Theodor Fontane
Vor dem Sturm
Theodor Fontane

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die dritte Figur des Kreises war der schon mehrgenannte Generalmajor von Bamme oder der »General«, wie er kurzweg in Schloß Guse genannt wurde, ein kleiner, sehr häßlicher Mann mit vorstehenden Backenknochen und Beinen wie ein Rokokotisch; die ganze Erscheinung husarenhaft, aber doch noch mehr Kalmück als Husar.

Er gehörte einem alten havelländischen Geschlechte an, Haus Bamme bei Rathenow, das mit ihm erlosch. Die Wahrheit zu gestehen, erlosch nicht viel damit. Seine eigene Jugend war hingewüstet worden; wunderbare Geschichten gingen davon um. Ein adliges Fräulein, das sich von ihm geliebt glaubte, Tochter eines Nachbars, hatte er in Unehre gebracht; den Bruder, der auf Eheschließung drang, jagte er vom Hofe. Das Mädchen selbst, übrigens im Hause der Eltern bleibend, wurde irrsinnig.

Ein Jahr später starb der alte Bamme; Vater und Sohn waren einander wert gewesen. Sie setzten des Alten Sarg auf eine Gruftversenkung, und neben den Sarg, eine Fackel in der Hand, stellte sich der Sohn. Er trug die rote Uniform des Husarenregiments Zieten; die kleine Kirche war schwarz ausgeschlagen. In dem Augenblicke, in dem der Sarg niederstieg, rief die Irrsinnige, die sich auf dem Orgelchor versteckt hatte: »Seht, nun fährt er in die Hölle.« Alles entsetzte sich; nur der, an den sie die Worte gerichtet hatte, lächelte. Er war übrigens ein ausgezeichneter Soldat, das hielt ihn.

Als er nach dem Baseler Frieden, der ihn wurmte, seinen Abschied nahm, zog er aus dem Havellande ins Oderbruch und kaufte sich in der Nähe von Schloß Guse an. Die Groß-Quirlsdorfer hatten sich wenig über ihn zu beklagen. Er setzte zwar das alte Leben fort; aber die Oderbrücher, selber nicht diffizil, legten ihm durch Mißbilligung keinen Zwang auf. Sein Geschmack wurde immer wunderlicher. Starb wer Junges im Dorf, Bursch oder Mädchen, so ließ er ein großes Begräbnis anrichten, vorausgesetzt, daß die Leidtragenden ihre Zustimmung gaben, die Leiche zu schminken und in einem mit vielen Lichtern geschmückten Flur aufzubahren. Dann stellte er sich zu Füßen, rauchte aus einem Meerschaumkopf und sah, halb zugekniffenen Auges, die Leiche eine halbe Stunde lang an. Was dabei durch seine Seele ging, wußte niemand. Er galt für einen Tückebold, auch noch für Schlimmeres; indessen, er war General, märkisch und soldatisch vom Wirbel bis zur Zeh' und von einem humoristisch verwegenen Mut. Erst vor drei Jahren hatte sein letztes Rencontre stattgefunden. Die Veranlassung war ganz in seiner Art. Eine Scheune auf einem Nachbargute brannte nieder; Bamme, der den Besitzer nicht leiden konnte, sagte bei offener Tafel: »Hochversicherte Scheunen brennen immer ab.« Er sollte zurücknehmen. Statt dessen maß er seinen Gegner und krähte nur: »Jede Feuerassekuranz sagt dasselbe.«

Nun kam es zum Duell; Hauptmann von Rutze sekundierte. Der Beleidigte schoß Bammen den rechten Ohrzipfel samt dem kleinen goldenen Ohrring weg, den er »Rheumatismus halber« trug. Er ließ sich nun einen neuen Ring durch die stehengebliebene Ohrhälfte ziehen und sah seitdem skurriler aus denn je.

Eine gewisse Schelmerei, wie zugestanden werden muß, söhnte manchen seiner Gegner mit ihm aus; dazu kam, daß er sich gab, wie er war, und sein eigenes Leben rückhaltlos in den pikantesten Anekdoten aufdeckte. Seine geistigen Bedürfnisse bestanden in Necken, Spotten und Mystifizieren, weshalb er, wie kein zweiter, von allen Sammlern und Altertumsforschern in Barnim und Lebus gefürchtet war. Um seine Tücke besser üben zu können, war er Mitglied der Gesellschaft für Altertumskunde geworden. Feuersteinwaffen, bronzene Götzenbilder und verräucherte Topfscherben ließ er aussetzen und verstecken, wie man Ostereier versteckt, und war über die Maßen froh, wenn nun die »großen Kinder« zu suchen und die Perioden zu bestimmen anfingen. Turgany, wie sich denken läßt, zog den möglichsten Nutzen aus diesen Mystifikationen, und jedesmal, wenn Seidentopf etwas Urgermanisches aufgefunden haben und zum letzten Streiche gegen den zurückgedrängten Justizrat ausholen wollte, pflegte dieser wie von ungefähr hinzuwerfen: »Wenn nur nicht etwa Bamme...«, ein Satz, der nie beendet wurde, weil schon die Einleitung desselben zur vollständigen Verwirrung des Gegners ausreichte.

Alles in allem war der »General« eine Lieblingsfigur auf Schloß Guse, auch der Hecht im Karpfenteich. Die Gefahren und Unbequemlichkeiten, die sich daraus ergaben, wurden durch das frische Leben, das er brachte, wieder aufgewogen. Es kam nicht in Betracht, daß er über Sittlichkeit seine eigenen Ansichten hatte. Man ließ dies gehen. Die Gräfin schlug jede Kritik darüber mit der Bemerkung nieder: »L'immoralité ouverte, c'est la seule garantie contre l'hypocrisie.«

Nur den Vitzewitzes, alt und jung, war mit solcher Bemerkung nicht beizukommen; sie verharrten, bei äußerlich leidlicher Stellung zu dem alten Schabernack, in ihrer Abneigung gegen ihn, und Berndt pflegte zu sagen: »Bamme und Hoppenmarieken, das hätt' ein Paar gegeben!«

Neben Bamme, zugleich als sein natürlicher Gegensatz, stand Baron Pehlemann, die vierte Figur des Guser Kreises. Was Bamme an Mut zu viel hatte, hatte Pehlemann zu wenig. Daß er der Gräfin dadurch ein kaum geringeres Interesse einflößte als sein encouragiertes Widerspiel, braucht nicht erst versichert zu werden, aber auch der Kreis selbst war weit entfernt davon, dies Manko an Herzhaftigkeit ernstlich zu beanstanden. Am wenigsten die Militärs. Es läßt sich ähnliches auch heute noch beobachten. Alle Stubenhocker dringen beständig auf »Opfertod«; alte geschulte Soldaten aber, die aus fünfzig Schlachten her wissen, einerseits, welch ein eigen und unsicher Ding der Mut ist, andererseits, welche niedrige Organisation, welch bloßer, wer weiß woher genommener Taumelzustand ausreicht, um ein Heldenstück gewöhnlichen Schlages zu verrichten, alle diese denken sehr ruhig über Bravourangelegenheiten und haben in der Regel längst aufgehört, alles, was dahin gehört, in einem besonderen Glorienschein zu sehen. So kam es, daß Bamme und Pehlemann die besten Freunde waren. Natürlich fehlte es nicht an Hänseleien. Erst einige Wochen vor Beginn unserer Erzählung hatte Pehlemann, der mitunter ein ihn plötzlich überkommendes Zutrauen zu sich selbst faßte, die Versicherung abgegeben: »seine Abneigung gegen Schußwaffen beruhe lediglich auf einer allzu feinen Organisation seines Ohres«, worauf von seiten Bammes mit so viel Ernst wie möglich erwidert worden war: »Gewiß, dergleichen kommt vor; so lassen Sie uns, wie alte Korpsburschen, einen Gang auf krumme Säbel machen; das ist ein stilles Geschäft; Ihr Ohr bleibt unbelästigt. Höchstens hau' ich es Ihnen ab.« Solches Schrauben und Aufziehen war an der Tagesordnung, störte aber keinen Augenblick das gute Einvernehmen, da der »Wuschewierer Baron«, wie er in der ganzen Umgegend hieß, bei aller sonstigen Grundverschiedenheit von Bamme, wenigstens eine gute Seite mit ihm gemein hatte: er war nicht empfindlich. Auch nicht als Dichter, wozu ihn, seinem eigenen Geständnisse nach, das Podagra gemacht hatte. Er wollte nämlich beobachtet haben, daß das Podagra seiner Muse jedesmal weiche, eine vertrauliche Mitteilung, die seitens des Guser Kreises zu folgendem Verse benutzt worden war:

Cedo majori                
Als des Barones Podagra
Nun seine Muse kommen sah,
Erschrak es sehr und sagte: »Ach,
Daneben bin ich doch zu schwach«,
Und packte schnell das Zwickzeug ein
Und ließ die beiden ganz allein.

Es hieß angeblich, Bamme habe diesen Vers gemacht; in Wahrheit wußte jeder, daß er von Dr. Faulstich herrühre, der immer bereit war, seine kleinen Piratenboote unter fremder Flagge segeln zu lassen.

Der fünfte des Kreises war der Kammerherr von Medewitz auf Alt-Medewitz, ein langweiliger, pedantischer Herr, sehr durchdrungen von der Bedeutung der Medewitze, trotzdem die Blätter der vaterländischen Geschichte den Namen derselben nirgends aufzeichneten. Seine Spezialität waren Erfindungen, in betreff deren er, nach Art der Philosophen, nichts Großes und Kleines kannte. Er hatte für alles die gleiche Liebe. Sparheizung, luftdichter Fensterverschluß, Zerstörung des Mauersalpeters in Schaf- und Pferdeställen, künstliche Morchelzucht, das waren einige der Fragen, die seinen beständig auf Lösungen und Verbesserungen gerichteten Geist beschäftigten. Den Militärbehörden war er wohlbekannt durch seine mehrfach eingereichten Abhandlungen über erleichtertes Gepäcktragen und praktische Mantelrollung. Immer mit beigefügter Zeichnung. Sein eigentliches Steckenpferd aber waren die Dosen. Er war ein Sammler, und man durfte füglich sagen, was Seidentopf für die Urnen war, das war von Medewitz für die Tabatièren und alles ihnen Anverwandte. In bezug auf die fridericianische Zeit war seine Sammlung so gut wie komplett. Von der Mollwitzdose an, auf der der junge König am Gattertor von Ohlau mit Flintenschüssen empfangen wurde, bis zur Hubertsburgdose, auf der ein Kurier mit einem wehenden Tuche und dem Worte »Friede« darauf durch die Welt flog, hatte er sie alle, einzelne sogar doppelt.

Soweit war alles gut. Er begnügte sich aber nicht mit der »stillen Dose«, er war vor allem auch ein leidenschaftlicher Verehrer jener damals auf der Höhe ihres Ruhmes stehenden, in Gold und Schildpatt ausgeführten Miniaturleierkästen, die unter dem Namen der Spieldosen ihre Reise um die Welt gemacht haben. Solche mit Musik geladene Überfallwerkzeuge führte von Medewitz beständig bei sich, und mit ihnen war es, daß er seine gesellschaftlichen Attentate verübte. Wie es Menschen gibt, vor deren Anekdoten man, und wenn man in einer Begräbniskutsche mit ihnen säße, nie ganz sicher ist, so war man nie sicher vor einer Medewitzschen Spieldose. Er war sich dieser Macht bewußt und übte sie, mitunter glücklich und taktvoll, durch Ausfüllung ängstlicher Pausen; aber viel häufiger noch folgte er den Eingebungen bloßer Laune oder verletzter Eitelkeit. Unfähig, aus eigenen Mitteln zur Gesellschaft beizusteuern, wachte er eifersüchtig über allem, was durch Wissen oder Darstellungsgabe sich auszeichnete, und wenn vielleicht der glänzend aufgebaute Satz eines guten Sprechers eben seinen Abschluß erhalten sollte, durfte man sicher sein, aus bloßer Neidteufelei eine Papagenoarie oder die »Schlacht bei Marengo« dazwischentreten zu sehen. Was das Niederdrückendste war, war, daß das Mittel, wenn nur ein einziger Fremder bei Tische saß, trotz seiner Verbrauchtheit immer wieder wirkte. Der Gräfin wäre es ein leichtes gewesen, dieser Mißgunstmusik ein Ende zu machen; aber so abgeschmackt sie das Gebaren fand, so freute sie sich doch jedesmal, den verlegenen Ärger der um ihren Redetriumph Betrogenen beobachten zu können.

Der Unbedeutendste des Guser Zirkels war von Rutze, leidenschaftlicher Jäger, ein langer, sehniger, ziemlich schweigsamer Mann, ehemals Hauptmann im pommerschen Regiment von Pirch. Er hatte Protzhagen, das übrigens uralter Rutzescher Besitz war, erst vor etwa zwanzig Jahren gekauft. Die Veranlassung dazu wurde, wie folgt, erzählt:

Nach Stargard hin, wo das Regiment von Pirch in Garnison lag, verirrte sich eine Topographie des Oderbruchs. In dem Kapitel »Buckow und seine Umgebung« hieß es auf Seite 114: »Bei Protzhagen, einem Gute, das drei Jahrhunderte lang den Rutzes angehörte, zieht sich eine tiefe Schlucht, die ›Junker Hansens Schlucht‹. Sie führt diesen Namen, weil Junker Hans von Rutze hier stürzte und verunglückte; dies war 1693. Es war der letzte Rutze.« Kaum war von einem der Kameraden diese Notiz entdeckt worden, so hieß es, in nicht endenden Scherzreden: »Rutze sei untergeschoben; es gäbe keine Rutzes mehr; der letzte läge längst in der Protzhagener Kirche begraben.« Unser Hauptmann, kein Meister im Reparti, wurde mißmutig; er nahm den Abschied und kaufte Protzhagen, um nunmehr an Ort und Stelle die Beweisführung anzutreten, daß es mit dem »letzten Rutze« noch gute Wege habe. Aber er verbesserte sich dadurch nur wenig. Die Stargarder Neckereien waren bekannt geworden und hatten nun auf Schloß Guse ihren Fortgang. Bamme verschwor sich hoch und teuer, daß es mit einem der beiden »letzten Rutzes«, dem jetzigen oder dem früheren, notwendig eine sonderbare Bewandtnis haben müsse. Entweder sei der selige Hans von Rutze nichts als eine gespenstische Vorerscheinung, eine Spiegelung von etwas erst Kommendem gewesen, oder aber der unter ihnen wandelnde Freund, ohnehin beinahe fleischlos, sei ein Revenant. Was ihn (Bamme) persönlich angehe, so gäbe er der ersteren Annahme den Vorzug, weil ihm darnach die Wirklichkeit der Dinge noch eine Hirschjagd, einen Schluchtensturz und einen den Hals brechenden Rutze schuldig sei.

Der alte Hauptmann folgte diesen Auseinandersetzungen jedesmal mit süßsaurem Gesicht, hatte sich aber längst aller Proteste dagegen begeben. Dann und wann schritt er seinerseits zum Angriff, ohne jedoch mit Hilfe dieses Kunstgriffs dem gewandten Bamme beikommen zu können.

Unter seinen sonstigen kleinen Schwächen war die bemerkenswerteste die, daß er sich, in Anbetracht seines aus Schluchten und Abhängen bestehenden Protzhagener Territoriums, für eine Art Gebirgsbewohner hielt. »Wir auf der Höhe« zählte zu seinen Lieblingsredewendungen.

Der Gräfin war er wert durch einen besonderen Respekt, den er ihr entgegenbrachte. Denn wie sehr sie vorgeben mochte, über Huldigungen und Schmeicheleien hinweg zu sein, so war sie schließlich doch nicht unempfindlich dagegen.

Der siebente und letzte des »engeren Zirkels« war Doktor Faulstich. Ein späteres Kapitel wird von ihm ausführlicher erzählen.


 << zurück weiter >>