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Die aufgehende Sonne sandte mir ihre leuchtenden Strahlen auf den Altar der saubern Pfahlkirche. Dieser Altar bestand aus platt gehauenen Baumstämmen, die über vier Pfählen gelagert waren. Ein Stamm auf zwei Pfählen bildete die Kommunionbank. An diese nun traten der Katechist, seine Frau und ein paar meiner Begleiter andächtig heran und die übrigen fragten sich verwundert: »Was ist das?« –
Während meines Unterrichts erschien die schwarze Majestät Matundulu mit dem Hofstaat und gab mir Zeichen, daß sie mit Ungeduld warte. Eine wichtige Angelegenheit mußte es sein, die Matundulu schon so früh zum Verlassen seines Harems bestimmt hatte. Im eigenen Interesse durfte ich ihn nicht lange warten lassen, da er dies als Verachtung angesehen hätte und wieder abgezogen wäre.
Ich hielt also nur kurze Belehrung und entließ das Volk – es ging aber selbstredend niemand heim. Mein Bursche brachte mir auf meinen Pfiff einen Sitz und einen echten, starken Kongokaffee ohne Milch und Zucker, die Lebensgeister zu wecken. Dann ließ ich mich mitten auf dem weiten Sandplatz nieder, in dessen Hintergrund die Kirche stand; auf der einen Seite davon mein Häuschen, auf der andern das des Katechisten. Das Ganze inmitten einer jungen Bananen- und Reispflanzung, der ersten im Gebiet des Stammes. Als ich Platz genommen hatte, ließ Matundulu seine Matte auf dem Boden ausbreiten und dahinter seinen Herrscherstuhl stellen, ein ganz eigenartiges Möbel. Lange durchwandert man den Wald, bis der dafür passende Baum gefunden ist. Drei Äste müssen dem gleichen Stamme in verschiedener Richtung entsprossen sein und etwa Armdicke besitzen. Vom Knotenpunkt aus wird am Stamme und an den Ästen die Länge einer Elle abgemessen und so abgehauen. Dieses Gestell wird mit den Aststrunken nach unten auf den Boden gesetzt; diese dienen als Füße und zugleich als Armstützen, während der Stammstrunk die Rücklehne bildet. Der Mann selbst sitzt auf dem Boden und zieht den Stuhl von hinten an sich heran.
Nun sitzt Matundulu auch. Sein schwarzes Volk umsteht uns beide im Kreis. Ich muß ihm den Tabak in die Hand geben. In kluger Vorsicht wickelt er fast allen in ein Blatt, um ihn für sich zu sichern, und nur wenig stopft er in die Pfeife. Die glühende Kohle wird gebracht, der offizielle endlose Zug getan und die Pfeife weitergereicht. Die Sitzung hat begonnen.
»Weißer«, sprach er nun, »die Angelegenheit ist ernst.«
»Welche denn? Sprich, ich höre!«
»Die ich gestern schon nannte, die wegen der Mädchen und Frauen.« –
Also wieder die alte leidige Geschichte! Der Negerhimmel ist gefährdet und droht zusammenzustürzen; sein »Magazin« ist dem Bankrott verfallen, wenn die christliche Lehre Fuß faßt.
»Weißer, ich habe heute Nacht nicht geschlafen, so sehr fühlt mein Herz die Schwere dieser Sache. Sprich! Wer hat die Mädchen im Dorf erzeugt? Wer hat sie ernährt, bis sie gehen konnten, selber ihr Essen zu finden? Neben wessen Füßen sind sie aufgewachsen? Wem gehören also diese Kinder?«
»Lange Worte sind das; aber die Sache ist klar. Euer sind die Kinder. Hast du Angst, ich wolle sie mit mir fortschleppen, wie die Araber es getan? Ich unterrichte sie bloß, lasse sie aber bei euch im Dorf.«
»Nun, wenn es unsre Kinder sind, dann haben wir doch das Recht, ihnen den Unterricht zu verbieten und sie zur Ehe dem zu geben, der uns den Kaufpreis bezahlt. Das ist meine eigene Angelegenheit, nicht deine und nicht die des Katechisten. Die Lehre, die du bringst, stiftet Unordnung in unsrem Dorf, bringt den Krieg unsern väterlichen Sitten.«
»Wieviel Kinder hast du?«
»Ich? Viele hundert im Dorf. Von meinen Frauen aber nur drei Knaben und vier Mädchen.«
»Wieviel Frauen hast du?«
»Achtzehn Frauen nenne ich mein.«
»Da haben aber viele davon kein Kind? Warum nicht?«
»Weiß ich das? Ich zürne deswegen sehr. Gott hat ihnen keine gegeben. Daran kann ich nichts ändern.«
»Ei was: Gott hat ihnen keine gegeben! Was sagst du da? – Wieviel Frauen und Kinder haben deine Brüder?«
»Einer hat sechs Frauen und drei Kinder; der andere hat zwei Frauen und neun Kinder.«
»Warum hat denn der Mann mit sechs Frauen nur drei Kinder, der mit zwei Frauen neun? Das ist ja ganz eigenartig!«
»Dem einen hat Gott viele Kinder gegeben, dem andern wenige. Da kann der Mensch nichts machen.«
»Da sagst du es ja schon wieder, Gott gebe die Kinder. Also sie kommen von Gott, gehören demnach zuerst Gott. Dann ist er ja wohl ihr erster Herr und Vater. Ist das nicht so?«
Er dachte lange nach, dann mußte er gestehen: »Dein Wort ist wahr, ich kann es nicht leugnen.«
»Als dein Knabe vor drei Monaten starb und sein Leib zerfiel, was habt ihr da gesprochen? Ihr habt gesagt: ›Gott hat ihn gerufen.‹ Er mußte also Gott folgen, weil Gott sein großer Herr ist. Der Körper, den ihr Eltern ihm gegeben, ist zerfallen; seinen Geist hat Gott gerufen, und er ist gegangen. – Weißt du, was ich deine Kinder lehre? Ich sage ihnen: Ehret und folget dem Matundulu, denn er ist euer Herr; ehret und folget aber noch mehr Gott, denn er ist ein noch größerer Herr. Was tust du, wenn einer im Dorfe spricht: ›Ich erkenne Matundulu nicht an?‹ Du trägst die Peitsche stets bei dir, du hast ein Gefängnis bauen lassen. Glaubst du, der größte Herr habe keine Peitsche und kein Gefängnis für jene, die ihn nicht anerkennen und ihm nicht gehorchen? Gott ist der erste Vater und Herr aller Menschen. Darum müssen wir alle ihn anerkennen und tun, was er will. Alle Menschen, die Knaben und die Mädchen – ja, auch die Mädchen – sind Gottes Kinder.«
»Ist es wahr: du lehrst, wir sollen nur eine Frau haben?«
»Um euch Alte kümmere ich mich nicht; jene, die sich unterrichten lassen, werden hören, was Gott will, und so, wie er will, werden sie tun. – Sprich: Haben alle Männer deines Dorfes Frauen?«
»O nein, so viele Frauen gibt es doch nicht.«
»Wenn aber dein Bruder statt sechs nur eine hätte, und du statt achtzehn nur eine, dann wären zweiundzwanzig Frauen frei für andere Männer.«
»Diese Männer besitzen doch keine Mosolo (Kaufschätze) und keine Mädchen, die sie gegen Mosolo verkaufen könnten. Wer keine Mosolo hat, bekommt nie eine Frau. Habe ich ein Mädchen, so verkaufe ich es gegen 200 Mosolo; diese lasse ich nicht in meiner Hütte faulen, sondern ich kaufe mir dafür das Mädchen eines andern Mannes zur Frau; jener bekommt die Mosolo und geht dafür eine Frau kaufen. Die Mosolo wandern immer. Wer keine hat, bekommt keine Frau. Es ist gut, wenn unsre Kinder Mädchen sind, dann bekommen wir Mosolo und Frauen.«
»Matundulu, du hast achtzehn Frauen und sieben Kinder, dein anderer Bruder hat zwei Frauen und neun Kinder: siehst du, wenn der Mann viele Frauen hat, bekommt er wenig Kinder, mit wenig Frauen hat er viele Kinder.«
»Loo«, brach die ganze Menge der Alten los. »Sind nicht mehr Menschen in Matundulus Haus als in dem seines Bruders? Du redest nutzloses Zeug.«
»Ihr seid auf diesem Gebiet dumm wie die Hühner«, rief mein Bursche dazwischen, während er mir eine Tasse Kaffee einschenkte, »und ein Maul habt ihr wie Hunde. Euer Verstand ist verfault und euer Gehirn haben die Ameisen gefressen. Pater, warum redest du mit ihnen? Das sind doch keine Menschen!« Sie lachen in Überlegenheit.
»Erzähle mir nach der Wahrheit, Matundulu: ihr, die ihr viele Frauen habt, liebt ihr sie alle gleich?«
»Herr, ich will es dir nicht verheimlichen. Eine einzige liebe ich, die vierte. Die andern sind für die Arbeit da, damit ich viel zu essen habe und vielen Brüdern Speise geben kann. Die vierte, die nicht zu arbeiten braucht, sie ist die Herrin meines Dorfes.«
»Warum hast du nicht zuerst und allein diese genommen, die du liebst?«
»Tut das ein Mensch bei uns? Wir nehmen erst eine zur Probe, dann eine zweite, eine dritte; dann sagen wir uns: Jetzt will ich bald meine Herrin suchen. Und wir nehmen eine, die wir in der Seele lieben, und vergeben sie nie. Wer noch mehr Mosolo findet, kauft immer noch Mädchen, auch wenn er schon alt ist; denn das ist doch ein Reichtum für den Erben. Wenn eine Frau ein Kind bekommt, dann schicken wir sie heim zu ihren Müttern, dorthin, wo sie geboren worden. Die Mütter sollen ihr helfen. Wenn sie bei ihnen stirbt, macht es nichts; dann sagt der Mann: ›Entschädigt mich, ihr habt sie getötet.‹ Wenn sie aber in ihres Mannes Hütte stirbt, dann ist die Sache schlimm: er muß bezahlen, als hätte er sie getötet. Die Frau bleibt lange Monate mit dem Kind bei ihren Müttern, denn das Kind muß wenigstens dreißig Monate lang Milch haben, sonst wird es blödsinnig und krank. Wer gäbe sie ihm, wenn die Frau bei ihrem Manne wäre? Wenn das Kind ein Mädchen ist, muß der Vater bezahlen, bevor er es heimholt, und für die Mutter aufzahlen, denn ihre Eltern sprechen: ›Jetzt ist unsre Tochter viel mehr wert: sie ist Mutter geworden, und ihr Kind bringt dem Vater Schätze ein, muß also auch uns bereichern.‹«
»Hast du deine Mädchen schon verkauft? Wie groß waren die damals? Haben sie auch zugestimmt?«
»Hahaha! Schaut man denn darauf, wie groß das Kind ist, oder hört man darauf, was es will! Ob die Mosolo da sind und ob mir der Mann nützen kann, das ist allein die Frage. Wenn man den Willen der Mädchen und Frauen beachten wollte, was gäbe das für Geschichten!«
»Wenn du nun stirbst, was geschieht mit deinen vielen Frauen? Sind die dann frei und können gehen, wohin sie wollen?«
»Je, was sind das für Worte, ich hätte viele Frauen? Haben andere Häuptlinge nicht mehr? Und frei sollen die werden? Niemals, niemals das! Wenn ich sterbe, ist mein Neffe da, der Bruder oder der Sohn. Wie freut sich der, wenn ich ihm ein großes Frauendorf hinterlasse! Früher schickten wir auch dem verstorbenen Manne einige Frauen nach. Ihr Europäer duldet das nicht, und die Männer müssen sich deshalb im Jenseits langweilen.«
»Es war Zeit, daß die Europäer euer Land gefunden haben. Ihr schwarze Menschen wäret ja immer weniger geworden; ihr habt einander gefressen, ein Stamm hat den andern bekriegt, um Fleisch zu machen; starb der Mann, dann mußten Frauen mit ihm hinüber; Schuldige habt ihr gesucht, wenn jemand des natürlichen Todes starb, und sie getötet; viele Frauen nahmt ihr und bekamt wenig Kinder.«
»Wenig Kinder in unsrem Dorfe? Bei uns Wilden werden viele Kinder geboren. Aber geh du einmal zählen bei denen, die bei den Europäern Arbeit nehmen! In hundert Familien gibt's im Jahre kaum ein Kind. Und die Soldaten der Weißen – ist es nicht ihre Arbeit, die Leute totzuschießen?«
»Matundulu, bei uns ernährt der Mann die Frau, denn sie ist seine Gehilfin, und er liebt sie; bei euch aber muß die Frau den Mann ernähren und die Kinder; sie ist euer Arbeitstier.«
»Geht die Frau vielleicht auf die Jagd nach Elefanten, Antilopen, Affen? Sie holt doch nur die kleinen Speisen: Fische, Krebse, Frösche, Raupen, Kräuter, Maniok, Erde …«
»Erde? Seid ihr denn auch Erdesser?«
»O ja! Die ist gut; sie riecht gut und schmeckt gut. Hast du noch keine gegessen? Wir essen die weiße Lehmerde nach der Mahlzeit, um besser zu verdauen. Sie ist ein vortreffliches Heilmittel gegen Magen- und Darmhitze und Entzündungen.« (Diese Erde wird bereits in europäischen Kliniken den Magenleidenden gegeben. Sie riecht wie Kuchen und besteht aus Acidum silicicum, aluminium oxydatum, ferrum.)
»Warum heulen denn eure Frauen so oft? Schlagt ihr sie?«
»Sie heulen, damit das ganze Dorf es höre und spreche: ›Welch ein böser Mann! Gebt ihm eure Töchter nicht!‹ Wenn die Frau nichts kocht, nicht genug oder schlecht kocht, sollte ich sie da nicht züchtigen? Habe ich sie denn zum Müßigsitzen? Die meisten Frauen sind übrigens ganz zufrieden, glücklich und lustig beieinander, und wollen gar nicht mehr fort. Am Tage arbeiten sie zusammen in kleinen Gruppen, jede bereitet ihre Speisen und wetteifert, sie recht gut zu machen, um mich damit zu erfreuen. Nach getaner Arbeit und nach eingenommener Mahlzeit beginnen sie zu singen und zu tanzen. Ich rufe dann meine Brüder zu mir ans Lagerfeuer, und wir schauen ihnen zu und freuen uns. Die Tänze der Frauen sind schöner als die der Männer. Wir Männer dürfen ihre Tänze und Gesänge nicht aufführen, noch sie die unsern.«
»Ihr habt aber beständig Händel wegen entlaufener Frauen.«
»Das mußt du verstehen, Herr. Das ist nur Schlauheit von uns. Wir nehmen nie auf einmal die ganze Kaufsumme für eine Tochter; sonst wäre ja die Sache erledigt, und wir möchten doch immer essen und Schätze bekommen. Deshalb geben wir erst die Tochter gegen eine größtmögliche Teilzahlung, etwa 195 Ringe statt 200. Wir sagen: ›Probiert erst einmal, ob ihr zusammen passet!‹ Nach einiger Zeit suchen wir die Tochter heimzulocken. Wir sagen zum Manne: ›Du hast unsre Tochter nicht gut behandelt; wir geben sie dir nicht mehr; wir suchen ihr einen bessern Mann.‹ Gibt er uns recht viele Geschenke, so erhält er die Frau wieder; andernfalls verkaufen wir die Tochter einem andern, der auch wieder eine Teilzahlung geben muß. Wir nehmen sie auch diesem wieder, und machen so weiter, solange es sich eben machen läßt. Ist die Summe einmal ganz angenommen, ach, dann gehört uns das Mädchen nicht mehr und wir können uns nicht mehr durch dasselbe bereichern, außer wenn es Kinder bekommt oder beim Manne stirbt.«
»Darum also habt ihr so oft Krieg wegen der Frauen!«
»Krieg machen wir, wenn eine ganz bezahlte Frau gestohlen wird, denn das ist Ehebruch. Aber auch wenn ein Bruder ermordet wird, oder wenn ein Elefant, der auf unsern Jagdgründen gestorben ist, von den fremden Jägern mitgenommen wird, denn der Ort, wo die Beute stirbt, entscheidet über den Besitz.«
»Entlaufen euch die Frauen denn nicht wegen der Schläge?«
»O Weißer, unsre Frauen sind gerade wie die Hühner: man kauft sie und setzt sie in ihr Haus; wo Nahrung ist, da bleiben sie.«
»Wenn aber der Vater stirbt, bevor die Tochter verkauft ist? Ist sie dann frei?«
»Wie, hat denn der Mensch nur einen Vater? Das Mädchen ist frei, das heißt es kann sich im Dorfe herumtreiben, wie es will, solange es nicht durch Kaufschatz an einen Mann gebunden ist. Wenn ich tot bin, lebt doch die Sippe fort; Väter bleiben genug, die essen und reich werden wollen. Würde der Mann nicht bis zum letzten Ringe die väterliche Sippe der Frau entschädigen, so bliebe sie auch nie bei ihm, bliebe ihm nie treu. Sie wäre beleidigt und würde sagen: ›Bin ich nicht mehr wert als das? Ich bin noch frei; bezahle du erst meine Sippe.‹«
»Und wie vertragen sich eure Frauen im Harem untereinander?«
»Die einen sind Freundinnen. Die andern, besonders die älter sind als die Herrin, zanken oft untereinander; da muß Ordnung gehalten werden. Man sperrt sie in ihre Hütte ein und bindet diese von außen zu. Und wenn sie trotz allem nicht Verstand annehmen, so muß eben die schlimmste fort.«
»Welch arme, arme Menschen sind die Frauen bei euch! Und doch sind sie auch Gotteskinder. Meinst du, Gott könne wollen, daß ihr seine Kinder so behandelt?«
Er hatte den Stuhl gerückt, war hin und her gerutscht und aufgestanden. »Genug von dem; ich kann das nicht weiter hören. Ich gehe. Heute nachmittag komme ich, die Geschenke zu empfangen für das schöne Dorf, das dir meine Leute erbaut haben.«
»Mein Katechist hat doch die Arbeit gemacht mit den Buben, die sonst müßig im Dorfe herumlungern.«
»Ei gewiß! Aber bin ich denn nicht ihr Herr? Hätte ich's ihnen verboten, so stünde dein Gotteshaus nicht da.«
»Dieses Haus ist nicht für mich, es ist für euer Dorf. Ich besorge darin nur die Arbeit Gottes und gehe weiter.«
»Sprich: Hat unser Dorf dich vielleicht zu uns gerufen? Hast nicht du gesagt: ›Baut ein Gotteshaus‹? Deswegen bekomme ich heute mein Geschenk, und zwar ein recht großes.«
Ich befriedigte ihn gleich mit Stoff in der Lieblingsfarbe der Neger: Rot. Er zog sich mit den Seinen zurück.
Nun stellte mir der Katechist die Katechumenen vor. Wie das flink zuging! Er rannte in der Schar herum, packte diesen und jenen, warf die einen herüber, die andern hinüber, schob dort einen nach rechts, den andern nach links. Es entstand Klärung im Durcheinander.
Da stellte er sich neben die erste Gruppe von sieben Kindern, umspannte sie mit den Armen und sprach: »Sieh hier, Pater! Diese da, die haben zwei Seelen in ihrem Leibe: die eine strebt zu Gott, die andere zum Teufel. Die schalte ich einstweilen aus.«
»Jetzt kommen diese elf.« Er suchte eine weitere Gruppe zu umfassen: »Das sind auch keine rechten Menschen. Ob sie Gott wollen oder nicht, wer sieht in ihre Seele? Einen Tag kommen sie, den andern sind sie in aller Frühe auf der Affenjagd.«
»Und nun die«, meinte er bei einer dritten Gruppe von sechs Knaben, »die sind dumm, dumm wie das Tier. Wenn du zu deinen Schafen in Basoko sprichst, so antworten sie: ›Mä!‹ Redest du aber zu diesen, so sagen sie gar nichts.«
»Jetzt die da« – er schüttelte neun andere am Arme, daß sie hin und her schwankten –: »die sind nicht dumm. Wenn sie aber im Unterricht vor mir sitzen, dann gehen ihre Augen in den Wald und ihr Bauch spricht: Wenn nur eine Antilope oder sonstiges Fleisch käme, oder ich einen Vogel ins Maul stecken könnte. Denn sie sind Bauch, ganz Bauch, und denken nur ans Essen.«
Mit süßem Entzücken wandte er sich schließlich zur großen Schar von wohl 250 Knaben und einigen Mädchen, schaute sie gar liebreich an, neigte sich vor ihnen hin und her schreitend und sprach zu mir in weichen Worten: »Diese hier, mein Vater, das sind die künftigen Kinder Gottes. Sie fehlen nie, sie lernen fleißig, geben acht, fragen, gehorchen, sie suchen Gott. Das gibt brave Christen, ich sage es dir. Schau ihnen ins Auge, ihre ganze Seele kannst du darin sehen. Schau auch in mein Heft; das lügt nicht. Frage nun selber und überzeuge dich.«
»Setzt euch, Kinder«, sprach ich, »ich will jeden Tag einige aus euch prüfen, damit ich diejenigen kennen lerne, die fleißig gewesen sind. Bevor ich weiterziehe, werde ich sie dann ins Katechumenat aufnehmen. Bei dieser Feier hänge ich euch eine geweihte Medaille um, die ihr ständig tragen sollt. Selbst wenn die Menschen euch des Glaubens wegen verlachen und schlagen, sollt ihr sie nicht ablegen und verstecken; denn wer Angst hat, seinen Glauben zu bekennen, der ist ein Feigling, den kann ich nicht gebrauchen. Wenn hingegen eure Brüder sehen, wie ihr gut lebt, dann werden sie sprechen: ›Diese Lehre hat sie gut gemacht; wir gehen auch, sie zu hören.‹ Euer Bekenntnis erobert dann für Gott das ganze Land.«
»Du hier, wie heißest du?« frug ich einen der vierten Gruppe.
»Ich, ich heiße Matako.«
»Komm, Matako, und setze dich hier zu meiner weiblichen (= linken) Hand.« – »Du dort, du setzest dich zu meiner männlichen (= rechten) Hand«, sagte ich zu einem aus der großen Gruppe der Fleißigen. »Wie heißest denn du?«
»Ich, ich heiße Likita.«
»Paß auf, Likita! Du fragst jetzt deinen Bruder Matako alles ab, was du schon gelernt hast. Was er nicht weiß, sagst du ihm.«
Wie der Bengel sich freute, den Lehrer spielen zu dürfen! Er rutschte gleich an den Matako heran, examinierte, wie der strengste Magister es kaum tut, und ergänzte aufs genaueste, was sein Kamerad nur halb oder gar nicht wußte. Ich sah bald klar.
»Ich weiß noch nicht, ob ich sagen soll: Matako will wirklich Gottes Kind werden. Likita ist fleißig gewesen, ihn trage ich ein.« – »Gib mir jetzt zwei andere, Bula, zwei, die es so gut wissen wie Likita.«
»Wen soll ich dir geben, Pater? Hier stehen sie alle zusammen, mehr als zweihundert, sie wissen es alle gleich gut. Nimm dir selber, wen du willst.«
»Nun, Kinder, wer will jetzt gefragt sein?«
Blitzschnell standen sechs bis acht auf und warfen sich auf den Boden neben mich hin, andere dreißig bis vierzig stürmten über sie, und es gab ein Gedränge, daß ich mit meinem Stuhle fast umgeworfen wurde. »Wir wollen gefragt sein! Frag uns, wir wissen es! Du mußt uns fragen! Du fängst uns nicht; wir wissen alles.«
»Aber so kann ich euch doch nicht fragen! Stellt euch, wie ihr eben standet. So, ihr zwei, ihr setzt euch vor mich! Wie heißest du?«
»Ich, ich bin der Bákula.«
»Und du da?«
»Ich bin der Bóloko.«
»Was habt ihr denn gelernt, seit ich fortgegangen bin?« –
Wie das Rädchen einer Maschine begann es zu surren und weiter zu surren, bis alles Gelernte heruntergesurrt war: Biblische Geschichte, Katechismus, Gebete; fehlerlos und ohne Stockung. Selbst drei Lieder wurden im schnellsten Tempo heruntergesungen.
»Recht gut, Kinder! Ihr seid fleißig gewesen!« –
Ich trug ihre Namen ins Buch ein und frug ähnlich noch ein Dutzend andere. Keines blieb auch nur eine Frage schuldig.
»Wenn diese zweihundert es alle so wissen, Bula, dann brauche ich nicht weiter zu fragen! Ich frage nur mehr jene, über deren Kenntnis ich Zweifel habe.«
»Nein, du mußt uns alle fragen! Wir wollen dir zeigen, daß wir gelernt haben und etwas wissen.«
»Wenn ihr es unbedingt wollt, kommt ihr alle dran. Doch jetzt ist Mittagszeit. Die Sonne brennt. Geht unter die Dächer.«
Ich hing ihnen an schattigem Orte die Herderschen Bibelbilder auf. Das erweckte einen betäubenden Lärm. Die Tiere vor Noes Arche behaupteten sie alle zu kennen, und wußten von ihnen zu erzählen.
Reichlich fiel während meines Mittagmahles – fast hätte ich gesagt Schnee, nein, Holzmehl herunter auf Tisch und Teller, und ich hörte in den Dachsparren das leise Nagen der Termiten, die mit wütender Freßgier gerade neue Häuser überfallen, um in den neuen Balken die noch weiten und weichen Saftkanäle auszunagen. Sie treiben ihr Zerstörungswerk so weit, daß die Balken innen schließlich, einem Schwamme gleich, ausgefressen sind, während außen die täuschende Rinde bleibt. Wenn dann ein heftiger Sturmwind das Haus erfaßt, krachen die Balken zusammen. Deshalb müssen die Dächer etwa alle drei Jahre erneuert werden, und auch unsre schönsten Kirchen sind von kurzer Dauer, trotz der dicksten Eisenholzstämme. Noch andere Gäste finden sich in neuen Häusern: die langbeinigen und langgeflügelten Mauerwespen, die den ganzen Tag summend ein- und ausfliegen, Lehmmaterial holen, um ihre faustgroßen Erdnester an die großen Blätter und die Bambusstäbe des Daches zu hängen. Man hüte sich ja, diese Hunderte von fleißigen Maurern und Handlangern zu stören, sonst fliegen sie in Wut blitzschnell hernieder zu verzweifeltem Kampfe, der uns brennende Beulen und heiße Fieber, ihnen selber den Tod brächte.
Nach Tisch nahm ich das Examinieren wieder auf und erledigte eine festgelegte Zahl. Bula hat solid und aufopfernd gewirkt, auch die schwierigen und verwickelten Eheverhältnisse der älteren Schüler schon nach christlicher Lehre geregelt. Ich mußte die Schüler und den Meister loben. Das verlangte die Gerechtigkeit.
»Aber was der Freude! Da sind ja auch fünf Mädchen! Warum seid ihr so furchtsam? Kommt herbei, ich gebe euch etwas Salz.«
»Wir wollen kein Salz haben, sondern abgefragt sein.«
Hätte die Sonne nicht so heiß geschienen, mir wären Tränen der Freude über die Wangen gerannt, als ich diese Mädchen mit silberklarer Stimme die Wahrheiten der heiligen Religion und die Gebete fehlerlos und ohne Stocken hersagen hörte. Sie wußten alle fünf ihre Sache noch fließender und sinngemäßer als die Knaben. Ich trug ihre Namen in das Buch ein, wobei aus ihren Augen entzückendes Glück strahlte. – Aber wie werde ich sie gegen die Polygamie schützen!
»Nun auf! Ich will euer Dorf beschauen.«
Die Schar nahm mich in die Mitte und führte mich unter Gesang ins Dorf, an Termitenbauten aller Figuren und Größen vorbei.
Sternartig erstreckte sich die Ortschaft nach fünf Richtungen in den Wald hinein. Baumtrommeln groß und klein setzten ein, wo ich erschien, wohl vierzig Stück. Im Dorfzentrum kauerte vor einem größeren Hause eine schwarze Menschenmenge, und mächtig wurde dort geredet. Meiner ansichtig geworden, waren verschiedene aufgesprungen, und nun schritt Matundulu aus dem Kreise auf mich zu, grüßte mich und reichte mir die Hand.
»Komm unter mein Dach. Der glitzernde Sand hindert den Blick. Die Gluthitze zittert und drückt an den Schläfen.«
»Störe ich dich bei wichtigen Geschäften?«
»Wir regeln gerichtliche Angelegenheiten. Dort sind Angeklagte. Diese andern hier ringsum sind Zuhörer; sie sollen hören und wissen, wie ich die Schuldigen bestrafe, damit die Verbrechen sich nicht mehren.«
»Fort mit euch, nutzloses Pack!« schrie er jetzt und schwang die Peitsche durch die Luft, »ein großer Herr kommt zu mir.« – So nennt er mich jedoch nur in meiner Gegenwart; nachher heißt es: »Auf den pfeifen wir!«
»Schafft die Gefangenen ins Gefängnis und gebt ihnen zu essen, daß sie kräftig seien; denn beim morgigen Sonnenaufgang bekommen sie Peitschenhiebe, hört ihr's? Peitschenhiebe, so scharf, daß sie das Dorf nicht mehr sehen werden und zwei Monate auf dem Bauche liegen müssen; denn Ordnung will ich haben in meinem Dorfe.«
Die Gefangenen, mit Lianen am Halse untereinander verbunden, wurden durch die Dorfpolizei in einen nahestehenden Pfahlbau abgeführt. Als sie der Polizei bemerkten, sie säßen lieber im Freien, wurde ihnen das freigestellt. »Ganz wie ihr wollt!« Die Polizei entfernte sich. Willig fügten sich die Gefangenen. Sie haben ja den Nutzen von ihrer Tat genossen. Die Prügel dafür werden bald überstanden sein, stolz werden sie dabei keine Miene verziehen; auch wird die Strafe nicht so streng ausfallen, denn bis morgen ist noch Zeit, mit dem Häuptling, der sie besuchen wird, gemütlich zu reden. Fliehen wird keiner; wohin auch? In den weiten Wald? Die Liebe zu den Brüdern treibt jeden wieder heim. In ein anderes Dorf? An der tätowierten Stirne liest man die Zugehörigkeit ab; der Flüchtling wird nicht geduldet.
»Was haben diese Männer verbrochen, Matundulu?«
»Beim Fällen von Bäumen taten sie nicht mit. Wir haben vor fünf Monaten vom Staatsbeamten den Auftrag bekommen, ihm hier ein Haus zu bauen. Nun hören wir, er käme diese Woche und wolle im neuen Hause schlafen. Wir aber haben die Arbeit noch nicht begonnen. Damit der Weiße nun nicht allzusehr zürne, habe ich gesagt: ›Geht in den Wald, haut Bäume und bringt sie auf den Platz?‹ Aber sie sind nicht gegangen.
»Ihr hättet doch in fünf Monaten mit Leichtigkeit das Haus fertigstellen können.«
»Gewiß, wenn wir gewollt hätten! Aber wir dachten, wenn der Weiße ein schönes Haus hat, bleibt er zu lange und zu oft bei uns. Hat er keines und muß bei Hitze und Regen unterm Zelte schlafen, dann geht er bald wieder. Wenn solch ein Beamter da ist, dann gibt's viel Arbeit. Er kommt nicht allein, sondern mit dreißig Soldaten. Alle wollen essen, und wir müssen ihnen das Essen geben. Den Weißen würden wir nicht hassen, wenn die bösen Soldaten nicht bei ihm wären. Nun haben wir eben besprochen, was wir tun und reden sollen, um den Zorn des Weißen zu besänftigen. Zunächst sagen wir, ich sei krank gewesen; die Leute hätten aber nicht ohne meine Leitung arbeiten können. Dann habe ein uns feindlicher Geist alle Tiere des Waldes aus unsern Jagdgründen vertrieben; mit hungrigem Magen aber baue man kein Haus. Wir haben die Leute bestimmt, die für ihn jagen müssen; zwanzig Antilopen und zwölf Wildschweine bekommt er im Tage; denn wenn er seinen Mund voll Essen hat, kann er nicht schimpfen. Palmsaft verzapfen wir ihm keinen, er soll Wasser trinken aus dem Sumpfe und davon Leibweh bekommen. Dann spricht er: ›Der Boden von Mokaria will mich nicht; dorthin geh ich nicht wieder.‹«
»Wir haben eben auch die Strafsumme für einen Frauendiebstahl (= Ehebruch) abgezählt. Früher wurde in diesem Falle der Verbrecher und seine Helferin gelyncht und verzehrt, falls er nicht eine unverletzte Tochter oder Frau als Ersatz bieten konnte; wenn aber ihr Vater eine zweite Tochter für die Verletzte gab, wurde sie nicht gelyncht, sondern Sklavin ihres Mannes. – Jetzt sind die Weißen im Lande, die verstehen nichts von Recht, wir können nur noch eine Zahlung vom Verbrecher verlangen, das Unrecht aber bleibt.«
»Matundulu, du sagtest mir heute früh, deine Frauen würden alle vererbt. Da kann ja einer seine leibliche Mutter erben, und die Frauen, die kleine Kinder haben.«
»Seine Mutter wird er ehren, ihr das schönste Häuschen zuweisen und sie nie gegen ihre Zustimmung vergeben. Entrichtet jemand einen Kaufpreis für sie, so nimmt er den Preis, doch zwingt er die Mutter nicht. Die Frauen mit Kindern sorgen erst, daß diese gehen können. Dann aber verfährt der Erbe mit ihnen wie mit denen, die keine Kinder haben; er behält sie für sich oder verteilt einige unter seine Brüder; er kann sie aber auch gegen Schätze abtreten.«
»Erbt er auch deine Habe: Waffen, Felle, Halsschmuck, Schärpe?«
»O nein, was kostbar ist und mir lieb, das geht mit mir.«
»Wenn Vater und Mutter tot und noch ganz kleine Kinder da sind, was geschieht mit diesen?«
»Nicht einem Vater, sondern der ganzen Sippe gehören sie. Sieh dort drüben bei den Hütten meiner Frauen die drei Kleinen, die mein verstorbener Bruder zurückgelassen hat; sie sind jetzt bei meinen Frauen; der größere Knabe läuft schon im Dorfe herum und ißt überall mit.«
»Was sind das für Männer, die da ständig in deinem Hofe aus und ein laufen?«
»Sind das nicht Brüder und Freunde, kurzum Gäste, für die ich stets Speise vorrätig halte? Sie können essen und trinken in meinem Hause, solange etwas zu finden ist. Meine Frauen müssen dafür sorgen, daß die Nahrung nicht ausgehe. – Der Mann, der dort steht, ist der Wächter meiner Frauen, damit ja keine durchbrenne oder ohne mein Wissen Besuch bekomme. Seine Arbeit ist wichtig und nicht leicht, besonders wenn ich fort bin.« –
Ein Haussklave brachte jetzt einen in Bastfäden hängenden Topf voll überschäumendem Palmsaft. Er trank zuerst, nach ihm der Häuptling, zuletzt ich. So ist es Sitte. Wäre der Saft mit Gift gemischt, so tränken sie doch zuerst; nur nähmen sie sogleich das Gegengift dafür. Denn nie wird ein Neger jemand Gift geben, ohne seine Wirkung zu kennen und das sichere Gegengift zur Hand zu haben. Es kann ja die Sache zu einem profitablen Geschäftchen umschlagen, wenn der Vergiftete für Medizin reiche Geschenke bietet.
»Jetzt sind weiße Richter im Lande, Matundulu. Ihr geht oft zu ihnen.«
»O ja! Wir müssen in den wichtigeren Angelegenheiten zu ihnen gehen! Weit, weit müssen wir laufen und monatelang warten, bis wir gehört werden, und monatelang, bis sie Recht sprechen. Und welch ein Recht! Diese weißen Richter verstehen nichts vom Rechtsprechen. Wenn ein Mann meine Frau stiehlt und ich erwische ihn, so stoße ich ihm meine Lanze durchs Herz. Euer Richter nennt mich dann Mörder. Heißt das nicht das Unrecht beschützen? Es wird aufwachsen wie Gras! Den Häuptling Mutuma hat der Richter auf dem Platze in Basoko am Galgen aufgehängt. Warum? Hat Mutuma nicht sein Land schützen wollen gegen die weißen Eindringlinge, denen es nicht gehört? Mutuma hat zwei Weiße überfallen, hat sie geschlachtet, ihr Fleisch kochen lassen und mit seinen Leuten gegessen, weil es Feindesfleisch war. War er ein Feigling? Als man ihm die Kette schon um den Hals gelegt hatte, um ihn hochzuziehen, bewies er es mit wütender Stimme: ›Brüder, wo seid ihr? Auf zum Kampfe gegen die Weißen! Sie stehlen unsern Boden und machen uns zu ihren Sklaven. Solange noch Topokebrüder leben und ihre Frauen Kinder gebären, müssen sie kämpfen, ihre Heimat zu befreien. Und wenn wir einen Menschen niederschlagen und auffressen, weil er durch das Likundu alles Unheil über das Land hereinruft, so will der Richter uns als Mörder bestrafen?‹«
Ich nahm Anlaß, mir vom Häuptling erklären zu lassen, was man unter Likundu versteht.
Das Likundu ist ein Stein, ein Zauberstein, in der Harnblase oder Gallenblase. Wer den hat, besitzt eine geheime Kraft. Wenn sein Lungu (Geist) im Schlafe den Körper verläßt, zieht er umher und verübt böse Streiche, sät Krankheit und Tod um sich. Er gibt wilden Tieren den Auftrag, zu töten; er ruft den Hunger, die Stürme, die Schlange aus der Luft (Blitz) herbei; kurz, alle Unglücksfälle kommen auf sein Wort. Solche Menschen müssen beseitigt werden, sonst kann es kein Glück geben.
Der Zauberer findet heraus, wer diesen Stein im Leibe habe. Ihn ruft man, wenn das Unheil eingetroffen ist. Er wendet den Orakelapparat an und findet den Schuldigen in folgender Weise: Über einen ganz glatten Bananenstamm, der auf zwei Lagern aus Holz ruht, legt der Zauberer dreißig gleiche Holzstäbchen in gleichem Abstand. Die Verdächtigen werden herbeigebracht, der Zauberer bezeichnet einen derselben und beginnt das Orakel zu fragen, indem er um den Apparat herumtanzt und die Geister, die es wissen, beschwört. Da fallen Stäbchen herab, eines, zwei … Alles ist atemlos, gespannt und in Erwartung. Ist nicht die Hälfte der Stäbchen gefallen, so ist für den Verdächtigen der Beweis der Unschuld erbracht. Ein anderer wird bezeichnet und das Orakel von neuem befragt. Oft dauert es lange, bis er den Schurken hat; aber er findet ihn. Jetzt hat er wieder einen bezeichnet und tanzt mit Wut: alle Stäbe liegen am Boden. Die Schuld ist erwiesen; der Verbrecher ist damit verurteilt. Das ganze Volk fällt über ihn her und schlägt ihn zu Boden. Sein Fleisch wird verzehrt. Der Schurke, Verbrecher, Betrüger und Mörder am Volke ist aber der Zauberer. Den ersten, zweiten und dritten Angeklagten hat er für unschuldig befunden und es fielen keine Stäbe, weil sie ihm mit Zeichen oder Worten reiche Geschenke versprochen hatten, so wie er es erwartete und verlangte. Er durfte es aber auch mit den alten Kannibalen nicht verderben, sondern mußte ihnen den Topf mit Fleisch füllen, und deshalb bezeichnet er einen armen Schelm oder verhaßten Menschen, und fängt an, mit Wut zu tanzen, so daß durch sein tolles Herumrennen der Boden zittert und Luftbewegung entsteht, wodurch dann alle Stäbchen fallen. Unschuldig ist das Opfer stets, das so dahingemordet wird; wohl aber verdiente der Zauberer dieses Schicksal.
Noch ein anderes Mittel haben die Neger, die Wahrheit zu erfahren, wenn keine Beweise vorliegen und die Zeugen versagen: die Giftprobe. Sie reichen dem vermutlichen Übeltäter Gift, das er trinken muß. Wer ein gutes Gewissen hat, stellt sich freiwillig zur Giftprobe. Ist er ohne Schuld, wird er das Gift erbrechen und darf in sein Haus zurückkehren; bekommt er jedoch Krämpfe und fällt in Todesqual, dann wird er niedergeschlagen, denn er ist schuldig. Hier spielt natürlich auch oft Betrug mit. Wer nicht stirbt, der hat entweder überhaupt kein Gift getrunken – es wurde etwas anderes unterschoben – oder er hat Gegengift bekommen.
Genau so verhält es sich auch mit dem Versuch, die Lügner und Kleindiebe zu entdecken, indem man ihnen Pfeffer in die Augen streut und spricht: Entzündet sich das Auge, so ist das Beweis der Schuld; stellt sich keine Entzündung ein, so ist die Unschuld dargetan. Wo die Entzündung nicht erscheint, da ist auch kein Pfeffer gebraucht worden.
Außer Lynchen, Auffressen und Prügeln haben die Neger noch verschiedene andere Strafen für Vergehen. Man sieht in den Dörfern Menschen mit abgeschnittenen Ohren oder mit abgehauener Hand. Die mit abgehauener Hand waren große Diebe. Beim ersten Diebstahl schnitt man eine Hand ab; fiel er in seinen Fehler zurück, kam die zweite dran. Ein solches Beispiel wirkt. Diese Leute sind deshalb nicht unglücklich. Alle Brüder geben ihnen Nahrung und nehmen sie auf; denn sie nützen dem ganzen Stamm. Die abgehauene Hand gibt überall die Lehre: Stehlen ist schlecht. Die mit den abgeschnittenen Ohren sind Lügner. Wer nur noch den Ohrenrand hat, der ist Sklave oder Sklavenkind. Die einen sind als Sklaven gekauft, andere sind Kriegsgefangene, die nicht aufgefressen wurden, oder hierher geflüchtete Fremde. Eigentlich sollten sie nicht heiraten, doch wird es ihnen oft gestattet. Schlecht haben sie es nicht; sie werden familiär behandelt, nur leben sie in Abhängigkeit. Wenn einer entläuft, so reißt man sich seinetwegen kein Bein aus.
Die Menschenfresserei wird noch nicht so schnell ein Ende nehmen. So wenig der Trinker den Alkohol, so wenig lassen die Kannibalen das Essen von Menschenfleisch. Kein Bruder verrät den Bruder, und der Wald redet nicht. Den Beweis liefert der Nebilibund, der über das ganze Land, vom Norden her, sich verbreitet hat. Diese Kannibalen zerreißen mit eisernen Leopardengriffen ihre Opfer, um, wenn sie ertappt werden, sagen zu können: »Wir haben ihn gefunden im Walde; ein Leopard hat ihn zerrissen; seht die Hand des Leoparden!«
Ich hatte genug von Verirrungen des Negervolkes und verabschiedete mich vom Häuptling. Die Kinder sollten mich noch eine Strecke weit durch das Dorf geleiten.
Eine eigenartige Hüttenbauart in dieser Gegend! Auf vier Pfählen ruht das Blätterdach. Unter ihm zieht sich in ovaler Form eine massive Lehmmauer rundum, unten dick, nach oben dünn auslaufend und nur von einem ovalen Türloch durchbrochen. Das Ganze ist säuberlich mit Lehmtünche überstrichen. Auch Malereien in allen Erdfarben, zumeist Tierdarstellungen sind zu sehen. Erst meinte ich, es seien einfache Malversuche, bewunderte das Gelungene und belachte das Mißglückte. Doch niemand lachte mit; die Hüttenbewohner machten mir im Gegenteil Vorwürfe über mein Gebaren. Erst später fand ich, daß es sich um einen Gegenstand der Verehrung handle. Es sind die Darstellungen der Schutztiere, die in den Sippen geehrt und nie getötet oder gegessen werden. Ihr Bild wird auch manchmal dem menschlichen Körper eintätowiert, ihr Name als Personenname geführt. Brüderliche Freundschaft verbindet jene, die dasselbe Schutztier haben. Manche sollen auch durch Blutaustausch Bruderschaft mit diesen Totems machen, namentlich die Zauberer mit der Schlange – sie haben ihnen weislich die Giftzähne ausgerissen, dies aber verheimlichen sie dem Volke.
Neben oder hinter vielen Hütten stehen tischartige Gerüste. Auf ihnen sieht man Töpfe und Teller mit Speisen, Kalabassen mit Wasser oder Palmwein, Pfeifen mit Tabak, Waldfrüchte, Wildkatzenschwänze, Elefantenborsten, Felle und dergleichen. Ich schaue mir diese Dinge neugierig an. Doch die Hüttenbewohner schreien mir besorgt entgegen: »Rühre nichts an; es würde sonst ein Unglück über uns und dich kommen.«
»Es sind Opfergaben«, sagen die Knaben, »Opfergaben für die Geister, gute und böse; sie kommen nachts und verspeisen sie. Und wehe, wenn sie dieselben verschmähen! Ihre Rache wird die Hausbewohner treffen. So reden die Alten.«
»Und dort, Pater, siehst du, wie hier die Toten begraben werden. Hinter der Hütte liegt das Grab – viele Speisen stehen darauf – mit einem Dächlein überdeckt. Sie sind für den Geist des Dahingegangenen. Die Leute hören ihn weinen, wenn er nichts bekommt.«
»Ist das möglich, Kinder? Meint ihr, die Geister essen diese Speisen?«
»Pater, die Leute sagen so. Die Speisen werden nachts gegessen; oft ist am Morgen von allem nichts mehr da.«
»Das glaube ich auch, Kinder; ganz böse Geister sind das, die nachts den Opfertisch leeren. Die Speisen werden geholt von den Ratten und Wildkatzen, Tabak und Felle vom Zauberer und seinen Freunden. Mögen die Ratten von den Alten recht viel Fisch und Fleisch bekommen, dann habe ich Ruhe vor ihnen in meinem Hause.«
Reden und Gebräuche der Neger verbürgen uns ihre Überzeugung vom Fortleben der Seele nach dem Tode. Aber wie kommt es denn, daß Europäer berichten, die Neger glaubten nicht an ein Fortleben der Seele? Wie kommt es, daß Europäer auf ihre Frage: »Stirbt die Seele beim Tode des Menschen?« vom Neger wirklich oft die Antwort erhalten: »Ja gewiß, sie stirbt«? Die Antwort hängt vom Worte ab, das sie für »Seele« gebrauchen.
Auf meinem Gange durchs Dorf fortfahrend, sehe ich ein Mütterchen in Tränen aufgelöst am Wege liegen, das Gesicht pechschwarz gefärbt mit dem Saft der Frucht des Anacardium occidentale, der sich in vielen Monaten nicht wegwaschen läßt.
»He, Mütterchen, warum weinst du so verzweifelt?«
»Ist nicht das Kind meiner Freundin gestorben? Ihr Schmerz ist mein Schmerz! Ach, die arme Mutter! Die Freude ihres Lebens ist dahin, das schöne, liebe Kindlein mit den großen, schwarzen Äuglein, den patschenden Händchen und den strampelnden Füßchen; und sein süßes Sümmchen wird sie nicht wieder hören, nie kann sie es mehr in ihren Armen wiegen und sich an ihm glücklich schauen. O du arme, arme Freundin!«
Dort stürzt unter einem Küchendach die Schwester eines mit mir ziehenden Bübleins hervor und gibt ihm ein Maniokbrot. »Iß, Bruder, iß. Wie bist du so mager! Deine Wangen und dein Magen sind so eingefallen! Warum kommst du nicht öfter zu uns, Speise zu holen?« Doch schon begann der Kleine das Maniokbrot in Stücke zu brechen und reichte davon nach links und rechts der mitlaufenden Jugend, bis so ziemlich alles seiner Hand entschwunden war.
»Pater, willst du nicht auch ein Stückchen?« frug er mit einem so eindringlichen Tone, wie er nur dem opferfreudigsten und einfachsten Herzen entströmen kann.
»Knabe, du hättest das Brot selber essen sollen, dafür hast du es bekommen. Warum hast du nun alles unter deine Brüder verteilt?«
»Pater, wenn du Speise hast und du siehst deinen Bruder neben dir mit leerem Munde und leeren Händen, wirst du nicht mit ihm teilen? Handeln meine Brüder nicht ebenso, wenn sie Nahrung finden?«
Wieder trat das Rätsel vor mich: Wie können so gut veranlagte Menschen zu den oben geschilderten Sitten herabsinken? Polygamie und Zauberwesen! – das ist des Rätsels Lösung! Die Furie der Unkeuschheit wirft diese armen Menschen beim Erwachen der Leidenschaft haltlos auf den Weg des Lasters; die unberührte Jugend hingegen hat für jegliches Gute Herz und Verstand. –
Sieh, dort an der Straße machen sie Frisur. Eine Frau kniet auf der Erde und rasiert mit dem keilförmigen Messer den Schädel eines auf dem Boden sitzenden Mannes.
»Wer ist der Mann, den du da rasierst?«
»Ist das nicht mein Gemahl? Würde ich wohl einem andern Manne diese Arbeit tun? Er soll heute schön werden! Vier Monate lang ist er im Walde gewesen. Seine Haare sind so lang geworden – schau! Meine Seele sagte: Ach, wie sieht er alt aus! Ich will ihn schnell jung machen und schön, daß ich mich über seine Rückkehr freue! Erst wird er rasiert und gewaschen, dann geölt und zuletzt mit Gula rot gefärbt, daß er sprühe vor Schönheit und aller Menschen Augen ihn entzückt anschauen, wenn er mit der blinkenden Lanze einherschreitet. Auch die Augenbrauen sind ihm gewachsen. Pfui! Wie sieht ein Mensch mit Augenbrauen so abscheulich aus! Ich will sie ihm wegrasieren und die Stelle wieder tätowieren, daß sie nicht mehr so schnell wachsen; denn mein Mann muß schön sein. Dann jubelt meine Seele und lacht mein Mund.«
»Wie kannst du einen Mann schön nennen, der sein Gesicht so verschnitten hat? Das ist nach meinem Geschmack abscheulich.«
»Nein, du bist abscheulich, und ihr Europäer alle seid abscheulich; denn ihr tragt keine Tätowierung und habt lange Augenbrauen. Pfui!«
»He, Mann«, stieß ich den schweigenden Dulder an, »deine Frau sorgt aber gut für dich; sie hat dich sehr lieb.«
»Habe ich ihr nicht viel Nahrung mitgebracht aus dem Walde? Da freut sich ihr Herz!«
»Das tun andere Männer doch auch. Aber sie sind nicht immer so zart geliebt.«
»Weil ich noch seine einzige bin, Herr; er hat keine zwei Frauen; er hat seine Seele noch nicht entzwei gespalten; sie ist ganz mein.«
»Glückliche Leute, eure Ehe ist noch so, wie sie Gott eingerichtet und gewollt hat; darum blüht bei euch Frohsinn und Liebe. Begehre nie und nimm nie eine zweite Frau, hörst du's, Mann? Dann bleibt deine Seele ewig jung, kräftig und freudig wie die des Kindes, und beide werdet ihr glücklich sein euer Leben lang.« –
Ein Hindernis auf der Straße zwingt zum Abschwenken. Mit vielen Holzstiftchen ist ein Leopardenfell, mit der Innenseite nach oben, auf dem Boden ausgespannt und festgenagelt. Die Sonne soll es trocknen. Nach der Trocknung wird es zwischen den Händen weich gerieben; eine weitere Präparatur ist unbekannt. Ein Riesentier muß es gewesen sein, dieser afrikanische Tiger, fast 2 Meter lang! Aber wie haben sie den Pelz mit Messerstichen zerfetzt! »Daraus läßt sich ja keine Häuptlingsmütze mehr gewinnen«, sagte ich, und neigte mich, ein paar Stifte herauszuziehen, um das Fell von der Haarseite zu sehen. Da bellte eine zornige Mannsstimme heiser aus dem Dunkel der nächsten Hütte: »Weg mit der Hand! Das Fell ist mein! Nie gebe ich es her. Ich habe es teuer erkauft. Ein wütendes Weib war dieses Vieh!«
Er war indes hervorgekrochen. Sein Kopf war mit der weißen und weichen Baumhaut verbunden, die unter der Rinde überm Holze wächst.
»Diesen Leoparden hab' ich erlegt mit meinem Messer. Höre, Herr, und staune! Mit fünf meiner Brüder war ich im Walde. Da stürzte dieser Leopard auf einen meiner Brüder und zerriß ihn. Den Bruder zu retten, warfen wir uns alle mit den Messern auf das Tier, denn die Lanzen waren abseits in der Waldhütte. Ein Ringen fast ohne Hoffnung! Die Kraft und Wut des Tieres übertraf der Männer Stärke. Alle meine Brüder zerriß die Hand dieses Teufels, bevor mein Messer den Weg zu seinem Herzen fand. Dann erlag es meinem Stiche. Schon hatte es mit seinen Tatzen über mir ausgeholt, und beim Zusammenbrechen rissen seine Krallen mir die Wange herunter mitsamt dem rechten Auge. Tot ist mein Auge, tot sind meine Brüder, tot ist aber auch das Tier. Schau seine Haut an und seine Krallen! Allen Menschen rufen sie's in den Verstand: das war ein heißer Kampf! Wer da gesiegt hat, war ein ganzer Mann! Reden soll dieses Fell in meiner Hütte, so lange ich lebe und den Kindern meiner Kinder soll es erzählen: Euer Vater war ein ganzer Mann!«
»Wer hat dir den Kopf so verbunden?«
»Unser Arzt. Der versteht seine Kunst!«
Der Arzt hatte viel Rindenpulver vom Munkebaum auf die Wunden aufgetragen, darauf Polokoblätter gelegt und darüber die Rindenbänder gewickelt. Den ganzen Verband hatte er dann mit dem leimartigen Safte eines faulenden Bananenstammes übergossen. Nach einem halben Monat werden die Wunden vernarbt sein, und er kann den Verband abnehmen. –
Schon lange hören wir heulen. Wir kommen der Stelle näher und ich frage nach dem Grunde des verzweifelten Jammerns. Da sind zwei Gruppen von Weibern, die einen hinter der Hütte, die andern davor. Jene stoßen wütende und drohende Töne aus, rennen umher und fuchteln mit den Armen in der Luft, diese aber jammern auf der Erde sitzend und unter einem Strom von Tränen und Klagelieder singend. »Die vor der Hütte betrauern die tote Mutter« – werde ich belehrt –, »und die hinter der Hütte wollen den Todesgeist, der die Tochter bedroht, verjagen. Beide waren beim gestrigen Unwetter im Walde. Da fiel die Schlange aus der Höhe und fraß die eine und biß die andere.« Zu deutsch: Der Blitz hat die eine erschlagen, die andere gelähmt. –
»Pater«, riefen jetzt die Knaben, »hörst du den Gong unsres Baba Emilio nicht? Er ruft zum Gebet.«
»Dann, Kinder, im Galopp zurück!«
Zwischen allen Hütten traten Leute hervor, die ungeheure Kinderschar in ihrem Jubel und mit ihrem Händeklatschen anzustaunen; denn immer mehr war ihre Zahl unterwegs angewachsen, und neugierig zogen alle mit zum Gebet und zum Unterricht.
So streife ich jedes Dorf gleich nach meiner Ankunft einige Male mit der singenden Knabenschar ab, werfe so das Netz aus, und jedesmal gehen einige Fischlein hinein.
An den folgenden Tagen wurde schwer gearbeitet, um dem Urwald ein großes Stück Boden abzuringen und Erdnüsse, Mais, Reis, Bananen, Bohnen darauf zu pflanzen. Die Pflanzung ward denn auch vom staatlichen Beamten, einem Schweizer, geziemend gewürdigt. Er machte die Häuptlinge darauf aufmerksam und sandte sie nach Mokaria, um vom Katechisten die Bodenkultur zu lernen. Nach seiner Ankunft lud der Beamte mich zu Tische. Doch bis 2 Uhr nachmittags warteten wir vergeblich auf den in Aussicht genommenen Affenbraten. Der Jäger kam endlich, aber seine Träger brachten keinen Affen, sondern zwei Wildschweine und einen Leoparden. Er begann zu erzählen:
»Herr, du hast mich ausgesandt mit zwei Kugeln, und drei Tiere bringe ich dir. Nachdem ich kräftige Jagdmedizinen getrunken und umgehängt hatte, lauerte ich im Gebüsch auf das Nahen der Affenschar. O Weißer, was sah ich da kommen? Ein Wildschwein im Kampfe mit einem Leoparden! Wütend grunzte das Schwein, schwer keuchte der Leopard. Er sprang dem Schwein an den Hals, schlug ihm die Tatzen in die Haut, aber das Schwein wehrte sich tapfer und stieß dem Leoparden die Hauer in den Leib. Beide waren stark am Bluten. Ha, dachte ich, hier ist Besseres als Affen: Pelz und Fleisch! Doch mein Herr gab mir nur zwei Kugeln! Wenn ich fehle? Geduld! dachte ich, sie hören nicht auf zu kämpfen, bis ein Teil tot ist. Ich warte. Da hat der Leopard das Schwein von oben gut gefaßt, es kann ihn mit den Hauern nicht erreichen. Er reißt ihm den Hals auf und saugt sein Blut. Soll ich jetzt schießen? Da, hu, hu, hu, tobend, keuchend – hu, hu, hu – stürzt ein wütender Eber daher und wirft sich auf den Leoparden, um sein Weib zu rächen. Ein kurzer Kampf, der Leopard ist tot. Nun kann ich's wagen. Ich lege an, der Schuß knallt und der Eber fällt. Hier, Herr, bringe ich die Tiere und deine zweite Kugel. Du siehst nun selber, wie meine Zaubermedizinen mir geholfen haben! Lache also nie mehr darüber.«
Um das versprochene Gericht vorsetzen zu können, überließ der Weiße dem Jäger die Kugel mit der Anweisung, in der Frühe des andern Tages auf die Affenjagd zu gehen. Während der Jäger speiste, besah sein Knabe das Gewehr. Es fiel um, entlud sich, und der Schuß tötete ein Kind des Dorfes. Darob eilte das ganze Dorf herbei und verlangte Gerechtigkeit. Einen Spruch des Beamten lehnten sie entschieden ab. Sie sprachen: »Wäre der Knabe des Jägers schon für mannbar erklärt, so fiele er in unsre Hand; da er aber das noch nicht ist, so haftet sein Vater für den Mord.« Und sie verlangten nach ihrem Brauch die Auslieferung des Jägers. Er habe sein Leben verwirkt. Entweder müsse er getötet oder zum Sklaven gemacht werden. Wenn er ihnen jedoch seine Frau oder auch die dreifache Summe zum Ankauf von Frauen gäbe, sei der Fall erledigt. Um das wütende Volk zu beruhigen, wurde etwa die Hälfte der begehrten Summe zusammengebracht.