Theodor Fontane
Vor dem Sturm
Theodor Fontane

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Sechsundzwanzigstes Kapitel
Zwei Begräbnisse

Um neun Uhr früh hatte Ladalinski seine Reise nach Bjalanowo hin fortsetzen wollen, und nachdem er sich, als diese Stunde da war, im Hause verabschiedet hatte, stieg er jetzt die winterlich kahle Nußbaumallee hinauf, um den vor dem Altar stehenden Sarg abzuholen. Mit ihm waren nur Berndt und Lewin. Neben ihnen her schwankte ein in Federn hängender Chaisewagen, während ein nur mit einem einzigen Pferde bespannter Planschlitten um zehn oder zwanzig Schritt' vorauffuhr. Es war derselbe, der schon die Fahrt nach »Bastion Brandenburg« mitgemacht und von Bamme vorahnend den Namen »Sargschlitten« empfangen hatte. Pachaly saß wieder auf dem Deichselbrett, alles wie drei Tage vorher, nur daß sich auf dem hohen Kummet des Pferdes, in einem alten Stahlbügel aufgehängt, ein einziges Schlittenglöckchen hin und her bewegte.

Nun war man oben; die Planschleife fuhr unmittelbar bis an die Stufen des Portals, während der Chaisewagen in einiger Entfernung halten blieb. Die Kirche stand auf; Pachaly trat mit ein, und einen Augenblick später erschien auch der Ladalinskische Diener. So schritten sie den Mittelgang hinauf bis an den Altar; Berndt erkannte das Kruzifix und wußte wohl, wer es dahin gelegt hatte. Sie stellten sich nun zu beiden Seiten des Sarges, ohne daß ein Wort gesprochen worden wäre; endlich sagte der Geheimrat: »Nun tragt ihn hinaus.« Und dabei nahm er das Kruzifix, um es wieder auf den Altar zu stellen, von dem er es genommen hatte. Aber der alte Vitzewitz kam ihm zuvor und sagte: »Nein, Ladalinski, nicht so, das ist nun Ihre; mein Großvater hat es dieser Kirche gestiftet, und ich werde ein neues stiften. Nehmen Sie es, ich bitte Sie darum. Sie haben mir, wollentlich oder nicht, Ihren Sohn gegeben, und alles, was ich Ihnen wiedergeben kann, ist dieses Kreuz. Ach, ich hab' es auch getragen.«

Ladalinskis Lippen zitterten; er konnte nicht sprechen oder wollte nicht. Dann aber riß er in freudiger Erregung einen Streifen von der Bahrdecke, legte den Streifen, als ob es eine Schärpe wäre, um die Mitte des Sarges und schob das Kruzifix, das sonst keinen Halt gehabt hätte, in den schwarzen Schärpenknoten hinein. Danach trat er beiseite, und Pachaly und der Diener faßten nun die Bügel und trugen den Toten hinaus.

 

Eine Viertelstunde später bog der Schlitten, der sich bis dahin auf der Höhe langsam fortbewegt hatte, nach links hin aus und fuhr, als er den Abhang glücklich hinunter war, zwischen den Uferweiden auf Frankfurt zu. Die Chaise folgte, und während ihr überdeckter Polstersitz auf dem holprigen Wege hin und her schwankte, wurden Erinnerungen in dem Herzen des alten Ladalinski wach, und er mußte jener Reise gedenken, die ihn vor langer, langer Zeit auf ebenso verschneiten Wegen nach Bjalanowo hingeführt hatte. Und doch wie anders damals! Eine Hochzeitsreise war es, und die reizendste der Frauen – eben erst die seine – schmiegte sich unter übermütigem Lachen an seine Seite; der Schnee stäubte, die Pferde flogen, und jeder neue Rastplatz brachte neue Blumen und neue Huldigungen. Erfinderisch war er gewesen, wie die Liebe selbst. Und jetzt sah er nichts vor sich als den Schlitten, den die Uferweiden streiften und der langsam auf eine Gruft zufuhr, die nicht mehr die seine war und an deren Tür er um Gastlichkeit bitten mußte für seinen Toten. Das war mehr, als er tragen konnte. Scharf und leise klang das Glöckchen, und scharf und leise fielen seine Tränen.

Um dieselbe Stunde, wo der alte Geheimrat, begleitet von Berndt und Lewin, zu der Kirche hinaufgestiegen war, war auch Bamme, nach Anlegung seines Husarenrocks, aus dem Herrenhause getreten, hatte sich aber nach fast entgegengesetzter Seite hin begeben. Es lag ihm daran, dem Begräbnis Hoppenmariekens, das im Laufe des Vormittags stattfinden sollte, beizuwohnen, bei welcher Gelegenheit er noch einen Blick auf diesen Gegenstand seines besonderen Interesses zu tun hoffte. Als er in die Nähe des Heckenzaunes kam, der das Häuschen einfaßte, sah er, daß allerhand Gesindel zu beiden Seiten des Weges Spalier gebildet hatte, zum Teil dieselben alten Weiber, die gestern dem Kniehaseschen Knecht beim Abladen des Sarges behilflich gewesen waren. Bamme grüßte und hörte nicht ohne Befriedigung, daß hinter ihm her gezischelt wurde: »Dat is he; wie schnaaksch he utsieht.« Darnach trat er in das offenstehende Haus. Ein starker Zug wehte, trotz dieses Zuges aber war es warm, denn der Ofen pustete und auf dem Flurherd brannten große Scheite, um die seltsamerweise mehrere Kochtöpfe gestellt waren. Das hatten die Forstackersleute getan, die sich auf Hoppenmariekens Kosten einen guten Tag machen wollten. Erben waren nicht da, und Kniehase sah ihnen durch die Finger.

Bamme hatte sich was versprochen, aber er fand doch mehr noch, als er erwartet hatte. Auf zwei Stühle, nach Art eines Reisekoffers, war der offene Sarg gestellt, und auf dem Rande des Sarges saß ein schwarzer Vogel, einem Raben ähnlich, nur viel kleiner. Als der Vogel den Eintretenden gewahr wurde, hüpfte er von dem einen Rande auf den andern hinüber und von diesem auf den Sargdeckel, der mit seinen blitzblauen Beschlägen auf zwei andern Stühlen lag. Es machte dies Platzwechseln durchaus den Eindruck, als ob es aus Respekt gegen Bamme geschähe, der es denn auch so nahm und, an den Vogel herantretend, ihn belobigte. »Bist ein braver Kerl, hast Lebensart.« Gleich darauf indessen entsann er sich seines eigentlichen Zwecks, schob den am Wandpfeiler stehenden Tisch, darin das Gesangbuch und die Karten lagen, beiseite und probte sich einen Platz aus, um die Tote bequem und in guter Beleuchtung betrachten zu können. Diese lag in Staat, und nichts war vergessen, was zu Hoppenmarieken gehörte. Das weiße Haar war unter das schwarze Kopftuch gebunden, die Zipfel standen hoch nach oben, und ihre zwei dicken Wasserstiefel sahen mit halber Sohle aus dem Sarg heraus. In ihrer Rechten hielt sie den Hakenstock, weil er aber zu lang gewesen war, war er in zwei Hälften zerbrochen worden, und das untere Stück lag nun daneben. Ihr Gesichtsausdruck hatte sich wenig verändert; das Listige hatte der Tod fortgenommen, aber das Trotzige war geblieben. Bamme war entzückt; er drehte den Hakenstock ein wenig zur Seite und sagte dann vor sich hin: »Zwergenbischof«, eine Bemerkung, zu der er sich, in Ermangelung eines guten Publikums, vorläufig selber gratulierte. Dann sah er in den Alkoven hinein, in dem sich die großen Gundermannsbüschel im Zugwinde hin und her bewegten, und fand auch hier alles »superbe«.

Als er wieder in die Vorderstube trat, war der schwarze Vogel auf den Rand des Sarges zurückgeflogen, und Bamme, neugierig und verwundert, was das Tier da wolle, trat jetzt heran und sah, daß es von der Toten in aller Wirklichkeit gefüttert wurde. Die Nachbarweiber hatten ihr nämlich Ebereschenbeeren und Weizenkörner in die geöffnete linke Handfläche gelegt. Das war so Forstackerpoesie.

Bamme nickte und wollte wieder auf seinen Beobachtungsposten zurückkehren, mußte sich aber bald überzeugen, daß es mit dem Zauber dieser Stunde zu Ende gehe.

Die Neugierde der Hoppenmariekeschen Vögel, die zwischen ihren Gitterstäben hindurch auf ihn und seinen roten Husarenrock niederblickten, hätte sich vielleicht ertragen lassen, aber das Gaffen der draußenstehenden alten Weiber und Kinder fing doch an, unbequem und lästig zu werden, so lästig, daß er schließlich froh war, als ihm das Erscheinen der Träger gemeldet wurde. Diese traten denn auch bald darauf ein, schlossen den Sarg und setzten sich auf den Kirchhof zu in Bewegung. Einer der Träger war Hanne Bogun, der den linken Vorderbügel gefaßt hatte, während rechts neben ihm ein lahmer Scherenschleifer ging, dessen untere Beinstellung ein gleichschenkliges Dreieck bildete. »Das laß ich mir gefallen«, sagte Bamme, froh, seinen Meister gefunden zu haben, und schloß sich als erster Leidtragender an, während der ganze »Forstacker« in corpore folgte. Alles war heiter, die Kinder schneeballten sich, und Kniehases Tauben flogen über dem Zug hin, als würde Schneewittchen oder irgendeine Märchenprinzeß begraben.

So kamen sie bis an das Kirchhofsportal. Die Träger, müde geworden, wechselten hier ihre Plätze, und nur Hanne Bogun, weil er bloß den rechten Arm hatte, blieb an der linken Seite des Sarges. Und nun zwischen den Gräbern hin setzte sich der Zug wieder in Bewegung, bis er am andern Ende des Kirchhofs hielt. Hier dicht an der Feldsteinmauer war ein Grab gegraben, an einer Stelle, wo zur Sommerzeit Disteln und Schafgarbe wucherten und die Ziegen zu grasen pflegten. Neben dem Grabe standen Seidentopf und Kniehase und beiden gegenüber Berndt und Lewin, die nach dem Abschiede von Ladalinski gleich auf dem Kirchhügel geblieben waren, weil sie das Herankommen des Zuges bemerkt hatten. Von den Dörflern, ein paar Kossäten und Büdner ausgenommen, war nur Miekley da, der das »ehrliche Begräbnis« zwar ebenso mißbilligte wie alle andern, aber doch durch zwei Dinge bestimmt worden war, diese seine Mißbilligung nicht zu zeigen. Und zwar erstens, um, wenn »etwas geschähe« – woran er nicht zweifelte –, seinerseits nichts versäumt zu haben, und zweitens und hauptsächlichst, um Uhlenhorsten, der sich auf dem Mühlenhofe zu Mittag und Abend hatte ansagen lassen, mit einer neuen »Seidentopferei« unterhalten zu können.

Die Träger hatten ihre Last niedergestellt; nun ließen sie den Sarg hinab, und Seidentopf, während alle Forstackerkinder neugierig das Grab umdrängten, sagte mit seiner klaren Stimme:

»Empfehlen wir ihre Seele Gott. Es war kein christliches Leben, das sie führte; aber ihr letzter Tag, so hoffe ich, hat vieles ausgeglichen. Sie hatte keinen Menschen lieb, einen ausgenommen, und diesen einen, der jetzt mit an ihrem Grabe steht, hat sie gerettet oder doch mit zu seiner Rettung geholfen. Ihre List, die sonst ihr Böses war, war hier ihr Gutes. Und wenn dieses Gute nicht schwer genug wiegen sollte, so wird die Barmherzigkeit Gottes hinzutreten und in Gnaden geben, was noch fehlt. Beten wir für sie.« Und dabei nahm er sein Barett ab und sprach das Vaterunser, während zwei seitabstehende Forstackerweiber kicherten.

»Jott, uns' Oll-Seidentopp; ick weet nich, he beet't ook för alles. Allens sall 'inn.«

»Joa. Awers Hoppenmarieken beet't he nich rinn.«

 

Zwei Stunden später saßen Uhlenhorst und Miekley zu Tisch; auch Kallies-Sahnepott war geladen worden. Es wurde schon die dritte Flasche Graves aus dem Keller geholt, denn alle hielten auf ein »gutes Glas«, und Uhlenhorst zeigte sich von Minute zu Minute besserer Laune. Begreiflich; denn der reiche Sägemüller sägte heute nicht bloß Stämme, sondern auch Seidentopfen mitten durch. Als er zuletzt auch von Bammes Besuch in Hoppenmariekens Wohnung berichtet hatte, sagte Uhlenhorst wichtig und indem er sich etwas vorbeugte: »Nichts natürlicher als das, es sind Geschwister.«

Miekley, so sehr er aus dem Munde des Kandidaten an Orakelsprüche gewöhnt war, erschrak doch einigermaßen; Uhlenhorst selbst indessen fuhr in demselben Tone fort: »Ich meine nicht von dieser Welt. Aber sie haben beide denselben Vater und wurden beide an derselben Stelle geboren. Wo? Das brauche ich Ihnen nicht erst zu sagen.«

Sahnepott hatte die Ohren gespitzt (das war etwas für den Krug), und ehe fünf Minuten um waren, waren beide Bauern der Überzeugung, daß ihr Kandidat mal wieder den Seherblick gehabt und den Nagel auf den Kopf getroffen habe. »Ich kann mich irren«, sagte Uhlenhorst, in einen Demutston übergehend, »aber ich zweifle.«

Und damit schloß das Gespräch.

 

Zu Beginn des Nachmittags fuhr der Kaleschewagen vor dem Herrenhause vor; die Ponies waren eingespannt; Bamme wollte mal wieder nach seinem Gut hinüber und nach dem Rechten sehen. »Es ist mir von wegen des Pastors, Vitzewitz«, waren seine letzten Worte gewesen, als Berndt ihn aufgefordert hatte, noch ein paar Tage zu bleiben. »Ich muß ihn in der Furcht des Herrn halten, sonst wird er mir übermütig und erzählt meinen Groß-Quirlsdorfern von der Kanzel her, daß sich Hoppenmarieken aus Liebe zu mir umgebracht habe. Natürlich alles sub rosa. Immer mit Bibelstellen. Im Alten Testament, so nur der gute Wille da ist, findet sich schließlich alles, was einer braucht.« Und darnach hatte der Alte die Zügel genommen und war wie die wilde Jagd vom Hofe hinuntergefahren, erst an dem Blachfeld und dann an dem Fichtenwäldchen vorbei, immer in der Richtung auf Küstrin zu.

 

Das war um drei Uhr gewesen. Schon vor Dunkelwerden erschien Kallies-Sahnepott im Krug, wo er sich vorläufig mit Krüger Scharwenka behelfen mußte, denn von den andern Bauern war noch keiner da.

»Nun ist ja der General auch fort«, sagte Sahnepott und sah so wichtig aus, als ob er wieder von »Tiegel-Schulzen« und dem Schwedter Markgrafen erzählen wollte. »Ich hab' ihn heute nachmittag auf der brandroten Fuchsstute nach Frankfurt reiten sehen. Er ritt über den Forstacker. Es war so Klocker vier.«

»Das kann nicht sein, Sahnepott«, erwiderte Scharwenka.

»Und warum nicht?«

»Erstens weil die Fuchsstute tot ist; ich habe sie selber fallen sehen, keine zehn Schritte von der Pappel, wo sie nachher den Konrektor erschossen haben, und dann zweitens, weil er heute nachmittag (ich meine den General) in unseres Alten Kaleschwagen an mir vorbeigefahren ist. So Klocker drei. Die Ponies waren vorgespannt, und der Shetländer ging als Handpferd.«

Kallies schüttelte den Kopf. »Du verstehst mich nich, Scharwenka. Das is es ja gerade, was ich meine. Nach Küstrin hin in der Kalesche und nach Frankfurt hin auf der Fuchsstute. Du hast sie fallen sehn. Gut. Aber tot oder nicht, macht keinen Unterschied. So was kommt vor. Du mußt doch wissen, was es mit ihm is. Uhlenhorst...«

Hier brach das Gespräch ab, weil andere Bauern eintraten, unter ihnen auch Kniehase, vor dem Kallies eine Scheu hatte. Ganz besonders, wenn er sich mit Uhlenhorstschen Federn schmücken und allerhand schabernacksche Konventikler-Visionen in Kurs setzen wollte.


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