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Der Liebe Opfermut.

Wir Dorfjungen nannten ihn nur das alte Eisenmannl und so oft er wieder in seiner Heimat erschien mit den zwei Bräunln vor dem hochgespannten Blahenwagen, wußten wir auch, daß es für uns in den nächsten Tagen etwas zu schauen und zu wundern geben würde. Wenn er nämlich auf der Lehmtenne des Schindelbeckstadels sein altes Eisen, mit dem er landauf, landab handelte, ausbreitete und sonderte, so kamen viele Gegenstände zutage, welche unsere Neugierde hoch erregten, die wir dicht gedrängt am Eingange standen und mit lebhaften Blicken und Fragen seine Ware musterten. Verrußte Kupferkessel und Messingpfannen lagen auf einem Haufen, altes Zinngeschirr mischte sich darein, aber auch von Alteisen war manch ein Stück darunter, dessen einstigen Zweck wir nicht mehr erraten konnten. Besonders aber riefen die alten Waffen unsere Sehnsucht wach und wehmütigen Auges mußten wir es mitansehen, wenn er die alten Flinten und Pistolen um der Scheidung von Holz und Eisen willen zerschlug oder so einen alten Reitersäbel zerbrach, um die Klinge von dem Messinggriffe zu trennen, und das sonst liebe Eisenmannl tat klug daran, daß es uns Buben nicht allzu nahe an sein Bereich herankommen ließ, denn sonst wäre wohl die Neugier bei manchem Stück zur schlimmeren Habgier geworden und wir hätten es ihm davongetragen zu Spiel und Scherz.

In den Jahren meiner Jugend, die inzwischen dem Grauweiß der alten Haare gewichen ist, wanderte der alte Nußsteiner, wie er eigentlich hieß, allein und einsam neben den Pferden seine Straßen. Die Frühlingsfahrten galten dem Kissinger Wasser. Bei allen Apotheken hielt er an, lud die leeren braungelben Steingutflaschen auf und brachte sie auf dem Heimwege gefüllt wieder mit. Im Sommer dann ging es in verschiedenen Rundfahrten durch die Dörfer Niederbayerns und der Oberpfalz, um Alteisen einzuhandeln und es an die Eisenhämmer abzuliefern, die vom Sauforst bis hinauf zum Fichtelgebirg nicht gar selten waren und daraus neues Werkeisen schufen. Nur im Winter, wenn tiefer Schnee die Landwege fast unfahrbar machte, ruhte er daheim einige Zeit aus. Früher freilich war es anders gewesen, als seine geliebte Resl noch als Gattin an seiner Seite stand und ihrerseits einen Nebenhandel mit Kröninger Hafnergeschirr betrieb. Damals hätten wohl die Worte eines Zigeunerliedes von Fr. Ehegasser auf ihn gepaßt:

»Ich lenkte ein Gefährte,
Beschwert mit unserm Zelt;
Mit raschem Tritt der Pferde
Durcheilten wir die Welt.
Sie saß im Korbe oben,
Den Knaben in dem Arm;
Wenn ich den Blick erhoben,
Wie traf ihn ihrer warm!«

Aber sie hatte ihn früh verlassen und sein Kind hatte er fremden Leuten zur Erziehung anvertrauen müssen, weil er selbst dem fahrenden Gewerbe nachgehen mußte.

Nach Jahren war aber aus dem geistig geweckten Knaben ein Mann und ein gut geschulter Maurermeister geworden. Da gab nun der Vater dem einzigen geliebten Sohne ein ansehnliches (Erbe, mit dem er sich leicht ein eigenes Heim und Geschäft gründen konnte. Es war damals gerade die Zeit, wo Alt-München sich zu dehnen und zu strecken begann und neue Straßen aus neuen Häusern allmählich entstanden, so daß die Bauleute vollauf zu tun hatten, um alle Aufträge befriedigen zu können. Der junge Nußsteiner war jedoch bald nicht mehr damit zufrieden, bloß für anderer Pläne zu arbeiten, sondern er ergriff selbst die Gelegenheit, als Gründer aufzutreten, indem er geeignete Plätze erwarb, darauf nach eigenen Entwürfen baute und erst die erstellten Häuser wieder veräußerte. Dabei machte er gute Geschäfte und war bald ein reicher, angesehener Bauherr.

Zu dieser Zeit des Reichtums trug nun der Sohn dem Vater an, seinen eigenen mühevollen Eisenhandel aufzugeben und bei ihm in der Stadt sich die verdiente Ruhe des Alters zu gönnen. Doch dazu konnte sich der alternde Mann noch nicht ganz verstehen, aber zur Zeit der Winterruhe versuchte er es wenigstens, das Heim seines Sohnes als Rastplatz zu betrachten. Doch bald fühlte er, daß er da für ihn unwegsamen Boden unter den Füßen hatte, es ward ihm unbehaglich zumute. Dem an die Einsamkeit der Landstraße gewohnten Manne war das lärmende und bewegliche Getriebe der Großstadt zuwider; der ländlichen Einfachheit seiner heimischen Wohnung und der gewohnten Einkehrstätten widersprach allzusehr die Pracht und Ausstattung der neuen Wohnung; es fehlte ihm der freie Ausblick auf Feld und Wald. Die Stadt engte ihn ein und vor allem wußte der Arbeitsgewohnte nicht, wie er mit Nichtstun den lieben langen Tag ausfüllen sollte. Darum nahm er gern wieder Abschied und zog sich in sein eigenes ländliches Heim zurück. Da waren die lieben Pferde zu betreuen, am Wagen war manches zu richten, im Hause selbst gab es kleinere Arbeiten; so war es ihm lieber. Jeder Tag hatte seine Aufgabe und verschonte ihn vor der lastenden Langweile. Um aber dennoch einen Teil der Dankesschuld an den Vater abzutragen, baute der Sohn im folgenden Sommer, während der Vater auf der Handelsfahrt war, statt des alten Holzhauses ein neues Gebäude aus Stein, einfach wohl, wie es nach dem Sinn und Geschmack des Vaters sein würde, aber dennoch viel schöner und wohnlicher als die alte unansehnliche Herberge und diese Gabe nahm der Vater auch willkommen an.

Manche Aufgabe löste der Bauherr noch in den nächsten Jahren gut und gewinnreich, so daß er glauben mochte, das Glück würde ihm hold und zugetan bleiben, wenn er auch zu größeren Unternehmungen greifen würde. Bei anscheinend günstiger Gelegenheit bedachte er sich deshalb nicht, sondern legte sein ganzes verfügbares Vermögen durch den Ankauf eines ausgedehnten Baugrundes fest, um mit erborgtem Gelde, das dem bekannten Bauherrn willig zur Verfügung gestellt wurde, darauf luxuriöse Herrschaftsbauten aufzuführen. Aber gerade darin hatte er die Zeichen der Zeit mißdeutet. Das große Drängen nach neuen Wohnstätten war bereits im Abflauen und gerade die geldkräftigen Großen, für welche seine Bauten berechnet waren, hatten sich entweder schon vorher damit versorgt oder wollten sich vorerst noch nicht in den entfernteren Straßen ansiedeln und damit blieben seine Prachtbauten unverkauft, wodurch er selbst in Zahlungsschwierigkeiten geriet, wenn auf steiler Bergeshalde sich irgendwie ein Steinchen loslöst, so rollt es nicht allein weiter, sondern zieht andere auch in seine Bewegung mit hinein und schließlich poltert eine ganze Lawine von Steinen zu Tal. Der unglückliche Wanderer, welcher ihr nicht rechtzeitig entrinnen kann, wird dabei kaum heil und ohne Wunde bleiben. So ähnlich ging es nun auch diesem Bauherrn.

Die erste unlösbare Schwierigkeit führte weitere mit sich, die ihn schließlich erdrückten und das Ende war, daß der reiche Bauherr wieder froh sein mußte, als einfacher Maurerpalier das tägliche Brot erwerben zu können, weil von all seinem Besitz ihm nur die nötigste Habe geblieben war.

Da nun griff Vaterliebe noch einmal helfend ein. Wenn er auch nicht kräftig genug war, den großen Sturz zu verhindern, so vermochte er es dennoch wenigstens hinterdrein den Enkelkindern Hilfe zu bieten. Alles, was er sich die Jahre her in mühsamer Arbeit erspart und für sich als Zehrung auf die Tage des Alters zurückgelegt hatte, gab er hin, ja er verkaufte sogar sein Haus und behielt sich nur ein kleines Austragstübchen vor, um den Enkeln ein neues Heim zu erwerben und dem Sohne die Möglichkeit zu verschaffen, in ernster Arbeit wieder neu beginnen zu können. Er selbst aber handelte und fuhrwerkte weiter, obwohl des Alters Last ihn allmählich zu bedrücken begann. Unser lieber Herrgott war ihm jedoch gnädig und bewahrte ihn vor langem Siechtum. Fern der Heimat überraschte ihn unvermutet der Zusammenbruch seiner Lebenskraft und es war sein Glück, daß es nahe einem Städtchen war, wo barmherzige Hände um Gottes Lohn auch den wegmatten Fremdling gern zur Pflege im Spittel aufnahmen und dort erlöste ihn nach wenigen Tagen eine Herzlähmung schmerzlos von des Alters Sorge und Not.

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