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Das Modell

Wir saßen spät abends beisammen; das Gespräch war halb erstorben; nur einige in den Ecken unter den japanischen Lichtern saßen noch, Zigaretten rauchend, mit ausgestreckten Beinen und plauderten abgerissen und schläfrig. Sie redeten von der alten Sache: der Not, gute Modelle zu finden; alle waren einig darüber, und doch wußte jeder, erst einer, dann der andere, einen wunderlichen Fall zu berichten, wie er zu einem unvergleichlichen Modell gekommen war. Und dann erzählte Dewir seine Geschichte:

»Ihr erinnert euch noch an das Atelierhäuschen, das mir der Fürst im Park eingeräumt hatte. Dort läutete es eines Vormittags an der großen eichenen Türe in dem hofartigen Zugang zwischen dem Atelier und der Parkmauer. Ich öffnete; es war ein nebliger Herbstmorgen, die gelben Blätter lagen verweht auf den Türstufen. Draußen stand eine Dame, verschleiert, und fragte leise, ob der ›Herr Professor‹ zu sprechen wäre.

»Ich bin der ›Herr Professor‹«, sagte ich. Ich hatte Pantoffel an den Füßen und war ohne Kragen. »Ob sie mit mir sprechen könne.« Ich erwartete mir nichts, aber ich war nicht eigentlich bei der Arbeit und bat sie, einzutreten.

»Ob ich nicht ein Modell brauchen könnte?«

»Sie?«

»Ja.«

»Kopf oder Akt?«

»Akt.«

»Bitte ausziehen!«

Eine leichte Bewegung, eine Art Zittern kommt über sie. Ich sehe, daß es eine Anfängerin ist. Ich warte. Endlich entschließt sie sich und fängt ungeschickt, nervös an.

Ein Modell, das sich geniert, ist peinlich. Es bringt auf unsachliche Gedanken. An Hut und Schleier rührte sie nicht; was ich sah, genügte. Ich frage um ihren Namen und ihre Adresse; sie antwortet nicht darauf und sagt, sie möchte lieber kommen, wenn ich sie bestelle. Ich verstehe und sage nur: »Aber wenn ich dann einmal nicht da sein kann, kann ich Ihnen nicht abschreiben.«

»Das macht nichts.«

Sie ist dann oft gekommen und hat mir gesessen; aber nun kommt das Sonderbare: ich habe sie in ganzer und halber Figur gemalt, aber – Hut und Schleier legte sie nicht ab: ein kleines turbanartiges Barett und einen schwarzen Schleier, den sie so ums Gesicht gewunden hatte, daß ich keinen Zug erkennen konnte, kaum die Kontur.

Aber ein wundervoller Akt, schlank und schmal, zwei Brüstchen wie kleine Birnen, die schönsten, die ich je gesehen, und wundervoll angesetzt; kaum merkbare Hüften; das ganze Figürl tadellos, von dem Saukorsett, mit dem unsere Weiber sich ihren Leib verderben, niemals verunziert; seine Knie, lange schlanke Beine, nur die Füße ein bißchen von den Schuhen ruiniert, wie das ja leider nicht anders ist. Schöne Füße habe ich nur bei italienischen Bäuerinnen gesehen, die ihr Leben lang barfuß gehen. Und dann ein Ton: das feinste Olivenbraun: am liebsten habe ich sie auf Weiß gemalt.

Sie ist auf vielen von meinen Bildern.

Sie kam nicht immer, wenn sie sich angesagt hatte, und das nächstemal stammelte sie dann leise unterm Schleier eine rasche Entschuldigung. Und saß immer in Schleier und Hut; es sah merkwürdig aus. Ich hab heimlich eine Skizze davon gemacht, denn daß ich sie mit dem Hut malte, das wollte sie schon nicht dulden. Und wenn ich sie beim Richten berührte, dann zuckte sie zusammen, als hätt' ich ihr weh getan.

Da sitzt so ein Rätsel vor einem und zittert, und man gerät selber in Aufregung. Man wird unsachlich. Und das ist nicht gut. Aber weggeschickt hätte ich sie um keinen Preis; dafür war ich schon viel zu interessiert.

Manchmal redete ich mit ihr: ganz leise Antworten, ja und nein, sonst nichts. Energie nur im Nein, wenn ich etwas wollte, was sie nicht wollte. Ich fing an, ihr Komplimente zu machen; sie antwortete nichts. Ich dachte, das macht jeder Vergnügen; aber nach dem Sitzen sagte sie traurig, wenn ich wieder so sei, könnte sie nicht mehr kommen. Ich fragte sie, ob sie denn glaubte, ich wüßte nicht, was mit ihr los sei. Ich fühlte ihren Schreck.

Ich sagte: »Sie sind aus gutem Haus und haben eine Dummheit gemacht und brauchen Geld!«

Erst keine Antwort; endlich sagt sie langsam: »Dann sollten Sie meine Lage nicht mißbrauchen und mich nicht quälen. Es ist ein Geschäft: Sie wollen mich malen und ich will das Geld dafür. Das ist alles. Ich kann zu andern nicht gehen und auf Sie hab' ich mich verlassen.«

Man hat doch schon manchmal Eindruck auf Weiber gemacht: hier nicht. Und doch, wie der Winter weiterging, wurde ich vertrauter mit meinem maskierten Modell. Ich merkte, daß ihr kalt war, und ließ besser heizen; ich machte bisweilen Witze und sie mußte lachen. In mir fing es an, gefährlich zu knistern.

Einmal ging ich ihr nach, aber sie mußte es bemerkt haben: in einer kleinen Gasse verlor ich sie; sie war wohl absichtlich in ein falsches Haustor gegangen.

Das nächstemal wieder die Drohung, sie könne nicht mehr kommen.

Von da ab wurde sie so abweisend und kalt, daß zuletzt eine Wut in mir war und ich sie quälte: in einer schwierigen Stellung ließ ich sie länger sitzen, als man sonst tut: ich brauchte es für mein Bild, aber ich war auch gereizt.

Auf einmal, – ich war ganz in mein Bild vertieft, – höre ich ein Geräusch: sie schlägt hin und liegt ohnmächtig da.

Ich weiß nicht, ob es mein Recht war, aber ich mußte sie doch laben und zu sich bringen; dennoch hatte ich kein gutes Gewissen, als ich ihren Schleier aufwickelte. Eine Sekunde lang harte ich eine Todesangst, sie könnte irgendeinen greulichen Fehler haben.

Das Gesichterl war reizend; braun, blaß, und hatte in seiner Jugend etwas Starres; wie eins, das über alles weggesehen hat.

Ich spritzte sie an und ließ sie Essig riechen: sie machte die Augen auf, erkannte mich aber nicht gleich, und sagte: »Ich hab' Hunger!«

»Lieber, lieber Gott,« denk ich, »o du arms Wesen!« und bringe alles, was ich zum Essen im Haue auftreiben kann, Brot und Schinken und Wein und stell's vor sie hin, und sie ißt. Wie ich zum zweitenmal hereinkomm mit ein paar Früchten, die ich noch hab' finden können, hat sie ein Tuch um sich geschlagen und weint, muß aber doch vor lauter Hunger wieder essen. Dann steht sie auf einmal auf, sieht sich nach ihren Sachen um und sagt besonders höflich: »Ich danke Ihnen vielmals, und adieu; ich komme nicht wieder.«

»Fräulein,« sag ich, und hab einen glücklichen Einfall: »Sie sind zu mir gekommen, weil Sie mich für einen Ehrenmann gehalten haben. Ich habe Sie nicht gesehen! Wenn ich Sie wiedersehe, werde ich Sie nicht erkennen. Sie sollen Ihre Einnahme nicht verlieren.«

Da sah sie mich freundlich und dankbar an, und kam wieder.

Was sie nicht tat, tat der Zufall. Ich sah sie in einer kleinen Wirtschaft, weit draußen, in die ich einmal kam. Nicht allein: mit einem Mann. Schön war er schon; nicht mehr ganz jung, verwüstet, – unheimlich, mit einem Wort, nicht gesund, mit Augen zum Fürchten.

Es war ja ganz klar: so mußte es sein.

Wie sie das nächstemal kommt, sag ich ihr's gerad heraus und frage: »War das Ihr Mann?«

»Ja.«

»... Ich möchte ihn malen.«

Keine Antwort.

»Geht das nicht?«

»Nein.«

»Ich würd' es gut zahlen.«

Keine Antwort.

»Sie brauchen das Geld ja.«

Keine Antwort.

»Er muß doch wissen, daß Sie oft herkommen.«

»Er glaubt, ich gebe Stunden.«

»Was ist er denn?«

»... Schriftsteller.«

»Ach so.« Ich sehe sie ganz ehrlich an und sage mit allerlei Gedanken: »Ich kann Ihnen vielleicht helfen ...?«

»Nein ...«

Ich hatte ihr schon einmal einen größeren Vorschuß angeboten, aber sie hatte nicht gewollt. Ein paar Tage darauf bat sie drum.

»Ah?!«

»Mein Kind hungert.«

Ich war starr. Das hätt' ich nie gedacht!

Man tut, was man kann. Aber nun kam sie nicht mehr. Ich war ganz bedrückt, nicht wegen der Silberlinge, Unsinn! Aber wieder einmal aufgesessen sein in meiner Gutmütigkeit, das wollte ich nicht. Und weil das Maskerl dann nur ein feinerer Trick gewesen wär'. – Es war aber nicht so.

Einmal klingelts, und sie steht da, schlank und blaß und aufgeregt, und sagt, ihr Kind ist krank.

»Und Sie haben kein Geld mehr?«

Sie nickt und sieht mich an, wie ein Gehetztes, das sich nicht mehr zu helfen weiß, ganz sonderbar starr.

Ich ab meinen Arzt hingeschickt. Aber das Kind ist gestorben.

Ich brauchte sie für mein Bild. Drei Tage später saß sie wieder bei mir, müd, beinah alt im Gesicht; und als ich sie trösten wollte, sagte sie nur, und so bitter sagte sie es: »Es kann kommen, was will; meine Arme werden eine Leere fühlen, solang' ich lebe.«

Einmal sah ich, daß irgend etwas mit ihr vorgegangen war: sie saß befangen, beinahe ungeschickt und bemühte sich doch sichtlich, ihre Stellung schnell nach meinen Angaben zu verbessern, ohne daß ich ihr nahekommen sollte. Ich kam aber doch hin, absichtlich, und sah den Grund: über ihren Rücken zur rechten Schulter lief eine dunkle Strieme.

»Er hat Sie geschlagen?«

Sie sagte nichts, weinte auch nicht, sah weit weg.

Ihre Haltung war jetzt stolzer, entschlossener als je vorher.

»Sie haben ihn sehr geliebt? Sie sind von Ihren Eltern weggelaufen um ihn?«

»Ja ...«

»Lieben Sie ihn noch?«

»Nein. Das Kind ist tot.«

»Warum gehen Sie nicht von ihm fort?«

Keine Antwort. –

Ich habe noch nichts von mir selber gesagt. Unter allem, was ich mit ihr durchmachte, blieb meine Hoffnung. Es war eine Quälerei, aber ich nahm mich zusammen, und meine Zeit war jetzt da.

Der Park vor meinen Fenstern stand in dunklem dichten Grün, der Himmel war rot, das späte Licht fiel auf meinen sienaroten Vorhang und warf einen warmen Ton in den ganzen Raum. Draußen riefen die Goldamseln.

Da legte ich den Pinsel nieder, – wir hatten lange gearbeitet, – und sah sie an, wie ein Mann ein Weib ansieht. Sie merkt es und bleibt einen Augenblick sitzen, ohne sich zu rühren, als wollte sie es vorübergehen lassen. Dann steht sie auf. Mein Gott, war sie schön, wie sie so aufgestanden ist. Da hab ich ihr zugeredet und ihr versprochen, sie sollte es gut haben bei mir. Sie aber sagt nur auf alles »Nein, nein« und sieht sich um und will hinter den Vorhang flüchten, als schämte sie sich auf einmal, sich vor mir anzuziehen. Aber nun wars einmal soweit. Ich denke: so mit Schmachten und Bitten darf man den Weibern nicht kommen; da heißt's wollen und zugreifen. Und bin ihr nach und hab' sie, so wie sie war, um den Leib genommen und geküßt.

Sie hat mich nicht geschlagen; aber den Blick gönn' ich meinen Kritikern.

Es war ein Fehler.

Sie hat nicht mehr viel geredet, aber doch einiges. Ihre Bluse hatte sie schief zugeknöpft und ihre Schuhbänder waren noch offen, wie sie zur Türe hinaus ist.

Sie ist nicht wieder gekommen. Und alles Nachfragen und Suchen war umsonst. In ihrer Wohnung war sie nicht mehr, und der Name, unter dem sie dort gewohnt hatten, war ein falscher gewesen. Einmal kam ein Brief aus der Schweiz, mit dem Geld und einem Zettel: »Mit Dank, Ihr Modell.«

Ich hab' sie dennoch wiedergesehen. Nach beinahe fünf Jahren, und nicht hier: ich stand auf der Terrasse von meinem Hotel und warf wie zufällig den Blick in eine Equipage, die sich unten in Bewegung setzte, wie man nach Wagen, die vorüberfahren, und nach Frauenkleidern sieht. Ich sehe noch die Wiese und den Sonnenschein und den Wagen, der langsam fortfährt. In dem Wagen war sie. Neben ihr ein Herr, der sehr gut aussah, und was merkwürdig war, er erinnerte ein bißchen an den andern, mit dem sie damals gelebt hatte, nur kraftvoll, gesund, verjüngt: ich sage ja immer: jeder Mensch hat seinen Typ, zu dem er zurückkehrt.

Sie sah in dem Augenblick auf, als hätte mein Blick sie angezogen, und mit den Augen, die immer den Ausdruck gehabt, als hätten sie über so vieles weggesehen, sah sie auch über mich weg!«

Dies war Dewix' Geschichte; die andern sagten nicht viel dazu, denn sie waren müde. Ich aber sah den derben Menschen an, mit seinem runden Gesicht, den kleinen Augen, dem schütteren blonden Haar und dem Kinnbart, und dem untersetzten Leibe, der auch schon rundlich zu werden begann ...

*


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