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Zweites Kapitel.

Freund Valens.

 

Acht Tage später mußte man unsere Wohnung sehen, als meine Frau ihre Möbel hineingeschafft und ich die Einrichtung besorgt hatte! Da es viel leichter ist, sich selbst ein Bild davon zu machen, indem man sich ein sehr hübsches, sauberes, heiteres und sehr symmetrisches Ganzes vorstellt, als es zu schildern, so schildere ich es nicht.

Ich sagte, daß die Möbel meiner Frau gehörten: ich will offenherzig sein und noch mehr sagen: auch die Bett- und Tischwäsche und die wenigen Wertpapiere, die uns zu der Würde von Staatsgläubigern erhoben, gehörten meiner Frau: ich besaß nichts auf der Welt als zwei Staffeleien, zwölf Pinsel, acht Paletten, einige unverkaufte Genrebilder, wenig bares Geld in einer Kassette und große Sparsamkeit. Man glaube aber deshalb nicht, daß, als wir uns heirateten, meine Annetta eine »schlechte Partie« und ich ein »gutes Geschäft« zu machen meinte; wir gefielen einander, wir waren uns gut, und wäre es unseren Möbeln jemals gelungen, Uneinigkeit zwischen uns zu erregen, ich hätte sie – und nicht etwa bildlich – zu Brennholz für den häuslichen Herd zerschlagen, und meine Frau hätte mit Hand angelegt. Es waren Nußholzmöbel, glänzend aber würdevoll, fest auf ihren Füßen, gut im Gleichgewicht; nicht sehr mobile Möbel, die man gern stehen ließ, wo sie einmal standen. Alle Schiebladen ließen sich auf und zu schieben, ohne daß man sie zu zerren brauchte, ohne daß der Gatte sie dahin wünschte, wo der Pfeffer wächst, was seine Gefahr hat, wenn die Sachen der Frau gehören – dies sei zum Besten des Nächsten gesagt.

Wirklich, unsere Wohnung war es wert, daß man sie sich ansah – und deshalb kam eines Tages Freund Nebuli als Neugieriger zu uns herauf.

Versuche zu erraten, lieber Leser, was er sagte, als er die Nase überall hineingesteckt hatte, oder vielmehr, versuche es nicht, denn du errätst es doch nicht.

»Wie beneide ich dich!« sprach er. Ich sah ihn forschend an, weil ich mich erinnerte, daß mein Freund mit einer Miene zu sprechen pflegte, welche es zweifelhaft ließ, ob er im Ernst oder Scherz rede. Es war ihm ernst, ich kann es versichern, erstens, weil er jetzt nicht jenen Ausdruck hatte, und dann weil es ein schlechter Scherz gewesen wäre, und Valens auch spaßend immer darauf bedacht war, die Freunde nicht im leisesten zu kränken.

Ich lachte zunächst, um meiner Sache gewiß zu werden. Er lachte nicht. Ich wußte nicht, was ich mir Seltsames denken sollte, als ich mich plötzlich einer seiner Grillen erinnerte (wie hatte ich nur nicht früher daran gedacht?) und nun lachte ich aus vollem Herzen.

»Ja, du Aermster,« rief ich aus, »du bist wirklich zu beklagen, du, dazu geboren, geschaffen, der glücklichste Entbehrende unter den Sternen zu sein – du Besitzer eines prachtvollen Hauses, du reich, du von Lakaien bedient, du ... Ach, das Schicksal hat gar keine Einsicht.«

Er versuchte in meine Heiterkeit einzustimmen, um selbst den richtigeren Ton zu finden, dann erwiderte er halb ernst halb scherzend: »Um so besser, wenn du mich verstehst. Wenn ich auch nicht ganz das Opfer meiner neuen Reichtümer bin, so versichere ich dich doch, daß sie mir viel von meinem einstigen so viel köstlicheren Reichtum geraubt haben; die Sorglosigkeit, das Spielen der Phantasie, die unverhofften Freuden, welche ein Nichts uns gibt, das alles geht verloren, wenn man eine Erbschaft macht. Versuche es, und du wirst's sehen.«

Ich seufzte, aber eigentlich nur, um es ihm nachzuthun; denn wenn etwas in mir dem Freunde recht gab, so war es die Abwesenheit des lebhaften Wunsches nach einer Erbschaft.

Valens hatte den Faden seiner Rede wieder aufgenommen. – »Dies Zimmerchen (wir waren in unserem Salon) könnte ja meinen Saal beneiden, aber wenn es verständig ist, so thut es das nicht; kann es doch hoffen, einst noch ein wenig schöner zu werden, erstens die Tapete zu bekommen, welche ihm fehlt, dann neu gefirnißte Thüren, eine besser gemalte Decke, eingelegten Fußboden, und sogar ein hübscheres Büffett, von Eichenholz oder Palisander – sieh, welche liebliche Träume dies kleine Zimmer haben kann und welche reinste Freuden die Zukunft ihm bereitet.«

Er sagte »das Zimmer«, aber er sah mich an, sprach von mir, und ich las in seinem leisen Lächeln, daß er der Bereiter dieser reinsten Freuden sein wollte, wogegen ich innerlich Verwahrung einlegte.

»Mein endloser, vergoldeter, prachtvoller Saal dagegen hat keinen Wunsch, kein Bedürfnis, erwartet keine Freude mehr; du steckst dem Stübchen frisch gewaschene Gardinen an, du siehst es heiter, befriedigt; ich treibe in Ermangelung eines Besseren hundert kostbare Nichtigkeiten auf, die mich doch eigentlich nichts kosten, die, einmal hineingestellt, sich darin verlieren, die ihn kalt, stolz, gleichgültig und langweilig lassen.«

Er wurde erregt bei diesen Worten: der Saal war er!

»Also bist du nicht glücklich?«

»Ja, ich bin glücklich, aber einst war ich es noch mehr. Ich will dir sagen, wie es mit mir steht: Sieh, der neue Besitz ist nicht allein das Aufhören der Armut, sondern auch das Absterben der schönsten Freuden, der heißesten Wünsche, der kühnsten Hoffnungen, der einfachsten Neigungen, der schwungvollsten Träumereien.«

Jetzt verlor er sich ins Lyrische, ich mußte ihn festhalten.

»Weil es dir an einer Regel fehlt,« sagte ich, »weil du keine Methode hast, weil nach deiner Anschauung Muße und Müßiggang gleichbedeutend sind, weil du im Reichtum nur den kalten, eintönigen, keinen lebhafteren Herzschlag weckenden Besitz siehst, während die Verwendung das Mannigfaltige, Belebende ist, die gar wohl ›die einfachen Neigungen kennt‹, der ›Freude‹ nicht ins Auge sieht und der ›Hoffnung‹ nicht den Rücken kehrt. Wäre ich an deiner Stelle, ich fände so viel, so viel zu thun, daß mir nicht ein Augenblick Zeit zu ›schwunghaften Träumereien‹ bliebe.«

»Ach!« sagte er kopfschüttelnd, »der einzige, wahre, reinste Genuß des Lebens ist ja das Traumbild; die Einbildungskraft gibt die Glückseligkeit; beklagt mir nicht die im Hospital gestorbenen Dichter, denn ihnen war das Leben ein Zaubergarten, das Hospital ein Königspalast. Als ich in der Malerakademie studierte und ihr mich den ›Mann des Morgen‹ getauft hattet, weil ich nur Luftschlösser baute, ja, da war ich zufrieden!«

»Aufrichtig, möchtest du in jene Zeit, in jenen Zustand zurückkehren?«

»Aufrichtig, nein.«

»Da siehst du's!«

»Da siehst du, daß du mich nicht verstehst!« rief er triumphierend aus.

In dem Augenblick trat meine Frau ein, die zurückgeblieben war und sich ein wenig schön gemacht hatte, dem Besuch zu Ehren. Freund Valens verbeugte sich, drückte ihr die Hand, fragte nach ihrem Befinden, mit einer zwanglosen Höflichkeit, deren ich ihn ehemals nicht fähig gehalten hätte. Und ich weiß nicht, wie jene Wandlung wieder über mich kam; der Freund schien mir zu wachsen, zu wachsen, und während ich ihn bis dahin hatte auf einem Stuhl sitzen lassen, rückte ich ihm jetzt, als er sich wieder niederlassen wollte, einen Fauteuil hin.

Valens war sehr freundlich gegen meine Annetta, lobte ihren guten Geschmack, ihre Verteilung der Möbel, und die arme Kleine nahm so wenig von diesem Ruhm für sich in Anspruch, beteuerte so lebhaft, fast gar kein Verdienst dabei zu haben, daß ich zweimal Einspruch thun mußte, damit sie mir nicht einen größeren Teil zuschrieb, als gerecht und verständig war.

Auf dem Flur drückte der Freund mir kräftig beide Hände und sagte: »Du hast einen wahren Schatz an deiner Frau!«

»Und deine!«

Er antwortete mir nicht, stand einen Augenblick in Gedanken und sagte dann: »Nein, ich möchte nicht an deiner Stelle sein, und dennoch beneide ich dich: mache den Versuch reich zu werden, und du wirst mich verstehen.«

»Wenn du dich nicht deutlicher aussprichst – jene Gelegenheit, dich zu verstehen, wird, befürchte ich, niemals kommen.«

Und nun sagte er mit scherzhaftem Ernst: »Das erste, was der Reichtum dir raubt, ist die Kraft des Wollens; du verfügst über viel Geld, aber nicht mehr über dich selbst; in dir steckt ein Widersacher, der schläft solange du ... (er wollte sagen ›arm bist‹) solange du ... ›so‹ bist; der meinige ist erwacht. Deshalb möchte ich wohl gern der Valens von ehemals sein, aber er will nicht – schlafen gehen.«

Er lachte, ich lachte; wir schüttelten uns die Hände; er stieg die Treppen hinab, und ich warf mich, froh wie ein König, in die Arme Annettas, die hinter der Thür stand und mich erwartete.


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