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Herr und Diener

Das Grundstück Piero Aribertis zinste an die Grafen von Laorca. Das heißt, eigentlich zinste es an das Kloster von San Gervasio, mit dem die von Laorca seit zweihundert Jahren in Streit lagen. Der letzte Abt hatte gegen den Grafen Guido Laorca beim kirchlichen wie beim kaiserlichen Gerichte gesiegt und die Gerechtsame über das Tal zugesprochen erhalten; er hatte das Urteil, gegen das es keine Berufung mehr gab, auf Pergament mit dem kaiserlichen wie mit dem erzbischöflichen Siegel; aber das hinderte nicht, daß die Waffenknechte des Grafen den Klostervogt und seine Leute, wenn sie sie irgend im Tal erblickten, mit den Lanzenschäften davontrieben. Und als Guidos Sohn, Guidotto, ein so gewaltiger Kriegsmann geworden, daß er die benachbarten Städte, eine nach der andern, unter seine Herrschaft zwang, da mußte das Kloster selbst sich in sie fügen, wie gar Piero Ariberti, der, obschon er kein furchtsamer Mann war, sich gleich seinen Vorvätern nach Möglichkeit mit beiden zu verhalten gesucht hatte. Er zinste also dem Grafen und stellte ihm die Knechte und Gäule, die er forderte; aber er schickte, wenn der Wein gut geriet, gern ein Faß davon in die Abtei, und hatte dort ein schönes Glasfenster gestiftet, das in leuchtendem Gelb und Blau und Rot das Martyrium des heiligen Gervasius darstellte; und so oft Gefahr drohte, hatte er seine Kinder, wie das Geld, das seine vielen Geschäfte ihm trugen, nach den fest ummauerten Wirtschaftsgebäuden des Klosters gebracht, das gleich einer getürmten Festung in den Bergen lag.

Als sein Sohn Ariberto Ariberti fünfzehn Jahre alt war, brachte er ihn nach Laorca, damit er in den Dienst des Grafen trete, denn der Knabe hatte Lust und Eignung zum Waffenhandwerk. Er schien von zartem Bau, war jedoch sehnig und zähe; sein Gesicht war schmal und zierlich, und seine Lippen, die meist geschlossen waren, konnten sich, wenn er einem andern wohlgesinnt war, unversehens zu einem lieblichen Lächeln öffnen.

Guidotto Laorca stand auf den Steinfliesen der Halle; er trug ein violettes Wams und eine offene Pelzjacke darüber, denn es war ein kalter Wintertag; in seinem Gürtel hing ein Dolch, dessen Griff ein aus grünem Stein geschnittener Drache war, und er wärmte seine Hände über einem offenen Kohlenbecken. Er sprach lange mit Piero Ariberti und warf von Zeit zu Zeit rasche Blicke auf den Knaben, der bescheiden wartend in Entfernung stand und seinen künftigen Herrn beobachtete, um seine Blicke rasch zu senken, wenn dessen unruhige Augen nach ihm sahen.

Guidotto war nicht groß; um das breite, ein wenig vorspringende Kinn und die blassen Wangen lief ein schmaler, krauser brauner Bart; er hatte starke Lippen, die gerade, wie mit einem Messer durchschnitten, aufeinander lagen, und ein fliegendes Lächeln im Gesicht, das manchmal stechend wurde. Hinter ihm stand die lange gedeckte Tafel, und Diener mit kurzen randlosen grünen Kappen und grünen Tuchjacken, während das eine Hosenbein grün, das andere weiß war, trugen Schüssel und Krüge auf. Da vom Turm der Kapelle eben die elfte Stunde geläutet wurde, füllte sich der Saal, und man ordnete sich längs der Tafel. Obenan saß der Graf mit seiner Gemahlin, Frau Athanasia; neben ihm Nello Caponsacchi aus Arezzo, mit dem er sich leise unterhielt, und neben der Gräfin der Kaplan Ser Nicosi. Als dieser, ein dicker Mann mit fettglänzendem Antlitz, einen ganzen Berg von schön gebräunten Putenflügeln und Hühnerbeinen auf seinem Teller häufte und mit Behagen darauf niedersah, schüttete der Graf mit den Worten: »Der Braten ist nicht genug gewürzt!« eine ganze Büchse Pfeffer darüber, und da der Kaplan zurückfuhr, während die blühende Farbe aus seinem Gesicht wich, rief der Graf: »Eßt, esset, Bruder, da Ihr so starken Hunger habt!« Und er wiederholte diese Worte in ernsterem Ton, so daß der Mönch, dem die dicken Tränen in die Augen traten, nachdem er sein Stück zu kauen und zu schlucken versucht, alsbald heftig hustend vom Tische lief, während der Caponsacchi und die meisten andern sich vor Lachen schüttelten und selbst die ernste Frau Athanasia ein Lächeln nicht unterdrücken konnte.

Berto, der den Vorgang sehr aufmerksam verfolgt hatte, vernahm sich plötzlich angesprochen und begriff, daß er bereits eine Frage überhört haben mußte, denn einer der Pagen, der neben ihm saß, fragte: »Hat dein Vater noch mehr solcher Hühnchen, wie du bist, auf dem Hofe?« Ohne eine Miene zu verziehen, antwortete er: »Wir haben bisher nur Falkenzucht getrieben.«

Gleich nach dem Essen hieß der Graf ihn in den Schloßhof mitkommen und prüfte dort seine Fertigkeit im Messerwerfen und Bogenschießen, im Reiten und Springen. Zuletzt hieß er ihn über den breiten Graben setzen, der sich auf der einen Seite des Hofes gegen die Mauer hinzog und mit trübem, stehendem Wasser gefüllt war. Das Roß mußte, wenn es überhaupt hinüberkam, gegen die mächtige, grünüberwachsene Wand rennen. Berto hielt sein Pferd an, sah eine Weile prüfend vor sich, dann sagte er: »Ich halte es nicht für möglich, Messer, aber wenn Ihr es befehlt, will ich es versuchen.« »Es ist gut, es ist gut,« erwiderte der Graf, »heute noch nicht!« »Er will dich heute noch nicht ertränken«, rief der bärtige Caponsacchi laut lachend.

Dann nahm Berto von seinem Vater, der inzwischen mit dem Schloßverwalter Verschiedenes verabredet hatte, Abschied und blieb in den Diensten Messer Guidottos. Er nahm an dessen Unternehmungen und Kämpfen teil und hatte viel Blutiges und Geheimnisvolles erfahren, als noch das Kinderlächeln auf seinen Lippen war. Aber dies abenteuernde Leben erfreute ihn, und wenn sie unter dem Schlachtruf »Ah Laorca!« zum Angriff ritten, während Kampflust und Wut und zugleich ein geheimes Beben in den Herzen war, dann schien ihm, ohne daß er sich dessen klar bewußt gewesen wäre, das volle Gefühl des Lebens erreicht. Und an dem Tage, an dem sie in Trevano einritten und die in Reihen gestellte Schar unter schweren Gewitterwolken auf dem Marktplatz hielt, ein leichter Glüheschein auf den Lanzenspitzen funkelte, und die Fahnen, die in weißer Seide einen grünen Drachen zeigten, im Gewitterwind zu ihren Häupten rauschten, während die Konsuln der Stadt ihnen kniend die Schlüssel überreichten, und Gozzo Lambertelli ihnen gebunden ausgeliefert wurde, da rieselte ein unbeschreiblicher jubelnder Stolz durch seine Seele. In den Friedenszeiten, die nie lange währten, hatte er seine Freude daran, die schönen Pferde und Hunde des Grafen zu pflegen.

Daß sein Herr furchtbar sein konnte, das wußte er, obwohl er es noch nie gegen ihn gewesen war. Am Tage, an dem die Lambertelli Trevano zurückeroberten, da stieß Guidotto, als er die Nachricht erhielt, seinem schönsten Windhund, der sich gerade schmeichelnd an ihn drängte, den bespornten Fuß so heftig in die Seite, daß das Tier heulend zusammenbrach und das Blut aus der klaffenden Wunde lief. Alle im Saal zitterten. Nur Berto hob das winselnde Tier vom Boden auf und trug es aus der Halle in den Hof hinaus, wo aus einem marmornen Wolfsrachen der kühlende Strahl in das weiße Becken floß. Dort wusch er das Tier und verband es. Die Türe zur Halle stand offen, und der Graf konnte sehen, was Berto tat, sagte aber kein Wort; er mochte sich erinnert haben, wie groß der Wert des Hundes war.

Zwei Tage später ritt er mit seinem Herrn auf die Jagd, als dessen Roß im Gestrüpp vor einem auffliegenden großen Vogel scheute. Zwar riß der Graf es zusammen, stieß aber dabei, da das Pferd ihn noch ein Stück forttrug, gegen einen spitzen Ast, der ihm tief in die Schulter fuhr. Er wollte sich nicht darum kümmern, aber er vermochte das ungebärdige Tier nicht mehr zu beherrschen, und da er sichtlich Gefahr lief, aus dem Sattel geworfen zu werden, sprang Berto von seinem Pferde, das gleichfalls unruhig geworden war, ab, faßte das Roß des Grafen beim Zügel und half seinem Herrn herunter. Dann schnitt er, nachdem er beide Tiere an einen Baum gebunden hatte, das Wams des Grafen, der sehr heftige Schmerzen litt, entzwei, nestelte sein eigenes Wams auf, riß Streifen von seinem Leinenhemde und verband ihn. Es zeigte sich sogleich, daß die Wunde schlimmer war, als sie gedacht hatten; ein Holzsplitter mußte abgebrochen und darin geblieben sein, und auch das Knie des Grafen war gegen den Baum gestoßen und arg verletzt. Da sie sich ziemlich weit vom Schlosse, aber nahe dem Hof seines Vaters Piero befanden, so brachte er den Verwundeten dahin und bettete ihn in der besten Kammer, die sie hatten. Dann holte er den Bruder Geronimo aus dem Kloster, der sich auf die Heilkunst verstand, und später kam auch der Leibarzt des Grafen, aber die Pflege besorgte Berto abwechselnd mit seiner Schwester Gemma, die indessen herangewachsen und ein großes Mädchen geworden war, so üppig und blond, wie Berto dunkel und schlank war.

Eines Tages, als der Graf bereits kräftiger war, hörte Berto, der sich im Nebenzimmer befand, aus der Stube des Kranken ein Geräusch und ein Flüstern, das ihn betroffen machte. Auf den Zehen heranschleichend und den Vorhang leise beiseite ziehend, spähte er und sah, wie der Graf beide Hände Gemmas mit der gesunden linken festhielt, während sie sich wortlos zurückbeugte und sich ihm leise, aber doch, wie es Berto schien, nicht eben heftig, zu entziehen suchte. Ihr Gesicht konnte er nicht sehen.

Er hatte das Messer in seinem Gürtel gelockert, aber er besann sich und indem er den Vorhang ebenso leise fahren ließ und von ihm zurücktrat, begann er vor sich hinzupfeifen; dann hörte er Gemma im Zimmer des Kranken gehen, so daß er sie vom Bette entfernt wußte, und als er einige Augenblicke später, einen Helm, den er eben blank gerieben hatte, in Händen, eintrat, sah er, daß Gemmas Gesicht zwar noch ziemlich rot war, den Ausdruck darin aber konnte er nicht deuten. Sie verließ dann schnell das Zimmer.

Berto folgte ihr und traf sie im Garten, wo sie reife Oliven vom Baum pflückte; er faßte ihre Hände, genau wie der Graf es getan hatte, hielt sie genau so wie dieser fest und fragte mit finsterem Ausdruck: »Wer hat diese Hände so gehalten?« und da sie nicht antwortete, »Bist du noch rein? – Gemma!!« Ihren Namen sprach er bereits in drohendem Ton.

Blutrot ward das Mädchen und Tränen des Zornes kamen aus ihren Augen. Dann riß sie sich los und lief ins Haus. Als er ihr nachkam, sah er sie auf dem hölzernen Querschemel des großen Kruzifixes knien, das im Zimmer ihrer verstorbenen Mutter an der Wand befestigt war. Er störte sie nicht und ging.

Als er in die Stube zurückkehrte, in der der Kranke lag, fand er ihn schlafend. Seine Brust stand offen, so daß die rötliche Behaarung und die weißrote Narbe unter der Achsel deutlich sichtbar waren. Sein Kopf lag über dem Kissen zurück und er atmete tief und regelmäßig. Berto setzte sich ihm gegenüber und sah ihn lange an. Der Graf ward unruhig und erwachte. Kein Geräusch war im Zimmer als das Summen der Fliegen und das leise Klirren des metallenen Bechers, als Berto aus dem steinernen Kruge Wein für den Kranken darein goß.

Des Abends sagte er zu Piero Ariberti, nachdem die Schwester mit ihnen gegessen hatte und zur Ruhe gegangen war: »Lasset die Gemma den Grafen nicht weiter pflegen, Vater.«

Piero Ariberti sah ihn scharf an und Berto sah den Vater an, aber mehr Worte sprachen sie nicht darüber.

Zwei Tage später vermißte der Graf seine Pflegerin und fragte nach ihr. Man erwiderte ihm, sie sei bei einer Base, die zur Erntezeit einer Hilfe im Hause bedurft hätte. »Und wo?« fragte der Graf, und die dienende Frau, die gerade um ihn war, gab Antwort: »In San Giorgio del Monte.«

Als der Herr aufstehen konnte und dann bald den Hof verließ, bankettierten sie in großer Fröhlichkeit. Piero Ariberti erzählte einen Schwank nach dem andern; das konnte er, der sonst wenig sprach, besser als einer, wenn er dazu aufgelegt war. Guidotto und Berto und alle, die um den Tisch saßen, lachten, daß die Stube scholl; und Berto begann zuletzt, vom Wein, der seine ein wenig blassen Wangen rötete, belebt, kleine Abenteuer und Streiche zu berichten, die er im Dienste des Grafen erlebt hatte, von denen dieser nichts ahnte und die er nun mehr als ergötzt anhörte. Es war ein fröhliches Tafeln, und ein fröhlicher Abschied, als der Laorca am andern Morgen mit Berto vom Hofe ritt.

Einige Wochen später mußte der Graf sich zum Bischof von Perugia begeben. Da Berto, der so lange Urlaub erhielt, wieder nach Hause kam, fand er den Vater verdrießlich und noch weniger zum Reden geneigt als sonst.

Sie saßen an dem selben großen Holztisch einander allein gegenüber, und sie hatten ihr Mahl schon fast beendet, der Vater hatte Weniges über die Ernte gesprochen, die besonders gut und reichlich ausgefallen war; plötzlich sah er vor sich hin und sagte: »Es ist etwas nicht in Ordnung.«

»Was, Vater?«

»Mit der Gemma ist es nicht in Ordnung.«

Bertos Hand, die das Messer hielt, mit dem er eben ein Stück vom Brote schneiden wollte, blieb unbeweglich in der Luft. »Was ist mit ihr, Vater?«

»Eh, du hast mich doch selber zuerst gewarnt!«

»So, Vater?« Das Messer stak im Holz des Tisches. »Und warum wahrt Ihr nicht Euer Recht?«

»Recht?! Das ist das Recht!« und er wies auf den Hof hinaus, im Sonnenschein, wo sein großer Hund dem kleineren eben einen Knochen wegriß.

»Wo ist die Gemma?«

»Sie wird bei den Tauben sein.«

»Und Benedetto?«

Benedetto Frolla war der Mann, dem Gemma zugedacht war; das wußte jeder im Tal. Piero Ariberti zuckte die Achseln, und Berto versank in Nachdenken.

Des Abends, als die heißen durstigen Erntearbeiter heimkamen, sah er die Schwester. Auch ihr Gesicht war rot und glühte, sie trug Blumen an der Brust, unter dem Kopftuch kamen die blonden Flechten hervor, und in den Ohren hingen die schweren Goldringe mit den großen geschnittenen roten Steinen. Sie kam den Bruder jubelnd zu begrüßen und sprang ihm an den Hals; aber sein Gruß war gemessen, so daß sie sich wieder von ihm entfernte. Später, da er an ihr, die bei den Frauen stand, vorüberging, schlug sie ihn auf die Hand: er blieb stehen und sie redeten freundlich miteinander.

Wie der Abend dunkler und kühler wurde, nahm die Menge zu. Aus einem großen Faß Wein, das Piero Ariberti seinen Leuten freigab, wurden die Becher gefüllt, Brot und Speck ward an den Tischen verteilt. Einer begann auf einer beinernen Flöte zu blasen, während ein anderer seine Biella stimmte. Bald tanzte ein Paar im freien Raum zwischen den Büschen, bald waren es ihrer mehrere. Jetzt holte Gemma ihren Bruder. Der Tanz hatte eine Figur, die sich in regelmäßiger Folge wiederholte: das Mädchen floh einige Schritte, wendete sich mit schelmischer Bewegung nach dem Tänzer um, der, so wie sie stehen blieb, ihr folgte, sie streckte die Hand aus, die er ergriff, drehte sich unter seinem Arm, und da er sie an sich riß und einmal herumschwang, entschlüpfte sie ihm bereits wieder in abgemessenen flüchtigen Schritten, und das gleiche Spiel begann von neuem. Berto tanzte mit schönen Bewegungen und mit dem Ernst, mit dem er alles tat, während die Schwester leidenschaftlich spielte. Alle andern blieben stehen und sahen dem Paare zu. In den Beifall, der am Schluß ertönte, mischten sich fremde Stimmen aus den Büschen, und die Kienfackeln beleuchteten die Herren, die, die Zweige niedertretend, hervorkamen. Der Graf und seine vornehmen Begleiter saßen auf Maultieren, wenige Bewaffnete folgten ihnen zu Fuß. Die Landleute warfen sich alle aufs Knie vor ihrem Herrn, und Piero Ariberti ließ einen kostbaren Becher für ihn bringen. Guidotto lobte die Tänzer, pries den Hof, den Besitzer und seinen glücklichen Reichtum. Dann erzählte er, daß die Nacht ihn überrascht, und da in der Nähe keine Herberge war und er in der Dunkelheit nicht bis zum Kloster reiten wollte, bat er Piero, ihm und seinem Gefolge ein Nachtlager zu geben.

Es schien Berto, daß der nächste Weg nach Perugia nicht durch das Tal führte. Er beobachtete seine Schwester, aber ihre Wangen waren vom Tanzen so rot, daß sie nicht röter werden konnten. Sie war auch schon wieder mitten im Reigen und tanzte mit Benedetto, der beleibt und groß, sie langsam herumdrehte. Berto bedachte, daß der Graf auf dem Wege im Kloster zu tun haben mochte, und in der Tat hörte er ihn später sagen, daß der Abt von San Gervasio sich dem Zug anschließen und mit ihm zum Bischof nach Perugia reiten werde. Herr Barozio, der Kämmerer des Grafen, machte dabei die Bemerkung, daß der frühere Abt des Klosters und der gegenwärtige zusammen den Worten des Herrn entsprächen, »denn jener sei einfältig gewesen wie die Tauben, und der sei klug wie die Schlangen.«

Mählig verklang Musik, Gesang und Lärm. Der Graf, der Kämmerer und ein anderer Ritter, der mit ihm war, wurden im besten Zimmer des Hauses, seine Gewaffneten in einer Scheune untergebracht; die Maultiere waren bereits im Stall.

Mitten in der Nacht stand Berto in großer Unruhe von seinem Lager auf. Er legte nur einen Mantel um, steckte ein Messer zu sich und stieg die Treppe hinab. Er wußte, seine Schwester schlief mit der Base Giulia, die dem Vater jetzt das Haus führte, und um zu ihr zu gelangen, mußte man durch eine Kammer, in der drei Mägde, eine alte und zwei junge, schliefen, und vor der Türe lag ein großer Wachhund. Dennoch stieg er hinab. Nichts regte sich in der Vorhalle, aber an der Steintreppe, die zur Mägdekammer und der der Schwester führte, vermißte er betroffen den Hund. Er setzte sich daher selber auf den Stufen nieder und wartete, unruhig, mit gepreßten Lippen. So saß er in der lauen Nacht, auf jedes Geräusch horchend, aber er hörte nur den Klageruf eines Vogels und einmal ein fernes Hundegebell, worauf auch die Wachhunde, die im Garten innerhalb der Mauern streiften, kurz anschlugen. Dann rührte sich lange nichts, endlich drängte sich etwas gegen ihn: es war der große Hund, der ihn ungestüm liebkoste. Vergeblich mühte Berto sich auszudenken, was den Hund von seinem Platze gelockt, was ihn zurückgebracht haben mochte. Als er aufstand, stand auch der Hund auf, ja er lief erwartend vor ihm her und blieb wieder stehen; durch die Spalten zwischen den geschlossenen Läden fiel das erste Morgenlicht, so daß er die Bewegungen des Tieres wahrnehmen konnte, aber was es ihm andeuten wollte, vermochte er nicht zu verstehen. Draußen im Hof waren auch die andern Hunde herangekommen, winselten leise und sprangen gegen das Tor, und als jetzt Schritte im Hofe und die Stimme des Wächters tönte, der den Hunden pfiff, und gleichzeitig in der Mägdekammer Geräusch und Bewegung hörbar wurde, da stieg ein Gefühl der Scham in ihm auf, und fröstelnd und seine eigene Torheit scheltend, kehrte er in sein Zimmer zurück.

Er entschlief rasch und erwachte erst, als die Sonne hell ins Zimmer schien. Von unten schollen viele Stimmen, er hörte seinen Vater, hörte den Grafen reden, hörte Hufe klirren und lautes Gelächter. Vom Fenster sah er, wie der Kämmerer, Herr Barozio, sein störrisches Maultier vergeblich antrieb, das nicht vorwärts gehen wollte und zuletzt heftig ausfeuernd den Kämmerer fast aus dem Sattel warf. Endlich – er war sogleich wieder vom Fenster zurückgetreten – verriet der regelmäßige Hufschlag und die Schritte, die sich entfernten, daß die Gäste abzogen, und mählig wurde es still.

Berto blieb in rastlosen Gedanken. Daß Herr Guidotto die Weiber unmäßig begehrte, und daß Frau Athanasia, die nie schön gewesen und die er gefreit hatte, weil sie ihm Stadt und Kastell von Montiscio zugebracht, darüber noch gelber und hagerer geworden war, das hatte er immer gewußt, aber es hatte ihn bisher nie bekümmert.

Als er aus dem Hause ging, begegnete er dem Frolla. Vorsichtig begann er mit ihm zu reden, aber der Mann schien nichts Arges zu denken. Er wünschte nur, die Gemma möchte endlich Ernst machen.

»Wann wirst du mit Benedetto Hochzeit halten?« fragte er die Schwester.

»Nie«, antwortete sie ruhig.

Er sah sie an. Sie spielte mit einer Nelke, deren Stiel sie um ihre Finger wand. Jetzt zog sie die Blume durch die Zähne und zerbiß sie.

»Gemma,« sagte Berto endlich, »du weißt, was ich einmal gesehen. Wenn du mit dem Grafen ...«

»Laß gehen!« unterbrach sie ihn böse, »was kümmert mich dein Graf?«

Sie beobachtete seine Verwirrung und das Arbeiten der Gedanken auf seinem Gesicht. »Wenn er mich aber eines Tages heiraten würde,« fuhr sie plötzlich lächelnd fort, »was würdest du dann sagen?«

»Du bist wohl närrisch, meine Gemma?« fragte Berto.

Gemma drehte sich auf den Absätzen ihrer hübschen Schuhe. »Frau Athanasia ist alt und krank,« sagte sie halb singend, »und sie hat ihm keinen Erben geboren!«

»Gemma, Gemma!« rief er, »du bist ein ganz törichtes Mädchen. – Aber du bist des Vaters Freude und sein Stolz. Du weißt nicht, wieviel Unheil und Blut du über uns bringst. Man sollte euch alle einsperren!«

»Danke, mein kleiner Bruder, vielen Dank!« rief sie und kehrte ihm den Rücken.

Von da an sprachen sie nicht mehr miteinander, aber bei Tische, und wo sie einander sonst begegneten, ruhten die Augen Bertos düster auf ihr.

Er kehrte zu seinem Herrn zurück, der Trevano wieder erobert hatte und seither dort Hof hielt, und kam erst zu Weihnachten wieder nach Hause. Auf der Bergstraße traf er die beiden Frolla, Benedetto und seinen Bruder Vitale. Sie gingen vorbei und erwiderten seinen Gruß nicht. Als Berto sein Pferd anhielt und fragte, ob sie ihn vielleicht nicht erkannt hätten, rief Vitale, der klein und braun war und eine scharfe Zunge hatte: »Man kennt euch nur zu gut, und darum grüßen wir euch nicht.«

»Was sagst du?« fragte Berto.

»Das, was ich sage. Wer Ohren hat, kann hören.«

»Sprich deutlicher. Ich bin nicht scharfsinnig genug.«

»Deutlicher?« schrie der andere, den sein Bruder vergeblich wegzuziehen suchte.

»Schweige, schweige!« sagte Benedetto.

»Schweigen?« schrie Vitale. »Geh zur Hure, deiner Schwester ...,« schrie er Berto zu, »und frag sie!«

»Antichrist! verfluchter!« schrie Berto und spornte sein Pferd gegen Vitale, wobei er sein langes Schwert herausriß. Die anderen, die nur Messer hatten, stoben schreiend davon. Der Weg ging aufwärts, und Bertos Pferd war schnaubend hinter dem fliehenden Vitale her; der floh von der Straße über die niedere Steinmauer ins öde Feld, aber Berto setzte mit dem Roß hinüber und ereilte ihn an den Zatteln seines Wamskragens. »Laß dein Messer stecken!« sagte er scheinbar ruhig, während beide einander mit tödlichem Haß anblickten. »Wenn du an den Griff rührst, stech ich dich nieder. Ich sollte dir jetzt die Zunge abschneiden für dein Wort, wenn ich nicht fürchten müßte, daß es wahr sein könnte ...«

»Es ist wahr!« heulte der andere.

»Und wenn es wahr ist, Vitale, dann helfe dir Gott, wenn du es noch einmal aussprichst. Denn dann bringe ich dich um. Und jetzt geh!« Damit schlug er ihm den Knauf seines Schwertes mehrmals ins Gesicht, daß Vitale mit blutiger Nase und Lippen hinfiel, und ritt davon. »Stirb eines übeln Todes!« schrie ihm der andere, sich aufrichtend, nach.

Er aber ritt in zorniger Eile dem Hause zu. Die Dämmerung fiel bereits; in den Fenstern des Erdgeschosses wurde es Licht. Die Knechte kamen heraus, als er pochte und pfiff: der Vater sei nicht zu Hause, er sei am frühen Vormittag nach dem Kloster. Mit schwerer Stimme, die ihm wider Willen versagte, fragte er nach seiner Schwester. Die alte Magd erwiderte kummervoll, sie sei schon seit einiger Zeit mit der Base Giulia aus dem Hause; wohin wußte sie nicht.

Berto nahm sich kaum soviel Zeit, dafür zu sorgen, daß sein Pferd gekühlt. abgezäumt, in den Stall gebracht und mit Futter versehen wurde, und selbst die nötigste Nahrung zu nehmen, dann bestieg er ein Maultier und nahm einen Knecht mit, denn die Straße, die zum Kloster führte, war auch bei Tage für Pferde nicht sehr geeignet.

Es war eine kalte Nacht, in der eine schmale Mondsichel nur manchmal durch hochziehende dunkle Wolken schien. Dann sahen sie die Hügelrücken und die dunkleren Täler unter sich, während ihr Weg steiler und steiler aufwärts ging, durch Schluchten über hohe schmale steinerne Brücken, deren Seitenmauern spitz wie Giebel liefen, und während tief unten in der Schlucht die winterlichen Wasser dröhnten. Sie hatten eines dieser Brücklein überschritten, als das Maultier stutzte und ausbrechen wollte. Berto sprang ab und beide hielten das zitternde Tier, das über die Brücke zurückwich. Vor ihnen auf einem alten Baumstamm seitwärts des Weges sahen sie eine dunkle Gestalt und zwei glühende Augen. Duccio, der Knecht, stieß ein fürchterliches Geschrei aus, da hob sich die Gestalt hoch empor und verschwand wie mit einem Satz im Dunkel der Wand.

Beide bekreuzten sich. »In dieser Nacht ist der Böse auf dem Wege«, flüsterte der Bursch.

»Es wird ein Bergluchs gewesen sein«, sagte Berto. Aber auch er war nicht sicher und zitterte.

Schweigend führten sie das Tier, als sie es endlich vorwärts brachten, den dunkeln sich windenden Pfad weiter zur Höhe. Ein eisiger Wind erhob sich und blies ihnen scharf ins Gesicht. Nur in nächster Nähe und in unsicheren Umrissen unterschieden sie die Felsen und ihren Weg. Bis sie um eine Ecke bogen, der Wind aufhörte, ein Lichtschein von oben die Schlucht erhellte, und sie hoch an der Felsenwand über ihnen das weite, mächtige Bauwerk erblickten.

Jetzt erklang Glockenläuten vom Turm des Klosters, hallte von den Wänden wider und füllte die Schluchten mit seinem Schall. Bald waren sie am Tor und pochten und riefen, bis es aufgetan ward. Ferner Gesang schlug an ihr Ohr; durch den Hof und durch lange düstere Gänge folgten sie einem dienenden Bruder, bis im Glanz von tausend Lichtern die Klosterkirche sich vor ihnen öffnete. Vorn im Weihrauchnebel stand der Abt mit Insul und Mitra, hinter ihm kniete eine andächtige Menge, während Orgel und Gesang vom Chore schollen. Berto warf sich gleich den andern nieder, und heiße Tränen quollen aus seinen Augen.

Er sah den Vater weiter vorne knien; er erkannte die gebeugte, nicht gar große Gestalt, das dünne weiße Haar. Als die Messe vorüber war, trat er in der Halle auf ihn zu und küßte ihm die Hände. Piero sah ihn unsicher an, aber sie sprachen in dieser Nacht nicht mehr von dem, was in ihren Seelen war.

Trotz dem hohen Festtag fand der Abt am nächsten Morgen Zeit, sich fast eine Stunde lang mit Piero Ariberti einzuschließen. Dann wurde Berto gerufen. Herr Gregorio, der Abt, war ein mittelgroßer Mann mit schmalem runden Kopf und ernsten Augen. Berto mußte der Worte des Kämmerers denken, als er eintrat und ihm die Hand küßte. Die strengen, tief in den Höhlen sitzenden Augen betrachteten ihn eine Weile, dann fragte Herr Gregorio, wie lange er schon im Dienste des Grafen sei.

»Drei Jahre, hochwürdigster Herr«, erwiderte er.

»Herr Guidotto ist ein großer Kriegsmann,« sagte der Abt, »er ist fürsorglich und gerecht gegen seine Untertanen«, fügte er hinzu.

Berto schwieg. Piero aber, als hätte er einen Wink erhalten, stand auf und verließ das Gemach.

»Was führst du im Sinn?« fragte der Abt, als eine Weile vergangen war. Berto schwieg. »Dein Vater fürchtet deine Absichten. Falle nicht in die Schlingen des Bösen, mein Sohn, der immer umhergeht!«

Berto gedachte des Gesichts der vergangenen Nacht und erschrak.

»Was führst du im Sinn?« wiederholt« der Abt. Er wollte nicht antworten, aber die strengen Augen, stetig auf ihm ruhend, zwangen ihn, obwohl er den Blick ebenso stetig erwiderte.

»Ich meine, es müßte uns Recht werden«, sagte er.

»Recht!« erwiderte der Abt. »Hast du immer Recht getan? Hast du immer Recht werden sehen?« Er wies mit der Hand nach dem Fenster. »Soweit du hier siehst, war alles früher des Klosters, und gehört heute dem Laorca ...« Er war aufgestanden und selbst ans Fenster getreten, » Abscondisti haec a sapientibus ...« murmelte er, dann verstummte er und sah Berto wieder aufmerksam an, der ihn gleichfalls ansah. »Du verstehst dich aufs Jagen, nicht wahr?« sagte der Abt endlich. »Du weißt, wie lange ein Jäger geduldig steht und lauert und des Wildes harrt und seine Zeit abwartet, ehe er den Speer wirft ...«

Gespannt horchte Berto auf und blickte dem Abt auf die Lippen; der aber verstummte und sah ihn scharf an. »Überlaß dein Recht dem Herrn«, sagte er plötzlich. »Graf Guidotto ist ein großer und gerechter Fürst ... Geh jetzt, und noch Eins«, sagte er mit starker Stimme: »Vergreife dich nicht an deinem eigenen Blut!«

Wieder sah Berto erschrocken zu Boden, da er geheime Gedanken erraten sah, die er sich selber kaum eingestand.

»Geh jetzt,« wiederholte der Abt, »geh mit Gott, mein Sohn!«

Berto kniete nieder, küßte ihm die Hände, der Abt segnete ihn und machte das Zeichen des Kreuzes über ihm, und er ging. Piero stand schon bei den Maultieren. Sie ritten talwärts fast ohne zu reden. Einmal fragte Berto, während er über die Reden des Abtes nachdachte: »Wo ist die Gemma, Vater?«

Piero zuckte die Achseln, sah ihn schief an und antwortete nicht.

Berto kehrte in den Dienst des Grafen zurück, und alles war wie vorher. Aber an einem der ersten Tage, an dem er wie gewöhnlich an der Tafel seines Herrn saß, der mit dem Kämmerer sprach, unterbrach der Graf sich plötzlich: »Du mit den unheimlichen Augen, sieh mich nicht so an!« sagte er, flüchtig über den Tisch hersehend. Und in der Tat hatte Berto eine Art, lange ohne zu blinzeln in das Gesicht der andern zu sehen, die diese aus der Fassung brachte. Er schlug seine Augen jetzt bescheiden nieder: der Graf lächelte in seiner stechenden Weise und sprach von anderem. Eine Weile später ließ er Berto rufen; und hieß ihn mit einem Brief an den Bischof nach Perugia reiten, und als er von da zurückkam, schickte er ihn nach Polesella, einen Trieb Pferde, die der Graf gekauft, herüberzuführen. So erhielt er einen Auftrag nach dem andern, die er alle getreulich ausführte, aber selten geschah es, daß sein Herr ihn bei sich behielt.

Der Winter verging und der Sommer brannte über den Tälern und Bergen und auf den Steinmauern und der Herbst kam wieder, und fast immer war Berto unterwegs oder hatte in einem der Kastelle seines Herrn Dienst. Es war schon spät im Jahr und die Zeit früher Dämmerung, als er wieder einen Auftrag hatte. Wenn er quer durchs Gebirge ritt, konnte er einen Tag gewinnen. Er war mit zwei oder drei Leuten, die er an der Straße ließ, und ritt ins heimatliche Tal auf ein Haus des Vorwerks zu, in dem einer der Pächter seines Vaters wohnte, der eine hübsche Tochter hatte und die Berto wohlgefiel, obschon er sich sehr im Zaum hielt, denn daran war ja doch nicht zu denken.

Er sah Licht und fand die Hoftüre offen und die des Hauses auch. So trat er, sein Pferd am Zügel nachziehend, ein und machte es an einem Pfosten fest. Die Hunde, die erst angeschlagen hatten, wedelten jetzt um ihn. In der Halle war eine Tafel gedeckt; Brot und Wein und Speisen standen bereit, aber es war kein Licht da; er ging durch den Gang dem Schimmer nach. Er hörte ein Kosen und Lachen und jetzt sah er, selbst im Dunkeln, in einem engen Gemach ein Bettlein unter einem Madonnenbild im Lampenschein; davor stand die Base Giulia und die strahlende Gemma, sein Vater Piero, die Tochter des Hausmannes, die ihm wohlgefiel, und ein grauhaariger Mönch um ein ganz junges Kindlein, das die Frauen in die Höhe hoben und herzten.

»Das ist der Erbe von ..., so Gott will!« rief die Base Giulia; bei dem Namen hatte Piero ihr den Mund zugehalten.

Berto wollte laut auflachen, aber der Ton erstarb ihm in der Kehle. Er sah den Vater und den Mönch beiseite treten. Was sie redeten, konnte er nicht verstehen; aber aus ihren Blicken und Gebärden erkannte er, daß sie von dem Kinde sprachen. Der Vater redete zumeist und der Mönch nickte dazu. Berto aber ging schweigend zurück, wie er gekommen, berührte weder Wein noch Speise, so hungrig er war, band sein Pferd los, schwang sich in den Sattel und ritt weiter.

In des Vaters Hause saß er schon lange am Tisch und hatte gegessen, als Piero Ariberti eintrat. Sie begrüßten einander kurz und stellten nur die nötigsten Fragen, wie ihre Gewohnheit war. Dann verschloß Piero die Tür, holte aus einer alten Truhe Papiere und Pergamente sowie ein in Leder gebundenes, mit Eisenschlössern verwahrtes großes Buch hervor, nahm ein mächtiges Tintenfaß aus Ton von einem Wandbrett, setzte sich an das andere Ende des langen Tisches, schnitt sich eine Feder zurecht und begann mühsam zu schreiben. Er schrieb Ziffern, die seine Lippen lautlos mitsprachen, so daß die weißen Bartstoppeln an seinem Kinn sich dabei bewegten. Er trug einen Pelz und eine Kappe, die er tief ins Gesicht gezogen hatte. Es war kalt im Zimmer, obwohl im Kamin mächtige Scheiter brannten, und die beweglichen Schatten durch die hohe Stube manchmal bis zum Gebälk hinauf tanzten.

Berto saß und schwieg. Zum erstenmal sah er mit innerem Grimm auf den Vater und dünkte sich weit klüger zu sein als er, und gerade dies nahm er ihm übel. Er wollte aufstehen. »Warte noch!« sagte der Alte. Berto gehorchte. Piero zog den Weinkrug herüber und trank.

»Die von Siena und von Aggubbio haben einen Bund geschlossen«, sagte Piero. Berto schwieg. »Mit den Lambertelli«, fuhr der Alte fort.

Berto schwieg, aber er horchte auf, denn das war ihm neu.

»Die Urbinaten sollen auch dabei sein. Und der Bischof von Perugia; wenigstens weiß ich, daß sie insgeheim verhandeln.«

Berto sah die Mauern von Laorca wanken. »Weiß Herr Guidotto es auch?« fragte er.

»Weiß nicht«, sagte Piero.

»Woher wißt Ihr es?«

Der alte Mann zuckte die Achseln. Im nächsten Augenblick schlug Berto sich an die Stirn: »Vom Kloster!« durchfuhr es ihn. Aber was hatte der Vater und was der Abt damit zu tun und wie weit waren sie dabei? Berto sah in einen Abgrund. Seine Gedanken sprangen gleichsam von Schluß zu Schluß und jeder brachte neue Rätsel und neue Schwierigkeiten. Es war, als ob der Vater sie erraten hätte. Die Schatten tanzten hoch an der Wand in den kleiner werdenden Flammen des Kamins, als der Alte sich erhob, über den Tisch beugte und mit einem plötzlichen Ruck die Pergamente vor ihn schob. Unter jedem las Berto die Unterschrift des Laorca, sah, daß es sich um Schuldsummen und Verpfändungen handelt«; wie weit sein Vater und wie weit das Kloster, das immer darin erwähnt wurde, Gläubiger waren, das wurde ihm nicht klar; wohl aber erkannte er, daß sein Vater reicher sein mußte, als er sich je träumen lassen.

»Ist der Caponsacchi für ihn oder gegen ihn?« fragte Piero Ariberti.

»Und was sagt Herr Gregorio, der Abt, dazu?« fragte Berto dagegen.

Piero Ariberti aber schüttelte nur den Kopf. Berto wollte nicht sagen, was er heute gesehen, und so konnte er nicht erkennen, was für ein Spiel sein Vater spielte.

»Ist der Caponsacchi für ihn oder gegen ihn?« fragte Piero Ariberti wieder.

»Ich weiß es nicht«, sagte Berto. »Und was soll ich nach alledem?« fragte er nach einer Pause.

Der Alte zuckte die Achseln. »Man redet, wann es Zeit ist«, sagte er. Dann lachte er ein wenig, schlug Berto auf die Schulter, und hieß ihn trinken und zu Bette gehen.

Das tat er denn auch, aber als er am andern Tage weiter ritt, war er in vielen seltsamen Gedanken und mit einem sonderbaren Gefühl von gesteigertem Bewußtsein und Grimm zugleich, und Unklarheit und Vereinsamung.

Er überlegte, ob er seinen Herrn warnen mußte, überlegte, ob er den Vater damit preisgab, und ... den Abt.

Als er nach Laorca zurückkam, gab er seinen Bericht und sagte dann, er hätte noch etwas hinzuzufügen. Auf dem Weg nach Perugia seien Leute des Bischofs gesehen worden und nicht alle hätten geschwiegen; die Lambertelli hätten auf Zoria ein großes Fest gefeiert, und auch von Urbino sei die Rede gewesen. Er log genug zusammen, daß der Graf die Wahrheit ahnen und die Gefahr ermessen konnte. Guidotto befragte ihn scharf; Berto gab ihm Worte, die ihm wie aus den Bergnebeln zugeflogen waren, was da und dort ein Reisiger beim Wein geschwatzt, ein Wirt seinem Gast nachgeredet. Der Laorca legte die Hand ans Kinn und sann eine Weile gleichsam in sich hinein, dann sagte er, es sei gut, und ging ins Haus zurück.

Berto war bereits im Hof und wollte aufsitzen, als der Graf ihn nochmals rufen ließ. Sei es, daß er den Jungen im weißgrünen Wams mißverstanden, der ihn gerufen hatte, oder aus sonst einem Grunde nicht dort wartete, wo er warten gesollt, er ging, den Herrn suchend, von Gemach zu Gemach, bis er plötzlich, da er Stimmen hörte, stehen blieb und selbst ungesehen und ungehört, sehen und hören mußte: Herr Guidotto ging auf und nieder; hinter ihm in einem hohen Lehnstuhl saß Frau Athanasia frierend in ihrem Pelz, fiebernd und zähneklappernd; sie sprach vor sich hin und schwieg keinen Augenblick; aber was sie sprach, konnte er nicht verstehen. Plötzlich stieß sie einen schrillen Schrei aus, verstummte einen Augenblick und sprach dann wieder rastlos weiter. Der Graf war bleich, er war an den Schläfen ergraut, und das Fleisch war gleichsam von den Knochen seines Gesichts gewichen, er ging auf und ab und hie und da sah er sich nach der Frau um. Berto aber war scheu durch die Gemächer entwichen, und wartete in der Halle, bis der Graf kam und mit ihm sprach. Er hieß ihn nach Arezzo reiten mit einer Botschaft für den Caponsacchi. Berto wußte wohl, was davon abhing und was ihm anvertraut wurde.

»Hat er dich noch nicht ertränkt?« fragte der Bärtige lachend, als er ihn sah; denn obwohl in diesen Jahren seine Schultern breiter und seine Züge schärfer und männlicher geworden waren, hatte Berto sich sonst wenig verändert.

»Er wird wohl keinen Grund dazu gehabt haben«, erwiderte er ruhig.

»Ist gut!« sagte der Caponsacchi und begann Fragen zu stellen, aber Berto war auf der Hut, und als er alle so beantwortet hatte, wie es ihm am besten schien, versprach der Caponsacchi im Frühjahr mit seinen Reitern zu kommen.

Als er auf vorsichtigen und gefährlichen Pfaden sich nach Laorca zurückgefunden, überholte er einen Zug schwarz vermummter Mönche, die einen Sarg nach dem Schlosse trugen, und erfuhr, daß Frau Athanasia am Tage zuvor sich aus dem Turmfenster in den Hof gestürzt und zerschmettert liegen geblieben war. Jetzt lag sie in der Halle gebettet; ein Priester betete schweigend, während der Graf in Trauerkleidung rastlos auf und ab ging. Die Halle war des Gesindes voll, Berto stand neben einem Fackelträger, der flackernde Schein fiel auf sein Gesicht, als der Graf ihn bemerkte und heranwinkte. Er wußte, was die Antwort, die er brachte, seinem Herrn wert war, und er wunderte sich nicht und dankte nur, als der Graf wortlos den Dolch, dessen Griff der Drache aus grünem Stein war, vom Gürtel löste und ihm schenkte.

Nun hatte Berto einen andern Wunsch, den er dem Kämmerer Herrn Barozio anvertraut hatte, damit Herr Guidotto ihn erführe. Er wollte, daß er ihn zum Ritter schlüge.

Vom Augenblick, da das Begräbnis Frau Athanasias und die Totenfeier vorüber war, wartete er gespannt, was sich ereignen würde. Während des ganzen Winters wurden die Verhandlungen über das Gebirge geführt, wie Schicksalsfäden, die hin und her zum Netz gezogen wurden. Auch Berto wanderte öfters über die kahlen oder verschneiten Höhen, obwohl er meist im Kastell zu Cagli saß, zu dessen Besatzung er gehörte. Dort stand er anfangs März mit Herrn Azzo di Colla, der der Befehlshaber war, in der Waffenkammer; er hatte sich eben einen großen Bogen ausgesucht und fettete die Sehne ein und sie sprachen über die Schlachten, die sie im Frühjahr und Sommer erwarteten. Und im Gespräch erfuhr Berto, daß sein Herr um Nella Malaspina gefreit und der Markgraf Anselms, ihr Vater, sie ihm anverlobt hatte.

Berto hatte die Nella an den Quellen des Arnostroms spielen sehen. Sie war noch ein halbes Kind, das auf der Wiese hinter dem Ball herlief und vor kurzem mit der Puppe gespielt hatte. Nellas Vater war Herr der Lunigiana und Schwager des Ordelaffi in Forsì, und wider Willen bewundernd erkannte Berto, daß der Laorea damit einen Gegenbund quer übers Gebirg gezogen hatte, der es mit dem andern aufnehmen konnte. Er war sehr bleich geworden und trat, sobald er konnte, auf den Wallgang hinaus und sah über die weiten Höhen und Täler hin, die sich nach der nördlichen Ebene zogen. Da er sich über die Zinne lehnte, fühlte er einen peinlichen Druck an der Hüfte. Es war der grüne Steingriff des Dolches, den Guidotto ihm zum Geschenk gemacht hatte. Er wollte ihn aus der Scheide ziehen und tief hinab in den Gießbach schleudern, der unten am Fels niederschäumte, als er gerufen wurde. Ein Eilbote war aus Laorea gekommen, und er sollte mit allen irgend entbehrlichen Leuten hinüberziehen.

Auf Zoria hatte Gozzo Lambertelli gesagt, daß er nicht warten wollte, bis er zur Hochzeitsfeier geladen würde, und wenn sie nicht all ihre Bundesgenossen zur Stelle hatten, so war der Laorea noch weniger bereit. Die Boten flogen durchs Gebirg, und mancher Leichnam kollerte von einsamen Bergwegen in den Abgrund nieder, wenn einer abgefangen ward. Kaum in Laorea eingetroffen, mußte Berto sogleich nach Arezzo weiter, den Caponsacchi an sein Versprechen zu erinnern. Und er kam hindurch und zurück und konnte dem Grafen, der schon vor Trevano stand, melden, daß der Bärtige mit dreihundert Lanzen dicht hinter ihm sei.

Er traf den Laorea am Flußufer. »Nun sollen dir die goldenen Sporen nicht fehlen, wenn ich den Tag überlebe«, sagte er. Berto sah finster zu Boden. »Komm mit mir, wir wollen nach den Lambertelli sehen. In wieviel Stunden kann er hier sein?«

»Wenn alles gut geht, faßt er sie vor Abend im Rücken.«

Der Weg am Flußufer ward enger und führte an dieser Stelle tiefer hinab; sie suchten einen Weg an der Böschung aufwärts. »Das ist heute schon die zweite gute Nachricht«, sagte der Graf. »Der Kämmerer hat mir die Dispens vom Papste gebracht, daß ich die Malaspina schon zu Ostern heimführen kann.«

Berto sah ihn an. Der Graf hatte sein Pferd angehalten, er hatte die Hand an die Ohrmuschel gelegt und lauschte. In der Niederung hinter dem Hügel klirrte es und über dem Kamme tauchten Lanzenspitzen auf.

»Wir müssen zurück, Berto!« rief der Graf und wandte sein Pferd. Berto war dicht neben ihm, und gleichfalls wendend, drängte er sein Roß ganz an das des Grafen, beugte sich vor und stieß ihm den Dolch mit dem grünen Stein zwischen der Achselspange und der Öffnung des leichten Brustpanzers tief in die Herzseite. Aufstöhnend und im Sattel wankend sah der Laorea sich um und starrte ihn mit wilder Wut und zugleich einem letzten grenzenlosen Erstaunen an; und ebenso starr und wie über sich und seine Tat erstaunt, gab ihm der junge Ariberti den Blick zurück. »Es ist um die Gemma, Herr!« rief er, und als der Graf fiel, stieß er einen lauten Schrei aus, warf die Arme in die Luft und ritt den vom Hügel herabkommenden Bogenreitern entgegen in ihre Pfeile.

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