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Viertes Kapitel.

Corvi contra Corvi.

 

Er war gewichtig. Soviel ich davon begriff, als Valens mir die Sache auseinandersetzte, handelte es sich um ein »angefochtenes« Testament. Wie ein Testament »angefochten« wird, weiß der Leser vielleicht nicht besser als ich, und möge der Himmel ihn nie in die Lage versetzen, einen Advokaten danach fragen zu müssen; im Wörterbuch nachzuschlagen wäre vergeblich.

Dasjenige, welches ich befragte, um mir eine klarere Anschauung von der Sache zu verschaffen, welche mich jetzt zum erstenmal interessierte, belehrte mich, wie man gegen Speer und Lanze und ich weiß nicht wieviel andere Dinge zu fechten hat (was ich selbst ganz gut zu wissen glaubte) – aber von Testamenten war nicht mit einem Sterbenswort die Rede. Es handelte sich also um ein »angefochtenes Testament« – in Sachen Corvi contra Corvi, denn obschon die beiden Corvi, Klägerin und Verklagte, im Grabe lagen, so nahmen die Gerichte doch an, daß sie nicht zum Frieden gelangen könnten, wenn nicht in ihrem Namen weiter prozessiert würde.

Jetzt war Pasquali derjenige, welcher das Testament anfocht; der, welcher es verteidigte, war Nebuli, und zwar nicht Valens, sondern dessen »Vorgänger« (so ist die technische Bezeichnung), nämlich der mütterliche Onkel, von dem mein Freund den Besitz und den Prozeß geerbt hatte.

Der Onkel Nebuli und der Onkel Pasquali waren stets liebe und gute Freunde gewesen, und um die lebenslängliche Fortdauer ihrer Freundschaft zu sichern, waren sie darauf aus, sich in zwei Schwestern zu verlieben und sie zu heiraten. Der Zufall dieser große Vermittler der Heiraten – ließ sie zwei ledige Schwestern Corvi finden, und das doppelte Ehebündnis wurde geschlossen; die jungen Frauen brachten ihren Gatten als einzige Mitgabe einen goldenen Berg von Hoffnungen auf einen Großvater mit, einen halben Millionär und schon halb dem Tode verfallen, indem er auf der linken Seite gelähmt war. Wird es der Leser glauben? Durch die Verwandtschaft waren die Freunde wie umgewandelt; sie schoben die Schuld davon auf die Schwägerinnen, die, wie es scheint, das Recht mißbrauchten, welches die Natur und die menschliche Gesellschaft jeder guten Schwester geben, ihre Nase in das Haus des Schwagers zu stecken und darin eine Menge unwichtiger Dinge aufzuspüren, welche so waren, während sie anders sein sollten.

Die Schwägerinnen waren beide ausgezeichnet praktisch; aber von zwei ausgezeichnet praktischen Frauen hat die eine stets etwas Extraraffiniertes, dem die andere nicht gleichkommt.

Diese eine kultivierte das Feld der Erbschaftshoffnungen so gut, daß es hundertundfünfzig Prozent einbrachte – eine mathematisch-ökonomische Aufgabe, welche juristisch so gelöst wurde: sie bestimmte den Großvater, daß er zu ihren Gunsten testierte »ohne Beeinträchtigung durch den Pflichtteil«. In diesen Worten muß die ganze Hinterlist stecken, und wenn der Leser deren Sinn auf den ersten Blick so klar erfaßt, wie ich es bei aller Anstrengung nicht vermochte, so kann er sich etwas darauf einbilden. Die beiden Schwestern wollten einander die Augen auskratzen; die einst unzertrennlichen, jetzt obenein verschwägerten Freunde fingen an einander ich weiß nicht was für Dinge zu sagen, gewiß nicht sehr freundliche; als sie sich darauf zum erstenmal auf der Straße begegneten, sah der eine die Wolken, der andere das Pflaster an, und endlich, brachten sie es fertig, aneinander vorbeizustreifen, als kennten sie sich nicht.

Zu diesem glänzenden Resultat zu gelangen, wurde ihnen nicht leicht, denn wie man weiß, ist der Mensch eine schwache Kreatur.

Da geschah es, daß die Signora Pasquali unter dem Beistand eines Advokaten auf die Entdeckung geriet, der Großvater müsse schwachsinnig gewesen sein, und darauf hin das Testament anfocht; und nun beteuerte die Signora Nebuli durch den Mund eines anderen Advokaten, es sei wahrhaft schändlich, einem so verständigen Mann, wie dem Großvater, dergleichen nachzusagen.

An dem Zivilgesetzbuch verzweifelnd, ging zuerst die Signora Pasquali, dann die Signora Nebuli in jene Welt hinüber, um ihren Streit vor dem Gerichtshof des ewigen Vaters auszutragen; den Gerichten und Advokaten hienieden verblieben die überlebenden Gatten, von denen der eine fester als je von der Notwendigkeit des Anfechtens überzeugt, der andere gewisser als je war, daß es ihm zustehe, den Willen des Verstorbenen zu verteidigen. Die beredten Advokaten sprachen und schrieben und widersprachen sich so lange, daß die einstigen Freunde Zeit hatten, bittere Feinde und mit Rheumatismus und Gicht behaftete Greise zu werden; und als endlich der Urteilsspruch erging, welcher den Freund Pasquali zu den sämtlichen Prozeßkosten, zu Schadenersatz und Zinsenvergütung verurteilte, war der Freund Nebuli so erfreut darüber, daß er seine Gicht vergaß, die diesen Augenblick der Vernachlässigung dazu benutzte, ihn durch einen Stoß ins Jenseits zu befördern. Nun telegraphierte der Advokat dem einzigen Erben in Turin, er möge kommen, um die Erbschaft anzutreten und ihm sein Mandat zu erneuern, da voraussichtlich die Gegenpartei in der ihr zustehenden Frist appellieren würde. Freund Valens verließ die Akademie, eilte nach Mailand, trat die Erbschaft » cum beneficio inventarii« an, erneuerte das Mandat und that, ich weiß nicht was sonst noch, um den Advokaten zu befriedigen, ging dann nach Paris, das er noch nie gesehen, obgleich es stets die Stadt seiner Träume gewesen war, und wo er, kaum angelangt, erfuhr, daß die Gegenpartei appelliert habe.

Die ganze Frage spitzte sich also darin zu: War der Großvater von Valens' Onkel durch den Schlaganfall schwachsinnig geworden oder nicht?

Valens verneinte es, aber der alte Signor Pasquali verweilte in dieser Welt der Rheumatismen nur noch, um seine Behauptung, daß der Testierende schwachsinnig gewesen, durch zehn Beweisstücke und vier eigene Erfahrungen zu stützen; viele Zeugen hatten für, viele gegen die streitige Thatsache ausgesagt und waren gestorben, nachdem sie ihr Gewissen von der Last ihrer Ueberzeugung befreit hatten. Aber es waren Briefe des alten Herren vorhanden, voll gesunden Verstandes und ohne orthographische und grammatikalische Fehler; andere wieder gab es (außer dem Testamente selbst) voller grammatikalischer und orthographischer Fehler, und diese letzteren aus späterer Zeit. – Nun verliert man aber – sagte der gegnerische Advokat – die Grammatik und Orthographie nicht wie einen Schlüssel oder ein Taschentuch (auf hundert Bogen Stempelpapier wurde dies Argument unzähligemal wiederholt, und immer mußten Schlüssel und Taschentuch zur Vergleichung herhalten) – folglich war der Großvater schwachsinnig gewesen.

Das Gericht hatte sich durch das Argument nicht bestimmen lassen; man beobachtete nur, daß ein Richter in die Tasche griff, um sich zu vergewissern, er habe seinen Hausschlüssel nicht verloren, und daß der Präsident sich seines Taschentuchs bediente; aber im Moment des Urteilsspruches erteilten sie denselben, wie ich gesagt habe.

Es blieb noch das Appellationsgericht, dessen Valens sicher zu sein glaubte, aber der Advokat äußerte Zweifel, und so ernste, daß auch mein Freund zu zweifeln angefangen hatte, worauf der Mann des Gesetzes ihn wieder ermutigte und ihn versicherte, die Beredsamkeit seines Advokaten werde ihm abermals zum Siege verhelfen.

Was meint, der Leser zu der Sache? War der Großvater von Valens' Onkel schwachsinnig gewesen oder nicht?

Mir schien die Frage sehr bedenklich.


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