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Erstes Kapitel.
Ins Herz des dunkeln Erdteils.

Endlich ist die Sehnsucht von vierzehn Jahren erfüllt. Ich stehe vor Antwerpen auf dem Schiffe, das mich mit P. Wulfers zum Kongo tragen soll.

Als Missionar in Afrika zu wirken, war der Traum meiner Kindheit, von frommem Priestermund belebt; es war der Gedanke meiner Jugend, der beim Studium mich trug. Nun schmückt das Missionskreuz meine Brust; zum Christusträger bin ich bestellt für die »schwarze Welt«.

Von Antwerpens hoher Kathedrale schlug es Mittag, die Schiffssirene erdröhnt und erschüttert den Hafen und die Herzen. Die Anker werden gelichtet, die Schiffsbrücke gehoben, und unter den Klängen der Musik gleitet das Fahrzeug in die schäumende Flut. Alte Freunde winken mit Händen und Tüchern den letzten Gruß herüber, hinüber.

Den letzten Gruß? Damals galt die Devise: Niemals zurück! Nur die schreckliche Sterblichkeit hat die Missionsbischöfe genötigt, erschöpfte Glaubensboten heimwärts zu senden, um ihr Leben für neue Tätigkeit zu fristen. Rund 360 katholische Missionare ruhen ja schon am Kongostrom. Über ihrem Grabe wächst die Palme, das Sinnbild des Sieges über Heidentum und Grundsätze der Welt, und ihre Opfer sind hinaufgestiegen zum Himmel, den Fluch von den Söhnen Chams zu nehmen.

Langsam nur fährt das Schiff mit seinen 280 Afrikapassagieren die Schelde hinab, denn dichter Nebel verhüllt Fluß und Ufer. Nur einmal öffnet ein Windstoß dem Blicke die Zinnen von Vlissingen. So lebt nun wohl, ihr Berge, ihr geliebte Triften! Teure Heimat, lebe wohl! Es geht hinaus in Nacht und Sturm!

Zornig ergreifen die Fluten des Meeres das Schiff. Lästig tönt die Schiffssirene durch die Nacht, nahende Fahrzeuge zu warnen.

Da, um 3 Uhr morgens – wir fuhren schon geraume Zeit im Kanal – ein Ruck, ein schreckliches Krachen. Wir sind vom Lager geworfen. Alles schreit und rennt aufs Verdeck. Hilferufe gellen aus den schwarzen Wassern. Der Scheinwerfer zeigt ein sinkendes Schiff: wir sind ihm in den Leib gerannt. In wenigen Augenblicken schlugen die wilden Wogen über ihm zusammen. Hastig kletterten wir in die Rettungsboote und schrieen nach den sturmerprobten Ruderarmen der Matrosen; denn auch unser Schiff hatte Schaden genommen. Doch kaltblütig verteilte der Kapitän die Rollen: die einen seiner Leute wehren dem einströmenden Wasser, die andern werfen uns aus den Booten heraus, nehmen selbst darin Platz, lassen sich ins Wasser hinab und rudern den wegtreibenden Schiffbrüchigen nach.

Stumm stehen wir da. Mein Konfrater aber stößt mich an und sagt: »He, Freundchen, heute dürfen wir mal schwimmen.« Nur neun vor Kälte zitternde Gestalten wurden endlich zu uns emporgezogen und dem Schiffsarzt übergeben. Einer starb sogleich; ein anderer folgte ihm bald im Tode – der einzige Sohn einer Witwe auf seiner ersten Fahrt.

An Englands Küste war unser Notsignal gehört worden. Rettende Schiffe erschienen und führten uns im Schlepptau nach Southampton. Ein neuer Dampfer nahm uns hier auf und stach in die Flut südwärts.

Nach überstandenem Sturm und Schrecken tobte es im eigenen Innern physisch und moralisch: das war die Seekrankheit, und sie dauerte, bis der Seemannstritt erlernt war auf der sich hebenden und senkenden, herüber und hinüber schwankenden Arche. Dabei jagten durch den erhitzten Kopf Phantasiegebilde und Gedanken, rückwärts, vorwärts. Ich sah die Heimat und das Elternhaus, Vater und Mutter mit den feuchten Augen: so viele Opfer hatten sie für den Sohn gebracht – und nun zieht er hinaus in die fremde Welt. Ich fühlte wieder des Vaters stummen Händedruck, den heißen Abschiedskuß der Mutter. Ich sah die Kirche, wo ich, vom Glanze des jungen Priestertums umstrahlt, die geweihten Hände auf der Eltern graues Haupt gelegt hatte. Ich sah das stille Kloster, wo im Chor der Gottesdienst so feierlich den Himmel auf die Erde zieht. Ich hörte alte Freunde sprechen: »Bleib bei uns: du kannst hier besser wirken!«

Herr, der du Gequälte stets erquicktest mit deinem sanften, milden Blick! Wo ist dein gütiges Herz? O laß es mich finden! Und ich höre die Worte: »Wer seine Hand an den Pflug legt und zurückschaut, ist nicht tauglich für das Reich Gottes.« »Ich bin bei euch alle Tage.« – Und es ward eine große Stille …

Engländer für Sierra-Leone, Franzosen für Dakar, Portugiesen für Loanda und ein Gemisch aller Nationen für den internationalen Kongostaat befanden sich auf dem Dampfer. Auch ein Landsmann aus meiner allerengsten Heimat, ein Kaufmann, der den Sangaweg nach Hinterkamerun einschlug. Wir saßen alltäglich auf der Schiffsbrücke beim Plaudern und ließen dabei die Augen in die Ferne schweifen über die endlose, rastlose Flut, wo Woge an Woge drängend hinrollte, Delphinenzüge dahinglitten und, aus ihrem Element aufhüpfend, dem Schiffe folgten; wo die Möwenscharen sich auf dem Wasser wiegten oder sich in der Luft tummelten. Und wie herrlich, wenn am Abend die Leuchtfische flogen und Myriaden von phosphoreszierendem Kleingetier das Meer versilberte!

»Welcher Missionsgesellschaft gehören Sie denn an?« frug bald mein Landsmann.

»Wir heißen Priester vom Herzen Jesu. Ausschließlich Missionsgesellschaft sind wir aber nicht. Orden, die Missionen haben, sind damit noch keine Missionsorden. Auch dürfen Sie uns nicht verwechseln mit andern Genossenschaften von ähnlichem Titel. Das Ziel, das wir erstreben, ist vor allem innerlich. Wir gruppieren uns um das Priesterherz des Heilands, suchen sein inneres Leben, sein Denken, Streben, Empfinden zu ergründen, uns anzueignen und auf andere ausströmen zu lasten. Äußerlich betätigen wir uns in Volksmissionen und Heidenmissionen, übernehmen Seelsorge in der Heimat und bei den deutschen Auswanderern, wirken als Professoren an niederen und höheren Lehranstalten in verschiedenen Erdteilen usw. Wie es eines jeden Neigung ist, so wird er nach Tunlichkeit verwendet – wenn nur der Geist lebt, jener Priestergeist, oft wenig beachtet, der den Heiland trieb, ein Sühnopfer zu werden zur Ehre Gottes und der Menschen Heil.«

»Dann hätten Sie in Europa bleiben sollen. Da gibt es auch zu tun; es besteht ja vielfach großer Priestermangel.«

»Ganz Ihrer Meinung. Nur ist ein großer Unterschied. In Europa stehen überall Kirchtürme, und jedermann sieht sie oder hört ihre Glocken. Sie sagen zu allen: Fürs Jenseits bist du, o Mensch, auf Erden! Von hier aus geht der Weg. Doch hier in Afrika gibt es für Millionen kein Gotteshaus. Dort kann, wer will, den Heiland finden, hier nicht. Millionen werden ihn suchen, sobald die Kirche sich nur zeigt. Mich zog die Heidenmission an.«

»Wären Sie dann wenigstens in unsre Kolonien gegangen! Sie schulden sich doch zuerst dem eigenen Vaterland.«

»Wie? Hat nicht das Vaterland uns Ordensleute durch die Kulturkampfgesetze vertrieben? Können wir da einfach in seine Kolonien einmarschieren? – Übrigens: den Katholizismus zum Nationalismus herabzuziehen, widerspricht dem Willen Christi, der ein Reich gegründet hat, das die ganze Welt umspannen soll, unter gleichen Gesetzen, mit gleicher Seelenspeise. Nationalisierung des Katholizismus und seiner Missionen wäre ein unseliges Verhängnis für die Religion und für die Staaten. Sollen wir Glaubensboten, die wir einen höheren Zweck verfolgen, uns von euch Kaufleuten beschämen lassen? Ihr schaut doch nur darauf, wo ein Geschäft zu machen ist, nicht auf die Nation. Wo Seelen zu retten sind, da soll auch der Missionar zu finden sein. Die Apostel des Herrn, Sankt Bonifatius, Sankt Willibrord, Sankt Fridolin haben nicht gesagt: Wir gehen nur zu unsern Landsleuten!«

So disputierten wir hin und her; auch über die Aussichten der Missionierung Afrikas. Ich machte die Verschiedenheit der Stämme geltend, wies auf die Erfolge der Missionen bei den Bantu hin, erzählte von den Ugandamärtyrern, die kämpfen und sterben konnten für ein heiliges Ideal.

Da nun die Sonne täglich heißer brannte, wurden Sonnentücher über dem Schiff ausgespannt. Wir vertauschten den Europaanzug gegen die weiße Tropenkleidung. Eine Dame, die den schweren Tropenhelm aus Kork oder Gummi verschmähte, erlag einem Sonnenstich. Sie wurde im Meer bestattet mit ernster Feierlichkeit: Das Schiff verlangsamte seine Fahrt. Am Gitter stehen wir um den in Segeltuch gehüllten und auf einer schiefen Planke liegenden Leichnam, der mit dem Gesicht dem unendlichen Ozean zugewandt war. Hin und wieder fährt ein Blitzstrahl durch die dunklen Wolken. Nun hält das Schiff an; sein Glöcklein läutet; ein Gebet, das Signal des Kapitäns, und das Brett hebt sich und gleitet, noch mit Steinen beschwert, langsam hinab. Ein Aufschlagen auf dem Wasser – und es ist still.

Am einundzwanzigsten Tage der Fahrt verändern sich die blauen Meereswogen in braunschäumende Fluten. Das ist Kongowasser! Bis 90 Kilometer weit ins Meer heraus macht dieser wasserreichste Strom der Erde sich geltend. Trompetenartig ist die Mündung und wird schließlich 12 Kilometer breit. Ihr wenden wir uns zu. Zu unsrer Rechten liegt das Fort Sant' Antonio der portugiesischen Kolonie; zur Linken glänzen auf einer nur 60 Meter breiten Landzunge unter Kokospalmen die Häuser der holländischen Faktorei, die seit drei Jahrhunderten hier Palmöl kauft zur Seifenfabrikation und eine Kohlenstation für die Schiffahrt unterhält. Das ist Banana.

Feierlich ruhig nach der bewegten Fahrt fährt das Schiff in den Kongostrom hinein und legt hinter der Landzunge an. Ein Arzt erscheint, erkundigt sich nach dem Befinden der Reisenden und nimmt uns zwei Missionare in seine Barke und sein Haus, wo er uns bisher unbekannte Früchte vorsetzt und weise Lehren für die Erhaltung der Gesundheit erteilt. Vor allem sei das prophylaktische Chinin Lebensbedingung in diesem Lande, sagte er. Es müsse nach einer bestimmten Methode genommen werden, damit der Körper sich daran gewöhne; jeden Tag ein Viertelsgramm oder jeden vierten Tag ein Gramm; auf diese Weise sei Malariafieber mit seinen Folgeerscheinungen ausgeschlossen, da sich der von den Moskitos eingeführte Malariabazillus nicht entwickeln könne. Den schädlichen Wirkungen des Chinin soll jährlich ein- bis zweimal eine Arsenikkur entgegenwirken.

Noch 145 Kilometer weit bringt uns das Seeschiff den Strom hinauf. Zu unsrer Rechten liegt das ehemalige Negerkönigreich Kongo. Dort haben portugiesische Ordensleute seit Ende des 15. Jahrhunderts eifrig das Christentum verbreitet, und in der Königsstadt Sao Salvador war ein Bischofssitz erstanden, den auch ein Schwarzer mit Tugend und Gelehrsamkeit geschmückt haben soll. Doch mit Portugals Stern sank auch die Mission.

Das linke Ufer ist Boden des modernen Kongostaates, und wir setzen bald die an Bord befindlichen Beamten in Boma ab, dem Sitze der Regierung. Diese bestand damals aus dem Gouverneur, einem Generalsekretär und sieben Direktoren (für Justiz, Finanzen usw.). Das Land war in vierzehn Bezirke geteilt, denen je ein Kommissar vorstand, der mit Hilfe einiger Agenten und Soldaten Gummi- und Elfenbeinsteuer für den Souverän Leopold II. einzutreiben hatte.

Nun fahren wir durch den »Höllenschlund«. Der Riesenstrom hat sich hier durch ein steiles, nacktes Felsgebirge in spitzem Winkel Bahn gebrochen und ein fast hundert Meter tiefes Bett gebohrt. Atemlos steht jeder Passagier auf dem schwankenden und ächzenden Schiffe, das die wilden Wirbeltrichter durchschneiden muß. Jeder ist überwältigt von der unheimlichen Großartigkeit der Felsgebilde und der brausend kreisenden Flut. Doch Freude entströmt der Brust, wenn das Schiff, kurz bevor sein Schnabel auf die Felswand rennt, durch glückliches Manöverieren triumphierend die letzten Felsmassen umfährt und in der Ferne die Livingstone-Fälle erglänzen, die der ganzen Flußbreite vorgelagert sind und dem Wellenroß bedeuten: Bis hierher und nicht weiter! Rechts liegt zuvor der Seehafen und Handelsplatz Matadi. Hier legen wir an und verlassen den Dampfer.

Matadi heißt Felsenstätte. Auf Felsen und aus Felsen erbaut, macht die Tropensonne es zum heißesten Flecke der Erde. Hintereinander sich auftürmende Felsen haben seit der ersten Umseglung Afrikas weiterem Vordringen sich entgegengestellt. Wild jagen die Wassermassen des Kongo über eine 390 Kilometer weit hingestreckte fast 400 Meter hohe Felsentreppe voller Schlünde und Abgründe herab. Von diesen Felsen war Stanley im August 1877 in einmonatiger Fußtour herabgestiegen, nachdem er, von Sansibar kommend, den Kongo bei Nyangwe entdeckt und im Boote den Lauf des Stromes verfolgt hatte. Seither ist der große, weiße Fleck im Zentrum der Landkarte Afrikas verschwunden. Ein schauervoller Urwald dehnt sich über einen Flächenraum von zwölf Länge- und zwölf Breitegrade aus, ist durchzogen von dem 4700 Kilometer langen Kongostrom mit seinen riesenhaften Nebenflüssen und mag bevölkert sein von 15 bis 20 Millionen Bantunegern.

»Bula-Matadi!« schrieen die Neger Stanley entgegen. Bula-Matadi, d. . Felsenbrecher, nennt die schwarze Welt auch heute noch Stanley und »seinen Sohn«, den Staat bzw. dessen Herrscher.

Leopold II., Präsident des Internationalen Afrikavereins, schenkte Stanley sein Vertrauen. Er gründete eine Studienkommission, den Internationalen Kongoverein, und sandte Stanley in umgekehrter Richtung zurück, um das Land für den Verein in Besitz zu nehmen. Durch die Berliner Generalakte vom Februar 1885 wurde das Gebiet des Vereins als »Unabhängiger Kongostaat« anerkannt. Unter Einsetzung seines Privatvermögens regierte Leopold als Autokrat mit Ausdauer und Energie, allen Mißerfolgen trotzend, das Land und beutete es aus, bis er es kurz vor seinem Tode (1909) an den belgischen Staat abtrat.

Um die unerschöpflichen Schätze von Elfenbein und Gummi aus dem Belgien an Größe vierundachtzigmal übertreffenden Gebiet an den Hafen von Matadi befördern, wurde auf Stanleys Forderung für 65 Millionen Franken mit chinesischen und schwarzen Arbeitern eine 398 Kilometer lange, waghalsige Schmalspurbahn in weitem Bogen um die Stromschnellen herum angelegt. Zur heutigen Ausfuhr gehören auch Gold aus Moto und Kilo (im Juni 1921 beförderte die Bahn 467 Kilo dieses Metalls), Silber und Kupfer aus dem Katangagebiet, Petroleumsteine, Zinn, Diamanten, Kopal (ein Pflanzengebilde, das wahrscheinlich aus der Quartärperiode stammt und sich ein Meter tief im Boden findet und auf chemischem Wege zu feinen Firnissen verarbeitet wird), sehr radiumhaltige Metalle (z. B. Uranium). In den letzten Jahren warten ganze Berge von Palmfruchtkernen auf Beförderung – Bahn und Schiffe genügen nicht mehr.

Diesem Bähnchen nun übergaben wir uns und unser Gepäck zur Weiterreise. Der Zug besteht aus zwei Wagen, einem geschlossenen erster und einem offenen zweiter Klasse. In letzteren sollen alle jene einsteigen, die für Gleichheit und Brüderlichkeit schwärmen: Kohlenstaub, Rauchwolken und der aufgewirbelte weiße Sand werden dafür sorgen, daß der Weiße sich vom Schwarzen bald nicht mehr unterscheiden läßt. Neger sind Lokomotivführer, Heizer, Stationsvorsteher. Schwer schnaubend klimmt das Maschinchen die felsigen Zickzackpfade hinan, und ohne von einer Bremse Gebrauch zu machen, läßt es der Führer die Talgehänge hinabrollen. Wozu bremsen, da das Fatum doch schon den Ausgang bestimmt hat?

Thysville. 800 Meter über dem Meere, ist der Höhepunkt der Bahn, ihre Mitte und für uns Nachtquartier.

Der folgende Tag führt uns in die herrliche Jesuitenmission Kisantu. Ich sah 1300 Waisenkinder in musterhafter Ordnung in der Missionskirche beten und singen, mit Interesse und Erfolg die Schule besuchen, mit Bienenfleiß die Pflanzungen bestellen. Auf einer Anhöhe leuchtet das Spital der Mission, dem ein Arzt vorsteht. Möchten doch unsre andern katholischen Missionen bald diesem Beispiel folgen und Ärzte, Lehrer usw. ihrem Werke angliedern. Eine Mission ist ja keine Pfarrei, sondern die Trägerin der gesamten christlichen Kultur; alle kulturellen Einrichtungen sollten in ihr beschlossen sein!

Das Wunderwerk der genannten Mission ist Bruder Gillets botanischer Garten. Aus allen Kontinenten läßt sich dieser Fachmann in Umtausch gegen afrikanische Gewächse Pflanzen und Sämereien kommen. Schon hat die Zahl seiner geliebten Pfleglinge 6000 überstiegen. Jedem Afrikaner spendet er, was nur immer nützen und erfreuen kann. Welch großes Verdienst erwirbt sich dieser bescheidene Ordensmann um Afrikas Zukunft, zumal da er vor allem Nährpflanzen einzubürgern sucht! So haben die Mönche überall gewirkt; doch wenn ihr Werk in Blüte stand, jagte sie der träge Neid zum Lande hinaus, nahm ihr Eigentum, und nannte sein, was ihr Fleiß geschaffen hatte.

Tüchtige Kräfte entfalten hier ungehemmt ihre Fähigkeiten. Da sind Brüder-Handwerksmeister: Schreiner, Maurer, Schmiede, Gärtner, Buchdrucker, Viehzüchter usw.; jeder bringt seinem Fache Ehre, der Mission Nutzen, hält schwarze Lehrlinge und Gesellen in großer Zahl. Könnte doch jede Mission solche Brüder ihr eigen nennen, damit nicht das priesterliche Wirken im Kampfe ums Leben Schaden leide! Darum, katholische Handwerker in der Heimat: Wer von euch Mitapostel des Heilands werden und dauernde Schätze sich hinterlegen will: die Missionsgesellschaften nehmen euch mit offenen Armen auf!

Noch weit, weit ins Land hinein müssen wir. Für vierundzwanzig lange Reisetage besteigen wir in Kintambo oberhalb der Schnellen den Flußdampfer. Der Strom ist von hier ab 1600 Kilometer weit schiffbar, und mit seinen Nebenflüssen bildet er das größte Wasserstraßennetz der Welt: 15 000 Fahrkilometer. Kleine Raddampfer besorgen den Verkehr. Die Heizung geschieht mit Holz aus dem unerschöpflichen Urwald. Tagsüber wird gefahren, nachts legt das Schiff an, um Holz zu laden und weil eben der Kapitän den Weg sehen muß; denn 200 000 kleine Inseln, zahlreiche Sandbänke, treibende oder festsitzende Bäume, Snags genannt, sind der Flußfahrt gefährlich. Untertags ist das Schiff ein Schwitzkasten, nachts umhüllen es Wolken von stechenden Moskitos, und das Wiegenlied singen die Ochsenfrösche am sumpfigen Ufer.

Wenn das Signal zum Abendessen ruft, bedecken sogleich Schwärme von Motten und Nachtschmetterlingen Schüsseln und Teller. Auch Skorpione kommen und sog. »Gottesanbeterinnen« (Fangheuschrecken) fliegen herbei; die ersteren jagen uns in die Flucht; die andern werden gefangen und anatomisch untersucht. An ihres Leibes Ende läßt sich nämlich ein 15–20 Zentimeter langes Wurmgebilde erfassen, den fast jedes erwachsene weibliche Tier im Eingeweide trägt; herausgezogen, kriecht das Schlängchen munter auf dem Tisch herum und freut sich des nie geschauten Lichtes, während die befreite »Anbeterin« erleichtert Komplimente macht. Eigentümlichkeiten dieser Tiere sollen auch sein, daß das Weibchen nach der Paarung das schwächere Männchen verzehrt und daß es sich den Blättern anpassen kann, worin es nur vom »Wandelnden Blatt« übertroffen wird.

Die mitreisenden Neger sind als Arbeiter oder Soldaten im Dienste der Europäer und haben Hab und Gut bei sich: schreiende Kinder, gackernde Hühner, bellende Hunde, zankende Weiber, sie sorgen für Zerstreuung auf der sonst so eintönigen Fahrt.

Am ersten Tag führt uns das Schiff durch eine tiefe und 40 Kilometer breite, kesselartige Stromerweiterung, Stanley-Pool genannt. Es ist, als wollten hier die Wasser in Ruhe sich stärken für den letzten wilden Tanz über die Felsen hinab. Sie haben schon eine weite Reise gemacht aus dem Hochland südlich vom Tanganjikasee her. In Rhodesia ist, um mich des Negerausdrucks zu bedienen, das Kind dieses Wassers unter dem Namen Tschambesi geboren worden, und nachdem es im Bangweolo- und Moerosee sich gebadet, hat es mit dem Luapula und dem Lukuga, dem Abfluß des Tanganjika, Bruderschaft geschlossen, ist unter dem Namen Lualaba gewachsen und zog so seine weite Straße durch den Urwald.

Jenseits des Pools leuchtet Brazzaville, die Hauptstadt von Französisch-Kongo, so benannt zu Ehren ihres Gründers Brazza. Dieser war als Mitglied der Studienkommission im Jahre 1879 mit Stanley ausgezogen. Ihm ward die Erforschung des rechten Flußufers anvertraut, während Wissmann links den Kassai, den größten Nebenfluß, erforschte. Wissmann bewahrte dem Afrikaverein seine Treue, Brazza hingegen schloß für sein französisches Vaterland heimlich Verträge mit den Häuptlingen ab, hißte die französische Flagge und gründete so hinter Stanleys Rücken eine französische Kolonie.

Vom Stanley-Pool bis zur Mündung des Kassai hat unser Schiff schwer zu schnaufen. Das Flußbett, Kanal genannt, ist hier nur 700 Meter breit bei fast 100 Meter Tiefe, und das Wasser besitzt 13½ Meter Sekundengeschwindigkeit. Das westafrikanische Schiefergebirge, das der Kongo hier durchbricht, besteht aus allen möglichen Schieferarten nebst Gneis, Granit und Sandstein. Oberhalb desselben, je mehr wir ins Zentrum der Alluvialebene gelangen, wird der Strom immer breiter, bis er schließlich 48 Kilometer mißt, und das Auge sein Ufer kaum erreichen kann. Einst hat sich hier ein Binnenmeer ausgedehnt, vom ostafrikanischen Seehochland bis zum westlichen Schiefergebirge, von der nordafrikanischen bis zur südafrikanischen Wasserscheide. Das beweisen die nach innen steil abfallenden Höhen, der so breite Fluß im Zentrum dieses Beckens, der tiefrote, braunrote, gelbe junge Boden, das verwitterte Gestein, der üppig sprossende ununterbrochene Urwald.

Da die Regenzeit eben erst zu Ende gegangen ist, sehen wir die Ufer und die wenigen Ortschaften überschwemmt. Die Bewohner leben zu der Zeit in Kähnen oder in von vier hohen Pfählen getragenen Wasserhütten.

Jeder Tag der Fahrt bringt dasselbe Landschaftsbild. Majestätisch langsam wälzt sich der Strom dahin im blendenden Sonnenglanz. Wohin wir uns auch wenden, überall mit Wald bedeckte Inseln. Fahren wir an den Ufern, so ist's der ewig gleiche Urwald mit blütenüberflossenen Schlingpflanzengehängen. Riesenhafte Baumgestalten steigen stolz aus dem mannigfachen Unterholz empor und erheben sich kühn über die übrige Waldhöhe. Andere Bäume haben ihren Stand gar zu nahe dem Wasserspiegel genommen: üppig wächst der schöne Baum und seine Farben spiegeln sich in der tiefen Flut; allein unten in der stillen, ungesehenen Tiefe, da spülen und wühlen die Wasser den Waldboden hinweg; selbst die mächtigsten Wurzeln können schließlich das Gewicht des Stammes nicht mehr halten: er fällt und reißt in seinem Sturze eine ganze Menge der mit ihm verschlungenen Bäume mit. Tief steckt nun sein Haupt in des Stromes Grund, und auf seinem Wurzelstock am Ufer sonnen sich heißhungrige Krokodile.

Fieberschwanger ist die Luft. Mancher Ankömmling wird schon auf der Fahrt erprobt. Vom Schiffe aus grüße ich die Grabhügel von vier Mitbrüdern, die im Jahre 1904 auf ihrer Fahrt dem Tropenfieber erlegen sind.

Je näher wir dem Ziele kommen, desto bevölkerter werden die Ufer, die sich heben und nähertreten. Die drei letzten Tage sahen wir keine getrennten Dörfer mehr, sondern hüben und drüben endlose Hüttenreihen. Mit dem Schiffe bewegte sich am Lande eine Woge jubelnder Menschen unter Tamtamschlägen, Gesang und Tanz, die Jugend stürzte sich kopfüber in die Flut, schwamm dicht ans Schiff heran, schnellte senkrecht aus dem Wasser auf zu militärischem Gruße und schrie nach leeren Flaschen und Konservenbüchsen. Warf man sie ihnen zu, so schlugen sie sich im Wasser darum.

Endlich am vierundzwanzigsten Tag der Stromfahrt erreichten wir die Stanley-Fälle. Hier ist das Herz Afrikas. Gleichweit liegt die Falls-Station (Stanleystadt) von Kapstadt und Alexandrien, von der Ost- und der Westküste. Hier ist der Knotenpunkt der Wasser- und Landwege.

Im Jahre 1897 hat der erste christliche Glaubensbote den Fuß hierher gesetzt und leitet heute noch als Missionsbischof die 1908 zum Apostolischen Vikariat erhobene Mission, deren Grenzen die großen Seen, der siebte Grad südlicher Breite, der Bomani-, Kongo-, Itimberifluß und der zweite Grad nördlicher Breite bilden. Ihm, dem damaligen Apostolischen Präfekten, Msgr. Grison, stellen wir uns bei der Ankunft vor, damit er uns ein Arbeitsfeld anweise.

Unsre Ankunft kam sehr gelegen, wenn auch eine Freudenstimmung darob in der Mission nicht aufkommen konnte. Denn in derselben Frühe hatte der hochwürdigste Herr den beiden bei ihm residierenden Patres die letzte Ölung erteilt. »Wolle Gott es verhüten«, so lauteten darum die ersten Worte an uns, »daß Sie zum Ersatz gesandt seien und er jene zu sich ruft.«


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