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Drittes Kapitel.

Hier ziehe ich einen Vorhang auf und merke ein Geheimnis.

 

Freund Valens brachte ganze Stunden in meinem Atelier zu, vor meiner Staffelei in meinen Lehnstuhl hingestreckt, aus meiner Pfeife rauchend; dabei gab er mir ab und zu in einer ihm ganz eigenen Weise Ratschläge, indem er scheinbar mich um Rat fragte, er weckte irgend einen Zweifel, erregte einen Gedanken in mir dadurch, daß er sich zweifelnd und bestimmbar zeigte. Wenn man ihn hörte, so hatte er seit Ewigkeit keinen Pinsel angerührt, so lagen auf seiner Palette Farbenkrusten, welche die Sündflut nicht aufgelöst hätte, kurz, er mußte seine Kunst vollständig vergessen haben. Aber gelegentlich sagte er etwa zu mir: »Entschuldige, was meinst du dazu? Wenn du diesen Schatten ein klein wenig kräftiger machtest, würde die Gestalt sich nicht besser ablösen? Versuche es mir zu Gefallen; nachher kannst du das Dunkel wieder fortnehmen.«

Ich versuchte es ihm zu Gefallen, und änderte es nachher nicht; brauchte auch nicht zu fürchten, daß Valens, wenn er das Bild wiedersah, nach der Gewohnheit anderer bemerken würde: »So, du hast den Schatten stehen lassen? Du hast gut gethan!«

Es war zu bedauern, daß er sich von der Kunst abgewendet hatte; ich erinnerte mich an einige seiner Studien des Nackten auf der Akademie, die wir Schüler flüsternd über die des Professors stellten; er hatte eine schnelle, sichere Art zu malen, welche die Mitstrebenden zur Verzweiflung brachte. Auch mich hatte sie anfangs verdrossen, weil auch ich ihn zu übertreffen strebte; als aber Samuel, ein altes Modell mit würdigem weißen Bart, mir einigemal gesagt hatte, die Muskeln, welche ich auf die Leinwand gebracht, wären nicht die seinigen, das Fleisch ebensowenig, und meine Rippen hätten nichts mit seinen gemein; das Nackte scheine eben nicht meine Stärke zu sein; mein Genre sei vermutlich das »Genre« – da ging ich hin und bot Valens meine Freundschaft an und sagte allen, welche es hören wollten, daß seine Aktstudien die besten wären; daß, wer nicht für das Nackte geschaffen ist, sich vergeblich damit abmüht, ein solcher möge bekleidete Männer und Frauen malen; kurz, daß jeder seinen richtigen Weg suchen müsse, und daß mein Genre zuverlässig das »Genre« sei.

So wurden wir beide unzertrennliche Freunde.

Jetzt schienen jene glücklichen Zeiten für uns zurückgekehrt zu sein; meine Annetta war förmlich verliebt in Signora Chiarina, in dies Nippdämchen, dies Goldfrauchen, dies zauberhafte Miniaturweibchen, wie sie unsere Wirtin nannte. Und wenn ich mit ehemännischer Taktik eine kleine Einschränkung machte, so sprach sie ironisch: »Wirklich? Und wie muß eine Frau denn sein, damit der Herr sie vollkommen finde?«

»Sie muß geliebt sein ... wie du.«

Dann schalt sie mich lachend einen Heuchler.

Auch Signora Chiarina schien meiner Annetta wirklich gut zu sein, denn sie lief ihr entgegen, so oft sie ihrer ansichtig wurde, hielt die Wange zuerst zum Kusse hin und erwiderte ihn unglaublich schnell; aber sie sprach wenig, besonders in meiner Gegenwart, und während sie sich keineswegs das Ansehen einer großen Dame gab, legte sie mir gegenüber eine Zurückhaltung an den Tag, welche mich verlegen machte: ich würde es Gemessenheit genannt haben, hätte Signora Chiarina nicht so leicht gelacht und wäre sie nicht so leicht errötet. Worüber errötete sie nur? Ich bin kein Flegel, und wäge die Worte, ehe ich sie über die Lippen lasse, aber ich konnte auch nicht ein paar Sätze sprechen, ohne dies zarte Gesichtchen sich röten zu sehen. Dann hielt ich inne und dachte: »Was habe ich denn gesagt? Weniger als nichts.« Es war von Malerei, von meiner Frau, von dem Gatten der Signora die Rede gewesen. Ein paarmal hatte ich die Venus von Medici genannt, oder die modernen Pompejanerinnen lächerlich gemacht, die ewig vor dem Spiegel sitzen, oder das Gewand vor dem Bade abgelegt haben. Sie war wirklich ohne jede Notwendigkeit errötet, dennoch hütete ich mich fortan, einen ähnlichen Anstoß zu geben.

Als ich mit meiner Frau darüber sprach, sagte diese: »Ich verstehe es auch gar nicht, aber Chiarina ist so ein schüchternes, ganz kindliches Ding, sie ist wie eine Sinnpflanze; daher wird es kommen.«

»Sinnpflanze soviel du willst, aber sie ist doch ihres Mannes Frau, und gewisse Dinge muß ...«

Annetta ließ mich nicht ausreden, hielt sich die Ohren zu und lief davon. – Einfluß des guten Beispiels!

Nicht darin allein suchte meine Gattin ihrer neuen Freundin ähnlich zu werden; wenn sie beim Spazierengehen meinen Arm nahm, so neigte sie den Kopf ein wenig gegen meine Schulter, wie sie es, am Fenster stehend, täglich von der Signora sah, wenn die »Hauseigentümer« ihren gewohnten Ausgang antraten: sie nahm auch die Lieblingsausrufe der Signora an und trug ihre Haare glatt wie diese. Mit einem Wort: sie war in sie verliebt.

Noch hatte Valens mir seine Kartons nicht gezeigt, und ich nahm mir täglich vor, um das zu bitten, was mir nicht angeboten wurde, schob es aber aus dem einfachen Grunde auf, daß Valens mich überhaupt noch nicht in seiner Wohnung umhergeführt hatte. Endlich that er es. Wie viele Zimmer! Wie viele Möbel! Welcher Luxus! Zuerst konnte ich mir keine klare Vorstellung von diesem Labyrinth machen, als ich mir aber den Grundplan im Kopf zurecht gelegt hatte, fand ich einige Mängel in der Einteilung, welche nicht zu verbessern schade gewesen wäre. Wo ein Salon war, einer von den vielen, mußte das Atelier sein, das ein wundervolles Licht bekommen hätte; um es, wie mein Freund wünschte, abgesondert von der übrigen Wohnung zu haben, brauchte nur eine Thür zugestellt zu werden; eine leichte Aenderung.

»Dank für den Vorschlag,« sagte Valens, und wir gingen weiter.

In einem Hinterraume machten wir zwischen zwei Zimmern Halt, deren Thüren sich gegenüber lagen; zwei ganz gleiche Zimmer, in jedem ein prächtiges Bett; zur Rechten das Zimmer der Signora Chiarina, zur Linken das für Valens; in meinem Sinn billigte ich diese Einrichtung nicht, aber als nun gar Valens das plötzliche Erröten Chiarinas damit erklärte, daß sie beschämt sei, weil es nun ans Licht komme, wie entsetzlich sie sich nachts fürchte, da mußte ich erst recht bei mir denken: »Aber wenn sie sich so fürchtet! ...«

Valens sagte: »Wenn ich unter die Betten, in den Schrank, hinter die Portieren geguckt, die Sessel von ihrer Stelle gerollt, die Thüren unserer beiden Zimmer offen und die Lampe angezündet gelassen habe, so hat diese Heldin immer noch Furcht ...«

Und nun konnte ich mich nicht mehr enthalten zu sagen, wie ich gedacht hatte: »Aber wenn sie sich so fürchtet ...«

Man ließ mich nicht ausreden; Signora Chiarina schien die Flucht ergreifen zu wollen, meine Frau und Valens eilten ihr nach, ich folgte.

Als wir vor dem Atelier vorbeikamen, blieb ich stehen, um es von der Schwelle aus zu überblicken; wirklich, die Staffelei lehnte zusammengelegt an der Wand, einige Paletten hingen eine über der anderen, ein Bündel Pinsel stand in einem Becher. Valens Nebuli war nicht mehr Maler. An den Wänden sah man einige kaum entworfene Kartons; wenige Kohlenstriche verrieten irgend eine beabsichtigte mythologische Dame – nicht mehr als die Absicht; aber für den Künstler gibt es keine Skizze, er sieht schon das vollendete Gemälde, wo noch nichts vorhanden ist, als ein paar Striche; er thut aus sich die Farben, die Luft, das Licht, den Hintergrund hinzu – und siehe, vor seinen Augen tritt die Gestalt heraus, so schön, wie sie nimmer werden kann. Wie viele herrliche Werke habe ich so geschaffen! Ich ging im Zimmer umher, taub gegen Valens' wiederholtes: »Komm heraus, es ist nichts Gutes da, laß das Atelier sein.«

Die Neugier, nicht das Kunstinteresse fesselte mich vor einem großen Bilde; nicht die Kunst, sondern die Neugier; denn das Bild war ganz von einem Vorhang bedeckt, wie die wunderthätigen Madonnen auf den Altären. Als ich nach der Schnur suchte, um den Vorhang zurückzuziehen, faßte mich Valens beim Arme und wiederholte: »Komm, laß sein.«

Natürlich ließ ich es nicht sein, der Vorhang ging auf, und ich sah ...

O, das entzückendste der Geschöpfe! Ein süßes, zartgefärbtes, ein wenig erstaunt blickendes Gesichtchen, mit Augen, in denen ein gedämpftes Licht glänzte, mit schwarzen, weichen, welligen, bis über die Schultern herabfallenden Haaren, das alles in Zeichnung und Farbe von hoher Meisterschaft. Aber warum erstaunt, fast erschreckt? Sie stand am Fenster, in welchem eine Nelke blühte, wo aber nichts zu sehen war, was eine Dame hätte erschrecken können.

Mir fielen das vernachlässigte Gewand, das flüchtig gemalte Fenster mit der Nelke auf, und als ich mich wie ein lebendiges Fragezeichen vor Valens hinstellte, blickte auch er mich an, als wollte er mir auf dem Gesicht lesen, was ich davon dachte.

»Das Antlitz ist wundervoll,« sagte ich, »das übrige, du weißt es besser als ich, ist nicht einen Heller wert; wenn du jene Falten nicht von einer hölzernen Madonna kopiert hast, so begreife ich sie nicht; Nelken wie diese habe ich noch nie gesehen; der Fußboden ist nicht so übel ... aber was für eine Art Farben hast du nur angewendet? ...«

»Ich wollte es eben sagen!« rief Valens aus; »es ist ein gemischtes Bild, darin besteht sein ganzer Wert; der Kopf ist in Oel gemalt, das Gewand, das Fenster, die Nelke und das übrige in Tempera ... nur um es zu vollenden.«

»Aber so hast du nichts vollendet!« rief ich aus.

»Ich werde es fertig machen.«

»Wann?«

»Bald; jetzt laß es gut sein und komm.«

»Noch einen Augenblick ... ach, welch ein Kopf! ... oh, diese Augen! aber weshalb dieser Ausdruck erschreckten Staunens? In dem Fenster ist nichts als eine Nelke, und an der Nelke nichts, was Staunen erregen könnte.«

»Du fragst? Sagst du nicht selbst, du habest nie eine ähnliche Nelke gesehen?«

»Niemals, das schwöre ich dir.«

»Auch die Signora Valeria hat wahrscheinlich nie dergleichen gesehen; ›ist's eine Nelke? ist es keine?‹ daher sieht sie so verwundert aus.«

Er lachte.

»Sie heißt Valeria?« fragte ich.

»Ja.«

Und er lachte nicht mehr.

Er brach auf und ich folgte ihm, aber in der Thür wendete ich mich noch einmal um, und bei diesem letzten Blick blitzte ein Gedanke in mir auf. Die Signora Valeria glich jemand ... Wem? ... Eine Viertelstunde später blieb mir kein Zweifel; nach gehöriger Prüfung fand ich, daß, die Haarfarbe, die Stirn, die Nase, den Mund, die Augen und auch ein wenig das Oval des Gesichts abgerechnet, die Signora Valeria des Gemäldes und Signora Chiarina, welche verlegen vor meinen neugierigen Blicken stand, sich wie zwei Tropfen Wasser glichen. Als gewissenhafter Porträtmaler muß ich gestehen, daß ich lange nicht wußte, in welche identische Linien der beiden Gesichter ich diese wunderbare Ähnlichkeit legen sollte, und meine Eitelkeit mit der Ausrede befriedigen mußte, daß alles Vollkommene sich gleiche, daß die griechischen Aphroditen, alle verschieden, dennoch Schwestern seien; und andere dergleichen ernsthafte Thorheiten, über die man lacht, sobald man die Kohle oder den Pinsel in der Hand hat; aber schließlich fand ich die Linien doch heraus; es waren ihrer zwei, fast unmerkliche, parallele, die von den Nasenflügeln bis zum Ansatz des Kinnes hinabliefen, und für die beiden zarten Gesichtchen die gleiche Weise zu lachen, zu lächeln und ernsthaft zu blicken bedingen mußten. Ich habe so viel Kartonpapier verdorben, um diese Linien zu finden, daß ich sie jetzt auswendig weiß und sie herzeichnen möchte, wenn ich hoffen könnte, mich dadurch deutlicher zu machen.

Natürlich erregte diese Entdeckung, im Verein mit dem Geheimnis des Vorhangs und dem seltsamen Gebaren des Freundes Valens, meine lebhafte Neugier.

Wo die Einbildungskraft grübelt – der Leser merke sich dies wohl, es ist praktische Philosophie – wo die Einbildungskraft anstatt der Vernunft grübelt, da bleibt die zu erforschende Tiefe leer, wenn sie nicht gar zum Chaos wird.

Ich begann zu phantasieren, dichtete hundert kleine Romane, deren Haupthelden jene beiden Meisterwerke, das Gemälde und Signora Chiarina, waren; von denen einer so wenig wie der andere zum Abschluß kam, und die zum Glück einer so wenig wie der andere veröffentlicht wurde. –

Gehen wir nun zu der Prozeßangelegenheit über; ich habe dem Leser noch nicht gesagt, daß über dem Hause Nebuli ein Prozeß schwebte, weil ich es selbst erst erfuhr, als mir irrtümlich der Besuch eines Gerichtsboten zu teil wurde.

»Sind Sie Signor ...« hier ein flüchtiger Blick in sein Schriftstück – »Signor Nebuli?«

»Im ersten Stock.«

»Hier steht aber: Im dritten Stock« – abermaliger Blick in das Papier.

»Es wird verschrieben sein ...«

Er schien nicht überzeugt.

»Ich bin Gerichtsbote beim hohen Tribunal ...« sagte er mit Selbstgefühl.

»Das hindert nicht, daß Signor Nebuli im ersten Stock wohnt.«

Ich machte dabei die später bestätigte Bemerkung, daß die an den liebenswürdigen Stil ihrer Ankündigungen gewöhnten Gerichtsleute doch keineswegs eine ähnliche Liebenswürdigkeit des Ausdrucks bei anderen mögen. Dieser Priester oder vielmehr Tempeldiener Asträas entfernte sich, ohne mich eines Grußes zu würdigen.

Der Priester selbst kam später, eines Abends, als wir in der Wohnung unseres Freundes heiter beisammen saßen; er erschien mit stolzer Haltung in der ganzen Feierlichkeit seiner gesteiften Halsbinde, seiner Brille und seines zugeknöpften Rockes, um das Licht unserer frohen Laune auszulöschen.

Er zog Valens in ein Nebenzimmer, wo er ihn lange von Gerichtssitzungen, Urteilssprüchen und Berufungen unterhielt; diese volltönenden Benennungen drangen ab und zu bis zu uns und mischten sich in Signora Chiarinas harmonisches Lachen und die Bemühungen Annettas, es hervorzurufen; schließlich gab der Freudenstörer uns den Freund etwas bleicher zurück, grüßte, ohne seine Wirbelsäule zu biegen, und schritt feierlich hinaus, von einem Lakaien, welcher noch feierlicher als er war, geleitet.

»Hast du denn einen Prozeß?«

»Ja.«

»Und dies ist dein Rechtsanwalt?«

»Ja.«

»Wie gern hätte ich ihn auf eine Stunde zu meiner Verfügung ... und auch den Gerichtsboten!«

»Hast du auch einen Prozeß?«

»Nein, aber ich möchte sie bitten, mir auf eine Viertelstunde zu einem Genrebild zu sitzen.«

Signora Chiarina lachte laut, er nicht: der Prozeß mußte gewichtig sein.


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