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Fünftes Kapitel.

Ich erlebe ein Wunder.

 

Wir waren in den letzten Tagen des Oktober; die Abende fingen an, rauh' zu werden und seit einer Woche blieb das Wetter anhaltend neblig, feucht, melancholisch.

Die Staffelei stand schon ein ganzes Weilchen am Fenster; es war Zeit, daß ich mich an die Staffelei stellte. Ich hatte es eines Morgens gethan; vor mir eine schöne Leinwand, ein Meter breit, siebzig Centimeter hoch, ich im schwarz und weiß gewürfelten Hausrock, eine Idee im Kopf, ein Stück Kohle zwischen den Fingern, war im Begriff, dieser jungfräulichen Leinwand die erste Linie meines Künstlergeheimnisses anzuvertrauen, als Valens eintrat.

Sein Gesicht leuchtete, sein ganzes Wesen hatte eine priesterliche Feierlichkeit. Ohne ein Wort zu sagen, winkte er mir – unmöglich zu widerstehen; so wie ich da war, ohne auch nur die Kohle aus den Fingern zu legen, ging ich ihm entgegen, er schob seinen Arm unter den meinigen und zog mich mit sich fort.

»Was hast du vor?« fragte ich.

»Ich habe vor, ein Gemälde auf die permanente Ausstellung zu geben, die einzige Frucht dieser müßigen Jahre, und möchte deine Meinung hören.«

»Ein Gemälde!« rief ich aus. »Vollendet?«

»Vollendet.«

»Ich habe es ja nicht gesehen?«

»Du hast es gesehen.«

»Die Signora Valeria vor der phänomenalen Nelke?« sagte ich scherzend.

»Ebendie.«

»Also hast du sie ausgeführt? und wie? und wann? und warum hast du mir nichts davon gesagt?«

Er antwortete mir nicht; wir waren schon auf der Schwelle seines Ateliers; auch ich verstummte. Wir traten ein, er zuerst, ich folgte.

Sogleich erblickte ich die ans Fenster gerückte Staffelei, ein großes Gemälde darauf, und Signora Chiarina, das Gesichtchen in schwermütiges Nachdenken versunken, davor stehend.

Das Geräusch unserer Schritte erreichte sie zuerst nicht, dann sah und begrüßte sie uns, beharrte aber in ihrer Stellung ... Ich trat neben sie und betrachtete gleichfalls mit Entzücken dies wundervolle gemalte Antlitz, das einem lebenden Wesen anzugehören schien. Valens sah uns wohlgefällig lächelnd an; dann holte er ein flaches Zinkgefäß, welches er unter die Staffelei stellte, einen kleinen Eimer und einen großen Schwamm.

»Gebt acht!« sprach er mit komisch verstärkter Stimme.

Ach! ... ein kurzer, halb erstickter Ausruf; Signora Chiarina eilte an mir vorbei und verschwand.

Valens fuhr mit dem nassen Schwamm auf der Leinwand hin und her; man hätte ihn für närrisch halten können; wo er aufdrückte, sieh ... da verschwanden Lichter, Schatten, Farben, alles in einem weißlichen Schaum, unter dem hinweg ein kleiner Strom in das Gefäß tropfte.

Dieses tolle Waschen, das mich anfangs erschreckt hatte, entzückte mich jetzt; auch ich murmelte abgebrochene Worte, brach in allerlei Ausrufe aus, und ich hätte einen Schwamm haben mögen, um zu thun wie Valens that, nämlich eine reizende Venus jener Gewänder entkleiden helfen, welche eine lächerliche Maskerade waren, sie von dem steinernen Hintergrund, dem Mosaikboden befreien, um sie mit dem Azur des Himmels und des Meeres zu umgeben. Wenige Minuten genügten, um dies Wunder zu vollenden, und als sich die letzten Mosaiksteinchen von einem zierlichen Knöchel gelöst hatten, das weiße Füßchen inmitten der schäumenden Wellen erschien, und man aus weiter Ferne zahllose leichte, weiche Wogen heranströmen sah, gleich liebkosenden Händen oder unter Küssen murmelnden Lippen, als ringsumher in Luft und Wasser ein Licht aufleuchtete, das einem Liebeslächeln glich – o da, da fühlte ich sie auf einmal ganz, die Fieberglut der Kunst, fühlte sie mit dreiunddreißig Jahren, wie ich nie geglaubt hätte, sie noch empfinden zu können.

Wir sprachen nichts; ihn hatte die Erregung, mich das Staunen unbeweglich und stumm gemacht. Und als ich das Gemälde lange, lange bewundert hatte, von vorn, von der Seite, zurücktretend, mich wieder nähernd, die Augen halb schließend, durch die bloße Faust wie durch ein Fernrohr blickend, und diese Venus immer die schönste, die süßeste, die lieblichste, den absoluten Superlativ aller Venusbilder fand, als ich mich dann ernst, feierlich zu ihrem Schöpfer wendete, ihn mit dem Ausdruck meiner ganzen Ergriffenheit, aber immer noch stumm befragte, da sprach er lächelnd: »Aus des Meeres Schaum.«

Seine Stimme zitterte, ich drückte ihn an mein Herz, und brachte endlich heraus: »Du hast ein Meisterwerk gemacht.«

Und auch mir zitterte die Stimme.

»Jetzt verstehe ich,« fügte ich hinzu, indem ich mich aufs neue betrachtend vor dies liebewogende Meer stellte, das ein Wunder schuf, um es dem Olymp des Zeus darzubringen – jetzt begreife ich das unwahrscheinliche Staunen der Signora Valeria vor der Nelke. Es war die naive Verwunderung einer Venus, die zum erstenmal die Welt vor sich sieht, und dies Licht, welches ihre göttliche Natur auf das zarte Antlitz strahlt, schien von dem Fenster auf sie zu fallen. »Aber sag, warum hat deine Venus so zarte, zierliche Formen? Das ist nicht die Mutter der Amorinen, die hier gleicht keiner der Venusgestalten von Tizian ... nur die Danae Correggios ...«

»Es ist die eben geborene Venus, Kind, Weib und Göttin zugleich; der Olymp wird ihr die Majestät geben, welche ihr jetzt noch fehlt, das wollte ich ausdrücken, darin lag die Schwierigkeit ... Wenn ich fehlgegriffen habe ...«

»Schweig, du hast nicht fehlgegriffen, sie ist erhaben, ist wahr, und spricht unmittelbar zur Phantasie, ohne die Sinne zu erregen. Laß mich, der ich ein Esel, aber aufrichtig bin und bleiben werde, laß mich es dir sagen: Du hast ein Meisterwerk geschaffen!«

Meine Begeisterung schmeichelte ihm sichtlich, dennoch fühlte er sich noch nicht sicher; er sah mir in die Augen, blickte auf sein Bild, an dem er tausend Mängel fand, welche es nicht hatte, und umschritt es erregt wie ein Kind.

Als die erste Künstlerwallung verflogen war, dachte ich bei mir: »Welche Keuschheit in diesen nackten weiblichen Formen! Der milde Ton des Fleisches beruhigt die Sinne, macht sie edler, reinigt sie. O wie züchtig ist die wahre Schönheit!«

Und dann fragte ich mich und antwortete mir selbst: »Warum ist Signora Chiarina geflohen? Ach, ich errate, weshalb ...«

Durch erkünstelte Unbefangenheit in Ausdruck und Stimme suchte ich den Freund in die Falle zu locken, indem ich ihn plötzlich fragte: »Warum nanntest du sie Valeria?«

»Weil ... weil das Modell so hieß.«

»Ach, so gibt es denn in der lebendigen Natur Modelle von solcher Anmut?«

»Eine einzige Frau hatte dies Antlitz ...«

»Und sie hieß Valeria ...«

»Ja ...«

»Und warum floh deine Frau, als du den Schwamm nahmst? ...«

»Weil ... weil ... dir will ich es sagen, denn früher oder später wirst du doch mein Vertrauter in allem sein – weil Valeria ihre Mutter war ...«

»Hast du sie gekannt?«

»Nein; sie starb, als sie ihrem Kinde das Leben gab.«

»Dann also ...«

Ich wollte etwas sagen ... stockte, und mich verbessernd fuhr ich fort: »Dann hast du sie also nicht nach der Natur gemalt?«

»Nein ... ich habe ihr Gesicht treu nach einer Photographie kopiert ...«

»Und den Körper?«

Er las vielleicht meinen Gedanken, denn seinen Arm um meinen Nacken legend, zog er mich mit sanfter Gewalt hinweg. Als wir durch die Zimmer gingen, sah ich mich um; Signora Chiarina ließ sich nicht blicken.

»Ach,« sagte ich noch auf der Schwelle, »die ganze Nacht habe ich an deine Angelegenheit gedacht.«

»Welche Angelegenheit?«

»Corvi contra Corvi,« und zum erstenmal fiel mir das Wortspiel auf, welches der Zufall hier gemacht hatte, und ich wiederholte es: »Corvi contra Corvi. Ich gestehe, die Sache scheint mir sehr verwickelt, und ich habe mich in dieser Verschlingung von Schwestern, Schwägern, Onkeln nicht ganz zurecht gefunden; nur soviel begreife ich, daß das eine Ende dieses verwirrten Fadens der Großvater ist, und daß man mit ihm anfangen muß – ich habe viel darüber nachgedacht und jetzt ist mir eine lichte Idee gekommen ... soll ich dir meine Auffassung deines Prozesses geben?«

»Nein, ums Himmel willen nicht ...«

»Nun, wie du willst; aber für mich ist kein Zweifel: der Großvater war völlig bei Verstand; wenn die Appellrichter den ihrigen zusammennehmen und nur die Hälfte des großväterlichen haben, so bin ich sicher, daß sie abermals Corvi contra Corvi recht geben ... nämlich dir.«

»Wir wollen es hoffen,« sagte Valens leichthin.

»Und wann kommt die Sache zur Entscheidung?«

»In vierzehn Tagen.«


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