Theodor Fontane
Vor dem Sturm
Theodor Fontane

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Fünftes Kapitel
Letztwillige Bestimmungen

Der nächste Abend sah unsere Freunde wieder im Halbkreis um den Hohen-Vietzer Kamin her. Es war so ziemlich dasselbe Bild wie am ersten Weihnachtsfeiertage, nur der Christbaum fehlte und mehr noch die Heiterkeit, die damals das Spiel mit den goldenen Nüssen begleitet hatte. Die Schorlemmer strickte wieder an ihrem Vlies, Renate, einen Kreppstreifen vor sich, nähte an einer Trauerrüsche, und Lewin – immer noch unter der Nachwirkung seiner Krankheit oder doch der Anstrengungen des gestrigen Tages – sah abgespannt vor sich hin und spielte gleichgültig mit einem Tannapfel, den er aus dem neben ihm stehenden Holzkorb genommen hatte. Nur Marie war bemüht, durch allerlei Fragen ein Gespräch einzuleiten, aber es blieb bei kurzen Antworten.

Die kleine Uhr auf dem Kaminsims schlug acht. In diesem Augenblick meldete Jeetze den Pastor, der gleich darauf eintrat. Jeder bezeigte herzliche Freude, die sich bei Renaten in allerhand kleinen Neckereien äußerte. Es sei nicht gut, wenn der Hirt seine Herde verlasse; schon vier Stunden seien zu viel, und nun gar vier Tage! Nun sei der Wolf eingebrochen: Uhlenhorst in Person.

»Ich weiß«, sagte Seidentopf. »Und wer begab sich freiwillig in die Gefahr? Wer war wieder mit dabei?«

»Natürlich wir. Aber wir sind diesmal ungeschädigt davongekommen. Und nicht bloß wir, auch der Zehdensche Amtmann ließ ihn im Stich, als er beständig wiederholte: ›Wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen.‹ Er konnte schon in den Weihnachtstagen von diesem Spruche nicht los, und nun wurd' es jedem zuviel. Er vergißt immer, daß er zu alten Soldaten spricht. Er ist ein Lauenburger oder aus dem Eutinschen, und wenn ich ihn so höre, so bedünkt es mich immer, als ob jede andere Provinz auch ein anderes Christentum hätte. Aber das führt uns in Streit; ich sehe Tante Schorlemmer schon ungeduldig werden. Also nichts mehr davon. Und nun nehmen Sie Platz, teuerster Pastor, hier ist Ihr Stuhl, zwischen Marie und mir. Und nun erzählen Sie.«

»Wovon?«

»Von all und jedem, aber zuerst von Guse, denn wir wissen so gut wie nichts. Papa war nur einmal hier, und das war, als wir noch in Bohlsdorf waren. Also bitte, alles ist neu für uns. War es feierlich? War der Sarg offen oder geschlossen? Ach, ich hätte mich totgeängstigt, so stundenlang neben dem offenen Sarge zu stehen. Wer hielt die Rede? Wer war da?«

»Alle, der ganze Freundeskreis: Bamme, Drosselstein, Krach, der Protzhagener Hauptmann in seiner alten Uniform vom Regiment Pirch – keiner fehlte. Auch Faulstich war da, mit einer Art Kantate, die, wenn Nippler seine Komposition beendet haben wird, am zweiten oder dritten Sonntag in der Guser Kirche gesungen werden soll. Unser Kirch-Göritzer Doktor hatte vorläufig die Textesstrophen drucken lassen und überreichte jedem von uns ein Blatt.«

»Eine Kantate«, sagte die Schorlemmer. »Und von Faulstich! Das wird ein rechter Heidenspuk gewesen sein, von Anfang bis zu Ende. Nichts von Grab und Tod und noch weniger von Auferstehung. Bloß Unterwelt und Schatten und ein Dutzend griechischer Götternamen!«

»Doch nicht, liebe Schorlemmer«, erwiderte Seidentopf. »Sie tun ihm unrecht. Es ist nichts Christliches, was er geschrieben hat, aber auch nichts Anstößiges. Dazu hat er zuviel Takt. Übrigens hab' ich das Blatt mitgebracht, und unsere Damen mögen entscheiden.« Damit nahm er ein schwarzgerändertes Papier aus der Brusttasche und gab es Lewin, der es apathisch auseinanderfaltete und nach kurzem Besinnen, ohne den Inhalt auch nur überflogen zu haben, weiterreichte.

»Lies du, Renate.« Und Renate las:

Am Grabe
der Gräfin Amelie von Pudagla,
geb. von Vitzewitz
      Die du Niedres gemieden
In hohem Sinn,
Du bist nun geschieden;
Wohin, wohin?

Wohin? So klingen
Der Fragen viel;
Warum sie lösen, bezwingen?
Du bist am Ziel.

Das Beste hienieden,
Du hast es erreicht:
Du hast den Frieden.
Sei dir die Erde leicht.

Eine kurze Pause folgte. Dann sagte die Schorlemmer: »Es ist nicht anstößig, weil es nicht spöttisch ist. Aber, teuerster Pastor, einem christlichen Herzen gibt es doch Anstoß genug. Er fragt: ›Wohin?‹ und weiß die Antwort nicht. Gott sei Dank, ich weiß sie.«

Seidentopf, der einer von den Allerweltsadvokaten war und immer etwas zu verteidigen fand, wollte auch diesmal zugunsten Faulstichs eintreten, Renate aber, die mittlerweile wahrgenommen hatte, daß auch die Rückseite der an Ausdehnung und Gläubigkeit gleich kurzgehaltenen Kantate mit Bleistiftzeilen überkritzelt war, ließ es zu keiner pastoralen Entgegnung kommen und bemerkte nur, indem sie mit ihrem Zeigefinger über das Gekritzel hinfuhr: »Ich wette, teuerster Prediger, daß wir hier, auf der Rückseite des Blattes, bereits Ihren kritischen Kommentar haben. Hab' ich recht?«

»Nein, liebe Renate«, antwortete Seidentopf. »Ich bin überhaupt unkritisch, wie Turgany versichert. Auf manchem Gebiete vielleicht weniger, als er annimmt, aber doch gewiß unkritisch auf dem Gebiete der Kantate. Ich käme in Verlegenheit, wenn ich überhaupt nur feststellen sollte, was eine Kantate sei.«

»Nun, wenn keinen Kommentar, was enthalten diese Zeilen dann?«

»Letztwillige Bestimmungen der Guser Tante. Nicht ihr eigentliches Testament – ein solches hat sich überhaupt nicht vorgefunden –, aber eine Art Begräbnisprogramm. Es fand sich unter anderen Papieren auf ihrem Schreibtisch, und ich habe mir, mit des Papas Erlaubnis und natürlich unter Weglassung einiger französischer Einschiebsel, in aller Eile eine Abschrift davon genommen.«

»Oh, das müssen wir hören«, rief Renate mit Lebhaftigkeit. »Aber es ist Augenpulver und gar nicht zu entziffern. Da müssen Sie selber aushelfen.«

»Gern«, erwiderte Seidentopf, »und um so lieber, als genau nach dem Inhalte dieses Programms verfahren wurde. Ebendiese Bestimmungen sind die beste Beschreibung, die ich Ihnen von dem Begräbnis selber geben kann.«

»Nun, so lesen Sie«, bat Renate.

Lewin und Marie stimmten mit ein, und nur die Schorlemmer sagte: »Was werden wir da wieder hören müssen!«

Dann nahm Seidentopf das Blatt zurück und begann ohne weitere Säumnis oder Vorrede:

 
»Bei meinem Ableben einzuhaltende Bestimmungen.

Ich fürchte den Tod. Aber diese Furcht hält mich nicht ab, ihm ins Gesicht zu sehen. Er ist das Unvermeidliche. Und so bestimme ich, Amelie von Pudagla, geb. von Vitzewitz, in nachstehendem wie folgt:

Erstens. Ich will in meiner Witwentracht in einen Sarg von Zedernholz gelegt und sodann aufgebahrt in die große Halle gestellt werden, da, wo der Faun steht. Dieser muß sich, solang es dauert, an einem andern Orte behelfen.«

»Da wo der Faun steht«, wiederholte die Schorlemmer und klapperte mit ihren Nadeln.

Seidentopf fuhr fort:

»Zweitens. Den vierten Tag, bei Sonnenuntergang, will ich begraben werden, aber nicht in der Kirche, auch nicht in der angebauten Derfflingergruft, sondern im Guser Schloßpark, und zwar in dem kleinen Zedernhain, den sie Neulibanon nennen.

Drittens. Es soll auf dem Wege vom Schlosse bis in den Park, unter Vorantritt Nipplers, von allen Dorfkindern das Lied: ›Was Gott tut, das ist wohlgetan‹, gesungen werden. Aber nicht: ›O Haupt voll Blut und Wunden‹. Dies verbiete ich ausdrücklich.«

Alle schienen von dieser Bestimmung überrascht und sahen sich untereinander an, schwiegen aber. Nur die Schorlemmer sagte: »Mein Gott, was ihr das schöne Lied nur getan hat! Ich hätte keine Ruh' im Grabe, wenn ich so was in meinem Letzten Willen niedergeschrieben hätte. Renate, Kind, daß du mir dafür sorgst, daß das Lied gesungen wird. Ich meine bei mir.«

»Ich werd' es, liebe Schorlemmer. Aber hören wir weiter.«

» Viertens. Am Grabe soll der Prediger eine kurze Ansprache halten, und dabei soll er mich nicht loben wegen dessen, was ich auf Erden gewesen bin oder getan habe, vielmehr soll er nur sagen, daß mir alles Versteckte, Unklare und Erheuchelte all mein Lebtag zuwider gewesen ist. Dies soll er sagen nicht mir zum Ruhme, sondern weil es die Wahrheit ist.

Fünftens. Es soll ein Granitblock auf mein Grab gelegt und seinerzeit eine Metalltafel mit folgender Grabinschrift eingelegt werden:

L'éloge ou le blâme ne touchent plus celui
Qui repose dans l'éternité.
L'espérance embellit ma vie et m'accompagne en mourant.

Sechstens. Faulstich, dem ich mein Miniaturbild mit der Rubineneinfassung hinterlasse, soll eine Kantate dichten, und Nippler (der ein Douceur von zehn Dukaten empfängt) soll diese Kantate komponieren. Sie mag, je nach Befinden, am Grabe oder aber in der Guser Kirche am dritten Sonntage nach meinem Begräbnis gesungen werden.

Siebentens. Am dritten Tage nach meiner Beisetzung und dann alljährlich an meinem Todestage sollen die Schulkinder gespeist und zwölf Dorfarme neu gekleidet werden.

Achtens. Mit Ausführung dieser Bestimmungen betraue ich meinen Bruder Berndt von Vitzewitz, ehemals Major im Dragonerregiment von Knobelsdorff, Erbherr auf Hohen-Vietz.«

Seidentopf, als er gelesen, faltete das Blatt wieder zusammen, und die Schorlemmer, ohne von ihrer Arbeit aufzusehen, murmelte vor sich hin: »Da kommt selbst Faulstich wieder zu Ehren.«

Lewin lächelte. Er hatte sich schon vorher von Paragraph zu Paragraph immer mehr erheitert und sagte jetzt ruhig: »Du hattest immer deinen kleinen Krieg mit der Tante drüben. Solange sie lebte, war das gut; nun aber ist sie tot, das ändert viel, und ich glaube, wir müssen sie schließlich gelten lassen.«

Die Schorlemmer schüttelte den Kopf.

»Du schüttelst den Kopf«, fuhr Lewin fort, »aber das überzeugt mich nicht. In allem, worin sie uns mißfiel, hat sie sich jetzt an anderer Stelle zu verantworten; sie weiß jetzt mehr als wir und ist unserem Urteil in allem, was jenseits liegt, entrückt. Unsere Meinung über sie hat sich nur noch auf das zu beschränken, was sie diesseits war und bedeutete. Und das hatte sein Gewicht. Gewiß, ihre Schwäche war der Glaube, aber ihre Stärke war der Mut. ›Ich marchandiere nicht‹, pflegte sie zu sagen. Und alles, was wir eben gehört haben, führt uns den Beweis, daß sie sich bis zuletzt nicht handeln ließ und sich und ihrem Unglauben treu zu bleiben verstand.«

Lewins blasses Gesicht hatte sich, während er sprach, gerötet. Als er jetzt schwieg, erklärte Seidentopf seine volle Zustimmung. Ein solches tapferes Bekenntnis des Unglaubens, alles Ausharren bis ins Angesicht des Todes hinein, habe seinen Beifall und sei ihm viel, viel lieber als das Angstchristentum beispielsweise Baron Pehlemanns, der bei jedem Gichtanfall begierig nach der Bibel greife und sie wieder zuklappe, wenn der Anfall vorüber sei.

Niemand war überrascht, solchen Äußerungen aus dem Munde Seidentopfs zu begegnen. Auch die Schorlemmer nicht. Aber wenn sie nicht überrascht war, so war sie doch noch weniger einverstanden damit.

»Ausharren!« wiederholte sie lebhaft, »wenn es ein solches gewesen wäre! Aber, teuerster Pastor, es war kein Ausharren und am wenigsten ein Ausharren bis in den Tod. Ich habe die Tante gekannt und las in ihrem Herzen. Das war ihr lästig. Ein tapferes Bekenntnis des Unglaubens! Ach, wie Sie sie verkennen. Sie schrieb das nieder nicht in der Tapferkeit, sondern in der Eitelkeit ihres Herzens und freute sich der Vorstellung, mit welch erstaunten Augen das alles einst nach ihrem Tode gelesen werden würde. Von Bamme, von Krach und vielleicht auch von dem langen Hauptmann. Aber der Tod war noch nicht da. Wär' er dagewesen, von Angesicht zu Angesicht, sie hätte diese Zeilen nicht geschrieben, dessen bin ich gewiß. Sie hatte Mut, aber bloß den Lebens-, nicht den Todesmut.«

Jeetzes Eintreten unterbrach das Gespräch. Er erschien mit einem Tablett, auf dem kleine bemalte Tellerchen und ein altmodischer, silberner Obstkorb standen. Da niemand gewillt schien, den Platz am Kamin aufzugeben, so wurde das Tablett auf ein rundes, mit Tulaer Arbeit ausgelegtes Tischchen gestellt und dieses Tischchen in den Halbkreis hineingeschoben. Marie, deren Hände frei waren, machte die Wirtin und schälte das Obst.

Allmählich, während der Teller von Hand zu Hand ging, begann das Gespräch wieder, wandte sich aber, da Friedensschlüsse, wie jeder wußte, nicht wohl möglich waren, anderen Gegenständen zu.

Natürlich behielt Seidentopf das Wort; war er doch, seines Aufenthaltes bei Graf Drosselstein ganz zu geschweigen, unmittelbar nach dem Guser Begräbnis einen Tag lang in Küstrin gewesen und hatte während dieses Tages vieles gesehen und noch mehr gehört. Ein besonderes Interesse weckten seine Mitteilungen über die von Tag zu Tag sich mehrenden Desertionen, die freilich, wie Seidentopf hinzusetzte, nicht überraschen dürften, da die Hälfte der Garnison aus Westfalen unter dem Kommando des Generals von Füllgraf bestünde, eines alten Haudegens, der selber, wie man in der Bürgerschaft wohl wisse, aus dem Konflikt zwischen seinem deutschen Herzen und seinem französischen Eide nicht herauskäme. Auch seine Leute wüßten es und gingen deshalb in ganzen Trupps auf und davon. Andere, die vorläufig noch aushielten, hätten ihm einen Vers an die Türe geklebt, der habe gelautet:

Füllgraf bist du? Sage nein,
Fülle nicht des Feindes Reih'n.
Führ' uns! Vollgraf sollst du sein!

Der alte Füllgraf selber, schon um nicht persönlich in Verdacht zu kommen, als sympathisiere er mit den Unzufriedenen, habe bei General Fournier, seinem Oberkommandanten, Anzeige von diesem Vorfalle gemacht und auf Untersuchung angetragen, aber die Untersuchung habe nichts ergeben, und die Desertionen hätten sich nur gemehrt. Der letzte Trupp sei siebzehn Mann stark gewesen und habe sich auf Kirch-Göritz zu davongemacht. Das sei nun drei Tage. Auf dem »Hohen Kavalier« hätten sie dann freilich die Alarmkanone abgefeuert, aber wozu? Die Bürger hätten gelacht und die Franzosen auch. Denn diese hörten von nichts anderem mehr als von »Volksbewaffnung« und wären natürlich klug genug, einzusehen, daß dieselben Bauern, die jetzt einen Aufstand vorhätten, nicht Lust haben könnten, die Schergen zu spielen und Deserteure zu fangen und abzuliefern.

Hier unterbrach Lewin den Pastor, um sich nach dem Stande der Landsturmorganisation zu erkundigen, und erfuhr nun mit vielen Details, welche Fortschritte die Volksbewaffnung im Laufe der letzten drei Wochen gemacht habe. Anfangs sei Hohen-Vietz an der Spitze gewesen; die fast achttägige Abwesenheit Berndts aber habe zu kleinen Hemmnissen geführt, so daß jetzt Drosselstein voraus sei und vor allem Rutze. Er wisse das von Bamme selbst, mit dem er am Begräbnistage einen Spaziergang durch den Guser Park gemacht habe. Dieser Spaziergang sei überhaupt sehr angenehm gewesen, denn es plaudere sich gut mit dem Alten. Daß er nicht in die Groß-Quirlsdorfer Kirche zu bringen sei, oder doch nur ausnahmsweise, das sei seines Amtsbruders Sache. Der habe ihn mit seinem Schablonenchristentum herausgepredigt. Und das Schablonenchristentum sei nicht besser als das Pehlemannsche Angstchristentum. Aber gleichviel, sie seien in lebhaftem Gespräch die große Rüsternallee hinaufgegangen und durch den Dohnenstrich zurück, bis sie wieder vor dem Schwanenhäuschen gestanden hätten. Hier hätte Bamme nach dem Eckfenster hinaufgesehen und endlich vor sich hingesprochen:

»Sehen Sie, Seidentopf, es war doch eine merkwürdige Frau. Sie traf es immer, und auch mit diesem Rutze. Ja, da reichen keine hundert Mal, daß ich ihr zugeschworen, den ganzen Rutzeschen Verstand in eine Haselnuß einpacken zu wollen, aber sie gab nicht nach und sagte nur immer wieder: ›Lieber Bamme, der Charakter entscheidet.‹ Und sie hat recht gehabt. Gestern war ich bei ihm in Protzhagen. A la bonne heure. Was er da zusammengebracht und einexerziert hat, ist unsere beste Kompanie. Ein Triumph der Disziplin. Kerle, um den Teufel aus der Hölle zu jagen!«

Über dieses Bammesche Zitat kam Seidentopf nicht hinaus, denn es schlug eben neun, um welche Zeit er regelmäßig in seine Wohnung zurückzukehren liebte; außerdem gefiel ihm heute Lewins Aussehen nicht. So brach er auf, von Marie begleitet, die denselben Heimweg mit ihm hatte.

Als sie den Hof passiert und auch das niedrige Vorderhaus, in dem Krist und der Gärtner wohnten, schon im Rücken hatten, sagte Seidentopf: »Wie fandest du Lewin? Mir gefiel er nicht. Keine dreimal, daß er das Wort nahm. Und wie spitz und abgespannt er aussah.«

»Er sprach wenig«, sagte Marie. »Aber das darf uns nicht wundernehmen. Es war heute zuviel für ihn. Und die gestrige Fahrt. Und nach allem, was er durchgemacht hat an Leib und Seele.«

»So weißt du, was es war?«

Marie nickte. »Es war, was ich vermutete. Kathinka ist fort. Doch was sprech' ich Ihnen davon; Sie werden in Guse davon gehört haben!«

»Ja, Vitzewitz nahm mich beiseite und erzählte mir's; aber auch wenn er geschwiegen hätte, ich hätt' es dem alten Ladalinski von der Stirn gelesen. Er machte den Eindruck eines gebrochenen Mannes.«

»Sie war sein Liebling, aller Menschen Liebling. Und ich glaube fast, ich beneidete sie.«

»Beneide sie nicht, Marie«, sagte Seidentopf, indem er ihr die Hand reichte. »Du hast das bessere Teil erwählt: Demut und den Frieden des Gemütes. In ihm allein ist Glück. Und nun: gute Nacht!«

Und damit trennten sie sich, und der Pastor trat in den Flur seines Hauses und gleich darauf in sein Studierzimmer ein. Hier war alles dunkel, aber die Läden waren noch nicht geschlossen, und der Schnee und die Sterne draußen gaben gerade so viel Licht, als ihm lieb war. Er setzte sich auf das kleine Ledersofa und sah in den winterlich daliegenden Garten hinaus.

»Es kommt doch, wie es kommen soll«, sagte er. »Ich bin dessen gewiß. Und jetzt mehr denn je. Kathinka fort. Das ging über alle Berechnung. Sie war die große Gefahr in meinem Exempel.«

Er wollte dem noch weiter nachhängen, aber die großhaubige Haushälterin erschien geräuschvoll, stellte die kleine Studierlampe neben Beckmanns »Geschichte der Kurmark Brandenburg« und schloß die Läden.


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