Theodor Fontane
Vor dem Sturm
Theodor Fontane

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Siebzehntes Kapitel
Ein Rabennest

Der nächste Tag war Silvester.

In aller Frühe schon brach Hoppenmarieken auf, um womöglich bis Mittag wieder zurück zu sein und alles putzen und scheuern, auch ihre Vorbereitungen zu einem Silvesterpunsch treffen zu können. Sie machte heute die kurze Tour und schritt auf Küstrin zu. Es war erst sieben Uhr, als sie an dem Herrenhause vorbeikam und über den Hof hin sich mit Jeetze begrüßte, der eben die nach beiden Seiten hin einklappenden Laden des großen Eckfensters öffnete. Aus der Unbefangenheit ihres Grußes ließ sich erkennen, daß ihr die Gefangennehmung der beiden Strolche, von der sie aller Wahrscheinlichkeit nach nur zu sehr mitbetroffen wurde, nicht bekannt geworden war. Erst nach Mitternacht von einer Wanderung quer durch das Bruch in ihre Wohnung zurückgekommen, hatte sie, selbst bei den Forstackersleuten, die doch sonst wohl die Nacht zum Tage zu machen liebten, niemand mehr wach getroffen und war, als sie aufstand, wahrscheinlich die einzige Person in ganz Hohen-Vietz, die von dem Ereignis des vorigen Tages nichts wußte.

Erst zwei Stunden später versammelten sich Wirt und Gäste des Herrenhauses am Frühstückstisch. Auch Berndt, wenn ihn nicht Geschäfte riefen, war kein Frühauf, und die nicht vor vier Uhr nachmittags angesetzte Fahrt nach Guse konnte keinen Grund bieten, die bequeme, längst zu einer Art Hausordnung gewordene Gewohnheit zu unterbrechen. Tante Schorlemmer, bei Renate festgehalten, erschien noch etwas später und beantwortete die Fragen, die über das Befinden der Kranken an sie gerichtet wurden.

Das Gespräch, nachdem auch noch Dr. Leists beruhigende Worte mitgeteilt worden waren, wandte sich dann dem am Abend vorher in Hohen-Ziesar gemachten Besuche zu, dessen einzelne Momente in dem Hin und Her einer immer muntrer werdenden Plauderei noch einmal durchlebt wurden. Aus allem ging hervor, daß Drosselstein sich als der liebenswürdigste der Wirte, voll Entgegenkommen gegen Berndt, voller Aufmerksamkeiten gegen Kathinka gezeigt hatte. Als diese, die sich zum ersten Mal in Hohen-Ziesar befand, ihre Verwunderung über die sonst nirgends in der Mark vorkommende Großartigkeit der Schloßanlage geäußert hatte, hatte der Graf ohne Rücksicht auf die späte Stunde noch Veranlassung genommen, sie samt den anderen Gästen durch die lange Zimmerflucht des ersten Stockes: den Ahnensaal, die Rüstkammer und die Bildergalerie, zu führen, während zwei Diener mit Armleuchtern voranschritten. Unter dieser halb düsteren Beleuchtung war alles, an dem man bei hellem Tageslicht gleichgiltig vorüberzugehen pflegte, zu einer Art Bedeutung gekommen, und die seitabstehenden Ritter mit halbgeschlossenem Visier, die über Kreuz gelegten Lanzen, dazu die Ahnenbilder selbst, die zu fragen schienen: »Was stört ihr unser stilles Beisammensein?«, hatten eines tiefen Eindrucks auf Kathinka nicht verfehlt. Vor allem ein jugendliches Frauenporträt, das ihr seitens des Grafen als das Bildnis Wangeline von Burgsdorffs, einer nahen Anverwandten seines Hauses, bezeichnet worden war, war ihr in der Erinnerung geblieben.

An dies von einem Niederländer aus der Vandyckschule herrührende Bildnis, dessen unheimlich hellblaue Augen schon manchen früheren Besucher von Hohen-Ziesar bis in seine Träume hinein verfolgt hatten, knüpften die am Abend vorher nur flüchtig beantworteten Fragen Kathinkas wieder an, und Berndt, ein wahres Nachschlagebuch für alle Schloß- und Familiengeschichten der ganzen Umgegend, war eben im Begriff, die Neugier der schönen Fragstellerin durch eingehende Mitteilungen über »Wangeline«, die von vielen märkischen Forschern als der historisch beglaubigte Ursprung der »weißen Frau« angesehen werde, zu befriedigen, als ein Klopfen an der Tür das kaum begonnene Gespräch unterbrach. Ein ältlicher Mann mit spärlichem, nach hinten gekämmtem Haar, den sein spanisches Rohr und mehr noch der lange blaue Rock mit einem Wappenblech auf der Brust als Gerichtsdiener kennzeichneten, trat ein, übergab einen Brief an den alten Vitzewitz und machte dann wieder einige Schritte zurück bis in die Nähe der Tür. Alles verriet den alten Soldaten. Berndt erbrach das Schreiben und las: »Hochgeehrter Herr und Freund! Ich säume nicht, Ihnen von dem Resultat eines ersten Verhörs, das ich gestern nachmittag noch mit der durch Ihre Umsicht entdeckten und eingelieferten Diebessippschaft angestellt habe, Kenntnis zu geben. Aus den beiden Strolchen, hinsichtlich deren sich Hohen-Clessin und Podelzig in den Ruhm der Geburtsstätte teilen, war, aller Kreuz- und Querfragen unerachtet, nichts zu extrahieren; die Frau aber, die jenen beiden erst seit kurzem zugehört und mehr noch durch anderer als durch eigene Schuld unter die Rohrwerder Sippschaft geraten ist, hat umfassende Geständnisse abgelegt, die sich einmal auf die zumeist in den Küstriner Vorstädten ausgeführten Diebstähle, sodann aber auch auf die Hehlereien beziehen, die dieses Treiben unterstützt haben. Am schwersten belastet ist unsere Freundin Hoppenmarieken. Ich bitte Sie, eine Haussuchung bei ihr veranlassen oder selbst leiten zu wollen, wobei ich mit Rücksicht auf die besondere Schlauheit der vorläufig unter Verdacht Stehenden Ihre Aufmerksamkeit auf Dielen und Wände des Hauses hingelenkt haben möchte. Der Einlieferung des geraubten Gutes, an dessen Auffindung ich nicht zweifle, sehe ich ehemöglichst entgegen. Ob es geboten oder in Erwägung ihrer Geisteszustände auch nur zulässig sein wird, der Bezichtigten gegenüber die volle Strenge des Gesetzes walten zu lassen, darüber sehe ich seinerzeit Ihrer gefälligen Rückäußerung entgegen.

Turgany«
 

Berndt legte den Brief, den er mit halblauter Stimme gelesen hatte, vor sich nieder und sagte dann, zu dem alten Gerichtsdiener sich wendend: »Lieber Rysselmann, mein Kompliment an den Herrn Justizrat, und ich würde nach seinen Angaben verfahren.« Dann zog er die Klingel. »Jeetze, sorge für einen Imbiß. Frankfurt ist weit, und unser Alter da wird wohl die Mitte halten zwischen dir und mir. Nicht wahr, Rysselmann, sechzig?« Der Alte nickte. »Und dann schicke Krist zu Kniehase; er soll Nachtwächter Pachaly rufen lassen und mich auf dem Forstacker erwarten.«

»Da klagt nun Renate«, fuhr der alte Vitzewitz fort, als Jeetze und Rysselmann das Zimmer verlassen hatten, »über öde Tage in Hohen-Vietz! Sage selbst, Kathinka, leben wir nicht, seit du hier bist, wie im Lande der Abenteuer? Erst ein Raubanfall auf offener Straße, dann ein Einbruch in unser eignes Haus, dann ein regelrechtes Diebstreiben unter Innehaltung taktisch-strategischer Formen und nun eine Haussuchung im Revier einer Zwergin – nenne mir einen friedlichen Ort in der Welt, wo in drei Tagen mehr zu gewärtigen wäre! Im übrigen bin ich neugierig, ob sich die Aussagen, die die Rohrwerder-Frau gemacht hat, auch bewahrheiten werden.«

»Ich zweifle nicht daran«, bemerkte Lewin. »Nach allem, was mir Hanne Bogun gestern sagte, und noch mehr nach dem, was er mir verschwieg, konnt' ich kaum etwas anderes erwarten, als was Turgany jetzt schreibt. Wann willst du nach dem Forstacker hinaus?«

»Gleich oder doch bald. Es darf nicht über den Vormittag hinaus dauern.«

»Dürfen wir dich begleiten?«

»Gewiß. Je mehr Augen, desto besser; wir werden sie der Schlauheit der alten Hexe gegenüber ohnehin nötig haben.«

So trennte man sich. Berndt empfahl sich mit einigen Worten bei Kathinka, die sich nunmehr ihrerseits treppauf begab, um mit Renaten über die wunderlich widersprechendsten Themata, über Graf Drosselstein und den alten Rysselmann, über Wangeline von Burgsdorff und Hoppenmarieken zu plaudern.

Eine Viertelstunde später brach der alte Vitzewitz auf, in seiner Begleitung Tubal und Lewin. Sie gingen rasch. Noch ehe sie Miekleys Gehöft erreicht hatten, überholten sie Kniehase und Pachaly, die schon auf dem Wege waren, und bogen nun gemeinschaftlich mit ihnen in den Forstacker ein. Gleich darauf standen sie vor Hoppenmariekens Haus. Man war schon vorher übereingekommen, ganz regelrecht vorzugehen, das heißt, mit dem Küchenflur zu beginnen und mit der Kammer abzuschließen, jedenfalls aber nichts übereilen zu wollen.

Die Tür war nur eingeklinkt. Sie wurde geöffnet und der Holzkloben vorgelegt, um mit Hilfe des nun einfallenden Tageslichts bis in alle Winkel hineinsehen zu können. In der steinharten Lehmdiele des Fußbodens konnte nichts vergraben sein; so blieb nur noch der Herd und gegenüber dem Herde der Kamin, von dem aus der Stubenofen geheizt wurde. Aber die Nähe des Feuers ließ ein Versteck an dieser Stelle nicht als wahrscheinlich annehmen. Ebenso war der nach innenzu liegende Schwellstein, der durch diese seine verwunderliche Lage Verdacht erwecken konnte, viel zu groß und schwer; Lewin und Kniehase mühten sich umsonst, ihn von der Stelle zu rücken.

In der Küche war also nichts; so trat man denn in die Stube. Die großen Vögel in den Bauern saßen schon an den Vorderstäben und blickten auf die fremden Besucher. Diese fingen jetzt an, ihre Aufgabe zu teilen. Pachaly, das rot- und weißkarierte Deckbett zurückschlagend, fühlte mit der Hand in den Kissen, dann in den Strohsäcken umher, während Berndt ringsum die Wände, Tubal die Fliesen des verhältnismäßig hohen Ofenfundaments beklopfte. Überall nichts. In das offenstehende Tellerschapp, in Schrank- und Tischkästen hineinzusehen, verlohnte sich kaum; die frischgescheuerten Dielen waren aus einem Stück und liefen vom Fenster bis an die Wand gegenüber; nirgends ein Einschnitt oder sonst Verdächtiges. Es mußte also in der Kammer sein.

Die Kammer, ein dunkler Alkoven, hatte nur wenig über sieben Fuß im Quadrat. Es war darum für fünf Personen fast unmöglich, sich darin zu drehen und zu bewegen, weshalb Berndt und Kniehase, beide ohnehin belästigt durch die stickige Luft des überheizten Zimmers, vor die Tür traten, wohin ihnen Lewin, nachdem er vergebliche Versuche gemacht hatte, sich mit einem schwarzen, auf der Brust rotbetüpfelten Vogel anzufreunden, einige Minuten später folgte.

Nur Tubal und Pachaly waren noch in der Kammer. Sie zündeten ein Licht an und begannen auch hier mit Klopfen an den Lehmwänden hin. An der einen Seite, wo die großen Kräuterbüschel an vier oder fünf dicken Pflöcken hingen, hatte dies seine Schwierigkeiten. Es gelang aber; freilich ohne besseres Resultat als in Flur und Stube.

»Wir werden den Scharwenkaschen Hütejungen holen müssen«, sagte Tubal, »der hat die besten Augen.«

»Nicht doch«, sagte Pachaly, »dem ist sein Ruhm und die versprochene Pelzmütze schon zu Kopf gestiegen. Ich kenne den Jungen. Er sieht nicht besser als andere, er weiß nur besser Bescheid, denn er ist selber vom Forstacker und kennt alle Schliche und Wege, die das Gesindel geht.«

»Mag sein. Aber wo sollen wir noch suchen? An den Wänden keine hohle Stelle; die Dielen aufgenagelt, und in dem ganzen Alkoven nichts drin als diese rotgestrichene Kommode mit zwei leeren Schubkästen. Es kann doch nichts hier über uns in der Decke stecken? Hoppenmarieken ist ein Zwerg und reicht mit ihrer Hand keine fünf Fuß hoch.«

»Nicht in der Decke, junger Herr; aber hier um die Kommode herum muß es sein. Solche Kreaturen wie Hoppenmarieken sind eitel, putzen sich und zeigen allen Leuten gern, was sie haben. Warum hat sie die Kommode in die dunkle Kammer gestellt, wo sie niemand sieht? Das bedeutet was!«


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