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Der Pfau von Irville

Als Antoine von Chamillac – von den Cloré-Chamillac, die sich seit langem für die erste Familie von Aix hielten, – die Tochter des Marquis von Irville als Gattin heimgeführt hatte, wuchs sein Stolz über die Maßen. Er war sonst ein tapferer und rechtschaffener Mann, wohlgebildet und, bis auf seinen Hochmut, von feinen Sitten, und er vergötterte den Boden, den die Füße seiner schönen jungen Frau betraten. Ihr zu Ehren hatte er den Landsitz, auf dem sie den größten Teil des Jahres wohnten, gleichfalls Irville genannt und mit Terrassen und Gärten verschönt. Zwischen meist im Grün versteckten Mauern zog sich der Park mit den wundervollen Blumen und Büschen des Südens hin; der Duft der Rosen und des Jasmins, und wieder der Zitronen- und Orangenblüten erfüllte die warme Luft, und wenn Marguerite von Irville, ihr in weiße Seide gekleidetes Söhnchen an der Hand, die Sommerwege entlang ging, so hatten alle, die es sahen, ihr Wohlgefallen daran. Antoine von Chamillac war freigebig und gastfrei und seinen Leuten kein ungütiger Herr, und es fehlte ihm nicht an Freunden. So lebte er im dreifachen Genuß der Liebe, des Reichtums und höchsten Selbstgefühls.

An einem heißen Sommernachmittag schritt er, vom Präsidial kommend, seinem Parktor zu. Er war allein, denn er hatte seinen Diener in einem Auftrag vorausgeschickt; die Straße, die sich zwischen langen, von Efeu und Lorbeer überwachsenen Mauern hinzog, war menschenleer. Am Tage zuvor war er in Valdogne gewesen, wo er seine Weinberge hatte. Er war in den weiten kühlen Kellern gewesen, in denen die mächtigen Fässer lagen, er hatte auf einer Steinbank unter den Rosenbüschen sitzend aus einer Zinnkanne den schweren süßen selbstgekelterten Wein getrunken und mit frohen Augen die rebenschweren Holzgestänge gesehen und die eine neue üppige Ernte verheißenden Gewinde, die sich an Steingängen, Pfeilern und Mauern hinzogen. Er dachte auch mit Vergnügen daran zurück, daß die kleineren Edelleute des Tals ihm entgegengeritten waren und ihn eingeholt hatten, und fast hätten zwei davon sich um die Ehre geschlagen, ihn an ihrem Tische bewirten zu dürfen. Wenn der Erzbischof oder der Statthalter der Provinz gekommen wäre, sie hätten es nicht anders halten können. An all dies dachte er mit hoher Befriedigung, dann kam ihm der Erlaß zu Sinn, den er soeben beim Präsidial diktiert hatte, und laut vor sich hinsprechend wiederholte er: »Wir, Antoine Cloré, Herr von Chamillac, Baron von Valdogne und von Châteaurenard, Herr von Irville, Rat am Parlament ...«; er wollte mit seinen Titeln und Würden fortfahren, als ein tiefes stoßweises Lachen, ein höhnisches »Hü, hü, hü!« störend und ärgerlich in seinen Traum tönte. Unwillkürlich sah er empor, aber sein Blick traf nur das dichte Grün und die Mauer des Nachbargrundstücks. Er hatte den Degen schon halb gezogen; vor ihm war die schweigende Mauer, der alte Diodati, der Narr, der sich seinesgleichen dünkte, obwohl er von Luccheser Kaufleuten stammte, war es, der Stimme nach zu urteilen, nicht gewesen, ebensowenig der junge Edmond, auch keine der Frauen und Mädchen; wenn es ein geringerer gewesen war, konnte er ihn nur von seinen Leuten prügeln lassen, das heißt, wenn er ihn entdeckte; aber es schien kaum denkbar, daß ein Geringerer ihn so zu verhöhnen wagte.

In seine fröhliche Laune war ein Tropfen Bitterkeit gefallen; unmutig ging er weiter, schritt durch das Tor seines Parks, und stieg, vom Verdruß getrieben, zu einer erhöhten Terrasse empor, von der er einen Teil des andern Grundstücks übersehen konnte: die vergitterten Fenster an der Rückseite des mächtigen steinernen Hauses und die niederen Wirtschaftsgebäude, die sich zu beiden Seiten herüberzogen. Dazwischen lag ein großer viereckiger, rings mit Bäumen bepflanzter Hof, auf dem der Diodati ungezähltes Geflügel hielt. Da gab es Gänse und Enten, buntfarbige Hühner von jeder Größe und Art, schlankhalsige graue Perlhennen, blaue Truthühner und fette Kapaunen, die vor jedem Hahn, der sie vom Futter drängte, feige die Flucht ergriffen; ein Kranich schritt flügelschlagend und gebieterisch zwischen den anderen Tieren und biß die Hähne, die nicht nach seinem Willen taten; ein alter Uhu saß grämlich in einem dunkeln Käfig, und an jeder Ecke war an einem Brett ein ausgebälgter Habicht angenagelt, den Räubern zur Warnung. In einem besonders abgegitterten Teil saß ein kostbarer rotgoldener chinesischer Fasan und andere Wundervögel. All dies sah Herr von Chamillac mit Verdruß, denn das unaufhörliche Geschrei, Gackern, Kollern und Gekreisch, das stets herübertönte, machte diesen Teil des Parks und die Terrasse fast unbenutzbar.

Aus seinem Garten scholl jetzt das fröhliche Händeklatschen und Jauchzen seines Söhnchens herauf, da auf dem Mauerrand ein blauer gekrönter Pfauhahn erschien und sein wundervolles Rad in der Sonne entfaltete.

Eine Weile ging der Pfau, die Brust wiegend, der Mauer entlang, den langen, wieder geschlossenen Schweif hinter sich herschleppend, dann senkte er sich mit einem Flügelschlag in den Park hinab, lief über den Weg und scharrte mit Schnabel und Füßen in den Beeten, nach Gewürm suchend, wobei er Lilien, Verbenen und Rosen zertrat, Blumentöpfe umwarf und in die Pracht der Beete häßliche Lücken riß.

Zornig stieg Chamillac von der Terrasse nach dem Garten hinab: es war nicht das erstemal, der Gärtner hatte schon mehrmals Klage geführt; jetzt stand der alte Mann unten im Garten und warf einen Stein nach dem Tier. Ärgerlich und geschreckt entfloh der Pfau über den Weg und auf die Mauer, wo ein zweiter Stein dicht neben ihm aufschlug, und zornig schreiend verschwand er hinter der Steinwand.

Chamillac besah den Schaden: der Gärtner machte ihn auf frühere Zerstörungen aufmerksam; eifrig die Sache besprechend, gingen sie auf das Parktor zu; ein Karren mit Vorräten wurde eben davor abgeladen und ein ungeschickter Küchenjunge hatte einen Korb mit Fischen umgestoßen; ein großer breiter Brachs lag zappelnd auf dem Boden und sein glatter weißleuchtender Bauch bedeckte sich mit rötlichem Staube; der Haushofmeister, der daneben stand, zog mit seinem Stabe dem Jungen eins über, der laut aufschrie, und Chamillac nickte befriedigt. Da sah er seine Gattin kommen; er wollte ihr seine Verdrießlichkeiten erzählen, und fand, daß sie nur unaufmerksam zuhörte.

Er folgte ihren Blicken: wo vorher der Karren gehalten hatte, nur ein wenig entfernter, stand draußen vor dem Parktor, wartend und jetzt ehrerbietig grüßend, der junge Edmond Diodati, wie unschlüssig, ob er eintreten sollte oder nicht.

Mit starken Schritten ging Chamillac ans Tor, trat auf die Straße, und den Hut flüchtig hebend, sagte er so laut, daß man es auch im Garten hören konnte: – er kannte den andern, seitdem er ein kleiner Knabe gewesen, – »Edmond, sage deinem Bruder, daß, wenn sein Pfau mir noch einmal in den Garten fliegt und meine Blumen beschädigt, ich ihm den Hals umdrehen lasse! ... dem Pfau!« setzte er noch hinzu; Zorn und Stimme waren im Sprechen heftiger geworden.

Das hübsche Gesicht des jungen Mannes wurde ein wenig blasser, während das Chamillacs sich gerötet hatte; aber ein warnender und bittender Blick der Dame, die aus dem Park nach ihm sah, ließ ihn sich bezwingen; so verbeugte er sich und sagte nur: »Gut, mein Herr, ich werde es bestellen«, zog nochmals vor Frau von Chamillac tief den Hut und entfernte sich.

Als Chamillac zurückkam, glaubte er im Gesicht seiner Frau einen leisen Vorwurf zu lesen, und das ärgerte ihn wieder. Sie sahen einander an, dann wendeten sich beide dem Hause zu, erst schweigend und dann von gleichgültigen Dingen redend, und gingen auseinander. Als sie sich beim Abendessen wiedersahen, lag es noch wie ein verstimmender Druck über ihnen; Chamillac versuchte zu scherzen, aber seine Worte klangen wie ins Leere und erheiterten niemand. Seine Frau war von eigenen Gedanken bedrückt: seit Tagen wollte sie eine Bitte an ihren Mann richten, eine große heimliche frauenhafte Bitte, und hatte es nicht gewagt, weil sie des Erfolgs so ungewiß war. Dann war er einen ganzen Tag fortgeblieben und erst tief in der Nacht zurückgekehrt, war des Morgens wieder seinen Geschäften nachgegangen, und als sie sich endlich entschlossen glaubte, war er in so unglücklicher Laune wiedergekommen. Auch sie war stolz auf ihren Rang und ihren Namen, aber seine Ansprüche und Empfindlichkeiten schienen ihr in letzter Zeit übertrieben, und aus ihren Gedanken heraus fragte sie: »Waren Sie nicht ein wenig zu schroff gegen Edmond, mein Freund?«

Damit brachte sie seinen Zorn ins Lodern. »Zu schroff?« rief er, »zu nachsichtig!! ... Wenn Sie wüßten! ...« Wieder wollte er ihr erzählen, aber sowie er begann, fühlte er, daß die Beleidigungen, die seinem Sinn mit jeder Stunde größer und unerträglicher erschienen, sowie er sie in Worte fassen wollte, zusammensanken und zu belanglosen Kleinigkeiten zu zerflattern drohten, so daß er sich ins Unrecht gesetzt hätte, wo er im Recht war. Daher schwieg er, und seine Frau schwieg auch, weil sie fühlte, daß sie nichts sagen durfte. Und sogleich wuchs das Vorgefallene in seinem Gemüt wieder zu seiner früheren Gewalt empor.

So gingen beide zu Bett, ohne von dem, was ihnen auf der Seele lag, gesprochen zu haben.

In dieser Nacht wehte ein heißer Südwind, der übers Meer aus der Wüste gekommen war. Bald schlug er mit plötzlichen Stößen an die Scheiben, und die Zweige der Bäume bogen sich unter ihm, bald war eine tiefe Stille, dann kam es wieder wie ein breiter erstickender Strom. Die Menschen schliefen schlecht in dieser Nacht, mit unruhigen Träumen, oder lagen wach, mit schmerzenden Köpfen. Durch alle Ritzen und Fugen drang der feine rötliche Sand, er bedeckte Blätter und Blumen, die Steinböden und Holzparkette der Zimmer und die glatten Flächen der Möbel; er lagerte sich auf den Gesichtern der Schlafenden und trocknete ihre Kehlen aus. In den Wohnungen war es zum Ersticken, obwohl alle Fenster geöffnet waren und nur Vorhänge und Gewebe vor dem Eindringen der Insekten schützten. Aus der Nacht scholl es wie ein Stöhnen und Wogen und Seufzen; in allen Fensterecken bewegte es sich von Stoffen und Stangen; es war ein Klopfen und leises Rauschen, das kein Ende nahm.

Mitten in der Nacht stand Marguerite von ihrem Lager auf und ging im weißen Schlafgewande durch die Zimmer. Sie riß den Vorhang von einem Fenster, aber nur der heiße Luftstrom wogte ihr entgegen; die Sterne zitterten wie durch einen Schleier, und der Kamm der fernen Berge war von einem unheimlichen Licht umrandet. Unten im Garten brauste Sand und Laub und gejagte Blüten.

Sie schritt in die Schlafgemächer zurück; das Kind lag unruhig in den Kissen; jetzt weinte er: »Der Pfauhahn!« rief er, »Mutter, der Pfauhahn!«

Sie strich ihm die Löckchen aus der Stirn; der Knabe richtete sich auf: »Mutter, ich hab schlecht geträumt!« klagte er.

»Was hat dir geträumt, mein Liebling?«

»Das weiß ich nicht!«

Sie blieb an seinem Bett, bis er wieder schlief, dann ging sie ins eigene Schlafzimmer zurück. Auch Antoine lag unruhig und keuchte; auf seinem Gesicht war Pein und Zorn. Sie beugte sich über ihn und sah ihn lange an. Er öffnete die Augen. Wie der Anfang eines Lächelns flog es über sein Gesicht, aber es verschwand sofort wieder und er setzte sich im Bette auf und atmete tief: »Wasser!« flüsterte er.

»Willst du Wasser, mein Freund?« Aber das Wasser war warm und linderte den Durst nicht. Er kehrte sich nach der andern Seite. Mutlos warf sie sich in ihr Bett.

Am Morgen waren alle im Hause matt und verstimmt. Den ganzen Tag ging der böse lastende Wind weiter; am Himmel war ein gelblicher Schein; die Straße war fast leer; nur wer nicht anders konnte, eilte oder fuhr ihr entlang.

Sofort nach dem Frühstück schloß Antoine sich mit seinem Sekretär ein; an dem mit Akten überdeckten Tisch arbeiteten sie vor den schweren metallenen Tintenzeugen; harsch strichen die Kielfedern über das Papier; aber immer wieder wischten sie sich den Schweiß von der Stirn; die Arbeit wollte nicht von der Stelle; wenn sie ein Gesetzbuch suchten, fanden sie es nicht, oder der Artikel sagte nicht, was sie brauchten.

Jemand klopfte an die Scheiben. Sie sahen das schmale Gesicht und den grauen Schnurrbart des alten Gärtners; sie sahen seine Lippen sich bewegen, während er mit dem Kopf immer wieder eine Richtung wies.

Antoine sprang sofort auf; er nahm eine der silberbeschlagenen, mit seinen Linien im Metall gezierten Pistolen von der Wand und trat über den Gang ins Freie.

Der unerträgliche Wind strich stäubend über Beete und Wege. Antoine und der Gärtner gingen mit raschen Schritten. Der Pfau scharrte wieder bei den Feuerlilien. Antoine zielte und schoß. Drüben stoben ein paar Federn und das schöne Tier sank in sich zusammen, wie eine runde blaue Masse lag es unter den Blumen, die auf der andern Seite unter dem gelbgrünen Schweif verschwanden. Als sie hinkamen, war er verendet, Kopf und Hals waren umgebogen wie ein Stück einer Schlange, das runde Auge war graulich erloschen. Ein paar rote Tropfen sickerten aus dem schillernden Gefieder auf die Erde.

Wind und Staub tosten über die Beete, und die Töpfe fielen weiter, als ob viele unsichtbare boshafte Vögel die Zerstörung fortsetzten.

Antoine hieß den Gärtner zwei Bediente rufen; er selbst blieb stehen und sah auf das Tier nieder, dann warf er einen Blick nach dem andern Hof und wieder nach seinem eigenen Hause, das wie schlafend im Dunst dalag.

Als die Leute kamen, hieß er den einen den toten Pfau ins Nachbarhaus hinübertragen; der andere sollte zur Sicherheit mitgehen. Der Gärtner und er wunderten sich noch, daß das Tier an diesem Tage herübergekommen war, an dem alle Vögel sich ruhig hielten und geduckt in den Zweigen oder auf ihren Stangen saßen. »Sie müssen ihn aus Bosheit herübergejagt haben,« schloß der Gärtner, »nun haben sie's.«

Nach einer Weile, die Herrn von Chamillac sehr lange schien, kamen die Bedienten zurück; sie hatten einige Zeit am Tor pochen und rufen müssen, bis ein Mann gekommen war, dem sie den toten Pfau übergaben; sie hatten gesehen, wie er in die große Küche getragen wurde, die im Erdgeschoß lag, und hatten noch die erregten Stimmen des Gesindes und der Frauen gehört; dann sei das Tor wieder geschlossen worden. Der Herr Baron Diodati, nach dem sie gefragt, wie ihnen aufgetragen worden, sei nicht zu Hause gewesen, sondern nach der Stadt gefahren.

Chamillac kehrte in sein Arbeitszimmer zurück. Aber er vermochte nicht bei den Akten zu bleiben, sondern ging aufgeregt in der Stube hin und her. Der Sekretär hielt es für klüger, nichts zu sagen, und wartete schweigend auf eine Anordnung; als er zuletzt in unwillkürlicher Ungeduld sich vergaß und mit den Fingern auf die Tischplatte klopfte, schrie Chamillac ihn an. Er biß sich auf die Lippen und begann Federn zurechtzuschneiden, um irgendeine Abschrift vorzunehmen. Aber sein Herr hieß ihn plötzlich gehen.

Es war, als ob niemand im Hause den Schuß gehört hätte. Nur eine Magd, die auf dieser Seite arbeitete, war herausgekommen, und als sie den Herrn sah, der sich oft im Schießen übte, wieder verschwunden.

Zum Mittagstisch, auf dem er drei Gedecke bereitet sah, erschien die junge Simonne de la Baume, eine Nichte seiner Frau. Er war überrascht, da er sie nicht erwartet und man ihm ihre Ankunft nicht gemeldet hatte. Auch sie, die sonst munter genug war, schien gedrückt und müde. Nach dem Essen sprachen die Frauen leise miteinander, während Antoine am Fenster stand und in die stäubenden Wirbel hinaussah.

Der Himmel war bleifarben geworden und das Zimmer hatte sich verdunkelt; das ganze Tal lag wie in einen trockenen gelblichen Nebel gehüllt.

Der kleine Armand, der den ganzen Tag weinerlich gewesen und nicht hatte essen wollen, kam jetzt ins Zimmer gelaufen, drei oder vier lange Federn mit den dunkelglänzenden Pfauenaugen in der Hand.

»Schaut, wie schön!« rief er, »aber da ist ein Fleck, und im Garten ist Blut! Blut!« wiederholte er, das letzte Wort kindlich schwer aussprechend und betonend.

Marguerite durchfuhr eine Ahnung. »Was ist mit dem Pfau?« fragte sie.

Antoine lachte kurz auf. »Ich habe dem Hühnernarren eine Lehre gegeben.«

»Was haben Sie getan?«

»Was ich Edmond zu tun gedroht.«

»Was haben Sie Edmond gedroht?« fragte Simonne, die aufgehorcht hatte, und begann plötzlich zu weinen. Und seltsamerweise fing auch Marguerite sogleich zu weinen an.

Erstaunt und erbittert sah Antoine das Gebaren der Frauen. Als nun auch das Kind zu weinen begann, ging er zur Türe und rief nach der Wärterin. Sie kam es zu holen. »Das bringt Unglück!« sagte sie, als sie die Pfauenfedern in seiner Hand sah und wollte sie wegnehmen; der Knabe schrie noch mehr und stampfte mit den Füßen.

Still nahm Marguerite die Federn aus seiner Hand. »Das bringt kein Unglück,« sagte sie, »ganz andere Dinge bringen Unglück.«

»O schön,« rief Antoine, »Sie nehmen für meine Feinde Partei!«

»Antoine!« rief sie, »Sie haben ihn tödlich beleidigt: machen Sie den ersten Schritt zum Guten, denn er kann es nicht tun!«

Antoine stand finster da. »Sie verstehen das nicht ...« begann er.

Sie sah ihn mit heißen brennenden Augen an; dann warf sie den Kopf in den Nacken zurück und ihr Mund verzog sich wie in einem Krampf, daß man ihre schönen weißen Zähne sah. Auch in Antoine arbeitete es. »Ich muß nach dem Palais«, sagte er.

»Antoine!« rief sie noch einmal.

Er riß sie in seine Arme und ging. Wie in einer Betäubung blieben die Frauen zurück. Nach einer Weile hörten sie unten den Wagen fortfahren.

Unlustig und immer wieder angefeuert, trabten die Pferde über die Landstraße, durch das Stadttor, an den alten Häusern und Palästen vorüber, bis sie unter dem hohen Torbogen und über den gepflasterten Hof des Justizpalastes stampften.

Die meisten Säle und Beratungszimmer standen leer. In der Appellkammer, die ausnahmsweise eine Nachmittagssitzung hatte, fühlte man die drückende Schwüle. Der Präsident hatte sein Barett, viele Räte ihre Perücken abgenommen, und die Roben geöffnet; aufgeregt, mit großen Augen sah der Referent durch seine Hornbrille nach dem Generaladvokaten, der in seinen Akten blätterte und hier und da ein paar schläfrige Worte sagte; die anderen gähnten; einer schlummerte; bis plötzlich fast ohne Anlaß eine Aufregung entstand und alle durcheinanderschrien, worauf wieder Ruhe eintrat; so zog sich die Sitzung endlos hin, ohne daß man von der Stelle kam, bis es Abend war und in den immer dämmerigen Räumen die Lichter angezündet wurden. Bei einer Gelegenheit fragte Chamillac nach dem Diodati; er war vormittags im Palais gesehen worden; wo er dann hingegangen war, wußte man nicht.

Indessen saßen die Frauen im Hause bei einer Arbeit unter bangen Gesprächen; sie wurden die Angst nicht los, daß die beiden jähzornigen Männer sich irgendwo in der Stadt oder auf dem Wege begegnen könnten. Dann sprang Marguerite auf und ging erregt durch die Zimmer, und trat zuletzt auf die Terrasse hinaus: nichts rührte sich; kein Tier war zu sehen, selbst die Eidechsen, die sonst über den Steinboden huschten, hatten sich verkrochen; der Hof jenseits der Mauer war völlig leer. Der Wind hatte nachgelassen; aber die Luft war noch voll von trockenem Staube. Wie in einer Schwefelflamme ging die Sonne im Westen unter.

Während sie auf das Steingeländer mit den Armen gestützt angstvoll in die Ferne hinaussah, hörte sie ein Pfeifen, dann ein Krachen, ein merkwürdiges Geräusch wie von vielen eilenden Schritten, und jetzt lief und hüpfte es wie Gespenster durch den Garten; viele Männer und Burschen, in der Dämmerung nur halb sichtbar, stampften über die Beete, zertraten die Blumen, rissen Rosenstöcke aus dem Boden, schlugen mit Beilen Äste von den Bäumen, zerbrachen die sorgfältig mit köstlichem Obst an den Mauern gezogenen Spaliere, gleich Kobolden oder Tollen anzusehen.

Entgeistert starrten die Frauen, – denn auch Simonne war ungehört auf die Terrasse getreten, – in den Wahnsinn hinab. Und schon hörten sie unten im Hause Türen schlagen, Fenster und Spiegel unter Steinwürfen splittern, kostbares Porzellan und Lampen in Scherben fallen, Tische und Möbel unter Axthieben krachen, während geschleuderte Stühle an den Wänden zerbrachen, schwere Metallgegenstände dumpf zu Boden stürzten. Die Hölle schien im Hause zu toben.

Zitternd drängte Simonne sich an ihre Tante. Frau von Chamillac hieß sie sich in ihrem Zimmer einschließen; sie selbst gebot den Zofen ihr zu folgen und stieg, da diesen der Schreck die Knie lähmte, allein die Treppe hinab.

Auf der Höhe weniger Stufen, ehe die Treppe in dem großen Saal endete, blieb sie stehen; eine Minute lang sah sie wortlos dem Treiben zu; und in der Tat hielten einige der Tobenden beim Anblick der schweigenden Frau inne. Aber als sie zu sprechen begann und »Schämt ihr euch nicht?« rief, »Bedenkt ihr nicht, was ihr tut?«, da schrie ein großer Kerl ihr zu: »er schäme sich durchaus nicht«, und grinsend warf er ihr eine kostbare Schüssel vor die Füße, daß die Splitter flogen. Im nächsten Augenblick umgab sie eine brüllende Schar; neben den Bedienten und Reitknechten des Diodati waren es junge Advokaturschreiber und fremde Lakaien, das frechste und unflätigste Volk der Stadt; Worte flogen ihr zu, die sie nie gehört hatte; Hände griffen frech nach ihr, daß, als sie zurückwich, ihr Kleid über der Brust zerriß.

Das Gesicht erst von tiefer Röte, dann von Todesblässe bedeckt, die zerrissene Seide mit der Hand zusammenraffend, »Elende!« rief sie, »ihr berührt die Tochter des Marquis von Irville?!«

Der Name des mächtigen Edelmannes wirkte mit ernüchterndem Schreck. Und während Marguerite fühlte, daß sie ihre Beherrschung verlor und im nächsten Augenblick weinen würde, kamen von oben Diener des Hauses mit Gewehren und Spießen. »Schießt! schlagt! laßt nicht einen am Leben!« schrie sie außer sich.

Aber auf ein langgezogenes Pfeifen von draußen verschwanden die andern jetzt ebenso plötzlich durch Türen und Fenster; der Saal stand im Augenblick leer, und die Kugeln, die die verwirrten Diener ihnen nachschössen, schlugen nur Löcher in die Wand.

Oben stürzte Simonne auf Frau von Chamillac zu. »Du blutest!« rief sie. Doch das war eine geringe Sache, ein« Spange, die sie geritzt, ein Splitter, der sie getroffen hatte. Dem Anschein nach wieder vollkommen ruhig, hieß sie eine der Kammerfrauen ihr ein anderes Kleid reichen und steckte ihr Haar inzwischen auf, das sich gelöst hatte; zugleich fragte sie nach dem Kinde, das ruhig bei der Wärterin spielte. Dann traf sie Anordnungen. Mehrere der Bediensteten, die sich schon vorher zur Wehr gesetzt, fand man gebunden oder übel zugerichtet im Park und in den Gängen des Hauses. Frau von Chamillac ließ Leute aus der Nachbarschaft holen, die im Hause Wache halten mußten; schickte einen Boten ihrem Gatten entgegen, andere zu Freunden und zu den Vasallen in Valdogne und Châteaurenard, und einen besonders sicheren Mann, der das beste Pferd im Stalle satteln mußte, zu ihrem Vater, für den sie ihm einen Brief, wenige hingeworfene Zeilen, mitgab.

Eine halbe Stunde später fuhr Chamillacs Wagen durch das Parktor. Er sah die zerbrochenen Türen und Fenster im Erdgeschoß; wortlos schritt er durch den verwüsteten Saal die Treppen hinauf zu den Frauen; auch bei ihm wurde, als er alles gehört, die rasende Wut zu einer äußeren Ruhe. Mit zwei Dienern, die ihm leuchten mußten, besichtigte er die Zerstörungen im Park; dann kehrte er ins Haus zurück und verlangte Wein und hieß auch Marguerite und Simonne trinken. Dabei ging er auf und ab, und stieg zuletzt wieder in den Saal hinunter, in dem er nicht ein Stück wegzuräumen oder zu beseitigen, nicht einen Scherben aufzuheben gestattete; er stellte vielmehr Wachen, damit alles genau in dem Zustande bliebe, in dem die Frevler es zurückgelassen hatten. Er hieß alles gut, was seine Gattin getan; dann gebot er beiden Frauen schlafen zu gehen; er selbst ging noch lange im Haus umher oder stand an den Fenstern und sah nach dem finsteren Schatten des Nachbargebäudes hinüber. Die Luft war jetzt völlig still, aber noch immer heiß und trocken, und ein unaufhörliches Wetterleuchten flammte geräuschlos hinter den Bergen am Nachthimmel auf. Erst gegen Morgen ging Chamillac zur Ruhe; da sah er, daß seine Frau wach war, beugte sich über sie und küßte sie innig. Aus dem anderen Zimmer scholl das verzweifelte Schluchzen der jungen Simonne durch die Vorhänge, die es abschlossen; aber weder er noch Marguerite sprachen ein Wort darüber.

Es blieb ihnen nicht Zeit zu langem Schlaf. Den ganzen Tag, vom frühen Morgen an, ritten die bewaffneten Herren und Diener in den Park ein. Chamillac empfing sie mit großer Höflichkeit, dankte ihnen für ihre Freundschaft, wies und erklärte ihnen, was geschehen war, und brachte sie in den Zimmern und Sälen unter, während die Pferde in den Ställen und im Hofe angebunden wurden.

Nicht anders, wenn auch in weit geringerer Zahl, sammelten sich die Freunde des Diodati in seinem Hause, und während der große Hof, in dem sich sonst das bunte lärmende Geflügel tummelte, leer blieb, sahen sie in den vergitterten Fenstern des Hauses überall die Flintenrohre. Und schon am frühen Morgen war die Nachricht von dem Überfall auf Irville in die Stadt gedrungen; auf allen Plätzen, in den öffentlichen Gebäuden nahm man unter heftigen Reden und Gegenreden für die eine oder andere Seite Partei, und die Aufregung wuchs mit jeder Stunde.

Dennoch verging der erste Tag merkwürdigerweise ohne Blutvergießen. Auf Chamillacs Forderung ihm die Täter sämtlich auszuliefern und allen Schaden zu vergüten, da er sich sonst selber Recht schaffen werde, war die höhnische Antwort gekommen: »Er möge es nur versuchen!« Darauf umstellte er das Haus, soweit es ging, und begann eine Art Belagerung, so daß dem Diodati der Weg nur durch rückwärts an ihr Haus stoßende fremde Gärten blieb.

Am zweiten Tage gerieten verschiedene Herren auf den Straßen in Händel, und es hieß, der Parlamentsrat von Lambesc habe den Herrn von Paladru am Wall von Tourreluco erstochen, was sich später als unwahr erwies; aber in der Stadt wurden verschiedene Leute durch Steinwürfe verletzt und Fenster zerschlagen; in vielen Häusern hielt man die Tore geschlossen; der Justizpalast blieb fast leer.

Indessen hatte der Statthalter, der Graf von Alais, Herzog von Angoulême, der Enkel König Karls IX., der sich gerade in Marseille befand, von dem brütenden Unheil Nachricht erhalten, und war eilends mit großem Gefolge aufgebrochen, um den Frieden wieder herzustellen.

Am Abend zog er mit vielen Fackeln unter Glockenläuten in die heiße dunstige Stadt ein; er steckte seine Standarte am alten Schloß der Grafen von Provence aus, während seine Reiter und Pickenträger auf dem Platze davor hielten; um sie drängte das Volk; Knaben saßen halbnackt am Brunnen und tauchten wenigstens die Füße oder Hände in das laue Wasser, mußten aber weichen, als immer mehr Reiter herankamen, um ihre Pferde zu tränken; nur die das Standbild des Heiligen erklommen hatten, konnten sehen, wie der Graf von Alais aus der Karosse stieg und aus der Hand des Bürgermeisters, der mit den Schöffen zu seinem Empfang gekommen war, einen Becher gekühlten Weins entgegennahm; und die Zunächststehenden hörten, wie er sich über die große Hitze beklagte. Aber ehe er noch den Becher ausgetrunken, entstand eine Bewegung auf dem Platz und ein Gedränge, da Läufer, denen die Pickenträger mühsam Bahn schufen, die Nachricht oder doch das Gerücht brachten, daß der Marquis von Irville mit fünfzehnhundert Edelleuten und Dienern aus dem Dauphiné im Anzug sei, um den seiner Tochter zugefügten Schimpf zu rächen. Daraufhin begab sich der Statthalter ins Schloß und schickte, wie man vernahm, sofort Truppen mit Artillerie nach den Pässen der Durance, um jenen den Eintritt in die Provinz unter allen Umständen zu wehren. Zugleich berief er das Parlament für den folgenden Tag zu einer Sitzung.

Am nächsten Morgen war der Justizpalast von einer dichtgedrängten und aufgeregten Menge umlagert. Die Präsidenten in Samt und Hermelin, die Ratsherren in roten und schwarzen Roben nahmen ihre Plätze ein. Die Herren von Chamillac und von Diodati und auch andere hatten sich damit entschuldigt, daß sie der unsicheren Lage wegen ihre Häuser derzeit nicht verlassen könnten. Als der Statthalter dies erfuhr, schickte er den Grafen von Roquefavour, den Seneschall der Provinz, zu den feindlichen Parteien hinaus, um in seinem Namen Frieden zu gebieten, bis er selbst entschieden habe. Nachdem die Sitzung eröffnet war, erhob sich der Generaladvokat und hielt eine zweistündige Rede, in der er, die verhängnisreichen Folgen innerer Wirren mit vielen Beispielen aus dem Altertum und auch aus späterer Zeit belegend, die vorgefallenen Ereignisse bedauerte und die Notwendigkeit einer eingehenden Untersuchung sowie die Mittel zur Vorbeugung in künftigen Fällen auseinandersetzte. Als er geendet hatte und eine gewisse Bewegung in der Versammlung einsetzte, wurde dem Statthalter, der die ganze Zeit über seinen Verdruß und seine Ungeduld kaum verhehlt hatte, gemeldet, daß ein atemloser Reiter ihn zu sprechen begehrte. Er setzte sogleich den Hut auf und verließ den überhitzten Saal, um den Mann zu sehen, der berichtete, die Besetzung der Pässe durch die ausgeschickten Truppen sei nicht mehr möglich gewesen; man könne bereits den ungeheuren Zug von Berittenen die gewundene Bergstraße herunterkommen sehen. Der Statthalter trat ans Fenster und sah in die bleierne Schwüle hinaus. Er fluchte: »Alle Menschen, selbst die klügsten, hätten den Verstand verloren.« Dann beugte er sich weit hinaus: in der Ferne stiegen im Westen weißgeballte Wolken auf.

Er kehrte in den Saal zurück; die Sitzung wurde auf seinen Wunsch unterbrochen, und er lud den Erzbischof, den ersten Präsidenten und mehrere der angesehensten Räte zu einer Besprechung in einem anstoßenden kleineren Raum; doch bat er sich aus, daß der Herr Generaladvokat nicht darunter sein dürfe. Nun legte er den Herren dar, daß wegen eines unverständlichen persönlichen Zwistes der Aufruhr zwei Provinzen zu ergreifen drohe und daß etwas geschehen müsse, um dies zu verhüten; er schlug vor, beide Herren, Diodati wie Chamillac, unverzüglich vorzuladen, und im Fall des Widerspruchs verhaften zu lassen. Der erste Präsident erklärte sich mit der Vorladung einverstanden; gegen die Zulässigkeit der sofortigen Verhaftung machte er Bedenken geltend, indem er, ohne des zu achten, daß der Statthalter mit der Fußspitze wiederholt auf den Boden klopfte, auf die Privilegien des Parlaments verwies, die in keinem noch so dringenden Fall außer Acht gelassen werden könnten, und er redete noch, als der Graf von Roquefavour bleich und erschöpft, mit den schrecklichsten Nachrichten zurückkam.

In der Nacht hatte Chamillacs Gärtner, der bei dem Überfall im Park heftig geschlagen worden war, seinen Herrn darauf aufmerksam gemacht, daß das Geflügel des Diodati in hölzernen Verschlägen und Käfigen, die an der andern Seite der Wirtschaftsgebäude lagen, eingeschlossen war. Darauf war ein kühner und gewandter Bursche in der Dunkelheit unentdeckt über die Mauer geklettert und hatte diese Verschläge in Brand gesetzt. Bei der trockenen Hitze, die in den letzten Tagen alles durchdörrt hatte, flammte das Feuer sogleich hoch auf, und alsbald konnte man halb versengte Hühner, Fasanen und anderes Geflügel, weiß, schwarz und bunt, mit noch glühendem funkensprühendem Gefieder unter lautem Angst- und Schmerzgekreisch im Licht aufflattern und wieder in Rauch und Dunkel verschwinden sehen. Gleichzeitig begannen in den benachbarten Ställen die Pferde, die das Feuer rochen, wild mit den Hufen zu schlagen und an ihrer Halfterung zu zerren, während das Gebrüll der Rinder nebenan so furchtbar tönte, daß selbst die Angreifer ein Schauder beschlich.

Im andern Hause erkannten sie die Gefahr und setzten alles ein, um das Feuer, ehe es auf die Stallungen übergriff, zu löschen, und da alle Mauern und die meisten Gebäude ganz aus Stein waren, konnte das gelingen. Vorläufig aber schlugen die Flammen noch lohend und knisternd empor und warfen einen hellen Schein über den Hof und die Wand des Hauses, so daß Chamillac den alten Diodati mit seinen finstern Zügen und dem in wirren Strähnen hängenden Haar, an einem Fenster sehen konnte, wo er seine magern Arme erhob und wilde Flüche und Verwünschungen ausstieß.

Jetzt erst brachen die andern in ein Hohngelächter aus und erwiderten mit gleichen Drohungen, insbesondere Chamillac selbst rief in großer Erregung mit hallender Stimme hinüber, daß sie, die nur gegen schutzlose Frauen Mut hätten, sich herüberwagen und zum Kampf stellen sollten. Doch wurde auf die Männer und Weiber, die mit Eimern auf den Dächern hin- und herliefen und Wasser niedergossen, kein Schuß getan, bis man, da sich gerade wieder eine mächtige Dampfwolke prasselnd und zischend verzog, eine Gestalt auf der Parkmauer erscheinen sah und etwas herüberrufen hörte, was in dem Lärm nicht verstanden wurde. Im Feuerschein erkannten alle den jungen Edmond Diodati, der sich offenbar anschickte, in den Park herunterzuklettern. »Zurück!« riefen ihm von dieser Seite viele warnende und drohende Stimmen entgegen; und »Zurück Edmond! Bist du verrückt?!« tönte es von seiner eigenen Seite. Aber er sprang bereits, fiel hin, stand wieder auf und schritt, irgend etwas in der Hand schwenkend, auf das Schloß zu, und stürzte, da jetzt aus den Fenstern geschossen wurde, noch ehe er es erreicht hatte, von zwei Kugeln getroffen, zu Boden. Dennoch gelang es ihm, sich unter Ächzen bis zu einer der bei dem Überfall zerstörten und zerbrochenen Glastüren zu schleppen, wo er Chamillac bitter vorhielt, daß er nur um Frieden zu vermitteln und sich selbst auszuliefern gekommen sei, da er insofern schuldig sei, als er, in bester Absicht, den Auftrag Chamillacs, den Pfau zu hüten, seinem Bruder nicht bestellt hatte. Nun habe er, nachdem Chamillac Gleiches mit Gleichem vergolten, gemeint, daß es genug wäre, und sei, ein weißes Tuch schwenkend, herübergekommen, und habe nun wohl auch mehr als genug gebüßt.

Während die Herren um Chamillac auf diese hervorgestöhnten Worte betreten schwiegen und nicht einmal dem Verwundeten beistehen oder ihn hereintragen konnten, da die vom andern Hause aus Rache sofort auf jeden, der sich zeigte, schossen, sank das Feuer zusammen und verendete; nur ein öder Brandgeruch blieb. Die Nacht war vergangen und das Frührot warf den ersten matten Schein auf den verwüsteten Park, so daß sie sehen konnten, daß der junge Diodati tot war. In den Männern war eine dumpfe Spannung: in den Sälen und Galerien gingen sie leise redend auf und ab; Antoine von Chamillac selbst starrte schweigend vor sich hin; da tönte über ihnen ein lauter Jammerruf; gleich darauf sahen sie in dem heller gewordenen Morgen eine weiße Gestalt auf den Toten zueilen und sich über ihn werfen. Oben in einem Fenster des Diodatischen Hauses legte ein Mann die Armbrust an und schoß zweimal, und jedesmal tönte ein Weheruf, der nicht der eines Mannes war. Drinnen im Saal aber kam Frau von Chamillac in höchster Verwirrung und Angst die große Treppe herab, ihren Gatten suchend, dem sie sagte, daß sie weder ihre Nichte Simonne noch das Kind im Hause finden könnte; der Lärm und die Schüsse habe niemand von ihnen schlafen lassen und Simonne habe das erschreckte Kind zuletzt an sich genommen; nun seien beide nicht zu finden.

Jetzt wurde aus dem Chamillacschen Hause ein Mann mit einer weißen Fahne nach der andern Seite geschickt, und im traurigen ersten Licht des Tages sahen sie die tote Simonne über der Leiche des jungen Diodati liegen. Wie sie jetzt erfuhren, war sie um seinetwillen gekommen, und seine Werbung war die Sache gewesen, von der Marguerite die ganze Zeit mit ihrem Manne hatte reden wollen.

In einiger Entfernung sahen sie dann unter grünen Büschen etwas Weißes liegen und fanden das Kind mit dem friedlichsten Gesichtchen, obwohl es tot war. Offenbar war es der Base nachgelaufen und von dem Scharfschützen im Fenster gleichfalls getroffen worden.

Als der Graf von Roquefavour erschien, war es ihm nicht schwer geworden, beiden Parteien ihre Raserei klar zu machen. Sie verpflichteten sich, Frieden zu halten, bis der Statthalter entschieden hätte. Ja viele Herren auf beiden Seiten zogen es vor, schon jetzt ihre Pferde zu satteln und nach Hause zu reiten.

Der Statthalter aber brach, als er dies gehört, auf, um den vom Dauphiné kommenden Herren selbst entgegenzureiten. Es war ein mühsamer schweigender Ritt im Straßenstaub den Bergen zu, über deren Kämmen sich die Wolken jetzt schwarz und dicht zusammenzogen. Ein unaufhörliches Grollen scholl herunter, und hie und da zuckte ein Sprühen um das Gefels hoch oben. In Meyrargues, als der Gewittersturm schon die Bäume bog, stießen sie auf den andern Zug. Unter Donner und Blitz und wütenden Regengüssen saßen der große Marquis und der Statthalter bis zum Abend in einem Meierhof beisammen, während ihr Gefolge triefend und durchnäßt in Dörfern und Gehöften ein Obdach suchte. Als der Marquis den Tod seines einzigen Enkelkindes erfuhr, schüttelte er tiefbestürzt und traurig, wie in seltsamen Zweifeln und Bedenken, das Haupt.

»Ihm«, sagte er dann, »liege nichts ferner, als das Unheil zu mehren.« Auf diese Worte bot der Statthalter ihm über den Tisch die Hand hin, die er ergriff; und die beiden alten Herren standen auf und umarmten und küßten sich auf beide Wangen. Dann schlug der Marquis, dessen Weisheit im Lande so berühmt war wie seine Macht, dem Statthalter eine allgemeine Versöhnung und Verzeihung zwischen den Parteien vor, die beide ihre Erben verloren hatten, da der ältere Diodati nur Töchter hatte. Nur der Mensch, der seiner Tochter das Kleid zerrissen, sollte öffentlich ausgepeitscht werden. Der Schaden aber, den jene einander im Garten und Hühnerhof zugefügt, wäre gerichtlich festzustellen und von beiden Seiten zu ersetzen. Wie sich später ergab, hatte der Diodati diesbezüglich bereits die Klage erhoben und der Klagschrift eine Kiste beigestellt, der, als man sie öffnete, ein übler Geruch entströmte, und in der man die schillernde Leiche eines großen Vogels, des Pfaus von Irville fand, der den ganzen Jammer durch sein Scharren verursacht hatte.

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