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Jägerblut.

Der Bub, welcher sich keinen Prügel sucht, wenn er weiß, daß ihn sein Weg oder auch Umweg an einem unbehüteten Baume mit reifenden Äpfeln vorbeiführen wird und der nicht noch geschwind einen Stein von der Straße aufhebt, um der flüchtenden Katze nachzuwerfen, ist nach dem Sprichworte kein rechter Junge, mögen ihn auch Katz- und Baumbesitzer böse schelten. In der Regel aber schwindet diese jugendliche Unart von selbst, wenn die Zeit der Flegeljahre glücklich um ist und das Leben den heranreifenden Jüngling mit ernsteren Aufgaben vertraut macht, namentlich in den größeren Dorfgemeinschaften, wo sich die Altersgenossen ehender zu gemeinsamem Spiel und guter Kameradschaft zusammenschließen, weniger leicht mag diese Neigung zu überwinden sein auf einsamer Einöde am Waldesrande, weil die Versuchung gar zu verführerisch an den Jungen herantritt.

Wenn die Märzhäschen im frischgrünen Maiengrase und in der sprießenden Saat spielen und tollen einer Lebensgefahr noch unbewußt, wenn auch der alte Hase immer wieder lustig seine Männlein macht und zur Sommerszeit sich nur so weit aus der Menschen Nähe wegmacht, daß sie ihn nicht gerade greifen können, oder wenn gar die zierliche Gestalt des schlanken Rehes am Waldessaume erscheint und mit seinen großen, glänzenden Lichtern nach allen Seiten vorsichtig äugt, bis es sich mit seinem scheckigen Kitzchen zur Äsung herauswagt, kommt leicht die Lust über den Menschen, das flüchtige Getier zu erhaschen und seiner habhaft zu werden. Es ist wohl in erster Linie nicht die schnöde Gewinnsucht, welche das Tier als mehr oder minder wertvolle Beute betrachtet, sondern weit mehr noch der uns Menschen immer noch innewohnende Trieb unserer frei jagenden Urväter und die lockende Versuchung, die schwer erreichbare Beute mit des Menschengeistes überlegener Macht und Kraft unterzukriegen. Macht sich da nicht das Rechtsbewußtsein als starkes Gegengewicht bemerkbar, dann greift eben der Mensch zur ferntragenden, todbringenden Büchse, um das schnell enteilende Wild dennoch zu erreichen. Tritt aber gar noch das Beispiel der Väter oder anderer Genossen anspornend hinzu, so wird nach den ersten glücklichen Erfolgen die erstandene Leidenschaft leicht so übermächtig, daß die Lust am Wildern alle Bedenken überwiegt und die Gefahr dabei geradezu reizt, Mut und List auch gegenüber dem berechtigten Jäger einzusetzen.

Letzteres war leider der Fall bei dem jungen Auholzerburschen. Wenn ihn sein Vater auch nicht geradezu als Lehrmeister auf unrechte Pfade führte, so mußte doch die Wahrnehmung irreleiten, wenn der Junge den Vater in herbstlicher Dämmerung, wo es keine Arbeit auf dem Felde mehr zu verrichten gab, forthuschen sah, bald darauf auch ein Schuß durch die Stille des Abends lärmte und einige Tage danach ein ungewohntes Mittagsmahl aufgetischt ward, und daß die zerstreut umliegenden Nachbarn es ebenso hielten, ging wohl klar daraus hervor, daß nicht selten fast zu gleicher Zeit da und dort ein Schuß fiel, wo der Jäger nicht gerade sein konnte. Die ganze Gegend war aber auch geradezu wie geschaffen für solche Liebhaberei.

In uralten Zeiten war das weite Gefilde vom Aitrachtal bis hinüber zum Hainsbach und vom Bayerbach oben bis hinunter zum Hierlbach an der Grenze des Gäubodens ein ausgedehntes Waldgebiet, das nur einige wenige größere Siedlungen umschloß und dieser riesige Wald war zum größten Teil Eigentum einiger Adelsgeschlechter oder auch Kirchengut der Sankt Martinskirche, die inmitten des Gebietes auf freier Höhe stand und nach der Sage dort erbaut war, wo einst die heidnischen Vorfahren im Schatten uralter, heiliger Buchen ihre Gottesfeiern hielten. Ortsnamen wie Kirchenlehen, Kirchenholz, Kapitelholz weisen noch heutzutage darauf hin, und daß darin sogar heute nicht mehr dort heimisches Wild hauste, verraten noch die Bezeichnungen Schweinbach und Biberbach. Erst allmählich lichtete sich der dichte Wald an weiteren Stellen. Reut, Neugereut, Kohlschlag bezeugen dies unmittelbar, während andere Namen mehr die Eigenschaften der neu gewonnenen Felder berühren wie Sommeracker, Rauhleiten, Kothlacke. Aber immerhin blieb noch ein großer gedrängter Waldbestand neben den kleineren Hölzchen inzwischen der zerstreuten Ansiedlungen übrig, wo des Waldes Getier überreich Schutz und Deckung fand. Dabei waren die eigentlichen Jagdberechtigten allseits stundenweit entfernt und hatten nicht bloß hier sondern auch in andern Richtungen mit dem Wildererunwesen ihre liebe Not.

Unter solchen Verhältnissen ward der Knabe zum Manne und zum leidenschaftlichen Wilderer, den gerade das Mühe- und Gefahrvolle seines Tuns lockte, so daß er Hase und Rebhuhn als leichte Beute mißachtete, dafür aber um so lieber Dachs und Fuchs erschlich und besonders die Rehpirsche ließ ihn auf alles andere vergessen. Mit beißender Selbstverspottung hat er später erzählt, wie ihm der erste erlegte Rehbock so böse zugesetzt hat, weil er des Handwerkes noch nicht kundig genug war. Er hatte es nämlich übersehen, den Kopf des Tieres festzumachen, und nun schlugen bei dem Heimtragen des Tieres mit jedem Schritte die spitzen Enden der Krickeln auf seines Leibes Hinterseite und verursachten ihm Schmerzen, an deren Weh er tagelang zu tragen hatte. Dieser unrechte Jagdeifer verließ ihn auch nicht ganz, als er bereits eine Familie gegründet hatte, und wie er eines Sonntags mit zwei ebenso verwegenen Gesellen in stillem Trunke beisammen saß und die Jagderlebnisse zur Unterhaltung dienten, kam die Rede auch auf den viele Stunden weit entfernten, fürstlichen Tiergarten, wo Hirsche in reicher Zahl sich finden sollten. Die alte Jagdlust erwachte wieder bei allen Dreien, und offen vor allen Mitgästen erwogen sie den Plan, es einmal wenigstens zu wagen, sich ein stattliches Hirschgeweih als Beutestück heimzuholen.

Wirklich waren denn auch in einer Nacht alle drei einmal verschwunden und über acht Tage lang ward keiner mehr in der Heimat gesehen. Dann aber kehrten im schützenden Dunkel nur mehr zwei davon zurück, der dritte Genosse blieb verschollen und verschwunden, wie wenn die Erde ihn ungesehen verschlungen hätte, und alle Liebesmühe der Seinen, wenigstens seine Leiche oder sein Grab aufzufinden, blieb gänzlich erfolglos. Aber auch der Auholzer ging lange Zeit still und gedrückt seiner Wege und wenn er auch mit keinem Wörtlein von dem unseligen Jagdzuge sprach, es mußte die Dreie dabei ein grausiges Geschick betroffen haben, weil ihm von da an die Jagdlust vergangen war und jahrelang die geliebte Büchse verrostet und verstaubt im Winkel hing.

Erst Jahre später holte er sie wieder hervor, um sie fortan in rechtmäßiger Weise zu tragen als Jagdaufseher des herrschaftlichen Gutes, und manches Jahr lang erfüllte er diese Pflicht in allen Treuen sich selbst zur Freude, denn er durfte den Reiz des Aufspürens und Beschleichens von allerhand Waldgetier zur Genüge auskosten. Dennoch konnte er sich einmal nicht mehr so weit beherrschen, daß ihn nicht seine alte Leidenschaft ganz betörte und ins Verderben führte. In dem Hochwalde an der Grenze des freiherrlichen und gräflichen Jagdgebietes, wo im Brunntal Wiese und Hang reiche Äsung bot. wechselte eines Sommers ein starker Rehbock zwischen beiden Revieren hin und her und so oft der Auholzer auch mit aller Vorsicht sich anpirschte, niemals stand das Wild gut zum Schuß. Aber auch der junge Forstgehilfe von drüben hatte das Tier ausgekundet und wie es bei solchen Grenzbewohnern in der Regel hergeht, wollte kein Jäger dem andern das Tier als leichte Beute gönnen und deshalb standen sich auch des öfteren die beiden an der Grenzscheide lauernd gegenüber und warteten gierig, wem das Jagdglück hold sein würde. So hatte denn auch eines Abends der ältere Jagdgenosse wieder auf das Wild gepaßt, bis die angebrochene Dämmerung das Waldinnere bereits in ein unsicheres Düster hüllte, während nur noch auf der Lichtung der Brunnwiese etwas hellerer Schein rastete.

Schon wollte er sich zur Heimkehr aufmachen, als der ersehnte Bock ganz nahe aus dem Waldesdunkel trat und bald ruhig äsend sich immer mehr der Jagdscheide näherte, so daß das lauernde Jägerherz erhoffen durfte, das Tier würde ungescheut die Grenze überschreiten, um dann mit Recht als harterrungene Beute heimgeholt zu werden, zumal auch der feindliche Gegner heute nicht auf dem Plane zu sein schien, weil keine Spur von ihm zu erlauschen gewesen. Doch wenige Schritte noch jenseits der Grenze hob der Bock plötzlich verhoffend den Kopf, er mußte Verdächtiges gewittert haben und schien bereit, alsbald in des Waldes Dunkel zu flüchten. Des Jägers Büchse lag jedoch schon lange im Anschlag und bei der neuen Stellung hatte der Bock sich so gewendet, daß ihn wohl ein sicherer Blattschuß im Feuer zusammenbrechen ließ.

Deshalb zögerte er auch keinen Augenblick weiter, das tödliche Blei dem Tiere zuzusenden, das tatsächlich im anhebenden Sprunge noch niederbrach. Nach einer kurzen Warteweile, die ihn überzeugen sollte, daß das Tier nicht bloß schwer weidwund, sondern sicher tödlich getroffen sei, wollte er es sich auch gleich holen und wie er sich nun voll Jägerglück darüber beugte, hörte er unerwartete Schritte und den hart ausgestoßenen Anruf »Gewehr ab!« Sein Jagdgegner stand unweit im jenseitigen Walde, das Gewehr schußbereit, um sich sein Recht für alle Fälle zu sichern. Das war ein harter Schlag, der den glücklichen Schützen aus dem geträumten Jagdhimmel mit aller Gewalt niederholte, so daß sich seine Gedanken für Augenblicke verwirrten: Die schwer errungene Beute wieder verloren, der geliebten Büchse beraubt, der rechten Weidmannsehre verlustig und wohl auch des Dienstes enthoben – das alles stürmte mit rasender Eile durch sein Gehirn und ließ nur den einen Gedanken zurück: es kann und darf nicht sein, denn es wäre nicht zu ertragen. Die Folge davon war, daß er sein Gewehr an die Backe riß, um sich mit dessen zweitem Laufe des verhaßten Gegners zu entledigen. Doch die Aufregung und das Düster des Waldes ließen ihn sein Ziel verfehlen, die schweren Schrote schlugen nur in eine nahe Weißbuche, auf deren Rinde sich die Narben noch jahrelang als deutliche Anklageschrift abzeichneten.

Um so verderblicher wirkte der gleichzeitige Gegenschuß des jüngeren Forstgehilfens. Die dem Wilde vermeint gewesenen Rehposten durchbohrten aus solcher Nähe abgegeben, die Brust des feindlichen Jagdgenossen, so daß dieser aus seiner knienden Stellung vornüber auf die umstrittene Jagdbeute fiel. Ein kleiner Springquell des kostbaren, roten Lebenssaftes entrann der zerschossenen Lunge und edles Menschenblut vermengte sich mit dem Todesschweiße des Unheil stiftenden Tieres. Wohl eilte der Jüngere sogleich herbei, um doch wieder in edlem Berufsgeiste helfend beizustehen, aber ein einziger Blick genügte, um ihm klar zu zeigen, daß seine Tat der berechtigten Notwehr üblere Folge hatte, als er sich gewünscht. Er lagerte den schwerwunden Genossen sachte etwas besser und lief fort, um Hilfe zu holen. Doch bis er damit zurückkam, hatte der Verwundete sein Leben ausgehaucht, der Jäger lag tot neben seiner toten Beute. Um sich vor den Folgen einer begreiflichen, und deshalb vielleicht auch verzeihlichen Weidmanns-Untat zu schützen, hatte er zu einer unseligen, größeren Meintat seine Zuflucht nehmen wollen, die jedoch ganz zu seinem Unheile ausschlug, indem sie ihm nicht bloß jene Güter, welche er mit bewaffneter Hand zu wahren suchte, entriß, sondern der Erdengüter kostbarstes, das Leben selbst raubte.

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