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Siebentes Kapitel.

Ich mache die Bekanntschaft eines Unbekannten.

 

Diesmal war es ein Russe – noch länger als ich, dürrer als ich, mein verhäßlichtes Gegenbild, aber welch ein lieber Mensch, dem meine »Fischerfamilie« so sehr gefiel, ganz besonders das Netz, welches die braven Leute flickten; aber er wollte nicht tausend Lire dafür geben; siebenhundert schienen ihm genug, mir nicht. Er prüfte das Gemälde mit Kennermiene durch sein Augenglas – alles war schön daran, er mußte es sagen, aber besonders das Netz! ...

Kurz, das Netz gefiel ihm so gut, daß er sich darin fangen ließ – er zahlte achthundert Lire!

Am Abend machte Annetta die Bemerkung, die Dinge ließen sich gut an, dies seien gewiß Fortunas erste Küsse, die vielleicht vorhabe, sich früher oder später ganz in unsere Arme zu werfen.

Andere Gemälde waren nach dem »Schaum des Meeres« von Freund Nebuli auf die Ausstellung gekommen; Landschaften, Seeküste, Interieurs, Stillleben; aber alles hatte der siegreiche »Schaum« beschämt, verdunkelt, begraben.

Da Valens den Preis seines Werkes nicht genannt hatte, begann man ihn in seiner Wohnung aufzusuchen; es waren Engländer, es waren Deutsche, aber zumeist waren es Amerikaner, welche das kleine Meer und die Venus meines Freundes mit über den Atlantischen Ocean nehmen wollten. Sie gingen mit Höflichkeiten überhäuft von dannen, aber mit ihren verführerischen Dollars im Beutel – der »Schaum des Meeres« war nicht verkäuflich.

Man weiß, daß eine der augenfälligsten Formen des Triumphs die überstrenge Kritik der Uebelwollenden ist; auch diese fehlte meinem Freunde Valens nicht. Ich selbst hörte einen gewissen jemand äußern – und wäre beinahe vor Lachen gestorben – des »Meeres Schaum« sei doch schließlich dies nicht, und das nicht, und jenes nicht, eigentlich nichts in aller Welt. – Die heilige Wahrheit: »Es war in aller Welt nichts, weder ein historisches Gemälde, noch ein Genrebild, ja nicht einmal ein Campanile oder eine ägyptische Pyramide ...«

Jener Gewisse sah mich an, als ich ihm dies zugestanden; er hatte vielleicht gar nicht gedacht, daß er so sehr recht hatte, und wahrscheinlich dämmerte ihm eine Möglichkeit des Gegenteils auf.

Andere Schlauköpfe faßten die Sache von anderer Seite an; anstatt an dem epochemachenden Gemälde, was es nicht war, zu kritisieren, überredeten sie sich, daß sein Zauber einzig in dem Gegenstand läge, daß zu einem Meisterwerk unbedingt Wasser und mythologische Frauengestalten gehörten. Und in den nächsten Monaten erschien eine ganze Folge von Sirenen, welche keine Menschenseele bezauberten, von badenden Nymphen oder Dianen, die auf hundert Arten Reize zu verbergen suchten, welche mit Verlangen zu betrachten auch nicht einmal den Studenten einfiel. Aber ich will der Erzählung nicht vorauseilen; ich nehme sie da auf, wo ich sie gelassen.

Als der kleine Giovanni Battista mich mit der Idee zu einem Kunstwerk beschenkte, hatte meine Neugier dafür büßen müssen, denn der Leser wird sich erinnern, daß gerade in dem Augenblick, wo der Junge in Signora Chiarinas Schlepptau hereinkam, Valens im Begriff war mir zu sagen ... »ja was?« Vergebens fragte ich mich den ganzen folgenden Tag darnach; ihn wollte ich nicht fragen; ich hielt es für besser, zu warten.

Vielleicht war es ihm leid geworden; als könne er die stumme Frage: »Was wolltest du mir sagen?« auf meinen Lippen lesen, floh er mehrmals die Gelegenheit, mit mir unter vier Augen zu sein.

Abends sollte, wie gewöhnlich, in das Bierhaus gegangen werden – ich wartete den Abend ab – aber als es Zeit war und ich hinunterging, um ihn allein abzuholen, hatte Signora Chiarina bereits ihr entsetzliches Hütchen nach der neuesten Mode, einen Berg von Grün und Blumen, auf dem reizenden Kopfe, wo es beinah erträglich aussah.

Ich mußte wieder hinauslaufen und selbst auf das anmutige Köpfchen meiner Annetta ihren Bersaglierehut mit der Hahnenfeder setzen, einen Hut, mit dem es zu Ende ging, den aber Frauen wie die meinige, Frauen solcher Männer wie ich, mit der zärtlichsten Verehrung behandeln und unendlich reizender als den neuen finden.

Wir gingen also zusammen aus; die beiden Gattinnen Arm in Arm voran, die beiden Ehemänner hinterher. Freund Valens sprach von vielen hundert Dingen und ließ mich kaum den Mund aufthun; plötzlich blieb er stehen und wendete sich um, ich desgleichen; ein Mann, welcher hinter uns ging, schritt uns eilig voraus, und als er in der Nähe unserer Damen war, blickte er sie von der Seite an. Wir beschleunigten unseren Schritt, er setzte seinen Weg fort.

»Hast du ihn gesehen?« fragte mich Valens.

»Nicht so recht; es schien mir ein alter Herr zu sein.«

»Es ist ein alter Mann.«

Weiter sagte er mir nichts.

Es sei schade, uns in die Bierhalle einzusperren und Signora Chiarinas zarten Teint verräuchern zu lassen, meinte Annetta, der übrigens das Bier zusagte und der Tabakrauch nicht mißbehagte; aber Signora Chiarina that Einspruch und betrat zuerst den raucherfüllten Salon, wo mancher Gast die Cigarre aus dem Munde nahm, um ohne Nebel vor den Augen die liebliche Erscheinung zu betrachten.

Wir suchten ein entlegenes Zimmer auf, wo wir allein zu sein dachten – aber dem war nicht so. Ein Mann, ein Greis war uns zuvorgekommen und setzte sich eben jetzt auf den besten Platz.

Als er uns sah, empfand er wohl Bedenken deswegen und überließ seinen Sessel der Signora Chiarina, verbeugte sich vor Annetta, blickte uns alle an, wobei er sich zu seiner ganzen Länge aufrichtete, welche der meinigen nichts nachgab. Wir grüßten, er zog sich in eine Ecke zurück, und wir bestellten unser Bier mit einiger Verwirrung. Wir hatten in ihm den Mann von vorhin erkannt. Es war ein sauber gekleideter alter Herr mit ernstem, obwohl ganz bartlosem Gesicht, mit schalkhaft blitzenden Augen; er mußte wohl neugierig sein, denn entweder sah er uns an, oder sein unbeweglich ins Glas gehefteter Blick – wo doch nichts Besonderes zu schauen war – zeigte, daß er dem wohlklingenden Geplauder unserer Frauen lauschte. Ich – daß ich's nicht leugne, mit einem guten Teil Neugier begabt – sah ihn ein paarmal sich die Hände reiben und wie einem lieblichen Gebilde seiner Phantasie zulächeln, dann, indem er uns ansah, wieder ernst werden; einmal stand er auf; ich meinte, er werde gehen; mitnichten; er öffnete die Lippen, als wolle er sprechen, gab diese Absicht aber auf, befühlte seine Taschen, that erstaunt wie jemand der etwas vermißt, und zog endlich ein seidenes Taschentuch heraus, das er in eine andere Tasche steckte, ohne es benutzt zu haben! Von neuem sank er auf seinen Sitz, rieb sich wieder die Hände und lächelte die schöne unsichtbare Erscheinung an.

Wir blieben wenig über eine Viertelstunde in dem Bierhause; beim Fortgehen hatten wir die tiefste, vom liebenswürdigsten Lächeln begleitete Verbeugung zu erwidern.

»Welch höflicher alter Herr!« sagte Annetta.

»Welch schöner Greis!« sagte ich.

»Wem gleicht er?« fragte mich Valens.

Ich rief mir alle unsere Bekannten ins Gedächtnis; er glich keinem davon.

»Er ist ja wahrscheinlich das Abbild seines Vaters oder seiner Mutter, übrigens hat ein Mann dieses Alters das Recht, sich selbst zu gleichen.«

»Für wie alt hältst du diesen Mann?«

»Wenn er noch nicht fünfundsechzig Jahre ist, so fehlt ihm gewiß nicht viel daran.«

»Du irrst dich, er kann erst wenig über sechzig Jahre sein.«

»Wohl möglich, vielleicht ist er nicht älter.«

Als ich tags darauf die Säle der Ausstellung durchschritt und stehen blieb, um des »Meeres Schaum« zu begrüßen, hörte ich jemand dicht neben mir sagen: »O wie schön! Wunderschön! Wie herrlich!« Man denke, wie mir das Herz schlug; ich wendete mich um, es war der Unbekannte vom Abend zuvor. Er hatte die Augen auf mich geheftet; ich grüßte ihn, und er, als hätte er's nicht anders erwartet, sagte: »Es ist wirklich prächtig, finden Sie nicht?«

»Es ist bewundernswert,« sagte ich, »sehen Sie dieses Fleisch, das wie leuchtend scheint, und diese Luft ... sie ist bewegt! und dort auf dem tiefen Azur die Wölkchen: sollte man nicht meinen, sie schwebten herbei, um das Wunder anzustaunen?«

»Sie sind Künstler?«

»Ja, mein Herr.«

»Ist ein Bild von Ihnen ausgestellt?«

»Ich habe deren vier hier; zwei sind schon verkauft.«

Er wollte sie sehen; sie gefielen ihm natürlich sehr.

»Valens Nebuli,« sagte er bald darauf, »ist der Herr, welcher gestern mit Ihnen war?«

»So ist es.«

»Der Gemahl der Signora Chiarina?«

»Jawohl ...«

»Und es geht ihm gut?«

»Sehr gut; er ist so gesund wie ein Fisch.«

Ich hatte nicht verstanden, was er meinte. »Er ist reich,« fügte ich hinzu.

»Wie wissen Sie das? Sind Sie ganz sicher, daß er reich ist?«

»Er besitzt ein prächtiges Haus in der Via ...«

»Das Haus gehört ihm nicht.«

»Ich stehe Ihnen dafür, daß es ihm gehört.«

»Ich stehe Ihnen dafür, daß es ihm nicht gehört.«

»Wenn ich doch aber darin wohne und die Miete an ihn bezahlt habe ...«

Die Miete hatte ich noch nicht bezahlt, aber ich dachte dem Alten so am schnellsten den Mund zu schließen; ja schön! es war in den Wind gesprochen. Der Herr fuhr fort: »Er mußte zwei Wohnungen mieten, welche gewöhnlich zusammengehören: eine davon bewohnt er, und vermietet die andere, welche er nicht braucht.«

»Davon hat er mir nie etwas gesagt ...«

»Weil Sie ihn nie danach gefragt haben.«

Es war wahr.

»Jedenfalls ist er reich,« setzte ich hinzu, »er hat eine Erbschaft gemacht ...«

»Ja, aber er hat einen Prozeß ...«

Wie genau der gute Mann unterrichtet war! Ich sah ihn an, ohne ein Wort zu erwidern; er hatte wieder (jetzt weiß ich es gewiß) die schöne Unbekannte vor seinem Geistesauge, lächelte ihr zu und rieb sich die Hände.

»Es ist ein köstlicher ›Meeresschaum‹« sagte er dann, indem er sich von neuem bewundernd vor das Gemälde stellte, »wieviel glauben Sie, daß dafür gefordert wird?«

»Es ist nicht verkäuflich,« erwiderte ich.

»Ich weiß wohl,« seufzte er, »ich weiß! Er hat viele Angebote zurückgewiesen ...«

»Und sehr bedeutende ...«

»Erbärmliche. Wenn Signor Nebuli wollte, ich weiß jemand, der ihm doppelt soviel wie der Amerikaner geben würde.«

»Er wird aber nicht wollen.«

Boshaft lächelnd sagte er: »Wenn er den Prozeß verliert, so wird er schon wollen.«

Es war das zweite Mal, daß ich auf seine Aeußerung die Brauen in die Höhe zog und nicht antwortete; und wieder sah ich ihn irgend ein Phantasiebild anlächeln und sich mit wahrer Befriedigung die Hände reiben.

»Woher wissen Sie von dem Prozeß?«

»Es ist so leicht, von Valens Nebulis Angelegenheiten unterrichtet zu sein, wer wüßte nicht davon? Die Zurückweisung der amerikanischen Dollars hat die Neugierigen, die Müßigen in Aufregung gebracht; alle die, welche nur für die Angelegenheiten anderer Ohren haben und eine Zunge, um wiederzusagen, was sie gehört ... Die Gerichtsverhandlungen sind heutigestags nicht geheim, die Advokaten, wie Sie wissen, sind nicht stumm, die Gerichtsdiener ebensowenig, und alles kommt in die Oeffentlichkeit, auch was es nicht sollte ... nämlich, daß Valens Nebuli alles verlieren und an den Bettelstab kommen wird.«

Mir wollte scheinen, daß auch er zu denen gehöre, welche nur Ohren haben, um u. s. w.; aber immerhin erschreckte mich seine Zuversichtlichkeit.

»Ist es Ihr Ernst?«

»Es ist gar nicht daran zu zweifeln, der alte Corvi war durch den Schlaganfall schwachsinnig geworden.«

Ich sah ihn mit offenem Munde an.

»Deshalb,« setzte er hinzu, »geben Sie ihm einen guten Rat: er möge mit dem Verkauf seines ›Meeresschaumes‹ nicht warten bis er arm ist; jetzt ist der Augenblick dazu; geben Sie ihm diesen Rat.«

»Geben Sie ihm den,« erwiderte ich mit einem Lächeln, welches ich recht verschmitzt zu machen strebte.

»Gewiß werde ich das thun, aber von mir wird er ihn nicht annehmen wollen.«

Er schwieg und stellte sich wieder bewundernd vor das Bild; ich dachte ... was dachte ich nicht alles!

»Soll ich Ihnen eine vertrauliche Mitteilung machen?« fragte mich plötzlich der Unbekannte.

»Folgen Sie ganz Ihrem Belieben,« antwortete ich.

Dies that er; er sprach mir von einer Wette, von einem Streitpunkt, von einer stillen Liebe, von sich selbst und von einem noch Unbekannteren als er mir war, so daß ich, nachdem er geendigt, weiter nichts begriffen hatte, als was ich bereits wußte, nämlich, daß er es sich in den Kopf gesetzt, den »Schaum des Meeres« um jeden Preis zu erstehen, und mich dabei zum Verbündeten haben wollte.

»Nun gut,« sagte ich, »ich werde Valens Nebuli Ihren Besuch ankündigen – und wen darf ich ihm nennen?«

»Ich bin fremd hier, fast niemand kennt mich in Mailand; ich befand mich auf der Durchreise und hätte meinen Rheumatismus immer weiter durch Mittelitalien spazieren geführt, solange die gute Jahreszeit währt; dieser »Schaum« hat mich festgehalten; sagen Sie ihm das.«

»Ich werde es ihm sagen,« erwiderte ich mit einem schlauen Lächeln, das ihn zum Lachen reizte, anstatt ihn befangen zu machen.

Er reichte mir eine Hand, ganz Sehnen und Knochen, die ich flüchtig berührte; wir trennten uns.

»Rate, wer der alte Herr aus dem Brauhaus war,« sagte ich zu Valens.

»Wer war es?« fragte er mich ängstlich gespannt.

»Ein Liebhaber der Signora Valeria,« setzte ich scherzend hinzu, »ein Bewerber ...«

Aber ich verstummte, als ich auf des Freundes Gesicht alle Zeichen einer wirklichen Aufregung sah.

»Hat er es dir gesagt?«

» Er hat es mir gesagt.«

»Er hat wirklich Signora Valeria gesagt?«

»Wie kannst du das denken? Wie soll er von ihr wissen?«

Ich sah ihn schweigend an, während er meine Hand ergriff und mich neben sich auf ein Sofa niederzog.

»Also, der Alte ist? ...«

»Wer er ist, weiß ich nicht.«

»Hast du nicht nach seinem Namen gefragt?«

»Ja, aber er hat ihn mir nicht gesagt; er ist der Signor X einer Gleichung von mehreren unbekannten Größen, in der, wenn du dich erinnerst, auch ein Y vorkommt, das man nicht kennt. Wie du denken kannst, gelang es mir nicht, sie aufzulösen, aber vermutungsweise kann ich jetzt schon sagen, daß der alte Herr aus dem Brauhaus das Gemälde nicht aus Spekulation kaufen will, weil er geneigt ist, dir doppelt soviel wie die Amerikaner zu geben, und ich nehme an, daß er es nicht für sich kauft – folglich ist X gleich einem Vermittler.«

Valens nickte und schüttelte einige Augenblicke fast unmerklich mit dem Kopf, dann sagte er, zu mir gewendet, ohne alle weitere Vorrede, als setzte er eine schon begonnene Mitteilung fort: »Du mußt wissen ...«


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