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Casa Cattolico

Der Sohn des Sindaeo war der letzte gewesen, dem sie einen Korb gegeben hatte, dann war kein Bewerber mehr gekommen. Dennoch war man in der Stadt erstaunt, als sie sich in ihrem fünfunddreißigsten Jahr mit Palamede Cattolico verheiratete: denn sie war noch immer schön, ein stattliches Weib mit hochfrisiertem blondem Haar, und Cattolico war ein ältlicher Mann, kahlköpfig und ein wenig schwerhörig, dazu ein halber Bauer. Aber er besaß ein Haus auf der Piazza del Giglio, ein großes Gut draußen auf den Hügeln bei S. Agnese und reichlich Geld auf der Bank. Die Witze, die in der Stadt und in dem kleinen Café gegenüber den Fenstern seines Hauses über seine Ehe gemacht wurden, erfuhr er nicht, die minder argen, die man ihm lachend nachrief, überhörte er und ging wie vorher seinen Geschäften nach. Die Signora aber machte in der Stadt Figur; sie hatte in seinem Hause ein Stockwerk für sich eingerichtet, aus dem der Mieter hatte ausziehen müssen; sie hatte ein Wägelchen mit einem mutwilligen schwarzen Pferde, und auf dem Balkon einen grünen Papagei. Sie machte und sie empfing zahlreiche Besuche. Anfangs saß auch Cattolico im schlechtsitzenden langen Tuchrock, den Hut auf dem Kopfe, da und spuckte ins Zimmer, und jedesmal fuhr seine Frau zusammen und verwies es ihm. Es ermüdete sie auch, daß sie dem Schwerhörigen alles nochmals laut ins Ohr rufen mußte, wenn er antworten sollte; er selbst sprach nichts und hatte an der Sache keine Freude. Daher zeigte er sich nicht oft, wenn Besuch im Hause war, und die Bekannten seiner Frau gewöhnten sich daran, ihn nicht zu sehen, und fragten nicht nach ihm.

Daß in den Jahren keine Kindstaufe in der Casa Cattolico gefeiert wurde, wunderte niemanden. Die jungen Leute auf der Piazza und in den Cafés, die über Cattolicos Ehe Witze gemacht hatten, verstummten wieder. Die Signora Teresa war mit den besten Familien der Stadt verwandt, und mit Verwandten verkehren konnte kein Unrecht sein. Der junge Guido Parenzi dankte ihr seine Stellung bei der Eisenbahn, die jungen Mädchen kamen manchmal strahlend, oft auch mit verweinten Augen aus ihrem Hause; die Mütter dankten es ihr, daß sie in diesen Jahren drei Paare vorteilhaft vereinigt hatte. Und kein Mund öffnete sich wieder sie, bis der Advokat Giuseppe Rassetta, einer der beliebtesten jungen Männer der Stadt, den sie mit der Tochter ihres alten Freundes, des Notars Bergamino, verheiratet hatte, sogleich nach der Hochzeit den Verkehr mit ihr abbrach und auch seine junge Frau den Fuß nicht mehr in ihr Haus setzte.

»Er hat es ihr verboten«, sagte der Gemeindesekretär Maselli, mit großem Nachdruck auf dem letzten Wort, zu dem Geflügelzüchter Fanonpiù; aber als Fanonpiù ihn um den Grund fragte, wußte er keinen zu nennen und redet nur mit seiner hohen sanften Stimme giftige Allgemeinheiten über die beiden Cattolicos, bis der Advokat Tanzoni, der von einem andern Tisch aus zugehört, herüberrief: »Der Grund ist der, daß die Pfaffen bei der Teresa aus und eingehen und der Kollege Rassetta sich für diese Gesellschaft bedankt.«

Rassetta war zum Ärger seines Schwiegervaters liberaler Kandidat für die nächsten Wahlen. Fanonpiù, der viel Geflügel an die Geistlichkeit verkaufte, und Guido Parenzi, der nicht gern etwas gegen die Teresa sagen hörte, standen auf und verließen das Café. Vor dem Stadttor sahen sie die Signora Cattolico in ihrem Wägelchen auf der alten Römerstraße kommen, die über die Hügel hinführte, während ein kleines Staubwölkchen in die violette Abenddämmerung verwehte: im Wagen neben ihr saß ein blasses junges Mädchen. Parenzi grüßte und sah dem Wagen nach, der die steilen, krummen, schlecht gepflasterten Gassen langsam hinanfuhr, bis Fanonpiù seine Schulter berührte. Aus einem winzigen kleinen Café gegenüber, das nur aus einem einzigen dunklen Kämmerchen mit einer Türe auf die warme Straße hinaus bestand, kam der Besitzer des Wagens, Herr Cattolico, und schritt gebückt und langsam den gleichen Weg empor.

Soviel Aufsehen diese Entfremdung machte, so wußte doch niemand einen besseren Grund dafür zu finden, um so weniger, da der Advokat und seine Frau, selbst der eigenen Familie gegenüber, hartnäckig schwiegen. Und man beruhigte sich auch darüber. Aber eines Tages, der kleine Platz vor Cattolicos Haus lag ganz still im Sonnenschein, das Wasser in dem alten Steinbrunnen mit der bronzenen Lilie rieselte kaum, im Café war kein Mensch, – nur der Besitzer und sein Kellner sahen, wie der Advokat Rassetta über den Platz kam und in das Haus trat, das er so lange gemieden hatte. Er stieg in der Tat die düstere Steintreppe empor bis zur schmalen hohen Türe, an der in schwarzen Buchstaben auf weißem Porzellanschild der Name »Cattolico« stand, und klingelte. Ein junger Bauer, der einen schweren Korb mit Trauben und Feigen trug, war vor ihm die Treppe hinaufgestiegen und gab ihm bescheiden Raum. Rassetta fragte nach dem Signore. Aus der Wohnung vernahm er eilige Schritte und Geflüster, dann ward er in den kühlen Salotto mit den blauen Sammetsesseln geführt, wo ihm die Teresa entgegentrat. In ihrem Gesicht lag eine kalte und abweisende Verwunderung, dennoch fragte sie ihn höflich nach dem Befinden seiner Gattin, die vor einigen Tagen niedergekommen war, und da die Geburt eine schwere gewesen und den Mann sehr aufgeregt hatte, so vergaß er sich und begann die Schrecken jenes Tages zu schildern, bis er, das ironische Lächeln im Gesicht der Signora bemerkend, abbrach und sagte, daß er mit Herrn Cattolico geschäftlich zu sprechen hätte. Die Signora schickte um ihren Gatten; der Advokat bedauerte mit höflicher Entschuldigung, daß er jenen allein sprechen müßte. »Sehr gut,« erwiderte die Frau im schwarzen Taffetkleid mit dem blonden Haar, »aber Palamede hat keine Geheimnisse vor mir ...« und blieb in thronender Stattlichkeit sitzen. Und da Palamede selbst, als er endlich erschien und beide ihm ihre abweichenden Absichten mit möglichster Schonung füreinander in die Ohren schrien, sowohl dem Besucher als auch seiner Gattin recht gab, die Gattin nicht aus dem Zimmer ging und der Gatte keinen Versuch machte, sie zu entfernen, so mußte der Advokat gehen, ohne daß jemand erfahren hätte, was für ein Anliegen ihn herführte. Die Teresa verabschiedete ihn sehr höflich, aber ihr lautes Lachen klang aus dem Innern des Hauses an sein Ohr, als er die Treppe wieder hinabstieg.

Sie mußte wissen, daß sie ihn auf die Dauer nicht hindern konnte, ihren Mann zu treffen, und sie hatte bald die Gewißheit, daß Rassetta im Hause gewesen war. Sie selbst war ausgefahren und der Advokat war von der Dienerschaft unbemerkt an ihrer Türe vorbei ins oberste Stockwerk hinaufgegangen, wo Cattolico in einem schlechten Leinenkittel, Schlappschuhe an den bloßen Füßen, über welche die schmutzig weißen Hosenbändchen nachschleppten, ihm auf sein Klopfen öffnete und ihn in die kleine Dachkammer zog, die er mit seinen Geschäftsbüchern bewohnte.

Auch im Café hatte diesmal niemand das Kommen des Advokaten beachtet. Aber man hatte ihn aus dem Hause treten gesehen und beobachtet, wie er sich, sein Stöckchen schwingend, über den Platz entfernte; er hatte eine Rose im Knopfloch und sein rundes Gesicht glühte vor Eifer und Vergnügen.

Eine halbe Stunde später stieg die Signora, ihr Kleid nachschleppend, eilig die Treppe empor, und die Dienstleute hörten sie zornig reden. »Was für Unternehmung, Palamede, sage, was für Unternehmung?« rief sie immer wieder, denn er hatte ihr gesagt, daß der Advokat ihm ein Geschäft, eine gemeinsame Unternehmung vorgeschlagen, was sie nicht recht glaubte; denn was für ein Unternehmen es sei, das wollte ihr Palamede, der starrsinnig sein konnte wie ein Maulesel, nicht sagen, da er sich zum Geheimnis darüber verpflichtet hätte.

Als Rassetta abends auf seinem gewohnten Platz vor dem Café auf der Piazza saß, der großen Piazza mit den Steingängen, wo die Casa del Commune und das Theater stand, setzte sich Guido Parenzi zu ihm. Parenzi war ein langer schmaler, aber sehr hübscher blonder Mensch; er begann mit ihm über die Wahlen, die Eisenbahn, die Geschäfte zu reden, kam dabei auf Cattolico zu sprechen und erging sich in beiläufiger Vermutung über die Angelegenheit, die den andern heute ins Haus geführt hatte. »Die Teresa möchte das wohl gerne wissen?« sagte Rassetta und lachte. Parenzi wurde rot, dann sprach er viel zum Lebe der schönen Frau. Der Advokat nickte zu allem, was er sagte, und seine leuchtenden kleinen Augen lachten, als er zuletzt fragte: »Küßt sie dich auch immer nach dem Klavierspielen?« Da wurde Parenzi noch röter und ein wenig kleinlaut, dann lachte auch er. Aber Giuseppe beugte sein Gesicht ganz nahe zu dem seinen hinüber, damit keiner der Umsitzenden an den andern Tischen ihn hören könnte, und sagte: »Sie will dich mit der Christina Pival verheiraten, nicht wahr? Es ist deine Sache und dein Vorteil, wenn sie dir nicht zu bleichsüchtig ist, – aber dann hüte sie vor der Teresa!«

»Man kann ihr nichts wirklich Schlimmes nachsagen!« erwiderte Parenzi verwirrt.

»Ja, was ist wirklich schlimm?« fragte der Advokat.

Nach diesem Ausspruch entstand ein Schweigen zwischen ihnen, und da der Gemeindesekretär Maselli sich zu ihnen an den Tisch setzte, so sprachen sie zwar noch lange über die Casa Cattolico, aber nicht mehr über den heiklen Punkt, der eben berührt worden war.

Eine Folge dieses Gesprächs war, daß Guido Parenzi von da an den Advokaten Rassetta auffällig mied. Andererseits begannen die Leute darüber zu reden, daß die Cattolico ihren alten schwerhörigen Mann schlecht behandle und ihn unterm Dach wohnen ließ, während sie selber unten für sein Geld wohllebe.

»Du hast dir eine schöne Zuchtrute aufgebunden!« schrie ihm der Geflügelhändler Fanonpiù eines Tages unterm Stadttor ins Ohr. Aber Cattolico ärgerte sich und sagte: »Wenn ich's getan hab', hab' ich's getan, und dich kümmert's nicht!«

In der Provinz ging sogar das Gerücht und kam gelegentlich bis in die Stadt, daß Palamede in seiner Dachkammer gefangen gehalten werde und verblöde, und daß der Staatsanwalt einschreiten werde. Da die Leute den alten Cattolico immer wieder in den Straßen sahen und er selbst sich nie beklagte, so verstummte auch dieses Gerede mit den Jahren wieder. Die Teresa regte sich manchmal darüber auf und ihre Freunde nahmen lebhaft für sie Partei. Sie hatte ihnen ihre eigenen Klagen über ihren Mann nicht verhehlt.

Sie war nun fast zehn Jahre die Gattin Cattolicos gewesen und ihre Wangen waren kaum faltiger, ihr Blick und ihr Wesen vielleicht unruhiger geworden. Sie kümmerte sich nach wie vor um viele Dinge. Über die sprach sie eines Abends mit den Freunden, die in ihrem Salotto versammelt waren. Es waren dies Guido Parenzi und seine scheue blasse Braut Christina Pival, der immer liebenswürdige Monsignore Delgatto und der Marchese de Melzi, ein sehr stattlicher Mann, der bei den letzten Wahlen zum Deputierten gewählt worden, während Rassetta zur große« Freude Teresas und ihres Anhangs unterlegen war. Seither war diese Freude gedämpft: die Wahlen kamen wieder, und Rassetta hatte bessere Aussichten. Er gab ein Blatt heraus, das er »Die Große Zukunft« nannte und das der Monsiqnore eben aus der Tasche zog, um einen Artikel voll boshafter Anspielungen vorzulesen, der alle in Entrüstung versetzte. Auf dem Tisch lag unbeachtet der »Ruf des Vaterlandes«, das Organ der Gutgesinnten. Daneben schnitt Teresa eine Bluse zu, ohne daß ihre Aufmerksamkeit einen Augenblick geringer geworden wäre. Alle wußten, worauf es ankam und was sie brauchten; »jetzt, wo alle Bauern und Arbeiter vom Gift des Sozialismus infiziert sind!« sagte der Marchese. Die Teresa wußte es am besten, aber Cattolico war zu Ausgaben für Kirche und Wahlfonds nicht zu bewegen.

Sie hatte die Bluse zugeschnitten und setzte sich nieder, um sie zu heften; dabei sprachen sie leise weiter und rechneten, was es kosten würde, Rassetta und sein Blatt unschädlich zu machen. Parenzi und seine Braut, die in einer Ecke saßen und deren Anteil an der Politik nur ein geheuchelter war, hatten den »Ruf des Vaterlandes« vom Tisch genommen und hielten ihn ausgebreitet vor sich, um sich dahinter ungestört ihrer Zärtlichkeit hinzugeben. Nur Teresa warf manchmal einen ungeduldigen Blick hinüber.

»Die Freimaurer geben alles für die ›Zukunft‹ her«, sagte der Monsignore.

»Wer weiß, was uns die Zukunft bringt!« erwiderte der Marchese mit einem fast zärtlichen Blick auf Teresa. Der Scherz war ein vielsagender, und der Monsignore lächelte in halber Verlegenheit; Teresa blickte zur Erde und über ihren Rücken lief eine Art Schauer. Die beiden Männer wußten wie sie, daß Cattolico in den Flitterwochen ein Testament zugunsten seiner Frau gemacht hatte.

Ein kurzes Schweigen entstand. Plötzlich stand Teresa auf und zog den zweien in der Ecke die Zeitung weg; beide wurden sehr rot, der Marchese lachte, der Monsignore bemerkte nichts. Als die drei Männer fortgegangen waren, gab Teresa dem Mädchen eine Ohrfeige: Cristina warf sich aufs Sofa und weinte, während die Signora ihr eine Strafpredigt hielt, um sie zuletzt in ihre Arme zu nehmen und lange zu küssen.

Später allein, – die Christina war zu Bette gegangen, – setzte Frau Cattolico sich an ihren kleinen Schreibtisch, nahm ein Briefpapier aus dem Fach und befestigte eine neue Feder an ihrem Stiel, dann schrieb sie langsam die Worte: »Teresa Marchesa de Melzi« und betrachtete sie lange. Wieder lief ein leichter Schauer über ihren Rücken. Dann zerriß sie das Blatt und warf es ins Feuer.

Cattolico ging jetzt kaum mehr aus und kam auch in das dunkle kleine Cafe am Stadttor nicht mehr, wo er früher seinen Wermut getrunken und seine Geschäfte besprochen hatte. Nur nach S. Agnese in den Hügeln fuhr er oft, und wenn es spät wurde, blieb er über Nacht. Vor dem langen viereckigen Gutsgebäude, das einst ein Teil eines Klosters gewesen, lief ein Kreuzgang mit alten Steinbänken; dort saß er oft und sah auf die Hügel hinaus, die im Frühling rot waren von Lupinen und später goldgelb vom Getreide, sah die grauen, knorrigen Stämme der Ölbäume, und die Feigenbäume, von denen sie im August auf Leitern die süßen Früchte holten, und sah, wie zwischen den Bäumen sich die Reben hinzogen und in den Weinbergen die traubenschweren Stöcke standen. Schweigend saß er, mit inbrünstiger Freude an seinem Besitz.

So sah ihn der Marchese de Melzi, der auf Wahlwegen über Land fuhr, Fanonpiû war mit ihm, der Geflügelzüchter, und Vincenzo, Cattolicos Wirtschafter, wies ihnen den Weg. In der Ferne dunkelten die Felsen und Häuser von Rocca Zatta.

»Bis da hinauf gehört alles ihm,« erklärte der Wirtschafter, »und nach der anderen Seite bis zur Kirche von S. Agnese de' Colli, und da hin ...«, er machte mit der Hand eine kreisende Bewegung und wies weit hinaus, wo im Osten die Hügel sich zum Meere senkten. Der Marchese betrachtete den alten Mann mit einem bösen Lächeln.

»Es ist ein Stück Erde, das man einem Menschen neiden kann,« sagte Fanonpiû, »aber er muß sterben wie wir alle.«

»Der lebt hundert Jahre«, erwiderte Vincenzo gelassen, als schätze er einen Bullen oder ein Stück Feld ab. »Er ist zäh. Er steht mit der Sonne auf, trinkt nie mehr als ein Fünftel Wein und hat keine Laster ...«

»Die Weiber?!« fragte der Marchese; und alle drei lachten.

»Ja, da kann ein Mann hundert Jahre alt werden«, sagte Fanonpiû. Der Marchese machte ärgerlich ein paar schnellere Schritte den anderen voraus.

»Er hat seine Zuchtrute«, fuhr Fanonpiû leiser fort, indem er nach der Stadt zurückwies, die wie ein ferner weißleuchtender Fleck unter einem grauen Dunstwölkchen hoch am Horizont erschien.

Der Wirtschafter zuckte die Achseln: »Mich geht's nichts an. Für uns ist er der Padrone und sie die Padrona.«

Die Padrona kam selten auf das Gut. Der Weg war weit, und wenn es Palamede nichts verschlug, in schlecht gelüfteten, übelriechenden Zimmern zu übernachten, sie hatte an einem Male genug. Den Sommer verbrachte sie im Seebad, wo sie sich besser unterhielt. So oft Vincenzo nach der Stadt kam, nahm er einen seiner Leute mit und schickte ihn mit Körben voll erlesenen Obstes der Signora ins Haus. Aber er war nicht erfreut, wenn sie kam. Und sie kam in diesen Tagen in großer Erregung: der Monsignore hatte ihr gesagt, die Bauern auf dem Gut wären Sozialisten und hetzten gegen de Melzi. Sie hatte es ihrem Manne schon zu Hause vorgehalten und verlangt, daß die Leute entlassen würden, aber er war schwerhöriger als je gewesen. Er versank in sich, als er sie ankommen sah; die Politik bekümmerte ihn nicht, und Vincenzo brauchte Leute und kam gut mit ihnen aus.

Der hatte Ärger genug; der ganze Ort war durch einen Liebeshandel aufgeregt, der in Klatsch und Eifersucht zu bedrohlichen Streitigkeiten geführt hatte; der Pfarrer hatte sich darein gemischt, und nun kam noch die Signora dazu.

Am Nachmittag kam es in dem alten Steingang und vor ihm zu einer Art Gerichtsverhandlung: Teresa kannte den Burschen, den es anging, denn er hatte ihr jüngst Birnen und Trauben gebracht; er stand frech da, bronzefarben, mit niederer Stirn, üppigem schwarzen Haar und entschlossenen Augen. Die Signora, die ihn hochmütig betrachtete, ward verlegen vor seinen tierischen und ungebeugten Blicken. Immer wiederholte er, »er wolle wissen, wer ihn gestern das Messer ziehen gesehen?« Die aufgerufenen Zeugen verstummten. Da fragte ihn die Teresa, »ob er etwa Sozialist sei?« Er gab es ohne weiteres zu, aber daß er das Messer gezogen, sei nicht wahr; auch nicht, daß er die Weiber verführe; sie liefen ihm ohnedies nach, und dafür könne er nicht. Die Frauen, die im Gange oder über die Mauer gelehnt standen, lachten und zeterten. Das Mädchen, um das der Streit ging, bildhübsch, barfuß, die goldenen Reifen mit riesigen geschnittenen Carneolen in den Ohren baumelnd, schwor bei den Heiligen, daß sie verleumdet sei und ins Unglück gestürzt werde; ihr Bruder würde sie erstechen, ihr Vater würde sie erstechen, wenn sie von so üblen Reden erführen; aber weil sie aus anderer Gegend sei und hier keine Freundschaften habe, werde sie verfolgt, und weil Gott sie so geschaffen, wie sie eben wäre ...« Und sie sah sich mit frechem Stolz nach den andern Weibern um.

»Eine heilige Schwester bist du auch nicht ...«, sagte Vincenzo gelassen.

Da warf sie sich laut weinend dem Herrn zu Füßen und umfaßte seine Knie. Bei der Berührung erzitterte Palamede und suchte sich von ihr zu lösen. Aber sie klammerte sich fest und barg ihr weinendes Gesicht an seinem Knie; er konnte sich nicht von ihr befreien; allen war der Auftritt unangenehm, bis die Teresa aufstand und mit einem verächtlichen Blick auf ihren Gatten sich zum Fortgehen wendete.

Die Kniende ließ den alten Mann los, richtete sich halb vom Boden auf und sah der Signora nach. Nun trat ein alter Bauer vor und hielt eine längere Rede; da er Witze machte, lachte alles, und endlich gingen die Leute auseinander, ohne daß etwas entschieden war. Die Teresa führte den Pfarrer in ihrem Wagen nach Hause, um mit ihm sprechen zu können. Als sie zurückkam, bot sie dem Mädchen an, es in der Stadt unterzubringen, und dem Burschen redete sie lange ins Gewissen. Beide beteuerten ihre Dankbarkeit, aber in die Stadt wollte die Kleine nicht. Als die Frau selber in der späten Dämmerung über die alte Römerstraße zur Stadt zurückfuhr, flog zwischen Mauern und Hecken etwas in ihren Wagen: es war ein mit einem Stein beschwerter Zettel, in dem sie unter schlimmen Drohungen vor der Entlassung der Leute gewarnt wurde. Am nächsten Tag berichtete sie alles dem Monsignore Delgatto, aber er machte ihr Vorwürfe: so übereilt dürfe man nicht vorgehen. Geärgert durch all den Mißerfolg, kam sie vorläufig nicht mehr nach S. Agnese.

Als der Wahltag kam, wurde der Marchese wiedergewählt; und durch zwei Jahre lachte man über Rassetta, den ewigen Kandidaten, dessen rundes, strahlendes Gesicht auch schärfer und säuerlicher zu werden begann. Dann wurde Teresas Triumph durch einen peinlichen Vorfall getrübt. Cristina Pival machte einen Selbstmordversuch. Sie wurde noch lebend aus dem Wasser gezogen; aber sie erkrankte, und das Gerede war ungeheuer. Das sozialistische Blatt, der »Funke«, brachte eine unglaubhafte Erfindung; aber auch Rassettas Zeitung, in der Frau Cattolico bisher nie erwähnt worden war, machte Anspielungen auf ungesunde Menschen und Dinge. Guido Parenzi, der seit nunmehr acht Jahren mit dem unglücklichen Geschöpf verlobt gewesen war, trat von der Verlobung zurück. Frau Cattolico klagte den »Funken«, und die Mutter der Pival klagte Frau Cattolico. Beide Prozesse endeten mit Vergleichen. Teresas Freunde, der ehrenwerte de Melzi, der Monsignore, der Sindaco traten lebhaft für sie ein. Sie sagten, die Cristina sei immer eine melancholische Närrin gewesen; die andern erwiderten, die Teresa habe sie verrückt gemacht: unbefriedigt, wie sie sei, müsse sie die Leute quälen und verderben.

Mitten in all diese Bedrängnis brachte ihr der Monsignore eine Enthüllung, die ihr so unsäglichen Ärger schuf, daß sie sich zuletzt krank zu Bett legen mußte: sie erfuhr, daß Rassetta sein Blatt mit Cattolicos Geld gegründet hatte; das war die Unternehmung gewesen, die den Advokaten damals ins Haus geführt, weil sein Schwiegervater ihm das Geld geweigert hatte. Als sie aufstand, war sie gelb im Gesicht und die Kleider saßen ihr nicht recht. Von Palamede bekam sie immer nur die eine Antwort, die sie zur Verzweiflung brachte: das Geld sei gut verzinst worden, und vor sechs Monaten habe er die letzte Rate zurückbekommen. Da sie furchtbar mit ihm schreien mußte, erfuhren die Leute von der Sache und lachten; man pfiff in den Cafes, und einige wollten sich des armen unpolitischen Cattolico annehmen.

Der alte Mann hatte sich sehr verändert; er war durchaus nicht mehr so zäh und rüstig wie einst, er litt an Atemnot und seine Hände zitterten, wenn er schrieb oder die Zeitung hielt. Wenn der und jener es sah und darüber etwas bemerkte, war das Gesicht der Teresa rätselhaft und manchmal lächelte sie trüb. Auch sie begann zu altern. Sie hatte ihren Mann in letzter Zeit, bis sie jene Nachricht erhielt, beinahe gepflegt; dann war es ihr nicht mehr möglich gewesen, sich zu beherrschen, und vor ihren Wutausbrüchen flüchtend, hielt er sich mehr und mehr auf S. Agnese auf und kam nur selten zur Stadt.

Die Teresa kümmerte sich nicht um ihn und rief ihn nicht, noch besuchte sie ihn, und wenn er Monate fortblieb; bis eines Tages ein Wagen die steile Gasse nach der Piazza del Giglio herabrasselte und vor ihrem Hause hielt. Vincenzo und der Geflügelhändler Fanonpiù eilten die Treppe empor, während der Kutscher das durstige Pferd aus dem Brunnen mit der bronzenen Lilie trinken ließ und den aus dem kleinen Café eilenden Leuten erzählte, was jene oben berichteten: daß Palamede Cattolico gestorben war. Er war wie gewöhnlich auf der Steinbank vor dem Hause gesessen und plötzlich von der Bank geglitten und auf der Erde gelegen; als Leute hinzukamen, fanden sie ihn tot. Die Teresa richtete sich bei dieser Nachricht hoch auf; dann brach sie in die bittersten Tränen aus, ließ niemanden zu sich und bestellte Trauerkleider.

Cattolicos Leiche wurde in die Stadt gebracht. In vielen Häusern waren große Schwierigkeiten, weil die Leute nicht wußten, wie sie sich verhalten sollten, aber die meisten entschieden sich mitzugehen; und so wurde der alte Palamede mit großem Pomp zu Grabe getragen. Selbst der Deputierte der Stadt, der Marchese de Melzi, kam eigens aus Rom zur Beerdigung. Er fand Gelegenheit, der tief verschleierten weinenden Frau die Hand stärker zu drücken und ihr einen Augenblick in die Augen zu sehen. Sie ward ein wenig röter, aber nur einen Augenblick: sie hatte den Fall schon so oft erwogen.

Das Testament lag beim Notar Bergamino und sollte in den nächsten Tagen eröffnet werden. Inzwischen trug die Witwe ihre Trauer und ihre Tränen durch die Stadt. Am Abend vor der Eröffnung – der Marchese und der Monsignore waren beide bei ihr – kam der alte Notar aufgeregt zu ihr und berichtete, sein Schwiegersohn Rassetta habe ihm gesagt, daß er ein späteres Testament Cattolicos in Verwahrung habe.

Die Teresa erbleichte. Heute noch zu Rassetta zu gehen, war unmöglich. Der Marchese wollte es sogar tun, aber der Monsignore hielt ihn zurück, und er begriff, daß es nicht anging. In großer Unruhe gingen alle auseinander.

Am andern Tage erschien sie mit dem alten Notar, dessen Neugier größer war als sein Ärger, dem Deputierten und einer entfernten Verwandten in der Stube des Advokaten Rassetta. Er war sehr höflich und bot den Frauen Wein, den Herren Zigarren an. »Nie noch habe ich solche Trauer und nie so viel schwarzes Schleiertuch gesehen, wie Sie da tragen, Signora«, sagte er. »Herr Gott!« rief er im nächsten Augenblick, »da habe ich mit meiner Zigarre richtig ein Loch hineingebrannt.« Die Frau machte unter dem Schleier eine Bewegung; ihr Gesicht war vollkommen verborgen.

Cattolico vermachte seiner Frau das Haus auf der Piazza del Giglio und soviel Geld, als sie bisher jährlich von ihm bekommen hatte; das Gut von S. Agnese, und was er sonst besaß, seinem ... natürlichen Sohne Egidio Palamede Corradi, den er mit einer Magd auf dem Gute gezeugt hatte, und der später, wenn es irgend zu erwirken wäre, seinen Namen annehmen sollte. Die Magd war das selbe Mädchen, das damals vor ihm gekniet und seine Füße umschlungen hatte.

Teresa atmete schwer; ihr Kopf glitt ein wenig herab; Rassetta ließ ihr ein Glas Wasser bringen.

Endlich sagte sie: »Ein Kind! Das ist ja ... unmöglich! ... Das muß ich doch wissen! ... Das ist doch nicht von ihm ...!«

Der Advokat zuckte die Achseln.

Der Marchese ging rauchend auf und ab. Er begleitete sie dann nach Hause; diesmal drückte sie ihm die Hand und wollte ihm in die Augen sehen, aber die eisige Höflichkeit, mit der er Abschied nahm, ließ keine Zweifel in ihr.

Eine Stunde später sagte ihr der Monsignore Delgatto: »Die Kirche bleibt Ihnen, liebe Freundin.«

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