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Auf der Kirtawiesen.

Und ist die Kapelle noch so klein, einmal im Jahr muß Kirchtag sein.« Das war in früheren Zeiten ein Wahrwort, welches sich auf jedes kleinste Bauerndörflein erstreckte, das ein eigen Kirchlein zwischen den Häusern barg. Der Jahrestag der Kirchweih – im Volksmunde abgekürzt auf Kirchtag – Kirta – war nicht bloß für die gottesdienstliche Feier ein festum duplex I classis cum octava, sondern erst recht für die weltliche Feier in den einzelnen Häusern namentlich dort, wo mehrere Großbauern mit ihrer reich verzweigten Verwandtensippe konkurrieren konnten, so daß es eigentlich zum Hauptfeste des Jahres wurde. Schon lange Wochen vorher ging das Getriebe an, um Haus und Hof in würdigen Festzustand zu versetzen. Als erste kam meist die Näherin auf die Stöhr: sollten doch alle Mannen des Hauses ein neues Kirtahemd erhalten und das mußte feine Leinwand und feine Arbeit sein, reich gefältelt auf der Brust und schön in Rotstichen verziert, damit es sich stark abhob von den Farben der Weste und des seidenen Knipftuches. Für des Hauses Töchter kam dazu auch noch die andere Kleidung; neben dem am Hals und Ärmeln mit einer Spitzenkrause versehenen Hemde – zum Kirchweihtanz ging man ja »in Hemdärmeln«, also mußten sie schmuck sein –, die aus selbst gesponnener Wolle gewebten und mit loser Schafwolle so dick gefütterten Unterröcke, daß sie wie eine Glocke standen, die schwerseidenen, knisternden Oberkleider, das hellfarbige Fürtuch, das Mieder aus schwarzem Seidensammet mit echten Bordes d'Espagne eingefaßt und mit den zwei Reihen silberner Schnürhaken, um das mit alten Talern und andern Ehrungen geschmückte »Gschnürat« ausbreiten zu können, das feine, buntgemusterte Einstecktüchlein und statt des Riegelhäubchens für nachmittag das reich gestickte und zierlich ausgenähte Übertuch. Aber auch die Dienstboten gingen dabei nicht ganz leer aus. Den meisten von ihnen war ja als sogenannte Aufbesserung wenigstens ein rupfenes Werktagspfoad und ein leinenes Sonntagshemd ausbedungen, das sie bei dieser Gelegenheit erhielten. Dann kam der Schneider für die »Leibl« aus geblümtem Sammet, auf dem zwei Reihen frischgeputzter Groschenknöpfe blinkten, den kurzen Spenser für die Jungen mit Zwölfern oder Vierundzwanzigern als Knöpfen, den langen Gevatterrock für den Bauern selbst und dies alles aus bestem Augsburger Tuche. Neben ihm der Schuster für die Männerstiefel mit den langen steifen Schäften, die glänzen mußten, daß man sich darin fast spiegeln konnte, die Schnürschuhe und Pantoffeln für die Frauen, wenn nicht gar ganz feine Festschuhe aus Saffian- oder Kordovanleder die weibliche Eitelkeit befriedigen mußten. Das Beinkleid aus echtem Hirschleder, reich mit grünen Litzen bestickt, hatte der Säckler geliefert und der weite Hut aus feinstem Felbel mit grüngoldener Schnur und ebensolchen Troddeln vollendete das Kirchtagsgewand. Als Letzter mußte dann noch der Sattler kommen, um allem Lederzeug, das man für Pferde und Fuhrwerk brauchte, neuen Glanz zu verleihen.

Unter diesen entfernteren Vorbereitungen war die Kirchweihwoche selbst herangekommen; früh am Freitag schon rückte der Metzger an und unter seinen Händen verblutete die wohl vorbereitete schwere »Kirtasau«, ebenso wütete die eigene Kirtaköchin unter den Gänsen und Enten, bis die Speisenkammer zu einer voraussichtlich unerschöpflichen Vorratskammer geworden war. Am Samstag dann ging mit dem ersten Morgengrauen erst recht das Rumoren in Haus und Hof an. In der Stube begann das Großreinemachen vom Herrgottswinkel an bis zum hintersten Ofenwinkel, die Flötz mit ihren Ziegelplatten mußte sich in reines Rot kleiden und selbst die Gred vorm Hause wurde mit Besen und Wasserbächen solange bearbeitet, bis auch sie ihr Festgewand herauskehrte und zum Schutze dieser Zier wurde langes Roggenstrohausgebreitet und ein solcher Schütt obendrein noch eigens vor die Haustür gelegt als ernste Ausforderung, die mühevolle Reinigung auch zu beachten und weh dem Knecht und Bauer, der es etwa übersah und mit seinen Holzschuhen die Stube betreten wollte, keifende Weiber mit drohendem Besenstiele hätten ihn unliebsam daran erinnert; selbst dann wenn der Oberknecht nachmittags mit grünem Laub und den roten Früchten des Pfaffenkäppchens Bilder und Spiegel der Stube festtäglich umkränzte, mußte er seine Schuhe vor der Haustür ausziehen und durfte nur »in Strumpfsocken« den Raum betreten, von den übrigen Knechten war inzwischen auch der Hofraum zu Ordnung und Sauberkeit geführt, ja selbst die unvermeidliche Dungstätte hatte nach Möglichkeit ein manierlicheres Aussehen erhalten, damit, wenn schon um drei Uhr nachmittag mit allen Glocken Feierabend geläutet ward und der Zachäus zum Turmknopf hinaufstieg und seine weiße Fahne mit dem roten Kreuze im Winde flatterte, alle werktägliche Arbeit ruhen konnte und doch Haus und Hof bereit war für die Festesfeier. Nur in der Küche dampfte der große Herd unentwegt weiter im Feuer des mit Sorgfalt schon im Winter auserlesenen Küchelholzes, um Berge von Kücheln, Hubberln, Schaitenkücheln und Semmelkoch vorzubereiten für den Kirchtagsschmaus selbst und nicht minder für den »Kirtabschoad«, welchen man jedem Kirchweihgast einbinden mußte.

War dann endlich der Festtagsmorgen selbst angebrochen, dann rollten wohl so um 8 Uhr herum allmählich die Kutschen der Kirchtaggäste zum Hoftore herein – alle Vettern und Basen in nicht engherzig eingedämmter Verwandtschaft, Göd und God nebst der näheren Gevatterschaft mußten zu diesem Tage kommen und man hätte es als arge Beleidigung erachtet, wenn man sich nicht gegenseitig zur Kirchweih besucht hätte, sofern es irgend tunlich war. Die weitbauchige, bunt bemalte Kaffeeschale wartete ihrer neben einer Fülle von Backwerk aller heimischen Art. Dann kam die Zeit des Hochamtes und das mußte, wenn irgend möglich, dreispännig, das heißt levitiert sein und in gemeinsamem Zuge wallte man zur Kirche und jedes trug sein Kirchtagsträußchen; die Frauen am Mieder, die Männer am Hute und die Burschenschaft trug gleich ein ganzes Krähennest von einem mächtigen Rosmarintriebe um den Hut, welchen eine gütige Schwester oder sonst eine liebe Bekannte verehrt hatte und der dann am Nachmittag mit einem entsprechend großen, lebzeltenen Herzen vergolten werden mußte. Nach der Heimkehr aus der Kirche ist auch bald Zeit zum Festessen: Suppe mit Bratwürsteln und gebackenen Knödeln, zweierlei Voressen aus Schweinslunge und »Gansjung« mit altbayrischen Semmelknödeln, dann Fleisch, gesotten und gebraten in drei- bis vierfacher Auflage, dazu Berge von Backwerk, all dies soll vertilgt werden und etwas versuchen muß jeder Gast von allem Gebotenen, will er die Hausfrau nicht kränken. Dabei geht der Bauer selbst ab und zu und füllt die Gläser, ausgiebige alte Lengtaler Maßgläser in bunten Farben, mit dem schäumenden Gerstensafte, der reichlich genug im Keller verstaut ist. Aber nicht bloß bei den Kirchweihgästen wird aufgetragen, daß sich der Tisch unter der Last durchbiegen möchte, am Dienstbotentische geht es an diesem Tage ebenfalls hoch her. Am Kirchtag darf das Fleisch nicht wie sonst in einzelnen Stücken vorgelegt werden, sondern es muß in solcher Menge geboten werden, daß jeder nach Belieben essen kann und doch noch ein Rest verbleibt. Weh der Bäuerin, die an diesem Mahle knausern möchte und dem Oberknechte zu sparsam scheint, da würde lieber bis zum Übermaß gegessen, bis auch das letzte Stücklein aus der Bratreine verschwunden wäre und dann solange laut und vernehmlich mit dem Löffel in der leeren Reine gekratzt, bis die Bäuerin beschämt neuen Vorrat herbeischafft und selbst wenn nichts mehr davon gegessen werden kann, aufgetragen muß er werden, um ja die alte Sitte nicht verkommen zu lassen. Was indes ein guter Bauernmagen unter Umständen vertragen kann, ist erstaunlich. So erzählte man sich zum Beispiel jahrelang noch die Rekordleistung eines Dreschers, allerdings auch ein Kerl von mächtiger Statur und Kraft, der eines Mittags sich gleich vierundzwanzig, gewiß nicht kleine »Maultaschen« auf seinen Teller häufte mit der Bemerkung »wenn es noch nicht genug ist, kann ich ja immer noch nachfahren« und wirklich verzehrte er ohne jegliche Beschwernis die vielen schmalztriefenden Dinger bis auf den letzten Rest.

Hat man dann nachmittags bei der kirchlichen Vesper noch einmal Gott die Ehre gegeben, dann begibt sich das jungerwachsene Volk zum Kirtatanz, die gestandene Männerwelt aber macht einen kleinen Verdauungsbummel in Hof und Feld; Pferdemusterung und Felderschau läßt sie wieder ganz Landwirte werden und bei der Gelegenheit fällt man wohl auch bei einem lieben Nachbar zu kurzem Heimgarten ein oder findet sich schließlich wieder im Wirtshause im Kreise guter Bekannten. Auch das weibliche Geschlecht mustert die ihr eignende Domäne: Kuh- und Schweinestall, Geflügelhof, der mächtige Leinenschrank und die von Federn strotzenden Brautbetten der Kinder werden in Freude und Stolz gezeigt und so vergeht in lebhaftem Meinungsaustausch über hausfrauliche und mütterliche Sorgen und Pläne die Zeit. Zwischen hinein kommen auch noch andere Kirchweihgäste zu kurzem Besuch, so daß der Tisch nicht leer wird von Speisen und der Krug noch oft zur braunen Quelle wandert, bis allmählich die Zeit heranrückt, wo die Gäste nach und nach sich anschicken zur Heimkehr. Noch einmal hebt dann der Bauer die frische Maß zum Abschiedstrunk empor und die Bäuerin reicht den gut bemessenen Kirtabschoad an Fleisch und Backwerk hinein zum Andenken an den frohen Tag auch für jene, die nicht daran persönlich teilnehmen konnten. Ist dann der letzte Gast mit lustigem Peitschenknall abgezogen, setzen sich Bauer und Bäuerin zum Hausrate wohl zusammen. Es war heut ihr Ehrentag, wo sie zeigen sollten und wollten, was Haus und Hof zu bieten vermag und nun überschauen sie kritisierend ihre Leistungen, ob sie auch wirklich allseits Ehre eingelegt haben, ob alle erwarteten Gäste auch eingetroffen und was allenfalls noch für den morgigen Tag zu erhoffen, denn ohne Ehre und Mühe soll auch der Nachkirta nicht vergehen.

Am Montag wird das Festgewand mit dem einfacheren Sonntagskleide vertauscht; Feiertag ist aber auch heute noch; jede nicht unbedingt nötige Arbeit ruht und man braucht fast diese Ruhe, um sich zu erholen von dem, was man gestern des Guten zuviel getan. Am Vormittag ist noch feierlicher Gottesdienst für die Verstorbenen, dem alles, was abkömmlich ist, beiwohnt, am Nachmittage tanzt die nimmermüde Jugend wieder, die Dienstboten bringen einen Teil ihrer Festesgaben an die Angehörigen, vereinzelte Gäste finden sich immer noch ein und wenn es auch im allgemeinen nicht mehr so überschwenglich hergeht wie am Haupttage selbst, von dem großen Schlachtfeste ist immer noch so viel übrig, daß ein reich besetzter Tisch geboten werden kann. Erst am Dienstag ebbt die Festesfreude etwas ab und gleicht sich mehr dem allgemeinen Werkeltage des Jahres an, aber ein klein wenig überstrahlt der Lichtschein des Festglanzes immer noch den Rest der Woche und wo es ganz groß und herrlich herging, da war sogar der Oktavtag noch einmal ein kleinerer Festtag, der Kuglkirta, der aber mehr bei dem Dorfwirte ausgegessen und ausgetrunken ward.

»A gscheida Kirta
Dauert Monta und Irta,
Es kannt sie aba schicka
Ah noh bis zum Mikka.«

So singt ein altes Lied.

Die Allerweltskirchweihe am gleichen Sonntag des Jahres hatte diesem alten Kirchtag schnell ein Ende bereitet und es war zum guten Teile gar nicht recht darum schade, denn diese übertriebene Gasterei war doch sicher ein sehr unnötig Ding, habe ich doch selbst bei einem solchen Kirchtag in Großvaters Haus weniger aus eigenem kleinen Unverstand, als vielmehr durch den Unverstand der Großen und Alten das erste Zeichen meiner Manneswürde in der Form der ersten Hose mit einem kleinen Räuschchen eingeweiht, das mein Köpfchen früh am Nachmittag schon müde auf die Bank legte, und hat manchen reichversippten Großbauern neben all dem, was der eigene Hof liefern konnte, noch an die zwei- bis dreihundert Gulden gekostet. Dabei darf man allerdings nicht übersehen, daß eben auf den Kirchweihtag vieles zusammengedrängt ward, was auch sonst unterm Jahre einmal hätte doch geschehen müssen und wenn gerade das »Kirtagewand« größere Ausgaben erforderte, so war es auch entsprechend wertvoll durch seine Haltbarkeit; so eine schwere, hirschlederne Hose kostete allerdings zwei Karolinen oder sogar etwas mehr noch, aber sie blieb auch jahrelang ein schönes Festkleid, noch längere Jahre diente sie dann als Sonntagsgewand und wenn sie auch dafür untauglich schien, so war sie noch lange Zeit ein fast unzerreißbares Werktagskleid, das man nach Bedarf für 42 Kreuzer bei dem Säckler wieder schwärzen ließ, um immer wieder anständig zu erscheinen und ein Burnus, zu dem man neun Ellen Tuch brauchte, weil er dreimal um den Leib geschwungen wurde, hielt aus fürs ganze Leben. Damit waren aber diese Gewandstücke im Verhältnisse billiger als unsere modernen Kleider, die infolge der wechselnden Mode für keine Lebensdauer berechnet sind.

Solch einen großen Kirchtag hatte sich nun einmal Weiberlist ausersehen, um des eigenen Herzens Pläne gegenüber dem unbeugsamen Willen ihres Eheherren durchzudrücken. Feldkirchen hieß das Dörflein, denn sein Kirchlein war eine echte Wieskirche, mitten im Felde nicht einmal von einer eigenen Mauer umgrenzt, über deren Gründung nicht einmal mehr die Sage zu berichten weiß; die Inneneinrichtung, besonders die halb lebensgroße Holzstatue des heiligen Michael mit dem flammenden Schwerte in der hocherhobenen Rechten und die Wage der Gerechtigkeit in der Linken verweist zum mindesten auf die alten Zeiten der gotischen Baukunst. Seine Kirchweihe wurde am Sonntag nach Portiunkula gefeiert, also gerade zu einer Zeit, wo der Bauer gute Gelegenheit hat, Feste feiern zu können; der Ernte Segen ist unter Dach gebracht, die Neubestellung der Saat drängt noch nicht allzusehr, da mag nun leicht Mensch und Tier auf ein paar Tage von der Arbeit ruhen und sich seines Lebens freuen. Zu diesem Kirchlein gehörten aber nur drei Höfe: zwei Großbauernhöfe auf der einen Seite des Bachtales und ein Halbbauernhof auf der andern Seite bei der Kirche und dennoch bestand auch zwischen diesen wenigen Häusern keine nähere freundnachbarliche Beziehung. Die Großväter der beiden Bauern waren noch fast die ganze Zeit ihres Lebens in gerichtlichen Streitigkeiten gegeneinander gelegen. Jeder von ihnen hatte nämlich das Fahrtrecht durch den Hof des andern; die Talebene war so enge, daß die Gebäulichkeiten der großen Höfe sie ganz ausfüllten und so mußte jeder, wenn er auf der Gegenseite seines Hofes etwas zu suchen hatte, den andern Hof durchqueren und damit war vielfache Gelegenheit zu allerhand Reibereien und lästigen Neckereien gegeben. Die Väter hatten sich dann des Streitens müde wohl verglichen, aber zu einem rechten Frieden war es dennoch nicht gekommen, man ging ohne offenen Streit nebeneinander her. Diese harten, eigensinnigen Bauernköpfe bekehren sich nicht leicht ganz, wenn sie ihre Rechte für verletzt wähnen, sie halten es für genug, wenn sie sich so weit beherrschen, daß nicht immer wieder das Feuer offener Feindseligkeit lichterloh brennt. Und alle zwei Großbauern waren wieder dem Halbbauern nicht recht gewogen. Der geringere Feldbesitz ließ ihn einerseits übertriebenem Stolze nicht ganz ebenbürtig erscheinen, obschon man allgemein wußte, daß ihm so viel an Geld und Geldeswert in schwerer Truhe lag, daß er leicht sich einen größeren Hofbesitz hätte erwerben können, wenn es ihm danach gelüstet hätte und anderseits verdroß es beide erst recht, daß gerade der kleinere die besten Felder auf der Sonnenseite des Tales sein Eigen nennen und damit fast immer auch eine reichere Ernte einheimsen konnte. Dadurch waren Ehrgeiz und Neid immer kleine Funken, die im Geheimen fortglühten und treunachbarliche Freundschaft nicht voll aufkommen ließen. Doch dies alles betraf nur die Alten, die Jugend dagegen sorgte sich nicht viel um den Zwist der Väter; der gemeinsame Schulweg brachte sie zusammen und wenn daheim Jugendlust sie zum Spiele führte, waren sie aufeinander angewiesen. Nun hatten aber der Hofbauer, wie der eine Großbauer hieß, und der Halbbauer Wiesbeck seinerzeit kurz nacheinander die elterlichen Höfe übernommen und der Ehesegen war im Laufe der Jahre eigenartig verteilt; bei dem Hofbauern erschien Junge um Junge und nur das jüngste Kind war ein Mädchen, bei dem Wiesbeck dagegen legten sie Mädchen um Mädchen in die Wiege, bis ihnen endlich ein Hoferbe beschieden ward. So war es denn natürlich, daß sich die Kinder beider Familien im jugendlichen Verkehr mehr und mehr befreundeten und besonders die jüngsten zwei schloßen sich so aneinander, daß sie sich später auch für das Leben einen wollten, um Leid und Freud in Liebe gemeinsam zu tragen. Doch diese Absicht stieß auf harten Widerspruch von Seiten des Hofbauern, der für seine Einzige unbedingt nur von einem Großbauernhofe hören wollte und deshalb den kleineren Bewerber entschieden zurückwies, so sehr sich auch die Mutter mit der ganzen hausfraulichen Macht und Redekunst dafür einlegte. Doch ein Mutterherz ist stark und darum auch erfinderisch, wenn es gilt, den Herzenswunsch eines Kindes, der nach reiflicher Überlegung nur zu billigen ist, seiner Erfüllung entgegenzuführen. Da gütliches Zureden den Starrsinn des Mannes allein nie beugen würde, blieben nur heimliche Wege übrig, die aber dennoch in vollen Ehren das gewünschte Ziel erreichen sollten und im Grübeln mancher schlaflosen Nachtstunde reifte allmählich ein Plan, der zum Ziele führen mußte, wenn der Dickkopf des Mannes sich nicht selbst und sein Kind bloßstellen wollte und dafür hielt sie ihn doch zu lieb und gut. Als Werkzeug dazu erwählte sie die Firmpatin der Tochter, die Bäuerin von Dürrenhardt und unter dem Vorwande, diese einmal wieder zu besuchen und zur Kirchweihfeier einzuladen, fuhren Mutter und Tochter alsbald dahin. Dort gab es nun bald bei dem erregenden Dufte der dampfenden Kaffeeschalen eine kleine Herzensbeichte zwischen Patenkind und Godl, die mit der sehnlichen Bitte um kräftige Beihilfe schloß. Dann wurde gemeinsam der von der Mutter entworfene Plan eingehend beraten und schließlich auch als in allen Ehren durchführbar angenommen und die Patin sicherte der geliebten Godl tätigste Mitwirkung freudig zu, war ihr doch selbst diese Gelegenheit doppelt willkommen, weil sie ihrerseits auch schon lange stille Herzenspläne geschmiedet hatte, zu deren Ausführung der kommende Kirchtag den Anstoß geben sollte. Die Dürrenhardterin war seit Jahren schon Witwe und nunmehr froh, weil ihr Ältester so weit herangewachsen war, daß sie ihm die Führung des Hauswesens anvertrauen konnte. Dazu hatte sie aber auch schon in mütterlicher Sorgfalt unter den heiratsfähigen Töchtern der Umgebung stille Musterung gehalten; sie suchte für den Sohn, dessen Herz sie noch ungebunden wußte, eine brave Lebensgefährtin und tüchtige Hausfrau, die aber zugleich auch für sie selbst eine gute Schwiegertochter sein sollte. War sie doch erst über die Schwelle der fünfziger Jahre geschritten und vollauf gesund und schaffensfreudig, so daß sie sich noch nicht nach der stillen Ruhe des kleinen Ausnahmshäuschens sehnte, sondern immer noch mitraten und auch mittaten wollte im großen Haushalt des ganzen Hofbetriebes.

Der Dürrenhardter Besitz war ja gewiß nicht schlecht bestellt, an Tagwerkszahl sogar vielen umliegenden Höfen überlegen, aber an Güte und Ertragfähigkeit des Bodens war er minderwertiger als die im Tale gelegenen Güter, der kiesige Untergrund ermöglichte vielfach nur Waldbestände und dadurch konnte erst der Enkel voll ernten, was der Großvater gepflanzt. Deshalb forderte die Bewirtschaftung des Gutes Fleiß und Mühe von seiten des Herrn und haushaltenden Sinn von der Herrin. Da war nun ihr Sinnen und Suchen bei der jüngsten Wiesbecktochter von Feldkirchen stecken geblieben; zwei Schwestern derselben hatten bereits das Ordenskleid genommen und dies konnte nur ein sicheres Zeichen dafür sein, daß die Erziehung im Hause Wiesbeck eine vorzügliche gewesen sein mußte und nur Gutes erwarten ließ auch außer den Mauern eines frommen Klosters. Die Hofbäuerin konnte jetzt diese gute Meinung nur vollauf bestätigen und so sollte nun die dortige Kirchweihfeier Mutter und Sohn Gelegenheit geben, die bindenden Fäden anzuknüpfen und wenn irgend möglich, so zu verdichten, daß es glücklich zum ersehnten Ziele führen mußte. Im Laufe von wenigen Stunden waren somit gleich zwei gewichtige Heiratspläne gefördert worden und als die Frauen voneinander Abschied nahmen, trugen sie die stille Hoffnung im Herzen, daß es auch gelingen würde, denn wenn einmal drei Weiber zusammen mit ihrer List einen Mann umgarnen und einspinnen, dann müßte dieser wohl recht sorgsam auf der Hut sein, daß sie ihn nicht dennoch an seiner eigenen Nase dahin geleiten, wo sie ihn gegen seinen Willen haben wollen, und besonders dann, wenn es sich darum handelt, eine gewünschte Heirat anzustiften, entwickeln Frauen nicht selten eine staunenswerte Gewandtheit.

Der ersehnte Kirchtag kam und brachte als ersten Gast die Firmgod der Tochter und ihr Gefährt lenkte deren Ältester, welcher dem Plane der Mutter nicht abhold war. Froh begrüßt vom Patenkinde und den Eltern lud sie sich gleich für die zwei Tage zu Gast, indem sie neckisch meinte: »Einmal noch möcht ich mit meiner Godl länger beisammen sein, vielleicht ist es ja ohnehin der letzte Kirta im Elternhause und sie kocht übers Jahr schon selbst einen neuen Kirta im eigenen Heim.« Der Bauer bemerkte den schelmischen Blick, der seiner Tochter galt, aber ahnungslos deutete er ihn nach seiner Weise und war es zufrieden, indem er ebenso gutgelaunt erwiderte: »Für euch zwei werden meine Weiber schon ein Unterkommen finden und für die Rösser hat der Hofbauer alleweil noch ein Stümpfl Hafer übrig.« Der Vormittag bis nach der Vesper verlief im altgewohnten Geleise, nur die drei Weibsleute hatten sich auffällig oft etwas scheinbar Geheimes zu sagen, das aber froher Natur sein mußte, weil ihre Augen dabei fast in übermütigem Glanze leuchteten. Als die Männer nach dem Rundgange, der heute besonders den Tieren auf der Fohlenweide gegolten hatte, sich wieder zu stillem Trunke setzen wollten, trat die Dürrenhardterin diesem Vorhaben entgegen, indem sie mit unbefangen heiterer Miene die Männer zur Begleitung auf die Kirchtagsfestwiese einlud. »Du weißt ja, Gevatter,« sprach sie, »daß ich meinen Buben von unserer Einöd mit hergebracht habe und ich möchte ihn ein wenig zum Kirchweihtanz führen und meine Godl nehme ich auch mit, da stünde es dir ganz schön an, wenn auch du als Ehrenvater uns begleiten möchtest und die andern gehen wohl auch mit; ob wir hier plaudern oder drunten, bleibt sich gleich und vielleicht gibt es dort sogar lebhaftere Unterhaltung.« Ohne Bedenken gab der Hofbauer seine Zustimmung: »Freilich, freilich,« meinte er mit seinem Lieblingsworte, »die jungen Leute sollen heut lustig sein dürfen, meine Buben werden ehe schon drunten sein.« Damit war der erste Schritt zu dem Schelmenplane gebilligt, der nun unaufhaltsam seinem Ziele zuführen sollte.

Nachdem das Dörflein kein eigentliches Wirtshaus besaß, war die ganze weltliche Kirchweihherrlichkeit auf einer Wiese des Talgrundes aufgezogen. Der Wirt vom nahen Pfarrdorfe hatte dort seine Bierbude errichtet, auf Bänken von rohen Brettern saßen die Gäste, welche sich des Kirchweihtrunkes beflissen; hinter den Bänken vergnügte sich die erwachsene Jugend auf der improvisierten Kegelbahn, aber es war dabei nicht Kugel noch Kegel da, sondern nur neun obenzugespitzte Holzkeile dienten als Kegel und mit einem zehnten ähnlichen Holzstücke warf man danach und gerade die ungewohnte Art des Spieles reizte erst recht zu frohem Lachen, wenn so manch ein Wurf recht ungeschickt ganz und gar das Ziel verfehlte. Auf der andern Seite hatte der Lebzelter aus der Stadt seinen besser eingerichteten Standplatz aufgeschlagen. Dort rieselte die süße Quelle des Honigmetes und Zuckerbäckereien, vorab aber eine kleine Menge lebzeltener Herzen, mit Bildern und Sprüchen verziert, warteten auf männliche Käufer und weibliche Genießerinnen. Im Hintergrunde lärmte die Drehorgel zur Rundfahrt auf dem Praterer, wo die Schuljugend um einen Kreuzer Geld oder auch für Hingabe eines Küchels sich im Kreise drehen ließ, die Mädchen in den schaukelnden Kutschen, die Buben auf Pferden und am Außenrande die halbwüchsigen derselben, welche sich im Ringelstechen übten, denn wer das eiserne Ringlein mit seinem Eisenstäbchen aus dem blechernen Zeiger holte, durfte zum Siegespreise noch eine Freifahrt zu gleichem Wettstreite wagen. Die Mitte des Festplatzes aber war für den Tanz freigelassen. Auf einer erhöhten Tribüne saßen die wenigen Musikanten: der schwerfällige Bombardon brummte den Takt, die hohen Töne der Klarinette führten den Reigen, begleitet noch von einer Trompete und verbunden mit den Klängen einer frohen Fiedel; es war demnach nicht klangreiche und künstlerisch befriedigende Musik, aber tanzlustige Beine fragten nicht viel danach, sie lockte und genügte zum einfachen Tanze und hatten einmal die schweren Bauernstiefel die kurzen Stoppeln der Grummeternte im ruhigeren Sechsschritt niedergestampft, so konnte man wohl auch einen Schottischen schleifen oder einen Walzer drehen und da die liebe Augustsonne dazu hell herniederleuchtete, mundete nach der Mühe auch wieder ein frischer Trunk.

Als unsere Kirchtagsgesellschaft auf der Festwiese anlangte, ging es bereits lebhaft dort zu, Burschen und Mädel drehten sich lustig im Reigen und auch die Bierbänke waren schon so ziemlich gut von auswärtigen Kirchtagsgästen besetzt, so daß man erst suchen mußte, wo genügend Raum zu seßhafter Ruhe sich finden ließ, und mit Geschick leitete die Firmpatin den Gevatter so, daß er dem Tanzplatze den Rücken kehrte, während seine Gäste gegenüber Platz nahmen, so daß es Gelegenheit zu leichter Zwiesprach gab, aber auch Augenzeugen für alles, was sich nunmehr plangemäß abwickeln sollte. Als danach ein Trompetenstoß die junge Männerwelt aufforderte, sie sollte wieder ihr Sechserlein in das aufgestellte »Musikantenteller« legen und sich zum neuen Tanze aufreihen, da bat der junge Dürrenhardter den Hofbauernvetter um die Ehre, seine Marie zum Tanze führen zu dürfen. »Freilich, freilich« stimmte dieser zu und wollte sich schon erheben, um das Paar zu geleiten als die Gevatterin rasch einsprang: »Bleib du nur da, sprach sie ihm zu, ich gehe mit und du wirst sie mir wohl anvertrauen dürfen«, und ihm war's völlig recht, denn das lebhafte Gespräch war schon wieder in echt bäuerlichem Fahrwasser angelangt, im Austausch der Erfahrungen und Meinungen über Feld- und Viehwirtschaft.

Der junge Wiesbeck stand bereits in der Nähe des Tanzplatzes, aber er sah fast teilnahmslos zu; die ausgelassene Lustbarkeit war ihm an sich nicht zu eigen, er war in dem biederen, kernig frommen Geiste seiner Familie erzogen worden und der Einen, mit der er wohl in Ehren den Tanz hätte wagen mögen, mußte er fernbleiben, weil er den Trotz ihres Vaters nicht mehren wollte und wie er nun seine Marie sich mit einem andern froh im Tanze drehen sah, da wollte ihm schier das Herz verzagen und seine Hoffnung sank um ein gut Teil niederer. Aus diesem Sinnen wurde er unerwartet durch einen nicht ganz zarten Rippenstoß geweckt und als er daraufhin umsah, stand die Dürrenhardterin hinter ihm, die auch mit seiner Familie noch so weit verwandt war, daß man sich immer noch als Vetter und Base ansprechen durfte, und in ihrer tatkräftigen Art griff sie auch gleich bei ihm ein, indem sie ihm zuflüsterte: »Armer Kerl, schau' doch nicht so traumhappet drein, als ob dir die Hennen dein Butterbrot vom Munde weggeholt hätten! Vielleicht kommt es dennoch anders als du fürchten magst, aber jetzt geh' und hole deine Schwester Nandl, damit die Marie nicht so allein dasitzen muß!« Gehorsam wie gegen den Befehl einer Mutter folgte er der Aufforderung und da sein Heim ganz nahe lag, war er mit der Schwester zurück als gerade die Tanzrunde zu Ende war. Wie eine Henne ihre Küchlein führte nun die Dürrenhardterin ihre jugendliche Begleitung zum Tische zurück und ihr eigener Frohsinn in Verbindung mit einem Mundwerke, das sich rühren konnte wie wenn es stets mit bester Butter geschmiert wäre, brachte bald eine lebfrische Unterhaltung zwischen jung und alt zustande; nur der Hofbauer nahm nicht daran teil, weil er bereits mit einem Vetter in Kaufverhandlungen wegen seiner zwei jungen Pferde eingetreten war, und bis zwei Bauern über einen wichtigen Pferdehandel eins werden, braucht es viele Worte und lange Weile. Darum achtete er auch gar nicht mehr darauf, daß unter der Hut seiner Gevatterin sich immer wieder zwei gleiche Paare zum Tanze einfanden, ja sich sogar unter Anschluß seines jüngeren Bruders für einige Zeit zum Mettrunke begaben. Von diesem übersüßen Honigtranke kann man ja nicht viel genießen, aber dieser Brauch gab zugleich die beste Gelegenheit, Herzen sich zu schenken, Herzen aus Lebzelten, aber auch andere, lebens- und liebewarm. Lange wählten denn auch die beiden Burschen unter dem süßen Vorrate, bis es ihnen gelang, eines zu finden, dessen Sprüchlein ungefähr das ausdrücken mochte, was ihr eigenes Herz sich nicht recht noch zu sagen getraute.

»Daß mein Herz dir allein gehört,
Weißt ja schon lang;
Ob dein Herz mir ganz gehört,
Darum ist mir bang?«

hieß das Verslein für Marie; der Dürrenhardter ließ dadurch andeuten:

»Dies Herz, es soll dir sagen,
Daß ich in Liebe dein gedenk;
Wenn du mein eigen Herz willst haben,
So nimm es hin als froh Geschenk!«

Die beiden Mädchen lasen die ihnen zugedachte Botschaft und beide mußten wohl den wahren Sinn ahnen, denn sie legten die Herzen verkehrt auf den Tisch, damit niemand anderer die Sprüche lesen sollte und saßen mit träumendem Blicke schweigend da. Maries schalkhafter Onkel jedoch nahm sich dennoch die Freiheit, die beiden Herzen einer näheren Besichtigung zu unterwerfen und sie bei dem Zurücklegen zu vertauschen; doch die beiden Mädchen hatten seinen Versuch genau beobachtet und machten rasch sein scheinbares Versehen durch Umtausch wieder gut. Ein schneller Blick des Verständnisses bestimmte die alte Ehrengarde, die überwachte Jugend aus dem Banne der augenblicklichen Stimmung zu erlösen und zur übrigen Gesellschaft zurückzukehren, weil ja unterdes auch Zeit geworden war, an die Heimkehr zum Hofe zu denken zur Rückfahrt der verschiedenen Gäste des Hauses. Den Heimweg aber benützte die Dürrenhardterin noch, des Bauern Bruder in ihr Geheimnis ganz einzuweihen, um an diesem Tage noch das Eisen so zu schmieden, daß es sich der gewollten Form fügen mußte und dieser sagte freudig seine Mitarbeit zu, weil auch er das Herzensglück des Kindes höher wertete als den Besitz des größten Bauerngutes.

Das starke Standesbewußtsein der Großbauern, namentlich der alteingesessenen Freibauern, das sich allerdings vor dem Jahre 1848 manches Mal als übertriebener Bauernstolz gegenüber den Kleineren unangenehm bemerkbar machen konnte, hatte aber auch wieder sein Gutes. Der ungeschriebene, aber von den Eltern auf die Kinder zähe vererbte Ehren- und Sittenkodex beherrschte wie ein ehernes, unzerreißbares Band die gute Sitte und wirkte auch noch durch manche Generation über das Sturmjahr hinaus nach. Weh dem Hofbesitzer, der nicht für sich in Ehren allwegs bestand oder der auf seinem Hofe offene Unsitte duldete. Die allgemeine Achtung kehrte sich ohne Rücksichtnahme von ihm ab, auch die nächsten Verwandten hielten mit ihrer Mißbilligung nicht zurück und selbst die guten Dienstboten mieden freiwillig den Dienst auf seinem Hofe. Doppelt weh darum dem Bauernkinde, wenn es irgendwie gegen gute Sitte und Anstand grob verstoßen hätte. Die heilige Feme hätte nicht schärfer urteilen können als der Volksmund richtete. Jedes ehrenhafte Bauernhaus wäre solchem fortan zur Einheirat unwiderstehlich verschlossen geblieben und nicht bloß das fehlende Kind traf die Mißachtung, auch auf die ganze Familie übertrug sich ein Teil davon. Wenn darum auch die Bauerntochter an Kirchweihen oder ähnlichen Gelegenheiten zum offenen Tanz gehen durfte, mußte es unter Schutz- und Ehrenbegleitung geschehen. Brüder und Vettern achteten sorgsam auf die Ehre der ihnen Anvertrauten und verteidigten sie im Notfall mit der Kraft der Fäuste, zumeist aber begleiteten sie die Väter selbst und während sich das junge Volk auf dem Tanzboden vergnügte, saßen die Alten nebenan in der Stube und hielten gemeinsam treue Wacht, daß auch die Freude in ehrbaren Grenzen blieb. Um das abendliche Gebetläuten aber sollte alles wieder daheim sein, bei dem gemeinsamen Nachtgebete wollte der Hausvater Familie und Hofgesinde um sich haben. Wenn nun bei solchen Gelegenheiten so wie es an diesem Kirchtage geschehen war, ein Mädchen immer nur mit dem gleichen Burschen tanzte und ihm vor allen andern offen den Vorrang gab, dann sah man darin allgemein ein Zeichen der öffentlichen Verlobung, auf das nicht allzu spät auch das kirchliche Aufgebot der beabsichtigten Heirat folgen mußte, sollte nicht der bösen Leute Mund ihre Ehre antasten dürfen. Und darauf hatte Weiberlist ihren Plan gebaut: das wachende Auge des Vaters sollte durch das Vertrauen auf die begleitende Firmgod abgelenkt werden, so daß es selbst zwar nicht beobachten sollte, was scheinbar unter seiner Aufsicht und Zustimmung geschah, während alle andern es offen sehen konnten. Wenn der Vater dann hinterdrein vor die unabwendbare Tatsache gestellt sein würde, mußte wohl das Herz den berechnenden Kopf besiegen und zur Zustimmung veranlassen, um sich selbst und die Tochter nicht der Leute Hohn und Spott preiszugeben. Mochte er darüber auch brummeln und wettern, Kindesliebe und Frauengüte würden ihn zu besänftigen wissen. Auch das stärkste Ungewitter zieht vorüber und dann kehrt lachender Sonnenschein und stiller Naturfriede wieder zurück.

Nachdem die übrigen Kirchtagsgäste in gewohnter Weise verabschiedet waren, erklärte der Bruder seine Absicht, auch noch für den nächsten Tag verweilen zu wollen, weil er über das, was er auf der Kirchweihwiese gesehen, gern voll befriedigende Auskunft haben möchte. »Was wirst da wohl Großes gesehen haben,« meinte noch immer ahnungslos der Hofbauer, »daß du so neugierig bist?« »Was ich dort Wichtiges gesehen habe?« erwiderte scheinbar gereizt der Bruder, »was halt die ganze Verwandtschaft gesehen hat und alle Leute und halbwegs habe ich mich geärgert über deine Heimlichtuerei, daß nicht einmal der Bruder etwas darüber erfahren durfte, daß seines Bruders einziges Dirndl bald Hochzeit halten wird.« »Die Marie soll Hochzeit halten?« stieß der Hofbauer erregt hervor, »das kann nicht wahr sein, davon müßt' ich doch zuerst etwas wissen.« »Und doch wird es wahr werden,« gab milde einlenkend der Bruder zur Antwort, »hast es ja selbst sehen und wissen müssen, daß deine Marie unter deinen und der God Augen die ganze Zeit nur mit dem Wiesbeck-Jungen getanzt hat; das gilt aber doch alleweile schon wie ein Verspruch vor aller Welt und daran wirst du wohl nichts mehr ändern wollen, so daß die Leute das brave Mädel in den Kot ziehen könnten.« »Kruzitürken noch einmal!« polterte da der Bauer los. »Wo habe ich da wieder einmal meine Augen und meinen Kopf gehabt? Die Suppe haben mir wieder die Weiber eingebrockt und ich soll der brave Lapp sein, der sie gutmütig auslöffelt; aber wart' nur, Weibervolk, ihr sollt meine Meinung zu hören kriegen!« Unmutig ließ er den Bruder stehen und schlenderte zum Hoftore hinaus, um allein zu sein, denn diese Geschichte ging allzusehr seinem Hoffen und Planen zuwider und doch sah er klar ein, daß unter den gegebenen Verhältnissen kein anderer Ausweg blieb als der, welchen der Bruder gezeigt hatte. Gerade deshalb grollte er aber auch über sich selbst, weil er sich so leicht hatte übertölpeln lassen. Mit diesen Gedanken beschäftigt war er ungewollt der Fohlenweide nahe gekommen und die jungen Tiere liefen sofort auf ihren Herrn zu, weil er sonst in der Regel eine Liebesgabe für sie bereit hatte. Heute war dies allerdings nicht der Fall, sie mußten sich mit dem liebevollen Tätscheln ihrer Hälse begnügen und wie die Tiere sich so zutraulich anstellten, wollte es ihm fast weh tun, daß er sie verkauft hatte. Er war ein Tierfreund und gerade die jungen Pferde, die unter seiner Obhut allmählich heranwuchsen, wurden seine Lieblinge und über ihrer Liebkosung verzog sich sein Groll gegen die ohne seinen Willen angebahnte Heirat mehr und mehr. »Ja, ja, so ist es,« meinte er schließlich mit echt bäuerlicher Philosophie, »wenn du die Tiere mit Mühe groß gezogen hast, mußt du sie andern überlassen und wenn deine Kinder erwachsen sind und glauben, selbst gehen und stehen zu können, dann verlassen sie dich auch und fragen kaum, ob es dir auch recht ist. 's ist Elternschicksal; hast es selbst auch nicht anders gemacht und Mutter und Vater erst gefragt, als die Herzen schon entschieden hatten. Schlecht fährt ja das Dirndl gewiß nicht dabei und meine Rößlein wohl auch nicht. Also sag' Ja, Alter, es hilft nichts mehr, wenn du dich dagegen spreizest, halt den Wagen, der einmal im Lauf ist, nicht unnötig auf, sonst kommst du vielleicht selbst unter die Räder!«

So umgestimmt betrat er wieder sein Haus, wo das Abendessen bereits aufgetragen war. Aber es verlief ziemlich kleinlaut und gedrückt, weil man doch den Ausbruch eines Sturmes fürchtete und darum ward es bald auch beendet. Die Jugend drückte sich sogleich vor der Gewitterschwüle; an dem schönen Abend saß sie lieber auf der Gredbank und namentlich den zwei Hauptbeteiligten war das Herzlein doch etwas schwer, einmal schien ja wohl der Himmel voller Geigen, die zu frohem Leben spielten, dann aber schlichen sich wieder düstere Wolken für, die schwer und trüb herniederhingen, als ob es Regen geben sollte. In der Stube drinnen aber trat der Familienrat zusammen, der unerwartet schnell und gut verlief, weil nur zwei Redner zur Sache sprachen. Erst kehrte natürlich der Vater und Hausherr sein Vorrecht hervor, in seinem Hause schalten und walten zu dürfen ohne Einrede und Eingriff von anderer Seite und daran schloß sich eine Hausherrnpredigt über Vertrauensbruch und Weiberlist, die ihn hintergangen hatte. Aber man hatte bald aus seinen Worten gemerkt, daß das Unwetter schon ausgetobt hatte und das ganze Gerede nur mehr wie ein dumpfes Nachgrollen des Donners war, der nur noch aus der Ferne kommt, während schon lichte Sonnenstrahlen die letzten Regentropfen vergolden. Die Gevatterin ließ deshalb auch das Ungewitter ruhig über sich ergehen, sie stellte sich sogar, als ob sie ganz zerknirscht die Strafpredigt hinnehmen wolle, indem sie die Hände vor das Gesicht hielt und den Kopf mit den Armen auf den Tisch stützte, in Wahrheit allerdings nur, um so die schelmische Siegesfreude besser verbergen zu können. Deshalb schaute sie auch dem Hausherrn, als er geendet hatte, frohen Antlitzes ins Auge, das selbst nicht einmal mehr zornig blicken konnte und erwiderte: »Halb hast recht, Gevatter, das gebe ich dir gern zu, halb aber auch nicht. Lug nur selber einmal zu, wer für deine Marie mit mehr Liebe gesorgt hat, du oder ich? Du hättest am liebsten dein Dirndl um einen Großbauernhof verschachern wollen, wie du heut deine Rößlein an den Vetter verkauft hast. Aber für ein Roß bleibt sich vieles gleich, wo immer es ist, ziehen muß es da wie dort und wer hott oder wist kommandiert, macht keinen Unterschied, wenn es sonst nur gut in Futter und Pflege steht. Bei einem Menschen aber ist es anders, der möchte nicht nur einen guten Unterstand und einen vollen Futterbarren haben, sondern sein Herz und sein Gemüt möchte auch auf die Rechnung kommen, wenn das Leben nicht eine Schinderei sein soll, daß es Gott erbarmt. Da hat mich nun meine Godl gereut und deswegen habe ich mich so eingemengt und dich überlistet, weil ich sonst deinen harten Schädel nicht bezwungen hätte und ich freue mich für das Dirndl, daß du nachgegeben hast, es bettet sich gut im neuem Heim und sein Herz kriegt den, welchen es gern hat; das gilt mir mehr als der größte Bauernhof, denn ein Weiberherz kennt wieder nur ein Weib so ganz, ihr Männer seid oft zu grobschlächtig und tappt daneben. Dann glaube ich, dir noch etwas verraten zu können, was du bei deinem Roßhandel wohl auch nicht gesehen hast. An demselben Tage, wo deine Tochter Hochzeit hält, wird mein Bub auch Hochzeit halten und meine Godl wird dann meine Schwägerin und ich denke, wir zwei Alten bleiben erst recht wieder die Alten wie vorher. Gelt Gevatter! da hast meine Hand, sei wieder brav und gut!« Des Bauern Hand schlug versöhnt ein, wenn er auch noch scherzend meinte: »Trau einer den Weibern nur; wenn sie sich einmal etwas fest in den Kopf gesetzt haben, bist allemal der Betrogene.« »Macht nichts, Gevatter,« gab lachend die Patin zur Antwort, »deine Weiber können nichts Böses im Sinne haben, dafür sind sie zu brav, wie du aus langer Erfahrung weißt.« Und zustimmend mußte der Hausherr nicken. Nachdem so die gefürchtete Hauptschwierigkeit sich ruhig gelöst hatte, entschloß man sich gleich auch, die Sache ganz zu vollenden und dem Beisammensein an der Nachkirchweih durch die öffentliche Verlobung eine besondere Weihe noch zu verleihen. Die Patin übernahm es mit Freuden, ihrer Godl die frohe Kunde zu überbringen, sie sandte sogar noch heimlich auch dem Bräutigam durch einen Bruder Maries die gute Nachricht zu und als die Tochter die dargereichte Hand des Vaters mit Freudentränen netzte und ihm nur das einfache, herzliche »Vergelt's Gott, lieber Vater!« sagen konnte und dann beglückt sich zwischen Mutter und Patin setzte, da löste sich erst ganz die Spannung der Gemüter, die während des Tages so manche Herzen bedrückt hatte und der Tag endete mit Freude und Segen.

Als am zweiten Kirchtage der Gottesdienst zu Ende war, da ging man nicht wie sonst nach kurzem Gruße auseinander, sondern benützte gleich die erste Gelegenheit, um der Welt die künftige Schwägerschaft zu zeigen. Die beiden Väter reichten sich zum erstenmal wieder nach langen Jahren die Hand zum Gruße und während sie die Ordnung der Angelegenheit besprachen, brachte die Dürrenhardterin bei der Wiesbeckmutter ihre Brautwerbung an und ward mit Freuden angenommen, denn nach den Vorgängen des gestrigen Tages mußte man es ja erwarten und Eltern und Tochter hatten in der Nacht Zeit gefunden, Herz und Verstand darüber zu befragen.

Bald nach dem Mittagsmahle kamen denn auch Wiesbeck Vater und Sohn zum Hofbauern für die feierliche Brautwerbung. Da es sich nur mehr um die äußerliche Form eines alten Herkommens handelte, war die Sache bald erledigt und man ging sofort dazu über, auch die weitere Forderung der üblichen Brautschau im Hause der Familie Wiesbeck zu erfüllen. Nachdem man auch in dieser Sache gegenseitig zur Genüge unterrichtet war und zudem beide Teile ihren Stolz dareinsetzten, den neuen Hausstand so gut als möglich auszustatten, war auch diese Angelegenheit bald ins reine gebracht, so daß auch der zweite Akt der Feier sich sofort anschließen konnte, indem Dürrenhardt Mutter und Sohn in offizieller Form als Brautwerber auftraten. Wenn die jungen Herzen einig sind und der Sinn der Alten dabei willig, so ziehen sich solche Verhandlungen nicht in die Länge und bald war denn auch alles soweit als möglich geordnet, daß die Zeit der Doppelhochzeit festgelegt werden konnte.

Um nun auch gleich allen peinlichen Fragen und jedem unnötigen Gerede die Spitze abzubrechen, begab sich die ganze frohe Gesellschaft noch einmal auf die Kirtawiese und da trat der Hofbauer sofort vor die Musikantenbank, legte einen Kronentaler in das bereitgestellte Teller und forderte laut für alle Umstehenden vernehmlich einen eigenen, aber flotten Tanz für die jungen Hochzeitsleute und die sonstige Tanzrunde ehrte willig diesen Brauch und ließ den zwei Paaren völlig freie Bahn. Nachdem es nun wieder echte Altbayern-Gewohnheit ist, daß jede wichtige Handlung begossen werden muß, wie man ein junges Reislein, das man in die Erde senkt, tüchtig netzt, auf daß es froh wachse und gedeihe, ließ man sich auf der Bierbank nieder. Die Jungen mochten in ihrem Glücke tanzen, wenn sie Freude dazu hatten; heute brauchten sie als erklärte Brautleute keine eigene Ehrenwache mehr, sondern mußten selbst das neue Standesgefühl in allen Ehren zu wahren wissen. Die Alten plauderten froh bewegt von dem, was die Gelegenheit bot, von den Kindern und deren Zukunft in erhofftem Glück und Wohlergehen. Schon nach einer guten Stunde drängte indes die Dürrenhardterin zum Aufbruch; ihre Aufgabe hatte sie glücklich gelöst und nun wünschte sie ihre eigene Herdstätte wieder vor sich zu haben, um des Herzens Traum sich ruhiger hingeben zu können. Wiederum führte der Weg zum Tanzplatz und nun legte der Wiesbeck-Vater seinerseits einen andern Kronentaler hin und forderte auch einen eigenen Tanz, aber einen »staden, daß die Alten auch noch mittun können« und nun drehten sich drei alte und zwei junge Paare gemeinsam im ruhigeren Sechsschritt auf dem Wiesenplane und als sie geendet hatten, legte als Drittbeteiligte die Dürrenhardterin die gleiche Münze auf den Teller, indem sie mit dem Finger nach des Hofbauern Besitz hinwies und die Musikanten wußten, was der Fingerzeig bedeuten sollte; sie stiegen von ihrer Tribüne hernieder und unter den Klängen ihrer Instrumente zog die kleine Schar in dem Hofe ein und als der letzte Gast hinter der Haustür verschwunden war, schloß ein klangvoller »Tusch« der Musik die Feier würdig ab, das befriedigende Ende einer frohen Kirchweih mit außergewöhnlichen Ereignissen war gekommen. Das allseitige Abschiednehmen war nicht schwer, man wußte junge Herzen glücklich und auch für die Alten hatte sich ein neues Freundschaftsband geknüpft, überdies traf man sich ja bald wieder bei festlich-feierlicher Gelegenheit; das allgemeine Frohgefühl aber dürfte sich am besten wiedergeben lassen mit dem alten Schnaderhüpfl:

Hon lang mi schon g'freut
Auf dös kloan Kirterl, ja, ja!
Schad' war's, wenn's aus wär,
Kirterl bleib da, bleib da!

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