Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Fall Lamanz

Der Architekt Hugo Lamanz war den Freiherren von Hassenrieth durch ihren Gutsnachbarn, den Grafen Pernoncourt, für den Umbau ihres Schlosses empfohlen worden, und ihr Anwalt hatte die ersten Abmachungen mit ihm getroffen.

Zu Ostern war er hingefahren, um das Schloß zu besichtigen und mit den Besitzern selbst zu sprechen, hatte jedoch keinen der Herren vorgefunden, sondern nur ein Telegramm: sie hätten zur Jagd verreisen müssen, er möge ein anderes Mal wiederkommen. Ein wenig verletzt, hatte er gewartet, bis ihr Anwalt sich abermals an ihn wendete, hatte dann zwei der Herren getroffen, lange junge Leute, die in jenem nachlässigen Tone redeten, der in Österreich für Stil gilt, und es hatte sich gezeigt, daß der Umbau des Schlosses, sowie sie ihn zu wünschen schienen, beträchtlich größere Kosten und viel längere Zeit erfordern mußte, als sie gedacht hatten.

Nach langen Unterhandlungen wurde ein Voranschlag genehmigt, in welchem Lamanz erklärte, daß er für die bewilligte Bausumme nur einen Teil der Arbeiten ausführen, andere, wie die Nivellierung des Parkes, die Errichtung eines Pavillons, sowie verschiedene Innenarbeiten nicht ohne weiteres übernehmen könnte.

Im Frühjahr wurde auf den dringenden Wunsch der Freiherren mit dem Bau begonnen und durch den ganzen Sommer gearbeitet, obwohl eine Reihe einschneidender Fragen noch in der Schwebe waren und einer späteren Einigung oder einer nachträglichen Änderung des Bauplanes vorbehalten blieben.

Im Sommer darauf mietete Lamanz, um den Fortgang der Arbeiten bequemer überwachen zu können, für sich und seine Frau eine Wohnung am See, in der Nähe des Schlosses. Das Wetter war schön und die Arbeit schritt vor; die Freiherren, drei lange Brüder mit bartlosen Gesichtern und ein ebenso langer etwa fünfzigjähriger Oheim, der einen weißen Spitzbart hatte und stets einen grauen, um die Mitte engen Gehrock und überlange weiße Manschetten trug, kamen der Reihe nach an, besahen den Bau und erwiesen sich, wenn Lamanz ihnen Vorschläge machte, der Vernunft zugänglich. Sie aber redeten unter sich von der tadellosen Haltung und Erscheinung ihres Baumeisters.

Als die vier Herren des Abends in einem kühlen grauen Saal unter alten Bildern beim Speisen saßen, fragte einer von ihnen, wie wohl die Frau des Architekten aussehen mochte.

»Ich habe sie gesehen«, sagte ein anderer. »Tadellos!«

Am nächsten Tag suchte jeder der vier Freiherren den Baumeister in seinem Hause auf; jeder hatte eine Frage an ihn; aber sie trafen ihn nicht zu Hause, weil er fast den ganzen Tag auf dem Bauplatz beschäftigt war. In seiner lässigen Art begann jeder im Vorübergehen ein Gespräch mit der schönen Frau, die im Garten saß.

Wenn dann einer dem anderen begegnete, ärgerten sich beide; als aber eines Tages der jüngste erst seine zwei Brüder und dann den Oheim auf dem Wege traf, brach er in ein schallendes Gelächter aus.

Am Abend suchte jeder zu erfahren, wie weit der andere wäre; dann wurde beim Sekt eine Wette abgeschlossen, und da sie unmöglich alle vier täglich am Zaun plaudern oder im Garten einkehren konnten, so wurde eine Reihenfolge festgesetzt und unter lautem Gelächter wollten sie dem schlanken Oheim mit dem weißen Knebelbart einen Besuch mehr in der Reihe als »Vorgabe« bewilligen, doch er verbat sich dies.

An einem dieser Tage kam der Baumeister etwas früher nach Hause.

Am Seeufer stand der Schleusenwärter mit einem andern Mann, und als er vorüberkam, lachten sie. In seinem Hause fand er im Gartenzimmer einen der Freiherren von Hassenrieth sitzen und sich mit der jungen Frau unterhalten, die ihre Blumen begoß.

Als Lamanz eintrat, stand der junge Mann sehr unverlegen auf und entschuldigte sich, daß er rauche, die gnädige Frau habe es ihm gestattet. Lamanz bat ihn, seinen Platz zu behalten und weiterzurauchen, und setzte sich gleichfalls. Aber das Gespräch wurde einsilbig, und der Baron stand auf und empfahl sich. Lamanz begleitete ihn zur Gartentür und sagte ihm dort, er danke ihm für seinen Besuch, doch hätte er ihn sicherlich bis sieben Uhr auf dem Bauplatze getroffen; leider nehme ihm der Bau alle Zeit, sonst würde er den Besuch demnächst erwidern. Damit ging er ins Haus zurück.

»Sapperlot!« sagte der junge Mann, ehe er weiterging.

»Du hast mir nie gesagt, daß die Herren dich besuchen«, sagte der Baumeister zu seiner Frau.

Sie sah ihn an und lachte: »Sie sind zu komisch, wenn sie so angelaufen kommen.« Aber Lamanz sah in solchen einseitigen Besuchen eine Beleidigung und bat seine Frau, sie nicht mehr anzunehmen. Da mußte sie wieder lachen.

Tags darauf brachte ein Diener einen Brief, in dem der Baumeister und seine Gattin für Sonntags ins Schloß zum Speisen gebeten wurden.

Sie nahmen die Einladung an, aber des Sonntags kam der Baumeister allein: seine Frau sei nicht ganz wohl und ließe sich entschuldigen.

»Wie schade!«

Die Flintenläufe in der Halle blitzten in der Nachmittagssonne, die Hunde bellten im Schloßhof; im Saal war die Tafel mit Blumen geschmückt.

»Sapperlot!« sagte der junge Herr wieder, als der Gast gegangen war; er hatte tadellos zugehört, wenig gesprochen, getrunken, ohne daß dies eine merkliche Wirkung auf ihn geübt hätte, und als die Herren kräftige Geschichten erzählt hatten, auch eine erzählt, die zwar zum Lachen war, aber eine Pointe hatte, die die Zuhörer einen Augenblick verstummen ließ; dann allerdings waren sie in ein heftiges, stoßweises Gelächter ausgebrochen.

Tags darauf traf Lamanz einen andern der Brüder vor seinem Hause, als er es des Nachmittags etwas später als gewöhnlich verließ. Lamanz wurde ein wenig weißer im Gesicht und sagte, indem er stehen blieb: »Wenn Sie mich suchen, Herr Baron, so treffen Sie mich, wie ich Ihrem Herrn Bruder bereits zu sagen die Ehre gehabt, bis sieben Uhr auf dem Bauplatz. Ich bitte, sich gütigst danach richten zu wollen, und vielleicht teilen Sie es gleich auch Ihrem dritten Herrn Bruder mit.«

Die letzten Worte hatten scharf geklungen ...

Frau Lamanz, die oben im Hause schlief, war es, als hörte sie von irgendwoher erregte Stimmen; als sie ans Fenster trat, sah sie ihren Gatten am Brunnen stehen. Dann kam er die Treppen wieder herauf und trat in sein Schlafzimmer. Sie öffnete die Türe. Da die Jalousien an den Fenstern der Hitze wegen geschlossen waren, sah sie ihn kaum: »Ich habe mich unten schmutzig gemacht,« sagte er, »und muß einen andern Kragen nehmen.«

Irgendein unbestimmtes Gefühl trieb sie, nachzusehen, als er fort war: sie fand seinen Kragen und die Manschetten des Hemdes mit Blut befleckt.

Indessen kam einer mit blutigem und zerrissenem Tennisanzug ins Schloß gelaufen, dessen Gesicht schlimme Spuren trug, die durch alles Waschen nicht viel besser wurden, und der in seinem Zimmer vor Wut und Scham und Verzweiflung brüllte.

So fanden ihn die andern, als sie heimkamen. Diesmal wurde kein Sekt getrunken.

»Ich schieß' den Hund nieder!« schrie der Geschlagene.

»Ich hätt' die Hundspeitsche genommen!«

»Am besten, du ziehst dir morgen die Uniform an und haust ihn zusammen!«

»Nur keinen Unsinn, Kinder,« sagte der Oheim, »gewisse Dinge dürfen nicht vorgekommen sein. Ihr habts gerauft. Gut. Dumm genug. Aber geschlagen worden ist ein Hassenrieth nicht.«

Am nächsten Morgen kamen zwei der Herren auf den Bauplatz; sie gingen wie drohende Stiere. Aber sie trafen den Baumeister nicht an, nur einen Polier, der ihnen sagte, der Herr Architekt werde wohl nicht kommen; er hätte schon vor einigen Tagen gesagt, daß er heute verreisen müsse und ihm gestern noch die nötigen Anweisungen gegeben.

Sie gingen zur Wohnung und fanden sie verschlossen. Darauf kehrten sie in den Park zurück und erklärten dem Polier, daß er die Arbeit einstellen und gehen könne. Der Mann verstand erst nicht, dann sagte er, daß er und die Arbeiter von dem Herrn Lamanz bestellt und bezahlt seien und nur auf sein Geheiß gehen könnten! worauf der eine der Herren, dunkelrot im Gesicht, erwiderte: »das könnten sie halten, wie sie wollten; hier seien sie auf seinem Grund und Boden, und hätten zu gehen, wenn er es befehle, sonst würden sie hinausfliegen.«

Der Polier zuckte die Achseln, rief die Leute vom Bau ab und schrieb einen Brief an die Baukanzlei nach Wien, den Lamanz' Partner, Herr Gröger, erhielt, ohne ihn verstehen zu können. Lamanz, der am folgenden Tage von seiner Reise zurückkam, verstand ihn; er fragte, ob sonst nichts für ihn persönlich gekommen sei? »Was soll denn noch kommen?« fragte Gröger. Lamanz schüttelte den Kopf, und sagte nichts weiter.

Er suchte seinen Anwalt auf und dieser schrieb an den Anwalt der Freiherren: zwischen beiden Parteien seien private Mißhelligkeiten entstanden, die an sich mit dem zwischen ihnen bestehenden Geschäftsverhältnis nichts zu tun hätten: dieses könnte durch Übereinstimmung gelöst werden, dagegen würde eine einseitige gewaltsame Unterbrechung der bedungenen Arbeit durch die Bauherren diese für allen Schaden haftbar machen.

Auf diesen Brief kam die Antwort, daß der Anwalt erst Informationen einholen müßte, da der Herr in seiner Kanzlei, der die Sache bisher geführt, im Augenblick verreist sei.

Ein unfruchtbarer Briefwechsel folgte. Die Baufirma drohte mit der Klage auf Bezahlung des Werks, an dessen Durchführung sie verhindert worden war: die Freiherren wendeten ein, daß der Bau gar nicht der Bestellung gemäß geführt worden wäre; darauf beantragten die Herren Lamanz und Gröger die Durchführung des Sachverständigenbeweises zum ewigen Gedächtnis. Aber schon war das angefangene Werk durch Regengüsse und ein Austreten des Sees schwer beschädigt worden. Die Arbeiter, die eine Zeitlang müßig am See umherlungerten und ihren Wochenlohn von der Baufirma weiter erhielten, betranken sich und verübten allerlei Unfug. Der Prozesse wurden mehrere und ihr Ende nicht abzusehen, um so mehr, als die Abmachungen, wie sich nun herausstellte, sehr mangelhaft, die Pflichten der Bauführer und die Rechte der Bauherren durchaus unklar waren.

Einige Monate waren verflossen, als Lamanz eine Zuschrift vom Kommando seines Regiments erhielt, durch die er aufgefordert wurde, sich darüber zu rechtfertigen, daß er den Dragonerleutnant in der Reserve, Freiherrn von Hassenrieth, von dem er tätlich mißhandelt und beschimpft worden sei, nicht gefordert hätte.

Verblüfft las er das Papier nochmals durch; er wußte nicht, ob er lachen oder sich ärgern sollte; dann setzte er sich hin und berichtigte die Sache.

Darauf kam eine zweite Zuschrift, die ihn anwies, an einem bestimmten Tag vor dem Ehrenrat des Regiments zu erscheinen. Nun ging er zu seinem Obersten, der ihm auf seine Fragen und Mitteilungen in kaltem Tone erwiderte, »es werde niemandem angenehmer sein als ihm, wenn ein Offizier seines Regiments sich nichts zuschulden kommen lassen, er wolle hoffen, daß es sich vor dem Ehrengericht so erweisen werde,« und ihn entließ.

Betroffen, erbittert und doch völlig überzeugt, daß alles sich günstig für ihn lösen müsse, suchte er einen anderen Offizier des Regiments auf, der ihm näher befreundet war. Dieser wußte noch nichts von der Sache und versprach sich zu erkundigen. Als er Lamanz wiedersah, machte er ein sehr ernstes Gesicht und fragte ihn, warum er seinerzeit von dem Vorfall keine Anzeige erstattet hätte.

Lamanz mußte zugeben, daß ihm dies gar nicht in den Sinn gekommen war, soviel zugleich habe er damals denken müssen.

Der Hauptmann erwiderte, dies sei ein großer Fehler gewesen und schade seiner Sache sehr.

Es könne aber doch die Tatsachen nicht verändern, meinte Lamanz.

Der Hauptmann zuckte die Achseln: »Was sind Tatsachen? Die Tatsachen werden von jeder Seite anders dargestellt, besonders bei einer Schlägerei. Der andere hat sofort die Anzeige an sein Kommando erstattet: das spricht für ihn.«

Lamanz machte eine Bewegung. Der Hauptmann war aufgestanden. »Es ist besser,« sagte er, »wenn ich nicht allein mit dir spreche, und zwei Köpfe sind gescheiter als einer; du erlaubst also.« Er öffnete die Türe und rief: »Ördey!«

Herr von Ördey war ein jüngerer Oberleutnant, den Lamanz flüchtig kannte. Er trat rasch ein, grüßte Lamanz mit einem »Servus«, das ihn gleichsam streifte, und blieb mit auf den Rücken gelegten Armen, an einen Schrank gelehnt, stehen.

Er habe Ördey gerufen, sagte der Hauptmann, weil sie beide gestern abend zufällig vom Regimentsadjutanten die ganze Sache erfahren hätten: der Feldzeugmeister von Sigrolsheim, der ein Verwandter seiner Gegner sei, habe im Ministerium von der Sache gesprochen, – die anderen hätten früher gar nicht gewußt, daß Lamanz Reserveoffizier sei, – so aber sei die Geschichte weiter und an seinen Obersten gekommen: Lamanz habe selbst nicht gefordert und sich der Forderung des anderen durch die Flucht entzogen ...

»Ich habe eine Geschäftsreise gemacht.«

»Entschuldige, aber seine Sekundanten können dich doch nicht in der ganzen Welt suchen.«

»Sie wußten ja meine Wiener Adresse.«

»Aber sie sagen, die Sache liegt so, daß du hättest fordern müssen.«

»Das ist eine Lüge.«

Ördey, der bisher regungslos gestanden hatte, machte eine Bewegung. Mit einer Gelassenheit, die er nicht fühlte, erzählte Lamanz noch einmal den ganzen Hergang. Die beiden Männer hörten ihm aufmerksam zu, sie bestritten nicht, was er sagte, aber sie hielten ihm nochmals vor, daß der andere damals sogleich eine ganz andere Schilderung von dem Vorfall gegeben hatte.

»Dann war's schon damals gelogen,« sagte Lamanz. Aber er fühlte, welche Macht die Unwahrheit hatte. Er nahm sich zusammen und sah den beiden Männern so scharf in die Augen, wie sie ihm, obwohl etwas sich finster und bedrängend um ihn legte.

»Ja? ja, aber ... endlich ...« sagte der Hauptmann eben.

»Endlich, was?«

Der andere sagte zögernd: »Schon um deiner Frau willen hättest du fordern müssen.«

Bis dahin war Frau Lamanz mit keinem Worte erwähnt worden.

»Um meiner Frau willen,« sagte Lamanz und seine Nasenflügel zitterten ein wenig, »habe ich den Menschen geschlagen und hingeworfen. Um meiner Frau willen wollte ich natürlich kein Aufsehen machen.«

»Das Aufsehen sei denn doch nicht vermieden worden,« sagte der Hauptmann, ohne Lamanz anzusehen. Auch Ördey blickte auf seine Fußspitzen. Da Lamanz nun erst beiden völlig betroffen und fragend ins Gesicht sah, fuhr der Hauptmann fort: »Lieber Freund, man spricht von so etwas nicht gern, – aber die Spatzen auf den Dächern pfeifen ja doch ...«

»Was pfeifen sie?« fragte Lamanz, blutrot im Gesicht.

Die beiden Offiziere blickten einander an. Ördey verließ seinen Platz, und ging ans Fenster und sah hinaus; der Hauptmann faßte Lamanz an beiden Händen, zog ihn in die andere Fensterecke und sagte:

»Deine Frau soll gegen die Freiherren von Hassenrieth sehr liebenswürdig gewesen sein; zum mindesten hat der Baron Ferdinand, der alte Sünder, der mit dem weißen Spitzbart, vor ein paar Generälen eine Geschichte erzählt: die Herren sollen sich vor Lachen geschüttelt haben. Sie haben sie dann wieder anderen erzählt.«

Lamanz schwieg.

»Es ist kaum mehr etwas zu machen,« sagte der Hauptmann weiter, »vielleicht noch ein Duell auf die schwersten Bedingungen. Wenn du uns brauchst ... Ördey und ich ... nicht wahr? Mein Lieber, wir haben dich ja alle gern, und man würde dich halten; aber die anderen gehören zu denen, die etwas durchsetzen können, wenn ihnen daran gelegen ist. Und auf den Böhm ist kein Verlaß: der will General werden; der war schon als Generalstäbler einer von denen, die um jeden Preis hinauf wollen.«

Er wollte noch mehr sagen, aber Ordey berührte seinen Arm und winkte ihm Schweigen. Lamanz hörte schon lange nicht mehr zu. Er bat die beiden Männer um eine andere Zusammenkunft, nahm einen Wagen und fuhr nach Hause.

Seine Frau saß am Klavier. Sie brach ihr Spiel jäh ab, als die Wohnungstüre zur ungewohnten Stunde mit dem Schlüssel geöffnet wurde und ins Schloß fiel. Ihr Mann stand im Zimmer, sein Gesicht war weiß, und um Lippen und Zähne lag ein sonderbarer wilder Zug; die Frau war aufgesprungen und starrte ihn an. Im Zimmer ward eine seltsame Stille, daß sie das leise Zischen der Gaslampe hörten. »Im vergangenen Sommer,« sagte er, »habe ich einen Mann hinausgeworfen, weil er gegen dich zudringlich war. Die Leute sagen, ich hätte ihn zu spät hinausgeworfen.«

»Zu spät?« fragte sie verwirrt.

»O, ich weiß, ihr habt nur Spaß getrieben: du bist ja gern unvorsichtig. Du sollst dich verdammt hoch geschaukelt haben, während der Herr Baron auf der Gartenbank saß. Er hat davon erzählt!«

»Hugo!« sagte sie und ward weiß und rot, »Pfui!«

»Pfui! Ja, pfui!« schrie er, »aber ich will wissen, was im Sommer geschehen ist! Die Wahrheit!« – Sie war so völlig fassungslos über das Unerhörte, was geschah, daß sie kein Wort zu sprechen vermochte. Unwillkürlich schlug sie die Hände vors Gesicht. Aber er bog ihr die Hände herab, und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen.

Ihr war zum Weinen; doch als ihr die vier Männer einfielen, die ihr so drollig nachgelaufen waren, mußte sie lachen, und durch ihre Aufregung wurde es ein unbezwingliches nervöses Lachen, das sie schüttelte und ihn entsetzte.

Er mußte ihr zuletzt zu Hilfe kommen und tat es in böser, noch erbitterter Weise, – da machte sie sich von ihm los. Sie ging ein paar Schritte, kehrte um und sah ihn an. Aber da erkannte sie, wie verstört er war und wie schön er zugleich aussah, und sie kam zu ihm zurück, schlang die Arme um seinen Hals, und suchte ihn zu beruhigen, und fragte ihn, wie er denn nur einen Augenblick glauben könnte ...!?

Die Last wich von seiner Brust und er stöhnte. Er sagte ihr, sein Gedanke sei gewesen, sie zu töten und dann, wen er von den anderen in die Hände bekommen könnte.

»Das sind sie ja gar nicht wert,« rief sie unter unendlichen Küssen. Aber als er ihr alles erzählte, ward auch sie von Entsetzen ergriffen.

Am nächsten Tage ließ er alle vier Herren von Hassenrieth als Verleumder seiner Frau unter den schwersten Bedingungen fordern, aber seine Vertreter brachten die Antwort, daß seine Gegner jede Forderung des Herrn Lamanz zurückweisen müßten, solange nicht durch den Ehrenrat seine Würdigkeit, Genugtuung zu verlangen oder zu geben, festgestellt sei.

Mit verbissenem Zorn stand er vor den Männern, die unter solchen Umständen über seine Ehre richten sollten. Die Aussage, die der jüngste Baron Hassenrieth vor dem Ehrenrat seines Regiments gegeben hatte, wurde verlesen. Als Lamanz sie für erlogen erklärte, entstand eine gewisse Unruhe. Man fragte ihn, ob er denn Zeugen für sein« Darstellung hätte; er war im Begriff, seine Frau zu nennen, da fiel ihm ein, daß sie ja nur seine blutige Wäsche gesehen hatte, und er stockte. Dennoch nahm sein Auftreten, seine Erscheinung, der drohende Ernst in seinen Mienen für ihn ein: das Ehrengericht beschloß, seinen Gegner persönlich zu vernehmen und ihm gegenüberzustellen, und die Entscheidung wurde vertagt.

Endlich ward er wieder vorgeladen: mit ungeheuerlichen Empfindungen betrat er die Kaserne, da er den Menschen, für den er keinen Begriff noch Namen fand, wieder vor sich sehen sollte. Ein Rausch des Zornes, der ihm wohltat, war über ihm; in beinahe froher Erwartung stieg er die grauen Stufen hinauf und schritt durch den hellen Gang mit den offenen Bogenfenstern, wartete in dem kahlen Zimmer, bis die kleine Gruppe von Offizieren eintrat und die Sitze an dem grünbedeckten Tisch einnahm, während er sich mit militärischem Gruß säbelklirrend aufrichtete. Nirgends sah er eine Kavallerieuniform. In der kurzen Verhandlung wurden einige ergänzende Fragen an ihn gestellt, ein trockener Bericht folgte, aus dem er erfuhr, daß die persönliche Vernehmung des Baron Hassenrieth sich als untunlich erwiesen, und das Gericht, nachdem er seine frühere Aussage nochmals an Ort und Stelle bekräftigt, davon Abstand genommen hätte. Dann verkündete der Vorsitzende das Urteil, das ihn seines Ranges verlustig erklärte.

Irgend jemand riet ihm. sich durch eine Zeitung an die Öffentlichkeit zu wenden. Während er dies noch überlegte, brachten gewisse Zeitungen bereits die lachenswerte Geschichte von der Dame mit den vier Anbetern und dem Gatten, der Menelaus der Gute genannt wurde, und wie er zum Zweikampf mit Paris nicht zu bewegen gewesen und darum aus der griechischen Armee ausgestoßen worden sei. Als er diese Zeitungen verklagte, erreichte er nur, daß die peinliche Geschichte in alle Blätter kam, während die gewandten Erzähler teils freigesprochen, teils zu lächerlich geringen Geldbußen verurteilt wurden. Der »Fall Lamanz« wurde zu einer wohlbekannten Überschrift in den Zeitungen.

Bei Gericht häuften sich die Papiere, da auch der Bauprozeß in unendlichem Schriftwechsel mit Zwischenprozessen und Tagfahrten, Beweisaufnahmen und Gutachten weiterlief: und immer schien es Lamanz, als wenn in all den Prozessen das, worauf es ankam, nicht gesagt oder kein Gewicht darauf gelegt würde. Er sah die Anwälte, die sich soeben heftig bekämpft hatten, nachher lächelnd einander die Hand drücken und »Auf Wiedersehen« sagen. Das Publikum erhitzte sich und bestritt und genoß den Fall, aus dem hundert lächerliche oder abscheuliche Anekdoten zur allgemeinen Unterhaltung aufwirbelten.

Frau Lamanz wagte nicht mehr auszugehen, kaum sich bei ihren Verwandten zu zeigen; mit weißem Gesicht schritt sie durchs Haus und warf sich manchmal weinend an ihres Gatten Brust. Der ergrimmte Mann kämpfte weiter und erreichte endlich, daß Frau Lamanz selbst sowie die Freiherren vor Gericht als Zeugen erscheinen sollten. Nun meinte er den Schlangenknoten zu fassen: aber dieser Prozeß kam zu keinem Ende, denn die vier Herren befanden sich in Paris, in Nizza, in Ungarn auf der Jagd, in Karlsbad zur Kur, nur niemals dort, wo das Gericht sie eben vernehmen wollte.

Und dann wurden die Leute der Sache müde.

Ein kluger Advokat gab der verzweifelten Frau einen Rat: er sagte, daß ein Mann, der eine der höchsten Stellungen in der Justiz bekleidete und der einen berühmten Namen trug, für Frauenschönheit empfänglich sei: »in allen Ehren natürlich«, sagte er. Es gelang ihr, vorgelassen zu werden, und der Kluge behielt recht. Der weißbärtige alte Herr hörte die Weinende freundlich an, schrieb einige Worte von dem, was sie sagte, nieder und versprach ihr ihr Recht.

In der Tat erschienen die drei langen Brüder und der schlanke Oheim mit dem weißen Spitzbart elegant und lächelnd vor Gericht und schworen gelassen vor den brennenden Kerzen und dem Kruzifix; aber die Gelassenheit wurde eine gezwungene, als die gewandten Fragen des Anwalts, vor dem sie wie unerfahrene Hasen vor dem Jäger waren, ihnen widerwillige Antworten entrissen, und das Lächeln wich einer weißen Wut, als einer um den andern sich in Widersprüche verwickelte, und der unangenehme Herr seinerseits gelassen von Meineid und Zuchthaus sprach. Das bitterste war sein Plaidoyer und trotz ihrer blendend weißen Wäsche kamen sie nicht reinlich aus der Sache hervor.

Als der Baumeister nach Hause fuhr, sah er mit einer müden Siegerfreude der schönen Verhärmten ihm gegenüber ins Gesicht.

Er konnte nun neue Prozesse führen und sie gewinnen. Aber er war ein früh ergrauter Mann und das Publikum wie die Zeitungen wollten von dem Fall Lamanz nichts mehr wissen.

Und zur selben Stunde saßen mehrer« junge Advokaten, die der Verhandlung beigewohnt hatten, im Kaffeehaus, und einer sagte: »Ja, glauben Sie denn wirklich, daß die Frau mit den vier Herren gar nichts gehabt hat?« Der Konzipient des Anwalte, der Lamanz vertreten hatte, lächelte. »Ich bin zu dieser Annahme beruflich gezwungen«, erwiderte er.

*


 << zurück weiter >>