Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebzehntes Kapitel.

Wieder in Broadstairs.
1841.

Bald nach seiner Rückkehr, zu Anfang August, ging er nach Broadstairs und während seiner dortigen Ferienmuße wendeten sich seine Gedanken zuerst nach der Richtung, in der sie, jener Frage am Ende seines letzten Briefes zufolge, damals vorzugsweise beschäftigt waren. Er schickte mir mehrere Satyren in Versen, als seine anonymen Beiträge zu dem Kampfe, den die Liberalen in jener Zeit gegen die Politik führten, welche durch die Rückkehr der Tories ins Amt bevorzustehen schien; denn wir wußten noch nicht, wie viel weiser als seine Partei der Staatsmann war, der damals an ihrer Spitze stand und wie entschieden eben das, was wir Alle am meisten wünschten, durch den Erfolg befördert werden sollte, der so entmuthigend gewesen war. Diese Bemerkungen beziehen sich auf den Kampf um die Kornzölle, deren Abschaffung die Whigs begünstigten, während die Tories für ihre Erhaltung stritten. Im Mai 1841 erlitt das liberale Ministerium Melbourne-Russell in dieser Sache eine Niederlage, blieb aber nichtsdestoweniger im Amte. Im Juni beantragte Sir Robert Peel, der Führer der Tories, ein Mißtrauensvotum gegen die Regierung, das mit der im vorigen Kapitel erwähnten berühmten »melancholischen« Majorität von einer Stimme angenommen wurde. Hierauf löste die Regierung das Parlament auf und verordnete (Juli 1841) allgemeine Neuwahlen, ging jedoch mit einer Minorität aus denselben hervor und mußte (Ende August) den Tories weichen. Sir Robert Peel wurde nun mit der Bildung eines neuen, zur Erhaltung der Kornzölle und des Protektivsystems verpflichteten Ministeriums beauftragt. Bekanntlich war es aber gerade er, der fünf Jahre später der hergebrachten Politik seiner Partei entsagte und die Kornzölle abschaffte. – D. Uebers. Es kann jetzt keinen Schaden thun, wenn wir eins dieser Gedichte mittheilen. Dasselbe giebt eine gute Vorstellung von dem Tone aller andern und von dem aufrichtigen Behagen, womit sie geschrieben wurden. Ich zweifle in der That, ob ihm je etwas größere Freude machte als die Fähigkeit, gelegentlich so, ohne Wissen der Außenstehenden, an dem scharfen Kampfe theilzunehmen, in dem die Presse damals begriffen war. »Beim Himmel, wie ich radikal werde!« schrieb er mir am 13. August. »Ich werde von Tag zu Tag fester in den wahren Grundsätzen. Ich weiß nicht, ob das Meer es thut oder nicht, aber es ist so.« Gelegentlich, in Augenblicken plötzlichen Unwillens über die politischen Aussichten, redete er sogar davon, daß er sich und seine Hausgötter, wie Coriolan, in eine andere Welt flüchten wolle! »Gott sei Dank, es gibt ein Van Diemensland. Das ist mein Trost. Ich möchte wissen, ob ich einen guten Ansiedler abgeben würde. Ich möchte wissen, ob ich, wenn ich mit meinem Kopf, meinen Händen und Beinen und meiner Gesundheit in eine neue Colonie ginge, mich oben auf den gesellschaftlichen Milchtopf hinaufarbeiten und von der Sahne leben würde! Was meinst Du? Auf mein Wort; ich glaube, ich würde es.«

Seine politischen Satyren aus der Zeit des Tory-Interregnums enthielten einige vortreffliche Gegenstände für Bilder nach der Art Peter Pindars, Peter Pindar war der Autorname John Wolcot's, eines bekannten englischen Satyrikers des vorigen Jahrhunderts (1738–1819), dessen Satyren besonders durch ihren stark persönlichen Charakter Aufsehen erregten. – D. Uebers. aber das hier mitgetheilte Gedicht enthält keinen Zug persönlicher Satyre und ans diesem Grunde würde er selbst den geringsten Einwand gegen seine Wiederholung erhoben haben. Folgendes war seine Version von dem Liede: »Der schöne altenglische Gentleman, was bei allen conservativen Festessen gesungen werden soll.«

Ein neues Lied nun sing' ich euch, ein Lied, dem keines gleich,
Von den Zeiten jenes alten Herrn, mit jenem Gute reich,
Als des Volkes Geld verschwendet ward, in frohem Saus und Braus,
An Maitressen, Kuppler und Lumpen, in jedes Edlen Haus,
              In der schönen altenglischen Toryzeit,
              O käme sie bald zurück!

Die guten alten Gesetze, wie waren sie so schön
Mit Galgen, Ketten und schönen altenglischen Strafen verseh'n,
Mit Rebellenköpfen und Meeren von rothem Rebellenblut;
Denn alles dies war nöthig, zu wahren in treuer Hut
              Die schöne altenglische Toryzeit,
              O käme sie bald zurück!

Das gute alte Gesetzbuch sah argusäugig umher,
Und jeder englische Bauer hatt' einen englischen Späh'r,
Zu reizen den hungernden Unmuth mit altenglischen Lügen frei
Und dann die Miliz zu rufen, zu strafen sein mürrisch Geschrei –
              In der schönen altenglischen Toryzeit,
              O käme sie bald zurück!

Die Zeit, da man abschnitt die Kehlen, die schrien in ihrer Noth,
Die Zeit, da man hetzte, die glaubten an ihrer Väter Gott,
Die schöne Zeit, da William Pitt (so nahm man gläubig an),
Direct aus dem Paradies erschien, schneller als mit Eisenbahn –
              O die schöne altenglische Toryzeit,
              Wann wird sie kommen zurück?

Nur selten in jener seltnen Zeit die Presse knurrt' und bellt',
Sie sang von den Mächtigen so süß wie Lerchen auf dem Feld,
Auch ernste Richter sahen der Mächt'gen Frevel nicht,
Von Hunderten kaum Einer konnt' scheinen lassen sein Licht.
              O die schöne altenglische Toryzeit,
              O käme sie bald zurück!

Doch Duldung, ob sie langsam fliegt, ist dennoch starkbeschwingt,
Und klar ward's, daß auf jene Zeit die Nacht herniedersinkt;
Der reine alte Geist sich sträubt, doch fruchtlos war sein Kampf,
Des Volkes Kraft hat ihn gepackt, er starb im Todeskrampf,
              Mit der schönen altenglischen Toryzeit,
              Mit der ganzen alten Zeit!

Jetzt graut noch einmal der alte Tag, der Ruf geht hin durchs Land:
In England geb' es – theures Brod! in Irland – Schwert und Brand!
Und Armuth und Unwissenheit stärk' die Reichen und Großen im Land,
So sammelt euch denn um die Herrscher mit der weichen Eisenhand,
              Aus der schönen altenglischen Toryzeit,
              Heil, Heil! der kommenden Zeit!

Von Dingen, für die er sich ganz besonders interessirte, ehe er London verließ, mag es angemessen sein, zwei oder drei hier zu erwähnen. Er hatte immer für Dr. Elliotson's mesmerische Untersuchungen eine starke Sympathie empfunden und da diese Untersuchungen während des laufenden Jahres eine neue Stütze erhielten durch die Kundgebungen eines jungen Belgiers, den Chauncey Hare Townshend, einer von Dickens' Freunden, nach England gebracht hatte, so forschte er diesem Gegenstande, der bis zuletzt eine Anziehung auf ihn ausübte, mit beträchtlichem Eifer weiter nach. Eine andre Frage, die ihn eifrig beschäftigte, waren die während der letzten Jahre in den Londoner Gefängnissen eingeführten Verbesserungen und er nahm oft Veranlassung, zu erwähnen, was sogar seit der Zeit als seine »Skizzen« geschrieben wurden, in dieser Hinsicht von zweien der thätigsten Beamten in den Gefängnissen von Clerkenwell und Tothill-fields, Mr. Chesterton und Lieutenant Tracey, gethan worden war, die der Gang dieser Untersuchungen zu seinen Freunden machte. Sein letzter Brief an mich, ehe er London verließ, erklärt sich selbst hinreichend. ›Langsam bricht der durch Armuth gedrückte Werth sich Bahn‹, war ein Gedanke, der ihm durch alle Phasen seiner Laufbahn gegenwärtig blieb und er vergaß keinen Augenblick die ihm dadurch auferlegten Pflichten. »Ich habe auf einige Exemplare dieses kleinen Buchs subscribirt (31. Juli). Ich wußte von dem Verfasser nichts, aber er schrieb mir vor einigen Wochen einen sehr bescheidenen Brief von zwei Reihen. Die kleine Biographie am Anfang hat mich tief gerührt, und ich dachte, Du würdest die dadurch hervorgerufene Bewegung theilen mögen. Ich wollte, wir wären Alle wieder in Eden – um dieser sich mühenden Geschöpfe willen.«

Mitte August meldete er mir, daß er zu einem besonderen Zweck nach London kommen werde. »Ich setze mich zum Schreiben, ohne daß ich die geringste Neuigkeit mitzutheilen habe. Ja, doch, ich habe eine – die Dich, der Du in dem dunkeln und trübseligen Lincoln's-inn-fields eingepfercht bist, überraschen wird. Es ist der heiterste Tag, den es je gab. Die Sonne wirft ein so blendendes Licht auf das Wasser, daß ich es kaum aushalten kann, hinzusehen. Es ist Fluthzeit und die Fischerboote tanzen wie toll umher. Auf den grünen Klippenhöhen ist das Korn gemäht und in Garben aufgestellt und tausende von Schmetterlingen tanzen umher, halten die hellen kleinen rothen Flaggen oben in den Masten für Blumen und athmen demnach vor Freude hoch auf. [Hier bricht der Unnachahmliche, unfähig, dem Glanze draußen zu widerstehen, ab, eilt nach den Badekarren und stürzt sich in die See. Nach seiner Rückkehr fährt er fort:] Jeffrey befindet sich gerade so wie damals, als er den Brief schrieb, den ich Dir geschickt habe, nicht besser und nicht schlechter. Am Sonnabend hatte ich einen Brief von Napier, der mir die Frage der Kinder-Arbeit ans Herz legt. Da ich aber höre, daß der officielle Bericht darüber erst im Druck erscheinen kann, nachdem das neue Parlament mindestens sechs Wochen gesessen hat, wird es unmöglich sein, ihn vor dem Januarheft zu besprechen. Ich werde Sonnabend Morgen in London sein und geradeswegs zu Dir kommen. Der kleine Hall hat mir geschrieben und mich gebeten, wenn ich nach London komme, dort zu diniren, da sie wegen des neuen Romans mit mir zu sprechen wünschen. Ich habe geantwortet, daß ich es am Sonnabend thun will und wir wollen zusammen hingehen, aber ich werde kein guter Gesellschafter sein. . . . Ich habe beinahe Lust, selbst einen Verlagshandel anzulegen. Ich könnte es – und zwar, wie Du weißt, mit gutem Kapital, in Bereitschaft, dasselbe auszugeben. G. Varden, hüte Dich!«

Es waren aus der » Wanduhr« kleine, bei dem Verhältniß, worin er zu dem Unternehmen stand, unvermeidliche Unannehmlichkeiten entstanden. Die Sache mußte aufgegeben werden, weil ohne jene Hülfe von Anderen, die, wie die Erfahrung gelehrt hatte, unthunlich war, die Anstrengung für ihn zu groß war; aber meiner Ansicht nach war er der Schwierigkeit nicht weise begegnet, indem er, wie bereits geschehen, es unternommen hatte, schon im folgenden März einen neuen Roman anzufangen. Bei seiner Ankunft verabredeten wir daher einen andern Plan, mit dem bewaffnet wir an jenem Sonnabend Nachmittag zu seinen Verlegern gingen und dessen Erfolg am besten von ihm selbst erzählt werden wird. Er war am nächsten Morgen nach Broadstairs zurückgekehrt und schrieb mir am Tage darauf (Montag, 23. August) in höchst begeisterten Ausdrücken über den Antheil, den ich an dem gehabt, was er »die Entwickelung vom Sonnabend Nachmittag nennt, bei welcher Gelegenheit Chapman mir sehr männlich und verständig, Hall moralisch und physisch schwach, obschon von den besten Absichten erfüllt und sowohl die Darlegung als die Aufnahme des Plans als ein großer Triumph erschien. War das nicht auch Deine Ansicht?« Zwei Wochen später, am Dienstag, 7. September, wurde der Contract in meiner Wohnung unterzeichnet und seine Hauptbestimmungen waren die folgenden. Die » Wanduhr« sollte mit dem Abschluß von »Barnaby Rudge« aufhören, während die respektiven Eigenthumsrechte daran wie früher fortdauerten; und das neue Werk, in zwanzig Heften wie die von »Pickwick« und »Nickleby«, sollte erst nach einem Zwischenraum von zwölf Monaten, im November 1842, beginnen. Während der Veröffentlichung desselben sollte Dickens monatlich 200 Pfd. St. erhalten, die als ein Theil der Kosten berechnet werden sollten, für welche, sowie für das ganze damit zusammenhängende Risiko, die Verleger sich unter denselben Bedingungen verantwortlich erklärten, wie in dem Contracte über die Wanduhr, außer daß sie von dem Ertrage jedes Heftes nur ein Viertel haben sollten, während ihm drei Viertel zufielen; und dieser Vergleich sollte in Kraft bestehen bis zu dem Ablauf von sechs Monaten nach der Vollendung des ganzen Buchs, worauf, nachdem sie ihm ein Viertel von dem Werthe des ganzen vorhandenen Vorraths gezahlt hätten, die Hälfte des künftigen Ertrages ihnen zufallen sollte. Während des Zwischenraums von zwölf Monaten vor dem Anfang des Buchs sollten ihm 150 Pfd. St. monatlich ausgezahlt werden; dies sollte jedoch von seinen Dreivierteln des Ertrages abgezogen werden und die monatliche Zahlung von 200 Pfd. St. während der Veröffentlichung des Buches in keiner Weise beeinflussen. »M. war gestern ganz außer sich über den glänzenden Contract mit Chapman und Hall, was vielleicht bemerkenswerth ist.« Das war der ›Plan‹, mit alleiniger Ausnahme einer später zu erwähnenden Clausel, hinsichtlich des unwahrscheinlichen Falles, daß der Ertrag für die Rückzahlung nicht ausreichen sollte, und die einzige Verminderung meiner Befriedigung über meinen eignen Antheil daran entsprang aus meiner Furcht in Bezug auf den Gebrauch, den Dickens wahrscheinlich von der ihm gewährten Muße machen werde.

Daß diese Furcht nicht ungegründet war, erhellte aus dem Schluß des nächsten Briefes, den ich von ihm empfing. »Nichts Neues,« schrieb er am 13. September, »seit meinem letzten Briefe. Wir werden heute mit Rogers speisen und mit Lady Essex, die auch hier ist. Rogers ist sehr zufrieden mit Lord Ashley, dem von Peel ein Posten in der Regierung angeboten wurde, der sich aber entschieden weigerte, ein Amt zu übernehmen, wenn Peel sich nicht zu Reformen in dem Faktoreisystem verpflichtete. Peel ›war darüber noch zu keinem Entschlusse gelangt‹ und Lord Ashley blieb taub gegen alle andern Vorstellungen, obgleich sie sehr lockend gewesen sein müssen. Ich ehre ihn dafür sehr. Ich befinde mich in einem köstlichen Zustande des Müßigganges, bade, gehe spazieren, lese, liege in der Sonne, kurz, thue Alles außer arbeiten. Diese Stimmung ist mit herbeigeführt durch die Aussicht auf Ruhe und die vielversprechenden Anordnungen, die ich Dir verdanke. Visionen von Amerika spuken noch bei mir, Nacht und Tag. Es würde traurig sein, sollte diese Gelegenheit unbenutzt vorübergehen. Kate geberdet sich aufs trübseligste, wenn ich die Sache erwähne. Aber mit Gottes Hülfe muß es irgendwie eingerichtet werden!«

 

*

 


 << zurück weiter >>