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Siebzehntes Kapitel.

Die Venus scheidet.

 

Als ich am anderen Morgen, nach langem Schwanken, eben hinuntergehen und Valens besuchen wollte, war er es, welcher bei mir eintrat, die Stirn von einem Gedanken umwölkt, der ihn nicht eigentlich zu betrüben, aber zu belästigen schien.

»Weißt du das Neueste?« sagte er, und schien auf einen Augenblick seinen Quälgeist abzuschütteln, »ich bin zu Grunde gerichtet.«

»Ich weiß, daß du den Prozeß verloren hast ... heute nacht träumte mir, es sei nur ein schlechter Scherz von deinem Rechtsanwalt ... hingegen ... dennoch ...«

Ich wußte nicht, was ich redete, Valens fing an zu lachen.

»Ja, ich habe den Prozeß verloren, und es scheint, daß ich an Kapital, Zinsen und Kosten etwas mehr zu erstatten haben werde, als ich besitze, denn wie ich mir dachte, hatte mein Onkel einen Teil des Vermögens verbraucht, welches ihm nicht gehörte, und ich habe desgleichen gethan; heute morgen erschien mein Rechtsanwalt, um mir die Sache klar zu machen. Und weißt du, was dabei noch ein Glück für mich ist? (er sagt es, denn ich hätte es nie erraten) dies nämlich: daß wir die Erbschaft » qum beneficio inventarii« angetreten haben, sonst müßte ich noch von dem ›Meinigen‹ dazu geben ... und das würde mich einigermaßen in Verlegenheit setzen ... wie du wohl denken kannst. Nur eines ist schlimm, daß auch ich viel gebraucht habe, denn meine arme Venus ist schon im voraus aufgezehrt. Wann du Signor Bini siehst, so habe die Güte und sage ihm, das Bild stehe zu seiner Verfügung, wenn er es noch will ... einstweilen werde ich es morgen abholen lassen ...«

»Weshalb?«

»Um es zu kopieren, das sage ihm aber nicht.«

»Er ist imstande, es zu erraten.«

Valens zuckte die Achseln, er drückte mir die Hände, lächelte heiter, und es fehlte nicht viel daran, daß er gesagt hätte: »Wie bin ich glücklich!«

»Du bist heute in vortrefflicher Stimmung ...« bemerkte ich.

»Ja, recht sehr. Ich habe eine günstige Nachricht erhalten.«

»Welche?«

Er umging es damals, sie mir mitzuteilen, später erfuhr ich sie durch meine Frau: Die Polizei war dem Signor Salvioni auf der Spur – als verstorben; sie hatte ihn bis zur Einschiffung von Neapel nach Kairo begleitet, wo zu jener Zeit die Cholera wütete ...

Hier würde ich, wie Freund Nebuli, einen langen Gedankenstrich gesetzt haben; aber meine Frau fügte unbedenklich hinzu: »Wenn die Cholera weiß, was sie zu thun hat, so ist der erste, welchen sie holt, euer Salvioni!«

Zu Valens sprach ich: »Und was gedenkst du zu thun, nun du ... nun du nicht mehr ... nun du ... wieder ›so‹ bist?«

»Ich habe schon etwas gethan,« antwortete er, »ich habe wohl zehn Luftschlösser gebaut; zunächst trage ich auf Kassation an, um Zeit zu gewinnen; dann gehe ich aufs Land, um ruhig zu leben und zu arbeiten. Ich werde mir aus den Wolken alle Bilder herabholen, die ich von Sternen umrahmt erschaut habe; ich werde mehrere Kilometer Leinwand mit Farben bedecken, und in wenigen Jahren durch meiner Hände Werk reich geworden sein.«

»Und zu dem allen fühlst du dich fähig?«

»Wozu fühlte ich mich nicht fähig, nun die Zukunft mir wieder gehört? Mit diesen Sachwaltern zur Seite, mit diesen Gerichtsboten auf den Fersen, war mir, als hätte ich meinen Anteil an der Zukunft mit ›Hypothekenschulden‹ belastet. Jetzt bin ich arm, aber ich bin frei, und wenn Chiarina mir bleibt! ...«

So sprach dieser Leichtsinnige, dieser Nachtwandler, dieser Phantast; ich sah ihn verblüfft an, im Grunde froh darüber, daß er die Sache so auffaßte; aber es berührte mich peinlich, einen so geistvollen Kopf ohne jede kritische Einsicht zu finden. Ich legte es der Natur zur Last, welche die Menschen vortrefflich anlegt, aber sie nie zu verwenden weiß; dem armen Valens dagegen gab ich recht, da ich ihm nichts Besseres zu geben hatte.

Ich höre jemand fragen, ob mir nicht der Argwohn aufgestiegen, daß Valens, nicht ich, der wahre Philosoph sei; dieser Gedanke kam mir wohl, aber er hielt vor der Ueberlegung nicht stand; denn es war mir klar, daß Valens, wenn er auch als Philosoph handelte, sich dessen nicht bewußt war und weder Ordnung in sein Thun, noch System in sein Raisonnement brachte. Ich sage nicht, daß die Philosophie (wie einige behaupten) ausschließlich System sein soll; solche tiefe Philosophen am Morgen, die beim Mittagessen über ein zu scharf gebratenes Beefsteak und gar abends über ein paar in der Tombola verlorene Groschen unglücklich werden, die und deren Wert kenne ich auch; aber wenn ich verständig genug bin, diese meinem Freund Rebuli nicht als Muster aufzustellen (er würde auch nicht darauf hören), so gebe ich doch nimmer zu, daß Philosoph sein und leichtsinnig in den Tag hineinleben dasselbe ist.

Uebrigens hatte ja Valens im Grunde wirklich einige Tröstungen, auch abgesehen von dem ganz stoischen Gedanken, daß noch so tiefe Betrübnis ihm nichts geholfen hätte; er besaß seinen Pinsel, seinen Ruhm, sein Weibchen nun beinahe ganz, und seine volle Zukunft; für die Bedürfnisse des Augenblickes mußte der »Schaum des Meeres« aushelfen und der Advokat durch die Kassation, die Rechnungen, die Gegengründe und durch Gott weiß was noch.

Und bei alledem, als Signor Bini sich drei Tage hindurch nicht hatte sehen lassen und wir zu fürchten anfingen, daß der berühmte »Schaum«, nachdem er die amerikanischen Dollars verschmäht, sich mit einem geringeren Sümmchen italienischer Lire werde begnügen müssen, da schien es mir (doch bin ich dessen nicht ganz sicher), daß Valens ein wenig von seinem Gleichmut eingebüßt habe. Doch zeigte er sich unbekümmert, ließ sein Gemälde von der Ausstellung holen und schickte sich an, es zu kopieren.

Seit vierundzwanzig Stunden war der »Schaum des Meeres« wieder in seinem väterlichen Atelier, als Signor Bini zu mir kam.

»Was ist aus dem ›Schaum‹ geworden?« fragte er.

»Valens hat ihn abholen lassen,« antwortete ich lächelnd.

»Das weiß ich ...«

»Ich glaube es wohl!«

»Das weiß ich, aber was will er damit?«

»Es verkaufen.«

»Ist ein Käufer da?«

»Fragen Sie ihn.«

»Kommen Sie mit zu ihm.«

Wir gingen hinab; der Freund stand eben vor einer Leinwand, deren Größe dem Bilde entsprach, und führte die ersten Linien der Zeichnung aus.

»Ein vortrefflicher Einfall!« sagte Signor Bini. »Sie wollen ein Dutzend Venusbilder malen, um eins nach Amerika, eins nach Rußland, eins nach Deutschland zu schicken u. s. w. Die Käufer werden nicht fehlen, aber wird der damit zufrieden sein, welcher das Original erstanden hat?«

»Es hat es noch niemand erstanden,« erwiderte Nebuli mit Würde,

Ich nahm mich zusammen und warf ein: »Freund Nebuli hat Ihnen nicht vorgreifen wollen,«

»Nun ja,« sagte der Schlaukopf mit seinem Phlegma, »es ist wahr, ich wollte das Bild kaufen, die ›Venus‹ gefiel mir ... eine prächtige ›Venus‹ ... sie gefällt mir auch noch ... gut denn, ich kaufe sie; aber hören Sie, dann ist es unnütze Mühe, sie zu kopieren; ich möchte sie lieber etwas teurer bezahlen und wissen, daß es keine zweite solche ›Venus‹ wie die meinige auf der Welt gibt ... Ein Künstler wie Sie, Signor Valens, wird seine Zeit besser ausfüllen, indem er ein neues Wunder schafft, und mein Geld wird auch besser verwendet sein ... Und wieviel verlangen Sie für den ›Schaum des Meeres‹?«

Ich beeilte mich zu fragen: »Wieviel hatte dir der Amerikaner geboten?«

»Zwanzigtausend Lire,« stotterte Valens heraus.

»Also?« wendete ich mich wieder zu Signor Bini,

Mich dünkte, mein Ton, mein Ausdruck mußten ihm, von seinem Gedächtnis unterstützt, deutlich genug sagen: »Also, berechnen Sie; Sie haben das Doppelte geboten; ... aber der Vergeßliche war blind und taub zugleich; er sah nicht, hörte nicht, erinnerte sich nicht; »wir sind also handelseinig,« sagte er, »für zwanzigtausend Lire ist das Bild mein; packen Sie es in seine Kiste; ich werde es noch heute abholen lassen,«

Drei Stunden darauf kam Signor Bini mit zwei Männern, welche die »Venus« auf ihre Schultern nahmen.

Wir waren ans Fenster getreten und sahen sie zum Abschied vorbeitragen ... Wohin wanderte sie? Der Alte hatte es uns nicht gesagt; und ich sprach leise: »Glück auf den Weg!«

Als Valens die drei Männer, da sie um die Ecke gebogen waren, nicht mehr sehen konnte, schloß er das Fenster und betrachtete das Päckchen Banknoten, welches der alte Herr ihm eingehändigt hatte.

Er sprach kein Wort und ging in sein Atelier. Ich winkte Signora Chiarina und Annetta mit den Augen; sie verstanden mich; wir ließen ihn allein.


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