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Der geistliche Herr

Donnerwetter!« sagte der Major, »der Krieg hat auch seine heitern Zeiten! Donnerwetter noch einmal!« Dies wiederholte er zur Bekräftigung seiner Ansicht, als ob ihr jemand widersprochen hätte. Was in den Kreisen, in denen er verkehrte, vollkommen ausgeschlossen war. Und dann kam gewöhnlich folgende grauenvolle Geschichte, seine Behauptung zu erläutern:

Rückten wir da eines Abends in ein lothringisches Dörfchen ein. Es dämmerte bereits, und wir hatten den Befehl, dort zu nächtigen. Wir wollten grade unsere Quartiere beziehen. Ich sollte mit vier Offizieren in dem Pfarrhause schlafen und dreißig meiner Leute in dem Gebäude nebenan. Der Pfarrer des Ortes hatte uns beim Einzug ins Dörfchen sanft aus seinem Fenster zugenickt. »Hier kannst du in Frieden deine Hütte bauen!« dachte ich schon bei mir und trabte auf das ansehnliche große, blitzsauber gehaltene Pfarrhaus zu. Im gleichen Augenblick sah ich meinen Mosjöh im offenen Fenster stehen. Und »peff! peff!« sausen schon ein paar Kugeln um mein angegrautes Haupt. Sofort geht nun auch hinter mir aus den Häusern der Ortschaft das Geknatter los.

Na! Meine Leute verstanden keinen Spaß. Binnen einer Viertelstunde war das Dorf wieder mäuschenstille. Nur drei Häuser nächst der Kirche und der Pfarrei, aus denen am meisten gefeuert war, prasselten in Flammen gen Himmel und sorgten, solange der Mond noch nicht erschienen war, für die Straßenbeleuchtung, die ausgedreht worden war. Beim roten Schein dieser Riesenfackel brachten vier meiner Kerle den Pfarrer aus seinem Hause herbei. Er war ganz zerzaust, und sein schwarzes Rabenfell hing in Fetzen um ihn herum, so hatten ihn die Leute vor sich hergestoßen. Wie er mich sieht, fällt er auf die Knie vor mir, streichelt und schmeichelt an mir herum und fängt an zu radebrechen: » Misericordia! Ich nich abe geschossen. Ich nich, Err General! Gnade um unsers Errn und Eilands willen!«

»Sie haben geschossen, da hilft Ihnen kein Gott gegen!« unterbreche ich ihn. »Ich habe es mit eigenen Augen gesehen.« Er aber wimmert weiter: »Ein Irrtum, ganz gewiß ein Irrtum, Err General! Schonen Sie mir! Sie dürfen alles abben, was im Ause ist. Geben Sie mir bloß das Leben, hören Sie, nur das nackte Leben! Err General! Alles andere ist zu Ihrer Verfügung!«

Ich betrachte mir den Kerl, wie er da mit seinen zitternden Händen fortwährend an meinen Hosen herumstreicht und ihm vor Erregung die Spucke aus seinen Mundwinkeln läuft. Und da kommt mir eine Idee. »Laß den Jammerlappen laufen!« denk' ich mir. »Aber einen Denkzettel soll er doch mit auf den Weg bekommen.«

Und damit brüll' ich ihn an: »Holen Sie uns Wasser herbei!« Sofort läßt er mich los. »Gewiß! Oui, je le ferai sur le champ! Auf der Stelle!« stammelt er, so aufgeregt wie einer, den man knapp lebend vom Galgen geschnitten hat. Und schleicht in sein Haus zurück. Es dauert ziemlich lange, da kommt er mit einem Eimer Wasser angekeucht. Es sah urkomisch aus, wie der schwarze Kerl, selbst naß vor Aufregung und Hitze wie eine Schlammschleie, das Wasser heranschleppt. Und meine Leute kommen ins Lachen bei diesem Anblick des Pastors als Wasserträger. Durstig vom Marschieren und von der Feuersglut der brennenden Häuser um uns herum, wollen sie sich über den Eimer stürzen. »Halt!« rufe ich und halte die Kerle nur mit Aufbietung meiner ganzen Autorität vom Trinken zurück. »Erst noch einen Eimer herbeigeschleppt, Hochwürden!« herrsche ich den Dunkelmann an. Es war eine Laune von mir. »Du willst den Hund noch ein bißchen ducken, der heimtückisch auf dich geschossen hat!« dacht' ich bei mir. Meine Leute lachen über meinen Einfall. Und der schwarze Kerl schleicht demütig dreinblickend in sein Haus zurück.

Den Eimer hat er auf die Treppe dicht vor seiner Haustüre gestellt. Ich trete herzu, und plötzlich kommt es mir vor – weiß der Teufel, woher man oft seine Ahnungen hat! –, als ob ein unbestimmbarer leicht öliger Geruch von dem Wasser aufstiege. »Donnerwetter!« denk' ich und ziehe aus meiner hinteren Tasche meinen Trinkbecher hervor und schraube ihn aus seinem Gehäuse. Einen feinen Kristallbecher. Noch ein Andenken meines alten Herrn von 1870. Es dauert wieder eine ganze Weile, ehe mein Pastor mit seinem neuen Eimer herangeschlichen kommt. Hastig stellt er ihn neben den andern auf den Treppenabsatz. »Guten Appetit!« sagt er noch und will sich schnell wieder in den Hausflur drücken. »Halt!« ruf' ich. »Hiergeblieben!« Und fasse ihn grade noch an dem schwarzen Schwanz seines weiten geistlichen Rockes, der um ihn herumschlotterte, als er zwischen der Türe verschwinden wollte.

»Was wollen Sie noch, Err General? Schonen Sie mir!« kreischt er auf und fällt gleich wieder vor mir auf die Knie, indem er dabei versucht, heimlich auf dem Boden nach hinten in sein Haus zu rutschen. »Stehen Sie auf!« befehle ich ihm. »Und hier trinken Sie an!« Damit schöpfe ich aus einem der beiden Eimer meinen Trinkbecher voll und reiche ihn dem Mann Gottes hin.

»O ich bedaure sehr! Mille fois pardon, Err General! Aber ich sein zu sehr erhitzt!« stottert er. Er hatte sich erhoben und versuchte nun unter fortwährenden Verbeugungen und Entschuldigungen in seinen Hausflur zu entwischen. Aber er entkam mir nicht mehr. »Hier! Trinken Sie!« donnerte ich ihn an. »Nur einen Schluck!« Damit zwang ich ihm den Becher in seine Hand. Er überlegte einen Augenblick, was er tun sollte, wie ich an seinen listigen, unruhig hin und her gehenden Augen sah, während sein Mund fortwährend plapperte: »O nein, Err General, ich nicht kann. Zu sehr erhitzt, sehen Sie, aben Sie Mitleid mit einem kranken Mann!«

Im selben Moment kam ihm sein Einfall, und er ließ den Becher aus seinen Händen fallen. Das Glas zersprang auf den Steinfliesen der Treppe in tausend Stücke.

» Oh, mille fois pardon!« winselte er, und nun kam eine ganze Flut von Entschuldigungen. »Ich sein zu aufgeregt. Verzeihen Sie mir, Err General! Die schöne Becher! Ich werde gleich neue Glas holen aus dem Ause. Eißt es ›aus dem Ause‹ oder ›aus das Aus‹, Err General?«

Damit stieß er die Türe hinter sich auf und wäre im Nu in seinem Hausflur verschwunden, wenn ich ihn nicht mit meinem gezogenen Revolver zurückgehalten hätte. »Hiergeblieben, mein Herr!« schrie ich ihn an. »Und der Apotheker soll sofort kommen!« gab ich einem meiner Leute zu Befehl. Durch den Türspalt, den der schwarze Halunke hinter sich aufgestoßen hatte, war sein kleiner brauner Teckel herausgekommen. Solche unfreiwilligen Junggesellen haben ja gern irgendein vierbeiniges Wesen zur Vertreibung ihrer Langeweile um sich. Er kleffte und krakeelte mich nicht schlecht an, der kleine Köter. Aber was kümmert einen das in Kriegszeiten! »Hier! Sauf schön!« Damit suche ich den Hund an das Wasser heranzulocken, das sein geistlicher Herr verschüttet hat, und das jetzt in dünnen Streifen die Treppe hinuntersickert. Der Teckel schnuppert auch wirklich an dem Wasser herum. Aber dann stutzt er, läßt den Schwanz hängen und läuft scheu kleffend zu seinem Herrn zurück. »Sehen Sie! Nicht einmal Ihr Hund mag von Ihnen saufen!« brülle ich den Kerl an, der gelb wie Rührei an der Türe steht.

Der Regimentsapotheker kommt. Er schmeckt und untersucht das Wasser aus den beiden Eimern, indes ich meinen Übeltäter in der Soutane nicht aus den Augen und von dem Lauf meines Revolvers lasse. »Ein starker Zusatz von Lysol ist in dem Wasser. Genau prozentual kann ich es noch nicht feststellen!« meldet der Apotheker. In der fürchterlichen wütenden Erregung, die mich und meine Leute danach packt, gelingt es dem schwarzen glatten Satan doch, in sein Haus zu entwischen. Ich mit drei meiner Leute hinter ihm her. Wie ein Karnickel konnte der schwarze Teufel rennen, indem er die weiten Schöße seines Priesterrockes mit beiden Händen hochnahm, wie ein Weib, das über einen Bach springen muß. Er rast an einem Holzstoß hinter seinem Pfarrhaus vorbei, aus dem noch auf uns geschossen wird. Wie eine gehetzte Ratte läuft er weiter in einen Obstgarten. Es ist stichduster dort. In dem schwachen roten Rest des Widerscheins von der Feuerstätte sehen wir vier Kerle aufspringen und durch einen Spalt in der Mauer entlaufen. Dicht vor ihr kriegen wir unsern schwarzen Pfaffen zu packen. Auch er wäre uns vielleicht noch entwischt ohne den Teckel, der sich wie ein Kind, ein richtiges Menschenkind, vor Angst aufheulend an seine Schöße gehängt hatte. Es sah und hörte sich an, als ob der leibhaftige Gottseibeiuns mit einer widerspenstigen sündigen Seele, die er sich erbeutet, in die Hölle fahren wollte. Durch das Tier hinter sich verwirrt, stolpert der Stellvertreter des Satans auf Erden. Und meine Leute hatten ihn fest. Das Hündchen werfen sie an der Mauer tot, und mir bringen sie den Übeltäter und stoßen ihn wie ein Häufchen Elend vor mich hin. Er aber fängt gleich wieder an zu winseln und meine Beine zu umklammern: »Schonen Sie mir, Err General! Lassen Sie mir nur das Leben, bloß das nackte Leben, ören Sie! Ich sein gezwungen worden, verstehen Sie!«

Man mußte ihn mit Gewalt von mir fortziehen. Meine Hosen waren gänzlich zerfetzt, so fest hatte er sich in seiner entsetzlichen Angst vor dem Tode an mich gekrallt. »Geben Sie mir Absolution um des Immels willen!« Das war das Letzte, was ich ihn wimmern hörte.

Zwei Minuten später hatte er seinen unheiligen Geist aufgegeben.


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