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Neunzehntes Kapitel.

Ich blicke hinter die Maske.

 

Wirklich schenkte Signor Bini uns seinen Besuch; wie er sagte: weil er uns so lange nicht gesehen hatte, weil er wahrscheinlich Mailand verlassen würde, und überhaupt, weil er nicht vor unserem Hause Vorbeigehen wollte, ohne hinaufzusteigen ...

Wie man sieht, fehlte es ihm nicht an einem »Warum«!

Mir, der ich ihn neugierig betrachtete, schien es, als hätte ich ihn niemals gelassener gesehen; sein schlaues Lächeln war verschwunden, das Funkeln seiner Augen erloschen.

Wir waren allein, niemand konnte uns ausspähen, und nun gerade versuchte auch ich Komödie zu spielen; ich setzte mich ihm gegenüber, hielt mich ebenso stramm, wie er, und nötigte ihn, mir die Worte eins nach dem anderen wie Goldstücke abzugewinnen. Bei diesem Spiel verlor der alte Herr früher als ich die Geduld, als er sah, daß es ihm nicht gelang, mich aus meiner Verschanzung ins offene Feld vertraulichen Geplauders, auf dem er sich stärker wußte, zu locken; als er sah, daß ich, wenn er schwieg, den Regeln des guten Konversationstons entgegen, ebenfalls stumm blieb, daß seine kurz gefaßten Fragen noch kürzer beantwortet wurden, da entschloß er sich endlich zu sagen: »Lieber Signor Ferdinando, ich habe ein gutes Auge, ich sehe, daß etwas Sie beunruhigt, das Sie mir verbergen; es ist doch nichts Schlimmes geschehen?«

»Durchaus nicht ...« sagte ich triumphierend, »im Gegenteil, lesen Sie.«

Und ohne jede Vorbereitung überreichte ich ihm die beiden Briefe.

Er nahm und las sie ganz wie sich's gehört, nachdem er zuerst die Aufschrift eines jeden angesehen; ich verwendete kein Auge von ihm, und er fuhr im Lesen fort, die Lippen leicht bewegend, sich zuweilen gegen das Licht wendend, wenn ihm eine Stelle nicht deutlich war ...

»Was sagen Sie dazu?«

»Sehr seltsam.«

»Ja, seltsam ist es.«

Gleich darauf legte sich Signor Bini aufs Fragen. »Ob ich geantwortet hatte? Ob nicht? Was ich zu thun gedächte? Wußte Valens? ...«

»Es ist eine delikate Sache,« bemerkte er darauf.

»Ja, sehr delikat.«

»Und gefährlich.«

» Das ganz und gar nicht; die wahre Freundschaft wird durch eine erbärmliche Frage des Vorteils nicht gefährdet.«

»Wenn aber der Ehrenpunkt hineinspielt ...«

»Wir lassen ihn nicht hinein ... es gab einen Augenblick, wo ...«

»Aha! es gab einen Augenblick, wo ...?«

»Nur einen einzigen; Valens und ich sind jetzt einverstanden.«

Und nun sagte ich ihm alles; zum erstenmal, seit ich diesen Mann kannte, sah ich ihn bewegt; er erhob sich, drückte mir die Hand und rief mir »Bravo!« zu.

Ich begleitete ihn auf den Flur hinaus und war schon im Begriff, die Thür zu schließen, da öffnete ich wieder, als hätte ich etwas zu sagen vergessen, und rief einfach: »Signor Pasquali!«

Der alte Herr, der schon einige Stufen hinab gestiegen war, wendete sich auf der Stelle um und starrte mich einen Augenblick mit offenem Munde an.

»Signor Pasquali,« wiederholte ich mit vollkommener Natürlichkeit.

Nun stieg der apokryphe Signor Bini wieder herauf, ergriff meine Hände, sah mir in die Augen und stimmte schließlich ein Gelächter an, das ich zu einem frohen Duett vervollständigte.

Als es uns nach vergeblichen Versuchen gelang, wieder ernsthaft zu werden, und zwar (wie's gewöhnlich geschieht) etwas ernster, als uns natürlich war, sagte ich: »Signor Pasquali, ich begreife, daß Sie uns bis zur Prozeßentscheidung täuschten; ich hätte es ebenso gemacht; ich erkläre mir auch die Beibehaltung des Geheimnisses bis nach dem Urteilsspruch, weil ein Mann der Ordnung, wie Sie, die hübsche kleine Komödie nicht ein paar Scenen vor der Lösung aufgeben konnte; aber bedenken Sie, daß Sie jetzt einen Eingeweihten haben und ihn nicht ungeduldig machen dürfen.«

So sprach ich scherzend.

»Weiß Valens?« fragte mich Signor Pasquali.

»Nichts weiß er.«

»Lassen Sie mir den Genuß der Katastrophe; sagen Sie ihm nichts ...«

»Bis wann?«

»Bis morgen abend.«

»Gut denn, bis morgen abend.«

Dann ging er vergnügt die Treppe hinunter, und ich vergnügt in meine Wohnung; aber fünf Minuten darauf suchte ich Valens auf. Ich hatte mir vorgenommen, ihm nichts zu sagen, und vielleicht gerade deshalb verlangte mich, ihn zu sehen, ihn sprechen zu hören, die Süßigkeit meines Geheimnisses wie ein Geiziger für mich zu genießen.

Es schien mir, daß Marco, der mich im Vorzimmer empfing, etwas weniger feierlich als gewöhnlich aussähe, was mich schon genügend mit Verwunderung erfüllte, aber man denke sich mein Erstaunen, als er mit einem leutseligen Ton, dessen ich ihn gar nicht für fähig gehalten hätte, mich zurückhielt, um mir zu sagen, daß er mir etwas zu sagen habe.

»Was denn?« fragte ich, indem ich mich zu meiner ganzen Länge aufrichtete und ihn innerlich »Marco« anredete.

»Vorgestern hat Signor Nebuli mir gekündigt ...«

»So?«

»Ja ... und da ich einen Herrn gefunden habe, der mich sogleich braucht, so wollte ich Sie ersuchen, ihn zu bitten, daß er mich heut schon gehen läßt; wissen Sie, ich würde so etwas nicht thun, wenn es sich nicht um meine Stellung handelte ... denn, sehen Sie, verlieren thut man ein gutes Haus schnell, wenn der Teufel sich hineinmischt, aber eins wiederzufinden, ist schwer ...«

Bei diesen letzten Worten hatte er seine wahrhaft exemplarische Würde wieder angenommen; dennoch antwortete ich ihm: »Ich werde Ihren Wunsch erwähnen, ›Marco‹, und kann Ihnen versprechen, daß Sie sogleich entlassen werden.«

»Ergebensten Dank.«

Ich trat ins Atelier ... und was sah ich? Ein angefangenes Gemälde auf der Staffelei, ein anderes gegen die Wand gelehnt, und Signora Chiarina, die sich ganz verlegen mit einem anmutigen Ausdruck der Besorgnis vor das letztere gestellt hatte.

Valens war nicht da.

»Wie geht es Ihnen?« fragte ich.

»Gut; und Ihnen? und Annetten?« stotterte errötend das liebliche Geschöpfchen.

Und ich neckend: »Was haben Sie denn? Was verstecken Sie vor mir? Lassen Sie mich dies Gemälde sehen ...«

Sie errötete wo möglich noch lebhafter; endlich, indem sie den Arm ausstreckte und mir, wie um Versöhnung bittend, ihr Händchen reichte, aber ohne von der Stelle zu weichen, sagte sie: »Sie werden nicht böse deswegen sein? ... werden mir verzeihen? Valens ist nicht schuld daran, ich versichere Sie ... es war ein Einfall von mir, ich weiß recht gut, daß es bei Ihnen nicht nötig war ...«

»Was denn? ... Wie denn? ... Warum? ...«

»Versprechen Sie mir zu lachen,« bat die schöne kleine Frau.

Ich lachte.

»Sie werden sich wirklich nicht gekränkt fühlen?«

»Aber worüber nur?«

Nun entfernte sie sich langsam mit etwas niedergeschlagenen Augen und ich erblickte ... errät es der Leser? ... mein erstes Gemälde, welches ich auf die Ausstellung geschickt hatte, und das wunderbarerweise schon nach acht Tagen verkauft war.

Die unbekannte Fremde war sie, war dies herzige Frauchen, das über ihren liebevollen Einfall Reue fühlte, wie über eine Schuld.

Ich gestehe, daß ich ein Körnchen Aerger empfand, nur ein Körnchen; dann nahm die Dankbarkeit mein ganzes Herz ein und ließ keinen Raum für die kleinliche Eitelkeit, und als ich mich imstande fühlte, der Signora Chiarina aufrichtig zu danken, da erst trat der Russe aus dem Nebel der Vergessenheit hervor, um mich zu trösten, und hinter ihm der unbekannte Käufer der beiden anderen Gemälde.

»Vergeben Sie mir?«

»Ich vergebe Ihnen,« antwortete ich, »wenn Sie mir nur nicht den Streich gespielt haben, auch die ›Fischerfamilie‹ zu kaufen ... Lassen Sie 'mal sehen, haben Sie nicht vielleicht auch einen Russen, so lang, so trocken und mager wie ich, beauftragt, das ›Netz‹ so schön zu finden und sich für achthundert Lire darin fangen zu lassen?«

»Nein, nein ... und am Ende,« sagte Chiarina, die allmählich ihre Fassung wiedergewann, »Ihr Gemälde gefiel mir gar zu sehr, wir waren reich ... wem schadet es? Wir wollten es Ihnen auch sagen, aber Sie schienen so glücklich darüber, daß eine Fremde Ihr Bild gekauft ...«

Es ist wahr, es hatte mich so glücklich gemacht, daß es schade gewesen wäre, mir die Freude zu verderben. Ich gab es gern zu; als Valens kam, küßte ich ihn aus herzlicher Dankbarkeit.

»Du mußt mir einen Gefallen thun,« sagte ich dann zu ihm, »du hast den guten Kerl, den Marco verabschiedet ...«

»Ja, auch den Koch, ich fange an, sparsam zu werden.«

»Nun, der arme Marco bittet mich, du möchtest ihn schon heut entlassen; er hat einen guten Herrn gefunden ... und ...«

»Er mag gehen,« sagte Valens vor sich hin lächelnd.

»Weshalb lachst du?«

Er antwortete mir nicht, aber sobald wir einen Augenblick allein waren, sah er sich um und sprach mit einem geheimnisvollen Lächeln: »Signor Bini hat wieder einen seiner Scherze vollführt.

»Ja?«

Er gab mir einen Brief, ich suchte nach der Unterschrift, und las: »Der Vater Chiarinas.«

Der Inhalt lautete:

 

»Ich stehe allein in der Welt, ich bin alt: der Himmel sendet mir eine Tochter, da ich es am wenigsten erwartete; Dank dem Himmel! Kommen Sie morgen um fünf Uhr nach Via Bigli, Nr. 19, ich habe gute Nachrichten für Sie; bringen Sie Ihre Gattin, Ihren Freund Ferdinando und die Signora Annetta mit; wir wollen Frieden schließen ... Ach, möchte meine Tochter mich nicht zurückweisen!

Mailand, 20. Dezember.«

 

»Nun wohl, das ist ohne Zweifel von ihm! Es ist übrigens eine Einladung zum Mittagessen.«

»Wieso will er aber Frieden schließen? Haben wir denn je Krieg mit ihm gehabt?«

»Das ist eine Metapher,« antwortete ich lachend. »Wirst du hingehen?«

»Das heißt: Werden wir hingehen? ... Ich denke, ja ... er hat gute Nachrichten für mich! ...«

Ich begriff, welche trügliche Hoffnung er sich machte, aber ich ließ sie ihm; was konnte es schaden?

»Sonderbar,« sagte ich, indem ich noch einen Blick in den Brief that, »mir ist, als hätte ich diese Schriftzüge schon sonst gesehen!«

»Dir auch? Weißt du, mir kam es vor ... doch Signor Bini hat mir ja nie geschrieben ...«

»Auch mir nicht ... aber diese › g‹ mit dem Hakenschwanz sind mir schon irgendwo vorgekommen, und diese gezirkelten › o‹ habe ich auch schon irgendwo angetroffen.«

Ich stand einen Augenblick in Gedanken. »Nein, nein, Signor Bini hat uns nie geschrieben ...«

... Mir blitzte eine Idee auf, und indem ich that, als suche ich etwas in meiner Brieftasche, warf ich einen Blick aus Signor Pasqualis Schreiben aus Lecco. Nicht die geringste Aehnlichkeit.

Zehnmal in wenigen Minuten war ich versucht, Signor Binis Geheimnis auszuplaudern; doch begnügte ich mich zu lächeln, damit Freund Nebuli fragen sollte: »Was hast du?« ... und ich ihm abwehrend antworten konnte: »Nichts ... nichts.«


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