Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Schlimme Festnacht

Zu Weihnachten war noch kein Schnee gefallen; dafür schlug der Sturmwind ohne Ende an die Dächer, zerrte an Fenstern und Türen und ließ die Furchtsamen in der Nacht nicht schlafen. Gelbgrün und trostlos mit braunen Flecken und Pfützen lagen die Wiesen.

Als Hanfried Brogner gegen zehn Uhr über seinen Hof schritt, lag Nebel über der Erde; in den Fenstern hinter ihm und in dem hohen Bau über ihm brannten die Lichter. Der Wind war heute still. Durch die offene Türe konnte er die Schaffnerin mit den Knechten die Halle mit Zweigen schmücken sehen. Sein wohlgezogener Hund schnupperte an dem erlegten Wildschwein, das mit Tannenreisig bedeckt auf der Bank an der Hofmauer lag. Die Kirchenglocken, die vom Städtchen herüber geklungen hatten, waren verstummt. Brogner sah sich fröhlich um. Die Türe zur Halle, die schräg gestanden, schob sich ganz auf: eine kleine Hand erschien zuerst, dann kam sein Bübchen in rotem Wams und Mützchen, dem die Locken, die dunkler waren als die des Vaters, über die Schultern fielen, auf ihn zu und faßte seine Hand an. Zusammen gingen sie nach dem Hoftor. Plötzlich blieb Brogner stehen. Ein langgezogenes fernes Trompetensignal schlug an sein Ohr; ein zweimaliges langes Pfeifen in der Nähe gab Antwort. Im Augenblick schlug der Hund an, und über ihm sprang ein Fenster auf; die in der Halle hielten in der Arbeit inne.

Brogner trat durch das offene Hoftor an die Bohlenbrücke, die über den schmalen Fluß führte. Er sah nichts, schon wollte er ins Haus zurück, da schrie das Kind, und er wendete sich nochmals um.

In dem Hohlweg jenseits der Brücke stand, wie aus der Unterwelt aufgestiegen, riesengroß im Nebel, auf einem ungeheuren schwarzen Roß, das Kopf und Mähne schüttelte, ein ganz in dunkeln Stahl gekleideter Reiter. Unwillkürlich griff Hanfried nach der leichten Waffe an seinem Gurt und suchte sich von dem Büblein, das furchtsam seinen Fuß umklammerte, freizumachen; er wartete, zu hören, was jener suchte, wollte selbst den ersten Ruf tun, da hatte der Reiter sein Pferd bereits mit kurzen Zügelrucken von der Brücke rückwärts treten lassen, dann gewendet und war im Nebel wieder verschwunden.

Hanfried nahm das erschreckte Kind auf den Arm und trat in den Hof zurück. Sein Weib, das jetzt erst das Bett verlassen hatte, kam ihm entgegen. Sie ging mit starken schönen Schritten, obwohl man ihr ansah, daß sie schwer in Hoffnung ging. Ihr Blick fragte ihn, aber er kam nicht zur Antwort: so gellend und langgezogen, fast ohne Unterbrechung wiederholt, tönten von nah und weither jenseits des Flusses die Trompeten. Alle Hunde heulten auf dem Hof, alle Männer und auch die Weiber, die im Hause arbeiteten oder vor Truhen und Spiegeln standen und sich zum Fest putzten, kamen an die Fenster oder ins Freie. Jetzt schwangen auch die Glocken wieder, nicht mehr feierlich, sondern schnell und angstvoll, wie bei Feuernot; aus nächster Nähe, aus dem Nebelgewölk über ihnen kam der schreckhafte Ton; die Kinder begannen zu weinen, die Weiber beteten, und immer wieder gellten draußen die Hörner und schmetterten die Trompeten.

Vom obersten Stockwerk, das sich wie ein Turmanbau über dem Hause erhob, aus den schmalen vergitterten Luken konnten sie das Städtchen ansteigen sehen, erst wie trübe Streifen und Striche im Nebel; dann sahen sie das Schloß deutlich hoch über den schmalen dichtgedrängten Häusern kleben. Tiefer unten war alles noch verdeckt. Die Glocken dröhnten unaufhörlich.

Als auf einen Augenblick die Sonne den Nebel zerriß, wie ein greifbarer Lichtstreif, der auf die Häuser fiel, die farbig unter ihm aufleuchteten, während das Schloß graugelb und alt noch im Gewölk stand, holte Hanfried Brogner tief Atem. Wie überall die weißglänzenden zerrissenen Schleier wichen und schwanden, sahen sie von den Hügeln und dem öden durchsichtigen Gehölz Menschenwogen strömen, von Spießen starrend, von Fahnen überweht. Reiter mit farbigen Büschen waren voran, und von Zeit zu Zeit kam furchtbar drohendes Geschrei herauf.

Die Frau neben ihm ward so bleich, daß sie sich an einen Pfosten lehnte. Er wollte etwas sagen; aber ein Schatten fiel mit eigentümlich klappendem Laut vor die Fenster; es war das weiße Tuch der brandenburgischen Fahne, die der Türmer aufgezogen hatte. Hanfried wies darauf: »Mit unserm Herrn binden sie nicht an!« sagte er. »Komm!«

Sie folgte ihn bekümmert, da er herabstieg. Unten standen die Männer bereits in Waffen. Fast alle waren größer gewachsen als ihr Herr, der ihnen rasche Weisung gab. »Ich kann den Vogt nicht im Stich lassen«, sagte er.

»Heute ist Christfest, Hanfried,« klagte die Frau, »und du willst von mir gehen!«

»Eine Viertelstunde Galopp bringt mich hin, eine Stunde zurück.«

Sie wurde noch bleicher. Unschlüssig standen sie da und sahen einander an. Er war feingebaut und schmächtig; die blonden Haare hingen, glänzend wie Rehfell, zu beiden Seiten des zarten Gesichts.

Der Knecht führte ihm bereits das Pferd vor, das von der Kälte erregt nicht stillstehen wollte, mit dem Kopf schlug und die Stangen klirren ließ, während es Dampf aus den Nüstern schnob. Hanfried hatte das Schwert umgebunden, die Leute machten seinen zusammengerollten Pelzmantel hinter dem Sattel fest. Der Mann, der mit ihm sollte, saß bereits, er ließ sein unruhig drängendes Tier ein paar Schritte gehen und hielt es dann wieder zurück. Hanfried stieg auf; er beugte sich noch einmal aus dem Sattel, und die Frau umschlang ihn verzweifelt. »Komm wieder!« schluchzte sie.

Am Tor hielt er noch eine Weile und sprach leise zu den Männern.

Während das Büblein die Mutter mit Fragen bestürmte, wohin der Vater ritte und was er mitbringen würde, jagten die angefeuerten ausgreifenden Tiere um den Hügel herum dem rückwärtigen Tor des Städtchens zu.

Sie ritten durch das Tor, das dem wohlbekannten Herrn sogleich geöffnet wurde. Der Himmel war gelb und in den engen Straßen vor den Haustüren drängten sich ängstlich Frauen und Kinder; alte weißbärtige Männer auf Stöcken redeten verstört und heftig mit zahnlosem Mund. Da und dort eilte ein Jüngerer, Gewaffneter, durch, ohne sich aufhalten zu lassen. Der Brogner führte sein Pferd die steilen Gassen aufwärts; vor dem Torbogen, der in den Schloßhof führte, drängte das Volk so, daß er nicht weiter konnte; sie standen ganz still ohne Laut, aber jemand hinter ihnen, den Hanfried nicht sehen konnte, sprach; und auch als er aufhörte zu sprechen, schwiegen die andern weiter; jetzt tauchten Pferdeköpfe über ihnen auf und sie wichen auseinander; alle Gesichter waren aufgeregt und bleich. Eine Anzahl lediger Rosse wurde vorübergeführt, die Gasse hinunter. Hinter ihnen kam ein Mann in Harnisch und Helm, mit offenem Visier; sein Gesicht war sehr ernst. Er nickte dem Brogner im Vorübergehen zu, ohne stehen zu bleiben. »Wo ist der Vogt?« fragte dieser.

»Oben«, sagte der andere und ging weiter.

Zwei Männer, die am Torgitter Spieße vorhielten, ließen Hanfried vorbei.

Durch den dunkeln Torweg kam er in den engen Schloßhof, dort hieß er seinen Knecht mit den beiden Gäulen warten.

Über die Treppen hinauf und hinab stiegen Bürger und Kriegsleute. Im Saal sah er den Vogt im Harnisch, ein offenes Kleid darüber, barhaupt; ein paar Männer, völlig gewaffnet, mit wehenden Büschen um ihn; vor ihm lagen Weiber auf den Knien; ein Mann gleichfalls in Waffen schloß mit Gewalt und Mühe eine Türe, hinter der andere Frauen hereindrängen wollten. Auf den Seitenfliesen stand ein langer Tisch, vor den hohen Fenstern fetteten Männer hastig die Sehnen ihrer Armbrüste ein.

Der Vogt, der zu den Knienden gesprochen hatte, machte noch eine Handbewegung, indem er sich abwandte. »Alle Weiber, die nicht zu Hause kochen oder sich sonst nütze machen können, oder an den Mauern selbst helfen wollen, in die Kirche ...« gebot er.

Eine stand jetzt vor ihm, der alle Platz gemacht hatten; keine ganz junge Frau mehr, aber mit einem heißen innig besorgten Gesicht unter schwerem goldenen Haar. »Nimm mir diese ab!« sagte er.

Sie redete zu den Frauen und führte sie mit sich fort. Um den Vogt war Kommen und Gehen, Befehlen, Hören und Bitten; er sprach ruhig und entschieden, doch sein Gesicht schien ein wenig müde und er sah älter aus als sonst. Die Frau trat wieder ein und setzte einen Napf mit heißer Suppe und ein Brot vor ihn; er brach es ein und trank, ohne sich zu setzen. Jetzt trat Hanfried auf ihn zu.

»Was bringt Ihr?« fragte der Vogt.

»Mich!«

Der Vogt warf ihm einen Blick zu. Hanfried wurde plötzlich rot und bleich. Aber zu einem Gespräch war nicht Zeit noch Möglichkeit, denn von draußen stieg wieder das furchtbare Geschrei herauf. Jämmerliches Frauengekreisch gab in der Nähe Antwort; und vor der Saaltüre scholl lautes Weinen. Die Männer waren an die Fenster geeilt. Aber eine vollkommene Stille trat ein, und dann kamen wie aus nächster Nähe drei lange Trompetenstöße. Alle stiegen mit dem Vogt die Treppe hinab auf eine ummauerte kahle Warte, die über Wall und Häuser hinwegsah. Da und dort stand ein Gehöft am Hügelrand in Flammen, die matt funkelnd im Tageslicht aufleuchteten oder aus Rauchwolken zuckten. Weit im Halbkreis um die Stadt sahen sie die Rotten unter ihren Fahnen aufziehen und sich bewegen, sahen Berittene ansprengen, und zwischen den Belagerungsmaschinen, von sechzehn und zwanzig Gespannen schwer arbeitender, von Kriegern und Fuhrleuten angetriebener Rosse mühselig über den unebenen Boden gezogen, zwei ungeheure Geschütze. Hoch in der Mitte hing still in der unbewegten Winterluft das weiße Banner mit dem gekrönten blauen Löwen. Deutlich konnten sie in der Stille unten am Stadttor sprechen hören, wenn sie gleich die Worte nicht verstehen konnten.

»Was werdet Ihr tun, Wieland?« fragte Hanfried.

»Mich wehren.«

»Könnt Ihr auf Entsatz hoffen?«

»Nein.«

Wieder tönten die Trompeten. Drüben setzten sich einzelne Reiter in Bewegung.

Von unten schrie jemand herauf. Der Vogt beugte sich über die Warte, um zu hören; dann rief er selbst hinab. Hanfried hörte ihn die Übergabe weigern; und ihm brauste es in den Ohren. Er trat von der Zinne zurück, preßte beide Hände auf den Schwertknauf und sah zu Boden. Eine Weile war vergangen; indessen war noch geredet worden; der Vogt kam an ihm vorbei; alle stiegen den schmalen Treppenweg hinab, der sie dicht ans Tor brachte; Hanfried als letzter.

Ihrer zwanzig ritten sie aus dem Tor. Keine hundert Schritt davon lag ein Einkehrgasthaus. Von drüben ritt ein gleicher Zug an.

Auf der Stadtmauer lauerten die Armbrustschützen.

Wagen, mit Bettzeug und Schränken beladen, aber ohne Gäule, standen im Hof. Der Wirt warf sich auf die Knie, als die Herren einritten.

Rasselnd, lärmend, unter dem Klirren der Sporen und Schwerter, dem Stampfen eisenumschienter Füße traten sie in die Stube, die sogleich von gepanzerten Männern so angefüllt war, daß sie zunächst in dem trüben Dunst, da das spärliche Licht durch kleine angelaufene Scheiben fiel, einander weder recht sahen noch kannten. Ein kurzer breiter Mann, der über der Rüstung einen rot und weiß gemusterten wollenen Waffenrock trug, ließ sich zuerst auf einen Holzstuhl am Tische nieder, nahm den Helm ab und hob den Weinkrug an die Lippen. Über seinem mächtigen Gesicht stieg gewellt das dunkle Haar empor; ein rotbrauner Bart hing breit über die Brust; mit seinen kleinen wilden Äuglein sah er gutgelaunt herüber. Neben ihm stand ein magerer Riese mit bartlosem Angesicht, in dem ein immer lächelnder großer Mund die faltigen Lippen über einem gelben Pferdegebiß bald vorschob, bald hochzog, bald verschlagen und höhnisch schloß.

Der Vogt in Helm und Kettenkragen setzte sich dem Rotbärtigen gegenüber, stellte das lange Schwert mit dem Kreuzgriff vor sich und legte die gefalteten Hände darüber. Sein Gesicht blieb ernst; schweigend standen die Männer um ihn. Hanfried, der einzige ungepanzerte unter allen, im lichtgestreiften Anzug, stützte den Ellenbogen auf die Stuhllehne hinter dem Vogt; hier in der Dämmerung sah er mit dem langen blonden Haar, den zarten geröteten Wangen, wie ein Jüngling aus. Drüben setzten bereits alle die Humpen an den Mund, und die erste Frage des Vogts verhallte im Lärm und Gelächter.

»Wollt Ihr uns das Städtel übergeben?« schrie der Rotbärtige.

»Nein!« sagte der Vogt.

»Denkt nach!«

»Dazu braucht es keiner Gedanken ...!«

Er konnte im Geschrei nicht weiter reden; endlich sagte der Feldhauptmann, der sich den triefenden Bart wischte: »Keine drei Stunden könnt Ihr's halten gegen unsere Geschützmeister ...«

»Und wenn's nur eine halbe wäre, würd' ich doch nicht an meinem gnädigen Herrn zum Verräter werden, weil er mir jetzt nicht helfen kann. Ich bin Landshutisch und laß mich nicht mit Gewalt Ingolstädtisch machen.« Eine Stille entstand. »Darum zu reden bin ich auch nicht hergekommen,« fuhr der Vogt fort, »auch nicht, um euch zu fragen, warum ihr friedensbrecherisch am Christtag unsere Stadt überfallt.«

»Ist uns auch an Eurer Meinung nicht gelegen!« rief der Lange dazwischen.

»Es sind aber schwangere Weiber und arme Kindlein auf dem Hügel, die ihr abziehen lassen sollt ...«

»Nach der Übergabe, sonst nicht!«

»Wollt ihr am heiligen Abend mordbrennen? Kirchenbann und Höllenstrafen wagen?«

»Der Crailsheimer Abt hat unsern Herrn bereits in Bann getan. Kann ihm also nichts mehr verschlagen, Vogt!«

Brüllendes Gelächter erscholl.

Hanfried war alles Blut zu Kopf gestiegen; er wollte sprechen, aber er war noch nicht so weit gekommen, daß man ihn im Lärm verstanden hätte, als der Vogt sich umwendend die Hand auf seinen Arm legte, um ihn zurückzuhalten. Gleichzeitig war er aufgestanden; er tat einen Seufzer, dann biß er die Lippen zusammen.

In dem Augenblick dröhnte draußen ein Schuß. Durch die angelaufenen trüben Scheiben war nichts zu sehen. Aber die haßerfüllten Gesichter sahen einander so voll drohenden Argwohns in die Augen und so viel Fäuste fuhren nach den Schwertgriffen, daß der dicke rotbärtige Feldhauptmann, der sitzen geblieben war und weiter trank, die Hand erhob, wie um zu schlichten, und zu weisen, daß nichts von Bedeutung geschehen war. Er lächelte. »Wir müssen Euer Schloß und Stadt haben, Vogt, schon damit der Brandenburger es nicht nimmt; wir sind als Vettern die näheren dazu. Es ist uns aber nicht so eilig, daß wir Euch nicht Zeit lassen sollten, die Sache zu bedenken. Wir warten mit dem Sturm, bis drei Stunden um sind. Überlegt's indes und fragt Eure Weiber ...«

Der Vogt nickte nur. Seine Leute standen in einer Reihe bis zur Türe und gingen jetzt langsam hinaus; er selbst aber wendete sich nochmal um und verlangte freies Geleit für Herrn Hanfried Brogner, seinen Gast und des Markgrafen von Brandenburg Lehensmann. Alle Blicke fielen auf Hanfried. Das Geleit wurde von einem Schreiber ausgefertigt, den die andern mitgeführt hatten, daß er die Übergabe aufnehme, und der Feldhauptmann machte ein Kreuz darunter.

Die Stadt lag vor ihnen. Das steile Schloß und die gelben Türme stiegen in eine dunkle Wolkenwand. Langsam ritten sie zurück. Hanfrieds Pferd konnte den Kopf fast bis zur Erde senken, wo es nach dem kärglichen braunen Grase schnupperte, so traurig ritt sein Herr. Über die Zugbrücke, durch das Tor und die Straßen; einige sprachen leise miteinander, der Vogt kein Wort.

All denen, die sich vom Stadttor an die kleine Reiterschar gedrängt hatten, gebot er mit einer Bewegung zu folgen; auf dem schmalen Marktplatze hielt er an. Er sagte den Leuten, daß sie eine Frist bekommen hätten, es wäre Zeit und nichts entschieden, und dann, während seine Stimme eine seltsame Feierlichkeit bekam, hieß er sie zum Fest rüsten.

Ein schiefes trauriges verlassenes Gäßchen führte vom Markt zum rückwärtigen Tor; an der Ecke bot der Vogt seinem Freund die Hand, aber Brogner schüttelte den Kopf und ritt mit ihm weiter, der Mauer entlang; mit Spießen und Armbrüsten, mit großen Töpfen, in denen Pech und Bleistücke harrten, standen die Männer bereit.

Im winterlichen Zwielicht machte der Vogt eine Runde.

Es dunkelte rasch. In den Häusern brannten die Lichter; aus den Fenstern der Kirche fiel gelber Schein. Im Schloß war Treiben und Schaffen. Eine leichte Glocke klang, als Brogner eintrat, und er glaubte zu träumen: die Halle war zu einer großen grünen Laube geworden, in der eine weißgedeckte Tafel stand; Braten, Kuchen und Wein darauf und große Körbe mit Äpfeln, Winterbirnen und gedörrten Pflaumen; Lichter brannten in hohen Silberleuchtern; die Gattin des Vogts stand im Seidenkleid und in kostbarer Haube da, im Gürtel den Schlüsselbund und das goldene Täschlein, neben ihr wartend die Kinder mit blonden Zöpfen und gesunden wintergeröteten Wangen. Puppen, Holzpferdchen standen da und blinkende kleine Waffen. Jetzt trat auch der Vogt ein; er hatte den Helm abgelegt; Freunde und Gesinde folgten ihm. Vom Kirchturm, der hoch vor ihnen in der Finsternis ragte, klangen die Glocken durch die stillen Winterlüfte. Die Töne füllten die Halle, und als sie stumm wurden, hoben sich die Kinderstimmen und sangen ein helles Weihnachtslied. Hanfried träumte; er sah seinen eigenen Hof, seine Frau und sein Bübchen, Träne auf Träne lief über seine Wangen; er sah, wie auch die Vogtin, die jetzt die Gaben an Kinder und Mägde verteilte, sich die Tränen aus den Augen wischte. Gleich den anderen nahm er an der Tafel Platz; rasch gingen die Schüsseln hin und her, das Brot ward gebrochen, die Speisen geteilt. Wenig ward beim Mahl gesprochen, nur die Kinder plapperten halblaut, sie freuten sich der Geschenke zu sehr.

Da kam aus weiter Ferne ein Schrei, der Vogt aß unbewegt weiter; der kleine Knabe fragte, aber man hieß ihn schweigen.

Nur der Brogner war, während alle Blicke ihm folgten und wieder von ihm wichen, ans Fenster getreten. Im weiten Umkreis sah er die Feuer in der Ebene und düster funkelnd die brennenden Gehöfte, zwischen denen viel Schatten sich hin und her bewegten; und plötzlich sah er in einem hochaufzuckenden Flammenschein vorn ein ungeheures toddrohendes Geschütz gerade auf das Schloß und die Halle gerichtet.

Er sah sich um. Der Vogt war aufgestanden und sprach ein Gebet; metallen kam das Amen aus aller Mund, hell klang es aus dem der Kinder nach, dann hielten Eltern und Kinder einander umschlungen. Jetzt trat der Vogt zu ihm und öffnete das Fenster, von fernen Dörfern und Kirchtürmen klangen die Glocken; ein leichter Schnee begann in dem windlosen Dunkel zu fallen. Wortlos wies Hanfried auf die finstere Masse, die er vorhin im Lichtschein erblickt hatte. Der Vogt nickte nur.

Von der Kirche her kam Orgelton und schmerzlicher Gesang.

»Wir wollen hinübergehen!« sagte der Vogt.

Aber sie hielten in der Bewegung inne und blieben stehen, denn hell und schmetternd tuteten plötzlich die Kriegshörner in langgezogenen drohenden ununterbrochenen gellen Tönen.

Klirrend trat ein Geharnischter ein. Hanfried sprang vor. »Vogt,« schrie er, »gebt mir Harnisch und Haube! Ich bleibe bei Euch, – es wäre mir sonst ewiger Schimpf!«

Aber der Vogt schüttelte den Kopf. »Ein Mann muß nach Sinn und Pflicht handeln,« sagte er, »das kann kein Schimpf sein.«

Die Halle füllte sich mit Männern, die kurze Weisungen nahmen. Der Brogner wartete schwer atmend. Auf einmal stand der Vogt vor ihm. »Was kann ich für Euch tun, Wieland?« rief Hanfried.

»Kommt!« sagte der Vogt und führte ihn über den Steingang nach der großen weißgetünchten Stube, in der sein mächtiges Ehebett stand, auf dem die Vogtin jetzt saß und die Kinder umschlungen hielt; an der Wand standen Truhen und zwei offene Bettchen unter Heiligenbildern. Das unruhig flackernde Licht warf lange Schatten über die weißen Wände zur Decke empor. Die Blicke der beiden Männer trafen sich.

»Geht mit Ohm Hanfried, Kinder!«

»Wieland!« schrie die Frau.

Vertrauensvoll faßten die Kinder die Hände, die der Brogner ihnen entgegenstreckte. Die Mutter küßte sie verzweifelnd.

»Kommt auch Ihr, Frau!« sagte er, »ich bringe Euch hindurch!«

Die Wangen der todblassen Frau röteten sich ein wenig: »Eine glückliche Frau läßt nicht von ihrem Mann in der Not!« erwiderte sie. Der Vogt zog sie in seine Arme. Er setzte den Helm auf und schloß die Spangen. »Es ist Zeit, Brogner!« sagte er.

Sie stiegen in den Hof hinab, wo der Knecht die Gäule bereits aufzäumte. Wieder und wieder preßte Hanfried dem Vogt die Hände. Dann ging er, an jeder Hand ein Kind, die steile Gasse hinab. Ein Mann mit einem Windlicht ging voran, der Knecht folgte mit den schnaubenden Tieren. Die Eisen glitten und klirrten auf dem von den zerfließenden Flocken genäßten Pflaster.

Am Fuß des Hügels machte Brogner den Pelzmantel vom Rücken seines Pferdes los und zog ihn an, dann stiegen sie auf und jeder nahm eins der Kinder vor sich in den Sattel. Düster und stumm lag die Straße unter dem schwarzen Himmel. Kreischend öffnete sich die Pforte in der Mauer; draußen die Hecken wurden schon weiß. Die Kinder, die erst gefragt hatten, schwiegen verängstigt; jedes hielt ein Stück neuen Spielzeugs an den Leib gepreßt.

Die beiden Männer ritten langsam unter fortgesetzten lauten Rufen durch den tiefergelegenen Weg. Keine fünfzig Schritt von der Mauer wurden sie angehalten, und eine Fackel leuchtete ihnen ins Gesicht. So still war die Luft, daß sie kaum flackerte. Der Brogner wies sein Geleitschreiben vor. Rechts und links vor ihnen war Stampfen und Schreiten auf den Feldern und verhaltenes Rufen. Sie ritten wieder, während die großen Flocken auf sie niederfielen und auf dem warmen Fell der Tiere zerflossen.

Sie waren noch nicht weit gekommen, als die Hörner und Kriegspfeifen von allen Seiten, nah und fern durch die Nacht brausten. Des Brogners rechte Hand streichelte ein zitterndes weinendes Gesichtchen. Ein dumpfer Schlag fuhr durch die Lüfte, ein Krachen von brechendem fallendem Gestein folgte, dann ein wildes Geschrei und langer Donner von allen Seiten. Des Brogners Pferd stieg hoch, mühsam hielt er das Kind fest, und beruhigte das Tier, das ausbrechen wollte. Während hinter ihnen die Hölle losbrauste, ritten sie angestrengt und angstvoll zügelnd im Schritt weiter. Endlich waren sie am Fluß, dumpf fielen die Hufschläge auf die Holzbrücke, und dann standen die Pferde still.

Ein wilder Angstruf, der in schreckhaften schluchzenden Jubel überging, empfing den Brogner, als sein Weib ihn immer wieder in die Arme schloß. Mit bebenden Lippen und zornbewegten Nüstern erzählte er. Dann brachte die Frau mitleidsvoll die Kinder zu Bett in der geborgenen Stube, in der ihr erwachendes Büblein lag, und wies dem Fragenden, welches Christgeschenk der Vater zum Feste mitgebracht hatte.

Sie selbst gingen nicht zur Ruhe. Die ganze Nacht hindurch hörten sie schlaflos mit weher Seele das Tosen und Raffeln, das Donnern und Krachen, das Schreien, Hufstampfen und Hörnerschallen aus der wogenden Finsternis, bis gegen Morgen dort, wo das Städtchen gewesen, ungeheure Flammen in die Lüfte stiegen, während düsterer Rauch und Brandgeruch zu ihnen herüberdrang.

*


 << zurück weiter >>