Theodor Fontane
Vor dem Sturm
Theodor Fontane

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Dreizehntes Kapitel
In der Amts- und Gerichtsstube

Berndt von Vitzewitz war, während Tubal und Lewin ihren Besuch in Kirch-Göritz machten, nach Hohen-Vietz zurückgekehrt. Es lagen anstrengende Tage hinter ihm, zugleich Tage voller Enttäuschungen. Der Minister, wie wir wissen, hatte sich mit glatten Worten jeder bindenden Zusage zu entziehen gewußt, und auch in anderen einflußreichen Kreisen der Hauptstadt, soweit ihm dieselben zugänglich waren, war er der ihm verhaßten Wendung begegnet: »Wir müssen abwarten.« Nirgends ein Verstehen des Moments. Nur in Guse hatte sich Hauptmann von Rutze, mit dem er unmittelbar vor dem Aufbruch noch ein Gespräch herbeizuführen wußte, seinen auf rücksichtloses Vorgehen gerichteten Plänen geneigt gezeigt. Drosselstein schwankte; aber auf der Fahrt von Guse nach Hohen-Ziesar war er unter dem Einflusse, den Berndts Beredsamkeit ausübte, anderen Sinnes geworden und hatte schließlich nicht nur einer allgemeinen Volksbewaffnung, sondern auch, wenn kein regelrechter Krieg erklärt werden sollte, dem Plane eines auf eigene Hand zu führenden Volkskrieges zugestimmt.

Bei seinem Eintreffen in Hohen-Vietz war Berndt angenehm überrascht, Besuch vorzufinden. Er hatte das Bedürfnis, von Zeit zu Zeit seinen ihn mit der Macht einer fixen Idee beherrschenden Plänen entrissen zu werden, und niemand war dazu geschickter als Kathinka, die, während sie die politischen Gespräche vermied, zugleich geistvoll genug war, den entstehenden Ausfall durch glückliche Impromptus oder durch Pikanterien aus den Hof- und Gesellschaftskreisen zu decken. Ihre Erscheinung wirkte mit. Er überließ sich auch diesmal ihrem Geplauder, vergaß über der Schilderung eines Ballabends bei Exzellenz Schuckmann, wo der bayrische Gesandte dies und das gesagt oder getan hatte, momentan alle Pläne und Sorgen und sah sich der heiteren Zerstreuung dieses Geplauders erst wieder entzogen, als das Erscheinen Tubals und Lewins und ihre Erzählung des eben gehabten Abenteuers seine Gedanken in das alte Geleise zurückdrängten. Er klingelte.

»Jeetze«, rief er dem eintretenden Diener zu, »schicke Krists Willem zum Schulzen. Oder gehe lieber selbst. Ich müßt' ihn sprechen. Morgen früh halb elf.«

Er wollte nach diesem Zwischenfall, schon um Kathinkas willen, das Gespräch in den Ton leichter Unterhaltung zurückführen, aber es mißglückte, da auch Tubal und Lewin eine rechte Heiterkeit nicht finden konnten.

Das war abends.

Am anderen Morgen finden wir Berndt in seiner im ersten Stock gelegenen Amts- und Gerichtsstube, einem großen Eckzimmer, von dem aus, nachdem eine Seitentür vermauert worden war, nur ein einziger Ausgang auf den Korridor führte. An ebendiesem Korridor lagen auch die Fremdenzimmer.

Die Amts- und Gerichtsstube zeigte nur weniges, was der Feierlichkeit ihres Namens entsprochen hätte. Sie war eine Schreib- und Arbeitsstube wie andere mehr, in die sich Berndt namentlich um die Sommerzeit, wenn die beiden großen Fenster von Spalierwein überwachsen waren, gern zurückzog. Es war dann hier luftig und schattig, und in dem dichten Weinlaub zwitscherten die Vögel und sahen in das geräumige Zimmer hinein. Denn geräumig war es geblieben, trotzdem es an Urväterhausrat, an Regalen mit Büchern und Akten, an eisenbeschlagenen Truhen und einem altmodischen, bis fast an die Decke reichenden Kachelofen nicht fehlte. Eine der Truhen stand rechts neben der Tür und hatte ein Vorlegeschloß, während auf den Simsen der Regale, in chaotischem Durcheinander, wendische Totenurnen und italienische Alabastervasen, zwei Dragonerkasketts und eine in rötlichem Ton ausgeführte Porträtbüste Friedrich des Großen standen. Man sah deutlich, es fehlte der Schönheits- und Ordnungssinn. Es hatte sich zusammengefunden; weiter nichts.

An dem mit allerhand Schriftstücken überhäuften Schreibtische, dessen eine Schmalseite den Fensterpfeiler berührte, saß Berndt, einen großen Bogen Kartenpapier vor sich, den er, mit Hilfe von Lineal und Reißfeder, in Rubriken teilte. Er begann eben die nötigen Überschriften zu machen, als er draußen auf der Besendecke ein sorgliches Putzen und gleich darauf ein Klopfen an der Türe hörte, leise genug, um artig, und laut genug, um nicht ängstlich zu sein.

»Herein!« Es war der Erwartete.

»Guten Tag, Kniehase. Auf die Minute. Das sitzt uns Alten nun einmal im Blut. Die Jungen sind nicht mehr dazuzubringen. Nehmen Sie Platz, da, den Stuhl am Ofen, und nun rücken Sie heran.«

Der so Begrüßte legte Hut und Handschuh auf die große Truhe mit dem Vorlegeschloß und tat im übrigen, wie ihm geheißen.

»Ich habe Sie rufen lassen, Kniehase«, nahm Berndt wiederum das Wort, »weil etwas geschehen muß. Und Sie sind der Mann, den ich brauche. Aber ich will nicht vorgreifen. Erst das Nächstliegende. Sie haben von dem Überfall gehört, der unserer alten Hexe fast das Leben oder doch die Geldtasche gekostet hätte.«

Kniehase nickte.

»Fünfhundert Schritt vom Dorf, auf offener Straße, der Abend kaum angebrochen. Und wenn dies alleinstände! Aber in einer Woche der dritte Fall. Am Heiligen Abend dem Golzower Schmidt die Kuh aus dem Stall getrieben, am zweiten Feiertage dem Manschnower Müller die Dielen aufgebrochen, gestern Hoppenmarieken fast gewürgt. Wohin sind wir gekommen?«

»Es ist Quappendorfer Gesindel, gnädiger Herr. Miekley war am dritten Feiertag in Frankfurt, er sah noch, wie sie Paschken und Pappritzen einbrachten.«

»Nicht doch, Kniehase. Das ist es eben, was mich reizt und ärgert, dieses törichte Zugreifen ohne Sinn und Verstand. Immer dieselben armen Teufel, in fünf von sechs Fällen müssen sie wegen fehlenden Beweises wieder entlassen werden, und das heißt Justiz! Es ist zum Erbarmen. Und das alles aus Bequemlichkeit; die Gerichtsherren wollen nicht denken, und die Schulzen wollen nichts tun. Von den Bauern sprech' ich gar nicht; sie löschen immer erst, wenn das eigene Dach brennt. Das muß aber anders werden, und wir müssen anfangen. Unsere Hohen-Vietzer sind die besten. Kein Kolonistenpack, das über Nacht reich geworden. Nichts für ungut, Kniehase, Sie sind selbst ein Pfälzer.«

Kniehase lächelte. »Gnädiger Herr haben ganz recht, die alten Wendischen sind besser; störrig, aber zäh und zuverlässig.«

»Und gescheit dazu, sonst hätten sie den Neu-Barnimer Pfälzer nicht zum Hohen-Vietzer Schulzen gemacht. Das ist mein alter Satz. Aber nun horchen Sie auf, Kniehase: was Sie Quappendorfer Gesindel nennen, ist fremdes Volk, Franzosen.«

»Nicht doch, gnädiger Herr. Ich war eben mit bei Pastor Seidentopf heran. Die Franzosen, so meint er, stehn oben an der Grenze, und wenn es hoch kommt, an der Weichsel.«

»Es ist so. Und doch hab' ich recht. Ich spreche nicht von der kleingewordenen ›Großen Armee‹, nicht von den aus Moskau herausgeräucherten Korps, die jetzt wie Novemberfliegen über die weiße Wand kriechen, ich spreche von dem kleinen verzettelten Zeug, das hier an fünfzig Plätzen zurückgelassen wurde: ein paar Tausend in Küstrin, fünftausend in Stettin, die meisten aber stecken in den kleinen polnischen Nestern. Wie weit ist es bis an die Grenze?«

»Zehn Meilen, wie die Krähe fliegt.«

»Da haben Sie es, Kniehase. Dieses verzettelte Zeug, das nicht in Festungen untergebracht werden konnte, das läuft jetzt weg wie Wasser, wenn die Reifen von der Tonne fallen. Neapolitaner, Würzburger, Nassauer, das hält ohnehin nicht zusammen. Und wenn erst mal das eiserne Band fehlt, so ist nur ein Schritt noch vom Soldaten- bis zum Räuberleben. Was hier herumspukt, sind Deserteure aus dem Polnischen, vielleicht auch Marodeurs von den Zuzugsregimentern, die der Kaiser jetzt als vorläufige kleine Münze in allen Taschen Deutschlands zusammenkratzt. Und mit diesem Gesindel, ob aus Polen oder sonstwoher, müssen wir ein Ende machen; zum wenigsten darf es uns nicht über den Kopf wachsen. Und kommen dann die Reste von der Großen Armee heran, heute hundert und morgen tausend, so haben wir's bei den Einern und Zehnern gelernt. ›Wer das Kleine nicht achtet, ist des Großen nicht wert‹, so sagt das Sprichwort. Also vorwärts! Und je eher, je lieber.«

Der Hohen-Vietzer Schulze reckte sich in die Höhe und schien antworten zu wollen, aber der Gutsherr hatte sein letztes Wort noch nicht gesprochen.

»Was ich meine, Kniehase, ist das: wir müssen uns fertigmachen; Landsturm, Dorf bei Dorf.«

»Und wenn dann der König ruft...«

»So sind wir da«, ergänzte Berndt, zugleich mit scharfer Betonung hinzufügend: »Und wenn er uns nicht ruft, so sind wir auch da. Und das ist es, Kniehase, weshalb ich Sie habe rufen lassen.«

»Es geht nicht ohne den König.«

Der alte Vitzewitz lächelte. »Es geht; die Zeiten wechseln. Es gibt Zeiten des Gehorchens und Abwartens, und es gibt andere, wo zu tun und zu handeln erste Pflicht ist. Ich liebe den König; er war mir ein gnädiger Herr, und ich habe ihm Treue geschworen, aber ich will um der beschworenen Treue willen die natürliche Treue nicht brechen. Und diese gehört der Scholle, auf der ich geboren bin. Der König ist um des Landes willen da. Trennt er sich von ihm, oder läßt er sich von ihm trennen durch Schwachheit oder falschen Rat, so löst er sich von seinem Schwur und entbindet mich des meinen. Es ist ein schnödes Unterfangen, das Wohl und Wehe von Millionen an die Laune, vielleicht an den Wahnsinn eines einzelnen knüpfen zu wollen; und es ist Gotteslästerung, den Namen des Allmächtigen mit in dieses Puppenspiel hineinzuziehen. Wir haben drüben gesehen, wohin es führt; zu Blut und Beil. Weg mit dieser Irrlehre, von höfischen Pfaffen großgezogen; es ist Menschensatzung, die kommt und geht. Aber unsere Liebe zu Land und Heimat, die dauert wie das Land selber.«

Kniehase schüttelte den Kopf. »Es geht nicht ohne den König«, wiederholte er. »Der gnädige Herr sind hier geboren und kennen das Bruch und seine Bauern. Aber, mit Permission, ich kenne die Bauern besser. Der König ist ihnen alles. Der König hat ihnen das Bruch eingedeicht, der König hat ihnen die Kirchen gebaut, der König hat ihnen die Gräben gezogen. So wissen sie es von Vater und Großvater her, und so wissen sie es von sich selber. Wenn ich mit Kallies und Kümmritz und den anderen Ganzbauern drüben bei Scharwenka sitze, so ist ›der Alte Fritz‹ das dritte Wort. Er ist ihr Herrgott, und sie sprechen von ihm, als wenn er noch lebte. Nur eins ist dem Bauer noch mehr ans Herz gewachsen: sein Haus und Hof.«

»Und um Haus und Hof willen soll er jetzt die Waffe in die Hand nehmen. Es ist nicht das erstemal in diesem Lande. Als der Schwede jenseits der Elbe in der Altmark hauste, haben sich die Bauern aufgemacht, ohne viel zu fragen. Und das ist es, was sie wieder sollen.«

»Ich weiß davon«, antwortete Kniehase, »es waren Drömlinger Bauern. Aber sie hatten Fahnen, darauf geschrieben stand:

Wir sind Bauern von geringem Gut
Und dienen unserm Kurfürsten und Herrn mit unserm Blut.«

Der alte Vitzewitz, der sich seines Schulzen und der Zähigkeit freute, mit der er seine Sache zu führen wußte, gab ihm die Hand und sagte: »Eine solche Fahne, Kniehase, wollen wir auch haben, und wir wollen sie hoch in Ehren halten. Aber wenn uns der König diese Fahne verbietet, so müssen wir sie tragen auch ohne seinen Namen, um des Landes willen, und dieser Rechtstitel ist nicht der schlechteste. Denn unser Land ist unsere Erde, die Erde, aus der wir selber wurden.«

Kniehase schüttelte wieder den Kopf. »Die Erde tut es nicht, gnädiger Herr.«

»Doch, Kniehase«, fuhr Berndt fort, »die Erde tut es, muß es tun, weil sie unser Erstes und Letztes ist. Und, irdisch gesprochen, auch unser Bestes. Wir sind Erde, und wir sollen wieder Erde werden, und das ist es, was uns die Erde so teuer macht. Ein jeder ahnt es von Anfang an, aber das rechte Wissen davon, das kommt uns erst, das will erfahren sein. Ich hab' es erfahren. Sie waren dabei, Kniehase, wie wir den Sarg hinauftrugen; Sie wissen schon, welchen. Es war Winterzeit, und der Schnee fiel. Als aber der Schnee schmolz und im März der erste Krokus kam, da hab' ich die Erde da oben, die mein Glück barg, mit meinen Lippen berührt und immer wieder berührt. Und seit dem Tage weiß ich, was eine teure und geliebte Erde ist.«

Berndt fuhr bei dieser Erinnerung mit der Hand über Augen und Stirn.

Kniehase wußte wohl, warum, aber er wollt' es nicht wissen, denn er war eine schamhafte Natur und sah stumm vor sich hin.

»Das war im Frühjahr anno sieben«, nahm der alte Vitzewitz nach kurzer Pause wieder das Wort, »ich sollt' es aber noch besser erfahren. Ich hatte noch nicht ausgelernt, was Erde sei. Es war um dieselbe Zeit, Sie entsinnen sich, Kniehase, daß sie den Kyritzer Kämmerer, der so unschuldig war wie Sie und ich, vor eins ihrer feigen und feilen Kriegsgerichte stellten und ihn aburteilten und niederschossen. Was sage ich: ›niederschossen‹? Hinwürgen war es. Denn so schlecht wie das Urteil, so schlecht war seine Vollstreckung. Er lag am Boden, der unglückliche, tapfere Mann, und konnte nicht sterben. Da sprang ein mitleidiger Westfale vor und schoß ihm ins Herz: ›Aus Liebe zu dir, du unschuldig Blut, will ich dir zum Tode helfen.‹«

Kniehase nickte. Er entsann sich des Hergangs, der damals alles mit Entsetzen erfüllt hatte.

»Sehen Sie, Kniehase, von dem Tage an hörte ich immer die fünf Schüsse, und mir war, als fühlte ich sie an meinem eigenen Herzen. Ich hatte keinen Schlaf mehr, aber ich wußte, was mich ruhig machen würde, und endlich macht' ich mich auf in die Priegnitz. Als ich in der kleinen Stadt ankam, fragt' ich nach und ließ mich hinausführen. Es war vor einem der Tore, eine Pappelallee und ein wüstes Feld daneben. Da schickt' ich das Kind wieder fort, das mich hinausbegleitet hatte, und als ich nun allein war, da warf ich mich nieder an den Hügel und riß eine Handvoll Erde heraus und hob sie gen Himmel. Und mein Herz war voller Haß und voller Liebe. Da hab' ich zum anderenmal erfahren, was Erde ist, Heimaterde. Es muß Blut drin sein. Und überall hier herum ist mit Blut gedüngt worden; bei Kunersdorf ist eine Stelle, die sie das ›Rote Feld‹ nennen. Und das alles soll preisgegeben werden, weil ein König nicht stark genug ist, sich schwacher Ratgeber zu erwehren? Nein, Kniehase, mit dem König, solange es geht, ohne ihn, wenn es sein muß.«

Berndt schwieg. In diesem Augenblick klopfte es, und der eintretende Jeetze übergab einen Brief, großes Format mit großem Siegel. Berndt erkannte Turganys Handschrift. Er überflog den Inhalt und las dann laut: »Ich bitte Sie, hochverehrter Herr und Freund, in Ihrer Umgegend, vielleicht auch auf dem Forstacker, recherchieren zu lassen. Alles deutet darauf hin, daß die Sippschaft, die wir suchen, irgendwo zwischen Hohen-Vietz und Manschnow steckt. Wir haben heute ein zweites Verhör, der Manschnower Müller ist vorgeladen. Aber es wird nur das Resultat des ersten bestätigen, und unsere zwei herkömmlichen Sündenböcke werden, wie gewöhnlich, wieder entlassen werden müssen. Ich behalte mir weitere Mitteilung für die nächsten Tage vor. Ihr Turgany.«

Berndt lachte. »Sie sehen, Kniehase, Transport und Gefangenenkost sind abermals vergeudet. Aber Turgany ist auf falscher Fährte. Hier herum sitzen sie nicht. Es wird sich zeigen, wo. Wer brachte den Brief, Jeetze?«

»Konrektor Othegraven.«

»Ist er noch da?«

»Ja, Fräulein Renate hat ihn hereingebeten. Sie sind mit dem anderen gnädigen Fräulein im Wohnzimmer.«

»Ich lasse den Herrn Konrektor bitten.«

Jeetze ging, der Schulze wollte folgen.

»Nein, Kniehase, Sie bleiben, ich will mir den Sukkurs, den mir ein glücklicher Zufall schickt, nicht entgehen lassen.«

Gleich darauf trat der Konrektor ein, von Berndt mit besonderer Freundlichkeit empfangen. Einige kurze Begrüßungsworte wurden gewechselt. Dann fuhr der Hohen-Vietzer Gutsherr fort: »Ich will Sie, lieber Othegraven, nicht mit Aufträgen an Turgany belästigen, wir haben morgen ohnehin Frankfurter Botentag. Aber gegen meinen alten Kniehase hier möcht' ich mich Ihrer versichern. Er will mich im Stich lassen, er kennt in diesem königlichen Lande Preußen kein anderes Losschlagen, als was von obenher gebilligt worden ist. Seidentopf stimmt ihm zu. Auch Sie?«

»Nein und dreimal nein«, antwortete Othegraven, »und ich schätze mich glücklich, endlich einmal statt vor tauben Ohren vor einem gleichgestimmten Herzen Zeugnis ablegen zu können.«

Kniehase, der die strengkirchliche Richtung des Konrektors kannte, horchte auf; Othegraven selbst aber fuhr fort: »Es ist ein königliches Land, dieses Preußen, und königlich, so Gott will, soll es bleiben. Es haben es große Fürsten aufgebaut, und der Treue der Fürsten hat die Treue des Volkes entsprochen. Ein Volk folgt immer, wo zu folgen ist; es hat dem unseren an freudigem Gehorsam nie gefehlt. Aber es ist fluchwürdig, den toten Gehorsam zu eines Volkes höchster Tugend stempeln zu wollen. Unser Höchstes ist Freiheit und Liebe.«

Berndt war im Zimmer auf und ab geschritten. Er stellte sich vor Othegraven: »Ich wußt' es. So sind wir einig, und ich darf auf Sie rechnen. Dieser Moment, der nicht wiederkommt, darf nicht versäumt werden. Ist man an oberster Stelle verblendet genug, sich der Waffe, die wir schmieden, nicht bedienen zu wollen, nun, so führen wir sie selbst.«

»So führen wir sie selbst«, wiederholte Othegraven. »Aber der Bruch, den wir fürchten, er wird sich nicht vollziehen. Es kommen andere, bessere Tage. Die Schwäche wird der Entschlossenheit weichen, und das sicherste Mittel, dahin zu wirken, ist, daß wir selber Entschlossenheit zeigen. Es ist, wie ich wohl weiß, ein Mißtrauen da in unsere Kraft, selbst in unseren guten Willen. Zeigen wir dem König, daß wir für ihn einstehen, auch wenn wir ihm widersprechen. Auch die Schillschen setzten sich in Widerstreit mit seinem Willen und starben doch unter dem Rufe: ›Es lebe der König‹. Es gibt eine Treue, die, während sie nicht gehorcht, erst ganz sie selber ist.«

Kniehase sah vor sich hin. Er fühlte den Boden, auf dem er stand, erschüttert, aber noch war er nicht besiegt.

»Ich habe meinen Eid geschworen«, sagte er, »um ihn zu halten, nicht, um ihn zu brechen oder auszulegen. Die Obrigkeit ist von Gott. Aus der Hand Gottes kommen die Könige, die starken und die schwachen, die guten und die schlechten, und ich muß sie nehmen, wie sie fallen.«

»Aus der Hand Gottes«, rief jetzt Berndt, »kommen die Könige, aber auch viel anderes noch. Und gibt es dann einen Widerstreit, das letzte bleibt immer das eigene Herz, eine ehrliche Meinung und – der Mut, dafür zu sterben.«

»Es ist so, Schulze Kniehase«, nahm Othegraven wieder das Wort, » und sich entscheiden ist schwerer als gehorchen. Schwerer und oft auch teurer. Ihr Gutsherr hat recht. Sehen Sie sich um, das Ganze versagt den Dienst; überall fast ist es der einzelne, der es wagt. Ein Mann wie Sie, Kniehase, war auch der Hofer, treu wie Gold. Aber als sein Kaiser Frieden machte, da sagte der Sandwirt: ›Der Franz'l hat's gemußt, ich muß es nicht; ich halt' ihm dies alte Land Tirol.‹ Und als er so sprach und handelte, da brach er seinem Kaiser den Frieden und war schuldig bei Freund und Feind. Er hat es mit dem Tode bezahlt. Aber glauben Sie, Kniehase, daß der Kaiser, wenn er den Namen Hofer hört, an Eidbruch und Untreue denkt? Nein, das Herz schlägt ihm höher, und gesegnet Land und Fürst, wo die Liebe lebendig ist und auf sich selber mehr hört als auf Amtsblatt und Kommandowort.«

Kniehase war jetzt aufgestanden. Er streckte Berndt seine Hand entgegen. »Gnädiger Herr, ich glaube, der Konrektor hat es getroffen. Sich entscheiden ist schwerer als gehorchen. Ich habe mich entschieden. Wir machen uns fertig hier herum, und wir schlagen los, ohne nach ›ja‹ oder ›nein‹ zu fragen. Denn fragen macht Verlegenheit. Es darf keiner über die Oder. Und kommt es anders, und soll uns dies fremde Volk auf ewig unter die Füße treten, nun, so geb uns Gott Kraft, zu sterben, wie Hofer und die Schillschen gestorben sind.«

»Das dank' ich Ihnen, Othegraven«, sagte Berndt, »ich allein hätte meinen Schulzen nicht bezwungen. Ich hoffe, wir sehen uns jetzt öfter. Der Plan ist mit Graf Drosselstein durchgesprochen. Ein Netz über das Land. Lebus beginnt; wir sind die Vorhut. Hier zwischen Frankfurt und Küstrin treffen die großen Straßen zusammen. Ich zähle die Stunden, bis es sich entscheidet.«

Sie blieben noch eine Weile; dann verabschiedeten sich der Konrektor und Kniehase und schritten die Treppe hinunter, über den Flur. Hektor, unter Zeichen besonderer Freude, als er den Schulzen sah, begleitete beide Männer über den Hof.

Sie nahmen ihren Weg auf den Scharwenkaschen Krug zu, immer noch in lebhaftem Gespräch. Doch schien es andere Fragen als Krieg und Landsturm zu betreffen. Sie trennten sich erst, nachdem sie die Front des Krügergehöftes wohl ein dutzendmal ausgemessen hatten.

Als des Konrektors kleines Fuhrwerk wieder auf der Frankfurter Straße südlich trabte, saß Schulze Kniehase bei seiner Frau. Sie plauderten lange, und wiewohl Frau Kniehase Verschwiegenheit gelobte, war doch vor Ablauf des Tages alles Geplauderte in Hohen-Vietz herum.

Nur eine wußte nichts davon, sie, die der Gegenstand dieses Plauderns gewesen war.


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