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Dreizehntes Kapitel.

Devonshire Terrace und Broadstairs.
1840.

Es war ein vortrefflicher Ausspruch des ersten Lords Shaftesbury, daß, da jeder Mensch von irgend welcher Fähigkeit zwei Menschen in sich enthalte, einen weisen und einen thörichten, jedem derselben nach einander freier Spielraum gewährt werden solle; und es war eins der Geheimnisse des Zaubers von Dickens' Gesellschaft, daß er, in genauem Einklang mit diesem Ausspruch, jedem seiner Bestandtheile Spielraum gewähren konnte: es vermochte, dem was ernst in ihm war, völlige Ruhe und Erholung zu schenken und wenn die Zeit dazu kam seine Sprünge zu machen, sich ganz dem Genuß dieser Zeit hingeben und recht eigentlich der Genius und die Verkörperung einer seiner launenhaftesten Phantasieschöpfungen werden konnte.

Indem ich mich von dem Bericht über sein letztes schriftstellerisches Werk der Erinnerung an einige der Vorfälle des Jahres zuwende, während dessen er dasselbe schrieb, finde ich ihn beim Anfange desselben in einer jener humoristischen Stimmungen und einen andern Freund, nebst mir selbst, unter deren Einfluß gebannt. »Was in aller Welt bedeutet dies Alles,« schrieb mir der arme irre gemachte Landor, indem er mir einen am 11. Februar, den Tag nach der Königlichen Vermählung jenes Jahres, geschriebenen Brief von Dickens schickte. Dickens hatte unserm alten Freunde in diesem Briefe von einer wundersamen Hallucination erzählt, welche aus jenem Ereigniß hervorging und damals ganz von ihm Besitz genommen hatte. »Die Gesellschaft ist hier,« so lautete der Brief, »durch die Vermählung Ihrer Majestät aus den Fugen gegangen und ich bedaure hinzufügen zu müssen, daß ich mich hoffnungslos in die Königin verliebt habe und auf und nieder wandre mit dem unbestimmten unheilvollen Gedanken, eine Ehrendame, die durch eine Verschwörung zu diesem Zweck verstrickt werden soll, nach irgend einer unbewohnten Insel zu entführen. Können Sie eine in dieser Eigenschaft dienende junge Dame vorschlagen, die für mich passen würde? Es ist vielleicht zu viel, wenn ich Sie bitte, sich der Schaar edler Jünglinge (Forster ist dabei und Maclise) anzuschließen, die mir bei diesem großen Unternehmen helfen sollen, aber ein Mann von Ihrer Energie würde unschätzbar sein. Ich habe meine Augen aus Lady . . . gerichtet, hauptsächlich, weil sie sehr schön ist und keine starken Brüder hat. Hierüber, und über andere Punkte des Vorhabens, wollen wir uns jedoch ausführlicher berathen, wenn wir zusammenkommen und inzwischen verbrennen Sie dies Dokument, damit kein Verdacht entstehe und kein Gerücht ins Publikum komme.«

Die Ehrendame und die unbewohnte Insel waren Phantasieflüge, aber die andre kühne Täuschung wurde eine Zeit lang nicht bloß von ihm selbst, sondern (unter seinem Einfluß) auch von den zwei genannten Freunden in einem so grillenhaften Umfang befördert, daß sie die wildesten Formen humoristischer Ausgelassenheit annahm; und von den häufig gewechselten vertraulichen Mittheilungen, sowie von dem Styl der Unterhaltung, in dem unsere scherzhafte Hypothese verzweifelnder Untauglichkeit für jeden ferneren Nutzen oder Genuß des Lebens unermüdlich aufrechterhalten wurde, zum Staunen der Beistehenden, die nicht wußten, was es bedeutete und meinten, wir wären halb von Sinnen, erlaube ich mir, aus seinen Briefen noch eine Probe zu geben. »Ich bin völlig in Elend versunken,« schreibt er mir am 12. Februar, »und kann Nichts thun. Ich habe »Oliver«, »Pickwick« und »Nickleby« gelesen, um meine Gedanken für den neuen Aufschwung zu sammeln, aber alles umsonst:

Mein Herz ist in Windsor,
Mein Herz ist nicht hier;
Mein Herz ist in Windsor,
Schmachtend nach Ihr.

Ich sah die Verantwortlichkeiten heute Morgen und brach in Thränen aus. Die Gegenwart meiner Frau ist mir lästig. Mir ekelt vor meinen Eltern. Ich verabscheue mein Haus. Ich fange an, Gedanken zu haben an den Serpentine, Name des Sees im Hyde-Park. – D. Uebers. an den Regents-Kanal, an die Rasirmesser oben, an den Apotheker unten in der Straße, Gedanken, mich an Mrs. –'s Tisch zu vergiften, mich an dem Birnbaum im Garten aufzuhängen, mich der Nahrung zu enthalten und mich zu Tode zu hungern, mir wegen meiner Erkältung zur Ader zu lassen und den Verband abzureißen, unter die Füße der Droschkenpferde in New-Road zu fallen, Chapman und Hall zu ermorden und groß zu werden in der Geschichte (Sie muß dann etwas von mir hören – vielleicht das Todesurtheil unterzeichnen: oder ist das eine Fabel?), Chartist zu werden, einen blutigen Angriff auf das Schloß zu führen und Sie durch meine Hand zu retten – Alles zu sein, ausgenommen das, was ich gewesen bin, und Alles zu thun, ausgenommen das, was ich gethan habe. Dein wahnsinniger Freund C. D.« Die wilde Verwirrung von Sternchen jeder Gestalt und Art, womit diese unzusammenhängende Epistel schloß, kann hier nicht wiedergegeben werden.

Einige aus einer früheren Periode seines Lebens herrührenden Leiden machten sich, wie ich mich erinnere, im Frühling dieses Jahres bemerkbar und häufige Spazierritte wurden ihm dringend anempfohlen. »Ich finde, es wird absolut nothwendig sein, wenigstens fünf Tage in der Woche spazieren zu reiten,« schrieb er mir im März, und ich wünsche daher, daß kein Verzug in dem Ankauf eines Pferdes stattfindet.« Wir waren demnach, wenn er sich nicht am Meere aufhielt, viel zu Pferde, in den Gassen und Straßen der Vorstädte, und auch der geräumige Garten bei seinem neuen Hause wurde, sogar während der geschäftigsten Arbeitszeit, zu gesunden Uebungen benutzt. Dies war auch die Zeit, als der erste seiner Raben dort seinen Wohnort nahm, sowie der Anfang von Streitigkeiten mit zweien seiner Nachbarn, in Bezug auf das Rauchen des Stallschornsteins, Streitigkeiten, welche sein Stallknecht Topping, ein äußerst absurder kleiner Mensch mit flammendrothen Haaren, durch geheime Bemühungen seinerseits, die jeden Kläger abwechselnd versöhnen sollten und die Wirkung hatten, beide zu erzürnen, so verwickelte, daß ein Prozeß nur mit Mühe vermieden wurde. »Ich will Dir,« schreibt er, »meinen letzten Bericht über den Schornstein in Form einer Anrede Topping's geben, die er neulich Abends auf unserm Rückweg von dem kleinen Hall in Norwood an mich richtete, wo er und Chapman und ich den ganzen Tag umhergewandert waren, während Topping Kate, Mrs. Hall und deren Schwestern nach Dulwich fuhr. Man hatte Topping im Hause traktirt und er war gerade betrunken genug, um mittheilsam zu sein. ›Mit Verlaub, Sir, aber der Herr im anstoßenden Hause, Sir, scheint ganz beruhigt und vergnügt über den Schornstein‹ – ›Ich glaube das nicht, Topping.‹ – ›Ja, Sir, ich glaube es wirklich. Heute Morgen kommt er in den Hof hinaus und sagt, Kutscher, sagt er (stelle Dir das Bild eines großen fetten Mannes vor, das durch dies Wort heraufbeschworen wird), ist das Euer Rabe, sagt er, oder ist es Mr. Dickens' Rabe? sagt er. Meines Herrn Rabe, sage ich. Gut, sagt er, es ist ein schöner Vogel. Ich denke, es wird jetzt mit dem Schornstein so gehen, Kutscher – nun die Fuge von der Röhre abgenommen ist, sagt er. Ich hoffe es, Sir, sage ich; mein Herr ist ein Herr, der keinem Herrn Unannehmlichkeiten verursacht, wenn er es vermeiden kann, und meine Madame fürchtet sich so davor, ein Bischen Feuer zu haben, daß an den Sonntagen unser Bischen Kalbfleisch, oder was es sonst ist, immer besonders nach dem Bäcker geschickt wird. Der verfluchte Schornstein, Kutscher, sagt er, jetzt raucht er wieder. – Er raucht nicht nach Ihrer Seite hin, Sir, sage ich. Das ist wahr, Kutscher, sagt er, und so lange er nach irgend einer andern Seite raucht, ist Alles in Ordnung und bin ich's zufrieden.‹ Natürlich wird nun der Mann auf der andern Seite über mich herfallen und zwar höchst wahrscheinlich mit einem Proceß, in dem er sich beschwert, daß der Schornstein in sein Gewächshaus hineinraucht.«

Ein ernsterer Vorfall, der auch zu seinen frühesten Erfahrungen als Miethwohner in Devonshire Terrace gehörte, liefert einen zu schlagenden Beweis von der stets praktischen Richtung seiner Güte und Menschlichkeit, als daß wir ihn hier übergehen dürften. Er hat ihn selbst in einer seiner kleineren Schriften beschrieben, wo er sich über das einzige Gute, das seines Wissens je einem Gemeindepedell zu danken gewesen, ausließ. »Nachdem ich,« sagt er, »vor Kurzem in einem gewissen berühmten hauptstädtischen Kirchspiel ein Haus genommen hatte, das mir damals als eine Familienwohnung erschrecklich ersten Ranges vorkam, die furchtbare Verantwortlichkeiten mit sich brachte, wurde ich die Beute jenes großen Gemeindebeamten.« – In andern Worten: er wurde vorgeladen und mußte als Geschworener bei einer Todtenschau über die Leiche eines kleinen Kindes sitzen, das angeblich von seiner Mutter ermordet war; aber das Resultat war, daß durch seine ausdauernden Bemühungen und den humanen Beistand, welcher denselben seitens des Todtenbeschauers zu Theil wurde, sein Ausspruch und der seiner Mitgeschworenen sie nur der Verheimlichung der Geburt anklagte. »Das arme trostlose Geschöpf fiel unter Betheuerungen, daß wir Recht hätten, vor uns auf die Kniee (die rührendsten Betheuerungen, die ich je in meinem Leben gehört habe) und wurde besinnungslos hinausgetragen. Ich veranlaßte es, daß man sich ihrer im Gefängniß besonders annahm und beauftragte einen Advokaten mit ihrer Vertheidigung, als sie in Old Bailey vor das Gericht kam; und ihre Bestrafung war milde und ihre Geschichte und ihr Betragen bewiesen, daß ich Recht hatte.« Wie tief er diesen Vorfall zu der Zeit, als er wirklich stattfand, fühlte, kann man aus einigen Zeilen sehen, die er mir am folgenden Morgen schrieb. »War es das arme Kind, oder seine arme Mutter, oder der Sarg, oder meine Mitgeschworenen, oder was sonst, ich weiß es nicht; aber ich hatte gestern Abend einen heftigen Anfall von Uebelkeit und Unverdaulichkeit, der mich nicht bloß am Schlafen, sondern auch am Liegen verhinderte. Kate und ich saßen daher die öden Stunden hindurch aus.«

Inzwischen war der Tag des ersten Erscheinens von »Master Humphrey« (Sonnabend, 4. April) herangekommen und in Gemäßheit mit der bei seinen beiden andern großen Unternehmungen beobachteten Regel verließ er mit seiner Frau London am Freitage, 3. April. Den Abend vorher hatten wir mit Maclise in Richmond zugebracht und am folgenden Tage reiste ich ihm nach Birmingham nach, mit der Kunde vom Verkauf sämmtlicher 60,000 Exemplare, auf welche die erste Auflage beschränkt gewesen war und von bereits eingegangenen Bestellungen für 10,000 mehr! Die Aufregung des Erfolges verlängerte unsern Ausflug etwas und nachdem wir Shakespeare's Haus in Stratford und Johnson's Haus in Lichfield besucht hatten, geriethen wir auf der Rückreise mit unsern Geldmitteln so ins Gedränge, daß wir in Birmingham Dickens' jüngeren Bruder Alfred, der sich uns von Tamworth aus, wo er das Ingenieurfach studirte, angeschlossen hatte, in's Leihhaus schicken und unsre goldnen Uhren versetzen mußten.

Zu Ende des folgenden Monats ging Dickens nach Broadstairs, und einige Tage vorher (20. Mai) eröffnete ein in Bentley's Auftrage geschriebener Brief Mr. Jordan's die schon früher berührten Unterhandlungen, welche den Contract für »Barnaby Rudge« an Chapman und Hall übertrugen. Ich war selbst abwesend als er fortging und in einem seine Abreise meldenden Briefe hatte er geschrieben: »Ich weiß nicht die mindeste Neuigkeit aus London, aber nächste Woche wird sich viel zutragen, denn ich gehe fort und hoffe, Du wirst mir darüber Bericht erstatten. Ich weiß nicht, ob es ein Mord, eine Feuersbrunst, ein großer Diebstahl, oder das Entrinnen Gould's sein wird, aber daß es etwas Merkwürdiges sein wird, ist unzweifelhaft. Ich tadle mich beinahe für den Tod des armen Mädchens, das von der Feuersäule hinuntersprang, als ich voriges Jahr die Stadt verließ. Sie würde es nicht gethan haben, wäre ich geblieben und ebensowenig würden die beiden Männer das Skelett in der Kloake gefunden haben.« Seine Prophezeiung war ganz richtig, denn nicht viele Tage nachher mußte ich ihm von dem Kellner erzählen, der auf die Königin geschossen hatte. »Es ist sehr schade,« antwortete er mit Recht, »daß man diesen Jungen, Master Oxford, nicht ersticken und die Sache mit Stillschweigen übergehen konnte. Das ruhige Liegen zwischen zwei Federbetten würde seinen heroischen Reden Einhalt gethan und den Klang seines Ruhmes bedeutend abgestumpft haben. Wie die Dinge sind, wird sie vor manchen Narren und Verrückten Spießruthen laufen müssen, von denen einige vielleicht bessere Schützen sind und andere bessere Feuerwaffen gebrauchen.« Wie viel hiervon sich wirklich ereignete, ist dem Leser bekannt.

Aus den während seines damaligen Aufenthaltes in Broadstairs geschriebenen Briefen ist wenig über den Fortschritt seines Romans hinzuzufügen; aber ein Paar Zeilen will ich noch anführen, wegen des charakteristischen Ausdruckes, den sie einer unveränderlichen Gewohnheit von ihm geben, wenn er eine neue Wohnung bezog, einerlei, ob er Tage oder Jahre darin wohnte. Eines Montag Abends kam er an und am Dienstag (2. Juni) schrieb er mir: »Ehe ich gestern Abend einen Bissen oder Tropfen kostete, richtete ich meinen Schreibtisch mit ausnehmendem Geschmack und Zierlichkeit ein und verbesserte die Anordnung der Möbeln im Allgemeinen.« Er blieb bis Ende Juni, zu welcher Zeit Maclise und ich uns ihm anschlossen, um das Vergnügen zu haben, mit ihm und seiner Frau über sein geliebtes Chatham, Rochester und Cobham zurückzufahren, wo wir zwei angenehme Tage mit dem Wiederbesuchen wohlerinnerter Orte zubrachten. Ich hatte inzwischen den Vertrag für den Rückkauf » Oliver's« und die Uebergabe » Barnaby's« unter Bedingungen zum Abschluß gebracht, die in einem am 2. Juli, dem Tage nach unserer Rückkehr, von ihm an Chapman und Hall gerichteten Briefe genau angegeben sind.

»Die Bedingungen, unter welchen Sie mir heute das Geld für den Ankauf des Verlagsrechts und des Vorraths von » Oliver« vorstrecken, sind unserm gegenseitigen Einverständniß gemäß die folgenden. Daß diese 2250 Pfd. St. abgezogen werden von dem Ankaufsgeld eines meiner Werke, betitelt » Barnaby Rudge«, von welchem jetzt zwei Kapitel in Ihren Händen sind und das innerhalb einer zwischen uns zu verabredenden Zeit vollendet werden soll. Sollte es jedoch innerhalb fünf Jahren nicht geschrieben sein, (was Gott verhüte!) so erhalten Sie einen Anspruch zu diesem Betrage auf mein jetzt in Ihren Händen befindliches Eigenthum, nämlich auf meinen Antheil an dem Vorrath und dem Verlagsrecht der »Skizzen von Boz«, der »Pickwickier«, »Nicholas Nickleby's«, »Oliver Twist's« und »Master Humphrey's Wanduhr«, wobei jedoch der Antheil an dem laufenden Ertrag des letztgenannten Werkes ausgeschlossen bleibt, den es mir freistehen soll zu den in unserm Contract festgesetzten Zeiten einzufordern. Ihr Ankauf von »Barnaby Rudge« geschieht unter den folgenden Bedingungen. Das Werk soll von hinreichendem Inhalt für zehn Monatshefte von dem Umfang »Pickwick's« und »Nickleby's« sein; es soll Ihnen jedoch, wenn Sie wollen, freistehen, dieselben zu theilen und in fünfzehn kleineren Heften zu veröffentlichen. Die Bedingungen für den Ankauf dieser Ausgabe in Heften und für das Verlagsrecht des ganzen Buches auf sechs Monate nach dem Erscheinen des letzten Heftes sind 3000 Pfd. St. Nach dem Ablauf der sechs Monate fällt das ganze Verlagsrecht an mich zurück.« Die Folge war, wie alle Welt weiß, daß »Barnaby« der Nachfolger der kleinen Nell wurde. Das Geld wurde aus dem Ertrage der » Wanduhr« zurückgezahlt. Aber ich muß auch die edlere Folge erwähnen, welche meine eigene kleine Dienstleistung hatte, indem ich, nicht viele Tage nachher, einen antiken mit Silber eingefaßten Weinkrug von großer Schönheit der Form und der Arbeit von ihm empfing, der aber einen weit über die Ciselirungen des Juweliers und die Zeichnung des Künstlers hinausgehenden Werth besaß in den ihn begleitenden geschriebenen Worten. »Empfange von mir (8. Juli 1840) als ein kleines Zeichen des Andenkens Deines treuen Gefährten das arme Geschenk, welches diese Zeilen begleitet. Mein Herz ist nicht beredt über die Dinge, die es am tiefsten bewegen, aber denke, daß dieser Weinkrug die Urne ist, in der es ruht, und glaube, daß sein wärmstes und wahrstes Blut Dir gehört. Dies war der Gegenstand meines fruchtlosen Suchens und Deiner Neugier am Freitage. Zuerst wußte ich kaum, was für eine Kleinigkeit (Du wirst sie, ich weiß es, werth halten um des Gebers willen) ich Dir schicken sollte, aber ich dachte, es würde erfreulich sein, sie mit unsern heitern Augenblicken zu verknüpfen und sie dem Weine, den wir zusammen daraus trinken werden, einen Duft verleihen zu lassen, den der auserlesenste Wein ihm nie verleihen könnte. Nimm denn diesen Krug aus meiner Hand – gefüllt bis zum Rande und überfließend von Wahrheit und Ernst. Ich habe eben noch einen Scheideblick darauf geworfen und er scheint mir das eleganteste Ding in der Welt, denn ich verliere das Gebilde aus den Augen in dem Gedränge froher Gedanken, die es umwinden und bekränzen.« Ich nahm dieselben an nicht als Denkzeichen der geleisteten Dienste, die sie viel mehr als bezahlt haben würden, sondern als Denkzeichen der Freude über seine eigene Befreiung von dem letzten der Contracte, welche den Anfang seiner Laufbahn gehemmt hatten, und der besseren Zukunft, welche jetzt vor ihm lag.

Zu Anfang August war er mit seiner Frau einige Tage in Devonshire, bei seinem Vater, aber er mußte seine Arbeit mitnehmen und hatte, wie er mir schrieb, nur einen wirklichen Feiertag, an dem sie Dawlish, Teignmouth, Babbikombe und Torcquay einen Besuch abstatteten und Abends nach Exeter zurückkehrten. Zu Anfang September war er wieder in Broadstairs.

»Ich wollte gerade an die Arbeit gehen,« schrieb er am neunten, »als ich diesen Brief erhielt, und die Geschichte des Mannes, der zu Chapman und Hall ging, schlug mich vollständig zu Boden. Ich schrieb bis jetzt (Dreiviertel auf Eins) gegen meine Neigung und habe es schließlich für einen Tag aufgegeben. Wahrhaftig, es ist unerträglich. Ich habe meine Zähne den ganzen Morgen gefletscht. Ich glaube, ich könnte in zwei Linien mit Anstand etwas über den Bericht im Allgemeinen sagen. Ich will sie zu dem Correcturbogen hinzufügen« (die Vorrede zu dem ersten Bande der Wanduhr wurde damals vorbereitet), »gebe Dir aber Vollmacht, sie auszustreichen, wenn Du anders darüber denkst, als ich und Chapman und Hall, die in solchen Dingen für Richter gelten dürfen.« Er bezieht sich hier auf ein damals ziemlich weit verbreitetes Gerücht, das von verschiedenen Seiten seinen Verlegern zu Ohren gekommen war, daß er nämlich den Verstand verloren habe und sich in einem Irrenhause befinde. Er war schon einmal der Gegenstand ähnlicher Gerüchte gewesen bei Gelegenheit des schmerzlichen Todesfalls in seiner Familie, der ihn gezwungen hatte, die Veröffentlichung »Pickwick's« auf zwei Monate einzustellen. Damals bemerkte er in einer kurzen Ansprache, als er die Arbeit wieder aufnahm (30. Juni 1837). Von einer Klasse intimer Bekannten, besonders der wohlunterrichteten, sei er geradezu für todt erklärt worden, von einer andern für verrückt, von einer dritten ins Schuldgefängniß geworfen, von einer vierten per Dampfboot nach den Vereinigten Staaten befördert, von einer fünften als auf immer jeder geistigen Anstrengung unfähig, kurz, Alle hätten ihn dargestellt als mit etwas ganz Anderm beschäftigt als damit, daß er in der Zurückgezogenheit einiger Wochen die Wiederherstellung der Heiterkeit und des Friedens gesucht, deren ein schmerzlicher Verlust ihn zeitweilig beraubt habe. Ich hatte ihm die Erwähnung dieses Gerüchts als eine Absurdität, die bald verhallen mußte, vorenthalten wollen; aber gegen meinen Wunsch war es ihm mitgetheilt worden und ich hatte Mühe, seinen ausnehmenden und sehr natürlichen Zorn in den gehörigen Schranken zu halten.

Einige Tage später (15.) schrieb er: »Zu meiner nicht geringen Ueberraschung habe ich seit Kurzem Anfragen von katholischen Geistlichen empfangen, die mich (etwas hirtenmäßig und mit einer Art ernster Autorität) um Beistand, literarische Beschäftigung und so fort ersuchten. Endlich fiel es mir ein, daß ich von irgend einer Seite als der katholischen Kirche angehörig hätte dargestellt sein müssen. Würdest Du es glauben, daß Lamert in einem aus Cork an meine Mutter gerichteten Briefe, den ich gestern Abend sah, sagt: ›was wollen die Zeitungen damit sagen, daß Charles verrückt ist und daß er katholisch geworden ist?‹« Von den Bettelbriefschreibern, auf die er hier hindeutet, hätte ich schon früher etwas sagen sollen. In einem seiner kleineren Essays hat er ohne die geringste Uebertreibung geschildert, in welchem Umfange er von dieser Schwindlerklasse heimgesucht und welch' außerordentliche Kunstgriffe gegen ihn angewandt wurden; aber er hat nicht gestanden, was er hätte gestehen können, daß er für viele dieser Leiden selbst verantwortlich war, weil er, wie er zuerst that, fast Jedem, der sich an ihn wandte, so reichlich gab. Was ihn in dieser Beziehung endlich zu Verstande brachte, war, glaube ich, die Forderung eines Abenteurers, der alle andern Auskunftsmittel erschöpft hatte, und schließlich, nachdem er sich als zu der Lage eines armen Hausirers herabgesunken dargestellt, den Wunsch aussprach, man möge ihm für den folgenden Tag einen Esel heraussetzen, den er pünktlich abholen werde. Ich erinnere mich dieses Umstandes genau und fürchte sehr, daß der Applicant der oben erwähnte Daniel Tobin war. Vergl. S. 57–58.

Er schrieb mir um diese Zeit noch viele andre Briefe von Broadstairs, voll von heiterm launenhaftem Geschwätz und humoristischen Schilderungen, besonders in Beziehung auf einen excentrischen Freund, der sich bei ihm aufhielt und den er in einer seiner Schriften als Mr. Kindheart darstellte, aber dies alles ist zu privater Natur, um hier mitgetheilt zu werden. Er kehrte Mitte October zurück und wir nahmen dann unsere fast täglichen Spazierritte, Zusammenkünfte mit Maclise in Hampstead und den geselligen Verkehr mit Macready, Talfourd, Procter, Stanfield, Fonblanque, Elliotson, Tennent, D'Orsay, Harneß, Wilkie, Edwin Landseer, Rogers, Sydney Smith und Bulwer wieder auf. Für das Genie des Verfassers von »Pelham« und »Eugen Aram« hegte er früh und spät die höchste Bewunderung und während dieses Jahres nahm er Veranlassung, derselben in einer neuen Vorrede zu »Oliver Twist« Ausdruck zu geben. Andere vertraute Freundschaften wurden in spätern Jahren angeknüpft; aber so abgeneigt er war, den Einladungen zu Tische zu folgen, die ihn von allen Seiten erreichten, so willkommen waren ihm immer alle solche Zusammenkünfte mit den von mir genannten Personen und ganz besonders das freundschaftliche Entgegenkommen von Miß Coutts, das mit dem Anfang seiner Laufbahn begann.

Von dem Vergnügen, welches seine Gesellschaft gewährte, wird es passender sein, später zu reden. Er besaß in dieser Beziehung im höchsten Grade die Eigenschaft, welche fast alle originellen Menschen auszeichnet. Sein Platz konnte durch keinen andern ausgefüllt werden. Dem unbedeutendsten Gespräch verlieh er die Anziehungskraft seines eigenen Charakters. Es mochte nur eine kleine Sache sein – etwas, das er während des Tages gelesen oder beobachtet hatte, ein sonderbarer Einfall aus einem Buche, ein lebendiges kleines Bild von draußen, die lachende Bloßstellung einer Betrügerei, oder ein Ausbruch bloß scherzhafter Heiterkeit, immer war es in seiner Art etwas Einziges, weil es ein ächter Theil seiner selbst war. Dies und seine unermüdliche Lebenslust machten ihn zu dem angenehmsten Gesellschafter; kein Anspruch auf gute Kameradschaft blieb bei ihm je unberücksichtigt und Niemand erinnerte seine Freunde so beständig an Johnsons Beschreibung Garrick's, als des lebensfrohesten Mannes seiner Zeit.

Von den literarischen Arbeiten, die ihn in den Herbst- und Wintermonaten des Jahres beschäftigten, habe ich schon gesprochen und abgesehen von dem, was über seine Arbeit an den Schlußkapiteln des »Raritätenladens« gesagt wurde, erfordert weiter nichts besondere Erwähnung; außer daß er während seiner städtischen Wanderungen im November, angeregt durch Proben, die er jüngst auf seinen ländlichen Wanderungen zwischen Broadstairs und Ramsgate entdeckt hatte, die Balladenliteratur von Seven-Dials vollständig durchforschte und mit einem Effect, der den Ruhm seines komischen Singens in seiner Kindheit rechtfertigte, selbst nicht wenige dieser wunderbaren Produkte zu singen anfing. Sein letztes erfolgreiches Werk dieses Jahres war die Aussöhnung zweier Freunde; und ebensowohl seinen Beweggrund, als das Princip, welches ihn dabei leitete, halte ich, in der Form, wie sie von ihm selbst dargestellt wurden, der Aufbewahrung würdig. Ueber den ersteren sagte er: »Bei dem Tode dieses Kindes wurde ich, über den etwas von der Bitterkeit des Todes (und wohl nicht leicht) dahingezogen ist, an viele alte Freundlichkeiten erinnert und trauerte in meinem Herzen, daß Menschen, die sich wirklich liebten, ihr Leben in solcher Nähe vergeudeten.« Ueber das letztere: »Ich habe es mir in meinem Urtheil über die Menschen zur Regel gemacht, genau zu beobachten, ob einige (über die man geneigt ist, übel zu denken) nicht alle ihre Fehler auf der Oberfläche tragen; und andre (über die man geneigt ist, gut zu denken) weit mehr darunter haben. Ich bin schon längst zu der Ueberzeugung gelangt, daß unser Freund zu der ersten Klasse gehört und wenn ich alle Schwächen eines Menschen ohne große Mühe kennen lerne, so fange ich an zu denken, daß er der Zuneigung würdig ist.« Sein letzter vom nächsten Tage datirter Brief aus diesem Jahre schloß mit der Hoffnung, daß wir, er und ich, noch »wenigstens fünfzig Weihnachten in dieser Welt zusammen verleben möchten und ewige Sommer in einer andern.« Ach!

 

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