Pellegrin (Friedrich de la Motte Fouqué)
Alwin
Pellegrin (Friedrich de la Motte Fouqué)

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Erstes Kapitel.

Ihr Fieberträume am Lager des Kranken, die Ihr bald seinen Blick mit wunderlicher Helle verblendet, bald mit tiefen Schatten umdunkelt, immer furchtbar neu an wechselnder Gestaltung, das Unerhörteste mit dem Gewöhnlichsten zusammenstellend, daß die widrigsten Ungeheuer sich draus erheben, und dann wieder zwischen den Larven hindurch, der Garten all' unsrer Lust sich erschließt, das Bild des Paradieses, welches wir in uns tragen, – Ihr seid es, die uns das Ringen von Leben und Tod offenbaren, wie es unendlichen Fortgang hat um die verfallende Bildung, drinnen wir Menschen auf der Erde wohnen. Da 4 treten die alten Urgestaltungen heraus in ihrer schauerlichen, ewig dauernden Jugend, in jeder Wiege neu gebohren, an jedem Todtenbette zerschellend, um in neuen Schöpfungen denselben Lauf von neuem zu beginnen. Wir fühlen es, welchen Mächtigen wir hingegeben sind, und der Wahnsinn steckt triumphirend seine bunte Fahne auf.

Alwin verharrte lange Zeit in diesem seltsamen Kampfe. Die Wogen des innern, empörten Meeres trieben ihn hinab und hinauf, schleuderten ihn in die tiefsten Abgründe des Schrecken's, wirbelten ihn empor zu den Sternen, wo Aline wohnte und seine Eltern, und Friedebert des Wahnsinns lachte, der ihn verwirrt hatte, und den Kranken jetzt verwirrte. Es trat einmal eine leichte Stunde dazwischen. Der Jüngling richtete sich von seinem Lager auf; es sah Alles umher gar 5 freundlich und friedlich aus. Die Mittagssonne strahlte durch die Fenster herein auf sein Bett, auf den buntgewirkten Teppich des Tisches, der in Mitten des kleinen reinlichen Zimmers stand. Wie komm' ich denn nun hierher? fragte er. Ich habe diese Stube ganz, ganz von weitem gesehn, durch Himmel und Hölle durch, und kenne sie daher recht wohl. Aber daß ich nun mit einem Male mitten drein liege, das ist mir das Unbegreifliche. Er sah immer klarer umher, und erblickte endlich Raimunden, der zu den Häupten seines Lagers saß. Ach, sagte er, nun begreif' ich. Das alte Spiel geht wieder an, Du, Dichter warst immer dabei, und hast mich auf all' den kreuzenden Wandrungen geführt. Wie's wieder schwindelt! Wie sich's wieder dreht!

Er fiel in den vorigen Zustand zurück, aber doch von nun an, mit immer längern 6 Zwischenräumen. Endlich verschwanden die Träume fast ganz; das innre Licht schwebte wieder bildend über den Wasser; er ward still, und seiner Umgebungen bewußter. Den Meister Raimund erkannte er nun als einen wirklichen Menschen, der außer ihm zu seiner Pflege da sei, und versöhnte sich nach und nach mit der trüben Vergangenheit, so daß er sein Auge wohlgefällig darauf richtete, und sie gern mit stillen Thränen feierte.

Eines Abends blickte er sehnsuchtsvoll durch die kleinen Fenster. Ich dächte, sagte er, es müßte hübsch draussen sein, und setzte mich gern ein wenig vor die Thür. Aber es kommt mir wohl nur so vor. Wir müssen jetzt etwa im November leben, und da darf ich Kranker ja nicht hinaus.

Komm getrost mit, lieber Freund, sagte Raimund. Wir haben herrliches 7 Frühlingswetter und der Mai lacht aus allen seinen Blüthen hervor.

Der Mai? fragte Alwin. Und sinnend fuhr er fort: es war doch Herbst, als ich krank ward, wie sollten wir denn schon Frühjahr haben?

Und dennoch ist es so, antwortete Raimund. Du hast wie ein gescheuter Sangvogel den Winter verschlafen und verträumt. Komm mit, und frage die Erde selber, ob sie nicht ihr Brautkleid angezogen hat.

Sie traten in den kleinen Garten hinter dem Hause. Freudig duftete es vom jungen Grase auf, die Schmetterlinge flatterten lustig ihre Bahnen auf und ab, durch das reine Luftblau, milde Abendwinde hauchten dem Jüngling entgegen, der seine heimathliche Gegend an den Harzgebirgen erkannte, welche über die beschränkenden Zäune hervor ragten. Nun 8 flossen seine Thränen erst recht freud- und wehmüthig. Raimund störte ihn mit keinem Worte, und sie gingen mit der einbrechenden Nacht schweigend zur Ruhe.

Nach einigen Tagen sagte Raimund: Du bist ein gutes freundliches Kind, und ich habe Dich recht von ganzem Herzen lieb. Wenn Du mit mir kommen wolltest und mit mir leben thätest Du vielleicht am klügsten. Oder willst Du lieber nach Braunschweig zurück? Alwin schüttelte verneinend den Kopf und Raimund fuhr fort: mit Deiner kriegrischen Laufbahn ist es ohnehin am Ende, Adalbert hat seinen Zug schon längst nach andern Gegenden genommen, und Deine Soldaten sind theils auseinander gelaufen, theils haben sie sich an jenen angeschlossen. Ich wüßte Dir wohl etwas Beßres zu sagen. Wenn mich nicht alle Sterne trügen, bist Du eigentlich in unsrer 9 Zunft, ich meine in der dichtrischen geboren, und es haben nur andre Gewalten eine Zeitlang ihr Spiel mit Dir getrieben, wie denn alle Mächte der Erde gern nach dem Dichter greifen. Ich sah das schon ein, bei unserm ersten Zusammentreffen im Buchenwalde.

Und wo sollte es eigentlich mit unsrer Reise hin gehn? fragte Alwin.

Dem Süden zu, antwortete Raimund. Ich würde Dich dahin führen, wo Du das rechte Leben, die eigentliche Poesie wahrnähmst, und wie Beide sich innig durchdringen. Wir haben eine Colonie errichtet, wenn Du's so nehmen willst, von Leuten die nur der Kunst leben, und ihren lieblichen Träumen, wohlbegreifend, daß in ihnen die höchste Wahrheit liegt. Du wärst ein taugliches Mitglied.

Beinah glaub' ich es selbst, sagte Alwin. Des Hoflebens Heiterkeit, des Krieges 10 Gewitternacht ist mir nur eben vorübergezogen wie ein Gegenstand, draus man hübsche Romanzen machen könnte. Ja, die Lieder, welche hin und her dazwischen klangen, blieben von beiden immer das Beste. So lang' ich denken kann, find ich meine beste Freude an Mährchen und Gesängen, selbst hab' ich deren gedichtet, und hätt' es mehr gethan, wenn nicht so feindseelige Reden über meine Blumensaat hingefahren wären. Und dann wußt' ich nicht, wie ich mir meiner eignen Kraft dran war. Ach, wolltest Du mein Meister sein, nun wäre mir ein zwiefacher Frühling, ein zwiefach neues Leben erwacht.

Raimund schloß ihn liebevoll in die Arme. Sei mir willkommen, sagte er, mein wackrer Jünger. Ich will aus Dir was ziehn, dran die Welt Freude haben soll, und ich Ehre.

Alwin schrieb nach Braunschweig von 11 seiner Krankheit und Reise. Zugleich bestimmte er den Ort, wo ihn Briefe treffen könnten, und wenige Tage darauf traten die beiden Gefährten ihre Wandrung an.

Sage mir nur, lieber Meister, fing Alwin auf einer der ersten Tagereisen an, was Dich eigentlich so lange bei mir zurückgehalten hat. Die bloße Pflege eines wahnsinnigen, fast unbekannten Jünglings konnte es unmöglich sein.

Und doch; antwortete Raimund; wenigstens großen Theils. Eigentlich aber bin ich bei Euch Nordländern eingeschneit. Es lebt nämlich ein wunderlicher, viel verkannter Mann in Euerm Sachsenlande. der den Schlüssel zur Natur in Händen hat, weil er die rechte Liebe zu ihr in der Brust trägt. Zu dem trieb's mich hin. Unsre schönen südlichen Thäler ließ ich im Rücken, zog durch schlechte Heerstraßen, unpoetische Menschen, 12 ungastliche Wirthshäuser nach dem Räthselhaften hin, und genoß aus der Quelle seiner Weisheit, so viel ich des köstlichen Schatzes empfänglich war. Nachher ward ich mit einigen Großen aus Deiner Gegend bekannt, und folgte ihren Einladungen, um zu sehn, wie es mit Dir würde, denn Du warst mir sehr lieb. Zuletzt, wie gesagt, schneite ich ein, und mußte nun schon den Winter im Norden aushalten. Dich soll der Süden mit andern Banden fesseln: unser sollst Du bleiben, und Dich nimmer beklagen, daß Du solch ein Theil erwählt hast. 13


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