Pellegrin (Friedrich de la Motte Fouqué)
Alwin
Pellegrin (Friedrich de la Motte Fouqué)

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Zehntes Kapitel.

Walter kam seit dieser Zeit öfter in's Forsthaus, und hielt immer lange und begeisterte Gespräche mit Alwin. Dieser aber fühlte sich, so mild auch Walter's Reden waren, dadurch auf eine schauerliche Weise bewegt. 251 Des Lebens nothwendiger, unabänderlicher Schluß ward allemal mit so entschiednen Worten hingestellt, daß keine von den Floskeln, die wohl Alwin für ähnliche Fälle gehört und ausgesprochen hatte, dagegen ausreichen wollte. Was dieser von Nachruhm, von Liebestrauer sprach, pflegte Walter mit einer dürren Hinweisung auf das Gerippe zu beantworten, worin jeder sinnliche Reiz sich auflösen müsse.

Wenn in dieser Zeit Alwin zu Nacht vom Schlaf auffuhr, glaubte er schon im Arme des kalten, gräßlichen Grabes zu liegen. Und ermunterte er sich auch, was half es, vom Unentfliehbaren noch auf so, oder so viel Minuten entfernt zu sein! Aus dem weingefüllten Pokal, aus dem heitern Gespräch, aus allem sonst Ergötzlichen, rief ihm der grausende Tod entgegen: Du bist mein, wie sie 252 schon Alle mein gewesen sind, und es sein werden, die auf dem Erdboden in Menschengestalt umherwanken. Er glaubte oft, seinen furchtbaren Feind ganz vernehmlich lachen zu hören, daß alle Dinge um ihn her im Gefühl solcher Botmäßigkeit erzitterten. Was Emilie bei Hartwald's Tode gesagt hatte, kam jetzt mit erneuten Schrecken in sein Gemüth; er suchte vergebens nach einem Port, welcher ihn vor dem unabsehbaren Wogengrabe schirmen könne.

Walter bemerkte wohl, was in seinem Freunde vorging, ohne jedoch davon sonderlich erstaunt, oder bewegt zu sein. Ueber ein edles Reis, pflegte er zu sagen, muß manch eine Wetterwolke hinziehn, eh es zum fruchttragenden Baum festwurzelt, und in aller Herrlichkeit aufschießen kann. Blüh' fort, Du süße Gestaltung, weiter und weiter aus 253 Deinem Kern hervor, auf daß Gott und Menschen an Deinen Früchten Lust haben mögen.

Dergleichen Worte tönen begeisternd, antwortete Alwin dann wohl zuweilen, aber sie gelten mir nur wie ein flüchtiger Labetrunk. Ich muß fortwandeln auf dem furchtbaren Pfad, und die Wolken ziehn sich nachher nur drohender zusammen.

So ist's auch recht, sagte Walter. Aus Dir selbst, aus Dir allein, allein mit eigner Kraft mußt Du das heilige Geheimniß hervorgraben, und solltest Du auch vermeinen, Leib und Seele gingen Dir verloren in dem Gefecht. Was Du verlierst, gewinnst Du zehnfach wieder.

Alwin fiel in seinen Beängstigungen oftmals darauf, ob er nicht in den Schooß der Katholischen Kirche flüchten solle, wie er schon 254 früher Neigung dazu empfunden hatte, und theilte auch endlich diesen Gedanken seinem Freunde mit.

Ach Gott, sagte Walter, wie Ihr doch immer noch so ganz auf dem irrigen Wege seid! Von außen her, meint Ihr, soll's Euch kommen! Etwa, wenn Ihr vor einem schönen Heiligenbilde knietet, die feierliche Musik um Euch her rauschte, und Wolken von Weihrauch an Euch vorbeizögen. Wenn es Euch nun auch betäubte, daß Ihr alle Schrecken vergäßt, die Euch gegenwärtig nachhingen, was hättet Ihr dann wieder gewonnen, als einen neuen Rausch und Taumel, ein wenig anders gestaltet, wie der letztempfundne? Mein Freund, das wäre eine wahre Abtrünnigkeit bei Euch, und noch oben drein schmähliche Heuchelei gegen die Katholische Kirche.

255 Heuchelei, wiederhohlte Alwin. So könnte man nennen, was mich etwa ein Jahr früher dahin getrieben hätte: Lust an den schönen Cärimonien und so weiter, ohne eigentlichen Herzensdrang. Aber diese grausenvolle Gestaltungen meines eignen Geistes, diese drückenden Lasten auf meiner Brust, wie könnte für andres als Wahrheit gelten, was ich unternähme, mich vor ihnen zu retten.

Lockung und Drohung sind wohl ziemlich dasselbe, sagte Walter. Keines von ihnen darf ein Gemüth, daß zu Gott will, auf irgend eine Weise bestimmen. Ob Euch die schönen Bilder anziehn, ob Euch des Todes Larve treibt, – gleichviel! Ihr bliebt ein Heuchler. Hat Euch nicht schon ein innrer Schauder aufgeregt aus langer Ruhe? Müßt Ihr nicht, willig oder nicht, zum Licht hinan, wenn Ihr treu und ehrlich gegen Euch selbst 256 verbleiben wollt? Und Ihr möchtet eben jetzt unbedingten Glauben für andrer Menschen Worte geloben? Oder wollt Ihr ihn heimlicher Weise bedingen? Meineidiger alsdann!

Und es sind doch viele fromme, herrliche, gottgetreue Gemüther aus dem Schooße des Katholischen Glaubens hervorgegangen, und gehn noch täglich daraus hervor, erwiederte Alwin. Warum soll denn nur mir der Pfad verschlossen sein?

Weil Ihr eben nicht zu ihnen gehört, sagte Walter. Wer schläft sündigt nicht, ja er kann in herrlichen Träumen Gottes Offenbarungen empfangen, und, des Wachens unbewußt, in den Himmel hinübergehn. Aber öffne nur erst für eine halbe Sekunde die Augen, und es ist mit Deinem Schlafe vorbei. Wenn Du Dich auch noch einmal wieder 257 einwiegst, was kann Dir's helfen? Das Tageslicht hat nun einmal Besitz von Deinen Blicken genommen, und wie Du die Augen auch zudrückst, der fremde Gast wohnt drinn, und stemmt sich feindseelig gegen Deine Träume an. Möchtest Du Opium nehmen, um Dich noch länger im Taumel zu erhalten, und späterhin dumpfer, zerstörter zu erwachen? Frisch lieber dem Schlaf, dem lieben, dem seeligen, da er doch einmal angegriffen ist, ein freundlich Lebewohl gesagt, und dreist dem Tageslicht entgegen geschaut. Wenn wir einmal ahnen; was besser ist; nicht zu wissen, müssen wir's ganz wissen. Alles andere ist vom Uebel. Mache Dir's nur klar, daß von Dir selbst, ganz und gar von Dir selbst die Rede ist, daß Tod und Leben beide in Dir wohnen, und daß Alles, was Dir diese sichre Ansicht verdunkeln oder verkleiden möchte, 258 vom Lügenvater herkommt, und eine kurze Gaukelei ist, um uns die sichre Hölle zu verkleiden. Sieh Allem dreist entgegen, was Dich schreckt, aber fühle, daß all Deine Freude, sonder all Dein Zuthun von oben her dem demüthigen Sinne beschieden wird. Es soll ein tapfres Volk auf Erden gegeben haben, welches den Sinnspruch führte:

Des Unterworfnen schon', den Frechen schlag darnieder.

So meint es auch der Tod. Ergieb Dich ihm, und Du wirst seine Süßigkeit erkennen.

Es geschah nach Walters Worten. Je länger und fruchtloser Alwin gegen die Schrecken des unvermeidlichen Feindes rang, je stiller ergab er sich drein, und sank endlich wie ein unrettbares Opfer schweigend in die dunkeln Fluthen hinab. Da ward's ihm leicht 259 und licht. Was ihm ehemals den Abscheu vor Dunkel und Sterben im tiefsten Herzen erweckt hatte, schloß sich nun eine funkensprühende Blüthe auf. Eben daß Du den Tod fürchtest, rief es in ihm empor, bürgt Dir das ewige Leben. Mich, Dein liebstes, heiligstes Dasein wolltest Du bewahren, und ich lasse Dich auch nicht, obgleich die Würmer an Dir nagen werden, und die Erdschollen Dich einschließen in's feuchte Grab. Ich bin die ewige Liebe, in Dir zu einem Menschen gestaltet, und wandle mit Dir durch Moder und Staub, und lasse Dich nicht aus meinen Armen, wofern Du nicht selber Dich losreist. Der Tod ist unser Brautführer, unser bester Freund, aber er wird böse, und nimmt eine schreckende Larve vor, wenn man nicht das Herz hat, ihm, dem ernsten Gestalter, in's Antlitz zu schauen. Vor mir aber 260 verklärt er sich zum himmlischen Geleiter. Liebe, und Du wirst leben!

Alwin's freudiges Aussehn, seine stille, fromme Reden verkündeten Waltern bald, was vorgegangen war, so daß dieser folgende Verse zu ihm sagte:

Das Blümlein ist aus wilder Erden,
Der Tag erwachsen aus der Nacht.
Nun Heil den drohenden Beschwerden,
Die aufgeschlossen solche Pracht! 261


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