Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dreizehntes Kapitel.

Meine Frau begeht einen argen Streich.

 

Am folgenden Abend saßen wir um das Kaminfeuer her, Valens, unsere Frauen und ich; aber seit einer Viertelstunde schienen wir durch eine granitene Mauer voneinander getrennt zu sein. Ab und zu feuerte ich einen Kanonenschuß ab, um sie zu zertrümmern, ohne mehr als ein paar Splitter davon abzulösen: ein paar einsilbige Worte; entmutigt gab ich endlich den Versuch auf und überließ mich ebenfalls dem eigenen Gedankengange, der sich ganz auf Signora Chiarina und Valens richtete.

Plötzlich trat der imponierende Diener ein, brachte die Abendzeitungen und einen Brief für mich.

»Der Portier,« sagte dieser feierliche Mensch zu mir, »wollte denselben zu Ihnen hinauftragen; da ich wußte, daß Sie hier sind, gab er ihn mir.«

Wenn dieser großmächtige Bediente zu mir sprach, während ich saß, so mußte ich mir Gewalt anthun, um nicht »bitte, nehmen Sie Platz« zu sagen, und ich bewunderte Annetta, die vom ersten Tage an imstande gewesen war, ihn mit seinem Taufnamen Marco anzureden. Der Leser glaube nicht, daß ich ihn » Herr Marco« genannt habe, ich nannte ihn auch Marco, nur that ich's eben niemals.

»Danke,« sagte ich und nahm den Brief.

Meine Annetta und ihre Chiarina teilten sich in die Zeitungen; Valens sah nicht vom Kaminfeuer auf, während ich neugierig den Brief überflog, der »dringlich« überschrieben war, und von meinem Gesichtspunkt aus nichts Dringliches enthielt.

Ich war bis zur Unterschrift des Schwindelkopfs Celestino gekommen (wer ihn nicht kennt, verliert nichts daran), der mich um ein Darlehen von hundert Lire auf neun Tage, keinen mehr und keinen weniger, bat – als ich etwas wie ein unterdrücktes Aechzen hörte und aufblickend die Signora Chiarina, noch weißer als gewöhnlich, gegen die Lehne des Sessels zurücksinken sah, während meine Frau, der die Zeitung entfiel, zu ihr eilte und Valens erschreckt das von der Wärme gerötete Gesicht erhob. Auch ich sprang auf und ahnte sogleich die Wahrheit.

»Was ist dir, Chiarina?« fragte Freund Nebuli mit vor Angst heiserer Stimme.

»Nichts ... nichts,« antwortete sie, »ein leichter Schwindel, mir war, als sähe ich ... da ... in der Zeitung ... ich habe gewiß falsch gelesen ...«

Valens nahm mit zitternder Hand den »Pungolo«, suchte mit den Augen und fand, was ich im »Secolo« suchte und fand.

»Der Maler Giuseppe Salvioni, wo immer er sich aufhalten mag, wird hiermit benachrichtigt, daß Giorgione tot ist und daß Chiar... Nachrichten von ihm erwartet, ohne irgend welche Ansprüche an ihn zu machen. Wer imstande sein sollte, genaue Auskunft über den genannten Giuseppe Salvioni (Maler, zweiunddreißig Jahre alt, blond, mit einer Narbe auf der Stirn) zu geben, und dieselben postlagernd an Signor B. Nebuli in Mailand richtet, erhält eine der Wichtigkeit der Nachricht entsprechende Belohnung.«

Es war meine Komposition vom Abend zuvor, wie sie aus hundertfachem Verbessern hervorgegangen, die zum erstenmal in den Abendblättern erschien.

Valens strich mit liebkosender Hand durch das Haar Chiarinas, die an Annettes Brust gesunken war; und ich, der ich nicht wußte, was thun oder sagen, las wieder von vorn: »Der Maler Giuseppe Salvioni ...« als der feierliche Diener erschien, Signor Bini meldete, und Chiarina sich schnell mit Annetta entfernte; Valens ging ihnen nach, ich blieb allein zurück.

Es wurde mir schwer, einen Schein von Unbefangenheit anzunehmen; der alte Schlaukopf fühlte, daß etwas in der Luft sei; er blickte umher und bemerkte wohl die Unordnung der Stühle.

»Bitte, setzen Sie sich,« sprach ich zu ihm, »Valens wird gleich kommen, ich warte auch auf ihn.«

»Mit Ihrer Erlaubnis ... ah, der Sessel ist noch warm, wer hat darauf gesessen?«

Und, da ich nicht antwortete, nahm er den anderen und machte auf eigene Hand die Bemerkung, daß er ebenfalls noch warm sei.

»Laß es doch einmal gut sein, Quälgeist,« schalt ich innerlich, und endlich that er mir den Gefallen, ließ sich ohne weitere Bemerkung nieder, nahm den »Pungolo« auf und begann zu lesen als wäre er zu Hause. Plötzlich sagte er: »Sieh da! es gibt noch einen Nebuli in Mailand ... und er hat auch den Anfangsbuchstaben unseres Valens ... haben Sie gesehen, Signor Ferdinands? ... Der Maler Giuseppe Salvioni ...«

Da ich that, als sei ich ins Lesen vertieft, murmelte er das übrige vor sich hin und sagte nichts weiter, bis Valens zurückkehrte.

Wie ich es über mich gewann, zu sprechen, um dem Freund zu Hilfe zu kommen, weiß ich nicht; genug, daß ich's that und die erste beste Phrase sagte, welche mir einfiel.

»Wie ist das Wetter, Signor Bini?«

»Ich habe gar nicht darauf geachtet.«

»Es sah heut nach Regen aus ... jedenfalls möchte ich wetten, daß es morgen regnet.«

»Meinen Sie? Es wird nicht regnen, es ist gar keine Aussicht dazu.«

Mir wollte scheinen, daß es schon geregnet habe, wenigstens auf meine und seine Worte, weil es nicht möglich war, auch nur die gewöhnlichen Funken von Rede und Gegenrede daran zu entzünden. Endlich trat Annetta ein.

»Sie hier?« sagte Signor Bini und erhob sich, um sie zu begrüßen. »Und Signora Chiarina?«

»Sie ist auf ihrem Zimmer, ein wenig unwohl ... es hat nichts zu bedeuten ... was für Wetter bringen Sie uns?«

»Herrliches.« Als der alte Herr eine Viertelstunde später aufbrach, hätte ich ihn küssen können.

»Morgen komme ich zu Ihnen,« sagte er mir.

»Den ganzen Tag zu Ihrem Befehl,« antwortete ich. Und kaum war ich aus der Thür, so fragte ich Valens besorgt: »Wie geht es ihr?«

»Wieder ganz gut: es hatte sie eine Furcht überfallen, die ärger als die Wirklichkeit war; jetzt weiß sie alles und ist ruhig, wie ich.«

»Du bist nicht ruhig,« dachte ich.

Annetta war indessen ins Nebenzimmer geeilt und kam, die Freundin führend, zurück, die mit den bleichen Lippen traurig lächelte, als wollte sie für ihre vorige Schwäche um Vergebung bitten, und mir die Hand reichte.

»Also Sie wissen alles?« sagte sie zu mir; »Valens hat es mit Ihnen gemacht, wie ich mit Annetta; nun, desto besser, wir werden so stärker sein, nicht wahr?«

»Ganz gewiß,« erwiderte ich mit dem mißlungenen Versuch eines Lächelns; »gewiß, und Sie werden sehen, daß der Himmel alles gut machen wird.«

Mir schien, daß ich den richtigen Weg eingeschlagen hatte, um ein paar kühne Worte anzubringen ... aber Signora Chiarina ließ mich nicht vollenden.

»Und wenn es nicht wäre? ...« Sie schwieg einen Augenblick, wie vor ihrem Gedanken erschreckend, dann setzte sie kopfschüttelnd hinzu: »Wir sind hier unserer vier, welche eines unglücklichen Menschen Tod wünschen, das ist grausam. Annetta und Sie tragen die Schuld nicht mit, Sie thun es aus Liebe zu uns, aber ich bin schlecht, ich habe ein hartes Herz ... bin selbstsüchtig ...«

Sie versuchte zu lächeln, aber ich sah, daß ihr das Weinen nahe war, und sagte zu ihr: »Weinen Sie, weinen Sie nur; freilich, wenn man so hartherzig ist wie Sie, müßte man eigentlich keine Thränendrüsen haben ... aber wenn sie nun einmal da sind, so bedienen Sie sich ihrer; weine du auch, Valens, auch Annetta wird weinen, auch ich ... es sieht uns ja niemand ...«

Das liebe Frauchen weinte und lachte zugleich.

Als ich tags darauf ausgehen wollte, sagte Annetta: »Wenn nun Signor Bini kommt?«

»Wenn er kommt, so findet er mich nicht; du wirst ihn empfangen. Der Alte wird mir nachgerade unbequem mit seinem Geheimnis; wenn man den Leuten unter einem angenommenen Namen ins Haus kommt, so hat man keine ehrenhaften Absichten ... Ich weiß selbst nicht welche, aber ich mag nicht offen vor jemand dastehen, der sich versteckt ... wenn ich bliebe und er jetzt käme, so wäre ich versucht, ihn zu fragen, was er in meinem Hause will, welche Absichten er hat und wie er heißt.«

»Da ist er!« sagte Annetta. In der That war es seine Art zu klingeln; ich legte den Finger auf den Mund und ging in das Eßzimmer während ihm geöffnet wurde; aus dem Eßzimmer ins Atelier, während Signor Bini ins Entree trat; aus dem Atelier ins Entree während er ins Eßzimmer ging; und aus dem Entree ganz leise die Treppe hinab, wohl genau in dem Augenblick, wo der alte Herr seine gerade und feine Nase ins Atelier steckte, um nach seiner Gewohnheit zu sehen, ob ich dort wäre.

Ich kehrte erst nach zwei Stunden zurück, als ich den apokryphen Signor Bini sicher in seinem Café, an seinem Tische wußte, um sein tägliches Beefsteak, sein Brötchen und sein Glas Chianti zu genießen.

Annetta kam mir bis auf den Flur entgegen; ihre Augen glänzten, ihre Wangen glühten; eilig erwiderte sie meinen Kuß und sagte: »Weißt du? Ich habe einen Streich verübt!«

»Nur einen! Nach deiner Miene zu urteilen, möchte ich wenigstens ein paar vermuten. Jedenfalls war es ein toller Streich?«

Ich sagte das scherzend, in der Meinung, sie habe einen überaus vorteilhaften Kauf für einige Groschen gemacht, oder ein Almosen gegeben, um mich dem Paradiese näher zu rücken, ohne meine Erlaubnis, wie denn dergleichen glänzende Geschäfte häufig vorkommen.

»Ja, es ist ein toller Streich!« antwortete sie, »aber ich freue mich, daß ich ihn ausgeführt habe, du mußt wissen, daß Signor Bini, sobald er eingetreten war und sah, daß du nicht zu Haus warst, ›desto besser‹ sagte.«

»Der alte Bösewicht!«

»Und er hat mich ohne Umschweif gefragt, ob ich wisse, wer der Signor Salvioni ist? Rate, was ich geantwortet habe? ...«

»Daß er so gut sein möge, es dir zu sagen, wenn er es wisse ...«

»Nicht so, sondern ich habe ihm alles gesagt; ich habe ihn eine halbe Stunde mit großen Augen und offenem Munde da vor mir sitzen lassen, während ich ein Füllhorn von Artigkeiten (wie du dir wohl denken kannst) über den gewissenlosen Vater ausschüttete, der zwei so gute Menschen leiden läßt ... ›Denn schließlich,‹ habe ich gesagt, ›wenn Signor Salvioni sich findet, und ein Schurke ist, und ihm die Laune kommt, seine Frau zu fordern, so gibt das Gesetz sie ihm, das eigens für Schurken gemacht scheint; während ein Vater ... sollte ich meinen ... könnte ... ‹ So hab' ich zu ihm gesprochen ... Habe ich unrecht daran gethan? ... Sage nicht, daß ich etwas Dummes gemacht habe, ich weiß, daß es gut war ... Sagtest du mir nicht, dein Gesetzbuch nötige die Väter, welche unbekannt bleiben wollen, nicht, sich zu erkennen zu geben? Ich wollte versuchen, ob ich es besser als das Gesetz machen könne.«

»Und er?«

»Er blieb unbewegt ... ach! o! weiter nichts. Dann habe ich zu ihm gesagt, jener Herzog oder Marquis müsse wohl an der Stelle des Herzens eines seiner adeligen Wappen haben ... und daß ich ihn wohl kennen möchte, und dabei sah ich ihm ... so ... ins Gesicht.«

»Und er?«

»O! Ach! ... nichts weiter; aber plötzlich schlug er sich vor die Stirn (der Schauspieler! wie gut er seine Rolle durchführt!) und sagte: ›Man muß den Vater auffinden ... das ist das erste, man muß ihn durchaus zu finden suchen.‹«

»›Geben Sie das auch zu? Und raten Sie einmal, was wir geargwohnt haben, als wir Sie sahen?‹ (Wahrhaftig, so habe ich gesagt) »Daß ich der Vater sei?« fragte er lachend.

»›Freilich, daß Sie es seien!‹ Und er: ›Eine gute Idee, liebe Signora, eine gute Idee, ich bin es!‹ Er ließ mich die ganze Erzählung wiederholen, merkte einiges in seinem Notizbuch an und ging, ohne auf dich zu warten ...«

Ich stand einen Augenblick in Gedanken.

»Habe ich recht oder unrecht gethan?« fragte Annetta, ungeduldig über mein Schweigen.

»Ich weiß nicht ... das heißt ja, du hast gut gethan; aber was schließest du aus dem allen? Wer scheint dir Signor Bini zu sein?«

»Vor allem ist er nicht Signor Bini, und Chiarinas Vater scheint er mir auch nicht zu sein.«

»Das wollte ich meinen!«

»Ach!« seufzte ich kopfschüttelnd nach einigem Nachdenken.

»Wäre er nur wenigstens tot,« antwortete mir Annetta, welche in meinen Gedanken las.

»Jawohl, wäre er nur wenigstens tot! Und glaube nicht, daß wir damit unserem Nächsten etwas Böses wünschen, denn sieh, man muß die Zahl der Toten für jeden Augenblick als eine unerbittlich feststehende betrachten, die zwar nicht mir, aber der Statistik sehr wohl bekannt ist. Befindet sich nun unter diesen Toten nicht einer, der Salvioni heißt, so ist ein anderer darunter, der uns nichts gethan hat und vielleicht sehr gut daran thäte, zu leben ... Folglich ...«

Meine Frau sah mich betroffen an; diese Wirkung hatte ich erwartet, denn jener Gedanke, welchen mein Gewissen, ich weiß nicht wo, aufgefischt hatte, war mir selbst noch nicht recht eingänglich.

»Folglich ...« fuhr ich fort, »wünschen wir niemand den Tod, wir bereichern die Statistik der Leichname nicht ... Wir wünschen nur ... kurz, du hast mich verstanden. Bist du überzeugt?«

»Ob ich überzeugt bin! Für mich ist Signor Salvioni ein Schuft, der tot sein sollte; ist er es noch nicht, so thäte er gut, wenn er bald stürbe, denn wir haben keine Zeit zu verlieren; und ich wünsche es ihm von ganzem Herzen.«


 << zurück weiter >>