Pellegrin (Friedrich de la Motte Fouqué)
Alwin
Pellegrin (Friedrich de la Motte Fouqué)

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Erstes Kapitel.

    Die Kriegsleute zieh'n so lustig aus,
Schau'n nimmer zurück nach Hof und Haus,
Sie thun, als gelt' es nur Zeitvertreib;
Da sitz' ich am Weg', ein gespenstisch Weib.

    Das Kleid so weiß, der Schleier so weiß,
Und drunter ich weiß und kalt wie Eis.
Ich hebe den Schleier nicht vom Gesicht,
Zum Schauen ja brauch' ich der Augen nicht.

    Zieh' nicht so munter, Du kecke Schaar,
Bald speist von Dir sich Habicht und Aar.
Sporne nicht so den Hengst, Du starker Held,
Kommst zeitig genug erstarrt auf's Feld.

    Du schöner Knabe, geschmückt so fein,
Du giebst Dich zuerst an den Todesreihn. 170
Dann mußt auch Du mit dem Goldhaar hin.
Der Rosse Hufe verwirr'n sich drin.

    Was singst so lustig Du Ritterkind?
Nie hört Dich singen mehr, die Dich minnt.
Eu'r Tausend müssen, Eu'r Tausend nach,
Wo Euch der Schönste die Bahn schon brach.

    Einen Hirsch habt Ihr voraus gesandt,
Den Herrlichsten wohl durch See und Land.
Der Hirsch, der streitet nach Rittersart,
Doch sind ihm hie Feinde zu dicht geschaart.

    Eu'r kühner Hirsch ist sehr in Noth,
Er blutet schon aus zwei Wunden roth.
Und eh der Anger vom Thau wird naß,
So wirft ihn die dritt' in das grüne Gras.

    Fahrt nach, Ihr Reiter über Stock und Stein,
Und seh' mir Keiner zum Schleier herein.
Mein Antlitz brächt ihm nur schlimm're Kund,
Ehr Todesgraus als Todesstund.

    Ihr hört mich nicht, ich singe nur sacht,
Doch All'n im Busen ein Schreck erwacht. 171
Und wer aus der Schlacht noch trägt den Leib,
Der denk' an mich gespenstisches Weib.

Diese Verse sang ein alter Bergmann, während die Halberstädt'schen Reiter im Kreise um ihn her saßen, und ihm sehr aufmerksam zuhörten. Es ist eine wahre Geschichte, sagte er zuletzt. Vor vielen hundert Jahren ist hier eine Schlacht vorgefallen, darin ein prächtig gerüstetes Heer fast gänzlich zu Nichte ging. Dort oben, wo der Regen die Erde abgespült hat, sieht man noch Haufen von weißen Todtengebeinen. Sie zogen gar siegvertrauend aus, und mit einem Male sitzt Euch ein weißes Weib am Wege, recht wie's im Liede beschrieben ist, ohne nur aufzuschauen, dicht in ihre Schleier gewickelt, daß Allen grausig dabei zu Muthe wird, und Jeder wissen möchte, wer sie sei, ohne daß doch Einer zum Fragen Herz hätte. Nachher redet 172 man sich unter einander drum an, und erfährt bald darauf, in derselben Stunde sei die Hoffnung des Heeres gefallen, ein heldenmüthiger, schöner Prinz, der mit dem Vortrab weit vorauf war. Von dem ganzen Kriegsvolk sollen aus der Schlacht sehr Wenige zurück gekommen sein. Die wurden hier zu Bauern und Bergleuten, so beschämt als niedergeschlagen über ihr Unglück, und haben nachher zum Andenken das alte Lied erfunden, welches ich Euch eben vorgesungen habe.

Die Reiter lagen still bei einander, als dächte Jeder für sich über die schaurige Sage nach. Singt ein lustig Stückchen drauf, Burschen, rief Adalbert. So begräbt ein Soldat den Andern, und so wollen wir auch den alten Kameraden, die hier gefallen sind, ihr Todtenlied bringen.

Sie waren im Begriff anzufangen, da 173 kamen einige Blänker eilfertig zurück, die man während des Futterns ausgeschickt hatte, Alles in der Gegend abzusuchen. Hoho! Nun giebt's was, sagte ein alter Reiter. Bückelhauben festgebunden.

In der That meldeten die Blänker, es stehe der Feind in der Nähe, aber ihre Berichte waren so verworren und übel zusammenhängend, daß man nichts Bestimmtes daraus abnehmen konnte. Wir werden's bald sehen, sagte Adalbert. Ihr Andern futtert hier noch ruhig, während ich mit Alwin und ein dreißig Andern jungen Springinsfelden voraus reite. Giebts was, so feuern wir ein Paar Büchsen ab, und Ihr rückt uns zur Hülfe nach.

Der flinke Vortrab, mit welchem Adalbert gewöhnlich weit vor dem Zuge zu marschiren pflegte, saß schon mehrentheils auf den 174 Rossen, da sang ein alter Reiter mit tiefer Baßstimme:

Einen Hirsch ha'n wir voraus gesandt,
Den Herrlichsten wohl durch See und Land.

Es ist auch wahr, riefen mehrere Andre, uns möcht's gehn, wie dem alten Heerszug, wovon der Bergmann erzählt. Herr Adalbert, reitet diesmal nicht voraus!

Der kühne Feldoberste wollte lachend auf seinen Hengst springen, ohne zu antworten, aber Balderich hielt ihn zurück. Nur Zwei Worte, sagte er, ihn seitwärts führend. Der junge Mensch dort, auf Alwin deutend, kann wohl mit zuhören; er ist ja unser Schüler. Nach Euerm Willen, alter Kriegsheld, erwiederte Adalbert, und die Dreie traten vom Haufen abwärts.

Wir haben gar manche kühne That zusammen besprochen, fing Balderich an, und 175 manchen Entwurf gemacht, für Marsch, Ausfall und Belagerung. Dabei rechneten wir (erinnert Euch dessen wohl, Adalbert!) nicht immer auf unsre klugen Anstalten allein, sondern auch auf ein gewisses Wunderliches Unerklärbares, das uns helfen sollte im entscheidenden Augenblick, ohne daß wir eben gewußt hätten, woher es eigentlich kommen müsse, ob vom Himmel herunter, ob vom Abgrund herauf. Der Kriegsmann hat seinen Glauben daran, wie auch der Jäger, die Beiden, welche am öftersten zu Nacht und Tag, zu Winters- und Sommerszeit draußen sind, Waldwasser an den einsamsten Stellen brausen hören, wilde Gespenster in den schaurigsten Stunden über sich hin. Warnungen aus Wolkenzügen, Sturmwinden, alten Liedern und Vogelflug gelten für unsres Gleichen, und haben von jeher gegolten, wie man's in 176 alten Geschichten erinnert. Reitet diesmal nicht voraus, Adalbert.

Sei es, erwiederte dieser nach einigem Besinnen. Auf alle Fälle sind die Reiter schon so gestimmt, daß sie durch einen Angriff auf meinen Vortrab leicht erschreckt werden könnten, und des Kriegsmanns Herz ist das Leben glorreicher Thaten. Ich bleibe bei Euch, Kinder, fuhr er fort, sich wieder zum Haufen wendend. Niemanden soll's fehlen, den Feind in diesem ersten Gefechte schlagen zu helfen.

Mit Gott nur drauf und dran, riefen sie Alle; unter Eurer Anführung sind wir noch 'mal so viel werth! Froh und zuversichtlich saß Jedweder auf; noch mehr Blänker wurden ausgesandt, und man marschirte dem tiefer dunkelnden Abend entgegen. Als dieser nun gänzlich hereingebrochen war, sagte Adalbert: wir haben mit Fledermäusen zu thun, 177 die erst nächtlicher Weile Muth kriegen. Vor uns liegen waldige Schluften, die feigen Räubervölkern günstig sind; also abgesessen! Feuer angemacht! die Wachten stell' ich indessen aus.

Alwin begleitete ihn auf diesem Ritt, und empfieng manche kluge Reiterlehre. Erst gegen Mitternacht kamen beide zurück, und fanden die Ebne von zahlreichen Feuern hell. Zwischen den schnaubenden Pferden, den schlafenden oder plaudernden Reitern durch, kamen sie zum alten Balderich, und lagerten sich neben ihn an die behagliche Gluth. Da sprach der alte Held von seinen Jugendthaten, auch wie er sein schönes Weib gewonnen, und von deren Ebenbild, seinem zarten Töchterlein, daß aus Alwins abgewandtem Auge eine heiße Thräne auf den Rasen fiel. Dann wieder begann Adalbert von seinem Aufenthalt 178 an des vertriebenen Böhmenkönigs Hoflager, von Herzog Christians ritterlicher Liebe zur Königinn Elisabeth, und wie ihre wundersame Schönheit, ihr hoher Fürstengeist auch Unglück und Verbannung mit herrlichen Lichtern bestrahle. Die Thaten dieses Zuges, sagte er, beginne man in ihrem Namen, und sey des Siegs um so gewisser. Der alte Balderich bemerkte lächelnd, Adalbert habe wohl noch ein andres Feldgeschrei im Sinn, aber es sey der Name einer nicht minder schönen Frau, und Niemand dürfe sich dessen schämen. Habe sie auch noch keine Krone getragen, wer könne wissen, was Adalbert erobre! Dieser schwieg lächelnd zu des alten Kriegsobersten Scherzreden, die kein Andrer gegen ihn gemacht haben würde.

Während dessen kam der Morgen näher herauf; die Sterne verblichen mehr und mehr 179 im annähernden Lichte, feuchtre Winde hauchten übers Gras, die Feuer sanken zusammen, man hörte weniger Gespräch, weil die Reiter allgemach einschlummerten, und auch Alwin zog sich näher an die Kohlen der nächtlichen Gluth, indem er sich halb schlaftrunken fest in seinem Mantel wickelte. Seltsame Träume stiegen vor ihm auf, Aline, Mathilde, die fremde schöne Königinn zeigten sich ihm, die letztre nur immer ganz fernher und luftig, ein phantastisch Gebild, und von der andern Seite gegenüber hörte er Beatrix rufen: Alwin, mein lieber Alwin, komm doch zurück! Da klang's wie eine zuschlagende Thür, er fuhr vom Schlaf empor, plötzlich ausgesperrt aus den wundervollen Reichen, und schaute, die Augen reibend, umher. Alles um ihn her tummelte sich; beim hellern Tageslicht sah' er Viele schon zu Rosse sitzen, 180 und vernahm den Klang wiederholt, der ihn vom Traume erweckt hatte. Es waren Schüsse, die im Walde fielen. Adalbert beorderte eben Verstärkung zu den Feldwachten, die Trompeter bliesen, und Alwin sprang völlig ermuntert aufs Pferd. Er theilte seine Rotten ab. Ich bin noch unerfahren, sprach er sie an, das erste Probestück liefr' ich heut; aber meine Väter haben brav gefochten, und ich will ihnen keine Schande machen. Traut mir, Kinder, und folgt mir.

In Gottes Namen, Junkherr, antworteten die alten Reiter. Die jungen schlugen ungeduldig ihre Pallasche zusammen. Das Feuern im Walde kam näher. Adalbert sprengte vor den Reihen herunter, flammenden Blickes, zuversichtlich und stolz, mit kräftigen Worten die Kriegsleute ermunternd, während Balderich ernsthaft und schweigend vor dem mittelsten Haufen hielt, das Auge unverwandt nach dem Walde gerichtet, dorthin, wo man am heftigsten schoß.

Ein Jubelgeschrei brach durch den Wald, und gleich darauf blinkende Schaaren von allen Seiten her, die Blänker und Feldwachen voran treibend. Marsch, rief Adalbert, marsch, bliesen die Trompeter, und riefen die Führer des ersten Treffens, man prellte mit verhängten Zügeln an. Der Feind stutzte für einen Augenblick, wandte sich sogar zur Flucht, aber seine Verstärkung sprengte heran; sie waren vierfach zahlreicher als man erwartet hatte. Das zweite Treffen mußte sich herumwerfen, mit in's Gefecht; jeder fand nur Hülfe bei sich selbst.

Alwin hatte mit seiner Schaar zweimal angegriffen, was ihm gegenüber stand. Man war immer kaum auf ein paar hundert 182 Schritte gegen einander gekommen, wie der Feind sich wandte, und zwischen andern schlagfertigen Schwadronen durchging, die seinen Rückzug deckten. Staub flog ringsumher auf, und zwischenhin zog sich blauer Dampf aus den abgefeuerten Büchsen und Pistolen. Sorgsam schaute nun Alwin umher, ob er nicht Gelegenheit finden könne, anzuwenden was ihm sein tapfrer Vater in manchem ernsten Gespräch gelehrt hatte. Anfänglich war ihm Alles zu wild vorgekommen, fast wie ein förmlicher Ueberfall; nun ordnete das Gefecht sich nach und nach vor seinen Blicken, er bemerkte einen Punkt, von wo aus der Feind zu überflügeln sey. Rechter Flügel vor! rief er seinen Halberstädtern zu, und trabte grade auf den erspähten Punkt los. Der Feind schien auch wirklich zu wanken; Galopp! Darauf, darauf! schrie der sieg'slustige 183 Jüngling, Haut nach! Da hörte man linksher Roßgebraus. Der Feind kriegt Verstärkung! riefen einige alte Reiter Alwin's; zurück! Memmen geht zurück, antwortete dieser; darauf! Und im Augenblick saß er zwischen den wiedergesammelten Reitern des Haufens, den er überflügelt hatte, und denen des neu anrückenden. Seine Halberstädter waren zurückgeprellt. Ergebt Euch, junger Mensch! Ihr seid abgeschnitten! So rief ihm ein vornehmer Offizier des Feindes zu. Alwin antwortete mit einem Hieb, der seinen Gegner vom Pferde warf. Nun fiel alles wild über ihn her. Aline! rief er, in sich selbst hinein; und begierig auf ihre Perlenthränen, hieb er kühn gegen den übermächtigen Feind. Einer hatte schon seine Zügel gefaßt, ein Zweiter wollte ihn am Wehrgehäng zu Boden reissen, viele Schwerdter flogen klirrend auf 184 seinen Federhuth, aber die Halberstädter brachen wieder vor, und hieben ihn heraus. Dicht an sich vorbei sah er im selben Augenblick Adalberten streifen, der rief: die Bahn zum Sieg ist offen! Nach mir! Es tobte von Roß und Mann bei ihm vorüber, und eh' er sich noch erhohlte vom wilden Gefecht, sah er die Feinde in weit zerstreuter Flucht nach dem Walde zu. Die Halberstädter hieben von allen Seiten nach.


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