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Neuntes Kapitel.

Nicholas Nickleby.
1838 und 1839.

Ich erinnere mich noch sehr wohl des mit lebbafter Erwartung vermischten Zweifels, welchen die Ankündigung von Dickens' zweitem, in Monatsheften zu veröffentlichenden Roman erweckt hatte, ob der Erfolg ein so großes Interesse rechtfertigen werde und ob es in der That möglich sei, daß der junge Autor unter der Last der ihm auferlegten Popularität sicher fortschreiten könne. Das erste Heft zerstreute diese Wolke des Zweifels in einem Ausbruch von Sonnenschein und was von der Heiterkeit der Völker durch die freiwillige Verbannung des alten Pickwick nach Dulwich verloren gegangen war, wurde wieder hergestellt durch das frohe Selbstvertrauen, womit der junge Nicholas Nickleby in seine Fußstapfen trat. Alles, was dem ersten Werke seinen Reiz verliehen hatte, fand sich hier, nebst einer größeren Beachtung der wichtigen Erfordernisse eines Romans und mehr Reichthum sowohl als Wahrheit der Charaktere.

Wie sich dies in jedem folgenden Heft weiter ergoß, brauche ich kaum zu erzählen. Jetzt daran zu erinnern, heißt von Dingen reden, die sich so mit unsrer gewöhnlichen Rede und Denkweise verwoben haben, daß sie fast ein Theil unsres alltäglichen Lebens geworden sind. Es wurde bald nach seinem Tode sehr wahr von ihm bemerkt, daß, wie seine Schöpfungen für das lebende Geschlecht eine der Hauptquellen geistigen Genusses gewesen, so seine Sprache ein Theil der Sprache aller Classen seiner Landsleute und seine Charaktere ein Theil unsrer Zeitgenossen geworden seien. »Es scheint kaum möglich«, fuhr der übrigens nicht zu nachsichtige Kritiker fort, »zu glauben, daß es nie solche Personen wie Mr. Pickwick, Mrs. Nickleby und Mrs. Gamp gegeben hat. Sie sind für uns nicht nur Charakterformen des englischen Lebens, sondern wirklich bestehende Charakterformen. Sie enthüllten zugleich das Vorhandensein solcher Personen und machten sie völlig verständlich. Sie waren keine Studien über Personen, sondern Personen. Und doch waren sie auf eine Weise idealisirt, daß der Leser nicht glaubte, sie seien nach dem Leben gezeichnet. Sie waren lebendig; sie waren sie selbst.« Der Kritiker hätte hinzufügen können, daß dies allen wahren Meistern der Dichtung eigenthümlich ist, die in den höhern Regionen ihres Berufs arbeiten.

Nichts könnte sicherlich das besser ausdrücken, was das neue Buch um diese Zeit seinen Tausenden von Lesern klar machte: nicht bloß eine staunenswerthe Mannigfaltigkeit von Charakterschöpfungen, sondern das, was diese Schöpfungen so wirklich machte; nicht bloß den genialen Reichthum des Verfassers, sondern das Geheimniß und die Form seiner Kunst. Niemand brauchte je weniger über seine Charaktere zu reden, weil es nie Charaktere gab, die sich sicherer selbst enthüllten, und so geschah es, daß ihre Wirklichkeit sofort fühlbar wurde. Sie sprachen so gut, daß, wie der eben citirte Kritiker bemerkt hat, ein Jeder gern wiederholte, was sie sagten und da ihre Redeweise einen Grundzug ihres Wesens ausmachte, so ging auch dieses letztere von selbst auf das Publikum über. Diese höchste Errungenschaft des Novellisten trug in einem engeren Lebenskreise die zu seltener Vollendung gereifte Kunst Miß Austen's davon; unter völlig verschiedenen Verhältnissen der Kunst wie der Arbeit fiel sie im höchsten Maße Dickens zu. Ich sagte ihm, als ich die erste Unterredung Mrs. Nickleby's und Miß Knag's las, er habe vor Kurzem Miß Bates in » Emma« Einer der Romane Miß Austen's. – D. Uebers. gelesen, aber ich fand, daß er damals diese ausgezeichnete Schriftstellerin noch nicht kannte.

Wer, der sich des allmäligen Erscheinens der Hefte von » Nickleby« erinnert, kann vergessen haben, wie jedes neue Heft den allgemeinen Genuß steigerte? Alles, was » Pickwick« seine ungeheure Popularität verliehen, die überfließende Heiterkeit, die naturwüchsige Ausgelassenheit des Humors und das geniale Wohlwollen der Satire, hatte hier den Vortheil eines besser angelegten Planes, zusammenhängenderer Ereignisse und größerer Schärfe der Charakteristik. Jeder schien unverzüglich die Familie Nickleby ebenso gut zu kennen als seine eigene. Dotheboys, mit Allem was es, wie ein Bild Hogarths, zugleich lächerlich und schrecklich machte, wurde ein Familienausdruck. Einander folgende Gruppen von Mantalinis, Kenwigs, Crummles stellten jede ihre kleine Welt der Wirklichkeit dar, überall aufgehellt von Wahrheit und Leben, von vortrefflichen Beobachtungen, von den seltsamsten Possen und grenzenlosem Scherz und Heiterkeit. Die Brüder Cheeryble brachten alle milden Stiftungen mit sich. In Smike erschien das erste jener pathetischen Bilder, welche die Welt mit Mitleid erfüllten für die Leiden, welche Grausamkeit, Unwissenheit, oder Verwahrlosung der Jugend zufügen können. Und Newman Noggs führte diejenige Klasse der Schöpfungen seiner Phantasie ein, an denen er selbst wol die meiste Freude hatte und die er um so mehr zu variiren und um so anziehender zu machen verstand, je öfter er sich mit ihnen befaßte. Gentlemen von Natur, so unerhört abgetragen auch ihre Hüte und so ungentil ihre Redeweise; Philosophen von bescheidener Ausdauer, in dürftigen aber äußerst respektablen Röcken; eine Art von demüthigen Engeln der Sympathie und der Selbstverleugnung, obgleich ohne ein Titelchen von Glanz oder selbst schönem Aeußern, außer dem was Augen, die so tief dringen als ihre eigenen Gefühle, etwa entdecken. »Meine Freundinnen,« schrieb Sydney Smith, indem er Dickens den dringenden Wunsch einiger Damen seiner Bekanntschaft, ihn bei Tische zu treffen, schilderte, »haben nicht den geringsten Einwand dagegen, in eins Ihrer Hefte zu kommen, würden vielmehr auf diese Auszeichnung stolz sein, und was Lady Charlotte angeht, so können Sie sie mit Newman Noggs verheirathen.« Lady Charlotte war für Sydney Smith ebenso wenig eine wirkliche Person, als Newman Noggs, und alle die, welche durch Dickens Bücher angezogen wurden, konnten denselben Nutzen daraus ziehen, wie der Mann von Witz und Genie. Man hat jüngst bemerkt, daß die Menschheit nicht in ihren höchsten und edelsten Typen darin zum Vorschein kommt und es mag der Mühe werth sein, diese Behauptung später zu prüfen; allein gewiß ist es, daß sie Tausenden und Zehntausenden ihrer Leser die Menschheit in vertrauten und anziehenden Formen eingeprägt haben, deren Lehre wol kaum verfehlt hat, eines Jeden kleine Welt etwas besser zu machen, als sie war. Von Anfang bis zu Ende waren sie nie für einen Augenblick den Sympathieen oder dem Verständniß irgend einer Classe fremd, und es gab damals Massen von Leuten, die nicht hätten sagen können, was die Phantasie ist und doch Monat auf Monat ihrem beschränkten Besitz den grenzenlosen Gewinn der Phantasie hinzufügten.

Eine andere wohlwollendste Schöpfung des Humors in Nickleby, die auch bei einer so kurzen Rückschau auf einige seiner ersten Eindrücke nicht übergangen werden darf, war die gute kleine Miniaturmalerin Miß La Creevy, die für sich allein wohnt, von einer Liebe überfließend, für die ihr ein Gegenstand fehlt, aber kraft ihres Fleißes und ihrer Gutherzigkeit immer vergnügt ist. Wenn sie durch den Charakter einer Frau, der sie einen Besuch gemacht hat, enttäuscht ist, so erleichtert sie ihr Gemüth, indem sie in einem Selbstgespräch eine sehr bittere Bemerkung über sie macht und erläutert dadurch einen der Vorzüge ihres langen Alleinlebens, daß sie nämlich immer sich selbst zu ihrer Vertrauten machte, für sich so sarkastisch als möglich war gegen Leute, die sie beleidigt hatten, sich selbst befriedigte und keinen Andern verletzte. Das war eine von jenen den Lesern Dickens später durch unzählige ähnliche Phantasiegebilde vertraut gewordenen Conceptionen, welche dem Autor zu ihrer Bewunderung auch ihre Liebe erwarben und sie in den Stand setzten, das Gefühl vorauszuempfinden, mit welchem die Nachwelt ihn als würdigen Gefährten der Goldsmith und Fielding betrachten wird. Nicht viele Seiten weiter befand sich auch ein Schriftstück, von dem Leigh Hunt, als er es las, erklärte, es übertreffe das Beste der Art, dessen er sich in Smollett erinnern könne. Es war der Brief von Miß Saucers an Ralph Nickleby, worin sie ihre Version gibt, von der dem Schulmeister durch Nicholas zugefügten Züchtigung. »Mein Papa bittet mich, Ihnen zu schreiben, da die Doktoren zweifeln, ob er je den Gebrauch seiner Beine wieder erlangen wird, was ihn hindert, eine Feder zu halten. Wir befinden uns in einem Gemüthszustande, der über Alles hinausgeht, und mein Papa ist eine Maske von blauen und grünen Striemen, gleichfalls sind zwei Bänke in sein Blut getaucht. . . . Ich und mein Bruder wurden dann die Opfer seiner Wuth, seit woher wir viel gelitten haben, was uns zu dem quälerischen Glauben bringt, daß wir einen Schaden in unserm Innern empfangen haben, besonders da äußerlich keine Zeichen von Gewaltthätigkeiten sichtbar sind. Ich schreie laut in einem fort, während ich dies schreibe und mein Bruder thut es auch, was meine Aufmerksamkeit etwas abzieht, und, wie ich hoffe, Versehen entschuldigen wird.«

Es sind hier in aller Kürze einige der Elemente angedeutet, welche zu der plötzlichen und wunderbar weit verbreiteten Popularität dieser Bücher beitrugen. Ich schließe absichtlich von meinen gegenwärtigen Bemerkungen darüber, die mehr biographisch als kritisch sind, jede Entwicklung der Gründe aus, weshalb ich sie in Bezug auf Phantasie und Erfindungsgabe einigen seiner spätern Werke nicht gleichstelle; aber sie zeigten ein fortgesetztes und beständiges Wachsthum in Bezug auf Humor, Beobachtung und Charakteristik, während die Frische und Originalität des Styls ihre Wirkung mächtig förderten. Es finden sich Fehler gelegentlicher Uebertreibung in der Darstellung, aber keine, die nicht aus Lebensmuth und guter Laune, oder, hie und da, aus einem verzeihlichen Uebermaß des Ernstes entspringen, und sie hat immer, einerlei ob sie heiter oder ernst ist, das seltene Verdienst, vollkommen verständlich und meist vollkommen natürlich zu sein, sich ohne Anstrengung, ebenso warm, lebendig und umfassend als die Sympathieen, die sie ausdrücken soll, jedem Wechsel der Stimmung anzupassen. Auch der Ton ist vortrefflich. Wir werden nie durch Selbstsucht oder Eitelkeit abgestoßen und nie verdrießt uns schlecht angebrachter Spott. Wenn etwas Gutes geschieht, so dürfen wir darauf zählen, daß wir seine ganze Schönheit sehen, und wenn etwas Böses geschieht, so sind wir nie in Gefahr, es mit dem Guten zu verwechseln. Niemand kann wirkungsvoller malen durch ein angemessenes Beiwort, oder treffender erläutern durch eine glücklich gewählte Anspielung. Auch was er weiß oder fühlt, ist ihm immer geläufig und gegenwärtig, einerlei womit er beschäftigt sein mag. Was Rebecca zu Ivanhoe über die Kampfesweise des Schwarzen Ritters sagt, würde nicht unanwendbar sein auf Dickens' Darstellungsweise. »Es ist mehr als bloße Stärke darin, es scheint, als lege der Kämpfer seine ganze Seele und seinen ganzen Geist in jeden Schlag, den er führt.« Wenn Jemand seine Schläge mit einer Feder führt, ist das die Behandlungsweise, welche die ältesten Thatsachen mit neuem Leben erfüllt und den bekanntesten Gedanken eine nie zuvor gefühlte Erregung einhaucht. Es schien, als bleibe unsrer Kenntniß Londons nicht viel mehr hinzuzufügen, ehe seine Bücher uns überraschten; aber ein jedes überbot in seinen Wundern das andere. In » Nickleby« erscheint die alte Stadt wieder in allen möglichen Gestalten, und ob Licht und Wärme auf dem ruhen, was gut und heiter darin ist, oder der Schleier von ihren dunkleren Scenen gelüftet wird, es ist immer unser Vorzug, sie vollkommen so zu sehen und zu fühlen wie sie ist. Ihr inneres verborgenes Leben wird uns ebenso vertraut wie ihre gewöhnlichsten äußern Formen und wir entdecken, daß wir kaum etwas von den Orten wußten, die wir am besten zu kennen glaubten.

Wir wollen jetzt einige Stellen aus seinen Briefen anführen, welche über den Fortschritt » Nickleby's«, der ihn vom Februar 1838 bis zum Oktober 1839 beschäftigte, Bemerkungen enthalten. Bald nach der Unterzeichnung des Contracts, noch ehe das Weihnachtsfest von 1837 vorüber war, reiste er mit Hablot Browne nach Yorkshire, um sich die billigen Schulen dieser Grafschaft anzusehen, denen ein Rechtsfall des vorigen Jahres die öffentliche Aufmerksamkeit in peinlicher Weise zugewandt hatte, die schon vorher notorisch gewesen waren wegen der dort verübten Grausamkeiten, von denen er schon in seinen Kindertagen gehört hatte »Ich kann mich nicht darauf besinnen, wie es kam, daß ich von den Schulen in Yorkshire hörte, als ich ein nicht sehr kräftiges Kind war und an einsamen Stellen bei Rochester-Castle saß, den Kopf voll von Partridge, Strap, Tom Pipes und Sancho Pansa, aber ich weiß, daß ich meine ersten Eindrücke davon damals empfing.« und die er entschlossen war, wo möglich zu zerstören. Ich erfuhr bald das Resultat seiner Reise und der wesentliche Inhalt des damals geschriebenen Briefes, den ich ihm auf seinen Wunsch zurückschickte, findet sich in dem Vorwort, mit welchem er die Gesammtausgabe des Romans begleitete. Er kam in seiner Absicht gestärkt zurück und fing im Februar die Arbeit an dem ersten Kapitel an. An seinem Geburtstage schrieb er mir: »Ich habe angefangen. Ich schrieb gestern Abend vier Seiten; Du siehst daher, daß der Anfang gemacht ist. Und was mehr ist: ich kann fortfahren; so hoffe ich denn, daß das Buch endlich im Gange ist.« »Das erste Kapitel von Nicholas ist fertig,« schrieb er zwei Tage später. »Es nahm Zeit, entspricht aber seinem Zwecke, wie ich glaube, so gut als möglich.« Dann, nach einer Zwischenzeit von zwölf Tagen: »Ich schrieb gestern zwölf Seiten von Nicholas, worauf für heute Morgen nur noch vier zu thun bleiben (ich war überdies um 8 Uhr auf!) und jetzt habe ich mein Pferd bestellt.« Ich schloß mich ihm, seinem Wunsche gemäß, an, und bei Tisch lasen wir an jenem Tage zusammen das erste Heft von Nicholas Nickleby.

Bei dem folgenden Hefte stellte sich eine Schwierigkeit ein, von der es nur zu verwundern war, daß sie ihm nicht öfter begegnete. »Ich konnte vor drei Uhr keine Zeile schreiben,« sagte er, indem er den Abschluß des Heftes mittheilt, »und muß noch fünf Seiten fertig machen und weiß nicht, was ich hineinsetzen soll, denn ich habe den Punkt erreicht, wo ich abbrechen wollte.« Er fand gleich anfangs für solche falsche Berechnungen ein bequemes Auskunftsmittel und dies war ebensowohl fast sein erstes als sein letztes derartiges Mißgeschick; seine Verlegenheit bei Pickwick hatte, wie er mir einmal sagte, immer nicht darin bestanden, daß es ihm an Stoff gebrach, sondern daß er Ueberfluß an Stoff hatte, er hatte nicht die Peitsche, sondern den Hemmschuh nöthig gehabt: Sufflaminandus erat, wie Ben Jonson von Shakespeare sagt. Und in künftigen Werken wußte er seinen Plan immer mit so bewundernswerther Genauigkeit innerhalb des verfügbaren Raums auszuführen, daß ich mich nur eines ähnlichen Falles erinnere. In dem dritten Heft wurde die Schule vorgeführt und »ich werde nicht eher zufrieden sein, als bis Du Heft drei gesehen hast,« war die Weise, wie er mir seine eigne Befriedigung mit jener ersten Behandlung von Dotheboys-Hall ankündigte. Auch entsprang nicht der geringste Theil meiner Bewunderung für sein Genie aus dem Umstande, daß er um diese Zeit nie schrieb, ohne daß der Drucker ihm auf den Fersen saß; daß er, während er bei seinen späteren Werken immer zwei oder drei Hefte voraus war, bei diesem Roman nie um ein einziges Heft voraus war, daß er, je dringender die an ihn gestellten Anforderungen waren, denselben um so leichter entsprach, und daß sein erstaunlicher Lebensmuth ihn nie verließ. Noch am 20. November 1838 schrieb er mir: »Ich habe grade mein zweites Kapitel angefangen, kann heute Abend nicht ausgehen, muß fortfahren, glaube jetzt, daß am Ende dieses Monats ein Nickleby da sein wird (was ich vorher bezweifelte) und möchte eine Strecke Weges dahin zurücklegen, wenn ich irgend kann.« Das war am Dienstag, und am Freitag Morgen in derselben Woche schrieb er mir in Bezug auf Etwas, das am Tage vorher versprochen, aber unerfüllt geblieben war: »Ich schrieb ohne Aufhören, bis es Zeit war mich anzuziehen und weiß noch nichts von dem Inhalt meines letzten Kapitels, das heute Abend fertig werden muß.«

Doch dies war nicht Alles. Zwischen jenem Dienstag und Freitag hatte ein Bühnenbearbeiter Namens Stirling sich thatsächlich an seinem Buche vergriffen, indem er ohne jede Erlaubniß sich des Stoffes bemächtigte, als erst der dritte Theil beendet war, den Dialog für zwei possenhafte Schauspieler zustutzte, selbst eine Intrigue und ein Ende dazu erfand und sein Stück im Adelphitheater zur Aufführung brachte, wo der beleidigte Autor, hart bedrängt durch ein unbeendetes Heft, wie er war, es in der Zwischenzeit zwischen den beiden von mir angeführten Briefen gesehen hatte. In späteren Jahren würde er sich einer solchen Gefahr nicht ausgesetzt haben, aber damals schüttelte er selbst solche Beleidigungen seiner Kunst leicht ab; und obgleich ich einen Monat darauf mit ihm bei einer Darstellung seines Oliver Twist im Surrey-Theater war, wo er sich mitten in der ersten Scene in einer Ecke der Loge auf den Boden legte und erst wieder aufstand, als der Vorhang fiel, so hatte er es doch vermocht, die Aufführung Nickleby's durchzusitzen und ein gewisses Verdienst bei den Schauspielern anzuerkennen. Yates hauchte auch seinen wildesten Uebertreibungen eine hinreichend humoristische Bedeutung ein, und O. Smith verstand es, seine wunderlichen eckigen Sonderbarkeiten mit genug trockenem Pathos zu erfüllen, um wenigsten Schatten Mantalini's und Newman Noggs' heraufzubeschwören; von Ralph Nickleby war allerdings Nichts sichtbar, als eine Perrücke, ein Spencer und ein Paar Stiefel; aber es war ein origineller Schauspieler Namens Wilkinson da, der sich der Possenreißerei, obschon nicht der wilden Brutalität, von Squeers' gewachsen zeigte, und selbst Dickens konnte in dem Briefe, der mich zu meinem höchsten Erstaunen von seinem Besuch in dem Theater benachrichtigte, »die geschickte Behandlung und Kleidung der Jungen, die vorzügliche Darstellung und den Vortrag von Fanny Squeers, die dramatische Vorführung ihrer Kartengesellschaft in Squeers' Wohnzimmer, das sorgfältig gewählte Kostüm sämmtlicher Personen, und die nach Hablot Browne's Skizzen gruppirten, ausnehmend guten Tableaux loben. . . . Mrs. Keeley's erstes Auftreten an dem Feuer und der ganze Smike war vorzüglich, abgesehen von verschiedenen gewählten Gefühlsausdrücken und Unsinn in Bezug auf die kleinen Rothkehlchen in den Feldern, die Mr. Stirling, der Bearbeiter, in des Jungen Mund gelegt hat.« Seine Toleranz ließ sich kaum auf die Rothkehlchen ausdehnen und ihren Urheber strafte er in sehr passender Weise, indem er ihn bei Crummles' Abschiedsmahl einführte und verklagte.

Der Roman war in gutem Zuge bei dem nächsten hier anzuführenden Brief, denn ich beschränke mich auf diejenigen Briefe, welche charakteristische oder erläuternde Anspielungen enthalten. »Ich muß heute mit meinem Ruhme allein sein und sehen, was ich thun kann. Ich brachte gestern viel zu Stande und bin in der That jeden Tag seit Montag ein gut Stück weiter gekommen; aber ich muß wieder in's Geschirr und mich bemühen, die Sache in Zug zu bringen. Sollte dies lange so fortgehen, so würde der Dampfkessel zerplatzen. Ich glaube, Mrs. Nickleby's Liebesscene wird einzig in ihrer Art werden.« Der Dampf entwickelte sich ohne Frage zu einer gefährlichen Kraft, wenn eine solche Inspiration kam. Es war nur einige Hefte vor diesem, während jene excentrische Dame der Miß Knag ihre vertraulichen Mittheilungen machte, daß Sydney Smith sich für besiegt bekannte durch einen Humor, gegen den sein eigner sich lange zu vertheidigen bemüht gewesen war. » Nickleby ist sehr gut,« schrieb er nach dem sechsten Hefte an Sir George Phillips. »Ich hielt gegen Dickens aus, so lange ich konnte, aber er hat mich überwunden.« Thomas Moore erzählt in seinem Tagebuche (April 1837), Sydney Smith habe Dickens bei einem Dîner in Paternoster Row heruntergemacht »und offenbar ohne seine Leistungen hinreichend zu kennen«.

Der Schluß des Romans wurde in Broadstairs geschrieben, von wo er mir (er hatte ein Haus »zwei Thüren von dem Albionhotel genommen, wo wir vor zwei Jahren den lustigen Abend verlebten«) am 9. September 1839 schrieb: »Ich bin hart an der Arbeit, aber diese schließlichen Abwicklungen wickeln sich langsam ab und ich werde denken, daß ich Großes geleistet habe, wenn ich am 20. ganz fertig bin. Chapman und Hall kamen gestern mit Browne's Skizzen hierher und waren bei mir zu Tische. Sie theilten mir ihre Pläne hinsichtlich eines Nickleby'schen Festes mit, worüber Du herzlich lachen wirst – so spare ich sie auf, bis Du kommst. Es hat hier während der letzten drei Tage erschrecklich gestürmt und gestern Abend (ich wollte, Du hättest es sehen können) hatten wir eine mächtige See. Ich taumelte an den Pier hinunter, kroch unter die windsichre Seite eines Bootes, das trocken am Ufer lag, und blickte von dort fast eine Stunde lang in die Brandung hinaus. Ich kam natürlich völlig durchnäßt nach Hause.« Am Montag Nachmittag, den 18. September, schrieb er wieder: »Ich werde nicht vor Freitag fertig werden, und die letzten zwanzig Seiten mit der Nachtpost an den Drucker befördern. Ich habe, wie Du Dir denken kannst, tüchtig zu thun gehabt und mir viel Mühe gegeben. Die Entdeckung ist gemacht, Ralph ist todt, mit den Liebenden ist es in Richtigkeit, Tim Linkinwater hat seinen Antrag gemacht und ich brauche jetzt nur noch mit Dotheboys und mit dem ganzen Buche abzuschließen. Ich wünsche sehr, daß Du diesen Schluß siehst, ehe er aus meiner Hand geht, und sehe daher deutlich, daß ich am Sonnabend selbst in die Stadt kommen muß, wenn das Erscheinen des Heftes nicht gefährdet werden soll. Ich habe daher dem Drucker geschrieben, daß er am Sonnabend Abend, so bald als er kann, die Druckbogen in Deine Wohnung schickt, und wenn Du nichts dagegen hast, wollen wir zu irgend einer Zeit nach fünf zusammen speisen und die Nacht einer sorgfältigen Durchsicht widmen. Ich habe nicht an Macready geschrieben, denn man hat mir das Titelblatt mit der Zueignung noch nicht geschickt; es steht bloß darauf: »»Herrn W. C. Macready gewidmet, als ein kleines Zeichen der Bewunderung und der Hochachtung, von seinem Freunde, dem Verfasser.«« Willst Du ihn inzwischen benachrichtigen, daß ich das Nickleby-Festessen auf Sonnabend, den fünften Oktober, angesetzt habe? Ort: das Albionhotel in Aldersgate Street; Zeit: pünktlich zwischen sechs und halb sieben. . . . Es wird mich mehr freuen als ich Dir sagen kann, Dich wieder zu sehen, und ich sehe dem nächsten Sonnabend und den Abenden, die folgen werden, mit der frohsten Erwartung entgegen. Ich habe gute Gedanken für Barnaby«, wovon später mehr.«

Der Schatten der alten Zeit, die ungeschriebene Geschichte von » Barnaby«, drängt sich ihm, wie wir sehen, noch auf, aber nicht mehr wie früher, um anderen angenehmeren Erwartungen ihre Heiterkeit zu rauben. In der That war die Schwungkraft seines Geistes damals so groß, daß es ihm, im Vergleich mit den Leiden, die er später bei allen ähnlichen Gelegenheiten ausstand, wenig kostete, sich von den Personen zu trennen, welche zwanzig Monate lang ein Theil seiner selbst gewesen waren. Der wachsende Erfolg, den sie errungen, ließ für den Augenblick nur Raum für Freude und wohlerrungenen Stolz und um sie in der unsterblichen Familie des englischen Romans willkommen zu heißen und ihrem Autor freudig »frische Wälder und neue Weide zu eröffnen«, versammelten wir uns so zu dem Festmahl. Doch es ist geringe Veranlassung vorhanden, jetzt von dem zu sprechen, was einem der wenigen Ueberlebenden nur den Schmerz der Erinnerung hinterlassen hat, daß Alle, welche dies Mahl erheiterten und belebten, dahin sind. Talfourd war da, heiter und überfließend von freundlicher Rede, mit dem wir in beständigem und herzlichem Verkehr standen und dem Dickens, zum Dank für seine Bemühungen im Unterhause, ein Gesetz zum Schutze des literarischen Eigenthums durchzuführen, » Pickwick« zugeeignet hatte; Maclise war da, unser beider theurer und vertrauter Freund, dessen vor Kurzem gemaltes Portrait von Dickens in dem Zimmer hing; Dieses Portrait wurde Dickens von seinen Verlegern geschenkt, die es, zum Zwecke eines nach demselben anzufertigenden Kupferstichs zu »Nickleby«, hatten malen lassen. Der Kupferstich war jedoch mittelmäßig ausgeführt und in so kleinem Format, daß dem Original nicht die geringste Gerechtigkeit dadurch widerfuhr. Der Zuvorkommenheit seines gegenwärtigen Besitzers, des ehrwürdigen Sir Edwards Repps Joddrell, und der sorgsamen Kunst Robert Graves', Mitglieds der Königlichen Kunstakademie, verdanke ich das Portrait zu Anfang dieses Bandes, in welchem der Kopf zum erstenmal in würdiger Weise zur Darstellung gekommen ist. Von dem Originalbilde sagte Thackeray (und kein höheres Lob könnte demselben zu Theil werden). »Die Aehnlichkeit ist wahrhaft staunenerregend. Ein Spiegel könnte kein besseres Facsimile geben. Wir haben hier den wirklichen identischen Menschen Dickens, den innern sowohl als den äußern.« und Sir David Wilkie, der Maler des »Miethtermins«, war da und hielt eine Rede, die ebenso gut war als seine Bilder, von reicher Färbung und voll treffender Anspielungen über den Realismus von Dickens' Genie, und wie seit der Zeit, als Richardson seine Romane bändeweise veröffentlicht, nichts dieser heftweisen Veröffentlichung des Romans Aehnliches dagewesen, und wie die Leute in beiden Fällen von den Charakteren geredet, als seien sie unsre nächsten Nachbarn oder Freunde; und wie an den Verfasser »Nickleby's« ebenso viel Briefe geschrieben worden, die ihn anflehten, den armen Smike nicht sterben zu lassen, als die jungen Damen an den Verfasser der Clarissa gerichtet, »Lovelace's Seele zu retten«. Diese und Andre sind dahin. Von den Ueberlebenden steigen nur drei vor meiner Erinnerung auf: Macready, der seiner Empfindung von der Ehre, welche ihm durch die Zueignung erwiesen worden, in Worten Ausdruck gab, die ebenso vortrefflich waren als sein Vortrag, Edward Chapman und Thomas Beard.

 

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