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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Der ferne Westen: nach dem Niagarafall.
1842.

Der nächste Brief schilderte seine Erfahrungen im fernen Westen, seinen Aufenthalt in St. Louis, seinen Ausflug in die Prairie, die Rückkehr nach Cincinnati und, nach einer Kutschenfahrt von dieser Stadt nach Columbus, die Reise von dort nach Sandusky und dann, über den Eriesee, nach dem Niagarafalle. Alle diese Fahrten kommen in den Noten vor, aber in den Auszügen, die ich jetzt mittheilen will, wird nichts dort Gedrucktes wiederholt werden. Unter den Schlußpassagen seiner Reise, als er von Columbus aus nach der Richtung der Heimath umkehrte, ist die hier zum erstenmal erzählte Geschichte in seiner charakteristischsten Weise dargestellt. Der hier gegebene Bericht über die Prairie wird wahrscheinlich dem in den Noten gegebenen vorgezogen werden. Die Skizzen aus Cincinnati lesen sich sehr angenehm und selbst eine Beschreibung, wie die des Niagarafalls, woraus in dem Buche so viel gemacht wird, hat hier eine selbstständige Neuheit und Frische. Der erste lebhafte Eindruck ist in seinem Briefe. Die Natürlichkeit, mit der kein Bild und keine Empfindung als die der Ruhe mit einer so mächtigen und unwiderstehlichen Größe in Verbindung gebracht wird, stellt sich in ihrer Unmittelbarkeit am besten dar und in wenigen Worten haben wir sowol die sinnliche als die moralische Schönheit eines Schauspiels, das in seiner Art auf der Erde nicht seines Gleichen hat. Der augenblickliche Eindruck scheint uns von höherem Werth, als die beredte Erinnerung.

Der Kapitän des Schiffes, das sie nach Cincinnati gebracht hatte und nach St. Louis weiter gegangen war, war an dem letzteren Orte geblieben, bis sie wieder mit ihm zurückfahren konnten. Dieser Brief ist demnach datirt: »Wieder an Bord des Messenger. Auf dem Rückwege von St. Louis nach Cincinnati. Freitag, 15. April 1842« und sein erster Absatz enthält eine kurze Angabe der Fahrten, die er später ausführlich beschrieb. »Wir blieben in Cincinnati einen vollen Tag nach dem Datum meines letzten Briefes und verließen es am Mittwoch Morgen, den sechsten. Wir erreichten Louisville bald nach Mitternacht desselben Tages und schliefen dort. Am nächsten Tage um 1 Uhr begaben wir uns an Bord eines andern Dampfschiffs und reisten weiter bis zum vorigen Sonntag Abend, den 10., wo wir St. Louis etwa um 9 Uhr erreichten. Den nächsten Tag benutzten wir, die Stadt zu sehen. Den Tag darauf brach ich mit einer Gesellschaft von Männern (es waren unser im Ganzen vierzehn) auf, um eine Prairie zu sehen, kehrte am Mittag des 13. nach St. Louis zurück, war bei einer Soirée und einem Ball – keinem Dîner – zugegen, die an diesem Abend mir zu Ehren veranstaltet wurden und gestern Abend wendeten wir unser Gesicht der Heimath zu. Dem Himmel sei Dank!

»Cincinnati ist erst fünfzig Jahre alt, aber eine sehr schöne Stadt, der hübscheste Ort, wie mir scheint, den ich hier gesehen habe, mit Ausnahme von Boston. Es ist wie eine Stadt in Tausend und Eine Nacht aus dem Walde emporgestiegen, ist gut angelegt, in den Vorstädten mit hübschen Landhäusern geschmückt und hat vor Allem, denn das ist ein sehr seltener Umstand in Amerika, glatte Rasenflächen und gut gepflegte Gärten. Es fand gerade ein großes Fest der Mäßigkeitsvereine dort statt und die Procession sammelte sich früh Morgens unter unsern Fenstern und zog daran vorbei. Ich glaube, es nahmen im Ganzen mindestens 20,000 Personen daran Theil. Einige von den Fahnen waren seltsam und wunderlich genug. Die Schiffsbauleute z. B. entfalteten auf einer Seite ihrer Flagge das gute Schiff ›Mäßigkeit‹ mit vollen Segeln, auf der andern das Dampfschiff ›Alkohol‹, wie es hoch in die Luft auffliegt. Daß die Irländer ein Porträt Vater Matthews' hatten, brauche ich kaum zu sagen. Und Washington's breiter Unterkiefer (Washington hatte, beiläufig gesagt, kein angenehmes Gesicht) erschien überall in den Reihen. Auf einer Art öffentlichem Platze am einen Ende der Stadt trennten sie sich in zwei Haufen und wurden von verschiedenen Rednern haranguirt. Trockneres Sprechen habe ich nie gehört. Ich gestehe, daß es mich ganz unbehaglich machte, zu denken, daß sie den Geschmack davon mit nichts Besserem als Wasser aus dem Munde spülen konnten.

»Am Abend gingen wir in eine Gesellschaft beim Richter Walker und wurden mindestens hundert und fünfzig zudringlichen Schwätzern ersten Ranges vorgestellt, einem Jeden einzeln und besonders. Die meisten von ihnen nöthigten mich, mich hinzusetzen und mit ihnen zu reden. Der Bericht einer jungen Dame über diese Gesellschaft, der am folgenden Morgen geschrieben wurde und in einer der amerikanischen Lebensbeschreibungen von Dickens angeführt wird, setzt uns in den Stand, seine Leiden von dem Gesichtspunkt derjenigen zu betrachten, von denen sie ihm zugefügt wurden. ›Ich ging gestern in eine dem Helden des Tages gegebene Gesellschaft bei dem Richter Walker. Als wir das Haus erreichten, hatte Dickens die überfüllten Zimmer verlassen und befand sich mit seiner Frau in der Vorhalle und war grade im Begriff fortzugehen, als wir eintraten. Wir wurden ihm in unsern Ueberwürfen vorgestellt und in der Aufregung und Verwirrung dieses Begegnens ließ einer von der Gesellschaft ein Packet mit Schuhen, Handschuhen &c. fallen. Dickens bückte sich, nahm es auf und gab es mit einer lachenden Bemerkung zurück und wir stürzten die Treppe hinauf, um unsre Sachen abzunehmen. Indem wir wieder hinunter eilten, fanden wir ihn mit seiner Frau auf einem Sopha sitzen, von einer Gruppe Damen umgeben, da Richter Walker ihn gebeten hatte, sein Fortgehen um einiger spät angekommenen Freunde willen, zu denen auch wir gehörten, einige Augenblicke zu verzögern. Er hatte es abgelehnt, noch einmal in die Zimmer zurückzukehren, wo er schon von den Gästen Abschied genommen hatte und sich in der Vorhalle hingesetzt. Er ist jung und schön, hat ein sanftes schönes Auge, eine hohe Stirn und üppiges Haar. Sein Mund ist groß und sein Lächeln so hell, daß es rings um ihn her Licht und Glück zu verbreiten schien. Sein Benehmen ist leicht, nachlässig, aber nicht elegant. Sein Anzug war geckenhaft, in der That, er war zu sehr geputzt, aber dennoch trug er seine Kleider so bequem, als wären sie ein nothwendiger Theil von ihm. (!) Er hatte einen dunkeln Rock mit helleren Hosen an, eine schwarze mit farbigen Blumen gestickte Weste und um den Hals, die weiße Hemdfronte bedeckend, ein schwarzes, ebenfalls farbig gesticktes Halstuch, in das zwei große, durch eine Kette verbundene Diamantnadeln gesteckt waren. Eine goldne Uhrkette und eine große rothe Rose in seinem Knopfloch vollendeten seinen Anzug. Er schien etwas müde, beantwortete jedoch die an ihn gerichteten Bemerkungen – denn er selbst machte keine – auf angenehme Art. Beard's Porträt von Fagin war so in dem Zimmer aufgehängt, daß wir es von der Stelle, wo wir um ihn herstanden, sehen konnten. Eine der Damen fragte ihn, ob es seiner Idee von dem Juden entspräche. Er erwiederte. »So ziemlich.« Eine andere bat ihn lachend, ihr die Rose, die er trug, zum Andenken zu geben. Er schüttelte den Kopf und sagte. »Das ginge nicht, er könne sie nicht Einer geben, die Andern würden eifersüchtig werden.« Ein halbes Dutzend bestand dann darauf, sie zu haben, worauf er vorschlug, die Blätter unter sie zu vertheilen. Indem er die Rose aus seinem Rock nahm, lösten sich, absichtlich oder zufällig, die Blätter und unter beträchtlichem Gelächter bückten die Damen sich und sammelten sie auf. Er blieb etwa zwanzig Minuten in der Vorhalle und verabschiedete sich dann. Ich muß bekennen, daß die persönliche Erscheinung meines Idols mich sehr enttäuscht hat. Ich fühlte, daß sein Thron erschüttert war, obgleich er nie zerstört werden konnte.‹ Dies erschreckende Bild ergänzt und erklärt hinreichend die traurige Stelle im Text. In der Nacht brachte man uns eine Serenade (wie gewöhnlich an jedem Orte geschieht, wohin wir kommen) und ich kann Dir versichern, eine sehr gute. Aber wir waren auf's höchste abgemattet. Ich glaube wirklich, mein Gesicht hat einen flehenden Ausdruck von Traurigkeit angenommen durch das beständige und ungemilderte Gelangweiltwerden, das ich ertrage. Die DD. haben mir meine ganze Heiterkeit genommen. In meinem Kinn (auf der rechten Seite der Unterlippe) befindet sich eine Linie, die dort durch den Neu-Engländer, von dem ich Dir in meinem letzten Briefe erzählte, unzerstörbar eingegraben ist. Ich habe das Maal eines Krähenfußes außen an meinem linken Auge, was ich den literarischen Persönlichkeiten kleiner Städte zuschreibe. Ein Grübchen ist auf meiner Wange verschwunden, dessen ich mich, zur Zeit seines Verschwindens, durch einen weisen Gesetzgeber beraubt fühlte. Aber andrerseits bin ich wirklich P . . . E . . ., literarischem Kritiker von Philadelphia und alleinigem Eigenthümer der englischen Sprache in ihrer grammatikalischen und volksthümlichen Reinheit, für ein herzhaftes Grinsen zu Danke verpflichtet – P . . . E . . . mit dem glänzenden straffen Haar und niedergeschlagenen Hemdkragen, der in seinen Artikeln alle unsere englischen Schriftsteller unerbittlich heruntermacht, aber bei alledem zu mir sagte, ich habe ›eine neue Aera in seinem Geiste erweckt. . . .‹

»Die letzten 45 Meilen der Fahrt von Cincinnati nach St. Louis sind auf dem Mississippi, denn man fährt den Ohio bis zu seiner Mündung hinunter. Es ist ein Glück für die Gesellschaft, daß dieser Mississippi, der berühmte Vater der Ströme, keine Kinder hat, die ihm ähnlich sind. Es ist der ekelhafteste Fluß in der Welt. . . .« (Seine Schilderung findet sich in den Noten.)

»Stelle Dir das Vergnügen vor, diesen Fluß bei Nacht hinunterzueilen (wie wir vorige Nacht thaten) mit einer Geschwindigkeit von viertehalb Meilen die Stunde, jeden Augenblick gegen die umherschwimmenden Holzblöcke zu stoßen und bei jedem Zusammenstoß einen infernalischen Schlag zu erwarten. Der Steuermann steht auf diesen Schiffen in einem kleinen Glashaus auf dem Dache. Auf dem Mississippi steht ein anderer Mann ganz vorn am Kopfende des Schiffes, aufmerksam horchend und wachend – horchend, weil man in dunkeln Nächten an dem Geräusch erkennen kann, wenn ein großes Hinderniß in der Nähe ist. Dieser Mann hält den Strang einer großen Glocke, die dicht an dem Räderhaus hängt und wenn er denselben zieht, muß die Maschine sofort still stehen und sich nicht rühren, bis er wieder läutet. Während der vorigen Nacht läutete diese Glocke wenigstens alle fünf Minuten einmal und bei jedem Alarm gab es eine Erschütterung, die Einen beinah aus dem Bette warf. . . . Während ich diesen Bericht schrieb, sind wir aus jenem häßlichen Fluß herausgeschossen, Gott sei Dank, um ihn, wie ich hoffe, nie wieder zu sehen, außer in bösen Träumen. Wir befinden uns jetzt auf dem glatten Ohio und der Wechsel ist wie ein Uebergang von Schmerz zu völliger Ruhe.

»Wir hatten in St. Louis ein sehr gedrängtes Levée. Die Zeitungen brachten natürlich einen Bericht darüber. Wenn ich in der Straße einen Brief fallen ließe, würde er am folgenden Tage in den Zeitungen abgedruckt sein und Niemand würde die Veröffentlichung für eine Schande halten. Der Redakteur erhob Einwände gegen mein Haar, weil es sich nicht genug kräusele. Das Vorhandensein eines Auges gab er zu, erhob aber wieder Einwände gegen meine Kleidung, als etwas geckenhaft und ›in der That vielleicht etwas gaunermäßig‹. – ›Aber das,‹ fügt er wohlwollend hinzu, ›ist der Unterschied zwischen dem amerikanischen und englischen Geschmack – der vielleicht noch mehr in die Augen fällt, weil alle andern anwesenden Herren in Schwarz gekleidet waren.‹ O, hättest Du die andern Herren sehen können! . . .

»Eine Dame von St. Louis machte Kate Complimente über ihre Stimme und ihre Art zu sprechen und versicherte ihr, sie würde nie gedacht haben, sie sei eine Schottin, oder selbst eine Engländerin. Sie war so freundlich, hinzuzufügen, daß sie sie überall für eine Amerikanerin gehalten haben würde, was, wie sie (Kate) wol wissen werde, ein sehr großes Compliment sei, da allgemein zugegeben werde, daß die Amerikaner die englische Sprache in hohem Maaße verfeinert hätten! Ich brauche Dir nicht zu sagen, daß außerhalb Boston's und New-York's ein nasales Dehnen der Worte allgemein ist, aber es mag nicht überflüssig sein, daran zu erinnern, daß die vorherrschende Grammatik auch mehr als zweifelhaft ist, daß die wunderlichsten Vulgarismen als Idiome angenommen werden, daß sämmtliche in den Sklavenstaaten herangewachsenen Frauen mehr oder weniger wie Neger sprechen, weil sie in ihrer Kindheit beständig bei schwarzen Dienstmädchen sind und daß die fashionabelsten und aristokratischsten (das sind zwei vielgebrauchte Worte), statt Dich zu fragen, wo Du geboren bist, fragen ›woher Du rufst?!!‹ Hail from‹, ein Ausdruck, der in England nur von den niedern Volksklassen gebraucht wird. – D. Uebers.

Lord Ashburton ist endlich nach einer stürmischen Fahrt von einigen vierzig Tagen in Annapolis angekommen. Sofort erklären die Zeitungen auf die Autorität eines Correspondenten, ›der um das Schiff herumruderte‹ (ich überlasse es Dir, Dir den Zustand des letzteren vorzustellen), daß Amerika in Hinsicht auf seine hölzernen Mauern keine Ueberlegenheit von England zu fürchten braucht. Derselbe Correspondent ist ›ganz angenehm berührt‹ durch das offne Benehmen der englischen Officiere und versichert mit Gönnermiene, daß sie für John Bulls ganz civilisirt seien. Mein Gesicht kehrt sich wie das Hadji Baba's von oben nach unten und meine Leber verwandelt sich in Wasser, wenn ich auf solche Dinge stoße und denke, wer sie schreibt und wer sie liest. . . .

Man läßt mich in Bezug auf die Sklaverei nicht in Ruhe. Ein gewisser Richter in St. Louis ging gestern so weit, daß ich über ihn herfiel (zu dem unbeschreiblichen Schrecken des Mannes, der ihn herbrachte) und ihm meine Meinung sagte. Ich bemerkte, ich fühle eine große Abneigung, hier über die Sache zu sprechen und enthalte mich dessen, wo möglich, immer, aber wenn er unsre nationale Unwissenheit in Bezug auf die Wahrheiten der Sklaverei bemitleide, so müsse ich ihn daran erinnern, daß wir uns an unbestreitbare Urkunden hielten, die auf vieljährige sorgfältige Untersuchungen gegründet und durch jede mögliche Selbstaufopferung erlangt seien und daß wir, meiner Meinung nach, bei weitem befähigter seien, über die Grausamkeit und Schrecklichkeit der Sklaverei zu urtheilen als er, der inmitten derselben groß geworden sei. Ich sagte ihm, ich könne mit Menschen sympathisiren, die zugäben, daß sie ein furchtbares Uebel sei, aber offen ihre Unfähigkeit eingeständen, ein Mittel zu entdecken, wodurch man sich ihrer entledigen könne; daß aber Menschen, die von ihr sprächen als von einem Segen, als von etwas Selbstverständlichem, als von einem wünschenswerthen Zustande, sich außerhalb des Bereichs der Vernunft befänden und daß ihr Gerede von Unwissenheit oder Vorurtheil eine zu lächerliche Absurdität sei, als daß man sich auf ihre Bekämpfung einlassen könne. . . .

Es ist noch nicht sechs Jahre her, seit ein Sklave in diesem selben St. Louis, ich weiß nicht aus welchem Grunde, verhaftet wurde und, da er wußte, daß er keine Aussicht auf billige Behandlung habe, einerlei was sein Vergehen war, sein Bowiemesser hervorzog und dem Polizeimann damit den Leib aufriß. Es entstand ein Handgemenge und der verzweifelte Neger stieß zwei andere mit derselben Waffe. Der Haufe, der sich umher sammelte (darunter Männer von Ansehen, Reichthum und Einfluß an dem Orte), überwältigte ihn, schleppte ihn nach einem offnen Platz außerhalb der Stadt und verbrannte ihn bei lebendigem Leibe. Dies, wie ich sagte, geschah vor sechs Jahren am hellen Tage in einer Stadt mit Gerichtshöfen, Advokaten, Gerichtsdienern, Richtern, Kerkern und Henkern, und kein Haar auf dem Kopfe dieser Menschen ist bis auf den heutigen Tag verletzt worden. Und glaube mir, es ist die klägliche, elende Unabhängigkeit in kleinen Dingen, der kleinliche Republikanismus, der sich gegen ehrliche, einem ehrlichen Manne geleistete Dienste empört, aber vor keinem Kniff, Kunstgriff und Spitzbüberei im Geschäfte zurückschreckt, welche diese Sklaven nothwendig machen und nothwendig machen werden, bis der Unwille andrer Länder sie in Freiheit setzt.

Man sagt, die Sklaven lieben ihre Herren. Sieh Dir diese hübsche Vignette an ›Ein flüchtiger Neger im Gefängniß‹ war die Ueberschrift der beigefügten Annonce, in deren Ecke sich ein Holzschnitt von einem Herrn und einem Sklaven befand und die ankündete, daß Wilford Garner, Sheriff und Kerkermeister des Distrikts von Chicot in Arkansas, den Eigenthümer auffordere zu kommen und sein Eigenthumsrecht zu beweisen – oder –. (ein Theil der Handelsgegenstände einer Zeitung) und denke, wie Dir zu Muthe sein würde, wenn Menschen Dir in's Gesicht sehen und solche Geschichten erzählen, während die Zeitung auf dem Tische liegt. In allen Sklavendistrikten sind Anzeigen über flüchtige Sklaven ebenso selbstverständlich, als die Theater-Anzeige für den Abend bei uns. Die armen Geschöpfe selbst beten die Engländer beinahe an, sie würden Alles für sie thun. Sie wissen Alles, was in Bezug auf Emancipation geschieht und ihre Neigung für uns entsteht natürlich aus ihrer tiefen Ergebenheit gegen ihre Herren. Ich schneide die beiliegende Illustration aus einer Zeitung heraus, die einen Leitartikel hatte über die verabscheuungswürdige und höllische, jedem Gesetze Gottes und der Natur widersprechende Lehre von der Abschaffung der Sklaverei.

›Ich kenne,‹ sagte ein Dr. Bartlett (ein sehr gebildeter Mann), einer unsrer früheren Mitpassagiere, ›ich kenne ihre Liebe zu ihren Herren. Ich wohne in Kentucky und ich kann auf meine Ehre versichern, daß es für einen wieder eingefangenen flüchtigen Sklaven bei uns etwas ebenso Gewöhnliches ist, sein Bowiemesser zu ziehen und seinem Herrn den Leib damit aufzuschlitzen, als es bei Euch in London ist, eine trunkene Rauferei zu sehen‹.«

 
»In demselben Schiff, Sonnabend, 16. April 1842.

»Laß mich Dir, mein lieber Forster, ehe ich's vergesse, von einer hübschen kleinen Scene erzählen, die wir an Bord des Schiffes zwischen Louisville und St. Louis mit ansahen, als wir uns auf dem Wege nach dem letzteren Orte befanden. Es ist nicht viel daran zu erzählen, aber es war sehr erfreulich und interessant, dabei zugegen zu sein.«

Was folgt, ist in den Noten gedruckt und sollte, in Gemäßheit mit der von mir festgestellten Regel, nicht hier wiederholt werden. Aber so schön die gedruckte Beschreibung ist, so hat sie doch durch die Aenderung einiger Züge und die Auslassung andrer, die sich in der ersten frischen Darstellung finden, nicht gewonnen. Dies ist der Grund, weshalb ich sie hier aufbewahre, – eins der reizendsten, tief empfundensten Charakter- und Gefühlsgemälde, welche das Herz je in Wahrheit oder Dichtung erwärmt haben. Es war, glaube ich, Jeffrey's Lieblingsstelle in sämmtlichen Dickens'schen Schriften, und wenn man das Geheimniß ihrer Popularität kennen lernen will, so steht es allerdings in der Beobachtung und der Beschreibung dieses kleinen Vorfalls zu lesen.

»Es war eine kleine Mutter an Bord, mit einem kleinen Kinde, und sowol die kleine Frau als das kleine Kind waren sehr heiter, hübsch, helläugig und gefällig anzusehen. Die kleine Frau hatte eine lange Zeit bei einer kranken Mutter in New-York zugebracht und hatte ihre Heimath in St. Louis in dem Zustande verlassen, in welchem Frauen, die ihre Männer wahrhaft lieben, zu sein wünschen. Das Kind war in dem Hause ihrer Mutter geboren und sie hatte ihren Mann (zu dem sie jetzt zuückkehrte) in zwölf Monaten nicht gesehen, nachdem sie ihn einige Monate nach ihrer Verheirathung verlassen. Und sicherlich gab es nie eine kleine Frau, die so voll Hoffnung und Zärtlichkeit und Liebe und Besorgniß war, wie diese kleine Frau; und da war sie den lieben langen Tag begierig zu wissen, ob ›er‹ an dem Landungsplatze sein werde und ob ›er‹ ihren Brief erhalten habe und ob, wenn sie das Kind durch eine andre Person an's Land schickte, ›er‹ es kennen würde, wenn er ihm in der Straße begegnete, was, da er es nie in seinem Leben gesehen, an sich nicht sehr wahrscheinlich war, aber der jungen Mutter wahrscheinlich genug schien. Sie war ein so argloses kleines Geschöpf und in so sonniger, strahlender, hoffnungsreicher Stimmung, und theilte alle diese ihr Herz so nahe berührenden Dinge so offen mit, daß alle andern weiblichen Passagiere eben so aufrichtig darauf eingingen, als sie selbst. Und der Kapitän (der alles von seiner Frau gehört hatte) war, ich versichre Dir, wunderbar verschlagen: fragte jedesmal, wenn wir bei Tische zusammenkamen, ob sie erwartete, Jemanden in St. Louis zu treffen, und meinte, sie würde an dem Abend, wenn wir es erreichten, nicht an's Land gehen mögen und riß manche andere trockne Witze, die bei allen seinen Zuhörern und besonders bei den Damen ein krampfhaftes Lachen hervorriefen. Es befand sich eine kleine verwitterte alte getrocknete Apfel-Frau unter ihnen, die Veranlassung nahm, die Treue der Ehemänner unter solchen Umständen der Trennung zu bezweifeln, und es war eine andre Dame da (mit einem Schooßhund), alt genug, um über die Flüchtigkeit menschlicher Neigungen moralische Betrachtungen anzustellen, und doch nicht so alt, als daß sie sich hätte enthalten können, das Kind dann und wann zu warten, oder mit den andern zu lachen, wenn die kleine Frau es bei des Vaters Namen nannte, und in der Freude ihres Herzens alle möglichen phantastischen Fragen über ihn that. Es war ein kleiner Schlag für die kleine Frau, daß, als wir etwa vier Meilen von unserm Bestimmungsorte waren, es offenbar nothwendig wurde, das Kind zu Bett zu bringen; aber sie überwand dies mit derselben guten Laune, band ein kleines Tuch über ihren kleinen Kopf und kam mit den andern hinaus auf die Galerie. Und was für ein Orakel sie dann wurde in Bezug auf die Oertlichkeiten! und was für eine scherzhafte Heiterkeit unter den verheiratheten Frauen entstand! und welche Sympathie von den unverheiratheten bewiesen wurde! und das lautschallende Gelächter, womit die kleine Frau (die ebenso gern hätte weinen mögen) jeden Scherz begrüßte! Endlich erschienen die Lichter von St. Louis – und hier war der Landungsplatz – und dort waren die Stufen – und die kleine Frau bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und lief, mehr als je lachend oder scheinbar lachend, in ihre eigne Coje hinunter und schloß sich fest darin ein. Ich zweifle nicht, daß sie mit der reizenden Inconsequenz einer solchen Erregung sich die Ohren zuhielt, damit sie ›ihn‹ nicht etwa nach ihr fragen hörte, aber gesehen habe ich es nicht. Dann stürzte eine große Menschenmenge auf das Verdeck, obgleich das Schiff noch nicht befestigt war, und taumelte unter den andern Böten umher, um einen Landungsplatz zu finden, und ein Jeder sah nach dem Ehemann und Niemand sah ihn, als ganz plötzlich, recht in ihrer Mitte, – Gott weiß, wie sie dahin kam, – die kleine Frau mit beiden Armen an dem Halse eines großen hübschen stämmigen Mannes hing! Und einen Augenblick nachher war sie wieder da und zog ihn durch die kleine Thür ihrer kleinen Coje hinter sich her, um das Kind zu sehen, wie es schlafend da lag! – Wie wohlthuend ist es, zu wissen, daß Viele unter uns ganz niedergeschlagen und traurig gewesen sein würden, hätte dieser Ehemann ermangelt zu kommen.«

Er setzt dann seine Erzählung fort, aber in dem was folgt, wird nichts wiederholt, was sich in seiner gedruckten Beschreibung des Ausflugs nach der Prairie findet.

»Was aber die Prairie angeht, so ist sie, ich muß es gestehen, in ihrer Art nicht so gut wie dies; doch ich will Dir auch hierüber Alles erzählen und es Dir überlassen, selbst zu urtheilen. Dienstag der 12te war der festgesetzte Tag, und wir sollten Punkt fünf Uhr aufbrechen. Ich stand um 4 Uhr auf, rasirte mich und kleidete mich an, ließ mir Brot und Milch bringen, öffnete das Fenster und sah in die Straße hinaus. Nicht das mindeste war von einer Kutsche zu sehen, und auch im Hause schien sich Niemand zu rühren. Ich wartete bis halb sechs; da aber auch dann keine Vorbereitungen sichtbar wurden, überließ ich es Mr. O., aufzupassen, und legte mich wieder zu Bette. Dort schlief ich bis fast sieben – als man mich rief. . . . Abgesehen von O. und mir selbst, nahmen zwölf Mitglieder meines Comités an der Partie Theil, sämmtlich Advokaten, einen Einzigen ausgenommen. Dies war ein einsichtsvoller, milder, wohlunterrichteter Herr von meinem Alter – der unitarische Prediger des Ortes. Mit ihm und zwei andern Gefährten stieg ich in die erste Kutsche. . . .

»Wir machten in Libanon in einem so guten Wirthshause Halt, daß wir beschlossen, womöglich am Abend dorthin zurückzukehren. Man würde kaum ein besseres Dorfbierhaus von der gemüthlichen Sorte in England finden. Während unsres Aufenthalts ging ich in das Dorf und begegnete einem Wohnhause, das, von zwanzig Ochsen gezogen, in einem tüchtigen Trab den Hügel hinunter kam. Wir setzten unsre Reise so bald als möglich fort und kamen bei Sonnenuntergang auf der Spiegelglas-Prairie an. Wir machten bei einem einsamen Blockhause wegen seines Wassers Halt, packten die Körbe aus, bildeten mit den Wagen ein Lager und dinirten.

»Es ist unzweifelhaft der Mühe werth, eine Prairie zu sehen, aber mehr deshalb, damit man sagen kann, daß man sie gesehen hat, als wegen irgend welcher Erhabenheit, die sie an sich besitzt. Wie von den meisten großen und kleinen Dingen in diesem Lande hört man davon mit beträchtlichen Uebertreibungen. Basil Hall hatte wirklich ganz Recht, wenn er den allgemeinen Charakter der Landschaft herabwürdigte; der weit gerühmte ferne Westen läßt sich selbst mit den zahmsten Partieen von Schottland und Wales nicht vergleichen. Man steht auf der Prairie und sieht ringsum den ungebrochenen Horizont. Man befindet sich auf einer großen Ebene, die wie eine See ohne Wasser ist. Ich liebe wilde und einsame Landschaften außerordentlich und glaube, daß ich eine eben so große Fähigkeit besitze, ihre Eindrücke in mich aufzunehmen, als irgend ein lebender Mensch. Aber die Prairie blieb weit hinter meinen Erwartungen zurück. Ich fühlte keine solche Erregung wie wenn ich die Ebene von Salisbury überschreite. Die ausnehmende Flachheit der Landschaft macht sie öde, aber prosaisch. Großartigkeit ist ganz gewiß nicht ihr Charakterzug. Ich zog mich von der übrigen Gesellschaft zurück, um meine eignen Gefühle besser zu verstehen, und blickte wieder und wieder in der ganzen Runde umher. Es war schön. Es war die Fahrt werth. Die Sonne ging sehr roth und hell unter und der Anblick glich jener frischen Skizze von Catlin, die unsre Aufmerksamkeit erregte, (besinnst Du Dich noch darauf?) ausgenommen, daß nicht so viel Bodenfläche, als er darstellt, zwischen dem Beschauer und dem Horizont war. Aber zu sagen (wie hier die Mode ist), daß der Anblick eine Epoche in unserer Existenz bildet und ganz neue Empfindungen erweckt, ist reiner Unsinn. Ich würde Jedem, der eine Prairie nicht sehen kann, sagen: Gehe nach der Ebene von Salisbury, nach den Dünen von Marlborough, oder nach irgend einem der breiten, hohen, offenen Landstriche in der Nähe des Meeres. Viele derselben sind ebenso ergreifend, und die Ebene von Salisbury ist es entschieden mehr.

»Wir hatten gebratene Hühner, Büffelzunge, Schinken, Brot, Käse, Butter, Biscuits, Sherry, Champagner, Citronen und Zucker zum Punsch und eine Menge Eis mitgebracht! Es war ein köstliches Mahl; und da man sehr wünschte, es möge mir gefallen, erwärmte ich mich zu einem Zustand außerordentlicher Heiterkeit, brachte von dem Kutschenbock (welcher der Präsidentenstuhl war) Trinksprüche aus, aß und trank nach Herzenslust und war, wie ich glaube, ein vortrefflicher Genosse in einer sehr freundschaftlichen geselligen Gesellschaft. Nach ungefähr einer Stunde packten wir auf und fuhren nach dem Wirthshaus in Libanon zurück. Während das Abendessen bereitet wurde, machte ich mit meinem unitarischen Freunde einen angenehmen Spaziergang, und nachdem es vorüber war (wir tranken dabei nichts als Thee und Kaffee), gingen wir zu Bette. Der Geistliche und ich hatten eine ausgesucht reine kleine Kammer für uns; die übrige Gesellschaft war über uns einquartiert . . .

»Wir kamen bald nach zwölf Uhr Mittags nach St. Louis zurück und ich ruhte mich während des Nachmittags aus. Die Soirée fand Abends in einem sehr guten Ballsaal in unserm Gasthofe, dem Planters-House, statt. Sämmtliche Gäste wurden uns einzeln vorgestellt! Wir waren, wie Du gern glauben wirst, froh, um Mitternacht fort zu kommen und sehr müde. Gestern trug ich eine Blouse, heute einen Pelzrock. Lästige Wetterwechsel!«

 
»In demselben Schiff, Sonntag, 16. April 1842.

»Die Gasthöfe in diesen fernen Erdwinkeln würden Dich durch ihre Güte in Erstaunen setzen. Planters-House ist so groß als das Middlesex-Hospital in London und so ziemlich nach dem Plan unsrer Hospitäler gebaut, mit langen reichlich ventilirten Räumen und einfach geweißten Mauern. Man hatte die herrliche Gewohnheit, Morgens zum Frühstück große Gläser frischer Milch mit krystallhellen Eisstücken darin herauf zu schicken. Unser Tisch war bei jeder Mahlzeit sehr reichlich versehen. Eines Tages, als Kate und ich allein in unserm eigenen Zimmer dinirten, zählten wir zu einer Zeit sechzehn Schüsseln auf dem Tische.

»Die Gesellschaft ist ziemlich rauh und unerträglich eingebildet. Sämmtliche Einwohner sind jung. Ich habe in St. Louis nicht einen einzigen Graukopf gesehen. In der Nähe liegt eine Insel, die den Namen ›blutige Insel‹ führt. Sie ist der Duellirplatz von St. Louis und heißt so nach dem letzten unglücklichen Duell, welches dort geliefert wurde. Es war ein Pistolenduell, Brust an Brust, beide Duellanten fielen zugleich todt nieder. Einer von unsrer Prairiegesellschaft (ein junger Mann) war bei verschiedenen Duellen dort als Secundant zugegen gewesen. Das letzte Mal war es ein Duell mit Büchsen, auf vierzig Schritt Entfernung, und als er nach Hause kam, erzählte er uns, er habe seinem Manne einen Rock von grüner Leinwand dazu gekauft, weil bei wollenen Röcken die Büchsenwunden gewöhnlich tödtlich seien. Man nennt die Prairie (vermuthlich nach dem Verfeinerungsprincip) bald Pararer, bald Parearer und bald Paroarer. Ich fürchte, mein lieber Freund, es wird Dir keine geringe Mühe verursachen, alles Vorstehende zu lesen. Ich habe es äußerst mühsam auf meinem Knie geschrieben, und die Maschine zuckt und stößt, als säße ein Teufel im Schiff.

 
»Sandusky, Sonntag, 24. April 1842.

»Wir stiegen heute Abend vor einer Woche in St. Louis an's Land, wo ich oben abbrach und schliefen in demselben Hotel, in dem wir vorher eingekehrt waren. Da der ›Messenger‹ abscheulich langsam fuhr, holten wir unser Gepäck am folgenden Morgen heraus und fuhren um elf Uhr in dem Postschiff ›Benjamin Franklin‹ weiter, einem prächtigen Schiff mit einer Kajüte von mehr als zweihundert Fuß Länge und kleinen Schlafgemächern, die entsprechende Bequemlichkeit gewähren. Es kam am nächsten Morgen um ein Uhr in Cincinnati an; wir landeten während es noch dunkel war und gingen nach unserm alten Hotel zurück. Indem wir unsern Weg zu Fuß über das zerbrochene Pflaster machten, fiel Anne der Länge nach nieder, verletzte sich jedoch nicht. Ich sage nichts von Kate's Beschwerden – aber Du besinnst Dich wol auf ihre Neigung. Sie fällt in oder aus jeder Kutsche und jedem Schiff, das wir betreten, schabt sich die Haut von den Beinen, zieht sich große Wunden oder Geschwülste an den Füßen zu, stößt sich große Stücke aus den Fußknöcheln und macht sich blau durch Quetschungen. Seit wir jedoch die erste Probe, uns in so neuen und ermüdenden Verhältnissen zu finden, überstanden haben, hat sie sich in jeder Hinsicht als eine ganz vortreffliche Reisegefährtin bewährt. Sie hat auch unter Umständen, die sie selbst in meinen Augen vollkommen dazu berechtigt haben würden, nie geschrieen oder Besorgnisse geäußert, hat nie der Muthlosigkeit oder Ermüdung nachgegeben, obgleich wir jetzt mehr als einen Monat lang unaufhörlich durch ein sehr rauhes Land gereist sind, und mitunter, wie Du gern glauben wirst, aufs äußerste ermüdet waren, hat sich immer leicht und heiter zu Allem bequemt und mir sehr gefallen und sich vollkommen tüchtig gezeigt.

»Wir blieben den ganzen Dienstag, den 19ten, und jene ganze Nacht in Cincinnati. Um acht Uhr am Mittwoch Morgen, den 20sten, fuhren wir in der Postkutsche nach Columbus ab: Anne, Kate und Mr. O. im Wagen, ich auf dem Bock. Die Entfernung beträgt 26 Meilen, die Straße ist macadamisirt und für eine amerikanische Straße sehr gut. Wir gebrauchten für die Fahrt dreiundzwanzig Stunden, erreichten Columbus um sieben Uhr Morgens, frühstückten, und gingen bis um die Zeit des Mittagsessens zu Bette. Abends hatten wir ein Levée von einer halben Stunde, und die Leute strömten herein wie sie immer thun, jeder Herr mit einer Dame an jedem Arm, grade wie der Chorus zu God save the Queen. Ich wollte, Du könntest sie sehen, damit Du es wüßtest, was für ein herrlicher Vergleich dies ist. Sie tragen ihre Kleider genau so wie die Choristen und stehen – angenommen, daß Kate und ich uns in dem Mittelpunkt der Bühne befinden, mit dem Rücken gegen die Lichter des Prosceniums – grade wie die Gesellschaft an dem ersten Abend der Saison es thun würde. Sie schütteln uns die Hände genau so wie die Gäste bei einem Ball in dem Adelphi- oder Haymarket-Theater, nehmen jede scherzhafte Bemerkung meinerseits auf, als wäre der Bühnenbefehl: ›Alle lachen‹, und finden es etwas schwerer fortzukommen, als bei den letzten Herren in weißen Hosen und lackirten Stiefeln unter den bedrängtesten Umständen gewöhnlich der Fall ist.

»Am nächsten Morgen, d. h. Freitag den 22sten, Punkt sieben Uhr, setzten wir unsre Reise fort. Da die Post von Columbus hierher nur dreimal wöchentlich geht, und an diesem Tage nicht ging, nahm ich eine ›exclusive Extrapost‹ mit vier Pferden, wofür ich vierzig Dollar oder acht Pfund St. bezahlte, und dieselben Relais hatte wie die reguläre Post. Um unser Fortkommen gehörig zu sichern, schickten die Postbesitzer einen Agenten auf dem Bocke mit und in keiner andern Gesellschaft als der seinigen und mit einem Korbe voll Eß- und Trinkwaaren machten wir uns auf den Weg. Es ist unmöglich, Dir eine angemessene Vorstellung von der Art Straße zu geben, auf der wir reisten. Ich kann nur sagen, daß sie im besten Falle eine Bahn durch den wilden Wald und zwischen den Sümpfen, Lachen und Morästen verwitterter Gestrüppe war. Ein großer Theil dieser Bahn war, was man einen Knüppeldamm nennt, den man dadurch anfertigt, daß man runde Holzblöcke oder ganze Bäume in den Sumpf wirft und es ihnen überläßt, sich dort nieder zu lassen. Könntest Du nur einen der geringsten Stöße fühlen, mit denen die Kutsche von Block zu Block fällt. Es ist ganz wie wenn ein Omnibus eine steile Treppe hinaufführe. Bald warf die Kutsche uns in einem Haufen zu Boden, bald stieß sie uns mit den Köpfen gegen das Dach. Bald steckte die eine Seite tief im Koth und wir hielten uns an der andern fest, bald lag sie auf den Schwänzen der Pferde und dann wieder auf dem Rücken. Aber nie befand sie sich in einer Lage, Stellung oder irgend einer Art von Bewegung, an die wir in Kutschen gewöhnt waren, oder machte die geringste Annäherung an unsre Bekanntschaft mit dem Verhalten irgend eines Fuhrwerks, das auf Rädern geht. Doch der Tag war schön, die Luft köstlich und wir waren allein, ohne durch Tabacksspeichel oder die ewige trockene Unterhaltung über Dollars und Politik (die einzigen beiden Gegenstände, worüber sie sich unterhalten, oder unterhalten können) gelangweilt zu werden. Es war ein wahrhafter Genuß für uns; wir scherzten darüber, daß wir so herumgeworfen wurden und waren ganz vergnügt. Um zwei Uhr machten wir in dem Walde Halt, um unsern Korb auszupacken und zu Mittag zu essen, und wir tranken die Gesundheit unsrer lieben Kleinen und aller Freunde in der Heimath. Dann brachen wir wieder auf und setzten unsre Fahrt fort bis zehn Uhr Abends, als wir einen Ort Namens Lower Sandusky, vierzehn Meilen von unserm Abfahrtspunkte, erreichten. Die letzten drei Stunden der Reise waren nicht sehr angenehm, denn es blitzte furchtbar, jeder Blitzstrahl sehr lebhaft, sehr blau und sehr lang, und da der Wald so dicht war daß die Zweige auf beiden Seiten des Weges gegen die Kutsche rasselten und brachen, war es für ein Gewitter eine etwas gefährliche Gegend.

»Der Gasthof, wo wir Halt machten, war ein roh gezimmertes Blockhaus. Die Leute waren schon sämmtlich im Bette und wir mußten sie herausklopfen. Wir hatten das wunderlichste Schlafzimmer, mit zwei einander gegenüber liegenden Thüren, die sich beide nach dem wilden schwarzen Lande zu öffneten, und von denen keine weder Schloß noch Riegel hatte. Die Wirkung dieser zwei einander gegenüber liegenden Thüren war, daß die eine die andere beständig offen wehte, eine Genialität der Baukunst, der ich mich nicht erinnre, vorher begegnet zu sein. Du hättest mich sehen sollen, wie ich sie, im Hemde, mit Kisten und Kasten blokirte und verzweifelte Anstrengungen machte, das Zimmer in einen ordentlichen Zustand zu setzen. Aber das Blokiren war wirklich nothwendig, denn ich habe in meinem Toilettenkasten etwa zweihundertfünfzig Pfund St. in Gold, und es gibt nicht wenige Leute im Westen, die für den Betrag der mittleren Zahl in diesem seltenen Metall ihre Väter ermorden würden. In Bezug auf diesen Goldvorrath überlege Dir in Muße die sonderbaren Zustände dieses Landes. Es hat kein Geld, wirklich kein Geld. Die Banknoten werden nicht angenommen, die Zeitungen sind voller Anzeigen von Kaufleuten, die Tauschhandel treiben, und amerikanisches Gold ist weder zu haben, noch zu kaufen. Ich kaufte zuerst Sovereigns, englische Sovereigns, aber da ich in Cincinnati keine bekommen konnte, habe ich französisches Gold kaufen müssen, Zwanzig-Frankenstücke, mit denen ich nun reise, als wäre ich in Paris.

»Doch kehren wir nach Lower Sandusky zurück. Mr. O. ging irgendwo unter dem Dach des Blockhauses zu Bette, wurde aber so von Wanzen geplagt, daß er nach einer Stunde aufstand und sich in die Kutsche legte, wo er bis zur Frühstückszeit aushalten mußte. Wir frühstückten, der Kutscher und Alle, in einem gemeinsamen Zimmer. Es war mit Zeitungen tapezirt, und so uneben als möglich. Um halb acht brachen wir wieder auf und erreichten Sandusky gestern Nachmittag um sechs. Es liegt am Eriesee, vierundzwanzig Stunden Dampfschiffahrt von Buffalo. Wir fanden kein Dampfschiff hier, und auch seitdem ist keins gekommen. Wir warten, alle unsre Sachen sind für einen Aufbruch in kürzester Frist gepackt, und wir sehen mit Verlangen dem Erscheinen des Rauches in der Ferne entgegen.

»Es war ein alter Herr in dem Block-Wirthshause in Lower Sandusky, der seitens der amerikanischen Regierung mit den Indianern unterhandelt und an jenem Orte soeben einen Vertrag mit den Wyandot-Indianern abgeschlossen hat, demzufolge sie im nächsten Jahre nach gewissen ihnen überwiesenen Landesstrichen im Westen des Mississippi, nicht weit von St. Louis, abziehen werden. Er beschrieb mir seine Unterhandlung und ihr Widerstreben, zu gehen, sehr gut. Sie sind ein schönes Volk, aber entartet und gebrochen. Könntest Du einige von ihren Männern und Frauen auf einer Rennbahn in England sehen, Du würdest sie nicht von den Zigeunern unterscheiden.

»Wir wohnen hier in einem kleinen, aber sehr gemüthlichen Hause und die Leute sind äußerst zuvorkommend. Ihr Benehmen in diesen ländlichen Gegenden ist ohne Ausnahme mürrisch, verdrießlich, tölpelhaft und abstoßend. Ich möchte glauben, daß es auf der ganzen Erde kein Volk gibt, dem es so vollständig an Humor, Lebhaftigkeit oder der Fähigkeit zum Lebensgenuß fehlt. Es ist sehr merkwürdig. Ich spreche im Ernst, wenn ich sage, daß ich während dieser sechs Wochen nie ein herzliches Lachen gehört habe, außer meinem eigenen, oder daß ich ein vergnügtes Gesicht gesehen habe, außer auf den Schultern eines Schwarzen. Verdrossen umherlungern, in den Schenken faulenzen, rauchen, spucken und vor den Ladenthüren auf dem Pflaster in Schaukelstühlen räkeln, sind die einzigen Erholungen. Ich glaube nicht, daß die nationale Schlauheit sich über die Yankee's, das heißt die Leute des Ostens, hinaus erstreckt. Die andern sind schwerfällig, stumpfsinnig und unwissend. Unser hiesiger Wirth stammt aus dem Osten. Er ist ein schöner, zuvorkommender, höflicher Mensch. Er kommt in das Zimmer mit dem Hut auf dem Kopfe, spuckt während er spricht in den Kamin, setzt sich, den Hut auf dem Kopfe, aufs Sopha, zieht seine Zeitung heraus und liest; aber an das Alles bin ich gewöhnt. Er wünscht sich gefällig zu zeigen und das ist genug.

»Wir verlangen sehr nach einem Schiffe, denn wir hoffen, unsre Briefe in Buffalo zu finden. Es ist halb zwei, und da kein Schiff in Sicht ist, sind wir (sehr gegen unsern Willen) gezwungen, ein frühes Mittagsessen zu bestellen.«

 
»Dienstag, 26. April 1842.
Niagarafall!!! (Auf der englischen Dies Wort zehnmal unterstrichen. Seite.)

»Ich weiß nicht, wie lang mein Brief aus Sandusky noch hätte werden können, mein geliebter Freund, wäre nicht grade ein Dampfschiff in Sicht gekommen, als ich den letzten unverständlichen Bogen beendete, (o, über die Dinte in diesen Gegenden!) worauf ich meine sieben Sachen einpacken, eine hastige Entschuldigung für ein Mittagsessen verschlucken und mit aller möglichen Eile meine Gesellschaft an Bord befördern mußte. Es war ein schönes Dampfschiff, von vierhundert Tonnen Gehalt, ›Die Constitution‹ geheißen, hatte wenige Passagiere an Bord und reichliche und schöne Bequemlichkeiten. Es ist ganz hübsch, vom Eriesee zu sprechen, aber für Leute, die der Seekrankheit unterworfen sind, ist er nicht zu empfehlen. Wir waren alle krank. Er ist in dieser Beziehung beinahe so schlecht wie der atlantische Ocean. Die Wellen sind sehr kurz und furchtbar beständig. Wir erreichten Buffalo heute Morgen um sechs Uhr, gingen an's Land um zu frühstücken, schickten sofort auf's Postamt und empfingen – o, wer oder was kann sagen, mit wie viel Vergnügen und mit welch unaussprechlicher Freude – unsre englischen Briefe!

»Wir hielten die ganze Sonntagnacht an einer Stadt (und zwar einer schönen Stadt), Namens Cleveland, am Eriesee. Die Leute strömten haufenweise an Bord, um sechs Uhr Morgens, um mich zu sehen, und eine Anzahl von ›Herren‹ pflanzte sich thatsächlich vor unsre kleine Kajüte und starrte zur Thür und zu den Fenstern herein, während ich mich wusch und Kate im Bette lag. Ich war so ergrimmt hierüber und über eine in dieser Stadt erscheinende Zeitung, die ich zufällig in Sandusky gesehen hatte (man befürwortete darin Krieg mit England bis zum Tode, erklärte, Britannien müsse einmal wieder gezüchtigt werden und versprach allen wahren Amerikanern, daß sie innerhalb zweier Jahre den › Yankee-doodle‹ in Hydepark und › Hail Columbia‹ in den Höfen von Westminster singen würden), daß ich, als der Mayor an Bord kam, um sich mir der Sitte gemäß vorzustellen, seinen Besuch nicht annahm und Mr. O. bat, ihm zu sagen, warum und weshalb. Se. Gnaden nahm die Sache sehr kühl und zog sich mit einem großen Stock und einem Schnitzmesser oben auf den Landungsplatz zurück, wo er (indeß die ganze Zeit über die geschlossene Thür unsrer Kajüte anstarrend) so eifrig schnitzte, daß, lange ehe das Schiff abfuhr, der große Stock nicht mehr größer war als ein kleiner Pflock.

»Nie in meinem Leben bin ich in einem solchen Zustand von Aufregung gewesen, wie heute Morgen, als ich von Buffalo hierher kam. Man fährt mit der Eisenbahn und ist fast zwei Stunden unterwegs. Ich blickte hinaus nach dem Schaume und horchte nach dem Tosen so weit jenseits der Grenzen der Möglichkeit, als wollte ich bei meiner Landung in Liverpool nach der Musik Deiner angenehmen Stimme in Lincolns-inn-fields horchen. Endlich, als der Zug anhielt, sah ich zwei große weiße Wolken aus den Tiefen der Erde aufsteigen – nichts weiter. Sie stiegen langsam, sanft, majestätisch in die Luft empor. Ich zog Kate einen steilen und schlüpferigen Pfad hinab, der nach der Fähre führte, schalt Anne, daß sie uns nicht schnell genug folgte, perspirirte durch alle Poren und empfand, es ist unmöglich zu sagen, was, als der Klang lauter und lauter in meinen Ohren dröhnte und doch wegen des Nebels nichts zu sehen war.

»Es waren zwei englische Officiere bei uns (ah! was für Gentlemen, was für Edelleute der Natur schienen sie!) und diese eilten mit mir weiter, indeß wir Kate und Anne auf einer Eisklippe ließen, und kletterten mir über die Felsen an den Fuß des kleinen Falles nach, während der Fährmann sein Schiff in Bereitschaft setzte. Ich war nicht enttäuscht – aber ich konnte Nichts erkennen. In einem Augenblick war ich von dem Schaum geblendet und bis auf die Haut durchnäßt. Ich sah wie das Wasser von einer gewaltigen Höhe wüthend hinunterschoß, konnte aber von Gestalt, oder Lage, oder irgend etwas außer vager Unermeßlichkeit keine Vorstellung gewinnen. Als wir aber in dem Boote saßen und dicht am Fuße des Wasserfalls vorbeifuhren – begann ich zu fühlen, was es war. Sobald ich meine Kleidung gewechselt hatte, ging ich in Begleitung Kate's wieder hinaus und eilte nach dem Hufeisen-Fall. Ich ging allein hinunter, ganz bis in das Becken hinab. Es würde einem Menschen schwer sein, Gott näher zu stehen als dort. Ein heller Regenbogen wölbte sich zu meinen Füßen, und von ihm blickte ich empor – großer Himmel! zu was für einem Fall hellen grünen Wassers! Der breite, tiefe, mächtige Strom scheint in seinem Falle zu sterben, und aus seinem unergründlichen Grabe erhebt sich jenes furchtbare Gespenst von Schaum und Nebel, das nie zur Ruhe kommt und diesen Ort mit derselben furchtbaren Feierlichkeit umschwebt hat – vielleicht von der Schöpfung der Welt an.

»Wir beabsichtigen, eine Woche hier zu bleiben. In meinem nächsten Briefe will ich versuchen, Dir eine Vorstellung von meinen Eindrücken zu geben und Dir zu sagen, wie sie von Tage zu Tage wechseln. Gegenwärtig ist dies unmöglich. Ich kann nur sagen, daß die erste Wirkung, welche dies gewaltige Schauspiel auf mich ausübte, Seelenfrieden – Stille – große Gedanken ewiger Ruhe und Glückseligkeit waren – kein Schrecken. Ich kann schaudern bei der Erinnerung an Glencoe (lieber Freund, wenn es möglich ist, müssen wir Glencoe zusammen sehen), aber so oft ich an Niagara denke, werde ich an seine Schönheit denken.

»Könntest Du das Tosen hören, das in meinen Ohren klingt, während ich dies schreibe! Beide Fälle sind vor unsern Fenstern. Aus unserm Wohnzimmer und Schlafzimmer sehen wir gerade auf sie hinab. Niemand außer uns ist in dem Hause. Was gäbe ich nicht, könntest Du und Mac hier sein und die Empfindungen dieser Zeit mit mir theilen! Ich wollte hinzufügen: was gäbe ich nicht, hätte das liebe Mädchen, dessen Asche in Kensal-Green ruht, so weit mit uns gehen können – aber ich zweifle nicht, daß sie viele Male hier gewesen ist, seit ihr süßes Antlitz meinem sterblichen Auge entschwand.

»Nur noch ein Wort über Deine theueren Briefe, ehe ich schließe. Du hast Recht, mein lieber Junge, in Bezug auf die Zeitungen, und Du hast Recht (ich sage es mit Schmerz), in Bezug auf das Volk. Habe ich Recht? fragte der Zauberer. Ja! aus der Galerie, dem Parterre und den Logen. Ich ließ mich über jene Dinge zuerst gegen meinen Willen aus, aber wenn ich Dir Alles erzähle – nun – warte nur – warte nur – bis Ende Juli. Ich sage nicht mehr.

»Ich begreife, daß die Pflicht in Bezug auf die Abfassung von Reisebeschreibungen in verwirrender Weise getheilt ist. O, die Quintessenz der Komik, die ich aus den mir zu Gebote stehenden Materialien destilliren könnte! . . . Du bist ein Theil, und ein wesentlicher Theil unsrer Heimath, lieber Freund, und ich erschöpfe meine Einbildungskraft, um mir die Umstände vorzustellen, unter denen ich Dich überraschen werde, indem ich in Nr. 58 Lincolns-inn-fields eintrete. Wir sind Gott von Herzen dankbar für die Gesundheit und das Glück unserer unaussprechlich geliebten Kinder und aller unsrer Freunde. Nur noch ein Brief – noch einer. . . . Mir ist, als wäre ich nicht halb zärtlich genug gewesen, aber Du weißt, es gibt Gedanken, die zu tief sind für Worte.«

 

*

 


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