worden ist. Er zeigt seine Macht.

»Wenn mein Bruder kommt, wird er dich tadeln. Ich gehe zurück zum Beamten und bitte um ein anderes Haus.« Mit diesen Worten ging ich davon.

»Pater, er hat aufgeschlossen!« So rief bald mein Bursche hinter mir her.

Ich betrat die Wohnung mit den grauen Lehmwänden, wo an einem langen Holznagel ein Kruzifix hing und vier Holzstiftchen ein Madonnabild an der Wand festhielten. Vier Pfähle im Boden trugen einen Rost aus Stöcken, der das Bett bedeutete; ein Brett auf zwei Pfählen war der Tisch, eine leere Kiste der Stuhl. So hatte ich also ein reich möbliertes Zimmer zur Wohnung! Mein Bursche fegte es flugs aus, während ich den nebenanstehenden Schuppen besah, der als Schule und Kirche diente.

In Entfernung von 100 Meter war indessen eine schwarze Mauer erstanden: neugierige Gestalten schoben und drängten sich. Winkte ich ihnen, so wichen die vordern zurück; nahte ich ihnen, so flohen sie alle.

Es blieb mir zunächst nichts zu tun übrig, als in die Gegend hinauszuschauen und auf den glänzenden Lohali vor mir. Gegenüber lag eine Insel in Entfernung von etwa einem Kilometer; links, d. i. flußaufwärts, sah ich etwa 10 Kilometer weit eine große Wasserfläche; vier Inseln, schwimmenden Schiffen gleich, versperrten die fernere Sicht. Rechts, d. i. flußabwärts, hatte ich den hier 4 Kilometer breiten Kongo vor Augen. Zahllos kreuzen die flinken Kanus der rudergewandten Basoko auf dem Wasser. Schau, wie sie stehend sich wiegen auf einem Fuß, während der andere lose auf dem Rand des Kanus ruht, um das Gleichgewicht zu halten; wie der Oberkörper weit nach vorn sich neigt und die muskeligen Arme das lange Ruder in die Fluten stechen, so daß der Schaft sich biegt. Hei, wie sie dahinschießen, und wie die sich verbreiternden Wasserfurchen, Kometenschweifen gleich, hinter ihnen im Sonnenlicht erglänzen! Die einen fahren zum nächtlichen Fischfang, die andern kehren von den Inseln heim mit vielen Töpfen voll Palmwein, der beim nächtlichen Tanz Gesang und Frohsinn wecken soll. Sie haben Eile, denn schnell wachsen die Schatten: bald ist es 6 Uhr und Nacht, – ewige Tag- und Nachtgleiche hat man hier.

Nun kommt mein Bursche zurück und packt aus. Im Staatsposten hat er, da die Wilden keine Pflanzungen haben, wohlbedacht die Bettsäcke mit Bananenblättern gefüllt und so Matratze sowie Kopfkissen fertiggestellt.

Die Küche war mit dem Pater auf Reisen. Woher sollte ich nun die Lebensmittel bekommen, wenn ich den Burschen nicht gehabt hätte? Er lief in die Negerstadt, warf ein paar Kommandoworte herüber, hinüber, und erhielt darauf Holz, Maniokblätter, Maniokwurzeln; er brachte auch einen Topf, der ich weiß nicht auf welchem Haufen gelegen war und nun säuberlich geputzt wurde.

Nach Arbeitsschluß kamen einige junge Leute aus dem fernen Fort herbei. Ein Mann trug einen irdenen Topf voll Palmöl, aus dem ein mit Werg umwickeltes Holz ragte. Das war eine Ampel. Er zündete sie an und stellte sie im Schuppen auf den Boden. Dann knieten die Leute nieder und sprachen laut und langsam ihr Abendgebet. Hierauf kauerten sie sich um den uns schon bekannten Schlüsselbewahrer. Auf jede von ihm gestellte Katechismusfrage antworteten sie im Chore so lange, bis alle sicheres Wissen besaßen. Nach Schluß dieses Unterrichts ließen sie die Ampel mir und gingen wieder heim. Mein Bursche schloß sich ihnen an, um für sich ein Nachtquartier zu suchen.

Nun bin ich im heimatfernen, fremden Lande allein! – Es beginnt die erste schauderhaft erregte Nacht: In nächster Nähe ruft des Unterhäuptlings Libenga Riesengong zum nächtlichen Feste. Der Boden und mein Haus erzittern davon. Jubel erschallt sogleich aus allen Hütten. Alle Baumtrommeln, große und kleine, fallen ein, ein Höllenlärm ohnegleichen entsteht: das Orchester der Negerwelt. Alle schwingen die Glieder und stampfen den Boden; hier die Männer im Kreise mit Waffengeklirr und heiserem Sang aus palmweintrunkenen Kehlen; weiter entfernt der Frauensopran, mit Händegeklatsch begleitet bei rhythmischem Schwung; und dann die Kinder, die mit Leib und Seele bei der Sache sind. Je wilder der Lärm, desto größer die Lust. Keinem kommt das Schlafen in den Sinn, solange der Mond am Himmel steht; dieser muß zuerst »in sein Haus gegangen« oder als Neumond »gestorben« sein. Sobald dann die Mondsichel sich wieder zeigt, durchheult der Jubel das Land und ruft zum begeisterten Nachtfest.

Die Baumtrommel ist ein oft 2–3 Meter langer, 1–2 Meter dicker Baumstumpf, von Kennerhand ungleich ausgehöhlt, so daß seiner ein Meter langen Schallspalte beim Schlagen mit Gummihämmern Terzen oder Quinten entströmen. Sie ist nicht bloß das Musikinstrument zum Tanz, sondern auch das Sprachinstrument der drahtlosen Telegraphie der Neger. Wie unsre Telegraphie Striche und Punkte zusammenstellt, so bilden die Neger mit den beiden Tönen der Trommel Wortzeichen. Jedermann versteht diese Gongsprache, und die meisten schwingen die oft vier Pfund schweren Gummihämmer mit derselben schnellen Fertigkeit, wie unsre Pianisten die Tasten des Klaviers bearbeiten; das Negerohr unterscheidet dennoch jedes Wort. Die Nacht ist die günstigste Transmissionszeit. Eigens angestellte Gongbeamte sind damit beschäftigt, Mitteilungen zu machen, zu empfangen, weiterzugeben. Dieser Gong ist der Negerwelt was uns die Zeitung: er klopft die Geschichte des Dorfes herunter, verkündet Märkte, Krankheits- und Todesfälle, meldet Verordnungen des Häuptlings, ruft zur Versammlung, zu Jagd, Fischfang und Arbeit, berichtet über Durchreisende, über Woher und Wohin. Er trägt jede Kunde über Wasser und Wälder, vier bis sechs Stunden weit hörbar. Das Geheimnis der Baumtrommel ist auch auf das elfenbeinerne zweitönige Sprachrohr übertragen (s. Titelbild). Der Neger hängt es an seine Seite, wenn er auf Jagd und Fischfang auszieht, und redet damit von der Arbeitsstätte aus zu seinen Brüdern im entfernten Heim; und diese geben ihm Antwort.

Wie war es möglich gewesen, inmitten der Basokohauptstadt, wo Hütte an Hütte bewohnt war, eine Heimstätte für uns zu erlangen? Eine Epidemie hatte die Bewohner von zwei Sippenvierteln hinweggerafft. In den zerfallenden Hütten lagen noch die verwesenden Leichen, kaum mit Reisig und etwas Erde überworfen; die Überlebenden waren geflohen, da »der Geist der Krankheit« hier sein Heim aufgeschlagen hatte. So überließ man die Unglücksstätte in einer Ausdehnung von 350 Meter nebst dem anstoßenden Urwald gern dem Missionar, hoffend, auch ihn würde die Epidemie hinwegfegen. Zudem versprachen die Zauberer mit Sicherheit erfolgreichen Ausgang: sie bestimmten Monat und Tag, an dem der Wurm der Krankheit dem Ankömmling Leber und Gedärme aufgefressen haben werde. Als aber jene Zeit ohne Ungemach vorüber war und der Pater lachend sein Pfeiflein rauchte, stieg sein Ansehen gewaltig, und es hieß: »Sein Zaubermittel ist kräftiger als das unsrer Medizinmänner; er muß über einen Geist Gewalt haben, der im Streite liegt mit unsern Geistern. Auf, ihr Zauberer, sucht mächtigere Medizinen!« Man erhielt die Antwort: »Ihr bezahlt uns nicht genug für unsre Mühe; die Geister wollen Opfer.« –

Der Hahn hatte zum erstenmal gekräht. Was war das für ein Gesumm in nächster Nähe? Gebete höre ich, mit leiser Stimme gesprochen, um mich nicht zu wecken; aber schon klopft es sachte an meine Türe; sie wollen mich bei sich haben.

»Die heilige Messe!« Ich zucke mit den Achseln. Der andere Missionar hat den Altar bei sich auf Reisen, und meine Ausrüstung ist noch nicht eingetroffen. So wollten sie nun Unterricht halten und verlangten dazu die zurückgelassene Ampel. Es war noch Nacht; und bei Tagesanbruch, um 6 Uhr, müssen sie an der Arbeit sein. Mir waren viele Worte ihrer Sprache von gestern im Kopfe geblieben. »Wie wär's«, dachte ich da, »wenn ich selber den Katechisten machte? Beide Teile könnten so lernen.« Die Schwarzen stutzten erst, als ich sprach, dann aber erfolgte kräftig Antwort. Dabei achtete ich nicht nur auf die Aussprache, sondern auch auf die Bedeutung der schwierigen Wörter, die ich mir schon in Stanleystadt notiert hatte. Zwanzig-, dreißigmal wiederholten wir denselben Satz des Textes, bevor der folgende auf gleiche Weise durchgearbeitet wurde. Der Unterricht wurde an den folgenden Tagen fortgesetzt. Die Schwarzen freuten sich: die einen, ihr Wissen zeigen zu dürfen, die andern, so leicht lernen zu können. Und ich erst! Nach einem Monat schon hörte ich die allerdings übertriebenen Schmeichelworte: »Du hast jetzt unsre Sprache im Besitz.«

Diese Negerleute vom Staatsposten wetteiferten im Kommen und Lernen; jeder schrie beim Unterricht aus Leibeskräften, daß es von der Insel her widerhallte; ihr ganzer Organismus arbeitete mit, bis ihnen Schweißbächlein über die Stirne rannten, die sie mit der Hand abstreiften und von sich schleuderten. Aber wie bitter haben sie uns enttäuscht! Wie das Kleidertragen war auch das Christentum von den Europäern ins Land gebracht, galt als »Europäersache«. Als ihre Dienstjahre um waren, zogen sie wieder in ihre Heimat, und die meisten warfen mit der europäischen Kleidung auch die »europäische Religion« ab. Ganz andern Trost bereiteten uns, wie wir sehen werden, die in ihren Dörfern bekehrten Kinder der Wildnis.

Nach dem Abendessen, das aus Maniokblättern und -rüben bestand, gab ich mich dem bezaubernden Anblick des nächtlichen Flusses hin. Er gemahnte mich an einen beleuchteten Großstadtbahnhof in Europa, doch lag tiefes Schweigen darüber. Unzählige helleuchtende Kopalfackeln brannten in stillstehenden und fahrenden Kanus: Fischer lagen ihrer nächtlichen Arbeit ob. Andere Neger aber warteten auf die Wolken geflügelter Ameisen und Motten, die der Lichtschein auf das Querbrett des Kahnes lockte, von wo unermüdliche Hände sie zusammenkehrten und in die untergestellten Töpfe strichen. Dann zog man heim, dieses Festgericht zu zerstampfen, mit Palmöl zu schmoren und als Hochgenuß zu Kibanga, dem käseartigen Brote aus geräuchertem Maniokbrei, zu verzehren. Ein Teil davon wird gewöhnlich als Köder für den Fischfang aufbewahrt.

In der folgenden Frühe erhob sich schon bei Sonnenaufgang am sandigen Ufer ein tolles Gezeter, das zum ohrenbetäubenden Marktgeschrei anwuchs. An Unterricht war heute nicht zu denken. Unzählige Kanus, mit Rauchfleisch und Palmöltöpfen über und über beladen, kamen den Fluß herauf, herab und herüber, von sitzenden Weibern stürmisch gerudert. Von den Waldpfaden her keuchten im Gänsemarsch Karawanen daher und brachten Elefantenfleisch und ganze Antilopen in geräuchertem Zustand, oder Maniok, teils als rohe, 8–10 Kilogramm schwere Rüben, teils als flüssigen oder getrockneten Brei. Der Austausch der Waren begann unter wildem Geschrei. Man stürzte sich auf die begehrten Dinge, um sie dem Verkäufer abzuringen, und warf die eigenen als Preis hin. Schimpfworte und Schlägereien gehörten zum Markte. Da sieh nur, wie in nächster Nähe zwei Frauen ein Kreuzfeuer von Schmähungen eröffnen, dann zwei Sprünge gegeneinander tun und zusammenstoßen. Ein furchtbarer Ringkampf, ein schwerer Fall; zwei schwarze Massen wälzen sich am Boden, schlagen und beißen sich blutig. Die Zuschauer aber stehen ringsum, lachen laut, klatschen Beifall und schützen die Szene gegen Störung. Sie schüren die Wut der Kämpfenden durch stichelnde Zurufe, damit das Schauspiel recht lange dauere. Wie beim Hahnenkampf ist auch hier das Ende: zerschlagen, voll Schmutz, Beulen und Blut verziehen sich die feindlichen Weiber in entgegengesetzter Richtung, eine der andern Feigheit vorwerfend und zu neuem Kampfe herausfordernd. – Vom Staatsposten her kommen die bekleideten Frauen der Soldaten mit Salz oder Tuchstücken, dem Monatslohn ihrer Männer, oder mit 27 Zentimeter langen Messingstäbchen, mitako genannt, um Speisevorräte dagegen einzukaufen. Das Salz zieht gut; es gilt als Inbegriff von Wohlgeschmack und Kraft. Im Lande findet man nur das aus Schilfgrasasche gewonnene bittere Potassium. Für einen Löffel Salz erhielt man sechs Pfund Fische. Stoffe waren viel weniger geschätzt; für einen sechspfündigen Fisch verlangten die Basoko ein Dothi oder Doppelbraß Stoff, d. i. zweimal die Länge der ausgestreckten Arme. Die Stoffe dienten nur als Tauschartikel, getragen wurden sie nicht: »Kleider trägt nur der, der voller Wunden ist und sie verbergen will«, sagten sie damals.

Mir war der Markt eine Tantalusqual: Fische in Menge und Hunger danach, aber keine Tauschartikel! Ich besaß zwar noch ein paar Franken, aber solche waren im Lande unbekannt und galten nichts. Wie sträubten sich die Naturkinder gegen diese »ungenießbaren Eisenstücke«, als im Jahre 1910 die Frankenwährung eingeführt wurde! Da die Eingeborenen keine Hosentaschen haben und die Franken sich nicht wie die durchlöcherten Fünfcentimesstücke an Bast fädeln ließen, vergruben sie diese Schätze unter großen Bäumen im Walde. Die Weißen zerbrachen sich lange die Köpfe darüber, wohin doch die Franken wanderten, bis man Erfahrenen Glauben schenkte und ihn bestätigt fand.

Schon war es Mittag und noch immer erschienen Verkäufer und Käufer im Feststaat. Männer, hochrot bemalt, Schimpansenfellmützen auf dem Kopfe, die Lanze in der Hand, schritten müßig vor den lasttragenden Frauen her. Auch diese waren rot bestrichen, und in ihrer Nasenscheidewand stak quer eine etwa 25 Zentimeter lange, federhalterdicke steife Stachelschweinborste, im durchlöcherten rechten Nasenflügel ein rundes Elfenbeinplättchen. Der Kopf der Männer und Frauen war kahl rasiert; nur die jungen Leute trugen einen Haarbüschel auf dem Vorderkopf. Das Kraushaar der Greise war mit schwarzem Rindenmehl und Palmöl gepudert und von einem Schutznetz überdeckt.

Nicht der tiefschwarzen Rasse der Sandgegenden gehören unsre Neger an, wie etwa die Nubier, Massai oder Kaffern, sondern sie sind dunkelbronzefarbig, da der ewig grüne Urwald die Wirkung der Sonnenstrahlen mildert. Sie reiben sich nach dem Mittagsbad mit dem schwarzen Palmkernöl aus der kleinen Kalabasse am Gürtel ein, um Schönheit und Gesundheit zu erhalten; die stete Sonnenglut würde sonst Hautentzündung hervorrufen, die Ausschlag und Wunden zur Folge hätte. Dieses Hauptbad nehmen sie nach der Mahlzeit, wo wir einen Schlag befürchten würden. »Das Bad vor dem Essen gäbe zu bösen Hunger.« Man sieht sie danach am Ufer stehen und sich einfetten, wie's die Enten tun. Das ist aber nicht das einzige Bad dieser »schmutzigen« Neger; für gewöhnlich nehmen sie drei: morgens nach dem Aufstehen, mittags und abends vor dem Schlafen, auch nach Tanz und ermüdender Arbeit. Des Badens wegen werden die Dörfer nur an Flüssen oder Bächen angelegt.

O, diese schmutzigen Neger! Woher haben sie denn ihre blendend weißen Zähne? In ihrem Gürtel steckt der Zauberstab, der überall mitgetragen wird: ein Stück Weidenstock, dessen Ende in Fasern zerschnitten ist. Das ist die Zahnbürste. Nach jeder Speiseaufnahme werden die Zähne geputzt. Als gröbste Schimpfrede gilt das Wort: »Du hast die Zähne nicht gewaschen!« Ein Dentist würde bei diesem Volke schlechte Geschäfte machen. Und dennoch gibt es Zahntechniker unter ihnen! Sie müssen der Jugend die Schneidezähne formen, mit einem Meißelchen deren Ecken abschlagen und sie dann keilförmig feilen. Tapfer und schweigend halten die Kinder diese Tortur aus; mit weitgeöffnetem Munde liegen sie auf dem Boden, den Kopf auf den Schenkeln des Zahnkünstlers oder richtiger der Künstlerin, denn Frauen besorgen dieses Geschäft. Der Schönheitssinn verlangt spitze Zähne. Solche sind die letzte, gefährliche Waffe des Wehrlosen. Mancher Mann trägt Bißspuren von seiner verzweifelten Frau an sich und manches Europäers Hand litt empfindlich nach dem Austeilen von Maulschellen, da der Angegriffene instinktiv den Mund mit den gefährlichen Zähnen aufriß.

Keinen Halsschmuck tragen, nennt unser Neger »nackt herumlaufen«. Kaurimuscheln und Perlenkränze sind fremden Ursprungs; Kupfer- und Eisenringe, Kränze aus den Eckzähnen von Hunden, Wildschweinen und Leoparden, fein geputzt, an der Wurzel durchbohrt und an Schnüre gefaßt, gelten als schönster einheimischer Schmuck. Messingdrahtspiralen und kiloschwere Kupferringe glänzen an Füßen und Armen der Würdenträger, Frauen und Mädchen. Auf dem Amboß wurden sie ihnen angeschmiedet; sie erweitern oder abnehmen kann nur der Schmied mittels eines eigens zugerichteten Eisens.

Eine Schnittätowierung mit stark hervortretenden, erbsengroßen Malen in Reihen über Stirn, Nase, Kinn und an der Stelle der Augenbrauen, auf Oberarm, Brust und Rücken zeichnet den Basokostamm aus. Kaum merklich, weil nicht aufgefrischt, sind die wenigen Schnitte der Waldbewohner (Mobango); sie ziehen die Farbentätowierung vor, besonders die schwarzen Doppelstriche vom tiefeinfressenden Saft der Gardenia auf Schläfen, Wangen, Nase, Kinn und Händen.

Diese Mobango, ein wahrhaft schöner Menschenschlag, waren nur spärlich auf dem ersten Markte zu sehen; in ihrem Gebiet wütete damals der Gummikrieg. »Wieviele deiner Leute sind dabei gefallen?« frug ich den Häuptling Alufa. Er scharrte Sand zusammen und warf ihn mit beiden Händen in die Luft: »Das ist die Zahl meiner gefallenen Brüder«, sagte er. »Und wieviel sind dir geblieben?« – »Nur soviel« – hierbei nahm er Sand zwischen seine drei Fingerspitzen und legte ihn mir in die Hand. Es mag das eine Negerübertreibung gewesen sein. Und was war des Krieges Grund? Die Gier der Europäer nach Gummi und Elfenbein. Es galt, den reichsten Gummiwald der Welt, der auch voller Elefanten war, auszubeuten, nicht durch Kauf, sondern durch Raub. Mit Soldaten erschienen die Weißen und erklärten: »Das Land ist unser, denn wir haben es gefunden; der Boden, der Gummi, das Elfenbein ist unser. Ihr habt uns alles abzuliefern.« Dieser Gerechtigkeitsbegriff der schlauen Europäer ging nicht in den »dummen Negerschädel«. Unzählige Menschen starben nun im Zusammenstoß der Rechtsbegriffe. Mit Tauschwaren hätte man Schätze und Freunde gewonnen. Während dieses Krieges wurden die Toten nicht begraben, sondern verzehrt, damit die Tapferkeit und Vaterlandsliebe der Gefallenen auf die Brüder übergehe und in ihnen weiterlebe. Zudem hatten die Männer damals keine Zeit zum Jagen, und beim Mangel anderer Fleischnahrung mußte stets Menschenfleisch den Topf füllen. Diese Küche fiel reich aus; denn die vielen von den Zauberern angepriesenen Mittel gegen Verwundung durch Kugeln blieben erfolglos. –

Die Kähne vom jenseitigen Ufer brachten nur Palmwein auf den Markt; 10–20 Liter haltende runde Töpfe auf Bastkissen, überschäumend, reihten sich auf von Turumbuleuten geruderten Kähnen hintereinander. Der Geschmack dieses Saftes ist verschieden nach der Tageszeit: morgens süßlich wie Wasser mit Honig und Milch; mittags herb wie übergehender Most; abends ist er vergoren und schmeckt wie gewässerter, saurer Apfelwein. Aufbewahren läßt er sich nur, wenn er täglich aufgekocht wird. Zwei Arten Palmwein gibt es. Den einen spendet die Elaeispalme, indem ein Kanälchen den Saft mählich aus ihrem Herzen in den untergehängten Topf leitet; nach 1½ Monaten etwa wird die Öffnung verstopft, damit der Baum sich erhole. Den andern liefert die Raphiapalme: wenn ihre Blüte abgeschlagen wird, entfließt durch den Stengel all ihr Lebenssaft bis zur völligen Verblutung. Der rauschend gärende Palmsaft ist die Hefe fürs Brot; das Mehl dafür muß aus Europa kommen. Es wird ein Feuer auf der Straße angezündet, der Brotteig auf den erhitzten Boden gelegt, ein Lehmtopf darüber gestülpt und mit glühenden Kohlen übertürmt.

Die Turumbu-Wirte wohnen in den Palmenwäldern des jenseitigen Ufers. Sie waren Säufer und wilde Kannibalen. Den Hauptlieferanten der Opfer, der wöchentlich zweimal einen riesenlangen Einbaum voller Sklaven, Frauen und Gefangene als Schlachtopfer auf den Markt brachte, haben wir 1906 der Gerechtigkeit überliefert. Mit verrenkten Fußgelenken wurden die Unglücklichen lebend an Pfähle gebunden, bis an den Kopf im Wasser steckend. Nach vier Tagen war ihr Fleisch weich für die Küche und man schlachtete sie. Lebensnot, verirrte religiöse Ideen, Rechtsspruch und Gaumenlust waren die Gründe des Kannibalismus. Wir haben ihn bekämpft und fast vollständig überwunden durch die christliche Religion und durch Schaffung anderer Nahrungsquellen – Kleinviehzucht aller Art und ausgedehnteste Nährpflanzung, jedoch nur in jahrelanger Geduld; denn die Dörfer sträubten sich, Axt und Feuer an den Urwald zu legen, Feldarbeit zu erlernen, die nur saft- und kraftlose Nahrung erzeugt.

Der Markttag ging zu Ende. Viele Menschen waren heute vor meinen Augen vorbeigezogen. Und was für Menschen! Das sollten meine Pfarrkinder werden! Proficiat! Doch ich werde das Kreuz unter ihnen aufpflanzen. Es wird Erlösung bringen. Ich werde den Gekreuzigten mit seiner grenzenlosen Liebe predigen. In ihm werde ich siegen.


 << zurück weiter >>