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Liebesleiden

Emma Escher, die Schriftstellerin, die mit ihrem bürgerlichen Namen Emma Sponholz hieß, hatte ihn und die Gräfin zusammengebracht. Fräulein Escher liebte es, Menschen zusammenzubringen, und diesmal schien sie wohlgetan zu haben.

Die Gräfin trug altmodische Locken um ihr noch junges Gesicht, und ihre Kleidung war immer auffallend. Sie hatte die Errichtung des Katzenfriedhofs auf der Piazza di Spagna angeregt. Man sprach über sie in Rom.

Von ihm hatte jemand gesagt, er sähe aus wie ein sentimentaler Clown. Seitdem er sie bei Fräulein Escher getroffen, sah man beide viel beisammen, sah ihn mit ihr im Wagen auf dem Monte Pincio und in ihrer Loge bei Constanzi; bei ihren Empfängen stand er am Kamin oder saß in einer Sofaecke und sprach stets leise und angelegentlich mit irgendeinem Herrn über eine Tagesfrage.

Ganz Rom beschäftigte damals der Bilderdiebstahl auf der französischen Botschaft. Die Gräfin fuhr überall vor, wo sie etwas erfahren konnte, und sie sah nicht nur M. Sylvain, den Attaché der französischen Botschaft, in ihrem Salon, sondern auch M. Spohr von der geheimen französischen Polizei, der von Paris nach Rom gekommen war, um den Täter aufzuspüren. Monsieur Sylvain lächelte nur, scherzte über das Unglück, das die Botschaft gehabt, und schilderte den Damen die Göttinnen auf dem entwendeten Bild; Monsieur Spohr konnte natürlich gar nichts sagen; doch erzählte er von andern spannenden Fällen, in denen er tätig gewesen war.

Als Wendhagen gehen wollte, hielt die Contessa ihn fest: »Ich habe etwas mit Ihnen zu reden.« Er setzte sich in eine Ecke neben dem rosaseidenen goldgestickten Ofenschirm; er ahnte, sie würde ihm wieder zureden, daß er ein Monokel tragen sollte; sie fand, sein Gesicht sei dazu bestimmt, und er wollte nicht. Er sah mit beiden Augen gleich gut.

Als der letzte Besucher gegangen war und sie mit kleinen Schritten lebhaft auf ihn zukam, war es dennoch etwas anderes: sie wünschte, daß er sich für ein junges Mädchen verwende, das verführt oder vergewaltigt oder nach Rom gelockt worden war; völlig ward er aus ihrer Erzählung nicht darüber klar. Als sie geendet hatte, fragte er, ob er einen Zehn-Lire-Schein beisteuern dürfe?

» Fi donc!« sagte die Contessa und bat ihn, ihr den Scaldino zu reichen. Ihre Füße in den kleinen Lackschuhen froren immer. Während er den glutgefüllten Schemel zurechtschob, fragte er, was er dann für die Unglückliche zu tun berufen sei?

»Sie kennen alle Redaktionen, kommen in die Associazione della Stampa. Auf dem Konsulat hat man für die arme Person nichts getan. Man muß Artikel in die Presse bringen und die Welt für sie interessieren, natürlich ohne ihren Namen zu nennen! Die Presse kann alles! Haben Sie den Artikel von Rastignac über den Bilderdiebstahl gelesen?«

Da waren sie wieder bei der andern Frage und vergaßen das schutzbedürftige Mädchen. Die Gräfin hatte eine zierliche Handarbeit vorgenommen. »Auf der deutschen Botschaft wird man sich freuen!« sagte sie.

»Über den Artikel in der Tribuna?« fragte Wendhagen.

»Über das neue Unglück, das die Republik getroffen hat.«

»Auf der deutschen Botschaft? Wie kommen Sie auf diesen Gedanken?«

»Aber das ist doch klar!«

»Glauben Sie mir, liebe Freundin, man denkt nicht daran.«

»Man sagt es natürlich nicht laut, aus internationaler Höflichkeit, aber man freut sich.«

»Glauben Sie, Contessa, man hat Besseres zu tun: das freut niemanden!«

»Denken Sie an den nationalen Haß!«

»Nein, nein!«

»Sie als Deutscher geben es natürlich nicht zu. Sie werden gewisse Regungen der lateinischen Seele nie begreifen!«

Er erlaubte sich zu bemerken, daß es sich ja hier um Regungen der deutschen Seele handle, und suchte ihr höflich und ernsthaft zu beweisen, daß ihre Ansicht absurd wäre. Es gelang ihm nicht. Zum erstenmal hatten sie mit Heftigkeit verschiedene Ansichten verfochten und trennten sich verstimmt. Als er vor dem Aragno unter dem tiefblauen Himmel saß, den Kaffee auf dem Tischchen, die Zigarre im Munde, ärgerte er sich noch.

Am andern Tage sah er sie flüchtig im Foyer der Oper; die Musik hatte beide ergriffen; sie lächelte ihm zu und erinnerte ihn an ihren Schützling. Er schrieb den Namen und die Adresse auf, und sie trennten sich.

Als er am nächsten Abend durch die Via Ripetta schlenderte, fiel ihm die Sache ein, und er stieg in einem alten grauen Hause schadhafte gefährliche Treppen mit schwarzen verbogenen Eisenstangen empor.

Eine große blonde Person öffnete auf sein Klingeln, überschüttete ihn, da er die Contessa nannte, mit heftigen Dankreden und entrüsteten Schilderungen, bis er erkannte, daß sie das Opfer nicht war; sie führte ihn in ein Zimmerchen, dessen Fenster in eine so enge Gasse ging, daß man die gelbe Mauer gegenüber beinahe mit der Hand erreichen konnte. Der Lärm spielender Kinder drang herauf und der Geruch weggeworfener Gemüsereste. Am Fenster saß zusammengesunken in einem alten Ledersessel ein kleines zartes elendes Geschöpfchen, das mit großen Augen unter dunklen Haaren kaum aufsah, blaß und matt, ein Wesen, das nichts mehr ergreift, das nur noch aufzuckt bei der Berührung.

Er fragte sie nicht nach ihrer Geschichte, fragte nur, ob sie nicht zu ihren Eltern zurückkehren könne.

»Nein«, sagte sie leise.

»Würde man Sie nicht mehr aufnehmen?«

»Ich will auch nicht.«

»Was wollen Sie tun?«

Sie sah ihn hilflos an. »Arbeiten?« Das Köpfchen nickte. »Was können Sie tun?« fragte er weiter.

»Zeichnen«, erwiderte sie ängstlich. Er sah talentlose Blätter, fragte, ob sie Handarbeiten könne? vielleicht Maschineschreiben? Sie schüttelte nur den Kopf. Madonna, was für ein hoffnungsvoller Fall! Er ließ sich einige Angaben von ihr machen, die er in sein Notizbuch schrieb, als wäre er amtlich da. Das Geschöpfchen begann zu husten; auf dem zerrissenen elenden Taschentüchlein sah er einen Tropfen Blut.

»Sie müssen zum Arzt. Ich werde Ihnen meinen Arzt schicken«, sagte Wendhagen.

Als der Hustenanfall vorüber war, saß sie wieder matt und unbeweglich.

Die blonde Person trat ein und mischte sich ins Gespräch; ihre Stimme zerriß ihm die Nerven. Er ging; jene folgte ihm weiterredend ins Vorzimmer; er wollte ihr mehrere Zehn-Lire-Scheine für die Unglückliche einhändigen; aber auch sie wies das Geld zurück, und er mußte sich entschuldigen.

Unten angekommen schritt er mit langen Beinen durch die Via Ripetta, die im warmen Abendschein lag. Auf der Piazza del Popolo ließ ein Reiter sein durstiges Pferd aus dem Brunnen trinken; die Schatten fielen riesenhaft über den Platz; Karossen rollten durch die Torbogen herein und verschwanden in den drei Straßen; von den Kirchen klangen die Glocken.

Abends kam er zur Gräfin; er schwieg von seinem Besuch; sie aber erzählte ihm aufgeregt, daß Monsieur Spohr vermutete, ein Deutscher sei an dem Diebstahl beteiligt: ob er jetzt zugeben werde ...?

»Was? daß die nationale Erbitterung etwas damit zu tun habe? – Liebe, liebe Freundin! – Und wie kann Monsieur Spohr das wissen?«

Sie warf ihm einen Blick zu. Er habe ja auch nie einsehen wollen, daß die französische Revolution von den Freimaurern gemacht worden sei! Abend für Abend mit genauen Programmen für den folgenden Tag, von den ersten Unruhen in den Straßen bis zur Hinrichtung der armen Marie Antoinette ...

Wendhagen gab die französische Revolution preis.

»Auch in der Dreyfusaffäre,« sagte sie, ihre Locken schüttelnd, »habe der Attaché der Deutschen Botschaft behauptet, daß sie nichts mit Dreyfus zu tun gehabt, und doch wisse jeder ...«

Er widersprach, behauptete, man müsse jenem Offizier Glauben schenken, wenn er dies auf seine Ehre erklärte.

»Aber er mußte es doch erklären!« rief sie, »mein Vater ist Gesandter gewesen: er hat nie ein wahres Wort sprechen dürfen. Er hat seinen Abschied nehmen müssen, weil wir in unserer Familie nicht lügen können!«

Wendhagen bedachte, daß er noch vor wenigen Tagen beinahe entschlossen gewesen, diese Frau zu heiraten, und daß er dann sein Lebenlang jeden Abend solche Gespräche führen müßte ...

Er sah das üppige Haar, das in soviel Locken um das volle Gesicht fiel, die großen unruhigen Augen.

»Woran denken Sie, lieber Freund?«

»Ich habe heute Ihren Schützling besucht«, sagte er und erzählte, daß er das Mädchen krank und in großer Not gefunden.

»Ich werde ihr meine alten Kleider schicken. Sie ist kleiner als ich und kann sie sich zurechtmachen, und dann werden wir eine Sammlung einleiten«, sagte sie entschieden.

Er wollte etwas dagegen bemerken, aber sie setzte bereits eine Liste auf. »Ich bewundere Ihre Energie«, sagte er und dachte an weibliche Widersprüche. Sie sah vom Schreiben auf und betrachtete ihn.

»Sie müssen unbedingt ein Monokel tragen, Wendhagen!« sagte sie. »Es gehört zu Ihrem Stil!«

»Ich werde nie ein Monokel tragen, Contessa«, erwiderte er fest.

Betroffen und ernstlich verletzt sah sie ihn an. Dann klingelte sie und befahl dem Diener, eine Strega zu bringen. Da dies stets das Zeichen zum Aufbruch war, trank er den Likör, der ihm serviert wurde, küßte der Gräfin die Hand und ging.

Drei Tage sahen sie einander nicht, und als sie sich dann in einem Hause trafen, redeten sie in so fremdem Ton miteinander, daß es ihn verwunderte.

Auf der Straße schrie man neben ihm eine Zeitung aus; »Der Bilderdiebstahl im Palazzo Farnese« kreischten die Weiber, »Ein deutscher Maler verhaftet!« Wendhagen kaufte das Blatt. Aber er kritisierte Monsieur Spohr und seine Vermutungen. In dem rauchgefüllten Aragno, an den langen weißen Tischreihen war die Erörterung tosend. Drei Wochen hatte der Verhaftete vor dem Bilde gesessen und es kopiert. »Um den Verdacht auf sich zu lenken!« bemerkte Wendhagen hohnvoll. »Nein, um die Gelegenheit zu erkunden!« wurde ihm erwidert. Er blies den Rauch der Zigarre in die Höhe, zu höflich zum Widerspruch, aber die Falten seines bartlosen Gesichtes bargen tausend Ironien. Schon kamen neue Einzelheiten: spät abends hatte jener eine geheimnisvolle Kiste abgesendet, – eigene Bilder, erklärte er, – ein Kerl, den niemand je arbeiten gesehen, es wäre denn zum Schein an jener Kopie, der sich mit Weibern herumtrieb und in Spiellokalen, in Not und Schulden gelebt und plötzlich Geld ausgeben konnte, – Geld, das aus keiner Quelle kommen konnte, als von dem amerikanischen Konsortium ... Wendhagen lächelte immer ironischer; innerlich sah er die Contessa in ihrem Salon sitzen, hörte sie das gleiche sagen und widersprach ihr. Da schlugen die Worte der andern wieder an sein Ohr: »Dieser Hentzel ...« hatte jemand gesagt. Denn nicht alle Zeitungen hatten den Namen richtig gebracht ... aber dieser traf ihn: Hentzel war der Name des herabgekommenen Malers gewesen, der das kleine Mädchen in der Via Ripetta verführt hatte. Wendhagen legte die Arme auf den Tisch und sank in Nachdenken. Er verteidigte den Burschen nicht mehr. Er rauchte seine Zigarre zu Ende und trat ins Freie.

Da er durch die dunkeln einsamen Straßen und Gäßchen schritt, kam ihm ein Gedanke, der ihm Vergnügen bereitete. »Seeluft« hatte sein Arzt gesagt, den er zu der kleinen Kranken geschickt hatte. Am andern Tage schickte er ihr eine Geldsumme, als käme sie vom Konsulat, von dem er sie erwirkt hätte, und würde durch einige Monate kommen, damit sie nach Nettuno oder Porto d'Anzio gehen und sich erholen könnte.

Das gleiche erzählte er der Contessa, als er ihr zufällig wieder begegnete, aber sie hörte kaum darauf und sah ihn unruhig an. Es konnte nicht fehlen, daß die plötzliche Entfremdung zwischen ihm und ihr noch viel mehr Aufsehen erregte, als ihre Annäherung es getan hatte.

»Ich bin die Schuldige,« sagte sie zu Emma Escher, »ich habe nach der Strega geklingelt.« Aber sie fühlte, daß sie die Verlassene war, und sie war sich peinlich bewußt, daß auch die Welt und selbst die Freundin diese Auffassung hatte. Aber Fräulein Escher fühlte auch ihre Verantwortung: sie lud Wendhagen zum Tee und fragte ihn sanft, warum er ihre Freundin so behandelte? Wendhagen war bestürzt: er war Frauen gegenüber nicht wehrhaft. Fräulein Escher erkannte, daß das Schicksal zweier Menschen in ihren Händen lag: sie bat beide zu sich, so daß sie einander unvermutet gegenüberstanden. Beide Frauen umgaben ihn mit jener leisen, dienenden und bewundernden Freundlichkeit, die es einem Manne im Teezimmer paschagleich behaglich macht. Die Contessa war schalkhaft und reizend, bisweilen sahen ihre großen Augen fragend, fast zärtlich in die seinen. Sie brachen miteinander auf und gingen zu Fuß durch die Mondnacht nach Hause.

Emma Escher war am nächsten Tage bei der Freundin und umarmte sie. Gleich nach ihr kam Wendhagen, um die Contessa zu einem Spaziergang abzuholen. Sie gingen zu dritt fort: vor einem Schaufenster auf dem Korso begeisterten sie sich an einem Amethystschmuck mit vielen hängenden Steinen; die Gräfin hatte ein violettes Kleid und einen violetten Hut, sie wünschte sich den Schmuck dazu, einen violetten Schirm mit einem Amethyst als Knopf daran. Einige Tage später war der Schmuck nicht mehr im Schaufenster: sie trat sofort ein und fragte: ein Herr hatte ihn gekauft; sie ahnte den Zusammenhang und wartete.

Dennoch konnte sie sich desselben Abends einen kleinen Triumph nicht versagen: als Wendhagen eintrat, breitete sie ein Zeitungsblatt vor ihm aus: die römische Polizei hatte ausgefunden, daß die Geliebte jenes Hentzel eine regelmäßige Unterstützung vom deutschen Konsul bezog!

Zum erstenmal sah sie Wendhagen feuerrot werden; »Sie wollen doch nicht den deutschen Konsul verdächtigen?« fragte er.

» Punto!« erwiderte sie, »aber sonderbar ist es doch! Die deutsche Diplomatie ist ungeschickt ...«

»Achten Sie auf den Namen, Contessa«, sagte er. »Es ist Ihr Schützling. Fürchten Sie nicht, daß auch wir beide, Sie und ich, ebenso verdächtigt werden?«

Nun wurde die Gräfin verlegen und dann ärgerlich. Ihr Zorn richtete sich gegen Hentzel, aber auch gegen das Mädchen. »Ich bin immer das Opfer meiner Gutmütigkeit«, sagte sie. Zuletzt lachten beide, doch war Wendhagens Lachen gezwungen.

Am folgenden Tag veröffentlichten die Zeitungen einen entrüsteten Brief, den der deutsche Konsul dem Untersuchungsrichter geschrieben hatte: es wäre dies eine unverschämte Lüge jener Frauensperson, die vom Konsulat nie einen Centesimo erhalten hatte! Das Mädchen wurde in Haft genommen, vom gleichen Verdacht wie Hentzel belastet, sowie auch der Verdacht gegen ihn sich nun verzehnfachte.

Wendhagen war in der ungeschicktesten Lage; aber es blieb ihm nichts übrig: er trat ritterlich hervor und wirkte unsäglich lächerlich. Ganz Rom lachte, als er vor Gericht erschien. Es war der süßeste kleine Skandal, den es je gegeben. Wendhagen, den jeder Gast im Aragno und jeder Spaziergänger auf dem Korso kannte, hatte die kleine Geliebte des Bilderdiebes ausgehalten und an die See geschickt. Schön, das war heiter genug, aber warum hatte er sie der Contessa, seiner Verlobten, empfohlen und ins Haus gebracht? und dem deutschen Konsul? Warum die Contessa veranlaßt, sie mit ihren Kleidern auszustatten? Welch eine häßliche Regung und was für psychologische Rätsel! Indessen dadurch war M. Spohr auf die ganze Sache gekommen. Die »Vita« interviewte sämtliche Beteiligten; ein anderes Blatt brachte die Bilder Wendhagens, Peter Hentzels, der Contessa und der kleinen doppelt Geliebten in einem der Kleider der Contessa. Wo Wendhagen erschien, waren alle Gläser auf ihn gerichtet, und von allen Seiten nahmen ihn die Momentphotographen auf.

Die Contessa schäumte. Oh, nicht darum, daß er ein kleines Mädchen gehabt, das war ja selbstverständlich, aber daß er sie so heimtückisch mit ihrem eigenen Schützling betrogen, während er um sie geworben ... Sie sprach von nichts anderem, als von dieser Werbung; auch sie schrieb entrüstete Briefe an die Zeitungen und noch entrüstetere an Wendhagen, zugleich verbot sie ihm ihren Salon; die Briefe, in denen er verzweifelt gegen alle Verleumdung und Mißverständnisse protestierte, zerriß sie mit einem nervösen Lachen und warf sie ins Feuer. Ja, sie erbitterten sie doppelt und mit Recht, da sie genau darüber unterrichtet war, daß er nichts unversucht ließ und unermüdlich Schritte unternahm, um die elende Person aus dem Gefängnis zu befreien, und sie zuletzt auch wirklich frei bekam, da auch Hentzels, des Malers, Unschuld sich völlig zweifellos herausgestellt hatte.

An dem selben Tage, an dem die Zeitungen die Freilassung des Mädchens aus dem Untersuchungsgefängnis meldeten, erschien ein Diener der Contessa und verlangte die Kleider zurück, die jene ihr geschickt hatte: und da auch das, welches sie eben am Leibe trug, eines davon war, mußte die Geängstigte es ausziehen und dem Manne einhändigen.

Wendhagens Nerven waren von soviel Aufregungen erschöpft und er beschloß, selbst an die See zu gehen.

»Kommen Sie mit mir,« sagte er zu der Kleinen, »es nützt nichts mehr: von dem Verdacht werden Sie doch nicht wieder frei und ich auch nicht. Und so werden Sie wenigstens gesund. Ich habe die Pflicht, für Sie zu sorgen, nachdem ich Sie in all das hineingebracht. Ich bin ein Onkel ...« sagt« er mit freundlichem Lächeln, und ein noch viel freundlicheres Lächeln dankte ihm.

Und Wendhagen ging mit dem kleinen Mädchen an die Mündung des Arno. Sie trennten sich nicht mehr. Sechs Monate später wurden sie in der protestantischen Kirche in Florenz getraut.

Bei Fräulein Emma Escher las die Gräfin die Anzeige. Es überraschte sie, daß er die Verwegenheit hatte, Karten auszuschicken. Aber starr, mit unverwandten Blicken, saß sie in ihrem Wagen, als im Garten Borghese ein anderer Wagen an ihr vorüberfuhr, in dem Wendhagen saß, der jünger und sehr fröhlich aussah, und neben ihm, unter einem violetten Sonnenschirm, seine Frau in einem violetten Kleide, mit einem violetten Hut, den Amethystschmuck mit den hängenden Steinen um den zierlichen Hals ...

»Nach Hause!« rief sie ihrem Kutscher zu. Mit starren Zügen und zusammengepreßten Zähnen saß sie aufrecht im Wagen; aber zu Hause weinte sie kochende Tränen, und dann fuhr sie zu Emma Escher, die sie für alles verantwortlich machte, was sie gelitten hatte.

Fräulein Escher lud Wendhagen zum Tee und stellte ihn sanft zur Rede, aber er sagte nur: »Sie hat ihr ihre Kleider weggenommen: sie soll sehen, daß es ihr nicht an andern fehlt.«

*


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