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Zwölftes Kapitel.
Urwaldmarsch.

Morgen früh, liebe Kinder, muß ich nach Mokaria weiterziehen.«

Wie sie da zusammenfuhren!

»Nein, das ist eine Lüge von dir! Du bleibst bei uns!«

»Seit mehr als einem Monat bin ich hier und habe viel vom lieben Gott erzählt. Ihr habt euch entschlossen, seinen Weg zu wandeln. In Mokaria habe ich vor drei Monaten die Arbeit Gottes begonnen; ich muß sehen, ob die Jugend dort richtig betet und lernt. Bei euch lasse ich meinen besten Knaben zurück; er wird euch weiterhin sagen, was Gott von euch will, er wird euch beten und singen lehren.«

»Vater, nein! Wozu hast du denn dein Häuschen gebaut? Jetzt ist es fertig, und du sagst, du wollest fort? Flieht ein Vater so seine Kinder? Soll unsre Seele nicht durch das Wasser Gottes rein werden, daß Gott sie ansehe und spreche: ›Mein Herz empfindet Freude über die Wandangukinder, sie sind schön und gut‹?«

»Knaben! die schwarzen Mütter haben noch viele Kinder; sie alle möchten Gott kennen lernen. Bald kehre ich darum zurück. Unterdessen soll euer Lehrer in meinem Häuschen wohnen, bis ihr ihm ein eigenes gemacht habt, dort, wo ihr die Kirche errichten werdet, nach dem Maße, wie ich die Stöcke in den Boden geschlagen habe. Schön und groß soll dieses Haus werden; denn Gott ist ein großer Herr, und seine Kinder sollen zahlreich werden.«

Diesen oder jenen hörte ich andern zuflüstern: »Wir wollen nicht, daß er gehe.« – »Wir werden ihn bitten zu bleiben.« – »Wir versperren ihm den Weg.« – »Brüder, wir fangen ihm eine Antilope im Walde, dann muß er bleiben, sie zu essen.« – »Nein, eine Antilope ist zu klein, ein Wildschwein hat viel mehr Fleisch; bis er das gegessen hat, geht's lang.«

»Karambola Leo!« Der Gerufene gab Antwort: »Pater!« und war flugs an meiner Seite.

»Hier sind deine Schüler, Leo, die du unterweisen sollst. Lohn kann ich dir nicht viel versprechen; ich weiß nicht, was die Wohltäter aus Europa senden werden. Aber die Knaben werden mit dir ihre Jagdbeute teilen. Ich sage dir, für Gott sollst du arbeiten, für ihn diese Knaben zu guten Menschen und Christen heranbilden, so daß Gott an ihnen Wohlgefallen finde. Das ist die schönste Arbeit, die es gibt. Großen Lohn gibt dir einst Gott dafür, wenn du sein Herz durch gute Arbeit und gut unterrichtete und brave Kinder erfreust.«

»Ich danke dir, Pater, für dein Vertrauen; deine Seele soll jubeln, wenn du wiederkehrst.«

»Gebt ihm die Hand, Knaben; Vater sollt ihr ihn nennen, denn er wird euch zu Gotteskindern umbilden.«

Ihre Augen glänzten naß ob der nahen Trennung. – Wie schnell ist doch ein Negerherz erobert! Es fühlt, wer sein Wohl sucht! – Sie traten heran, dem künftigen Lehrer die Hand zu reichen, recht innig. Dann aber zogen sich viele still zurück, die sonst abends auf dem Platze fröhlich gesungen und getanzt hatten. Andere setzten sich schweigend in den nahen Sand, mich nicht aus den Augen lassend, als wollten sie sich mein Bild recht tief einprägen. Auch mich überkam das wehmütige Gefühl, das mich jedesmal ergriff, wenn ich von einer mir liebgewordenen Katechumenen- oder Neophytenschar scheiden mußte.

Meine Begleiter freuten sich und schwatzten munter über den morgigen Tag, der sie in ein großes Zentrum bringen sollte. Was wird es da zu sehen und zu essen geben! Sie wickelten sich einige Speisereste in Mangongoblätter, weil die Alten gesagt hatten, der Weg sei weit und voll Wasser; auch den stärksten Mann mache er klein.

Als wir uns zur Ruhe zurückgezogen hatten, huben wilde Tänze an, und teuflisches Geheul der Alten erfüllte die Luft; der Boden dröhnte und die Waffen klirrten. Die Vorsänger, besser Vorheuler, ganz heiser vom Palmweintrinken, stießen Verse in die Nacht hinaus, die ich nicht verstand; aber der Kehrvers des Chores besagte genug: »Er geht wieder fort; sein Gott ist gestorben!« So wohl eine Stunde lang; und dann: »Sein Haus wird verbrannt, die Kinder gezüchtigt!« und dergleichen mehr bis nach Mitternacht. – Ich wußte genug. Der Abschiedsunterricht in der Frühe war danach einzurichten.

»Habt ihr den Gesang gehört? Ha, die Bolosi können es nicht ertragen, daß ihr Gottes Wege einschlagen wollt. Deshalb haben sie den Sinn der Alten gegen euch gekehrt. Ihr werdet zeigen müssen, ob ihr Willenskraft besitzet. Kinder, wer in das Dorf der Wandangu gehen will, dem tritt der Wald mit vielen Hindernissen entgegen: Wurzeln und gefallene Bäume, Sümpfe, Lianen und Dornen hemmen seinen Fuß; Leoparden, Schlangen und andere böse Tiere bedrohen sein Leben. Doch hat er den Wald hinter sich und betritt er euer Dorf, dann jubelt ihr ihm entgegen und ruft: ›Kein Schwächling ist das, das ist ein Mann! Er hat den Wald besiegt!‹ Werdet ihr stark sein, die Hindernisse zu besiegen, die euch von Gott abhalten wollen?«

Und nun erzählte ich ihnen die Geschichte von dem Heldenknaben Vitus, der lieber alle Qualen erduldete, als seinem Gott untreu zu werden, und als Märtyrer starb.

»Das war kein Kind, das war ein Mann; der hatte nur eine Seele, nicht zwei!« riefen die Kinder. »Wenn die Alten uns schlagen und uns quälen, dann machen wir's wie Vitus. Auch von uns wird keiner entsagen.« –

»Betet, Kinder: Gott, der starke Geist, soll euch von seiner Stärke geben für die Stunde, wo sie euch not tut.« – Ich segnete sie.

Der Tragaltar ward abgeschlagen und alles verpackt. Bald hingen die Kisten an Tragstangen, die auf den Schultern von je zwei Trägern ruhten. Die Karawane setzte sich in Bewegung: an der Spitze die sechs Wegöffner mit Haumessern, dann die Kistenträger, mein Bursche und schließlich ich. Ich ging gewöhnlich am Ende, wollte die Leute vor mir sehen, damit sie sich nicht zerstreuten und ich am Ziele alle meine Habe gleich zur Hand hatte; auch zum Schutze meiner Leute gegen die Leoparden; diese wagen sich nämlich kaum an Europäer, sonst aber überfallen sie immer den letzten Mann der Karawane, nur Frauen holen sie aus der Mitte des Zuges. Die Dorfjugend begleitete uns ein Stück weit.

Schon hat wieder der Wechselgesang eingesetzt. Sie rufen Grüße zurück den Wandangu: den Männern, Kindern, den Hunden, den Hühnern, den Bäumen, den Straßen, den Hütten, den Töpfen, der Nahrung, dem Feuer usw. Dann wird die Baumtrommel angerufen, der Wald, die Tiere, die Vögel, die Wolken, die Winde, die Sonne: alles soll durch die Luft den Leuten von Mokaria verkünden, daß der Gottesarzt aufgebrochen ist und zu ihnen kommt, um ihre Seelen zu gesunden. »Putzt euer Dorf, reinigt die Hütten, kommt aus dem Walde, kehrt von der Jagd zurück, sammelt die Kinder, sucht auch Wasser und Nahrung für ihn und uns alle! Hörst du's, Matundulu, du Herr von Mokaria? Und du, unser Bruder Emilio Bula, Katechist seiner Kinder? Dein Vater kommt und wir, deine Brüder, mit ihm!«

Unser Zug ist nach kurzer Zeit am Ende der Dorfstraße angelangt, vor der 80 Meter hohen grünen Wand des Urwaldes. Traurig und schweigsam war die Jugend beiderseits neben uns hergegangen. »Du willst wirklich fort?« fragte es jetzt aus ihrer Mitte, als wir in den Wald einzutreten uns anschickten. Der schmale Waldpfad entzieht uns bald dem blendenden Lichte des Tages. Das Halbdunkel, die kühle und feuchte Luft des Waldes umfängt uns. Im Gänsemarsch folgten aber noch wohl vierhundert Wandangukinder, solange der Pfad es zuließ. Dann aber wandte ich mich zu ihnen und mahnte: »Kehrt um, der Wald ist tief, der Weg wird schlecht.« Jedes Kind trat zu mir vor, um mir die Hand zu drücken, und wand sich zwischen den nachfolgenden Brüdern und den Schlingpflanzenwänden zum Rückweg durch.

»Behüt' euch Gott, gute Kinder!« –

»Reise glücklich, Vater, kehre bald wieder!« hörte ich noch lange durch den Urwald mir nachrufen aus immer weiterer Ferne.

Den Rosenkranz zu beten, solange der Pfad es gestattet, ist Reisegewohnheit.

»Wir beten auch mit«, sagten die Träger, und zogen den ihrigen vom Hals, wo sie ihn gewöhnlich tragen, um ihren Glauben zu bekennen und weil sie keine Taschen haben.

»Wir können keinen Rosenkranz in der Hand halten«, riefen die Pfadöffner; »?zählt ihr für uns, wir sprechen mit.«

So laß dich von uns grüßen, du unbefleckte Jungfrau und Mutter Maria, voller Gnade und Geheimnisse, droben im unerreichbaren Lichte des Himmels; grüßen von uns kleinen Menschenkindern, die da seufzen in des wirren Urwalds Tiefe. Hilf uns empor aus Dunkelheit, Sumpf und Gefahren, hinauf zu Christus, dem beglückenden Licht. Du Gebenedeite unter den Weibern! Sei du der einzige Weg zu Jesus diesem Volke, das so tief gesunken ist, weil es die Würde der Mutter und Frau verkannt hat!

Höre, wie die Erstlinge des Landes dich bitten für ihre Brüder, daß sie recht bald erkennen möchten Jesum, der auch für sie geboren wurde, lehrte, litt und starb! Trägerin des allmächtigen und allweisen Wortes, hilf mir es zu diesem Volke tragen, daß ihm Erlösung werde und Licht und Ordnung und Glück!

O du Mutter-Königin der Kirche auf Erden und in der Himmelshöhe! Aus allen Völkern und Sprachen und Farben muß ein einziges Gottesreich erstehen, einig im Glauben und rein in den Sitten!

Viele Seelen in der fernen Heimat beten mit uns. Einen Bund haben sie mit uns geschlossen, dieses Volk durch Opfer und Gebet dem Herrn zu erobern. Ich habe so oft ihre Mitwirkung gefühlt, soeben noch in Wandangu; denn was hatte ich getan, daß diese Jugend mich so aufnahm und sich so bereitwillig dem Heiland in die Arme warf? Eine Gnade hat sie getrieben, und betende Seelen in der Heimat haben diese erfleht. Sie sind unsichtbare Apostel durch den alles belebenden, befruchtenden Geist des Gebets. Herr, erwecke in deiner Kirche noch mehr betende Seelen! –

Meine Leute stehen still; sie horchen und winken: »Ruhig!« In weiter Ferne vor uns hört man ein gewaltiges und ausgedehntes Krachen des Waldes. Das sind die Elefanten! Ein großes Rudel muß auf der Wanderung sein. In welcher Richtung ziehen sie? Das müssen wir wissen. Nach einer Weile beginnen die Meinen ein Geheul, hoch- und tieftönig und abwechselnd durcheinander, damit die Tiere meinen, wir seien unsrer hundert. Da gibt es Ruhe bei ihnen. Nun heulen meine Buben wieder. Und jetzt hören wir ein verdoppeltes Krachen und gewahren, daß sich der Zug wohl von unsrem Pfade verziehe. »Vorwärts, doch behutsam, im Wechsel heulend und horchend!« Zwei meiner Burschen, die vorausgeeilt waren, kamen zurück: »Wir haben sie gesehen, viele, viele, Männchen und Weibchen, junge und alte; sie haben unsern Pfad durchquert und machen sich eine Straße linker Hand weiter in den Wald hinein.«

»Warum habt ihr keinem den Schwanz ausgerissen, um uns zu beweisen, daß ihr sie gesehen? Wir könnten die Schwänze gebrauchen, um die bissigen Fliegen zu verjagen.« –

Wir waren bald an dem 2 Meter breiten frischen Elefantenweg – ein Bild der Verwüstung. Kein Dickicht scheut dieser Koloß! Seine beweglichen Stoßzähne verteilen das Lianengewirr; sein Rüssel zerbricht Bäume bis zu 30 Zentimeter Dicke; seine Säulenfüße treten das Gebüsch nieder. Er durchwatet Sümpfe, durchschwimmt Flüsse. Jedes Lebewesen, das sich ihm entgegenstellt, wird zerstampft.

»Siehst du, Pater, diese breiten Fußspuren, die unsre Arme nicht einmal umfassen können, kommen von den Weibchen, jene fast nur halb so großen von den Männchen. Es müssen mehr als dreimal zwanzig Tiere gewesen sein. Vorwärts, Brüder, vielleicht kommen noch andere nach. Wenn sie uns hier auf ihrem Wege treffen, ergreifen sie uns mit dem Rüssel, werfen uns in die Luft, fangen uns mit den Stoßzähnen auf, lassen uns auf den Boden gleiten und stampfen uns dann zu Brei. Mokaria aber und unsre Heimat sehen wir nie wieder.«

Es gibt Afrikadurchquerer, die wieder heimfahren, ohne auch nur ein Großtier gesehen zu haben, und sie zweifeln sogar an ihrem Vorhandensein. Woher stammen aber denn die Schiffsladungen von Elfenbein, 400 und mehr Tonnen im Jahre, Zähne mit 90, 100 und mehr Kilogramm Gewicht, die in Matadi verladen werden? (Der afrikanische Elefant hat größere Stoßzähne als der indische.) Soll der Elefant sich ihnen etwa auf den Verkehrsstraßen stellen? Auch wer seine Reisezeit abseits der großen Verkehrsstraßen wegen der Leopardengefahr, der Morgenfeuchtigkeit, und um Kühlung im Walde zu genießen, klugerweise zwischen 9 Uhr morgens und 5 Uhr abends wählt, wird selten ein Großtier zu Gesicht bekommen, da sie am hellen Tage zu ruhen pflegen. Aber die Schwarzen lernen die Elefanten zur Genüge kennen. So konnten beispielsweise die Unsrigen oft drei Jahre lang keine Maniokernte einheimsen, weil Elefanten ihnen alles aus dem Boden wühlten und verzehrten. Im Gebiet des Leopoldsees ist eine Art von Zwergelefanten entdeckt worden, die gefährlich sind und angreifen.

Bei meiner vorigen Mokariareise war ich auf einen in die Falle geratenen und verendeten Elefanten gestoßen; der Weg war weithin ein Blutsee. Ich meldete das Ereignis den Leuten; sie kamen mit Äxten, das Fleisch zu zerhacken und in ihren Körben heimzutragen. Auf dem Elefantenweg war unter Sand und Blättern ein Brett versteckt gewesen. Zwei Lianen gingen vom Brett aus ins Laubwerk eines Baumes hinauf. Dort hing eine scharfe Lanze, oberhalb der Spitze durch einen Holzpflock beschwert. Der Elefant trat auf das Brett, die Lanze löste sich und fiel dem Tiere wuchtig ins Genick.

Die meisten Jäger machen es anders. Wenn das Tier abends am Äsen ist, schleichen sie an dasselbe heran, und wie es nun seinen Fuß vorsetzt, werfen sie ihm die Lanze in die Leber oder durchschneiden ihm mit einem raschen Hieb die Achillessehne des Hinterbeines. Schwer verletzt, tobt der Waldriese da in ohnmächtiger Wut und verblutet sich langsam. Der Jäger hat sich rechtzeitig der Gefahr entzogen: er ist eilends in sein Waldlager zurückgekehrt. Der schwer verletzte Elefant schleppt sich weiter, bis er sich bei Eintritt der Dunkelheit niederlegt. Am Morgen folgt der Jäger der Blutspur und findet das Tier verendet, oder er kann ihm den Gnadenstoß geben.

Die mutigsten Elefantenjäger aber schleichen sich katzengewandt zwischen den Hinterbeinen des Riesen hindurch an die Brustgegend vor, stoßen ihm Messer oder Lanze ins Herz und tun dann einen geschickten Seitensprung. Der Elefant fällt; der Boden dröhnt unter seinem Fall. Ähnlich habe ich selber es in Bomane gesehen. Als ich da am Ufer des Lohali unterrichtete, durchschwamm ein Elefant den Fluß. »Fleisch ist im Wasser! Brüder, in die Kähne!« riefen alle. Aber der Elefant schlug mit dem Rüssel um sich, spritzte Wasser aus und warf verschiedene Kähne um. Da schwamm ein mutiger Knabe dem Tiere zwischen den Hinterfüßen durch an die Brust vor, schwang sich auf den rechten Stoßzahn und hieb aus aller Kraft mit seinem Messer den Rüssel ab. Dann banden sie dem Koloß Lianen um den Hals und zogen ihn dem Lande zu; andere ritten auf dem mächtigen Rücken sitzend zurück. Sobald der Elefant Boden faßte, rannten sie ihm die Lanzen ins Herz. –

Die Elefanten sollen ihre Friedhöfe haben. Schon öfters stieß man beim Durchqueren des Urwalds auf Lager von Hunderten von Elefantenskeletten und -zähnen. Man schloß daraus, die kranken oder verwundeten Elefanten zögen sich an die gleiche Stelle zurück, oder die Toten würden von den Überlebenden dorthin geschleppt. Das so gefundene »tote Elfenbein« ist glanzlos und minderwertig.–

Meine Begleiter rennen oder traben oft, und ich muß ihnen nachmachen. Durch schnellstes Tempo sucht man der Ameisenplage zu entkommen. Es regnet rote Ameisen von den Bäumen, und ihr beißender Saft verursacht Entzündungen und Beulen. Andere, kleine, schwarze, klammern sich fest in die Haut hinein. Oft 100 Meter weit wimmelt es auf dem Pfade von solchen Tierchen.

Unser P. Kohl, Spezialist auf dem Gebiet der Ameisenforschung, hat in der Umgebung seiner Missionsstation an den Stanleyfällen allein hundertachtzig verschiedene Arten bzw. Rassen oder Varietäten von Ameisen, darunter nahezu achtzig bislang unbekannte, entdeckt, während in ganz Deutschland nur vierundsechzig verschiedene Arten leben.

Von den Menschen sowohl wie von den Tieren besonders gefürchtet sind die Wander- oder Treiberameisen (Arten der Anommagattung). Biologisch zeichnen sie sich von den übrigen Ameisen dadurch aus, daß sie nur temporäre Nester besitzen, da sie als unstäte Räuberhorden umherziehen und sowohl über als unter der Erde eine rastlose Treibjagd auf alles freßbare Getier veranstalten. Dadurch greifen sie als Insektenvertilger tief ein in die gesamte Ordnung der sie umgebenden Natur. Sie spielen eine wahre Großmachtrolle im Kampf ums Dasein, und was von diesen blutdürstigen Tyrannen der Insektenwelt nicht verzehrt werden will, muß sich zeitig aus dem Staube machen. Auch große Tiere, selbst der Mensch wird von ihnen nicht verschont. In einer Nacht sind sie einst in unsern Schafstall gezogen und haben in zwanzig Minuten neun große Schafe aufgefressen; nur die stärksten Knochen blieben liegen. Wenn sie den Schläfer im Bette überfallen, dann rettet ihn nur der Sprung in einen Kübel Wasser; darin muß er stehen bleiben, bis die Menschenfresser abgezogen sind. In endlosen Marschkolonnen ziehen diese Plagegeister umher; ich sah Züge von 40–50 Zentimeter Breite, die, obgleich in raschem Tempo wandernd, volle drei Tage zum Vorübergehen gebrauchten. Um die Speisen gegen die räuberischen Ameisen zu schützen, muß man die Füße von Tischen und Speiseschränken in Teller oder Büchsen mit Wasser stellen.

Zahlreiche Gäste begleiten die Treiberameisen und leben von ihrer Beute, ja werden selbst aus ihrem Munde gefüttert. Verschiedene derselben suchen sich in ihrer äußeren Gestalt der ihrer Gastgeber anzupassen, z. B. durch Abstreifen der Flügel. Der genannte P. Kohl hat weit über hundert Ameisengäste entdeckt und ihr Leben in Kunstnestern, die er auf seinem Zimmer unterbrachte, studiert.

Die Ameisen sind nicht wie die Bienen und Wespen an ein starres Baugesetz gebunden. Die ursprüngliche Bauart wird je nach den Umständen von ihnen modifiziert. Nirgends im Tierreich ist eine größere Mannigfaltigkeit der Nestformen zu finden als gerade in der Ameisenwelt, ganz besonders der afrikanischen. Die einen bauen Erdnester, andere zarte, winzig kleine sog. Kartonnestchen, die an Blätter angebracht werden und welche die Tierchen aus vegetabilischen, durch Drüsensekret verklebten Teilchen herstellen. Wieder andere bauen größere und härtere Karton- oder Erdnester auf hohen Bäumen. Die Oecophyllaameisen bereiten sogar ihre Nester mit lebenden Werkzeugen, indem sie ihre eigenen Larven als Webeschiffchen zur Herstellung von Nestern aus Gespinst benutzen. Sehr viele Arten finden wir in hohlen Baumstämmen oder auch in teils abgestorbenen teils lebenden Zweigen, in deren Holz sie Gänge und Säle ausbohrten, um darin zu wohnen. Solche Bäume und Sträucher bezeichnen wir mit dem Namen »Ameisenpflanzen«.

Nicht zu verwechseln mit den Ameisen sind die Termiten, die man auch weiße Ameisen nennt, weil sie wie jene ein soziales gemeinschaftliches Leben führen. Diese Bezeichnung ist jedoch nicht genau, sie haben mit den Ameisen keine verwandtschaftliche Beziehung. –

»Viel Wasser auf dem Weg«, hatten sie in Wandangu gesagt. Von 9 Uhr ab wateten wir im Sumpfe. Wie könnte es auch anders sein! Wir wandern ja in der Niederung des Kongostroms in acht Stunden Entfernung parallel mit ihm. Alle sieben Jahre kehrt eine große und alle zweiundvierzig Jahre eine sündflutartige Überschwemmung wieder; letztere habe ich 1908 mitgemacht: alle Dörfer waren unter Wasser. Die Leute lebten während dieser Zeit auf Termitenhügeln oder in Kähnen oder in Baumwohnungen. Über die Äste der Bäume hatten sie Pfähle gelegt und darüber aus Stöcken und Blättern Hütten hergerichtet. An Lianenleitern stiegen sie in die Kanus nieder.

Im Morast steht das Unterholz spärlicher, der Blick kann weiter dringen. Wir sehen Spottaffen springen. Metallisch schimmernde Glanzstare auf den Zweigen singen, einer den andern ablösend, ihr bescheidenes Liedchen, bestehend aus nur drei Tönen – fwi, fwe, fwu. Aufgescheucht flieht in langsam hüpfendem Flug von Ast zu Ast das prächtige Männchen des Widafinken mit seinen langen wallenden Schwanzfedern, begleitet von einer ganzen Schar Angehörigen des zarten Geschlechts. In der Ferne hört man den starken, weithin hallenden Ruf der schwerfälligen Nashorn- und Kuukokovögel, deren Schnabel gar wunderlich aussieht: drei oder vier Schnäbel übereinander möchte man meinen; doch sind die oberen nur leere Resonanzkapseln gleichen Gebildes wie der eigentliche Schnabel.

Beim Waten berühren mitunter unsre Füße Sumpffische und Molche. Wer von der Karawane freie Hand hat, greift zu; denn diese 30 Zentimeter langen Sumpffische schmecken wie Forellen. Tagelang wühlen die Waldbewohner nach ihnen und fördern Tausende ans Licht. Gegen einen Löffel Salz treten sie hundert ab.

Auf dem schwarzen Sumpf schwimmen kerzengleich lilienweiße Seerosen. Was aber soll ich sagen von der wechselreichsten Fülle jener Wunderkinder der Flora, die wir Orchideen nennen? In allen erdenkbaren Formen von Blättern und Blüten tauchen sie aus Wasser und Sumpf auf, stehen auf absterbenden Knorren und Bäumen, ja selbst aus dem hohen Geäst lugen sie hervor und setzen uns in Staunen und Bewunderung.

Nach dreistündigem Marsche durch Morast und Elefantenkot betreten wir ansteigenden, trockenen Boden. »O wie schön sind die Füße jener, die das Evangelium verkünden«, pflegt beim Auszug der Missionare gesungen zu werden. Ja, kommt, sie zu bewundern nach solch einem Marsch, wenn sich kein Wasser findet zur Reinigung. Ich sehe aus wie die Neger, und sie wie ich! Wir schaben uns mit Messern den Kot von Füßen und Leib.

Und dann weiter vorwärts, die Höhe hinan. Das ist ein Eiland im Sumpf, baumbewachsen, aber ohne Unterholz, ohne Grün auf dem Boden, ohne die Lianengehänge von den Baumkronen herab; buntfarbig, lichtdurchflossen. Ich meine in einen mächtigen Dom einzuziehen, in dessen Glasfenster die Sonnenstrahlen spielen. Riesige Baumstämme bilden seine Säulen; sie zu umfangen, müssen sechs Mann sich zur Kette die Hände reichen. Auf dem Boden wimmelt es von Lebewesen; auch Schmetterlinge flattern bunt durcheinander in vielen Arten. Meine Kisten dienen als Sitze. Der Mittagsimbiß soll beginnen. Doch was ist das? »Au, au« schreit hier einer, dort ein anderer. Ein Bienenschwarm hatte die Speisen gewittert. Mir krabbeln ein paar an den Hosenröhren hinauf, außen und innen; bald bin ich überall zerstochen, an Füßen, Händen, Hals und Gesicht, und herrsche den Burschen an, das Moskitonetz über mich auszuspannen und den Knaben Feuerzeug zu geben, damit wir durch Rauch die Bienen vertreiben. Die Stichstellen werden mit Ammoniak betupft. Dann setze ich mich auf eine Kiste mit dem Moskitonetz über mir und lasse mir vortrefflich schmecken, was der Bursche gestern abend für den heutigen Marschtag bereitet hat.

Also Honig gibt es in der Gegend; morgen werden wir wilden Honig essen. Hoch oben in hohlen Bäumen wohnen die Stöcke. Die Schwarzen betäuben die Bienen nachts durch dichten Rauch, hauen die Stöcke mit den Äxten heraus und lassen sie zur Erde fallen. Dann legen sie sie unzerteilt in siedendes Wasser und stampfen die Masse, bis der Honig oben aufschwimmt.

Über dieses Eiland inmitten des Sumpfes berichtet mir mein Salo, aus Yamonongeri gebürtig: »Hier ist unser Marktplatz; wir Yamonongeri treffen hier zusammen mit den Yahila und den Yadegere. Wir Wasserleute bringen Rauchfisch, Palmöl und Palmwein; die Waldleute Elefantenfleisch, Antilopen und Raupen.«

»Da möchten wir sehen, wie die von den Bienen zerstochen werden, wenn sie so viel Eßwaren auf den Platz bringen!«

»Meint ihr, wir seien dümmer als ihr und als diese Tiere? Die Leute bringen rauchende Holzscheite mit und machen große Feuer. Seht ihr denn die Feuerstellen nicht? Ja, die Bienenschwärme versuchen sich in großer Zahl niederzulassen, aber Rauch und Feuer verjagen die einen, die andern fallen betäubt und taumelnd auf den Boden. Zweimal wöchentlich ist Markt. O wenn es heute wäre! Noch ist's nicht zu spät. Morgens beim ersten Hahnenschrei brechen sie auf, kommen aber erst nach Mittag hier an. Wie würde mein Bauch lachen, wenn heute meine Brüder kämen!«

Und sie kamen. Bald hörten wir die jauchzende Menge, sahen sie in endlosem Gänsemarsch aus dem Sumpf auftauchen. Voran die Männer mit Lanzen, sonst aber leeren Händen. Ihnen folgten die Weiber mit rauchenden Holzscheiten und einer am Rindenstirnband getragenen, fast unmenschlichen Last auf dem Rücken. Mit erlösendem Freudenschrei ließen sie sich samt ihrer Bürde auf den Boden fallen und schabten den Waldkot von den Füßen. Salo war seinen Brüdern bis an den Sumpf entgegengelaufen und ließ sich von jedem überreich beschenken. Auch seine »Mutter« hatte er gefunden, d. h. einen Bruder seiner verstorbenen Mutter, der ihm überglücklich seine Habe überließ und noch mehr für ihn zusammenbettelte. Die Bruderliebe dieser Heiden ist ohnegleichen! Der Nichtbruder aber geht leer aus. Salo war den Meinigen Bruder geworden durch den Glauben, und er bewies es ihnen, indem er ihnen so lange zusteckte, bis alle für mehr als zwei Tage zu essen hatten. Auch die Yahila und Yadegere waren indessen eingetroffen. Von ihnen erhielt Salo allerdings nichts; aber er war schlau und wartete, bis seine Brüder den Austausch gemacht hatten, und so bekam er auch Fleisch und Raupen, eine Lieblingsspeise der Neger.

Aus Leibeskräften ward geschrien und gebrüllt bei diesem Waldmarkt, und der Wald brüllte mit. Dazwischen die Rufe der elfenbeinernen Sprachrohre, die alles übertönen. Ein Tanz hob an mit dem üblichen Gesang. Der Geruch der geräucherten und faulenden Waren und der überaus scharfe Geruch der schweißtriefenden Neger erfüllte die Luft. Ich schrie den Meinigen in die Ohren, es sei hier zum Verrücktwerden, sie hätten längst Nahrung genug. Das tolle Treiben war zu sehr nach Negergeschmack, als daß sie auf mich gehört hätten. Mit einem Gestus der Entrüstung verließ ich die Stätte und schritt die Anhöhe hinab. Bald stand ich am Sumpf und mußte warten. Meine Leute kamen nachgetrollt, mit Lebensmitteln überladen, und fingen an, in Versen Salos Lob und des Glaubens Nutzen zu singen, der aus ehedem fremden Menschen Brüder mache, wodurch ihnen Hilfe und Nahrung zuteil werde.

Wir waten wieder im Morast von unterschiedlicher Tiefe. Ein Pfadfinder stößt an einen verdeckt liegenden Stamm und fällt. Ein Träger verstrickt seinen Fuß in den Wurzeln, fällt auch und zieht Kiste und Mitträger nach: Vollschlammbäder! O wie drückend wirkt der Sumpf aufs Gemüt! Die Freude weicht, das Lied verstummt, das Gedankenlicht schwindet; man keucht und seufzt unter des Lebens Last.

Nun verdunkelt sich auch noch das spärliche Tageslicht. Der Wind bewegt die Kronen der Bäume. Der Sturm setzt ein. Fern rollt der Donner. Rasch läßt er sich näher hören. Flammenruten durchzucken die Luft. Tosend und dröhnend durchhallt es den Wald. Jetzt steht er wie in Flammen durch die unausgesetzt ihn durchzuckenden Blitze. Krach folgt auf Krach mit einer Wucht, als müsse die Erde bersten. Nun rauschen und strömen Bäche aus den Himmelsschleusen über die Baumkronen herab, als wolle der Himmel die Erde ersäufen und alles Lebende vernichten. Wir arme, kleine Menschenkinder im Urwald! Wasser von oben, Wasser von unten, so waten wir langsam, schutzlos dahin. Doch die Wetter ziehen schnell. Nach zwanzig Minuten schon wird es wieder heller. Die Sonne spendet den nassen Bäumen Silberglanz. Die Natur lebt auf, die Vögel beginnen zu singen, die Affen zu springen. Auch wir werden munter; doch wir sind naß und zittern vor Kälte. Schleunigst die Beine bewegt, daß wir dem gewachsenen Sumpf entkommen!

Aus der Richtung, in der wir wandern, tönen uns bald Stimmen entgegen; wir lauschen. Den Kehrvers verstehen wir bald: »Den Pater Joseph holen wir ab; er kommt durch den Wald.«

Unbeschreiblicher Jubel entquillt jeder Brust, und jeder Mund ruft jauchzend einen Gruß. Jetzt haben sie uns erreicht. Händedrücken, freudige Worte in unversiegbarem Fluß.

»Dort unten am Ende des Sumpfes wartet unser Baba mit dem ganzen Dorfe. Wir sind vorausgeeilt, dich zuerst zu sehen; denn unsre Seele dürstete nach dir schon viele Tage. Jetzt aber haben wir dich. Freude erwärmt uns das Herz und gibt uns neue Kraft. – Ein Haus haben wir dir gebaut aus Erde, schön und groß, damit du lange bei uns wohnest und uns von Gott erzählest und wir des Glaubens Kinder werden.«

Wo der Fuß wieder trockenen Boden faßte, stand Emilio Bula, der Katechist, mit Töpfen voll Wasser, und half zur gröbsten Reinigung. Mein Bursche sorgte mir für reine Kleider und einen blendend weißen Talar, was alles in der blechernen Kleiderkiste unter schützendem Deckel geborgen lag.

Wieder ein Mensch geworden, trat ich vor die auf dem Pfad harrende Menge von Männern, Knaben, Frauen und Mädchen. Herzlich drückten mir alle die Hände und fanden nicht genug Worte und Vergleiche, dem Gefühl Ausdruck zu geben. Unter endlosem Jubel, Freudengesang, Gonggetrommel führten sie mich ins Dorf, in die geräumige Kirche und ins neue saubere Häuschen. Auch Matundulu, der Häuptling, erschien mit seinen Notabeln im Festschmuck, begrüßte mich und brachte Geschenke, die ich ihm selbstredend, um nicht kleiner und kleinlicher zu erscheinen, mit viel Tabak und Salz heimzahlen mußte.

»Meine Kinder sind deine Kinder, du sollst sie lehren. Ich habe erkannt, daß deine Lehre gut und weise ist. Doch eines verlange ich – dann nur sind wir Brüder: wenn ich am Tage, den ihr Tag des Herrn nennt, Arbeit befehle, haben auch die Leute Gottes anzutreten und zu arbeiten, denn ich bin der Herr; und was die Mädchen angeht, so sollen sie nur in den Unterricht, bis sie mir an die Lenden reichen, dann muß ich sie als Frauen verkaufen; ich bin ihr Herr!«


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